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König Makarek freute sich, als ihm Jubal seine Dienste anbot, denn schon hatte er gefürchtet, dieser würde mit junger Kraft, aber von der alten Klugheit seines Vaters unterwiesen, die geheime Gewaltherrschaft im Reiche fortsetzen. Jubal ließ sich nun einweihen in alle Teile der Staatsverwaltung; zunächst saß er als Zuhörer im Kaiserlichen Rat.

Dank Iktars geheimen Einflüssen war das vordem arme und kleine Reich groß und blühend geworden. Die Reiche gen Norden und Osten waren nun eng mit ihm zu einem verbunden, schwer beladene Kauffahrteischiffe fuhren über die See, und kein Pirat wagte sie anzugreifen aus Angst vor den kaiserlichen Fregatten, die dauernd die Meere kreuzten. Die Heere des Kaisers erregten den Schrecken der Nachbarn, die fürchteten, es könne ihnen gehen wie den Reichen gen Nord und Ost.

Zulix, der wohlhabende Besitzer von 10 Webstühlen, hatte einen klugen Gesellen; der vermeinte, wenn man ein Mittel fände, sie durch die Kraft des Wassers zu bewegen, könne ein Mann gleichzeitig mehr als 100 Webstühle laufen lassen, oder noch besser nur einen großen, der aber mehr Arbeit verrichtete als 100 kleine. Zulix schickte den vorlauten Gesellen fort, im geheimen aber verwirklichte er dessen Gedanken, und wurde zum reichsten Mann des Landes. Ähnliches geschah in andern Gewerben. Die Handwerker konnten sich bald nicht mehr halten, denn die großen Maschinenbesitzer überschwemmten das Land planmäßig mit billigen Waren, weckten Bedürfnisse nach neuen Genüssen, hielten dann wieder die Waren zurück und gaben sie nur noch zu höheren Preisen her. Die früheren Handwerker und ihre Söhne mußten für sie arbeiten. Immer mehr Hände gewannen die Reichen für diese Knechtsarbeit. Sie boten Löhne, welche auch die heranlockten, die bisher genügsam die Erde bebaut hatten. Die Masse der Lohnarbeiter wuchs und wuchs, und dieselben, deren Hände die Waren hervorbrachten, vermehrten das Heer der Käufer. Was verschlug es, daß der Ackerbau zurückging? Schiffe brachten Getreide genug aus fernen Ländern. Dadurch wurden die Reeder reich und die Getreidehändler. Das Land verödete, die Städte schwollen an, ganz neue Städte entstanden. Mit großem Gewinn bauten Unternehmer unabsehbare Straßen von Riesenhäusern auf, in denen sich jene Massen in Unsauberkeit und Lärm zusammenpferchten, immer in einem Übergang zu etwas anderem befindlich und auf Veränderungen wartend, heute bei diesem Gewerbe, morgen bei jenem; denn ein Handwerk brauchte keiner mehr zu erlernen, es galt nur noch, die Räder der Maschinen in Bewegung zu halten, und dabei halfen selbst schlaffe schwangere Weiber und Kinder. Wohl waren viele enttäuscht. Sie fanden nicht den hohen Verdienst, den sie erhofften, und die Genüsse, die man damit kaufen konnte, aber zu verhungern brauchte keiner. So zeugten sie ohne Beschränkung Kinder, ehelich und unehelich, ohne viel zu denken, denn auch sie würden gewiß Arbeit finden und damit sogar Geld ins Haus bringen; und diese Kinder, die selbst nie das Feld und den Wald gesehen hatten, vermischten sich wieder in kaum halbwüchsigem Alter und zeugten eine schlaffe blutlose Brut.

