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2. Kapitel

Ich werde Bürger des Tierstaates

»Dieser Tempel heißt: Maison Pompadour, auch kurz die Maison« erklärte Dr. Karfunkel. »Die Besitzerin, die berühmte Rosa ist eine alte Jugendfreundin von mir, früher ein patentes Weiberl sag' ich Ihnen – na heute – – Schau'n Sie mich an .. Sic transit gloria mundi ....« Die Pforte öffnete sich von selbst. Eine höchst solid wirkende ältere Fasanenhenne begrüßte uns schlicht und wies uns zur Tür des anstoßenden Salons. Dort wimmelte es zwischen hohen mit Blumen bemalten Spiegeln von Katzen aller Art, sowie Häsinnen, besonders aber Lämmern. Man sah die Heidschnucke aus der Lüneburger Heide, das ungarische Zackelschaf, das Stummelschwanz- sowie das Fettschwanzschaf, das Bergamasker, das Rhön- und das Frankenschaf, besonders selbstgefällig spreizte sich das Merino, auch sächsisches Elektoralschaf genannt; auf Liebhaber des Besonderen wartete das dunkle Negritto sowie das französische Rambouillet. Der junge Tapir war in seinem Element. Er schien hier sehr bekannt und beliebt zu sein. Sofort saßen ihm zwei Meerschweinchen mit bittenden Augen, ein Schwesternpaar, auf dem Schoß; Blanche, die Angorakatze sprang auf seinen Nacken und rieb das Fell an seine Wangen. Mit dem munteren Rambouillet sprach er französisch, eine gute Übung für seine künftige diplomatische Laufbahn. Bald bestellte er Champagner. Vorsichtig näherte sich ein feister Wombat, der bisher in einer Ecke mit einem Murmeltier gespielt hatte. Es war – wie Dr. Karfunkel mir erklärte – ein früherer Mädchenschullehrer, der aber wegen zu großer Liebenswürdigkeit gegen seine Zöglinge den Dienst hatte verlassen müssen. Nun verbrachte er seine Nächte hier, wo er sich als Faktotum nützlich zu machen wußte und manchen Brosamen vom Tisch der Genießenden aufschnappte; so auch jetzt ein Glas Champagner, das der Tapir freigebig kredenzte. Wummi – so wurde der ehemalige Lehrer von seinen Freundinnen genannt – hatte trotz seiner untersetzten Gestalt große Körperkräfte und war darum von nicht geringem Nutzen für ein Haus, das dem besseren Publikum vorbehalten bleiben sollte, aber in den späten Nachtstunden doch auch recht zweifelhaftes Gesindel anzog. Erst vorige Woche hatte ihm ein junger Büffel (ein Drescher im Dienst des Ökonomierats) fast ein Auge ausgeschlagen, und darum trug Wummi ein schwarzes Seidenläppchen über der Wunde, was ihm sehr drollig stand. Überhaupt schien er das Bild gutmütigen Humors. Auch war er ein höchst dankbares Publikum für Dr. Karfunkels dauerndes Gewitzel und für die Großtuerei des jungen Tapirs.

Dr. Karfunkel führte mich hinüber in den kleinen mit bunten Papierfächern und Öldrucknacktheiten geschmückten Privatsalon seiner Freundin Rosa, der Besitzerin. Sie gehörte der weitberühmten Gattung des gemeinen bayerischen Landschweins an und war allerdings heute nicht mehr schön. Sie lag breit, mehr bräunlich als rosig, auf einem Ruhebett, ihre 10 Zitzen unbefangen den Blicken darbietend, rauchte eine dicke Zigarre und hatte einen Maßkrug vor sich stehen. Über ihr hing das Bild eines Engelchens, das ein Spruchband hielt mit den Worten:

»Wo ich bin, und was ich tu,
Sieht mir Gott mein Vater zu.«

Vor ihr stand Moische Schönheit, ein Lämmergeier mit dicker dunkler Kopf- und Halsbefiederung und hakenförmigem Schnabel; er las von einem schmutzigen Telegrammformular ab, daß noch mehrere Kartoffelsäcke an der galizischen Grenze ruhten, während von Hamburg feine Bananen zu erwarten seien. »Passen Sie auf,« flüsterte mir der bewanderte Dr. Karfunkel ins Ohr, »das ist Fräulein Rosas rühriger Agent. Kartoffelsäcke und Bananen sind geheime Kennworte der Mädchenhändler für gröbere oder feinere Ware.« Höchst aufmerksam hörte der Schakal Poldi dem Lämmergeier zu und flüsterte dann heftig mit Rosa. Diese erklärte sich mit allem einverstanden. Poldi war ein brauner borstiger Bursch und zweifellos der Herd des sehr üblen Geruchs, der den kleinen Salon erfüllte. Wie mir der Doktor erklärte, war er Fräulein Rosas derzeitiger Liebhaber; er besaß eine rätselhafte Macht über sie und erpreßte von ihr die reichlichen Beträge, die sie einnahm. Oft hatte sie Dr. Karfunkel, dem alten uneigennützigen Freund, ihr Leid geklagt, und er riet ihr immer, sich doch von dem Poldi zu befreien. Mehrmals hatte sie sich das auch fest vorgenommen, aber dann hieß es immer wieder: »I woaß nöt, wos dees is', der Poldl hot mi rein verhext – i kann ihm nöt bees sein – i woaß, daß er a grundschlecht's Viech is, a grundschlecht's, aber wann er mi so herrisch a'schaut, dann muß i doan, was er verlangt. Und dann, woaßt, kann er auch wieder sehr lieb sein, der Poldi.« »Interessant, nicht wahr,« schloß Dr. Karfunkel, der Psycholog, »der letzte Funke Idealismus im Herzen einer alten Sau.«

