Thekla Schneider
Schloß Meersburg am Bodensee
Thekla Schneider

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Im Schatten des Hügels

Droste-Hülshoff-Denkmal auf dem Schloßplatz.

Ein Weinen ging durch den deutschen Dichterwald, als Annettens Auge im Tode sich schloß. Der Schmerz fand seinen Ausdruck in Gedichten von Betty Paoli, Luise von Ploenies, Schlüter, Emil Rittershaus. In tiefer Trauer legten sie die Blüten ihrer Poesie am Sarge der Dichterin nieder. Andere sind ihnen gefolgt bis auf unsere Tage und haben weitergewunden an dem Kranze, der sich unverwelklich um den stillen Hügel schlingt auf dem »Frieden« zu Meersburg.

Levin Schücking weilte zur Zeit als Annette starb mit seiner ganzen Familie in Rom. Du Mont hatte ihn dorthin geschickt als Berichterstatter für die Kölnische Zeitung. Er verkehrte in einem sehr schönen Kreise von Gelehrten, Schriftstellern, Künstlern und zählte zu den begeistertsten Anhängern Pius IX.

In der ewigen Stadt also erreichte Levin die Nachricht von dem plötzlichen Hinscheiden der Freundin. Leider brechen seine »Lebenserinnerungen« gerade da ab, wo wir hoffen könnten, etwas darüber zu erfahren.

Sicher ist, daß ihn der Tod Annettens in tiefe Betrübnis versetzte, wenn auch nichts davon in die Oeffentlichkeit gedrungen ist. Soll er doch keine Ahnung gehabt haben, wie Annette sich verletzt und gekränkt von ihm fühlte.

Sei dem nun wie es wolle, wir sind nicht so blindlings eingenommen von der Dichterin, um ihr nicht den größeren Anteil an der Erkaltung zuzuschreiben; denn auch große Menschen – und zwar gerade solche, wie die Erfahrung lehrt – können fehlen und sind Irrtümern unterworfen.

Daß Levin Schücking der Droste zeitlebens seine Verehrung und Liebe bewahrte, steht außer Zweifel. Die Zeiten von Rüschhaus und Meersburg waren ihm in schönster Erinnerung und wenn er an sie zurückdachte, fielen ihm, wie er selbst in seinem »Lebensbild Annette von Droste« schreibt, die Worte Goethes im Tasso ein:

»– – – wo sind die Stunden hin,
Die um mein Haupt mit Blumenkränzen spielten,
Die Tage, da der Geist mit froher Sehnsucht
Des Himmels ausgespanntes Blau durchdrang?«

Auch lesen wir in dem »Lebensbilde«, welche Anerkennung er für ihre Dichtergabe hat. »Bei Annette«, so schreibt er einmal, »ist Alles kernhaft, bestimmt, markig und kurz geschürzt. Die Form schlägt nirgends weitbauschige Falten, unter denen der Inhalt verschwindet. Es ist immer der kürzeste, markanteste, knappste Ausdruck gewählt.«

Und weiter: »In den Manuskripten der Dichterin sieht man, wie sorgfältig sie jeden Vers, jedes Beiwort gestrichen hat, welches ihr überflüssig zu sein schien, wie sie unbarmherzig ganze Seiten opferte. Und wie der Ausdruck dadurch einen völlig männlichen Charakter der Energie und Kraft erhält, so hat dies auch der Gedanke bei ihr, die Anschauung und das Urteil.«

An einer andern Stelle heißt es: »Sie ist so himmelweit verschieden von den meisten der andern, mit künstlerischem Talent begabten Frauen ... trotz aller männlichen Kraft bleibt sie streng, innerhalb der Schranken der Weiblichkeit und des Frauenberufes, die Sitte zu hüten.« Hier weist er dann hin auf das Gedicht: »An die Schriftstellerinnen Deutschlands.«

»Ein großartiges, ein reiches Talent« nennt Levin Schücking Annette von Droste.