Es gab Gelehrte, die dieses Leben genau untersuchten und mit Stolz ungeheure Zahlen herausrechneten. Sempil, der Oberrechnungsmeister, ein fast haarloser Mensch mit Gesichtszügen so scharf wie eine mathematische Figur, drängte sich oft mit seinen langen Verzeichnissen an Jubal heran, dessen verstorbenen Vater er hoch verehrte. Was verdankte man ihm nicht alles? Die Bevölkerung hatte sich – so bewies Sempil dem verwunderten Jubal an der Hand von Listen – in 20 Jahren mehr als verdoppelt, die Grundfläche des Reiches fast verdreifacht, die Warenherstellung vervierfacht usw. War das nicht Aufschwung, Fortschritt, Größe? Und wenn es nicht die Zahlen bewiesen, dann bewiesen es die Furcht und der Neid der Nachbarn. Diese Zahlen wußten alle auswendig, sie wurden in den Schulen bereits den Kindern eingeprägt, in einem Fach, das Heimatlehre hieß und früher von bunten Landschaften, Bergen, Flüssen und Wäldern gehandelt hatte.

Dies alles machte die Menschen des Reiches vom König Makarek bis hinunter zum bescheidensten Hafenarbeiter so ruhmredig, daß dem an Stille gewohnten Jubal davon die Ohren gellten. Ungeheuer schienen ihm allerdings die Werke, welche die Menschen schufen, ihre Bauten und das netzartig verwickelte Ineinandergreifen all' der arbeitenden Hände, aber die Menschen selber waren innen kalt und hohl, gierig und voll Haß, übermüdet von Arbeit, die stets nur der Erhöhung von irgendwelchen Zahlen diente, und erhitzt in Genüssen, die sie überreizten und aufrieben. Jubal war es ein Leichtes die Unwirklichkeit zu durchschauen, die in all diesen Zahlen lag. »Alles tun sie von außen,« dachte er, »nichts von innen. Darum sind sie innen nichts, und ihr Selbst ist verknechtet an das äußere Werk.« Jubal glaubte, sein Werk im Staat müsse damit beginnen, diese Irrtümer aufzudecken und dadurch das Reich vom Niedergang zu retten; aber da erfuhr er bei den ersten bescheidenen Einwänden, die er versuchte, etwas ganz Sonderbares. Alle, die Oberen höflich oder mit feiner Spötterei, die Mitteleren unwirsch und etwas verlegen, die Unteren plump und fast beleidigend, gaben ihm alle dem Sinne nach dieselbe Antwort: »Wie kann sich einer ein Urteil anmaßen, der aus einer anderen Welt kommt und nicht die rastlose Arbeit aus eigener Erfahrung kennt?« Jubal durchschaute auch diese Lüge sofort: »Wer ihre Erfahrung hat, der ist in den Bildern befangen, wer aber die Bilder durchschaut, der kann nach ihrer Meinung nichts erfahren haben.« Und immer deutlicher sah er, daß im Reiche weder Weisheit noch Gerechtigkeit herrschten, sondern diejenigen, die sich ihrer Erfahrung rühmten im Herstellen und Verhandeln von Waren. Jubal sagte zu König Makarek: »Die, welche ihres Eigennutzes wegen am strengsten beaufsichtigt werden müssen, die, welche das Volk in Arbeit knechten und zugleich ihm seinen Bedarf zumessen, diese gerade hast du zu Herren werden lassen. Das muß dein Reich untergraben. Die Zahl der Menschen wächst, aber ihr Blut wird immer schlechter, ihr Herz immer leerer.« Makarek lächelte und dachte: »Dieser gute Jubal! ihn habe ich gefürchtet, als den Sohn seines Vaters, aber in ihm ist wahrlich nichts von dem furchtbaren Iktar;« und weil auch Makarek schnell merkte, daß Jubal von den wichtigen Dingen, die dem Land Reichtum und eine starke Macht schufen, nichts verstand und wohl auch nicht fähig war, diese Zusammenhänge trotz seinem guten Willen noch zu lernen, machte er ihn zum obersten Aufseher der schönen Künste und Wissenschaften.

