Thekla Schneider
Schloß Meersburg am Bodensee
Thekla Schneider

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Burgherr an der Grenze seines Lebens

Im Sommer 1850 stand ein Fremder am Eingange der Meersburg. Er schrieb auf ein Blättchen Papier, welches er dem Torwart übergab, der damit zum Freiherrn hinaufeilte:

»Ein blinder Sänger klopft an deine Tür,
O, schieb ihm keinen Riegel für.
Justinus Kerner.

Leicht wie ein Jüngling flog der Greis durch die Gänge und die Treppe hinunter, dem bekannten Unbekannten entgegen; dabei flogen die Schöße seines grünen Jägerrockes, den er aus alter Gewöhnung und zur Erinnerung an seinen früheren Beruf immer trug. – Das Haupt von einem schwarzen Sammetkäppchen bedeckt, unter dem das lange, schöne Silberhaar hervorkam, war er wirklich eine klassische Erscheinung. »Wer ihn sah, am Portal dieser grauen Mauern seine Gäste bewillkommnen, der mochte wohl glauben, einem alten Ritter zu begegnen«, sagte seine eigene Tochter Hildegard von ihrem Vater. Am Tor umarmten sich Laßberg und Kerner, als wären sie alte Freunde, und doch hatten sie sich nie gesehen.

Das war der Anfang des innigen Freundschaftverhältnisses, das Kerner mit dem Freiherrn bis zu dessen Tod verband. Die alte Meersburg hat den liebenswürdigen Dichterarzt oft in ihren Mauern gesehen, wie auch die anderen württembergischen Freunde, besonders Uhland und Schwab. Die dichterische Gabe dieser Männer, sowie das Wahre, Echte, Biedere in ihrem Wesen zog Laßberg mächtig an, während andererseits sie im Verkehr mit dem Freiherrn und seiner Familie neue Anregung für ihre Muse fanden, wie immer der Umgang mit wahrhaft edlen, vornehmen Menschen auf das Talent bildend und belebend wirkt.

Ludwig Uhland schrieb am 17. Oktober 1853 auf der Meersburg den Töchterchen des Freiherrn auf ein noch erhaltenes Albumblatt:

»Der heiteren Jugend sind alle Jahreszeiten maienhaft, aber ich fühle an diesem milden Oktobertag im Haus meines allerverehrtesten Freundes, daß auch der Spätherbst des Lebens seine sanft erfreuenden Stunden hat.

Zu freundlichem Andenken
Meersburg, 17. Okt. 1853.
L. Uhland.«

Die Erinnerung an eine Kahnfahrt während seines Aufenthaltes auf der Meersburg hat Justinus Kerner festgehalten in einem Gedichtchen; dasselbe findet sich ebenfalls auf einem Albumblatt der Zwillinge und heißt:

Abendschiffahrt

»Wenn von heiliger Kapelle
Abendglocke fromm erschallet,
Stiller dann das Schiff auch wallet
Durch die himmelblaue Welle.
Dann sinkt der Schiffer betend nieder,

Und wie von dem Himmel helle,
Blicken aus den Wogen wieder
Mond und Stern und Wolk' und Welle,
Und die Engel tragen gerne,
Umgewandelt zur Kapelle,
Solch ein Schiff durch Mond und Sterne.«

Ein anderes Andenken von Justinus Kerners Aufenthalt auf der Meersburg besitzen wir in einer sogenannten Klecksographie.

Der Dichter nahm ein Blatt Papier und machte nach gewissen Regeln mit Tinte einige große Kleckse darauf. Dann schlug er es zusammen und als er es wieder öffnete, war die Gestalt eines Falters zu sehen.

»Aus Tintenflecken ganz gering
Entstand der schöne Schmetterling«

schrieb der Dichter darüber, und darunter:

»Zu solcher Wandlung ich empfehle
Gott meine fleckenvolle Seele.«
Justinus Kerner.

Gustav Schwab aber hat viele seiner Lieder an den Bodensee auf der alten Meersburg gesungen. Er war, wie auch Uhland, schon mit dem Freiherrn bekannt und befreundet, als derselbe noch in Eppishausen wohnte. Daselbst besuchte ihn Schwab einmal mit seinem Sohne Christoph, den Laßberg in freundlicher Erinnerung behielt bis in sein hohes Alter.