Ueber ihre geistlichen Gedichte äußert er sich: »Es ist in vielen derselben eine erhabene Kraft und eine hinreißende Glut, welche die Dichterin wie eine Sybille erscheinen läßt, die vor uns tritt, als ob sie eben aus den Hallen niederstiege, in welchen die Psalmenharfe des königlichen Büßers, die Hymnen des Ambrosius und Gregors des Großen wiederklingen.«

So hat Schücking an seinem Lebensabend Annette noch den Lorbeer um die Stirne gewunden. Sein Urteil über ihre Dichtungen ist ein so sehr mit der Persönlichkeit der Dichterin verwobenes, wie wir sonst keines besitzen. Es wird deshalb immer seine besondere Bedeutung haben.

Er hat sie auch dadurch geehrt, daß er die seit dem Erscheinen der Hauptsammlung im Jahre 1844 neu entstandenen Gedichte unter dem Titel »Letzte Gaben« herausgab.

Nach dem Tode seiner Frau, welche schon 1853 starb, lebte Schücking einsam als Witwer ganz der Erziehung seiner Kinder. Später zog er sich nach Münster in Westfalen zurück, immer mit literarischen Arbeiten beschäftigt, bis der Tod ihm die Feder aus der Hand nahm.

Noch am 20. August schrieb er an seinen »Lebenserinnerungen.« Am Morgen des 31. August 1883 verschied Levin Schücking sanft in den Armen seiner Kinder in Pyrmont, wo sein jüngster Sohn sich als Arzt niedergelassen hatte.

Seine Zeitgenossen rühmen an ihm die ruhige Klarheit und Harmonie seines Wesens, die ungesucht vornehme Art sich zu geben, verbunden mit seltener Bescheidenheit trotz seines großen, umfangreichen Wissens, das er niemals zur Schau trug.

An seinem Grabe trauerten viele Freunde und doch nur Eine hat ihn unsterblich gemacht durch ihre Liebe und Freundschaft: Annette von Droste-Hülshoff.

Annette hat sich bei Lebzeiten viel mit Ewigkeitsgedanken beschäftigt. In durchaus selbstloser, bescheidener Weise dachte sie nun auch darüber nach, wie man ihr Gedächtnis einmal hier ehren wird:

»Wer wird denn meiner gedenken
Wenn ich nun gestorben bin?
Wohl wird man Tränen mir weihen
Doch diese sind bald dahin!
Wohl wird man Lieder mir singen,
Doch diese verweht die Zeit!
Vielleicht einen Stein mir setzen
Den bald der Winter verschneit.
Und wenn die Flocke zerronnen
Und kehrt der Nachtigall Schlag
Dann blieb nur die heilige Messe
An meinem Gedächtnistag ...«

Gar schön ist in demselben Gedicht am Schlusse angedeutet, daß der Schmerz und die Trauer der Mutter, allen Schmerz und alle Trauer von Freunden und Verwandten, ja selbst der eigenen Geschwister, bei ihrem Tode übertreffen wird:

»Ich habe, ich hab' eine Mutter,
Der kehr' ich im Traume bei Nacht,
Die kann das Auge nicht schließen
Bis mein sie betend gedacht;
Die sieht mich in jedem Grabe,
Die hört mich im Rauschen des Hains –
O, vergessen kann eine Mutter
Von ihren Kindern nicht ein's!«

Frau von Droste hat eine Seelenmesse für ihre Tochter gestiftet, die auch jetzt noch alljährlich an ihrem Todestag gelesen wird, und welcher die frommen Bewohner von Meersburg beiwohnen.

Unter den Freunden Annettens hat keiner sie treuer und tiefer betrauert als Christoph Bernhard Schlüter.

Im Parke von Rüschhaus stand ein Gewürzbäumchen, von dem Annette die ersten Blüten im Frühling stets Professor Schlüter sandte, damit der Blinde sich an ihrem Duft erquicke. Schlüter freute sich immer auf diesen aromatischen Gruß.

Nach Annettens Tod ließ Frau von Droste das Bäumchen herausnehmen und schickte es dem Professor, der es in den Garten unter seinem Fenster setzen ließ, damit es das Andenken an die Heimgegangene frisch in seinem Herzen erhalte.

Jetzt grünt und blüht das Bäumchen auf Schlüters Grab, wohin es nach seinem Tode gepflanzt wurde.