Jubal war dies recht. Für ihn bedeuteten ja die Bilder nicht, was sie schienen. So versanken denn vor ihm wieder die Zahlen, die Sempil ihm täglich gezeigt, und vor ihm erschien das Bild der hohen Schulen und Akademien des Landes. Er freute sich der vielen helläugigen Jünglinge, die hierher strömten, um die Schriften der Weisen und Dichter zu den Füßen ihrer Lehrer zu lesen. Als er aber diese Männer mit Bensidech verglich, mußte er lächeln. Sie waren Sempil, dem Oberrechnungsmeister, nur zu ähnlich. Wie jener Zahlen, so verkündeten sie Worte, die sie verglichen und auswendig lernen ließen. Die voll Hoffnung herbeigeströmte Jugend höhlten sie zuerst aus durch die seelentötende Gehaltlosigkeit ihrer Reden und dann füllten sie die so geschaffene Leere behutsam und schichtweise wieder aus mit sorgfältig zusammengetragenem Wortkram. War dies gelungen, so wurde der Erfolg durch Prüfungen bestätigt und die Jünglinge wurden selbst als künftige Diener des Staates oder Lehrer der Jugend entlassen.

Jubal beschloß Abhilfe zu schaffen. Es gab in der Hauptstadt kleine Kreise von Jünglingen, die, der hohen Schulen satt, sich auf eigene Faust um jüngere Gelehrte und Dichter scharten, welche ähnlich wie Bensidech den Geist statt den Buchstaben der Schriften lehrten. Von diesen berief Jubal einige an die hohen Schulen des Landes, ließ ihnen Lehrfreiheit und gab ihnen dazu die äußere Ordnung des Amtes und ihren Schülern die Regelmäßigkeit des Unterrichts. Allmählich glaubte er so alles, was an quellenden und suchenden Geisteskräften im Lande war, herbeizuziehen zu gegenseitiger Befruchtung. Damit aber erregte er allgemein die größte Unzufriedenheit unter den Eltern der lernbegierigen Jugend. König Makarek lächelte nicht mehr über Jubal, als er die Mahnungen seiner nächsten Ratgeber, des Oberrechenmeisters Sempil, des Getreidehändlers Njeneschi, der Fabriksherrn Zulix und Quiribal und des Heerführers Grunisch hörte, der ein besonderes Auge auf die Gesinnung der Jugend haben mußte und auf ihre stete Bereitschaft, begeistert für die Gewalt und den Reichtum des Staates ihr Blut zu opfern. Des Königs Ratgeber befürchteten, daß die neuen Schulen eine müßige, dem Erwerb fremde Jugend erziehe. Schon hörte man bei ihr Worte wie diese: Reichtum sei einem Volke eher schädlich, als von Nutzen, oder: wenn Reichtum nötig wäre, so hätten ja die Väter hinlänglich dafür gesorgt, das neue Geschlecht aber könne sich höheren Dingen zuwenden.

Jubal wurde auch seines neuen Amtes entsetzt und zog sich lächelnd über seine irrende Hoffnung in die Felsenburg zurück, in der er groß geworden war. »Habe ich nicht selbst versucht die Bilder von außen zu bewegen? Wohl hätte es eine Zeitlang gelingen können, aber ich bin zufrieden, daß es nicht gelang; denn ein flüchtiger Erfolg hätte mich nur über die verborgene Wahrheit getäuscht, daß man nur von innen heraus wirken kann.«

Jubal lebte nun einige Wochen in völliger Selbstversenkung, und er erkannte dies: War es ihm schon nach des Vaters Tod klar geworden, daß nicht die Bilder unsere Gefühle hervorrufen, sondern die Gefühle erst die Bilder schaffen, so hatte er doch die Gefühle selbst noch nicht zu meistern verstanden. Ohne Zweifel haßte er Sempil, Zulix, Njeneschi und alle die, welche den König und das Volk verblendeten, aber schuf denn nicht nach seiner nun noch vertieften Erkenntnis sein Haß selbst erst diese Popanze? Wie aber dieses Hasses Meister werden? In seiner Selbstversenkung prüfte nun Jubal alle Gefühle, die er in jenen Jahren des Wirkens in der Welt gehabt hatte, und stellte sie im Bild vor sein inneres Auge. Er fand außer dem Haß gegen die Widersacher zärtliche Liebe zu der Jugend, die wie einst er selbst nach wahrem Geist dürstete. Er fand Hoffnung auf das Gelingen seines Werkes, Furcht vor seinem Mißlingen, Reue über manches im Handeln Versäumte, Triumph über manches Geglückte. Wohl hatte er während seines Wirkens in der Welt besonders Liebe und Hoffnung in sich gepflegt, aber nun erkannte er noch deutlicher als einst, da sein Haß gegen den Vater in Liebe umschlug, daß der, welcher Liebe setzt auch den Haß mitsetzen muß, daß Hoffnung immer nur die Kehrseite der Furcht ist, und daß man – ohne Blindheit – nicht das eine pflegen kann ohne das andere. Immer wieder kam das Zurückgedrängte an einer geheimen Stelle hervor. Waren nicht alle, die offen und entschieden das Gute erstrebten, stets im geheimen irgendwie widerwärtig, kalt und lieblos, und verlockten und rührten nicht die, welche ganz ins Böse verstrickt schienen, stets heimlich sein Herz? Überließ er sich der menschlichen Liebe zu der lernbegierigen Jugend, notwendig mußte er die Berater des Königs hassen. Hoffte er auf Gelingen seines Werkes, so war das doch nur möglich, weil die Furcht in ihm war, es könne mißlingen. Nun aber erkannte Jubal, versenkt in seine Tiefe, daß diese trostlose Zersplitterung in Gegensätze auch nur ein Schein war und daß im innersten Seelengrund eine unzersplitterte Einheit west, die nichts weniger ist als Alleinsein, vielmehr eine Liebe, die zwar kühl scheint gegen alle in Unterschieden Zersplitterte, aber um so wärmer ist in ihrem Kern, so warm, daß sie den Widersacher umfangen muß wie den Freund. Als Jubal im Walde sitzend, dies verstand, schlug er plötzlich die Augen auf und siehe vor ihm lag ein Stück gemeinen Tierkotes, und seine Augen füllten sich mit Tränen vor Rührung über dieses Geringste, Niedrigste, und es dünkte ihn so herrlich wie Makareks Macht und Größe. Zugleich entsann er sich der Stunde, da sich ihm vordem zum letztenmal die Augen mit Tränen gefüllt hatten. Es war an einem Abend in dem Festspielhaus der Stadt. Eine junge Sängerin von duftiger Schönheit und schmelzendem Stimmklang stand auf der Bühne, und ihre hingerissenen Freunde sandten ihr Blumen, Juwelen und Süßigkeiten hinauf, die um sie geradezu Wälle bildeten, höher als sie selbst. Sie verging fast vor dankbar lächelndem Glück zwischen all dieser sieghaften Herrlichkeit. Die Zuhörer jubelten, schrien, klopften, klatschten, stiegen auf die Bänke, und es war als ob das Leben in Schönheit, Wohlklang, Farben und Jauchzen sich nicht herrlicher entfalten könne. Nur Jubal war von unsäglicher Traurigkeit erfüllt. Er sah, wie das junge Wesen, gerade weil es so schön war und so süße Gefühle hatte und übertrug, dem Heil ferner war, als alle die sonst Verbitterten, Häßlichen, die sich in dieser Stunde einmal an der Schönheit labten. War sie nicht gerade in ihrer Lieblichkeit unwiderstehlich verführt, ganz in ihrem süßen Leib zu leben? Mußte sie nicht wähnen, das, was ihr eben widerfuhr, sei die Seligkeit, und mußte sie nicht, wenn in wenigen Jahren ihr Reiz verflogen war, desto bitterer jene Undankbaren verklagen, die ihr einst zugejauchzt hatten und sie nun beiseite warfen, wie ein verblichenes Tuch? Und würde jene Bitterkeit nicht dasselbe sein, wie die Seligkeit dieses Augenblicks: der Irrtum, ihr Leib, der sei sie, mit ihm sei sie herrlich, mit ihm sei sie elend. Jubal aber hatte vor jener rosigsten Menschenblüte dasselbe gefühlt wie jetzt vor dem Stückchen Tierkot, daß das Schönste zugleich das Kümmerlichste ist, das Kümmerliche zugleich alle Schönheit in sich hat.