Am 6. August 1848 schreibt der schwäbische Dichter seinem Erstgeborenen, der sich damals in Griechenland bei dem österreichischen Gesandten von Prokesch-Osten befand, folgendes:

»Vom lieben alten Laßberg erhielt ich gestern einen Brief, den zweiten nach dem Tode der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, seiner Schwägerin. Er schreibt darin: »Wenn Sie Ihrem Christoph schreiben, so bitte ich, auch von mir einen herzlichen Gruß beizufügen. Dem kleinen, schmalen Studenten hätte ich damals in Eppishausen nicht angesehen, daß er einst die Akropolis der Athene und den pentelischen Berg besteigen werde.«

Christoph Schwab, dem der Besuch bei dem Freiherrn auch im Gedächtnis geblieben war, antwortete hierauf von Kephisia aus am 16. September 1848 seinem Vater:

»Die Erinnerung des edlen, liebenswürdigen Herrn v. Laßberg hat mich in tiefster Seele erfreut; ein Eppishausen, mit seinen grünen Wäldern und schneeigen Gipfeln, vergißt man auch unter dem Pentelikon nicht.«

Von der Liebe und Verehrung, die Herr von Laßberg genoß, legt heute noch ein Stuhl Zeugnis ab, den seine Stuttgarter Freunde ihm zu seinem 73. Geburtstag gewidmet haben und deren Namen mit Wappen in denselben eingeschnitzt sind. Der Stuhl ist in gotischem Stil nach einem Entwurf von Zanth, dem Erbauer der Wilhelma, durch Wirth ausgeführt. Auch zwei altdeutsche Frauengestalten, die Töchter des Freiherrn Hildegard und Hildegunde darstellend, sind in seiner Schnitzarbeit darauf angebracht. Die grüne Polsterung weist auf den früheren Jägerberuf Laßbergs hin, während ein Spruchband über der Lehne uns in altdeutscher Schrift seinen Lieblingsspruch verkündet:

» Es mag bringen noch ain tag – das ain jahr nit bringen mag davon neman verzagen sol – sol es sin es fügt sich wol.«

Das ebenso schöne, als sinnige Geschenk machte dem alten Freiherrn viele Freude, wie aus dem Dankesschreiben hervorgeht, das er an Franz Pfeiffer,Franz Pfeiffer, Briefwechsel zwischen J. Freiherr v. Laßberg und Ludwig Uhland. einem der mitbeteiligten Freunde, richtete:Laßberg bediente sich mit Vorliebe der Schreibweise alter Handschriften.

»Auf der alten Meersburg, am 22. April 1843.

Mein lieber Herr und Freund!

Auf Iren heute erhaltenen Brief vom 19. huius habe ich Nachstehendes zu antworten. Erstens meinen besten Dank für Ire guten Wünsche zu meinem Geburtstag. Ich habe sie schon am 10. April selbst Nachmittags 4 Uhr an einem wunderschönen Stule aus schwäbischem Eichenholz, künstlich und zierlich gemalt und geschnizzet gelesen, und mich gefreuet, das silberne Kleeblatt im roten Felde (ein wares Sängerwappen) unter den Zeichen der übrigen guten schwäbischen Männer zu finden. Es war eine fein ausgesonnene und rürend ausgeführte Überraschung für den alten Mann, der bis auf wenige Schritte vor dem Ehrenstule keine Andung von der Freude hatte, die im bereitet war. Gott vergelts! denn ich kann es nicht vergelten und der Ere und Liebe ist daran viel mer gewendet, als ich verdiene. Da auch meine eheliche Wirtinne M. Anna Droste mit in die freundschaftliche Verschwörung getreten war, mußte die Überraschung allerdings gelingen. Der Stul ist in jeder Beziehung ein Opus absolutum! und der Meister, der ihn erfunden und iener, welcher ihn ausgeführt hat, sind beide gleiches Lobes würdig; aber die Pietät der Freunde gegen den alten Mann, das ist und bleibt doch das erfreulichste.«

In einem anderen, an Oberst von Hövel gerichteten Briefe, schildert Laßberg die reizvolle Szene der Überraschung. Wir können nicht umhin, auch dieses Schreiben wiederzugeben, welches ein so helles Licht auf das schöne, glückliche Familienleben wirft:

»Auf der alten Meersburg, 11. April 1843.