Es war ein großer Schmerz für Frau von Laßberg, als sie, zum erstenmal nach der Beerdigung, das Turmzimmer wieder betrat und all die Gegenstände sah, welche die so jäh aus dem Leben Geschiedene noch kurz vorher benützt hatte.

Hier stand das Bett. Frau von Laßberg setzte sich an dasselbe, legte die rechte Hand auf das Kissen, mit der linken bedeckte sie die Augen, aus denen heiße Tränen hervorbrachen und durch die Finger rannen.

Dann erhob sie sich, trat an den Tisch, fuhr liebkosend mit der Hand über den Federkiel, mit dem Annette zuletzt geschrieben. Und hier auf der Schale liegt die Haarlocke, die sie ihr in der letzten Stunde, bevor der Sarg geschlossen wurde, noch abgeschnitten hatte.

Frau von Laßberg nimmt die Locke, drückt einen Kuß darauf und verwahrt sie in einem Elfenbeinkästchen.

Nun zieht sie eine Schublade heraus; sie ist angefüllt mit Briefen. Die Unterschriften sind lauter bekannte Namen. Ein wenig wird darin gelesen; dann geht es zu einer anderen Schublade. Hier liegen allerlei Kostbarkeiten: Annettens diamantenbesetzte, goldene Taschenuhr, ein altes, kleines, goldenes Kreuzchen – eine Reliquie ist darin verborgen, – der Lieblingsring Annettens mit dem Rubin und anderer Schmuck.

Frau von Laßberg schließt die Lade und geht zu der nächsten. Hier endlich findet sie, was sie gesucht: »Das Geistliche Jahr.«

Drei Bogen sind es – 47 Gedichte stehen darauf – eng, klein geschrieben und mit Verbesserungen übersät.

Frau von Laßberg nimmt die Bogen, drückt sie, mit einem Blick zum Himmel, an ihr Herz ...

Das Leben auf der Meersburg ging weiter, es kam wieder in sein altes Geleise; aber der Schmerz um die Verstorbene begleitete die Insassen auf Schritt und Tritt. Er ging mit ihnen in die Geschäfte und Gewohnheiten hinein und machte sich besonders fühlbar in den Abendstunden, die Frau von Laßberg und die Kinder gewohnt waren, bei Tante Nette zu verbringen. Ihr Andenken wurde heilig, die Erinnerungen frisch erhalten und gepflegt wie die Blumen auf ihrem Grabe.

Frau von Laßberg ordnete den Nachlaß mit aller Liebe und Sorgfalt. Sie schrieb die noch ungedruckten Gedichte ab, wobei sie oft mit der Lupe die kleinen Schriftzüge entziffern mußte. »Das geistliche Jahr« schickte sie nach Münster an Professor Schlüter, welcher es im Verein mit seinem Schwager Junkmann und Professor Eschmann im Jahre 1851 herausgab.

Im großen und ganzen ist der Tod der Dichterin wenig beachtet worden. Die Stürme der Revolution übertönten die Stimmen der Presse, welche sich für sie erhoben und ihr einen Nachruf widmeten.

Auch waren die Drosteschen Poesien doch noch zu wenig in die breite Masse eingedrungen, obgleich die hervorragendsten Kritiker, wie Menzel, Kühne, Kynast u. a. der Dichterin den Lorbeer zuerkannten in glänzenden Rezensionen, in denen sie die Originalität der Gedanken, die männliche Kraft der Sprache und dabei doch die zarte, innige Weiblichkeit, welche in diesen Gedichten zum Ausdruck kommt, rühmen.

Annette war bis zuletzt von zahlreichen Blättern um Beiträge angegangen worden und sie entsprach womöglich diesen Aufforderungen in liebenswürdigster Weise. Nur einmal beantwortete sie einen Brief gar nicht, nämlich dem Unternehmer eines neuen Blattes, der ihr schrieb, sie dürfe ihre Honoraransprüche stellen so hoch sie wolle, und sie möchte nur erlauben, daß man sie vorläufig als Mitarbeiterin bezeichnen dürfe.

