Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Als Herr von Hiergeist am Nachmittag bei der Fürstin eintrat, fiel ihm an einem Haken im Vorzimmer der schwarze, rot gesäumte Mantel eines päpstlichen Kammerherrn auf. Schon fürchtete er, zu unrechter Zeit zu kommen, da wurde die Tür des Empfangszimmers von innen geöffnet, und Herr von Hiergeist hörte, wie sich eine weibliche Stimme von der Fürstin verabschiedete. Man lachte sich über irgend etwas halb tot und konnte mit Schwatzen gar nicht zu Ende kommen. So wurde Herr von Hiergeist zum unfreiwilligen Lauscher und hörte wie die abschiednehmende Dame triumphierend schilderte, daß es ihr gelungen sei, in ihrem Berliner Heim alles zu russifizieren: russische Küche, das war das erste, russische Bedienung, ja zum Teil in der lustigen bunten Nationaltracht. Jetzt fühle sie sich erst wieder zu Haus. »Und wissen Sie«, schloß die Sprecherin, »die Deutschen haben gar nichts dagegen. Sie fühlen ganz gut, daß das besser ist, als ihre enge kleine Art zu leben.« »Ich finde sie überhaupt zivilisierbar«, fügte eine andere weibliche Stimme mit ausgesprochen amerikanischem Tonfall hinzu. »Als wir heirateten, stellte ich meinem Mann die Bedingung, daß der Haushalt in unserer Art geführt und stets englisch gesprochen werden müsse. Er hat sein Versprechen immer ehrlich gehalten, und so kann ich mich nicht beklagen.«

Als die drei Damen heraustraten, begrüßten sie lebhaft Herrn von Hiergeist, der in der Russin die Prinzessin L., die Gattin eines deutschen Botschafters erkannte, in der Amerikanerin die Milliardärstochter Jane F., die mit einem preußischen General verheiratet war.

»O, Herr von Hiergeist,« rief die Botschafterin, eine kleine üppige Frau gegen Vierzig, mit gutmütigem grübchenreichem Gesicht, »eben sprachen wir von Ihnen.«

»Hoffentlich nicht zu boshaft?« erwiderte Herr von Hiergeist.

»O nein, Exzellenz«, versicherte die Russin, indem sie ihm ihr von Ringen blitzendes Patschhändchen reichte, »wir stellten fest, daß Sie der einzige Mann von Geist hier sind.«

»Sie sehen wirklich nicht im geringsten wie ein Deutscher aus«, fügte die welke Amerikanerin in ahnungsloser Unverschämtheit hinzu. »Warum wollen Sie mich kränken, chère Madame?« sagte Herr von Hiergeist in gespielter Demut. »Kränken, Exzellenz? Ich wollte Ihnen schmeicheln, es ist ganz mein Ernst.«

Damit rauschten die beiden Besucherinnen hinaus.

Die Fürstin führte Herrn von Hiergeist in ihr Empfangszimmer. Dort saß in einem Sessel der päpstliche Kammerherr, ein dünner blasser Mensch mit etwas scharfem Gesicht, und lächelte über einem Blatt Papier mit Zeichnungen. »Ist es erlaubt mit Ihnen zu lächeln, Monseigneur?« fragte die Fürstin. Der Geistliche gab ihr das Papier, eine Seite aus einem Witzblatt, »Der Deutsche auf Reisen« überschrieben, das einen vollbärtigen Mann in Jägerhemd in allerlei kläglichen Lagen zeigte.

»O, das müssen wir vor Herrn von Hiergeist verbergen,« sagte die Fürstin, »der ist ein furchtbarer Chauvinist.« »Ich ein Chauvinist?« lächelte der Gesandte, »aber bemühen Sie sich nicht, ich habe das Blatt schon erkannt. Ich lächle mit Ihnen, nur finde ich es ärgerlich, daß darüber steht ›Der Deutsche auf Reisen‹, statt etwa ›Herr Meyer auf Reisen‹. Einen solchen Herrn Meyer könnte ich mir gefallen lassen, aber wenn dies der Deutsche überhaupt sein soll, dann ...«

»Sehen Sie, daß Sie ein Chauvinist sind ...« rief die Fürstin triumphierend.