Und nun ging Jubal noch eine Zeit lang ganz und gar müßig und abgeschieden, aber im stillen umfaßte er die Welt. Bald kamen die Jünglinge und ihre Lehrer, die er an die Schulen berufen hatte, von selber zu ihm, um ihm zu danken und zu huldigen. Er hörte ihnen zu, antwortete, was ihm einfiel, aber ohne die Absicht zu lehren, und doch gingen sie belehrt von dannen. Besuchte er seine Mutter im Tempel oder den alten Bensidech, oder ging er in die Stadt, überall leuchteten ihm die Augen entgegen, überrascht durch den weltliebenden Blick des Jubal. Und er erfuhr in sich selbst noch dies: Unsere innerste Liebe schafft nicht nur die Dinge um uns; wird sie bewußt, dann erlöst sie sie erst zu höherem Selbstsein. Jubal weigerte sich, der Berater der Menschen zu heißen, denn nichts wollte er mehr von außen tun. Wer ihm aber von ungefähr begegnete, dem antwortete er, im jeweiligen Bilde bleibend, und so wirkte er von innen heraus. Der geschundene Knecht fühlte sich unter seinem Blick wieder als eine Person, der kein Heil verschlossen ist, und der in Haß verhärtete Machthaber, dem alle fluchten, fühlte in Jubals Gegenwart, daß sein Machtpanzer nicht sein Alles ist. Niemand vergriff sich an ihm. Waffenlos hätte er unter Räuber gehen können, und selbst der Arm der Polizei wäre vor seinem Blick gesunken, falls etwa ein Machthaber, der ihn selbst nicht kannte, ihn zu fahnden befohlen hätte. Jeder, der ihn sah, vergaß im Augenblick, was er selbst sich und andern schien, und ahnte was er eigentlich war. Wer aber dies ahnt, der vermag in dieser Stunde nicht zu richten, noch zu schlagen.

Auch König Makarek hörte von der geheimen Wirkung, die von Jubal ausging und lud ihn ein. Wahrhaftig: Jubal war nicht mehr der Überkluge und zugleich Weltentfremdete, der er ihm einst geschienen. Er sprach wie ein einfacher Mann von Regen und Wind, vom Stand der Saaten und des Viehs. Als ihn einst Makarek um Rat fragte, wie er sich gegen den und jenen Mächtigen im Reich verhalten solle, da sagte er wie gleichgültig: »Lasse sie kommen und gehen, ihre Mäuler müssen gefüttert werden, aber sie sollen nicht alles verschlingen.« Kaum war Jubal hinausgegangen, da erschienen diese alltäglichen Worte, die auch einem verständigen Bauer hätten einfallen können, Makarek als der Gipfel aller Weisheit, und seltsam: er gewann wieder mehr Wirkung auf die, welche ihm schon über den Kopf gewachsen waren.

Unter Jubals Augen wuchs ein neues Geschlecht heran. Die, welche ihm vom Geist begnadet schienen, unterwies er, wenn es das Gespräch so fügte, in seiner Lehre selbst, zuerst verhüllt, später immer mehr entschleiert, und langsam wandelte sich jener gellende, ruhmredige Ton, der unter Iktar im Lande geherrscht hatte. Wieder gab es einen geheimen Lenker im Reich, wieder hauste er abseits in der Felsenburg Iktars, aber er gab keine blutigen Zeichen, sondern rührte leise die Herzen und nicht zum wenigsten das des alternden Königs Makarek selbst. Freilich gewann Makarek noch nicht die ganze Weisheit. Von Macht und Glanz geblendet blieb er bis ins Alter, und er belog sich selbst, als er, die Gelegenheit eines Thronwechsels benutzend, um auch noch das Land gen Westen zu erobern, wähnte, dies tue er nur, um auch jenem Land den Segen seiner erfahrenen Weisheit zu spenden. Makarek wurde besiegt und verlor auch noch einiges von den früheren Eroberungen. Nun aber gewann Jubals Wirken erst seine volle Stärke. Wohl murrte das Volk über den fehlgeschlagenen Krieg, aber nur eine Minderheit begehrte, ihn grollend zu erneuern, die Schmach der Niederlage durch neue Gewalttat zu löschen. König Makarek hingegen löschte die Schmach seiner Gewalttaten durch die Erkenntnis. Er war nun ganz weise geworden. Er verbot, unter der Jugend den Haß gegen die Sieger zu schüren. Nicht länger durften in den Schulen die großen Zahlen gelehrt werden. Diese sollten vielmehr ausschließliche Angelegenheit der Fabrikherrn und Händler bleiben, die er gewähren ließ, ohne ihnen aber noch Einfluß auf die Regierung zuzugestehen. Von selbst schloß sich das Volk ohne Zwingherrn zu gemeinsamen Arbeitsbünden zusammen, die sich freiwillig unter den Schutz des Königs stellten. Zulix, Njeneschi und alle die andern Reichen rauften sich die Haare und bestürmten den König, die Bünde aufzulösen. Sempil rechnete genau aus, in wieviel Jahren beim Bestehen jener Bünde das Volk verhungert sein würde. Der greise Makarek aber schickte die Warner lächelnd nach Hause, und nichts von dem so klar berechneten Unheil traf ein. An vielen Orten des Reiches lebten in der Einsamkeit Weise, gleich Jubal. Teils hatten sie zu seinen Füßen gesessen, teils waren sie auf eigenem Weg zur Erkenntnis der Bilder gekommen.

Als Makarek starb, ging Jubal zu dessen Sohn, der die Feuer im Tempel hütete und fragte ihn: »Kennst du den Sinn der Dinge?« »Ich vernehme«, erwiderte jener, »was in der Stille diese Feuer reden, sie sehen so aus und so«. »So kennst du die zwei Gesichter der Welt. Geh' hin und nimm die Krone.« Der Jüngling hielt sich im Herrschen zurück und das Volk wußte nur, daß er da war; dennoch wurden alle Werke vollbracht und alle Arbeiten getan. Weil er nichts von außen wirken wollte, wurde die Welt von selber recht. Das Volk wurde wieder einfacher und ehrlicher, und ohne daß es Gier zeigte, wurden süß seine Speisen, schön seine Kleider, friedlich seine Wohnungen, fröhlich seine Sitten. Dies alles erlebte noch Jubal vor seinem Tod. Kettara und Bensidech waren ihm lange vorausgegangen. Wohl hatte er sie kurz beweint, aber seine große Liebe bedurfte nicht mehr des Bildes Einzelner.

Später kamen dann wieder andere Könige, die Jubals Weisheit in den Wind schlugen, nach kurzen Machthandlungen das Reich in Krieg und Not brachten. Aber nie wurde Jubals Vorbild ganz vergessen. Immer wieder standen in der Not Weise auf, gingen in seinen Fußstapfen, zogen durch das Land oder lockten Jünger in die Abgeschiedenheit der Berge, lehrten, den Wahn der Bilder zu durchschauen, und wer wollte, der folgte ihnen nach. Ihr stilles Wirken aber rettete immer wieder das Reich vor dem Untergang.


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