Solche Dinge waren Annette in der Seele zuwider. »Ich mag mich nicht als Zugpflaster benutzen lassen«, schreibt sie ihrer Freundin Rüdiger, gesteht aber daneben offen, daß vor 20 Jahren ihr dieser Brief noch den Kopf verdreht hätte.

Große Freude bereitete der Dichterin ein Schreiben des Fürstbischofs Melchior von Diepenbrock, welcher sie um ein Autograph für einen Freund bat. Dieser Wunsch wurde von Annette erfüllt durch Zusendung des Gedichtes: »Das Wort«, das kurz vor Diepenbrocks Ernennung zum Fürstbischof niedergeschrieben war und das in seinen Anfangsstrophen lautet:

»Das Wort gleicht dem beschwingten Pfeil,
Und ist es einmal deinem Bogen
Im Tändeln oder Ernst entflogen,
Erschrecken muß dich seine Eil.

Dem Körnlein gleicht es, deiner Hand
Entschlüpft; wer mag es wieder finden?
Und dennoch wuchert's in den Gründen
Und treibt die Wurzeln durch das Land; ...«

Dazu schreibt sie an Diepenbrock:

»Euer Fürstbischöfliche Gnaden darf ich wohl nicht erst des freudigen Eindrucks versichern, den eine von so hochgeschätzter Hand mir zugedachte, noch obendrein von einer so angenehmen Gabe)Der Fürstbischof hatte seine Bitte mit der Zusendung der eben erschienen Übersetzung: »Flämisches Stilleben« in drei kleinen Erzählungen von Heinrich Conscience und einer neuen Auflage des »Geistlichen Blumenstraußes« begleitet. begleitete Zuschrift mir notwendig machen mußte. Wenn die Antwort nicht so schnell erfolgte als schicklich und mir selbst erwünscht gewesen wäre, so hoffe ich in Ew. Fürstb. Gnaden Augen Verzeihung zu finden, wenn ich Ihnen sage, daß ich an einem mehrtägigen Gesichtsschmerz gelitten, der mich arg geplagt und so lange er dauerte, des Schreibens völlig unfähig machte. Ich leide oft an diesem Übel und es ist mir schon oft hinderlich gewesen, aber nie zu ungelegenerer Zeit als dieses mal, da es mich an einer so angenehmen Pflicht hinderte.

Ew. Bischöfl. Gnaden Zuschrift war mir um so wertvoller, als sie mir die erste mir genügende Zusicherung gibt, daß bis jetzt weder Mangel an Einsicht noch übel angebrachte Phantasie mich vom rechten Pfad abgeführt haben. Sie werden selbst fühlen, was mir diese Gewißheit wert ist in einer Zeit, wo die Aufgabe selbst des harmlosesten Schriftstellers so sehr an Verantwortlichkeit zugenommen hat, und vollends ein Frauenzimmer, die sich weder großer Kenntnisse noch reicher Erfahrungen rühmen darf, leicht unklar wird und dadurch dem Mißverstehen Raum gibt, so daß sie jedes Wort zehnmal wägen sollte, ehe sie es niederschreibt ... Man muß leider auf Hundert rechnen, die bloß das Gift aus jeder Pflanze saugen, gegen Einen, der die Nahrung darin sucht ... Hat der Himmel mich bisher vor Fehlgriffen bewahrt, so sehe ich doch ein, wie ohne Gottes besonderen Segen der bloße gute Wille in seiner ganzen Schwäche dasteht ... Sie beten gewiß für ihre Landsleute, beten Sie auch für mich, mein hochgeehrter Landsmann! Unser gemeinschaftliches Vaterland ist bisher noch gottlob ziemlich frei vom Typhus der Demoralisation, – was dort wächst, ist wenigstens nicht in der Wurzel angesteckt, so müssen wir alle zusammenhalten, hoch und gering, und wer nur eines Scherfleins Herr ist, soll es hergeben zum Bau des Dammes gegen Sittenlosigkeit und Unnatur, der die Irreligiosität so sicher folgt, wie der Sünde der Tod.

