Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Kapitel

Revolution

Am folgenden Nachmittag in der Dämmerstunde – ich hatte natürlich wieder die gewohnte Menschengestalt angenommen – schickte Postel Wetti zu mir herüber mit der Bitte, so schnell wie möglich in wichtiger Sache zu ihm zu kommen. Ich traf ihn in seinem Empfangszimmer in lebhaftem Gespräch mit dem Rendanten und Grödling, der sehr lange nicht bei uns gewesen war; noch hatte er nicht Zeit gehabt, sich in einen Kranich zu verwandeln, was er sonst im Tierreich immer sofort tat. Von draußen brachte er die Nachricht, daß seit mehreren Monaten die Länder Europas in einem furchtbaren Krieg lägen, dessen Ende nicht abzusehen sei. »Wenn es weiter nichts ist,« sagte ich, der ich nun völlig weltentfremdet war, »was geht das uns hier an?« »Dachsisch gesprochen, sehr wahr,« sagte Postel, zum erstenmale nicht ganz freundlich zu mir, »aber so einfach ist es nicht. Wir können uns hier nicht gegen Angriffe von außen verteidigen. Unser Offizierkorps besteht zwar ausschließlich aus Edelhirschen, aber die Mannschaften taugen nicht viel. Ich habe in der Hoffnung, dadurch den Frieden im Innern zu erhalten, lediglich Faultiere anwerben lassen, die Tag und Nacht in den Wipfeln der Bäume zubringen und schwer zu Märschen zu brauchen sind. Zwar leben noch einige bärtige Auerochsen, die aber als Militäranwärter längst im Steuerdienst beschäftigt werden. Unsere Unterseekräfte – Zitteraale, Zitterochsen und Zitterwelse – setzen zur Anwendung Hochwasser voraus. Die Giftschlangen sind ganz und gar unzuverlässig. Nur die Insektenheere sind zahlreich und vortrefflich organisiert. Sie vermöchten aber nicht einen Angriff auf unsere Mauern abzuschlagen, nur den bereits eingezogenen Eroberer sehr zu belästigen, während er alles verwüstet. So ist die Lage mein Lieber!« »Ja, aber wer sollte uns denn hier angreifen?« fragte ich. »Zunächst wohl niemand. Aber wie ich dir neulich schon sagte, haben wir zwischen den zahlreichen Tieren und Menschentieren auch einige Tiermenschen aus den verschiedenen, jetzt einander feindlichen Ländern. Wir sind in unseren früheren Vaterländern noch militärpflichtig und man wird nicht davor zurückschrecken, uns zu holen, die einen zum Dienst, die anderen in die Konzentrationslager. Das einzige Mittel, unsere vollkommene Neutralität anerkannt zu sehen ist daher korrektes Handeln gegen die kriegführenden Mächte. Unsere Militärangelegenheiten müssen einwandfrei erledigt werden. Darauf halte ich!« »O, ich bin seit meiner Jugend für dienstuntauglich erklärt«, sagte ich leichthin. »Ich auch,« erwiderte Postel, aber Grödling sagt eben, daß die Dienstuntauglichen neu gemustert werden sollen.« »Unerhört!« rief ich aus, »ich bin ja doch ein Dachs. Wie kann ich denn da Kriegsdienste tun?« »Sehr wohl!« sagte Postel, »wir werden dir nicht widersprechen, aber du bist nicht nur ein Dachs, sondern auch ein Mensch, und dein Menschliches wird man möglicherweise verlangen.« »Ich pfeife auf mein Menschliches,« rief ich außer mir, »hier bin ich glücklich und in meinem Element. Hier will ich bleiben. Übrigens werden wir das gleich haben.« Ich trat einen Augenblick hinter eine spanische Wand. Kurz darauf kam ich wieder als Dachs hervor. Es war zum erstenmal, daß ich mich, außer vor Frieda, so zeigte. Postel und Grödling waren zunächst sprachlos. »Das hätte ich allerdings nicht gedacht, daß du schon so weit bist!« sagte Postel nach einigem Schweigen. »Nun, und das übrige ist reine Formalität,« erklärte ich.

Hier muß bemerkt werden, daß nur ganz wenigen Tiermenschen die Fähigkeit blieb, sich beliebig zurückzuverwandeln. Worauf diese Fähigkeit eigentlich beruhte, ist schwer zu sagen, weder auf einer besonderen Willenskraft noch auf besonderem körperlichen Geschick – diese beiden Eigenschaften gerade habe ich nicht – wohl eher auf einer sehr bestimmten inneren Bewußtheit seiner selbst. Frauen z. B. besaßen diese Fähigkeit fast nie. Waren sie einmal Tiere geworden, so blieben sie es meist ganz. Oft hatte ich z. B. Frieda beschworen, sich mir einmal menschlich zu zeigen, aber mit einer Mischung von Verlegenheit, Scham, Traurigkeit und auch Ärger war sie dieser Forderung stets ausgewichen. Ich solle sie doch endlich damit in Ruhe lassen, schmollte sie manchmal, und ich mußte ihr versprechen, sie nicht mehr damit zu quälen. Dabei zeigte sie aber bereitwillig Photographien, wie sie früher als Menschenkind ausgesehen hatte, nämlich sehr herzig, nur vielleicht ein bißchen zu mager. Ihre Schwester Ingeborg dagegen besaß die Fähigkeit der Verwandlung manchmal, wenn auch unvollkommen. Es hieß, daß diese Ziege in München auf der Hochschule, wenn auch nicht ganz menschlich, so doch menschenähnlich erschien.

Ich schrieb noch am Abend an die Militärbehörde meiner früheren Heimat, in meiner Eigenschaft als Dachs könne sie nicht auf mich rechnen. Frieda, vor der ich kein Geheimnis hatte, verbrachte bis zum Empfang der Antwort recht ängstliche Tage, die ich ihr dadurch versüßte, daß ich dauernd in Dachsgestalt blieb. Auch die alte Frau Schupp zeigte darüber Freude und sagte ein über das andere Mal: »Ja so a liabe Herrschaft, so a liabe!« Nach wenigen Tagen kam die militärische Antwort. Auf meinem eigenen Briefbogen stand in soldatischer Kürze: »Das könnte jeder sagen!« Nun wurde ich doch etwas ängstlich, aber noch größer war meine Wut. Ebenso knapp schrieb ich darunter: »aber nicht jeder kann es beweisen.« Grödling bestätigte mir als beamteter Tierarzt meine Dachshaftigkeit. Ich legte das Gutachten bei und erhielt nun die Antwort: »Sie sind auf Grund bezirkstierärztlichen Attestes wegen Ihrer Dachshaftigkeit vom Militärdienst befreit.« Frieda war glücklich. Ich eilte sofort zu Postel, der nun mit Hilfe Grödlings für alle Tiermenschen, auch die Ausländer, auf dieselbe Weise die Erlaubnis des Bleibens im Tierreich erhielt. Nur der Schakal Poldi sowie der Wolf in seiner Metzgerei bangten etwas vor der Einberufung als Sanitätshunde, denn es verlautete, daß nicht selten Vertreter einer Art von den wenig individualisierenden Feldwebeln durch einen Federstrich auf eine andere Art einfach »umgeschrieben« wurden; aber solche Befürchtungen bewahrheiteten sich bei uns nicht. So war denn die äußere Gefahr für unsere Gemeinschaft abgewendet, doch im Innern herrschte Gärung, seitdem sich die Kunde von dem Weltkrieg unter den aus allen Gegenden der Erde stammenden Tieren verbreitete, die naturgemäß sehr verschiedene Sympathien hatten. Postel sah die Verhältnisse äußerst schwarz. Ich konnte das gar nicht verstehen und verharrte noch lange in meiner angeborenen Sorglosigkeit. Er hielt es für notwendig, daß wir uns nun täglich berieten. In der Abenddämmerung kamen wir in Menschengestalt zusammen. Einmal traf ich einen Herrn mit rotem Schnurrbart in mittleren Jahren in grünem Jägeranzug am Eingang des Bungalows. Er begrüßte mich freundlich, wie einen guten Bekannten. Ich konnte mich gar nicht erinnern, wo ich ihn schon gesehen hatte, so bekannt mir das gewandte Wesen und der äußerst kluge Blick des Rotbärtigen auch erschienen. »Sie kennen mich nicht?« fragte er lachend, »nun so schauen Sie mich doch einmal genau an!« Da erkannte ich plötzlich schon an der grünen Tuchmütze und dem vorn auf der Nase sitzenden Zwicker unseren Rendanten Reinhardt in Menschengestalt. Er lachte listig über meine Überraschung. Wir gingen hinein zur Beratung. Grödling war bisweilen einige Tage abwesend und brachte Nachrichten über den Krieg, der Rendant berichtete über die Vorgänge innerhalb unserer Mauern. Es war nicht länger daran zu zweifeln, daß eine starke, vorläufig noch heimliche Bewegung im Gang war, die an die Niederlage der Mittelmächte glaubte, in deren Gebiet wir uns befanden. Mochten Befürchtungen vor den vermeintlichen siegreichen Feinden oder ideelle Überzeugungen zugrunde liegen, jene heimliche Bewegung hatte ein ausgesprochen republikanisches Ziel und richtete sich gegen den Thron Seiner Majestät und gegen den Minister Postel. Das war dem Rendanten außer Zweifel. Eines Tags fing er einen höchst verdächtigen Briefwechsel auf zwischen Asta, der Königlichen Mätresse, und jenem bereits gelegentlich der amerikanischen Sekten erwähnten Silberlöwen Mr. Puma. Die Briefe waren chiffriert. Der Rendant legte sie unserem Diplomaten, dem jungen Tapir, vor, aber der versagte völlig. Mit solchem Zeug, erklärte er grinsend, gäbe er sich doch nicht ab. Ich wies auf den alten Philo hin, und mit dessen Hilfe brachte der Rendant in der nächsten Nacht heraus, daß die Absicht einer Palastrevolution bestand. Der König Nebukadnezar sollte gestürzt und an seiner Stelle Mr. Puma, der amerikanische Silberlöwe, als Präsident der Tierrepublik ausgerufen werden, um die gewiß bald einziehenden Feinde der Mittelmächte jubelnd zu empfangen. Der Rendant, vor dem alle Postbeamten instinktiv zitterten, brachte es fertig, daß ihm heimlich die Briefe ausgeliefert, nach der Entzifferung aber an ihre Adresse besorgt wurden, damit sich die Schuldigen immer mehr enthüllen sollten. Wir hatten nun fast jeden Tag einen neuen Brief. Zunächst zeigte sich Asta offenbar selbst mißtrauisch gegen Mr. Puma, aber er bewies, mit Hinweis auf Brehms Tierleben, daß in der neuen Welt, der Silberlöwe den Löwen der alten Welt überall vollwertig »ersetzt«. Je weiter jener denkwürdige Briefwechsel fortschritt, desto mehr gelang es dem schlauen Amerikaner die Königstigerin für sich zu gewinnen. Aus ihren Briefen aber merkte man, wenn auch verhüllt, welchen Preis sie für ihre kostbare Hilfe verlangte: als gesetzmäßige Gattin Mr. Pumas Präsidentin der Republik zu werden. Damit stieß die Kurtisane bei ihm, der in streng puritanischen Begriffen großgezogen war, zunächst auf schier unüberwindlichen Widerstand; aber die Schlaue ermüdete nicht; sie fand bald eine unerwartete Hilfe bei dem Viscount Reginald of Horseradish und seiner Frau, der Lady Arabella. Diese den ältesten Rassen angehörigen Aristokraten – die Vollblutahnen des Viscount waren lange vor Wilhelm dem Eroberer in England gewesen, ja wahrscheinlich mit Hengist und Horsa herübergekommen – diese beiden Aristokraten, sage ich, die als » distinghuihsd foreigners« seit Gründung des Tierstaats Postels Gastfreundschaft genossen, ihres alten Freundes, mit dem sie einst, als sie noch Menschen waren, in den Dschungeln Löwen gejagt hatten, diese stolzen Briten, die mehrmals die Woche mit dem Königspaar Whist gespielt und die Königl. Mätresse, als eine mehr französische Einrichtung a rather french institution«) in prüdester Verurteilung wie Luft behandelt hatten, diese beiden schrieben eines Tags eigenhändig Grüße unter Astas Brief an Mr. Puma und beglückwünschten ihn zu seiner Verlobung mit einer ebenso schönen wie verständigen Dame, mit der auch sie neuerdings die herzlichste Freundschaft verbinde. Als der Rendant dies Postel vorlas, wollte er es nicht glauben; so sehr hatte er auf die treue Freundschaft mit dem englischen Ehepaar gebaut. Er verlangte das Schriftstück zu sehen. Wenn er auch die Geheimschrift nicht entziffern konnte, so erkannte er doch die Unterschrift seiner Freunde Reginald und Arabella. Postel stand bleich auf. Er ging ins Nebenzimmer und dort hörte man ihn schluchzen. Zum erstenmal kam mir der Gedanke, sein mir bisher unerforschlicher Tiercharakter sei, wie der Charakter jenes Engländers, der eines edeln Pferdes – – und vielleicht hatte er einst im stillen Lady Arabella geliebt, die schlohweiße Araberstute?

Der Brief des nächsten Abends zeigte die Verschwörung reif. Mr. Pumas religiöse Bedenken gegen die Ehe mit Asta waren verschwunden, nachdem Mitglieder des ältesten Adels der alten Welt ihre Gesellschaftsfähigkeit anerkannt hatten. Er versprach die Ehe. Am folgenden Tag trafen sie sich im Haus ihrer englischen Gönner zum Thee. Die ganze Zeit waren wir erstaunt gewesen über die genauen Nachrichten, welche die Verschwörer von den Ereignissen der Außenwelt hatten, denn den Menschentieren verbot ein Gesetz das Verlassen des Reichs, waren sie doch für hohe Summen von Hagenbeck erworben; sie gehörten trotz Rang und Reichtum Postel. Die Tiermenschen dagegen, zu denen der Viscount und Lady Arabella gehörten, bedurften eines Passes zum Austritt aus dem Reich. Der Rendant entdeckte bald den Weg, den die Nachrichten nahmen. Er ging über den Pförtner Iwan, jenen russischen Bären, der mir einst das Tor des Tierreichs geöffnet hatte. Dieser dumme Kerl ließ sich durch Schnaps und süße Kuchen bestimmen, Astas Giftschlangen den Verkehr mit der Außenwelt zu gestatten.

Jetzt war es nach Grödlings dringendem Rat höchste Zeit für uns, ebenfalls zu handeln. Der Rendant aber meinte, noch müsse erst genau erforscht werden, wie weit die Verschwörung reiche, damit man wisse, auf wen man sich stützen könne, auf wen nicht. Er war in der letzten Zeit mit seinen etwas geringwertigen Verwandten, den Kellnern in den Gasthäusern, wieder in Verbindung getreten und hatte bemerkt, daß diese, besonders ein gewisser Pepi, schon mancherlei wußten. Das mußte ausgenutzt werden. Eines Tages kam sogar Dr. Karfunkel und machte törichte Andeutungen. »Wissen Sie schon – es gibt ein Revolutiönchen .. meine Herren – – wer macht mit?« Als das der Rendant hörte, bot er allen seinen Einfluß auf Postel auf, daß er den alten in solcher Zeit gefährlichen Schwätzer in Stubenarrest nähme. Postel gab achselzuckend seine Einwilligung. Der Verrat seiner englischen Freunde schien im Augenblick alle eigene Tatkraft in ihm gelähmt zu haben. Auch ich bin, wie der Leser schon weiß, kein Willensmensch und, wenn auch sehr klug, so doch gar nicht schlau. Grödling war ein prächtiger Mensch von viel gesundem Verstand, aber ohne Feinheit. Wie froh konnten wir daher sein, daß wir einen Mann wie den Rendanten auf unserer Seite hatten!

Trotz meinen genannten Schwächen vermochte auch ich in den nächsten Tagen eine sehr nützliche Spur anzugeben. Durch Frieda, der ich von diesen Staatsangelegenheiten nichts erzählte, schon, um so lange wie möglich ihre Ruhe zu bewahren, erfuhr ich eines Tages verdächtige Vorgänge, die ihre Freundin ahnungslos geschildert hatte. In dem Gasthaus, wo jene Magdeburgerin angestellt war, gab es ein Sonderzimmer, in dem sich seit einigen Wochen Leute verschiedener Art fast allabendlich versammelten. Was die da eigentlich trieben, war nicht ganz klar. Es wurde abwechselnd geschrieen und geflüstert. Unter anderem solle wohl eine Zeitung gegründet werden. Einmal sei nachts ein recht bös aussehendes englisches Pony herangetrabt und habe – das hatte die Magdeburgerin, die schon beim Schlafengehen war, von ihrem Fenster aus deutlich im Laternenschein erkannt – Säcke mit Geld gebracht, die ein großer olivengrüner Ochsenfrosch, früherer Advokat, an sich nahm. Mehrere Unken und Kröten seien dann mit Gequak aus dem Dunkel getreten, und der Ochsenfrosch habe ihnen, sichtlich mit Widerwillen, von dem Geld gegeben. Sie aber seien damit nicht zufrieden gewesen, vielmehr streitend in jenes Hinterzimmer zu den anderen zurückgegangen, wo die ganze Nacht geschrieen, gekräht, gebrüllt worden sei. Am lautesten aber sei die Stimme jenes Ochsenfrosches gewesen, der übrigens von Tag zu Tag größer und dicker würde. Die Nachrichten über eine Zeitungsgründung waren natürlich äußerst wichtig. Postel hatte bisher Zeitungen für überflüssig gehalten. Wichtige Vorgänge wurden in der Frühe am Regierungsgebäude angeschlagen. In den Kaffeehäusern konnte man sie, wie schon gesagt, in der Nacht vorher durch Fernsprecher erfahren. Für Leselustige stand im übrigen die Bibliothek offen.

Am folgenden Abend berichtete Postel von einem Besuch beim Oberrichter, einem Falken, bei dem er den Oberstaatsanwalt, einen Habicht, zum Gabelfrühstück getroffen hatte. Beide Herren waren gerade damit beschäftigt gewesen, über die verdächtigen Vorgänge im Staat eine Denkschrift an den Minister zu beraten, die nun durch seinen Besuch überflüssig wurde. Postels Nachrichten über den Ochsenfrosch kamen sehr gelegen. Dieser war dem Gericht als eine äußerst gefährliche Persönlichkeit wohl bekannt: völlig gesinnungslos, aber von hervorragender Beredsamkeit, unfähig zu jeder Mäßigung im Ton – und darum bei Gericht nicht mehr zugelassen –, aber von glühendem Ehrgeiz erfüllt, war er sicher als Zeitungsmann hervorragend geeignet zur Volksverhetzung. Leider aber war ihm nicht beizukommen, da der Polizeipräsident, ein Vogel Strauß, von alledem nichts wissen wollte. Dieser war ein leidenschaftlicher Statistiker, steckte den ganzen Tag seinen Kopf in die Meldelisten, in denen er von Jahr zu Jahr immer eingehendere Angaben verlangte. Er ordnete darin die Bewohner nach stets neuen Gesichtspunkten, so nach ihrer Empfindlichkeit gegen die Temperatur, nach ihrem spezifischen Gewicht, ja nach der Stärke ihres Begattungstriebs und der Menge ihres Kotes. In dieser mehr wissenschaftlichen Tätigkeit ließ er sich ungern durch praktische Anforderungen stören.

»Das muß aufhören!« erklärte Postel am Abend ärgerlich. »Der Mann wird abgesägt werden.« Der Rendant aber wußte besseren Rat. Eine Personenänderung an so sichtbarer Stelle würde die Verschwörer nur aufmerksam machen. Man solle sie in dem Wahn lassen, die Polizei sei schlaff, damit sie sich desto unvorsichtiger gebärdeten. Inzwischen hatte er schon mit einem Iltis und zwei Frettchen eine Geheimpolizei eingerichtet und hoffte, bald alle unzuverlässigen Bürger des Staats genau zu kennen. Der Rendant brachte nun wieder allabendlich wichtige Nachrichten. Zu derselben Zeit, um die wir bei Postel berieten, kamen in einem Geschäftsraum im Warenhaus von Kaiman & Co. Mr. Puma, Herr Siegfried, der Alligator, und der Ochsenfrosch zusammen. Lady Arabella erschien bisweilen tief verschleiert. Das Geld, das der Ochsenfrosch zur Gründung der Zeitung erhalten hatte, stammte von Kaiman & Co., das Pony war ein zuverlässiger Kammerdiener des Viscounts. Ohne die Befehle seines Herrn zu prüfen, führte er sie aus. Das Bedenklichste war, daß unter den Lehrern nicht wenige als Mitarbeiter für das Zeitungs-Unternehmen gewonnen waren, und zwar vorwiegend junge Gimpel und Kreuzschnäbel. Immerhin bestand die Mehrheit aus wachsamen Hähnen, die ihre Stimmen laut dagegen erhoben. Auch die Spechte, Finken und besonders die zahlreichen Käuze unter den Lehrern erwiesen sich als durchaus zuverlässig. Bei den Lehrerinnen kam recht Betrübliches vor; manche braven Hennen ließen sich von dem Ochsenfrosch beschwatzen. Die Zeitung sollte unter dem Titel: »Der Wahrheitsbrüller« in den nächsten Tagen erscheinen. Einen Probeabzug hatten die tüchtigen Frettchen aufgefangen und auf Postels Schreibtisch sorgfältig unter eine Schildkröte im Winterschlaf gelegt, die als Briefbeschwerer diente. Der Rendant verlas abends das Blatt. Der Ochsenfrosch zeichnete verantwortlich unter dem Namen: Dr. Mordar. In einem Leitartikel bekannte er sich zu den Gedanken der französischen Revolution, die ein niederträchtiges Absperrungssystem bisher von dem Tierstaat ferngehalten habe. Er wendete sich hauptsächlich an die Massen von Tieren, in denen die Sehnsucht schlummerte, Menschentiere zu werden; ferner an die Menschentiere selbst, die laut und vernehmlich ihre aufsteigenden Brüder willkommen heißen sollten, und zuletzt an die Tiermenschen, die endlich von ihrem Hochmut ablassen und anerkennen müßten, daß zwischen Menschentieren und Tiermenschen überhaupt kein Unterschied mehr sei. Postel sagte, fast enttäuscht: »Nun, wenn er weiter nichts will, solche Ansichten mögen ruhig geäußert werden.« Der Rendant dagegen fand sie, als erste Bresche in die Mauer der bestehenden Zustände, gefährlich. » Principiis obsta!« sagte Grödling. Dieser humanistische Anklang gefiel mir. Eine ältere Henne, die Vera zeichnete, hatte einen Aufsatz beigesteuert: »Die große Sehnsucht«. Sie berichtete von der verschwiegenen Tragödie der Tierseele, besonders der weiblichen, der es doppelt schwer gemacht würde, das Menschentier zu entwickeln, denn zu der Unterdrückung durch die Tiermenschen käme bei ihr noch die Knechtung durch die eigenen Männchen. Zum Beweis berichtete sie – alle Scham der Hennen beiseite lassend – recht Unerfreuliches vom Hühnerhof. Der Rendant unterbrach sich lachend, während er dies las. Ihm wären diese Zustände längst bekannt, sagte er, er fände sie nur so komisch in Hennenbeleuchtung. Auch Grödling bestätigte als Arzt die Richtigkeit der Behauptungen, hielt sie aber für in der Natur begründet. »Gerade dies bestreitet nämlich die Verfasserin,« sagte der Rendant, »hören Sie weiter: ›daß diese schmählichen Verhältnisse nicht in der Natur liegen, beweisen die freien Familienverhältnisse der Muscheln, die ich durch eine befreundete Auster auf das genaueste kenne. Dort nimmt das Weibchen, wenn es selbst Befruchtung wünscht – nur dann, also gänzlich freiwillig – den von dem Männchen abgesonderten Befruchtungsstoff durch das Atmungswasser auf. Auch sind bei den Muscheln die Lasten des Brütens bezw. der Schwangerschaft nicht einseitig der Frau auferlegt. Der Mann ist verpflichtet, die junge Brut noch eine Zeit lang in den Kiemen zu tragen. Dürfen wir nun nicht dieselben Menschenrechte verlangen, welche die von uns als niedere Tiere oft verachteten Muscheln in noch höherem Maß als die Menschenfrauen selber haben? Aber verzweifeln wir nicht! Die große Sehnsucht ist in uns erwacht, und Sehnsucht ist auch eine Macht!‹« Postel wurde sehr nachdenklich. »Ja, die große Sehnsucht ist nun glücklich da,« sagte er, »das Unglück ist nur, daß sie ein Dr. Mordax für seinen Ehrgeiz ausnützt!« »Was für eine große Sehnsucht eigentlich?« fragte ich, höchst betroffen, um mehr zu hören. »Nun, die Sehnsucht aus der Tierheit herauszukommen,« fuhr Postel fort, »so wie unsere Sehnsucht uns aus dem Menschlichen heraustrieb. Ach, wie traurig, wie hoffnungslos traurig, daß die Tiere gerade in dieses Menschliche hineinwollen.« »Ausgemachter Wahnsinn!« rief ich beifällig, »wenn sie doch wüßten, wie glücklich wir sind, daß wir es ausziehen können, wie einen Handschuh, und wie gern wir ins Tierreich zurückkehren!« »Hältst du das aber für ein letztes Ziel?« fragte mich Postel fast vorwurfsvoll. Ich fühlte, wie ich errötete und schämte mich zum ersten Mal ein bißchen meiner Dachshaftigkeit. »Ich sehe kein anderes ..,« sagte ich. »Nun, bald wirst du es sehen. Anfangs macht es immer Spaß, neue Kleider an- und auszuziehen, aber ein Lebensziel ist das nicht.« »Ich habe ja außerdem meine geliebte Frieda,« dachte ich; nichtsdestoweniger: in diesem Augenblick war der erste Zweifelskeim in mein junges Dachsenglück gesät. Aber lassen wir diese persönlichen Dinge. Beschlossen wurde in jener denkwürdigen Sitzung, daß man diese mehr geistig-moralische Bewegung mit Schonung behandeln und die Zeitung ruhig erscheinen lassen, dagegen die Person des Dr. Mordax genau beobachten, gegebenenfalls beseitigen solle. Ich schlug vor, man müsse Gegenschriften veröffentlichen. Wer aber war dazu geeignet? Ich selber etwa? wie Grödling meinte. Um Gottes willen, ich habe eine, wie ich zugebe, krankhafte Scheu vor der Öffentlichkeit.

Der alte Literat, Dr. Karfunkel, den der Rendant vorschlug, wurde von Postel sofort abgelehnt. Er würde das Ganze als Witz betrachten und nur Wortspiele hervorbringen. Noch immer befand er sich in Stubenarrest, wo er sich übrigens ganz wohl fühlte, seit man ihm auf seinen Wunsch zur persönlichen Bedienung eine Katze aus den älteren Jahrgängen der Maison Pompadour beigegeben hatte. Mit dieser schwatzte er den ganzen Tag, und sie war eine gute Zuhörerin.

Schließlich fielen mir als etwaige Verfasser von Gegenschriften die zwei Bibliothekare ein, und das fand Beifall. Ich besuchte beide am folgenden Morgen in ihrem Amt; der Skeptiker lehnte sofort lachend ab, er wisse von diesen Fragen nur eins ganz gewiß, sagte er, nämlich, daß er nichts davon wisse. Der Kantianer hingegen strich sich würdevoll den Kropf und erklärte sich zu einer Gegenschrift bereit. Das Zeitungsblatt ließ ich in seinen Händen. Über diesen Erfolg wurde ich am Abend beglückwünscht. Inzwischen hatte Postel das Offizierskorps, die Edelhirsche, kommen lassen und die heimliche Mobilisierung befohlen. Schon am Nachmittag meldeten sich freiwillig die drei alten bärtigen Auerochsen vom Steueramt, frühere Feldwebel. Sie erklärten sich in ausgesprochen ostpreußischer Mundart bereit, das gesamte Hornvieh zu einer regulären Truppe auszubilden. Sie erhielten die nötigen Vollmachten und den Titel: Feldwebel-Leutnant. Natürlich konnten solche Schritte nicht geheim bleiben. Eines Nachmittags erschien Dr. Mordax mit einigen Gimpeln und Kreuzschnäbeln unter den Bäumen der Faultiere und forderte sie zum Verweigern des Militärdienstes auf. Diese aber lachten ihn laut aus und warfen allerlei Unflat auf ihn und die Seinen. Sie seien Faultiere und wollten es bleiben, riefen sie hinunter. Was ihre Vorgesetzten sagten, das täten sie, denn das sei bei weitem das Bequemste, er aber hätte ihnen gar nichts zu sagen. »So tief ins Volk reicht diese infame Reaktion,« rief Mordax und blähte sich.

Unter den Edelhirschen befand sich ein sehr findiger Kopf, dessen Namen man bisher nie gehört hatte, und der sich nun plötzlich ganz unentbehrlich machte. Freiherr v. Sturmfeder war ein Tiermensch, während seine, übrigens vortrefflichen, Kameraden Menschentiere waren. Er wies zuerst auf die fabelhaften technischen Fähigkeiten gewisser, bisher zu wenig beachteter Insekten hin. Sofort wurde ihm aufgetragen, aus weißen Ameisen, den sogenannten Thermiten, ein Pionierregiment, sowie aus Wespen und Hummeln Flugdienstabteilungen einzurichten. Die Bienen wurden ihrer hervorragenden, schon geschilderten Heilfähigkeiten wegen für den Sanitätsdienst vorbehalten. Von äußerster Wichtigkeit schien es Sturmfeder, daß wir uns des Königlichen Schlosses als unseres Standquartiers versicherten, da die Gegner über das einzige mit diesem an Größe und Stärke wetteifernde Gebäude, das Warenhaus Kaiman & Co. verfügten. Es traf sich günstig, daß das Bungalow, sowie der Grundbesitz des Ökonomierats, der zum Intendanten ernannt wurde, und viele kleine Häuser in nächster Nähe lagen. Um aber dieses Gebiet zu befestigen und darüber verfügen zu können, war es notwendig, endlich die Ruhe Sr. Majestät zu stören.

Im Palast Nebukadnezars hatte sich bisher nichts geändert. Wir wußten durch die Frettchen, daß noch jeden Nachmittag die königliche Mätresse zu den Füßen Sr. Majestät lag und abends das verräterische englische Ehepaar noch immer zum Whist kam. Schweren Herzens gingen am nächsten Tag Postel, v. Sturmfeder und ich zum König. »Das wird ein schwerer Gang,« sagte Postel beim Weggehen, »es handelt sich darum den alten Herrn in einer Audienz von nicht weniger zu überzeugen, als von der Gefahr, in der seine Dynastie schwebt, vom Verrat seiner alten Hausfreunde und seiner vergötterten Geliebten; auch ein jüngeres Herz trüge so viel Unglück auf einmal schwer.«

Wir wurden huldvollst empfangen. Se. Majestät nahm gerade das zweite Frühstück, ein gebackenes Straußenei, das ihm ein loyaler Untertan gelegt hatte, mit einem Glas Madeira, und lud uns sofort zum Mithalten ein. »Seltene Gäste, wirklich sehr seltene Gäste!« rief der König wohlgelaunt mit leicht vorwurfsvoller Anspielung auf Postels in der letzten Zeit begreiflicher Weise spärlichen Besuche. Von ernsten Mitteilungen, auf die Postel gleich hinwies, wollte Se. Majestät heute ganz und gar nichts hören. »Morgen, mein Lieber, morgen ist auch noch ein Tag für ernste Mitteilungen. Heute wollen wir noch einmal fröhlich sein. Wer weiß, wie lange wir es noch können? Ich besonders, ich bin ein alter Mann.« Während uns Se. Majestät selbst die Gläser voll goß, packte mich ein Grauen. Wir hatten diese entsetzliche Ahnungslosigkeit etwa eine halbe Stunde ertragen, als schließlich Sturmfeder sich in seiner ganzen Pracht aufrichtete und kurzweg erklärte: »Gestatten mir Ew. Majestät eine dringende militärische Meldung!« »Eine militärische Meldung?« fragte der Fürst vergnügt, »aber gewiß, mein lieber Sturmfeder, ich liebe militärische Meldungen, überhaupt das Militär ... ans Herz gewachsen ... meine eigenen Kinder ...« Se. Majestät sprach etwas abgebrochen. Durch die Gesellschaft hatte er sich hinreißen lassen, dem Madeira mehr zuzusprechen, als Grödling ihm sonst zu erlauben pflegte. Sturmfeder aber sagte nun in wenigen Sätzen das Furchtbare, was er zu berichten hatte. Se. Majestät hörte ihn sprachlos an. Erst begannen seine Augen zu funkeln, dann riß er den Rachen weit auf und stieß ein so markerschütterndes Gebrüll der Verzweiflung aus, wie es niemand mehr dem Alten zugetraut hätte. Plötzlich streckte er alle viere von sich und fiel auf den Rücken. Erstarrt lag er in dem Thronsessel. Wir waren ihm kaum zu Hilfe geeilt, als auch schon ein Heer von geschäftigen Meerkatzen aus allen Türen hereinsprang. Das Gebrüll war bis in die Gemächer der Königin gedrungen, die geängstet hereinbrach. Als sie ihren Gatten starr ausgestreckt daliegen sah, warf sie sich über ihn und erhob ein Gewinsel von einer Durchdringlichkeit, daß es fast mit dem Verzweiflungsgebrüll, welches soeben ertönt war, wetteiferte. Auch die Kinder kamen herbeigeeilt und jammerten laut. Ich rannte sofort in das Bungalow hinüber, um Grödling zu holen. Ich fand ihn im Gespräch mit dem Rendanten. Dessen erstes Wort war: »Geheim halten! Wenn die Mätresse und die Engländer kommen, muß man sie im Palast verhaften!« »Ausgezeichnet!« rief ich. Wir folgten Grödling in den Palast, wo sich inzwischen nichts geändert hatte. Schonend entfernten wir die Königin, Postel führte sie am Arm in den Nebenraum. Grödling stellte Hirnschlag fest. »Übrigens nicht überraschend bei der fortgeschrittenen Arterienverkalkung des alten Herrn!«

Postel blieb den ganzen Tag im Schloß. Wir andern gingen nach dem Bungalow zurück. Politisch, erklärte der Rendant, habe das Ereignis seine zwei Seiten. Der alte Herr in seiner Vertrauensseligkeit sei vielleicht im rechten Augenblick gestorben. Nun habe Postel freiere Hand. Die Hauptfeinde würden uns schon heute in die Falle gehen. Leider ging von dieser Prophezeiung nichts in Erfüllung. Wie sich das Gerücht vom Tod Sr. Majestät im Reich verbreitete, ist rätselhaft geblieben. Später erst erfuhren wir, daß die Feinde unter der Leitung des Chevalier de La Patte Engraissée eine Gegenspionage unterhielten. Vermutlich waren einige der Meerkatzen bestochen. Kurzum: weder Asta noch das englische Ehepaar erschienen mehr im Schloß. Dagegen brachte »Der Wahrheitsbrüller,« dessen erste Nummern wenig Beachtung gefunden hatten, an diesem Abend mit fetten Buchstaben folgende Nachrichten: »Rätselhafter Tod Sr. Majestät des Königs – – ein geheimnisvoller Morgenbesuch – – das verhängnisvolle Frühstück – – Der Madeirawein des neuen Kellermeisters.« Niemand wurde offen angeklagt, aber es war deutlich zu verstehen gegeben, daß Postel sich mit Hilfe des Heeres der Alleinherrschaft bemächtigen wolle und den König mit Madeira vergiftet habe. Die Erwähnung meiner bescheidenen Person war mir mehr als peinlich. Nie schien uns die Welt derart auf dem Kopf zu stehen. Postel, dieser Schöpfergeist, dem schon der Ministertitel lästig war, der dies ganze Reich geschaffen hatte samt seinem Herrscher, der diesen König und seinen Hof jeden Augenblick wieder an Hagenbeck verkaufen oder gegen etwas anderes umtauschen konnte, sollte selber nach einer äußeren Herrschaft streben, die er innerlich längst besaß. O, wie dumm mußte doch dieser olivegrüne Dr. Mordax sein!

Am selben Abend berieten wir, ob nicht der Augenblick zum Handeln nun gekommen sei. Wir erwogen die Verhaftung des Dr. Mordax. Von Sturmfeder, der zum Generalstabschef ernannt worden war, schlug die Verhängung des Belagerungszustandes vor. Da erschien der Bibliothekar im Bungalow und schwang die Blätter seiner Gegenschrift. Erst, meinte er, sich in unsere Beratung mischend, solle man dem Dr. Mordax mit geistigen Waffen begegnen. Seine Gegenschrift müsse über Nacht gedruckt werden. Von der gesunden Vernunft des Volkes sei, sobald es die Schrift gelesen habe, die einstimmige Ablehnung des Dr. Mordax zu erwarten. Postel war einverstanden. Die Luchse telephonierten sofort an die Druckerei, die von einer Schar schwarzer Borken- und Bockkäfer genossenschaftlich betrieben wurde. Der Bibliothekar trug das Manuskript selbst hinüber. Wir anderen blieben zu Tisch im Bungalow. Gegen 10 Uhr kam der erregte Marabu zurück und brachte die ersten noch nassen Fahnenabzüge. Postel, v. Sturmfeder, Grödling, der Rendant und ich erhielten jeder ein Exemplar; sofort begannen wir zu lesen. Der Marabu stand in der Mitte auf dem Taburett, wo das Rauchzeug lag, und schaute im Kreis umher, um unsere Mienen zu studieren und zu erraten, bei welcher seiner Perioden die Leser gerade entzückt verweilten. Er sah aber nichts von dem, was er erwartete. Grödling war der erste, der einen Laut von sich gab. »Hm,« sagte er, »no, ich hab' ja kein Urteil in solchen Fragen.« Postel legte mit ärgerlichem Ausdruck das Blatt weg. Der Rendant fand, daß die Ausführungen ohne Zweifel von vielen Kenntnissen zeugten. Der Generalstabschef meinte, ihre Veröffentlichung könne auf keinen Fall schaden. Ich schwieg zunächst, war aber höchst verwundert über die Talentlosigkeit, die sich mit so viel Wissen verband. Den revolutionären Ideen des Dr. Mordax setzte der Bibliothekar den kategorischen Imperativ Kants entgegen. Gegen den »haltlosen Freiheitsbegriff« stellte er den »ehernen Pflichtbegriff,« ohne aber zu sagen, worin eigentlich dessen Halt bestünde. Als Mittel gegen die »große Sehnsucht« empfahl er die Arbeit, die Leistung. »Wenn wir keine besseren Gründe haben« rief ich aus, »dann sind wir dem Untergang geweiht.« »Wir haben bessere!« sagte Postel seherhaft, und wir alle blickten auf ihn. »Und die wären?« fragte der Bibliothekar spitz. »Die Ereignisse, nicht Buchstaben werden sie offenbaren.« »Also ist meine Arbeit umsonst gewesen?« schäumte der Marabu, »ich bestehe aber auf ihrem Druck!« »Erregen Sie sich nicht!« rief Postel. »Ich schließe mich der Äußerung unseres Generalstabschefs an. Ihre Arbeit ist völlig unschädlich und Sie können sie drucken lassen. Hiermit erteile ich Ihnen sogar den Titel eines Professors. Sie können ihn gleich auf das Titelblatt setzen lassen.« Der Marabu blickte zuerst ungläubig. »Wie soll ich das verstehen, Ew. Exzellenz?« fragte er. »Wörtlich,« erwiderte Postel, »gehen Sie nur gleich in die Druckerei und sorgen Sie für Ihr Werk.« Das genügte dem plötzlich nach der Öffentlichkeit so lüstern gewordenen Gelehrten. Mit vielen Verbeugungen eilte er hinaus. Nur noch so viel von ihm, daß er bis zum Untergang des Reiches jede Woche zwei vaterländische Broschüren von derselben Art, wie die erste, hervorbrachte. Das Seltsamste aber war dies: diese Arbeiten wurden gelesen, ja gekauft und viel beredet, aber irgend eine Wirkung auf die Ereignisse hatten sie nicht im mindesten.

Nach diesem Zwischenfall wurde die Gesamtleitung dem Generalstabschef übergeben. Nun folgten die Ereignisse Schlag auf Schlag. Noch in derselben Nacht wurde Dr. Mordax aus seinem Bett geholt und in das Gefängnis gebracht, dessen Direktor, ein finsterer Ichneumon ohne Sinn für Spaß ihn sofort wissen ließ, daß er, falls er brüllen würde, Dunkelarrest im Keller zu gewärtigen habe, und zwar in einer Zelle mit gepolsterten Wänden, aus der ihn niemand hören könne. So schwoll er langsam ab und hielt sich ruhig. Nachdem der Belagerungszustand angeordnet war, wurden die Truppen um den Palast zusammengezogen. Postel eilte zu der Königinwitwe, mit der er zusammen eine Regentschaft bildete, die bis zur Großjährigkeit des jungen Königs Nebukadnezar II. dauern sollte. Die Königin war kaum von dem Leichnam ihres Gatten zu entfernen, der in der Nacht von Meerkatzen in der Schloßkapelle aufbewahrt wurde. Alles dies gab Postel noch vor Sonnenaufgang durch öffentliche Anschläge bekannt.

Ich kam erst spät nach Mitternacht zu meiner geliebten Frieda zurück. Bebend hatte sie mich erwartet, da sie aus der Zeitung, die ihr Frau Schupp geholt hatte, wußte, daß auch ich in Verdacht und Gefahr stand. Die Waschbärin, die sonst abends nach Hause ging, schlief auf dem Sofa, da Frieda nicht hatte allein bleiben wollen. Als sie meine Schritte hörte, eilte sie mir im Nachtgewand entgegen. »O Daggi,« rief sie, »du lebst .. nun bin ich schon zufrieden.« Wir packten in aller Eile das Notwendigste in einen Koffer und trugen ihn mit Hilfe von Frau Schupp selbst hinüber in das Bungalow. Schon hatten wir einen Militärkordon zu passieren. Von Maulwürfen wurden Gräben gezogen, rührige Thermiten bauten aus Lehm und ihrem eigenen Kot Wälle, die zusehends in die Höhe wuchsen. Überall aus dem Dunkel hörte man Schnaufen und Stampfen des Hornviehs, das hier unter dem Befehl der Auerochsen biwakierte. In den Bäumen saßen die Faultiere, die als Klettertruppen verwendet wurden und in ihrer schon erprobten Königstreue verharrten. Ich brachte Frieda mehr tot als lebendig durch das Lager. In dem Bungalow wurde ihr gleich ein Zimmerchen mit gutem Bett angewiesen, während Frau Schupp, unsere Waschbärin, in der Kammer der Frau Hirsekorn, des sorglichen Känguruhs, liebreiche Aufnahme fand. Ich veranlaßte Frieda, sich sofort niederzulegen, nun sei ja keine Gefahr mehr. »Aber doch nur falls wir siegen?« fragte sie. »Postel weiß immer noch eine Rettung!« sagte ich in unbedingtem Vertrauen auf seine Kraft, ohne mir aber selbst Rechenschaft geben zu können, wie ich das im einzelnen meinte. Die Notwendigkeit, Frieda zu beruhigen, verlieh mir selbst Ruhe und Mut. Ich gab ihr ein leichtes Schlafmittel und ging dann wieder in das Beratungszimmer zurück. Postel war gerade aus dem Palast zurückgekommen, wo alles geordnet war. Zwei des geheimen Einverständnisses mit Asta überführte Meerkatzen, Gustav und Molly geheißen, hatte er aufknüpfen lassen, als die ersten Opfer dieser weiterhin noch sehr blutigen Ereignisse. »Auch du,« sagte er zu mir, »mußt nun deine Gaben in den Dienst des Ganzen stellen. Ich ernenne dich hiermit zum Geschichtsschreiber des Reiches. Du wirst in alles Einblick erhalten und hast dir nur täglich deine Aufzeichnungen zu machen zur späteren Ausarbeitung.« Diese Aufgabe war mir sehr willkommen. Es war eine ruhige, meinen Gaben entsprechende Arbeit. Ihre Veröffentlichung ging mich nichts an. Ich hatte sie nach Vollendung einfach abzuliefern, die Regierung würde dann damit machen, was sie wollte. Keiner ahnte damals, unter welchen Umständen ich sie ausarbeiten, und daß sie niemals zur Ablieferung kommen würde. Noch in derselben Nacht entstanden die ersten Notizen zu dieser Erzählung.

Gegen Morgen erst begab ich mich zu Frieda zurück, die ich wie ein ahnungsloses Kind in süßen Träumen fand. Ich legte mich an ihre Seite und schlief ein. Schon nach einigen Stunden aber weckte uns das Getümmel unter unserem Fenster. Wir sprangen auf und sahen zwischen uns und den in der Nähe liegenden Häusern ganze Herden von Tieren. Den Hauptstock bildeten Allgäuer, Bayerische, Schwyzer und holländische Stiere, aber auch an Büffeln, ja, an Zebus und Bisons, sogar an Elefanten fehlte es nicht. Dieser Anblick konnte einem schon Vertrauen auf unseren Sieg geben. Helle Frühlingssonne lag über dem ganzen Bild. Eilig liefen die schlanken, aber kräftigen Edelhirsche zwischen dem schweren Getier umher und erstatteten Sturmfeder Bericht, der über einen Tisch gebeugt saß, auf dem Karten lagen. Gleichzeitig hielt er dauernd das Hörrohr eines Fernsprechers ans Ohr und empfing so Berichte von anderen Stellen des Lagers. Kamele bildeten den Train und trugen in Säcken Proviant umher. Leider verfügten wir über keinerlei Waffen. Der friedliche Postel hatte sie im ganzen Reich nur für Ausnahmefälle gestattet, auch die Gegner konnten daher kaum Waffen haben. Nach dem Frühstück erstattete v. Sturmfeder und der Rendant, der nach Übernahme der Regentschaft durch Postel zum Minister ernannt worden war, dem Regenten Bericht über die Lage. Ich durfte als Geschichtsschreiber an einem Tischchen mit Schreibpapier sitzen und zuhören. Über unsere Kräfte habe ich schon berichtet. Der Gegner verfügte über fast alle wilden Katzen, Tiger, Leoparden, Panther usw. Auch das kleine Raubzeug wie Marder, Wiesel, Ziesel, Ratten und Mäuse hatten sich ihm in großer Anzahl angeschlossen. Bären und Wölfe standen auf beiden Seiten. Der Feind hatte sich in dem Kaimanschen Warenhaus verschanzt. Von Sturmfeder plante einen schleunigen Angriff. Nachdem er gesprochen, berichtete der Minister, was seine vortreffliche Geheimpolizei ermittelt hatte: der Puma habe sich offen an die Spitze der Aufrührer gestellt und halte seit gestern Abend auf dem Balkon des Warenhauses Kaiman Reden. Uns klage er offen des Königsmordes an und empfehle unsere Bestrafung und die Einsetzung der Republik. So suche er sich gleichzeitig die Träger der alten Loyalitätsinstinkte für den verstorbenen König und die von neuen Freiheitsinstinkten bewegten Leser des »Wahrheitsbrüller« zu verbünden. »Wie geschickt!« rief Grödling aus, der zum Chef des gesamten Sanitätswesens ernannt worden war und sich zur Sicherheit ein großes rotes Kreuz auf den Rücken hatte malen lassen. »Ja,« seufzte der Minister, »leider sind sie äußerst geschickt. Die Königstigerin Asta steht in einem von Kaiman & Co. geschenkten echten Spitzengewand rechts von dem Puma auf dem Balkon und streut Rosen ins Volk.« »So haben sie also auch noch die Romantik und die Ästhetik auf ihrer Seite,« bemerkte ich. »Und das Geld!« fuhr der Minister in seinem Bericht fort; denn links von dem Puma steht der Alligator Siegfried, der dem Volk einen ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung unter der Republik verspricht und zum Zeichen dessen Geldstücke unter die Masse wirft.« »Dem gegenüber aber ist ihr Heer nicht viel wert,« fiel Sturmfeder wieder ein. »Mit dem Raubzeug werden wir fertig. Nicht unbedenklich sind dagegen die Scharen der Insekten, über die sie verfügen. Sämtliche Flöhe, Wanzen, Läuse, Fliegen, Tausendfüße usw. stehen auf ihrer Seite und können uns sehr lästig werden; ebenso die Giftschlangen.«

Die nächsten Tage, die von beiden Seiten zur Mobilmachung benutzt wurden, brachten noch manche wichtige, teils auch komische Ereignisse, die ja nirgends auf der Welt ausbleiben. Die Redaktion des Wahrheitsbrüllers, so erfuhr der Minister, war nach der Verhaftung des Dr. Mordax zu Kaiman & Co. überführt worden; es hatte sich sofort ein früherer Volksschullehrer, der Kreuzschnabel Pipifox, zur Schriftleitung bereit erklärt, aber der eigentliche Leiter war nun der Puma selbst. Er bewies dabei äußerstes Geschick. Die Ausführungen unseres Professors wurden täglich mit besonderem Hohn behandelt. Oft sah ich unter unseren braven Truppen einzelne Mannschaften beisammen stehen und gläubig den Sinn der professoralen Auslassungen erforschen, dagegen lasen unsere eigenen Offiziere diese Schriften gar nicht, sondern nur ihre witzige, wenn auch von Bosheit durchsetzte Widerlegung durch den Feind. Wer dafür den Geist lieferte, ist nicht bekannt geworden, denn der Puma war bei aller Gewissenlosigkeit und Tatkraft nichts weniger als geistreich. Mir scheint, daß Asta selbst hier ihre Tatze im Spiel hatte, doch ist das nicht erwiesen. Sehr auffällig, aber nur für den, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht, war, daß von Tag zu Tag im »Wahrheitsbrüller« weniger von der »großen Sehnsucht,« aber immer mehr vom »wirtschaftlichen Segen« zu lesen war, den die Republik bringen sollte. Der Alligator Siegfried predigte Nationalökonomie; er sprach von ehernen wirtschaftlichen Gesetzen der Entwicklung, die das Glück aller mit mathematischer Sicherheit bringen müßten, falls nur nicht die Machtgelüste Einzelner oder einer aristokratischen Sippe diese Entwicklung hemmten. Aus der Gedankenwelt des Pumas, dieses alten Puritaners, stammte wohl ein Aufsatz, der ausführte, so wie die Seele durch vertrauensvolle Bereitschaft alle Hindernisse beseitige, daß die göttliche Gnade ohne weiteres einströmen könne, genau so müsse sich das Volk nur bereit halten, damit die – doch auch von Gott gegebenen – wirtschaftlichen Gesetze sich an ihm verwirklichen könnten und zum Lohn den Wohlstand brächten. Die Henne Vera verlangte leidenschaftlich die weibliche Dienstpflicht. Der Kreuzschnabel Pipifox befaßte sich vorwiegend mit der gerechten Verteilung der Ehren. Er forderte für jeden Volksschullehrer den Titel Professor, für jeden Hausmeister den Titel Hausbesitzer, für jeden Journalisten den Titel Dichter. Diese Erörterung brachte eine Flut von »Stimmen aus dem Leserkreis«. Kaufleute z. B. verlangten den Titel Wirtschaftsrat für jeden, der ein selbständiges Geschäft hatte; dafür hätten sie nichts einzuwenden, falls die Geistlichen aller Bekenntnisse Herr Kardinal, die gemeinen Soldaten Herr Leutnant angeredet würden. Vera verlangte den Doktortitel für jede Frau, die geboren hatte, auch wenn es außerehelich war. Ihr selbst war dies einmal vor längerer Zeit vorgekommen.

Militärisch waren in diesen Tagen zwei erfreuliche Ereignisse zu verzeichnen. Eine in ihrer Kriegslust kaum zu bändigende Schar von Mungos hatte sich freiwillig zur Bekämpfung ihrer Erbfeinde, der Giftschlangen, bereit erklärt. Sturmfeder übernahm persönlich die Organisation dieses wichtigen Truppenkörpers. Gleichzeitig meldete sich ein wackeres Fähnlein von Opossums zur Vernichtung der Insekten und kleineren Nagetiere. Sie gaben eine tatsächlich verblüffende Probe ihrer Kunst. In haarigen Knäueln zusammengezogen, verstanden sie sich stärkeren Feinden gegenüber tot zu stellen, und verlangten, man solle zur Probe nur fest auf sie losschlagen. Sie bewiesen, daß solche Schläge sie nicht veranlassen konnten, aus ihrer Ruhe herauszutreten. So waren sie immer wieder zu neuen Angriffen aus dem Hinterhalt fertig, wenn der Gegner sie längst für unschädlich hielt. Auch sie wurden unserem tapferen Heere eingereiht. Ferner erschien der Heldendarsteller des Theaters, ein breitschultriger Gorilla. Er hatte unter seinen Kollegen die Menschenaffen, Schimpansen und Orang-Utangs, vermocht, sich freiwillig zu melden; Pavian und Mandrill dagegen blieben streng neutral. »Das Theater hat nichts mit Krieg zu tun,« sagten sie, von ihrem Standpunkt auch wieder mit Recht.

Im Bungalow hatten wir noch einigen Zugang von schutzlosen Freunden. So bat Dr. Feiwe, das Nilkrokodil, um Aufnahme, die man ihm nicht verweigern konnte. Zwar machte seine Lebensweise einige Schwierigkeiten und die arme Wetti hatte es nicht leicht mit ihm. Sie beklagte sich oft bei Frieda. Der alte Rabbiner schlief nämlich in einer Wanne, in der das Wasser immer warm gehalten wurde. Wetti mußte also nachts zweimal aufstehen, um im Badeofen nachzulegen. Dafür war der alte Gelehrte nun auch sehr zufrieden, nannte sie sein gutes Waverl, und lachte ihr freundlich zu, wenn er behaglich in seinem warmen Wasser lag. Auch an Trinkgeldern ließ er es nicht fehlen. Übrigens erwies er sich bald als nützlich. Die Königin-Witwe wünschte den Leichnam ihres allerhöchsten Gemahls einbalsamieren zu lassen, und da stellte sich heraus, daß Dr. Feiwe diese Kunst früher eifrig als Liebhaberei betrieben hatte und sie noch immer verstand. Einzelheiten, die ihm entfallen waren, fand er im Herodot, den ein tapferes Frettchen nachts – nicht ohne Gefahr – aus der außerhalb des Kordons gelegenen Bibliothek holte.

Ein anderer, weniger erwünschter Gast war Fräulein Rosa, die Besitzerin der Maison. Die Offiziere hatten in den letzten Nächten bei ihr den Champagner nur so in Strömen fließen lassen, aus Freude darüber, daß es nun endlich losginge. Ihr wurde dabei unheimlich zu Mut. Verzweifelt durchbrach sie eines Nachts den Kordon und verlangte Einlaß im Bungalow. Sie wünschte Dr. Karfunkel zu sprechen. Was sollte man tun? Postel befahl, sie zu ihm einzulassen, da der alte Schwätzer ja jetzt doch nichts mehr schaden könne. Dr. Karfunkel soll äußerst erstaunt und zunächst nicht angenehm berührt gewesen sein über den Besuch seiner einstigen Freundin. Von ihr erfuhr er erst, daß die Revolution, über die er noch vor kurzem gewitzelt hatte, nun wirklich ausgebrochen sei. Seine Federn sträubten sich vor Angst. Dann sei er plötzlich – so erzählte die ihm beigegebene Katze – wie ein Kind an Rosas Busen gesunken und habe gejammert: »Das müssen wir alten Leute noch zusammen erleben! Wer hätte das je geglaubt!« Rosa habe, über diesen Ausbruch gerührt, Tränen vergossen. Dann erzählte sie, daß der ausgeschamte Schakal Poldi, der ausgeschamte, sich seit einiger Zeit nicht mehr habe blicken lassen. (Sie wußte nicht, daß er verhaftet war, nachdem ihn einer unserer Leutnants in der Maison mit dem Ohr an einer Tür gefunden und als gedungenen Zwischenträger Mr. Pumas entlarvt hatte.) So war es ihr gelungen, die Kasse zu retten. In der Tat trug sie über dem Bauch einen klirrenden Sack. Moische Schönheit sei in der Maison zurückgeblieben und erkläre allen Leuten, er verstehe nichts von Politik und Revolution; so hoffe er die Maison während der Stürme die nächste Zeit durchhalten zu können. Dr. Karfunkel mußte wieder lächeln. Er lobte Rosas Klugheit und versprach: »Wenn wir aus dem Schlamassel herauskommen, dann heiraten wir.« »Arthur!« seufzte Rosa, denn so hieß Dr. Karfunkel mit dem Vornamen. Es versteht sich, daß die ihm beigegebene Katze nun anderweitig verwendet werden mußte. In der mit Arbeit für die vielen Gäste überbürdeten Küche fand sie unter der Herrschaft des Ebers genug zu tun. Das späte Idyll zwischen Dr. Karfunkel und Rosa wurde indessen nicht gestört. Natürlich speisten sie für sich auf ihrem Zimmer. – Noch über einen Hausgenossen ist zu berichten, den jungen Tapir. Er stand überall hemmend im Weg, schwatzte bald in der Küche, bald mit den Offizieren und erzählte jedem, er habe sich schon vormerken lassen für die Verhandlungen des Friedenskongresses, da man dabei sicher französisch sprechen würde, und das könne er aus dem ff.

In den letzten Tagen vor unserem ersten Sturmangriff spielte sich noch eine rührende Szene ab. Ein altes Steinadlerpaar erschien und wünschte »den Herrn Regenten« dringend zu sprechen. Sie machten einen recht herabgekommenen, geschundenen Eindruck. Das Männchen hatte sich etwas an den Hals gebunden, was erst nicht recht erkenntlich war, weil es immer rutschte. Das Weibchen rückte es stets wieder vorsorglich zurecht. Die Beiden meldeten nichts geringeres an, als ihre Anwartschaft auf den freigewordenen Thron. Sie legten Papiere vor, darunter notariell beglaubigte Abschriften von Hagenbeckschen Kaufverträgen und Rechnungen, aus denen sie beweisen wollten, daß dem Steinadler für den Fall des Ablebens des Königs Nebukadnezar die Thronfolge versprochen worden sei. Richtig ist, daß Hagenbeck den verstorbenen älteren Bruder des Steinadlers früher einmal für den Thron empfohlen hatte. Nun meinte der Alte, dadurch sei dessen Anspruch auf ihn übergegangen. Fast mittellos, habe erst sein hochseliger Bruder und nun er mit seiner treuen Gemahlin auf den Tag gewartet, der den Glanz seines Hauses weithin erstrahlen lassen solle. Er deutete auf das Ding an seinem Hals, welches sich nun als der ausgestopfte Kopf des hochseligen Bruders erwies, und mit dem er sich das gewaltige Äußere eines zweiköpfigen Adlers hatte geben wollen. Als Postel die Haltlosigkeit dieser Thronansprüche mit Hinweis auf die reichliche Nachkommenschaft Nebukadnezars dargelegt hatte, blickte sich das alte Paar so traurig an, daß es Postel ins Herz schnitt. »Wenn ich etwas anderes für Sie tun kann,« sagte er, »sehr gern ...« Der Adler schwieg in verlegenem Stolz, aber sein Weibchen stieß ihn an und ermunterte: »Nun sag's doch, August.« »Vielleicht ist der Titel Vizekönig und ein kleines Jahresgehalt möglich ...« stotterte er. »Aber gewiß, gewiß,« erwiderte Postel gütig. Er fertigte gleich ein Schriftstück aus, das er siegelte und dem Adlerpaar überreichte. Es erfüllte ihre Wünsche. Sie horsteten von nun an in einer Dachkammer, wo sie bis zu ihrem baldigen Untergang noch eine kurze glückliche Zeit verlebten. Die mitleidige Frieda ging manchmal zu ihnen hinauf, und es gelang ihren geschickten Pfötchen, dem Alten den zweiten Kopf so gut zu befestigen, daß es wie natürlich aussah und er beglückt den ganzen Tag in den Spiegel schaute. Frieda aber redeten die beiden Alten immer Frau Hofgeschichtsschreiberin an, was sie mir voll Entzücken erzählte. O vanitas, vanitatum vanitas!

Auf alle Fälle waren wir nun eine recht bunte Gesellschaft im Bungalow, die unter weniger bedrohlichen Verhältnissen sehr interessant hätte sein können. So aber wurde bei Tisch wenig gesprochen. Nur der alte Steinadler redete viel. Er hatte noch die Kaiserkrönung Napoleons I. mitgemacht. »Merkwürdig,« dachte ich bei mir, »daß jemand, der so viel gesehen und erlebt hat, nicht interessanter zu erzählen versteht,« denn schließlich lief alles, was er sagte, immer wieder auf langweilige genealogische und besonders heraldische Fragen hinaus. Gleich in den ersten Tagen machte er mit seiner Frau einen Besuch bei der Königin-Witwe, die sie aber etwas frostig empfangen haben soll. Frieda hatte vorher wiederum bei der schwierigen Kopftoilette helfen müssen.

Kurz bevor die Feindseligkeiten begannen, erhielten wir noch einmal Nachrichten aus dem Lager der Feinde, wo innere Zwietracht herrschte. Der Zaunkönig nämlich hatte eine nicht unbeträchtliche Gruppe von Tieren um sich versammelt, die sich gegen die Republik erklärten, vielmehr ihn auf den Thron erheben wollten. Alle kleinen Nagetiere, Eichhörnchen, Wiesel, Ziesel, Nörze, viele Vögel und Insekten waren auf seiner Seite, vorwiegend lustiges Getier, dem der Puritanismus des Pumas zuwider war. Die Aussichten des äußerst volkstümlichen Zaunkönigs sollen gar nicht schlecht gewesen sein, als in einer Volksversammlung im Onyxsaal des Kaimanschen Warenhauses der Puma im Tone tiefer Betrübtheit erklärte, er sei traurig erklären zu müssen, daß das Privatleben seines ehrenwerten Gegners nicht ganz rein sei. Der Zaunkönig lachte darüber laut und unbekümmert. Es war aber tatsächlich nicht zu leugnen, daß er, der in seinem sorgfältig von der Gattin betreuten Nest aus Moos, seinen Würzelchen und dürren Blättern ein musterhaft geordnetes Familienleben führte, daneben noch mehrere, höchst liederlich gebaute Nester hatte, in die er seinem Weibchen grundsätzlich nicht den Zutritt gestattete. Diese Enthüllung, die Mr. Puma im einzelnen nicht selbst machte, sondern (wohl auf Bestellung) die Henne Vera, erregte nun freilich die Versammlung aufs höchste. Seine Anhänger bestürmten den Zaunkönig, sich gegen solche Angriffe zu verteidigen. Er hüpfte auch ganz lustig auf die Rednerbühne, setzte sich zwischen die Lampe und das Wasserglas und erklärte leichten Sinns diese Nester seien bloß Spielnester, in denen gar nichts schlimmes geschehe. So naiv aber war niemand, das zu glauben. Unter dem Geschrei der Versammlung mußte der Zaunkönig sich zu seinen Freunden flüchten, die seine Verteidigung auch nicht zu befriedigen schien. Nun sprang ein Hermelin an seine Stelle auf die Rednertribüne und rief mit durchdringender Falsettstimme, es wolle zu der noch nicht hinreichend geklärten Privatmoral des Herrn Vorredners keine Stellung nehmen, vielmehr sei es ihm um einen Grundsatz, nicht um eine Person zu tun. »Wir,« so rief es kühn, »verlangen einen König, oder – den Frieden mit dem Gegner!« Diese Worte hatten zweifellos große Wirkung, die verriet, wie schwache Wurzeln doch die republikanische Idee in den Herzen des Volkes geschlagen hatte. Da aber führte Mr. Puma seinen Meisterschlag aus. Leberleidend, wie er immer war, trug er stets einen Laubfrosch als Eisbeutel im Rücken. Diesen zog er wütend hervor, warf ihn unter die Versammlung und schrie: »Dann macht diesen hier zum König!« Der Frosch fand sich schnell in seine Rolle und quakte: »Ach ja ... ach ja!« Das bewirkte einen solchen Heiterkeitserfolg, daß die Idee des Königtums selbst in Lächerlichkeit erstickt wurde. So rettete Mr. Puma die Situation für sich, weniger durch seine Persönlichkeit, als dadurch, daß es keine andere Persönlichkeit gab.


 << zurück weiter >>