»Aber Durchlaucht, was würden Sie sagen, wenn man Ihre Nation immer nach den niedrigsten Vertretern beurteilen wollte?«

»Aber das tut man ja«, sagte die Fürstin, plötzlich mit einem düsteren Feuer in den vorher noch lustigen schwarzen Augen. »Beurteilen uns nicht fast alle Deutschen nach dem Bild von Krapülinsky und Waschlappsky?« Herr von Hiergeist war betreten. Er errötete für seine Landsleute. Dann fiel ihm ein: »Die Deutschen verstehen im allgemeinen die fremden Völker am tiefsten. Die Kehrseite davon ist freilich, daß sie in der Behandlung des einzelnen Fremden sich leicht vergreifen; das gebe ich selbst zu.« »O mit Ihnen, Exzellenz, kann man sich immer verständigen«, rief die Fürstin aus, die ihren Gast nicht hatte beleidigen, nur ein bißchen necken wollen. Schon glaubte sie etwas zu weit gegangen zu sein, und nun war sie voll naiver Bewunderung und Dankbarkeit für die Art, wie Herr von Hiergeist Herr der Lage blieb und ihr damit einen heiklen Augenblick ersparte. »Vous êtes vraiment un homme d'esprit, Excellence«, sagte sie. »Übrigens, die Elite versteht sich überall«, schloß der Kammerherr das Gespräch und empfahl sich.

»Und nun reden wir von Ihnen, mein Freund«, sagte die Fürstin, Herrn von Hiergeist zum Sitzen nötigend und dann so dicht vor ihn hintretend, daß sich ihre Knie bisweilen leise berührten. »Was macht Ihr entzückendes Frauchen, wie geht es dem kleinen Volk ... O, Ihre Karriere ist erstaunlich, mein Freund ... Und immer den Blick geradeaus ohne Protektion, ohne Intrige ... alles verdanken Sie nur Ihrem Verdienst ... O, sagen Sie nichts ... Solche Männer sind selten.«

Der Diener brachte Thee. Die Fürstin schenkte ein. Als die Zuckerzange ihr nicht gleich gehorchen wollte, warf sie sie beiseite und rief: »Ach was, ich darf Ihnen den Zucker doch so in den Thee werfen?« »Vous lui donnerez la saveur de vous jolis doigts«, erwiderte der Gesandte in aufrichtigem Entzücken. Da gewahrte er sich plötzlich gegenüber in einem hohen Spiegel, der sich im Rücken der Fürstin befand. Ein Schauer durchzuckte ihn. Er dachte an das Erlebnis der vorigen Nacht. Das Spiegelbild trat wie gestern heraus, setzte sich der Fürstin gegenüber, plauderte mit ihr, streifte bisweilen ihre Hand und die Person des Herrn von Hiergeist schaute verwundert zu. »Was wollen diese beiden voneinander?« fragte er sich, »ist es Liebe oder Politik? Warten wir ab!« »Feinde sind wir?« fragte die Fürstin, in lieblichem Lächeln ihre Katzenzähnchen entblößend, »politische Feinde, sagen Sie?« Sie ließ ihm ihre Hand, deren innere Fläche er plötzlich leidenschaftlich küßte, während er mit der rechten am bloßen Arm hinaufstrich. »Aber es heißt ja: liebet eure Feinde«, flüsterte er. Ihre Lippen lagen aufeinander.

Noch immer wußte die aufmerksam zuhörende Person des Herrn von Hiergeist nicht, was hier zwischen dem Gesandten und der Fürstin vorging. Fürs erste sah es mehr wie Liebe aus, als wie Politik.

Nach einiger Zeit wurde der Diener hereingerufen und ihm ein Zettel übergeben mit einer langen Liste von Besorgungen in der Stadt, was ihn mehrere Stunden in Anspruch nehmen mußte; die Jungfer hatte heute ohnehin frei.

Die Fürstin und ihr Gast waren nun allein in der Wohnung; die Türflügel nach dem goldgelben kleinen Schlafzimmer wurden geöffnet, die schweren Vorhänge der Fenster, durch welche die Augustdämmerung eindrang, zugezogen, und eine warme Herbstbehaglichkeit verbreitete sich; aber von Politik vernahm die lauschende Persönlichkeit des Herrn von Hiergeist nichts, um so mehr aber Gekicher, Seufzen und Küsse. –


 << zurück weiter >>