O, mein teurer Hovelius! Welche Freude haben Sie mir altem Manne bereitet! denn Sie, alter Freund! halte ich für den Urheber und Rädelsführer dieser freundschaftlichen Verschwörung. Dieser schöne und mer als schöne Stul freut mich und eret mich mer, als wenn einer der Könige der Erde, wie sie nun sind, mir alle seine Orden umgehängt hätte. Daß Sie mir aber meine liebe Hauswirtinne auch zu diesem Verrate verführt haben, will ich gutmütig verzeihn; aber weiter solls nicht gehn! Wir feierten meinen Geburtstag, der mir viel lieber und wichtiger ist, als der Namenstag, ganz stille und vergnügt zu vieren, wie wir täglich zu Tisch sitzen. Auch der abwesenden Freunde Gesundheit ward getrunken, wobei ich freilich das Beste tun mußte. Nach Tisch setzte ich mich an den Schreibtisch, und fur mitunter auch in meinen schon frühmorgens begonnenen Betrachtungen fort. Gottlob! Ich stieß auf nichts, was mein Herz schneller an die Rippen der alten schwäbischen Brust schlagen machte. Es war etwas nach 4 Uhr, da kamen die beiden Hilden hergelaufen und sagten: Die Mutter läßt Dich bitten, Du möchtest doch sogleich zu ihr ins Blumenzimmer herabkommen. Was soll ich denn da machen? Ey, das wissen wir nicht! war die Antwort.

Nun dachte ich, vermutlich ist eine der Lieblingspflanzen im Aufblühen und das soll ich sehen und loben.

Als ich in das Blumenzimmer kam, war niemand da, aber die eiserne Tür des Büchersaales war offen. Die Schlüssel waren mir also entwendet worden. Ich rief: Jenny, Jenny; allein keine Antwort. Auf einmal erblickte ich in dem Rondel, wo ich sonst im Sommer zu schreiben pflege, etwas von ganz fremdartiger Gestalt stehen. Die Kinder lachten überlaut und klatschten vor Freude in die Hände. Hey, rief ich, hat unsere närrische Mutter ein altes Altärchen gekauft, um mich damit anzubinden!

Als ich aber näher trat, sah ich wol, was es war, konnte mir aber gar nicht ausdenken, woher es kommen möchte. Auf einmal erblickte ich zu den beiden Seiten des Stules die Wappen mit den Inschriften. Nun hatte ich deren nicht ein halb Dutzend gelesen, so wußte ich schon alles. Da trat meine Frau hinter der Türe, wo sie sich verborgen hatte, hervor und gab mir die Briefe. Lieber Freund! da erfuhr ich, daß einem alten Manne auch nach dreiundsiebzig Jahren die Augen noch naß werden können. Gott vergelts Euch, ihr lieben, biedern schwäbischen Männer. Seit vielen, ja vielen Jaren, hat der alte Meister Sepp solch süße Rürung nicht empfunden. »So viel Ere und Liebe bin ich wahrlich nicht wert,« war meine erste Rede und das muß ich euch auch noch sagen; aber es freut mich die schöne Gabe. »Old Oak,« sagte ich dann, Holz von unseren alten schwäbischen Eichen! das ist schöner und besser, als Gold, Silber und Elfenbein.

Nachdem ich den Stul von vorne und hinten, von den Seiten und oben und unten, bis auf den Namen des Meisters Wirth, des kunsterfarenen Stuttgarters, besichtiget und alles schön, rein und untadelhaft gefunden hatte, sezzte ich mich hinein, und ich saß sehr gut. Dann sagte ich: da werde ich oft sizzen und wenn mir eines der Wappen in die Augen fällt, an den wakern Mann mit Dank gedenken, dem es angehört. Nun, wie soll ich meinen Dank ausdrücken? Das wird schwer sein, wenn die Worte meinem Gefühl gleich stehen sollen. Eine allgemeine Danksagung, d. i. an alle und jeden, will ich gedruckt nachsenden; denn an jeden besonders zu schreiben, wäre nicht möglich, da ich die Gicht am rechten Arme habe; indessen sagen Sie, liebster Hovelius! den Freunden in Stuttgart, welche Freude ich ihnen verdanke. Mer mag ich wahrhaftig diesmal nicht zu schreiben. Nur noch einen Gruß von uns an Weib und Kind und dann Gott befohlen von Irem

Joseph von Laßberg.«

Im Jahre 1853 hatte der Freiherr die Freude, seinen vielgeliebten Landesherrn, Großherzog Leopold von Baden, in seinem Schloß zu empfangen und bald darauf, am 8. August desselben Jahres, brachte das Dampfschiff wieder eine fürstliche Persönlichkeit an Meersburgs Gestade. Der Kapitän eilte herauf und meldete dem Freiherrn: »Gräfin Teck mit Gefolge«, setzte aber leise, als wenn er ein Geheimnis verrate, hinzu: »Ihre Majestät die Königin von Württemberg.« –

Frau von Laßberg erwartete mit ihren Kindern den hohen Besuch im großen Salon, während der Freiherr ihm bis an den Eingang des Schlosses entgegenging.

Die Königin, mit ihrer Tochter Katharina, beide in weißem, mit grünen Blumen bestickten Kleid, machten auf die Kinder einen unvergeßlichen Eindruck. In ihrer Begleitung befanden sich noch der Bruder der Königin Pauline, Herzog Alexander von Württemberg, Freifrau von Spitzemberg und Gräfin Taubenheim.

Auf den Wunsch der Königin, das Schloß näher zu besichtigen, machte Herr von Laßberg selbst den Führer; mit dem Schlüsselbund in der Hand, geleitete er die hohen Gäste durch die weiten Räume seiner alten Burg. Zuletzt führte er sie in den Büchersaal und zeigte ihnen das Nibelungenlied, wonach die Königin gleich zu Anfang gefragt und es zu sehen gewünscht hatte. Sie legte auch jetzt großes Interesse dafür an den Tag, besah eingehend, mit Verständnis, den kostbaren Kodex und bewunderte die herrliche Handschrift, sowie die feinen Malereien.

Zuletzt begleitete man die Gäste wieder ans Burgtor. Hier fand ein herzlicher Abschied statt, wobei die Königin Frau von Laßberg umarmte. –

Nach und nach, wenn auch nicht auf peinliche Weise, machte sich das hohe Alter des Freiherrn geltend, indem sich die Kräfte minderten. Er fühlte sein Ende herannahen. Mit der Festigkeit und Ruhe eines wahrhaft religiösen Mannes sah er ihm entgegen, ob es nun langsam ober schnell erfolgen wolle.

Er schrieb an Uhland einen Brief, in dem er den wenigen übrig gebliebenen Freunden noch einen letzten Gruß zuruft, »ehe er seinen Fuß auf die dunkle Bahn setzt« und sagt: »Es ist mir gut gegangen im Leben; Gott sei Dank und Lob dafür! ich habe Freunde gefunden, habe geliebt und bin geliebt worden; schön war das Leben bis in mein hohes Alter!«

Ende Oktober traf den Greis die Nachricht vom Tode des Fürsten von Fürstenberg. Er war dadurch tief bewegt. Nun nahmen auch seine Kräfte immer mehr ab.

Am 13. März 1855 war die Schwäche so groß, daß man das nahe Ende voraussah; der Geist war klar. Bei vollem Bewußtsein empfing der Kranke am 15. morgens die hl. Sakramente, segnete seine Kinder und mahnte die Anwesenden an das Scheiden, indem er sprach: »Wenn jemand noch etwas zu bestellen oder zu fragen hat, der sage es jetzt, damit es noch geschafft werden kann, da ich noch hier bin«. Dann entschlief Laßberg sanft und still, ohne jeglichen Kampf, so daß man den Moment des Todes nicht einmal bemerkte. Drei Tage darauf wurde der Heimgegangene bestattet und zwar, wie seine Schwägerin Annette, in der nordöstlichen Ecke des Friedhofs, welchen Platz die Pfarrgemeinde Meersburg Frau von Laßberg als Familiengrabstätte angeboten hatte. Die Freifrau ließ zum Dank und als Anerkennung für diese Schenkung über dem Grabe ihres Gatten ein Kapellchen erbauen. Die anfangs erwähnte Marmortafel bedeckt die Stelle, wo der Verewigte ruht in dem Sarge, aus dem Holz des Baumes gezimmert, der einst auf dem Edelsitze Eppishausen gestanden und in dessen Schatten Laßberg im rüstigen Mannesalter oft Schutz und Ruhe gefunden hatte.

Nachdem alles geordnet war, schien das schöne Heim Frau von Laßberg gar zu einsam und traurig ohne den Freiherrn und es zog sie mit ihren Töchtern heim, wo sie ihre Jugend verbracht, nach Westfalen. Aber ihre Lebenszeit war auch nur noch kurz bemessen. Vier Jahre nach ihrem Gatten, am 29. Dezember 1859, starb sie zu Münster i. W. Mit ungemeiner Ruhe sah sie ihrem Hinscheiden entgegen.

Als am Tage vorher von jemand an sie die Frage gestellt wurde: »Nicht wahr, Du fürchtest Dich nicht vor dem Tode?«, antwortete sie mit heiterer Miene: »O nein, gar nicht!«

Zu Roxel, einem Pfarrdorfe in der Nähe von Hülshoff, wurde sie in der Drosteschen Familiengruft beigesetzt neben ihrer Mutter, welche ihr am 1. März 1853, 85 Jahre alt und bis zuletzt tätig und geistesfrisch, im Tode vorangegangen war.


 << zurück weiter >>