Verzeihen Sie, wenn ich etwas kühner geworden bin, als es Ihnen gegenüber ziemt, es ist mir unwillkürlich aus der Feder geflossen und so mag es stehen bleiben. Vielleicht hat mich auch eine Voraussetzung verleitet, die, wie ich jetzt fast fürchten muß, irrig ist, da Ew. Fürstb. Gnaden in Ihrer verehrten Zuschrift ihrer nicht erwähnten. Ich habe nämlich bisher immer des Gedankens mich erfreut, Ew. Fürstb. Gnaden zwar nur oberflächlich, aber doch persönlich zu kennen. Man hat mir gesagt, der junge ernste Theologe von Diepenbrock aus Bocholt, den der verstorbene Professor Katerkamp vor einer schönen Reihe von Jahren uns einmal an einem Nachmittag nach Hülshoff zuführte, sei derselbe, auf den jetzt so viele mit Verehrung und Zuversicht sehn. Habe ich mich geirrt, so diene dies wenigstens meiner Kühnheit zur Entschuldigung; man läßt schwer von einem Glauben, durch den man sich geehrt und erfreut fühlt. Sollte Ew. Fürstb. Gnaden noch andere Autographen wünschen, die ich mir vielleicht durch meine Bekannten, z. B. die Stolbergsche Familie verschaffen könnte, so bitte ich diesen Herrn um seine Wünsche und mir die Gelegenheit zu geben, zu zeigen, mit welcher Freude und Bereitwilligkeit ich verharre

Euer Fürstb. Gnaden untertänigste Dienerin
Annette v. Droste.«

Derselbe Kirchenfürst schrieb nach dem Tode Annettens an Herrn von Laßberg: »Sie ist also nun für immer verstummt, die edle Sängerin! Die rauhen Lüfte, welche dermalen die Welt durchwehen, haben sie verscheucht in ihre warme, wahre Heimat. Ihr Andenken wird in Deutschland nicht erlöschen, wenn nicht, was Gott verhüte, eine einbrechende Barbarei alles Schöne und Gute in Nacht begräbt.«

Frau von DrosteDie Mutter der Dichterin – geb. v. Haxthausen – ein altes, im Paderbornischen angesessenes Geschlecht. aber, welche von dem Tode der geliebten Tochter so jäh in Rüschhaus überrascht worden war, trieb die Sehnsucht nach Meersburg.

Wenige Wochen nach dem schmerzlichen Ereignis trat sie, trotz ihrer 76 Jahre, begleitet von ihrem Bruder Werner, die weite beschwerliche Reise an.

Ihren Geschwistern in BöckendorfAltes Stammschloß der Freiherrn v. Haxthausen. berichtet sie von derselben und der Ankunft in Meersburg in folgendem noch erhaltenen und in der Schreibweise der damaligen Zeit eigenartigen Brief:

Meersburg, den 17. Juli 1848.

»Durch die gute Linchen,

an die Werner schon zweimal schrieb, hast Du Liebste Herzens-Sophie, gewiß schon Nachricht von uns, ich trug zwar auch unserer Hildegard auf, Dir zu schreiben und sie setzte sich gleich hin, es zu tun, aber es gab dieser Tage soviel Störungen (denn Gaugrebens und die Fürstin waren hier, letztere sogar schon zweimal), daß ihr Brief nicht vollendet wurde, ich lege ihn aber doch bei und bitte Dich, wenn Du mir antwortest, ihr auch ein kleines Briefchen zu schreiben, denn sie erzählte uns mit großer Freude, daß sie ein Briefchen von Tante Dine hätte; unsere Reise ging ganz glücklich vonstatten und ich war verhältnismäßig nicht sehr angegriffen, nur den Abend, wie wir im Höllental (wo wir die Nacht blieben) ankamen, war ich unbeschreiblich schwindlig, es legte sich aber, sobald ich im Bett war und ich schlief ruhig und gut, wir machten den Weg über Schaffhausen, und zwar mit einem Lohnkutscher, den wir in Freiburg nahmen. Die beiden letzten Tage hatten wir sehr starkes Gewitter, ich empfahl meine Seele Gott, denn da der Regen in Strömen herunterschoß, so konnten wir es dem armen Kutscher nicht verdenken, daß er die armen Pferde immer stärker antrieb, und so kamen wir im sausenden Galopp zu Schaffhausen an. Dort blieben wir wieder eine Nacht und fuhren dann den folgenden Morgen mit dem Dampfschiff nach Konstanz und am Vormittag von da hier hin, wo uns unterwegs auf dem See wieder ein Gewitter und ein so furchtbarer Sturm packte, daß wir lange ungewiß waren, ob wir würden landen können, es glückte uns aber doch, nachdem wir noch ein kleines Schiff gerettet, und die Mannschaft mit aufgenommen hatten und so kamen wir denn Freitag den 14. unter einem Platzregen hier an, es war aber so arg, daß wir vom See bis hier im Schloß zweimal in der Unterstadt einkehren mußten, ich glaube der liebe Gott hat es uns zu Liebe so eingerichtet, denn Du siehst es wohl ein, liebstes Herz, wie uns diese Aufregung, dieser Tumult beschäftigen mußte und wie sehr es uns den Schmerz des ersten Wiedersehens erleichterte. Wir fanden Jenny wohl und gefaßt, aber ich finde sie doch sehr übel aussehend, unser Hiersein freut sie (wie Du leicht denken kannst) unendlich und es ist uns betrübt, daß Werner übermorgen schon wieder weg muß; ich tröste sie mit AugustOheim von Annette seinem Besuch, der doch hoffentlich sicherlich kommt und sich mit Laßberg prächtig verstehen wird.

Es ist hier doch unruhiger gewesen als wir glaubten.Durch die Revolution Laßbergs haben zwar gar keine Unannehmlichkeiten gehabt, aber doch auch schon all ihre besseren Sachen gepackt gehabt, und ich fürchte, die Angst und die Aufregung haben doch auch recht schädlich auf die arme Nette gewirkt. Gott mag es wissen. Du glaubst aber nicht, liebes Söphchen, wieviel Teilnahme mir überall entgegengekommen ist und überall entgegen kömmt. In Köln trafen wir Pauline und Betty, die mit uns bis Bonn hinauffuhren, dort stand die Mertens und Adele Schopenhauer, die uns bis Königswinter begleiteten, beide waren sehr traurig,Wegen des Todes Annettens besonders die Mertens, die ich überhaupt ganz verändert gefunden habe; sie ist jetzt eine alte kümmerliche Frau, die vielen Verdrießlichkeiten mit ihren Kindern, müssen sie so heruntergebracht haben, man konnte sie ohne Mitleid nicht ansehen. – –

Meine liebste Sophie, ich sage Dir und allen lieben Geschwistern zu tausendenmal Lebewohl, indem ich Dich bitte, diesen Brief allen zuzuschicken, da ich nicht weiß, ob mir morgen noch so viel Zeit bleibt zu schreiben; wir bekommen das ganze Haus voll Einquartierung, es sind Bayern, die in Stockach gelegen haben.

Behaltet mich alle lieb, herzensliebe Brüder und Schwestern, der liebe Gott nehme Euch alle in seinen Schutz. Mit Dir, liebste Dine, erfreue ich mich über die Nachrichten vom lieben Malchen, Gott schütze sie ferner und nun nochmals adieu; mit aller Liebe

Eure treue Schwester
Therese.

... Jenny läßt Dich bitten, Dich bei Malchen Hassenpflug zu erkundigen, ob sie nicht vielleicht einige der geistlichen Lieder der lieben seligen Nette hätte, sie sollen alle gesammelt werden, und das, was wir finden, ist so undeutlich geschrieben, sollte die Masse etwas haben, so schicke Du, liebes Herz, es doch nach Hülshoff, auch die, die die liebe Mutter von ihr hatte, ihr sollt alles wieder haben, von hier tausend Grüße... Die Einquartierung ist da, 3 Offiziere und ihre Bedienten, ich glaube, sie bleiben nur zwei Tage; ich und die Kinder begleiten Werner morgen bis Konstanz. Jenny kann der Einquartierung wegen nicht mit, es tut mir recht leid, Zerstreuung wäre ihr wohl nötig.« –


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