Thekla Schneider
Schloß Meersburg am Bodensee
Thekla Schneider

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Der Freund

Levin Schücking

Levin war geboren zu Clemenswerth als Sohn des Friedensrichters Schücking und seiner Gemahlin Katharina geb. Busch, welch letztere sich schon vor ihrer Verheiratung als Schriftstellerin einen Namen gemacht hatte. Annette liebte und verehrte sie.

»Du hast es nie geahnet, nie gewußt,
Wie groß mein Lieben ist zu dir gewesen,
Nie hat dein klares Aug' in meiner Brust
Die scheu verhüllte Runenschrift gelesen.
Wenn du mir freundlich reichtest deine Hand
Und wir zusammen durch die Grüne wallten,
Nicht wußtest du, daß wie ein Götterpfand
Ich, wie ein köstlich Kleinod sie gehalten.«

schreibt sie in dem wunderschönen Gedicht, mit dem sie ihr, der Dahingegangenen, ein bleibendes Denkmal gesetzt hat.

Als Levin der Schule in Clemenswerth entwachsen war und deshalb ans Gymnasium nach Münster kam, gab ihm seine Mutter einen Brief an Annette von Droste mit, den er eines Tages nach Rüschhaus brachte. Das Edelfräulein empfing ihn in einem weißen Musselinkleid sehr schlicht und einfach. Sie zeigte ihm ihre gesammelten Schätze: Muscheln, Münzen, Versteinerungen, die sie in einem Glasschränkchen aufbewahrte. Von dem Tage an begab sich Levin immer wieder von Zeit zu Zeit auf den kleinen Edelsitz in der Heide.

Da starb seine Mutter. Annette, welche keine Mitteilung erhalten hatte, wollte an sie schreiben, als ihr Auge, ein Zeitungsblatt als Unterlage benützend, ganz zufällig auf die Todesanzeige fiel. Bei ihrem Glauben an mystische Zusammenhänge fühlte sie es wie eine ihr von oben zugewiesene, unabweisbare Aufgabe, an dem Sohne der Freundin nun Mutterstelle zu vertreten. Sogleich ließ sie Levin eine schriftliche Aufforderung zugehen, sie zu besuchen. Dieser kam alsbald und die innige Teilnahme, die sein tiefbetrübtes Herz bei der Freundin seiner verstorbenen Mutter fand, berührte ihn in seinem Schmerz aufs wohltuendste.

Lange aber sollte Annette es zunächst nicht vergönnt sein, ihre schützende Hand über den Jüngling zu halten, da dieser Münster verließ und zur Fortsetzung seiner Studien die Universität München bezog.

Erst nach sieben Jahren, in welcher Zeit sie nichts voneinander gehört, sich auch nie geschrieben hatten, kam er zurück und fand Annette wieder in ihrem »Schilfhause«. Sie hatte sich äußerlich nicht verändert, war kaum älter geworden, »aber älter war ich geworden,« schreibt Levin in seinen Lebenserinnerungen, »alt genug, um, wenn nicht die ganze geistige Bedeutung dieser seltenen, ja einzigartigen Natur zu erkennen, doch sie zu ahnen und von ihr nachhaltig gefesselt zu werden.«

Von dieser Zeit an beginnt ein reger Verkehr. Wir sehen den Jüngling jede Woche an einem festgesetzten Tag über Wiesen und Heidekämpe nach Rüschhaus wandern, wo ihn Annette auf einer Bank im Parke erwartete. Der

»schattenreichsten nicht von allen,
Nur Erlen lassen dünn und schlank
Darüber karge Streifen wallen,«

sagt sie in dem Lied, in dem sie diese Bank besingt und:

»Dies ist der Fleck, wo man den Weg
Nach allen Seiten kann bestreichen.
Das staub'ge Gleis, den grünen Steg
Und dort die Lichtung in den Eichen:
Ach, manche, manche liebe Spur
Ist unterm Rade aufgeflogen!
Was mich erfreut, bekümmert, nur
Von drüben kam es hergezogen –«

Levin erkannte die Freundin dann schon von weitem an den lichtblonden Haaren, die sie ohne Kopfbedeckung dem freien Spiel der Winde überließ.

Dann gingen sie zusammen ins Haus und Annette bewirtete ihn mit dem berühmten westfälischen Kaffee, oder mit Obst, ein paar schönen Äpfeln, die sie für ihn aufgespart hatte.

Nachher wurden größere Streifereien in der Umgebung unternommen, wobei Annette immer ihren kleinen Berghammer mitführte, mit dem sie Versteinerungen und Muscheln aus der Erde klopfte.

Bei schlechtem Wetter machte man sich's behaglich in der »Spiegelei«, wie Annette ihr Entresolzimmerchen nannte. Hier stand ein altmodisches Sofa; bequem in eine Ecke gekauert, erzählte sie dann allerlei Geschichten, denen Levin, der am anderen Ende des Kanapees zu ihren Füßen saß, aufmerksam zuhörte.

Häufig aber unterhielt man sich auch über Literatur und literarische Erscheinungen, denn auch Schücking war unter die Schriftsteller gegangen, zwar nicht gerade zur Freude seiner mütterlichen Freundin. Annette schreibt einmal in einem Brief: »besser ein satter Handwerker als ein verhungerter Maler und Poet«. Sie hielt, wenigstens damals noch, keine großen Stücke auf seine poetische Begabung und traute ihm nicht viel mehr als ein kritisches Talent zu. Mit diesem erwarb er sich auch seinen Lebensunterhalt, indem er für den »Telegraf«, eine von Gutzkow gegründete Zeitschrift, Kritiken schrieb.

Mit wahrhaft mütterlicher Liebe und Sorge benützte Annette ihre Beziehungen zu einflußreichen Persönlichkeiten, um ihren Schützling in einen gesicherten Broterwerb hineinzubringen. Sie schrieb an die ihr sehr befreundete Schwester des damaligen bekannten hessischen Ministers Hassenpflug wegen einer Sekretärstelle für Levin. Die Bemühungen schlugen aber fehl, und so war Annette froh, ihr Sorgenkind endlich bei ihrem Schwager unterbringen zu können.

Kein Ort der Welt hätte sich besser geeignet, eine Freundschaft zu vertiefen und auszubilden, als die romantische Burg am Bodensee mit ihren stillen Gängen und Hallen, ihren traulichen Gemächern, mit ihren sonnigen Plätzchen, ihren Rebenhöhen, ihren murmelnden Quellen und tiefen Waldesschatten.

Dorthin flüchtete sich Annette gern allein zum Träumen und Sinnen. Alte Leute wollen sich noch erinnern, wie sie ihr im Tale hinter der Krone begegneten, mit einem Buch oder Heftchen in der Hand.

Aber auch Levin verließ dann häufig sein Gewölbe und folgte der Freundin, die ihn am Waldeseingang erwartete.

Dann schritten sie zusammen durchs Gehölz, bis an den lichteren Waldessaum. Hier ließen sie sich nieder auf eine Bank und genossen die Aussicht auf die Mainau und den Untersee; oder sie kehrten ein beim »Figel«, dem Besitzer des Wirtshäuschens am Bergabhang, eine solche Einkehr beschreibt uns die Dichterin in der »Schenke am See«.

Sie sitzen unter dem rebenumsponnenen Dach. »Das Wurzelmännchen«, so nannte Annette den kleinen Wirt, bringt ihnen frisch gebrochene Trauben:

»O sieh, wie die verletzte Beere weint
Blutige Tränen um des Reifes Nähe«

spricht sie zu Levin, heißt ihn aber frisch zugreifen:

»Die saftigen Rubine glühn und locken.«

Es kommen ihr ernste Gedanken, die dem jungen Freunde noch »Hieroglyphen« sind:

»Schon fühl' ich an des Herbstes reichem Tisch
Den kargen Winter nah'n auf leisen Socken;
Und ich, ich will an deiner lieben Seite
Froh schlurfen meiner Neige letztes Gut...«

Zuletzt sehen sie auf den Wellen unter sich im Abendrot eine Taucherente auf- und niedergehen.

Die Dichterin sieht darin treffend das Symbol ihrer und des Jünglings verschiedenen Lebensauffassung:

»Seltsames Spiel, recht wie ein Lebenslauf!
Wir beide schaun gespannten Blickes nieder;
Du flüsterst lächelnd: immer kömmt sie auf –
Und ich, ich denke, immer sinkt sie wieder!«

Zuweilen liebte das Freundespaar aber auch an den See hinabzusteigen und am Ufer hinzuwandeln.

Annette, die Sinn und Verständnis für alles, Großes und Kleines, in der Natur besaß und in der Mineralogie bewandert war, wie selten eine Frau, hatte großes Interesse für das bunte Gestein am Strande und fand ihr Vergnügen darin, kleine Raritäten, Muscheln und Steinchen, sich auszusuchen. Schücking war ihr behilflich dabei; sie kamen oft den Wellen so nahe, daß sie in ihre Fußstapfen hineinsprudelten, was aber für das westfälische Edelfräulein nichts Symbolisches haben konnte, »denn«, sagt Schücking, »die Wogen der Zeit werden nie und nimmer vermögen, die Spuren von Annettens Erdendasein auszulöschen.«

Der Freiherr ließ sich angelegen sein, die norddeutschen Gäste mit den Stätten historischer Erinnerungen bekannt zu machen, und es wurde manche größere Wanderung durch die herbstlich gefärbte Natur unternommen. So führte er sie nach Salemsweiler und Heiligenberg, beides Orte, die für Laßberg von dem Zauber schöner Jugenderinnerungen umwoben waren. Salemsweiler hatte ihn als Klosterschüler gesehen und er wußte unterwegs viel zu erzählen von der strammen Zucht und Ordnung, die dort geherrscht.

Auf Heiligenberg hatte er als Hofjägermeister zwölf Jahre in Diensten der verwitweten Fürstin Elisabeth gestanden und hatte in schwieriger Zeit, als ihr erster Berater sozusagen, die Regentschaft über das Ländchen geführt.

Das Droste-Hülshoff'sche Familienwappen


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