Moische Schönheit und der Poldi entfernten sich nach Erledigung ihrer Geschäfte, und nun war Fräulein Rosa ganz Liebenswürdigkeit gegen uns. Den Dr. Karfunkel schien sie wirklich sehr zu schätzen. Über seine Witze, die hier einen erheblichen Grad derber waren, als vorher, konnte sie sich vor Lachen wälzen. Plötzlich hörte man im oberen Stock einen großen Lärm, Schreien, Stampfen, Umfallen von Gegenständen. »Ja, was waar' dann jetzt dees?« rief Rosa auf einmal wieder in geschäftlichem Ernst. Sie schlug mit ihrer dicken Klaue auf eine Klingel. Die Pförtnerin – die schlichte Fasanenhenne, die uns geöffnet hatte – trat herein und berichtete ruhig und sachlich, die Neue, die Frieda wolle nicht tun, was der junge Herr Siegfried von ihr verlange. »Wüll net dhoan ...?« rief Rosa aufgebracht, »waar' net ibel .. Herkommen soll's, die Frieda ..«

Wieder gab mir Dr. Karfunkel die gewünschten Aufklärungen. Herr Siegfried war ein bekannter Lebemann, ein Alligator und Sohn des derzeitigen Hauptteilhabers des Warenhauses Gebrüder Kaiman Co. Die Begründer, zwei Nilkrokodile, gehörten zu den ältesten Mitgliedern des Postelschen Reiches und hatten durch ihre alte orientalische Herkunft Ansprüche auf den Verkehr in den ersten Kreisen. Da waren sie plötzlich, veranlaßt durch ihre amerikanischen Verwandten Kaiman auf den Postel von Anfang an widerwärtigen Gedanken gekommen, ein Warenhaus zu gründen, in das sie durch ihr listiges Lächeln und ihre biederen Augen alle kauflustigen Weibchen zu locken wußten, so daß kaum ein anderes Geschäft neben ihrem bestehen konnte. Die Kaimans merkten wohl, daß trotz ihren ungeheuren Umsätzen ihr Ansehen, besonders bei Hofe nicht zu vergleichen war mit der einstigen Stellung ihrer älteren Verwandten vom Nil. Um dem abzuhelfen, setzten sie sich mit den Kammerherren, den Riesenpinguinen, ins Einvernehmen, bezahlten deren Schulden und ließen durch sie Se. Majestät wissen, daß sie das Geld für eine Akademie der Wissenschaften herzugeben gewillt seien, falls sie den Kommerzienrattitel erhielten. Der den Wissenschaften sehr geneigte König Nebukadnezar konnte diesem Anerbieten nicht widerstehen. Die Gebrüder Kaiman wurden Kommerzienräte. Zur Feier dieses Ereignisses gaben sie ein großes Fest, bei dem tatsächlich die beste Gesellschaft erschien, darunter natürlich die Kammerherren, ja selbst der Viscount Reginald Horseradish, wenn auch ohne Lady Arabella, sowie der Oberrichter, ein Edelfalke, der sogar seine Frau mitbrachte. Selbstverständlich war auch Dr. Karfunkel dabei. Postel hatte sich wegen Kopfschmerzen entschuldigt. Am nächsten Tag ordnete er durch Geheimerlaß an, daß künftig im dienstlichen Verkehr das Wort »Gauner« durch »Kommerzienrat« zu ersetzen sei. Auf den amtlichen Maueranschlägen, welche die Zeitung ersetzten, las man nun häufig: »Ein berüchtigter Kommerzienrat hat gestern abend in der Dämmerung auf der Landstraße einen vom Viehmarkt heimkehrenden Bauer ausgeraubt.« Oder: »Mehrere halbwüchsige Kommerzienräte haben unter ihrem Anführer, dem in Kommerzienratskreisen sogenannten schwarzen Ferdl, einen Einbruch in einer Villa versucht.« Die Gebrüder Kaiman schäumten vor Wut. Nun half ihnen ihr Titel nichts mehr. Der erste Abend, an dem sie die gute Gesellschaft bei sich gesehen hatten, war auch der letzte gewesen. Nur Dr. Karfunkel ging noch hin, aus psychologischem Interesse, wie er sagte, das aber wohl auch durch die vortreffliche Tafel des Hauses gestützt wurde; denn was Kaimans an gesellschaftlichem Ansehen fehlte, das suchten sie nun durch einen, den Hof selbst überstrahlenden Aufwand zu ersetzen. Um aber auf den jungen Herrn Siegfried zurückzukommen, so galt er für einen ausgemachten Nichtstuer, der das von dem Vater dem Volk abgelockte Geld wieder unter das Volk brachte. Er war ein alltäglicher oder vielmehr allnächtlicher Stammgast in der Maison Pompadour. Der junge Tapir haßte den Emporkömmling, da er es ihm an Freigebigkeit nicht gleich tun konnte. Dafür aber kehrte er stolz seine gesellschaftliche Überlegenheit gegen ihn hervor.

Während mir Dr. Karfunkel dies alles erzählte und Rosa vor Wut über jene unbotmäßige Frieda fast in Krämpfen lag, hörte man ein großes Geschimpf auf der Treppe. Die Tür sprang auf. Herr Siegfried stürzte herein mit weit aufgerissenem Rachen und Augen von abgrundtiefer Bosheit. Er schrie, was für Summen er schon hier im Haus gelassen habe und beklagte sich über Undank. Neben ihm war die Pförtnerin auf einen Sessel gehüpft, auch der Tapir näherte sich in einigem Abstand, überlegen lächelnd, und ein Gewimmel von Katzen, Häsinnen, Murmeltieren und besonders Lämmern stand umher. Wummi trug die beiden Meerschweinchenschwestern auf der Schulter, damit sie auch etwas sehen konnten. »Die Frieda soll kumma!« befahl Rosa. Ängstlich trat ein sehr herziges nettes Exemplar der braunen Hausziege hervor. O, wie mir bei ihrem Anblick das Herz zu klopfen begann! Alles schwieg erwartungvoll, nur der Tapir rief dazwischen: »Gottvoll, geradezu gottvoll!« »Was san denn dees für Geschichten?« fragte Rosa streng. »Nein, quälen laß' ich mich nicht, dazu bin ich nicht da,« erklärte Fräulein Frieda in reinem Deutsch sehr entschieden, wenn auch mit dünner zitternder Stimme. »Recht hat sie!« flüsterte Dr. Karfunkel. »Ach was,« rief Rosa, »dees g'heert zum Handwerk, dees wär's erste Mal, daß sich oane in der Mäso Bumbadur beklagt; an Spaß muß ma' hier vertrog'n kenna, sonst hättst ja nöt z'kumma braucha; die ersten Dog' hob' i' a Ricksicht g'numma un' a Mitleiden mit dir g'hobt, weil ma' ja sicht, daß du's Geschäft net g'wehnt bist, aber hiazt hoasts o'weitn. Hiazt gehst glei' mit dem Herrn Siegfried un' dhust olles, was er verlangt.« »Seien Sie doch nicht so blödsinnig,« schrie Herr Siegfried, »Sie sollen's ja nicht umsonst tun, hier ist ein Hunderter.« Unter den in der Tür stehenden Katzen, Häsinnen, besonders aber den Lämmern entstand ein erregtes Gemurmel. »Da waar' a jede froh,« sagte Rosa; der Chor schien dies zu bestätigen. Fräulein Frieda aber blieb fest bei ihrem Nein. »So – so, willst mir kumma ..«, schrie nun Rosa, ganz blaß werdend und sprang auf. »Des G'schäft willst mir verder'm, d' Kundschaft abschrecka, dees gibt's fei' nöt .. hiazt werden mir a mol sehn ...« Rosa war im Begriff, sich tätlich auf Fräulein Frieda zu stürzen. Ich hatte bisher mit einer Erregung zugehört, die meinem stillen Dachsgemüt sonst fremd war. Wie schon gesagt, ich hatte beim weiblichen Geschlecht infolge meines Ungeschicks nie rechtes Glück gehabt, aber ich wußte doch manches von glücklichen Freunden, so z. B. auch, wie man ein schutzloses Mädchen in Fräulein Friedas Lage mit einem Wort allen Verfolgungen entziehen kann. In mir war plötzlich eine ganz ungewohnte Entschlossenheit gereift. Etwas handelte in mir, von dem ich nicht weiß, ob ich es selbst war. Ich sprang vor, stellte mich vor Fräulein Frieda hin und rief: »Niemand rührt meine Braut an!« Dies wirkte wie ein einschlagender Blitz. Allgemeines Schweigen. Herr Siegfried schaute mich erstarrt an, Rosa blickte unentschieden. Der Tapir fand zuerst die Stimme wieder und rief: »Gottvoll.« Nun riß auch Dr. Karfunkel den schwarzen Schnabel auf und lachte aus vollem Hals. »Dees is ja gor net wohr,« schrie nun Rosa, »Sie san ja gor net der Breitigam von der Frieda.« Ich aber schlang den Arm um das bebende Opfer und erklärte: »Ich war Friedas Bräutigam, ehe sie durch Unglücksfälle in dieses Haus geriet und bin es nun wieder.« Unter den Katzen, Häsinnen und besonders den Lämmern hatte die Stimmung plötzlich umgeschlagen. Ich fühlte deutlich, daß alles auf meiner und Friedas Seite stand, auch die Murmeltiere und Meerschweinchen blickten uns freundlich an. Wummi schien zu erwarten, daß es zur Feier des Ereignisses bald etwas zu trinken gäbe. Rosa fand schnell ihre Geistesgegenwart wieder. »Also, wenn's Eahna Braut is', dann nehmen 'S glei' mit. Ihr Koffer aber bleibt hier z'wegen die Schulden, wo's noch hat.« »Was denn für Schulden?« rief ich entrüstet. »Laß doch, Bubi« (dies war das erste Wort, das Frieda an mich richtete) »sie soll alles behalten, wenn ich nur von hier fortkomme.« »Gottvoll!« rief der Tapir. Mir aber wurde die Lage klar: ich hatte mich nun so zu sagen mit Fräulein Frieda verlobt. War auch zunächst mein Erstaunen über diese Tatsache groß, so empfand ich sie doch gar nicht als unangenehm. »Also gehen wir!« sagte ich aufs Geratewohl, ohne zu wissen wohin. »Ich will nur meinen Mantel ..« flüsterte Fräulein Frieda. »Nix wird mitg'numma!« rief Rosa, aber Dr. Karfunkel legte sich ins Zeug. Die Fasanenhenne holte Fräulein Friedas Mantel. Indessen flüsterte diese mir zu, sie könne zu ihrer Schwester gehen.

Als wir allein draußen waren, fiel sie mir, ihren Tränen freien Lauf lassend, um den Hals und rief ein über das andere Mal aus: »Wie soll ich Ihnen danken, mein Herr, wie soll ich Ihnen danken?« Außerhalb der » Maison« kam sie zunächst gar nicht mehr auf den Gedanken mich »Bubi« anzureden. Ich war tief bewegt und wagte zu sagen, wie glücklich mich das alles mache. Wir blieben vor einem niedrigen Häuschen stehen. Frieda klopfte lange an die Tür, bis sich oben ein Fenster öffnete. Ihre Schwester Ingeborg, gleichfalls eine Hausziege und Studentin der Medizin mit einem Kneifer auf der Nase, erschien und fragte etwas ärgerlich, was es gäbe. Frieda rief: »Ich bin dort nicht mehr, bitt' dich, laß mich ein.« »Ich komme!« sagte Ingeborg unfreundlich. »Studentin der Medizin?« sann ich. O, wie verschiedenartig doch das Schicksal mit den Ziegen spielt! Nach einigen Augenblicken öffnete sich die Haustür, Frieda trat ein, nachdem ich ihr versprochen hatte, morgen um 10 Uhr zu kommen, um alles weitere mit ihr und ihrer Schwester zu überlegen.

Ich war voll Glück, trotz meinen 40 Jahren zum ersten Mal im vollen Rausch einer großen Liebe. Nicht ganz leicht fand ich den Weg zum Bungalow zurück. Da trat der Mond aus den Wolken, was ich für ein gutes Vorzeichen meiner weiteren Geschicke nahm. Zwischen den Bäumen erkannte ich das Bungalow. Als ich läutete, öffnete mir, mich mit funkelnden Augen anblitzend, der Nachtpförtner, ein schwarzer Panther. Gegen Morgen träumte ich voll Seligkeit, ich bewohnte abseits von allen Menschen mit meiner geliebten Frieda eine selbstgebaute Höhle in stillem, friedlichen Dachsenglück.

Am nächsten Morgen brachte mir Wetti das Frühstück. Se. Exzellenz ließ sich entschuldigen wegen einer Audienz beim König. Mir war es recht, niemand sehen zu müssen und gleich zur Geliebten eilen zu können. Fräulein Ingeborg öffnete mir die Tür selbst und führte mich in ihr Studierzimmer, an dessen Wänden die Bilder großer Frauen der Geschichte hingen: Semiramis, Katharina von Rußland, Mary Wollstonecraft und Lily Braun. Auf dem Schreibtisch stand eine Rose in einem chemischen Reagenzglas. Trotz einer ausgesprochenen Familienähnlichkeit waren die beiden Schwestern so verschieden wie möglich. Was an Frieda liebliche Grazie war, erschien hier als entmutigende Dürre; wirkte Frieda tänzerisch beweglich, so machte Ingeborg den Eindruck nervöser Fahrigkeit. Übrigens war sie bedeutend älter als meine Braut. Sie setzte sich in ihren Klubsessel vor dem Schreibtisch und bot mir einen Sitz gegenüber an.

»Sittliche Vorurteile sind mir fern,« begann sie das Gespräch streng sachlich. »Ich habe Frieda bei mir aufgenommen, obwohl ... doch nichts mehr davon. Welches sind Ihre Absichten?«

Dies alles brachte mich in größte Verwirrung. Nicht um Absichten zu äußern, war ich hierher gekommen, sondern um von Frieda zu erfahren, was zu tun sei, damit unser Glück bald vollkommen werde. In meiner Verlegenheit fragte ich nach Frieda. »Sie wird schon kommen,« antwortete Ingeborg ausweichend, »ich möchte erst mit Ihnen allein sprechen, denn meine Schwester ist leider ein haltloses Geschöpf, das jedem Mann alles glaubt.« »O, da muß ich aber bitten ..«, erwiderte ich, »haltlos? Sie hätten heute Nacht ihre Haltung bewundert.« »Nun gut, aber was haben Sie für Pläne?« »Pläne? Alles das ist so schnell gegangen ...« »Besitzen Sie Mittel?« »Einige Mittel besitze ich,« erwiderte ich überrascht. »Nun gut. Wenn's Ihnen mit Frieda ernst ist, dann werden Sie wohl auch etwas für ihre Zukunft tun wollen?« »Natürlich.« »Das wollte ich hören. Also Frieda hat keine schlechte Schulbildung. Unser Vater war Rechnungsrat in Magdeburg. Wenn Sie ihr 1 bis 2 Jahre aushelfen wollen, dann könnte sie eine Handelsschule besuchen und dann wirtschaftlich selbständig werden.« »Eine Handelsschule?« fragte ich ganz verständnislos, »wozu denn das?« »Nun, das erste, was nun geschehen muß, wenn sie nicht in den alten Sumpf zurücksinken soll, ist doch, daß sie auf eigenen Füßen steht, sich ihr Schicksal selbst bestimmt. Will sie Sie dann, wenn sie gefestigt dasteht, in freier Selbstbestimmung heiraten, so ist das natürlich Friedas Sache.« Gegen Ingeborgs Worte war nichts zu sagen und dennoch ... Hatte ich das alles getan, um Frieda in eine Handelsschule zu schicken? Und ich – ein Dachs, der die Zurückgezogenheit liebt – wo sollte ich denn so lange bleiben? Von einem idyllischen Glück hatte ich geträumt, nicht von Handelsschulen. Übrigens was hatte denn diese alte Ziege da hineinzureden? »Ich will Frieda sprechen,« rief ich und fühlte, daß die Entschlossenheit der letzten Nacht wiederkehrte. »O, ich habe schon mit ihr gesprochen, Frieda ist mit allem einverstanden. Wenn Sie ihr die Mittel geben, reist sie mit mir schon diese Woche nach München, wo ich studiere. Sie wird dann bei mir wohnen, denn einen Halt braucht sie vorderhand noch.« »Und ich?« fragte ich. »O, Sie sind uns natürlich stets willkommen.« »Ich will aber nicht in der Stadt leben.« »Wir zwingen Sie ja nicht.« Da saß ich in einer schönen Zwickmühle. Sollte Frieda wirklich ganz in der Gewalt der Schwester sein? »Ich kann gar nichts sagen, ehe ich mit Frieda gesprochen habe,« erklärte ich. »Sie können Frieda jetzt im Augenblick nicht sehen, sie ist zu angegriffen und liegt noch zu Bett.« In diesem Augenblick aber öffnete sich die Tür und herein kam – – meine geliebte Frieda selbst, in einem hellblauen Morgenrock, der sie vortrefflich zu ihrem braunen Fell kleidete. »Daggi, mein Daggi,« rief sie aus und lag in meinen Armen. »Ich habe schon Angst gehabt, du kämst nicht mehr, und nun bist du hier und ich wußte es nicht.« Wer sollte daraus klug werden, stand es doch in genauem Gegensatz zu alle dem, was vorher Ingeborg gesagt hatte? »Hör mal, Frieda,« begann ich, »ist es deine Absicht mit deinem Fräulein Schwester diese Woche nach München zu fahren und dort die Handelsschule zu besuchen?« »Wenn du es willst, Daggi, ich tue alles, was du willst, nur darfst du mich nicht zu lang allein lassen.« »Nein, ich will es ja gar nicht, aber ich denke, ihr beide wollt es?« »Frieda!« rief nun Ingeborg mit durchbohrendem Blick durch ihren Zwicker, »erinnere dich an alles, was ich dir heute nacht gesagt habe, und was du mir in den Huf versprochen hast!« »Ich erinnere mich ja ..« sagte Frieda verwirrt, »also dann ist es vielleicht gut, wenn ich in die Handelsschule ...« Nun begriff ich den Zusammenhang und sagte: »Weißt du was, Frieda, zieh dich an, wir machen zusammen einen Spaziergang.« »Das ist ein guter Gedanke,« rief Ingeborg, »machen wir uns fertig.« Das war nun wieder das Gegenteil dessen, was ich gewollt hatte, nämlich mit Frieda allein sein. Beide Schwestern gingen ins Nebenzimmer. Von dort hörte ich heftiges Streiten, und schließlich kam Frieda verweint heraus und rief: »Daggi, nimm mich mit, wohin du willst, wo wir Ruhe haben. Hier bleibe ich nicht.« Wieder schloß ich sie in die Arme. Sie hatte sich inzwischen angekleidet. Ingeborg rief empört: »Ich habe es mir ja gedacht, daß kein Ernst und keine sittliche Kraft in dir ist. Wieder einer mehr, das ist alles.« Nun brach aber Friedas offenbar lang aufgespeicherter Groll heraus: »Das sagst du mir? Du Bild der Unschuld? Hast du vielleicht keine Liebhaber gehabt, Du ..« »Ha, ha, ha,« meckerte Ingeborg und setzte ihren Zwicker fest, »wer leugnet denn das? Ich habe mich aus innerer Freiheit denen gegeben, welchen ich wollte, aber du .. so eine wie du ...« »Bitte lassen Sie das!« rief ich dazwischen, »Frieda bereut alles, was sie getan hat, und darum ist sie jetzt rein. Sie hingegen rühmen sich Ihrer Abenteuer. Für das Gefühl eines Mannes ist das viel widerwärtiger.« »Sind Sie etwa ein Mann?« höhnte Ingeborg. »Nun ja, ich weiß es, ich bin nur ein Dachs, aber doch ein gesund empfindender Dachs, der das Herz am rechten Fleck hat.« »O Daggi!« rief Frieda gerührt, gerade daß du ein Dachs bist, das gefällt mir ja so gut. Du verstehst das Herz eines Mädchens viel besser, als so ein Drauflosgeher.«

Tiefbewegt führte ich sie hinunter. Wir gingen schweigend unter die nahen Bäume und setzten uns auf eine Bank. Ich hatte den größten Augenblick meines Lebens hinter mir und fühlte mich zum ersten Mal als Sieger. Frieda liebte mich und Ingeborg war geschlagen. Was sollte aber nun geschehen? Als ich Frieda erzählte, daß ich ein alter Freund Postels sei und bei ihm wohne, schöpfte sie Hoffnung. Von Postels Güte hatte sie viel gehört, außerdem sei er hier allmächtig, allmächtiger als selbst der König, und sie sei bereit, jede beliebige Stelle anzunehmen. Ich beschloß, Postel nach dem Mittagessen alles zu entdecken. Bis dahin waren noch zwei Stunden Zeit, und wir genossen den sonnigen ersten Morgen unseres Glücks in vertraulichen Gesprächen unter den Bäumen. Frieda erzählte mir von ihrem traurigen Leben. Sie hatte wie Ingeborg ein kleines Erbteil gehabt, aber während die Schwester es gut anlegte und auf die Hochschule ging, hatte sie es ihrem Bräutigam ausgeliefert, der dafür in Greifswald studieren sollte. Statt dessen versoff er das Geld und ließ sie sitzen. Dann kam die Zeit, wo ihr alles gleichgültig wurde, und so war sie schließlich dem Lämmergeier Moische Schönheit in die Krallen geraten, der ihr in gebirgiger Gegend und guter Luft eine Stelle als Jungfer versprochen hatte. So war sie in die Maison Pompadour gekommen, ohne zu wissen wie, aber schließlich war ihr auch das gleichgültig geworden. Nur 5 Tage sei sie übrigens dort gewesen, als ihr Blick gestern abend zum ersten Mal den meinen getroffen. Nur meine Anwesenheit habe sie zu ihrer entschlossenen Haltung ermutigt. Sonst hätte sie vielleicht doch dem grauslichen Herrn Siegfried Kaiman seinen Willen getan. »Welche Fügung des Schicksals!« rief ich aus. »Auch ich war an einem toten Punkt meines Lebens angekommen. Doch davon ein ander Mal.« »Daggi, du mußt mir auch alles erzählen!« sagte sie.

Ich brachte sie in ein Gasthaus und gab ihr etwas Geld, daß sie sich zu essen bestellen könne und versprach ihr, sie in zwei Stunden wieder unter den Bäumen zu erwarten. Bis dahin hätte ich mit Postel alles besprochen.

Zum Mittagessen war in dem Bungalow dieselbe Gesellschaft versammelt, wie gestern abend. Dr. Karfunkel machte dauernd kleine Anspielungen auf die Vorfälle der Nacht. Er hätte gar zu gern gewußt, wie es weitergegangen war. Der Tapir hatte einen gehörigen Brummschädel, aß nur Saures und trank Sodawasser dazu. Grödling legte sich nun nicht länger Zwang auf, er hatte völlig Kranichgestalt angenommen und tat als sei es nie anders gewesen. Nach Tisch bat ich Postel um ein Privatgespräch. Wir gingen in das Zimmer, wo er uns gestern empfangen hatte.

Gespräche, wie das mir nun bevorstehende, gehören zum unangenehmsten, was es für mich gibt. Auch fehlt mir darin alle Übung. Unwillkürlich folgte ich jedoch dem Beispiel, das mir am Morgen die für solche Auseinandersetzungen offenbar sehr begabte Ingeborg gegeben hatte; und es ging zu meinem eigenen Erstaunen vortrefflich.

»Ich kenne deine Grundsätze nicht,« begann ich, »ich für meinen Teil bin duldsam gegen Mädchen, die das Opfer unglücklicher Verhältnisse geworden sind.« »Dafür habe ich volles Verständnis,« ermutigte Postel. Nun ging ich soweit zu sagen, ich könnte mich z. B. eher in ein Mädchen verlieben, das ich in einem gewissen Haus finde, als in so eine moderne Person, die grundsätzlich für freie Liebe eintritt. Postel lachte zustimmend. »Ich setze natürlich voraus, daß jenes Mädchen in jenem Haus sehr unglücklich ist.« »Natürlich, denn wenn sie sich dort glücklich fühlt, dann läßt man sie am besten drin.« »Ganz recht; aber auch dann ..,« überstürzte ich mich und verlor den Faden, »auch dann noch wäre sie mir lieber, als so eine freche, wie ihre Schwester Ingeborg mit dem Zwicker .. aber ich versichere dich, Frieda war nicht glücklich, sondern sehr unglücklich .. Sie ist keine geborene Dirne, sondern ihr Vater war Rechnungsrat in Magdeburg .. viel eher ist ihre Schwester eine, die ihr Erbteil gut angelegt hat .. Sicher hat Frieda den Männern weniger Geld abgenommen, als ihr Bräutigam, ein Greifswalder Student ihr .. was sagst du zu solcher Gemeinheit?« Ich kam in eine derartige Erregung, daß mir die Tränen in die Augen traten. Postel verstand alles, offenbar war er auch schon durch Dr. Karfunkel vorbereitet. »Ja, mein Lieber,« sagte er behaglich, »mich freut das alles offen gestanden sehr, denn schon hatte ich die Absicht, dich hier festzuhalten, nur fehlte noch der Magnet. Werde Bürger unseres Gemeinwesens, und lebe hier glücklich mit deiner Frieda!« »Also das geht? Dir ist es recht .. Keine Handelsschule?« »Nichts ist einfacher,« erwiderte Postel ... »Ingeborg muß ohnehin fort von hier, sie hat mir schon zuviel Unannehmlichkeiten verursacht. Dann könnt Ihr ihr Häuschen bewohnen.« Vor mir öffnete sich der Himmel. »Auch meine beiden Bibliothekare,« fuhr Postel fort, »zwei Marabus, beklagen sich fortgesetzt über diese Ziege Ingeborg. Jeden Tag kommt sie in die Bibliothek und stört die Leser durch ihre albernen Gespräche. Ich gebe zu, daß ein Teil der gelehrten Besucher aus Gnus, Kamelen und älteren Eseln besteht, aber wir haben auch nicht wenige junge Adler und Falken, die sich den Wissenschaften widmen. Unsere Spezialität ist Philosophie, Religionswissenschaft und Mystik, darin sind wir ziemlich komplett; Ingeborg aber verlangt immer planmäßig das, worin wir schwach sind und schwach bleiben wollen, nämlich Schriften über Aufklärung, Bürgerkunde und ähnlichen Häckerling. Auf der Gasse lachen selbst die Lämmer über sie und fühlen sich überlegen, da sie mit ihren blauen Schleifchen wenigstens als Kopfkissen dienen können, aber diese Ingeborg ist zu nichts nutz, als zu stören.« Dies alles war mir aus der Seele gesprochen. Ich reichte Postel die Hand und schwur ihm den Bürgereid. »Nun muß ich dir freilich einiges über unser Gemeinwesen mitteilen, auch eine Art Bürgerkunde,« sagte er fein lächelnd. »Also, du wirst schon bemerkt haben, daß dies hier kein gewöhnlicher zoologischer Garten ist, und daß Hagenbeck mehr für die Masse als für die einzelnen Persönlichkeiten sorgt. Diese sind – das muß ich dir verraten – wie du und ich Menschen, die aber zugleich ihren Tiercharakter sich hier frei entfalten, statt ihn in ausschließlichem Menschendasein da draußen verkümmern zu lassen. Du hast bereits gesehen, daß Grödling nicht nur einem Kranich gleicht, sondern wirklich – unbeschadet seinem Menschentum – einer ist. Er verbringt sein Doppelleben abwechselnd hier und daheim als Bezirkstierarzt. Morgen geht er wieder nach Hause zurück, um seinen menschlichen Geschäften nachzugehen. Ähnlich ist es mit meinem Neffen, dem Tapir, mit meiner Wirtschafterin, Frau Hirsekorn, dem Kängeruh, mit dem Schwesternpaar Frieda und Ingeborg, meinen lieben alten Horseradishs und neuerdings auch mit dir, der du dich immer bestimmter zum Dachs bekennst, ohne deine menschlichen Vorzüge zu verleugnen; im Gegenteil, durch solches offenes Bekenntnis wird endlich in uns Friede zwischen dem tierisch-triebhaften und dem menschlich-geistigen Dasein. Beide kommen nun abwechselnd zu ihrem Recht ohne sich zu bekämpfen, sich zu besonderer Betonung herauszufordern oder sich gegenseitig ins Halbdunkel zu verdrängen, von wo die grollenden Triebe auf Umwegen nach Ausdruck zu ringen pflegen. Schau mich nur an. Für mich gibt es keine quälenden Zwiespalte mehr.«

Ich schauerte zusammen bei diesen Worten, deren Wahrheit mir sofort greifbar war wie der Stuhl, auf dem ich saß. Aber, was für ein Tier war denn eigentlich Postel? Diese Frage, so mächtig sie sich mir aufdrängte, wagte ich indessen nicht auszusprechen. »Wir haben hier natürlich auch viele reine Tiere, Nichts-als-Tiere, die geschlachtet, gejagt und gegessen werden, ferner zahllose, vom eigentlichen Tierschicksal enthobene Menschentiere, in denen das Tierische die Grundlage ist, aber das Menschlich-geistige gelegentlich durchbricht. Während die Tiermenschen wie du durch persönliche Beziehungen den Weg hierher gefunden haben, stammen die Menschentiere vorzugsweise von Hagenbeck, so z. B. Se. Majestät selbst, sowie seine Familie und sein Hof. Daraus siehst du, daß bei uns zwei Rangordnungen sich gewissermaßen durchkreuzen. Äußerlich halten wir alle Konventionen ein. Se. Majestät ist natürlich der Oberste, aber der Mächtigste d. h. der Schöpfer des Reiches bin ich, der sich mit dem bescheidenen Ministertitel begnügt und auch diesen nur zum Schein trägt. Bin ich etwa in meiner Seelentiefe ein Minister? Worauf beruht aber dies alles? Darauf, daß ich ein Tiermensch bin, Se. Majestät aber nur ein Menschentier ist. Natürlich ist in der äußeren Stellung meine Wirtschafterin, Frau Hirsekorn, nichts, aber auch sie gehört als Menschentier zu der geheimen Aristokratie, die schließlich hier durch eine Art Magie alles aufrecht erhält. Auch deine Frieda ist ein Menschentier im Gegensatz zu den Katzen, Häsinnen und besonders den Lämmern in der Maison Pompadour. Darum begünstige ich Eure Beziehungen. Wäre deine Wahl auf eine Häsin oder gar ein Lamm gefallen, dann hätte ich dich gebeten, dich in der Maison so gut zu unterhalten, wie du magst, mich aber mit diesen Privatsachen in Ruhe zu lassen. Du hättest mich dann ebenso konventionell gefunden, wie jetzt weitherzig.« Ich war sprachlos gegenüber solcher reinsten Weisheit. Postel fuhr fort: »Ich bemerke noch, daß es den Menschentieren bis jetzt noch niemals gelungen ist, wirkliche menschliche Gestalt anzunehmen, und das ist vielleicht gut so. Dadurch bleibt ihre Entwicklung rein seelisch.« »Aber dann begreife ich nicht, warum du nicht dem Hund ..« »Schweig mir vom Hund,« rief Postel gereizt, »der ist das Zerrbild dessen, was ich will. Gerade der vermenschlicht sich nicht, weil er sich gänzlich charakterlos dem Menschen versklavt. Dem Hund kannst du alles zumuten, er ist der Intellektuelle unter den Tieren, der alles versteht und nichts wesenhaft verwirklicht, das ist uninteressant; aus den anderen Tieren aber kannst du nur das machen, was in ihrem Wesen liegt. Der Hund bleibt Hund mit all seinem Getu, aber der Löwe wird König, der Ochs Ökonomierat und der Uhu Nachtwächter, aber nichts sonst. Doch genug davon. Der Form wegen mußt auch du ein kleines Amt annehmen, denn das ist hier so Brauch.« »Gern,« rief ich, »je kleiner, desto besser, sozialen Ehrgeiz habe ich gar nicht.« »Wie alle Tiermenschen,« erwiderte Postel befriedigt. »Es fiel mir gestern bei Tisch auf, daß du eine gute Weinzunge hast.« »Allerdings,« rief ich geschmeichelt, »ich kann sogar die Jahrgänge unterscheiden .. das ist eine der wenigen Sachen, die ich von Grund aus verstehe.« »Nun, dann mache ich dich hiermit zu meinem Kellermeister. Der bisherige ist auch ein Dachs wie du, aber nicht ein Tiermensch, sondern ein Menschentier. Er ist längst zum Ruhestand reif, alt, brummig und erzählt immer wieder die alten besoffenen Geschichten. Du kannst, wenn du willst, sein Amt übernehmen. Natürlich wird dir als Tiermensch alle grobe Arbeit von den echten Dachsen abgenommen. Von dir verlange ich nur die Leistungen deiner feinen unterscheidenden Zunge beim Ankauf neuer Fuder zur Versorgung meiner Tafel und der des Hofes, für die ich verantwortlich bin. Natürlich rechne ich oft auf deine Gesellschaft.«

So war denn alles aufs beste geordnet. Ich traf Frieda, wie verabredet, unter den Bäumen und versetzte sie durch meine Mitteilungen in höchstes Glück. Einige Tage wohnte sie in dem Gasthaus, wo sie gespeist hatte. Es stellte sich heraus, daß die dortige Buchhalterin auch eine Ziege aus Magdeburg war. So hatte sie gleich eine Freundin. Nach wenigen Tagen bezog Ingeborg die Münchener Hochschule, ohne sich von uns zu verabschieden, und wir nahmen das Häuschen in Besitz.

Wir machten es uns in den kleinen Räumen sehr behaglich. Die in der Haushaltung recht liederliche Ingeborg hatte es freilich arg verschmutzen lassen. Wir mußten den Kammerjäger kommen lassen, einen etwas in sich gekehrten Raben, der uns schnell von der Schwabenplage befreite. Die Bilder der 4 größten Frauen verschwanden von den Wänden und machten märchenhaft-poetischen Darstellungen von Schwind und Spitzweg Platz, die uns Postel schickte, und von denen Frieda geradezu bezaubert war. Sie besaß eine romantische Seele aber hatte gar nicht gewußt, daß Kunst etwas so schönes ist. Im Elternhaus hatte man die Wissenschaft über die Kunst gestellt.

Nun folgten die glücklichsten, wenn auch knapp bemessenen Wochen meines Lebens. Frieda erwies sich als vortreffliche Hausfrau, nur fast zu sparsam. Ein Dienstmädchen wollte sie durchaus nicht nehmen, obwohl stellenlose junge Kälber und Gänse hinreichend zur Verfügung standen. Sie war so glücklich, wieder einen geordneten Haushalt, wie einst in Magdeburg, zu haben, daß sie alles selber machen wollte. Nur eine alte Waschbärin, Frau Schupp, kam in der Frühe als Aufwärterin, eine wortkarge Person, aber von goldenem Gemüt. Sie war uns nach vierzehn Tagen so ergeben, als hätte sie uns als Kinder auf den Armen getragen. »A so a guate Herrschaft hätt' sie gar net geglaubt, daß es noch gäb. Der gnä' Frau koane Arbeit zu viel, und der gnä' Herr so ruhig und bescheiden.« An großen Reinmachetagen half ihr ihre Nichte Mizzi, ein niedliches Katzenfrett. Teppiche und Möbel klopfte ein Dromedar, das von Haus zu Haus ging und zu uns Mittwochs kam.

Wir fanden Kaufläden für alles, wo Katzen und auch Ziegen bedienten, sowie Handwerker für jedes Bedürfnis. Ein Guanako betrieb mit einem Alpakaweibchen ein Polstermöbelgeschäft. Sie hatten eine Tochter, die selbst wie ein Sofa aussah, da ihr weißgraues Haar ihr bis an den Boden herab über die Beine hing. Hier vervollständigten wir unsere Einrichtung. Ein Hummer erwies sich als vortrefflicher Damenschneider beim Vervollständigen von Friedas fast nur aus bunten Morgenröcken und einem Mantel bestehender Garderobe, die Fräulein Rosa auf polizeilichen Befehl doch hatte ausliefern müssen. Drei Krebse waren die stets lustigen Gesellen des Schneiders. Für die gewöhnlichen Kleider genügte eine alte Heuschrecke, die »auf Stören« ging und bisweilen auch zu uns ins Haus kam. Es war eine komische Person, in jeder Hinsicht anspruchslos, nur um ½ 11 Uhr morgens bestand sie auf einem Gläschen Rotwein; das schien dem alten dürren Körper für den ganzen Tag die nötige Kraft zu geben. Ein älteres, aber sehr gut erhaltenes Reiherweibchen und ein junges Kolibri waren Modistinnen. Ein Sumpfbiber und eine Fischotter hatten sich als Schuster zusammengetan. Manchmal bekam Frieda Migräne, dann lieferte der Apotheker, ein hurtiges Eichhorn, Aspirin. Ein Fuchs unterhielt ein vortreffliches Lebensmittelgeschäft, vor allem hatte er stets frisches Geflügel. In dem Juwelierladen einer Elster kaufte ich Frieda in den ersten Tagen einen Ring. Ein Übelstand, den ich nicht verschweigen will, war die noch mangelhafte Kanalisation. Zwar sah man einige aufgewühlte Straßen, in denen Heere von Molchen unter der Leitung eines Maulwurfs Röhren legten, aber bis zur Beendigung dieses großzügigen Werkes hatte es noch gute Weile. Inzwischen erschien in den Häusern von Zeit zu Zeit ein übelriechender, aber im Grund gutartiger, ja humorvoller Wiedehopf mit einem kleinen Lokomobil und einem langen Schlauch, durch den er die Senkgrube ausleerte. An solchen Tagen speisten wir im Gasthaus.

Nach dem Frühstück sah es Frieda gern, wenn ich ausging, da vormittags ein Mann im Haushalt immer stört. Ich wartete nur die Post ab, die mir Grödling ebenso wie mein Gepäck pünktlich nachsandten – Briefe und Drucksachen wurden von Tauben, Telegramme von Schwalben, Pakete von Renntieren, Geld von Beutelratten gebracht – und begab mich zuerst in den Postelschen Weinkeller, um nach dem Rechten zu sehen und dann, da selten etwas zu tun war, in die Bibliothek, wo ich meine etwas vernachlässigten philosophischen Studien wieder aufnahm. Mit den beiden Marabus, den Bibliothekaren, hatte ich mich bald befreundet. Oft plauderten wir angeregt über das »Ding an sich«. Der eine war sehr ernst und schwur auf Kant und die deutschen philologischen Methoden, der andere war ein ausgemachter Skeptiker, um nicht zu sagen Zyniker. