Thekla Schneider
Schloß Meersburg am Bodensee
Thekla Schneider

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Im neuen Heim

Friedrich und Freifrau von Laßberg, geb. Droste-Hülshoff

September 1911 waren es siebzig Jahre, daß Annette von Droste-Hülshoff aus Westfalen zum erstenmal nach Meersburg gekommen ist. Mit Stolz und Staunen mag sie bei der Landung am Hafen emporgeschaut haben zu der altehrwürdigen, auf steilem Felsen erbauten Ritterburg, die ihrem Schwager, dem Freiherrn Josef von Laßberg gehörte.

Dieser war verheiratet mit Jenny von Droste-Hülshoff, der älteren und einzigen Schwester der Dichterin.

Auf dem Wiener Kongreß hatte Laßberg den Grafen Werner von Haxthausen aus Westfalen kennen gelernt und sich mit ihm, der seine Liebe für das germanische Altertum teilte, sehr befreundet.

Der Graf machte bald darauf mit den Seinigen eine Reise nach Italien. Von dort zurückkehrend, hielt er sich einige Zeit in Konstanz auf und besuchte häufig den Freiherrn auf seinem damaligen Besitz Eppishausen im Kanton Thurgau. Dahin kam ihm sein Bruder Fritz aus Westfalen entgegen und brachte seine liebliche Nichte Jenny von Droste-Hülshoff mit.

Laßberg, der Witwer war und schon in vorgerückterem Lebensalter stand, fand großes Wohlgefallen an ihr, und es sollte ihm noch einmal der Lebensmai blühen. Auf der Rigi, wohin man gemeinsam eine Reise gemacht, an der sich auch Jakob Grimm beteiligte, warb Laßberg, angesichts der schönen Alpenwelt, um die Hand des westfälischen Edelfräuleins.

Aber die Ihrigen konnten sich schwer dazu entschließen, Jenny dem fremden, schon 60jährigen Manne in so weite Ferne folgen zu lassen, und so war es ihm erst nach drei Jahren vergönnt, die Geliebte heimzuführen.

Die Hochzeit fand am 18. Oktober 1834 zu Hülshoff statt. In der Schloßkapelle daselbst, wurde der Bund fürs Leben geschlossen, in Anwesenheit der nächsten Verwandten.

Nach der Vermählung schreibt Annette in sorgender Liebe für die Schwester an ihre Freundin Sibylla Mertens: »Ich hoffe, daß Jenny glücklich wird, Laßberg hat manches Originelle aber noch mehr Vorzügliches, doch das Urteil über Jemand, den man nur als Gast und Bräutigam sah, muß einseitig bleiben, mich verlangt, ihn zwischen seinen Mitbürgern in seinen Familienverhältnissen zu sehen. Wahrscheinlich reisen wir im nächsten Frühling hin, d. h. die Mutter und ich.«

Die Ehe ward eine durchaus harmonische, wovon Frau von Droste und Annette sich überzeugten bei ihrem im Frühjahr darauffolgenden Aufenthalt in Eppishausen, der beinahe ein Jahr dauerte. Das Glück der Ehegatten wurde gerade in dieser Zeit noch erhöht durch ein Zwillingspärchen, 2 Töchterchen, denen Frau von Laßberg am 5. März 1836 das Leben schenkte und die der glückliche Vater, in seiner Liebe für das germanische Altertum, Hildegard und Hildegunde taufen ließ.

Schon lange hatte sich in Laßbergs Gemüt der Wunsch geregt, wieder in seine schwäbische Heimat zurückzukehren und einstmal in schwäbischer Erde zu ruhen. War er doch ein echtes Kind des schwäbischen Landes. In Donaueschingen, in nächster Nähe der Donauquelle, hatte er das Licht der Welt erblickt als Sohn des fürstlich Fürstenbergischen Oberjägermeisters von Laßberg und seiner Gemahlin M. Anna, geb. von Malsen.

Als Hildegard und Hildegunde drei Jahre zählten, wurde dieser Herzenswunsch des Freiherrn verwirklicht. Es bot sich ihm eine günstige Gelegenheit, Schloß Eppishausen zu verkaufen; dafür erwarb er für sich vom badischen Staat im Jahre 1838 die alte Ritterburg am Bodensee.

Hochbeglückt über den neuen Besitz, teilte er seinem Freund Uhland, sobald die Kaufsbestätigung aus Karlsruhe angelangt war, mit, daß er nun Eigentümer der alten bischöflichen Burg zu Meersburg sei und schreibt dazu in der Freude seines alten, aber noch immer grünen Herzens: »Wie viele geschichtliche Erinnerungen knüpfen sich an diese Besitzung! König Dagobert von Austrasien baute sie, Karl Martell erneuerte die Burg, die Welfen, die Hohenstaufen, besaßen sie. Wahrscheinlich trat sie Konradin seinem Vormunde, dem biederen Bischof Eberhard von Waldburg, ab. Bischof Nikolaus, aus dem Minnesängergeschlecht von Kunzingen, hielt 1334 eine 14 wöchentliche Belagerung gegen Kaiser Ludwig den Bayern darin aus und nötigte diesen, mit Schimpf abzuziehen. Die Gegend, sowie die ganze Nachbarschaft ist fruchtbar, freundlich und wohlangebaut; der Wein, welcher seit einigen Jahren da aus Traminer Trauben gezogen wird, gehört gewiß unter die vorzüglichsten Weine Schwabens, und ich hoffe, wir sollen in einem der runden Gemächer der guten alten Burg mehr als einmal die Erfahrung hievon machen.«

Aber erst nach einem Jahr wurde die neue Besitzung bezogen. Es bedurfte großer Vorbereitungen dazu, und vieler Mühe und Arbeit, bis der große Hausrat, namentlich die reichen Sammlungen kostbarer Altertümer, die der Freiherr besaß, eingepackt waren, was er mit eigener Hand besorgte.

Endlich war alles fertig und der Tag des Aufbruchs erschienen.

Nicht ohne Wehmut nahm man Abschied von dem schön gelegenen, fast fürstlichen Sitze Eppishausen, wo die Familie glückliche Jahre verbracht. Dennoch ging es frohen Herzens der Zukunft und dem neuen Heim entgegen.

Mit Laßberg begann eine neue Zeit für Meersburg.

»Der Sepp von Eppishausen«, wie er sich gerne nannte, ist nun »der Sepp von der Meersburg« geworden. Der Ruf von seiner Gelehrsamkeit, hauptsächlich auf dem Gebiet des germanischen Altertums, war weitverbreitet; er hat sich von dem thurgauischen Schlosse hierher verpflanzt und ist mit ihm eingezogen. Ebenso folgte ihm der Ruhm seiner Gastfreundschaft auf die alte Felsenburg. Männer der Wissenschaft, Schriftsteller, Dichter: ein Ludwig Uhland, Jakob Grimm, Gustav Schwab u.a. suchten ihn, wie dort, so auch hier auf und schöpften aus seinem Wissensborn.

Wenn auch die Laßberg'schen Forschungen von den heutigen längst überholt und in den Schatten gestellt sind, so darf man nicht vergessen, daß sie die Grundlage bildeten, auf der Andere weitergebaut haben.

Josef von Laßberg, dieser Ritter ohne Furcht und Tadel, beherrschte und beeinflußte damals das Geistesleben am Bodensee.

Keine Persönlichkeit von Namen und Ansehen kam an das Schwäbische Meer, ohne daß er seine Blicke nach der Meersburg gerichtet und seine Schritte den steilen Burgpfad hinaufgelenkt hätte, um dem Freiherrn seine Aufwartung zu machen.

Und welche Gastfreundschaft wurde den Einkehrenden zuteil! Man muß die Briefe von Schwab und Uhland, die sich im Schillermuseum in Marbach befinden, lesen, um davon einen Begriff zu bekommen. »Was mir gehört, gehört auch meinen Freunden«, pflegte Laßberg zu sagen, und seine Gemahlin unterstützte ihn bei dieser Gastfreundschaft, ebenso später seine beiden Töchter.

Noch grüßt und winkt, wie ein Märchen in unsere Tage herein, aus den Fenstern der Meersburg die Erinnerung an die Zeit, wo der Freiherr mit seinen Gastfreunden in der Halle saß, der Becher mit dem roten Meersburger kreiste und die Mauern von alten Bardensängen und Minneliedern widerhallten.

Der Geist, der damals von der Meersburg ausging, wirkte veredelnd auf die nahe und weiteste Umgebung und er lebt auch heute noch. Die Liebe zur Poesie, zur Dichtung und Sang und Sage, ist noch nicht erstorben am Bodensee und treibt noch immer ihre duftenden Blüten. –

Praktischer und Schönheitssinn wirkten zusammen, um die alten Räume traulich und behaglich einzurichten, und die neuen Bewohner fühlten sich bald heimisch darin, um so mehr, da der Lenz rings um dasselbe herum anfing, seine Blütenpracht zu entfalten.

Das große Eckzimmer im südwestlichen Flügel, der den Dagobertsturm umschließt, diente als allgemeines Wohngemach für die Familie, in dem der Freiherr aber auch arbeitete.

Sein Schreibtisch stand an einem der Fenster mit herrlicher Aussicht auf den See und die Alpen.

Daran schloß sich das Schlafzimmer des Freiherrn und seiner Gemahlin. Auf der andern Seite, durch einen schmalen Gang von dem Wohngemach getrennt, lagen die Lern- und Schlafzimmer der Kinder und der Gouvernante.

Im Mittelbau der Burg befanden sich verschiedene Empfangszimmer. Der östliche Flügel war ganz zur Aufnahme von Gästen eingerichtet. Für die heutigen Begriffe waren die Räume einfach, für die damaligen elegant ausgestattet. Mit den großen Flügeltüren, den tiefen, mit weißen Mullvorhängen verkleideten Fensternischen, machten sie einen überaus behaglichen, vornehmen Eindruck. Die Wände waren mit alten Bildern, Waffen, Jagdtrophäen, die Schränke und Kommoden mit altertümlichen Krügen, Uhren und ähnlichen Gegenständen geschmückt. In den unteren Räumen der Burg, hauptsächlich in einer gotischen Halle, hatte Laßberg seine Schätze untergebracht. Diese bestanden in alten Drucken und Manuskripten, welche er in aufgehobenen Klöstern, zum Teil auch in Trödlerbuden gesammelt, er hatte, wie er in Briefen an seine literarischen Freunde erwähnt, ein besonderes Glück in der Auffindung solcher Kostbarkeiten. So entdeckte er auch in Wien das vollständige Manuskript des Nibelungenliedes und zwar in dem Augenblick, als der Besitzer es an einen Engländer verhandeln wollte. Laßberg erwarb es für sich, und man hat es ihm zu verdanken, daß die kostbare Handschrift nicht ins Ausland gewandert, sondern Deutschland erhalten geblieben ist. Sie bildete die Perle seiner Sammlungen und wurde in einem besondern Schrein aufbewahrt. Zu den Merkwürdigkeiten der Sammlung gehörten auch noch zwei Gegenstände, die Zeugnis ablegten von dem originellen Wesen des Freiherrn: sein Grabstein nämlich und das Holz zu seinem Sarge. Ersterer bestand in einer roten Marmortafel mit den Anfängen eines ausgehauenen Wappens. Der Freiherr hatte sie in einem alten Kloster aufgefunden. Mit dem Holze aber hatte es folgende Bewandtnis: In der Nähe von Eppishausen stand ein sehr schöner Baum, eine wilde Kastanie. Die Besitzer waren wegen des Platzes in Streit geraten und ließen den Baum deshalb fällen. Als Laßberg eines Tages hinkam und den alten Liebling gefällt am Boden liegen sah, ging es ihm sehr zu Herzen.

Er kaufte von dem Holze und bestimmte, daß dermaleinst sein Sarg daraus gemacht werde.

In einer andern Halle, wo die Sonnenstrahlen und frische Luft leichteren Zugang fanden, hatte Frau von Laßberg ihre Lieblinge, Palmen, Lorbeer-, Oleanderbäume und andere exotische Gewächse untergebracht. Sie war eine große Blumenfreundin; stundenlang verweilte sie bei ihren Pflanzen. »Jenny kratzt den ganzen Tag in der Erde«, schreibt Annette einmal in einem Briefe und ein andermal: »Jenny plagt sich mit ihren Kindern und Blumen.« Das Pflanzen und Säen war der Freifrau Bedürfnis. Sie hatte im Hof, in der Nähe des Brunnens, eine kleine Tanne gepflanzt, an deren Wachstum und Gedeihen sich jeder erfreute. Das sogenannte »Tännchen« ist nun längst zur großen Tanne geworden und über den Giebel des Schlosses hinausgewachsen. Die Vögel wohnen in ihren Zweigen und der Sturm singt seine wilden Lieder darin. Manchmal kracht es im Stamme, als wäre er im Mark erschüttert und wolle zusammenbrechen. Wenn aber der Mond mit seinem Silberlichte ihn umspinnt in schönen Vollmondnächten, dann hört man ein leises Raunen und Rauschen, als träume der Baum von den Zeiten, von denen diese Blätter hier erzählen. –

Der Freiherr, dessen Lust es war, seinen neuen Besitz zu verschönern und zu verbessern, ließ die sogenannte Bastei – kleine Gebäulichkeiten, welche den Hof nach Süden abschlossen – niederreißen; auf diese Weise entstand nun der einzig schöne Weg an den Zinnen. Welch herrlicher Ausblick bietet sich hier dem Auge!

An einem schönen Morgen stehen wir hier. Der See, die Seele der Landschaft, liegt uns zu Füßen. In seine saphirblaue Fläche hat die Sonne ihre Strahlen gewoben, die sich brechen in Millionen Prismen, so daß ein Gewoge entsteht von Farben und Lichtern, ein Blitzen und Leuchten, als wenn wir in ein Meer von Diamanten schauten.

Majestätisch zieht ein Dampfschiff daher, auf dem Maste flattert lustig die Fahne. Kleine Kähne, Schifferbarken wiegen sich auf dem bewegten Element.

Hier steigt das liebliche Eiland, die Mainau aus den Fluten, dort heben die Alpen ihre schneegekrönten Häupter aus den duftigen Morgenschleiern. Und ringsum die lachenden Ufer, übersät von Fischerhütten, Landhäusern, lieblichen Villen.

Dies also ist die Umwelt, in die Annette, von ihrem Edelsitze Rüschhaus im westfälischen Heideland kommend, eingetreten ist.

Frau von Laßberg hatte im Jahre 1841 mit den Kindern eine Reise zu den Ihrigen nach Westfalen unternommen. Während ihres Aufenthaltes dort richtete der Freiherr, der sich auf der alten Burg wohl einsam fühlen mochte, folgenden poetischen Gruß an die Abwesenden:

O Gundel und Hilde, Ihr lieben Kind'
Ich grüße Euch durch der Tauben Flug,
Ich grüße Euch durch den Abendwind
Ich grüße Euch wahrlich nie genug.

Und liegen auch hundert Meilen dazwischen,
Ein süßer Gruß kann alles verwischen,
Und wenn Ihr noch so ferne seid.
Der Liebe ist kein Weg zu weit.

Gott erhalte mir das junge Blut!
Hilde fein und Gundel gut!
Doch seid Ihr nicht gegrüßt alleine.
Die süße Mutter ich mit Euch meine.

Die süße Mutter, das treue Herz,
Hat mir geheilt so manchen Schmerz,
Mit mir geteilt so manche Freud,
Gott sei gedankt in Ewigkeit!

Annettens leidender Zustand flößte Frau von Laßberg Besorgnis ein, weshalb sie, als die Zeit der Rückkehr herannahte, die Mutter bat, doch zu erlauben, daß sie die Schwester mit nach dem Süden nehme. Frau von Droste gab ungern, aber doch endlich ihre Einwilligung zu der Reise. Auch die Ärzte hatten sich dafür ausgesprochen, da sie einen Aufenthalt in verändertem Klima für Annette als notwendig erachteten.

Nach langer, anstrengender Fahrt kamen die Reisenden in den letzten Septembertagen 1841 in Meersburg an.

Ahnungslos, was sie für die Burg werden sollte, und nicht ohne ein gewisses Bangen und Zagen, trat Annette in den romantischen Zauber des gewaltigen Felsenschlosses ein, das von den Fürstbischöfen die kirchliche und kirchengeschichtliche Bedeutung erhalten hatte und dem sie bestimmt war nun auch die dichterische Weihe zu geben. Ja, Annette sollte die von den Merowingern aufgeführten altersgrauen Mauern, mit den goldenen, unverwelklichen Lorbeerkränzen der Dichtkunst schmücken.

Im nordöstlichen Turme, in dem unten die Kapelle sich befindet, schlug die Dichterin im September 1841 ihr Tuskulum auf. Schon im Voraus beschreibt sie alles ihrem Freund Schlüter: »... an Zeit und Ruhe wird es mir nicht fehlen, da Jenny mir, auf meine Bitte, ein ganz abgelegenes Zimmer in ihrem alten, weiten Schloß, wo sich doch die wenigen Bewohner darin verlieren wie einzelne Fliegen, einräumen will, einen Raum so abgelegen, daß, wie Jenny einmal hat Fremde darin logieren und abends die Gäste hat hingeleiten wollen, sie alles in der wüstesten Unordnung und die Mägde weinend in der Küche getroffen hat, die vor Grauen daraus desertiert waren. Ist das nicht ein poetischer Aufenthalt?«

Übrigens gesteht Annette in ihrem ersten Brief an die Mutter, daß es ihr selbst »grauselich« war in diesem Zimmer, wo Alexander, ein Bruder Laßbergs, gestorben ist. Jedoch nur anfangs war dies der Fall; bald dachte sie nicht mehr daran und fühlte sich im Gegenteil sehr wohl und heimisch darin. Überhaupt gefiel es ihr sehr gut auf der Meersburg, sie scheint auch nicht unter Heimweh gelitten zu haben, wenigstens spricht sie in keinem Briefe aus dieser Zeit davon, dagegen sagt sie: »Laßbergs tun alles, mir den Aufenthalt so angenehm als nur möglich zu machen.«

Auch über ihre Gesundheit kann sie der Mutter schon am 26. Oktober beruhigende Nachricht geben: »Nun will ich Dir auch sagen, wie es mir geht: Sehr gut. Die Reise hat mich wohl tüchtig abstrapaziert, aber nach acht Tagen war ich wieder wie vorher, und seitdem fühle ich ganz merklich, wie wohl mir die Luft bekommt. Mein Magenübel hat schon sehr nachgelassen, die Schweratmigkeit auch; ich spaziere täglich eine Stunde am See hinunter, was mit dem Weg hinauf eine ordentliche Tour für mich ist, und doch wird es mir nicht viel schwerer als an manchen Tagen in Rüschhaus die Treppe zu steigen und ich hoffe wirklich, daß dieser Aufenthalt mir wieder für eine lange Zeit gut tun soll.«

Von einer strengen Mutter erzogen, hatte Annette gelernt, sich selbst zu bescheiden und ihre Sonderinteressen zurückzustellen. Auch fiel es ihr gar nicht ein, wegen ihrer Dichtergabe irgend welche Ausnahmen zu beanspruchen.

Täglich wurden Spaziergänge gemacht nach dem Frieden, der Krone, zum Figel, dem kleinen Männchen mit dem Zopfe in dem Wirtshäuschen auf der Höhe, das Annette in der »Schenke am See« besungen hat.

Da Frau von Laßberg vielfach von andern Pflichten in Anspruch genommen war, fiel die Aufgabe, die Gäste zu unterhalten, hauptsächlich der Dichterin zu, die eine ausgezeichnete Begabung dafür besaß. Sie hatte sich schon als junges Mädchen am Rhein, wo sie längere Zeit bei Verwandten weilte, durch ihre glänzende Unterhaltungsgabe alle Herzen gewonnen. Annette erzählte gern und gut; sie würzte die Gespräche mit feinem Witz und Humor, über den sie in reichem Maß verfügte, und der zuweilen bis an die Grenze von Sarkasmus ging, aber immer gutmütig war. Niemals hatte sie die Absicht zu verletzen.

Bild von den Weinbergen auf das »alte Schloß«.

Dazu kam ihr musikalisches Talent. Ihre Stimme war eher matt als kräftig, aber voll und biegsam, etwas Geheimnisvolles klang aus ihr wie fernes Gewitter, dessen verhaltene Kraft man fühlt. Jedermann hörte sie gerne singen.

Getrübt wurden diese Wochen durch besorgniserregende Nachrichten, die fast täglich vom Schlößchen Berg überm See drüben einliefen.

Daselbst wohnte Annettens innigstgeliebte Freundin Emma, geborene von Thurn, welche sie bei ihrem ersten Eppishauser Aufenthalt kennen gelernt und die sich nachher mit Baron von Gaugreben, einem entfernten Verwandten der Drosteschen Familie, verheiratet hatte. Die junge Frau war infolge einer Geburt, bei der sie einem Knaben das Leben gab, schwer erkrankt. Neun Tage lang lag sie in einem ohnmachtähnlichen Zustand. Der kleine Neugeborene aber starb in dieser Zeit ganz ohne Wissen der Mutter; dieser mußte man den Tod ihres Kindes natürlich, auch als sie wieder zu sich gekommen war, noch länger verheimlichen.

Dieser Begebenheit legt Annette folgendes Gedicht zu Grunde, in dem sich so recht ihre Frauennatur spiegelt, und das sie der betrübten Freundin gewidmet hat

»Im grün verhangnen duftigen Gemach,
Auf weißen Kissen liegt die junge Mutter;
Wie brennt die Stirn! sie hebt das Auge schwach
Zum Bauer, wo die Nachtigall das Futter
Den nackten Jungen reicht: »Mein armes Tier«,
So flüstert sie, »und bist du auch gefangen
Gleich mir, wenn draußen Lenz und Sonne prangen.
So hast du deine Kleinen doch bei dir«.

Den Vorhang hebt die graue Wärterin
Und legt den Finger mahnend auf die Lippen;
Die Kranke dreht das schwere Auge hin.
Gefällig will sie von dem Tranke nippen;
Er mundet schon, und ihre bleiche Hand
Faßt fester den Kristall, – o milde Labe! –
»Elisabeth, was macht mein kleiner Knabe?«
»Er schläft«, versetzt die Alte abgewandt.

Wie mag er zierlich liegen! – Kleines Ding! –
Und selig lächelnd sinkt sie in die Kissen;
Ob man den Schleier um die Wiege hing.
Den Schleier, der am Erntefest zerrissen?
Man sieht es kaum, sie flickte ihn so nett.
Daß alle Frauen höchlich es gepriesen,
Und eine Ranke ließ sie drüber sprießen.
»Was läutet man im Dom, Elisabeth?«

»Madame, wir haben heut' Mariatag.«
So hoch im Mond? sie kann sich nicht besinnen. –
Wie war es nur? – doch ihr Gehirn ist schwach.
Und leise suchend zieht sie aus den Linnen
Ein Häubchen, in dem Strahle kümmerlich
Läßt sie den Faden in die Nadel gleiten;
So ganz verborgen will sie es bereiten,
Und leise, leise zieht sie Stich um Stich.

Da öffnet knarrend sich die Kammertür,
Vorsicht'ge Schritte über'n Teppich schleichen.
»Ich schlafe nicht, Rainer, komm her, komm hier!
Wann wird man endlich mir den Knaben reichen?«
Der Gatte blickt verstohlen himmelwärts,
Küßt wie ein Hauch die kleinen heißen Hände:
»Geduld, Geduld, mein Liebchen, bis zum Ende!
Du bist noch gar zu leidend, gutes Herz.«

»Du duftest Weihrauch, Mann« – »Ich war im Dom;
Schlaf, Kind!« und wieder gleitet er von dannen.
Sie aber näht, und liebliches Phantom
Spielt um ihr Aug' von Auen, Blumen, Tannen. –
Ach, wenn du wieder siehst die grüne Au,
Siehst über einem kleinem Hügel schwanken
Den Tannenzweig und Blumen drüben ranken,
Dann tröste Gott dich, arme junge Frau!

Wiewohl selbst Jungfrau, kannte Annette das mütterliche Gefühl bis in seine feinsten Fäden und Ausläufer; ja es wohnte ihr selbst, wie allen edlen, wahrhaft großen Frauen, eine starke Mütterlichkeit inne, die sie oft und immer wieder zur Tat werden ließ, wenn ein teures Angehöriges erkrankte. Wie rührend pflegte sie ihre alte Amme! Wie gern zeigte sie sich sonst hilfsbereit, wo immer es nötig war. Ganz abgesehen von dem Verhältnis zu Levin Schücking, das in der Hauptsache auf mütterlicher Freundschaft beruhte.

Alles, was ihres Blutes Zweig war, erfreute sich ihrer großen Liebe, besonders aber die Kinder der Schwester, das liebliche Zwillingspaar Hildel und Gundel. Sie erzählte ihnen Geschichten, scherzte mit ihnen und nahm sie in ihre Obhut, wenn Frau von Laßberg einmal abwesend war. »Gestern konnte ich nicht schreiben«, – berichtet sie einmal der Mutter, »weil ich nach den Kindern sehen mußte, da Laßberg und Jenny nach Heiligenberg gefahren sind.« Das erste war jeden Morgen, wenn Annette sich angekleidet und gefrühstückt hatte, daß sie von ihrem Zimmer hinüber ging, Jenny und die Nichten zu begrüßen.

Laßberg hatte sich schon seit längerer Zeit nach jemanden umgesehen, der ihm behilflich sein könnte, seine Bibliothek zu katalogisieren und zu ordnen. Aufmerksam gemacht durch Annette auf Levin Schücking, wandte er sich an diesen und schrieb ihm nach Frankfurt, wo er gerade bei seinem Freunde, Ferdinand Freiligrath, sich befand.

Torgewölbe mit Eingang zur Schloßkapelle

Schücking, der weder ein Amt noch Stellung hatte, brach, hocherfreut über den Ruf des Freiherrn, sogleich auf nach der Meersburg.

Er schildert uns sein Eintreffen daselbst in seinen Lebenserinnerungen: »Es war dunkel geworden, als ich, von dem reizenden alten Reichsstädtchen Überlingen kommend, vor dem Posthaus im oberen Meersburg abgesetzt wurde; in nächtlichem Dunkel schon schritt ich über die Holzbrücke, welche über den tiefen, in die Felsen gehauenen Burggraben des alten Schlosses an das Burgtor führt, unten in der Tiefe rauschte eine Mühle, glänzten die Lichter des am Seeufer liegenden unteren Städtchens, und drüber weithin leuchtete im Sternenlicht wie matter Stahl die Fläche des Bodensees. Ein alter Burgwart öffnete das Eingangspförtchen; sein Laternenlicht fiel in dem langen, niedrigen Torgewölbe, das ich betrat, auf eine Tafel mit einem großen Beil über einer ausgestreckten Hand und der Unterschrift: »Burgfrieden«, und dann in die tückischen Augen eines schwarzen Hatzrüden, der mich höchst mißtrauisch anschnupperte. In den Hof herab, der sich gegen den See hin öffnete, fiel der Lichtschein der erhellten Wohngemächer im ersten Stock des Burggebäudes; im Innern führte eine Holztreppe zu ihnen empor, und ich stand bald vor dem alten Freiherrn, dem letzten zum Ritter geschlagenen Mann im römischen Reiche und berühmt als »Meister Sepp von Eppishusen« bei allen schwäbischen Geschichtsfreunden und bei allen Germanisten in deutschen Landen. Eine hohe, trotz seiner Jahre sich straff aufrecht haltende Gestalt mit einem schönen, ausdrucksvollen Kopf, mit edlen, aber mehr strengen und verschlossenen als offenen Zügen, mit weißem Haar unter einem roten Käppchen und in einem grünen Schnürrock erhob er sich von einer Trick-Track-Tafel, an der er mit einem BekanntenHerr Hufschmied, letzter Sekretär der Fürstbischöfe, spielte jeden Abend mit Herrn v. Laßberg bei einem Glas Wein. aus dem Städtchen spielte, und bewillkommte mich freundlich, mit der aristokratischen Hand seinen dünnen weißen Knebelbart zupfend. Wie ganz zu seiner Burgfrau geschaffen, stand seine Gemahlin neben dem alten siebzigjährigen Ritter – ebenfalls eine hohe, schlanke Gestalt mit schwanenhaft vorgebeugtem Hals und seinen edlen Zügen, nicht im mindesten der Schwester Annette ähnlich. Niemand in der Welt hätte sie für desselben Blutes Kinder gehalten. Die Letztere kam schwer atmend, wie immer, wenn es für sie Treppen zu steigen galt, von ihren Gemächern herüber; dann tauchten noch zwei kleine Mädel von fünf oder sechs Jahren auf, des alten Herrn Zwillingstöchterchen, und darauf beschränkte sich der Kreis der Insassen der alten weiten Schloßburg.«

Zeit, Umstände, Sichtbares und noch mehr Unsichtbares, vor allem aber die Herzensverbinderin Poesie, haben um Annette und Levin ein Band geschlungen, das nicht mit einem einzigen Worte bezeichnet werden kann, und das dem Biographen immer Schwierigkeiten machen wird. Ein Band so herzlich warm, so innig, daß man, nach der Sprache in den Briefen zu urteilen, beinahe versucht ist, ein Liebespaar dahinter zu vermuten, und doch ist alles Erotische ausgeschaltet. Annette selbst hat mit nüchterner Klarheit und Ruhe, die Gefahren einer solchen Freundschaft wohl erkennend, ihr die Grenzen gezogen – »weit genug zwar«, sagt G. Reuter, »aber scharfe Grenzen, die sie selbst stets in Ehren gehalten, und die von ihrem jungen Freunde ebenso respektiert worden sind.« –»... aber wenn Sie deshalb glauben, oder jemals sich einbilden, ich wäre verliebt in Sie, ich wäre eine Törin und würfe mich Ihnen an den Hals, so sind Sie nicht nur ein eitler Geck, sondern Sie sind etwas Schlimmeres: ein verdorbener Mensch, der von einem reinen und edlen Verhältnis keinen Begriff hat.« Diese eigenen Worte der Dichterin entheben uns jedes Zweifels über die Lauterkeit dieses Verhältnisses, in welchem, wie schon bemerkt, die Mütterlichkeit die Hauptrolle spielte; aus dieser ist es auch herausgewachsen und hat sich allmählich erst zu inniger Freundschaft entwickelt. Wie ein kostbares Kleinod hütete sie diese; schon bei Lebzeiten ist sie darauf bedacht einen Schleier darüber zu werfen, und es würde ein vergeßliches Bemühen sein, ihn ganz lüften zu wollen. Zur besseren Würdigung und zum Verständnis dieses Verhältnisses aber wird es dienen, wenn wir zu seinen Anfängen zurückgehen.


 << zurück weiter >>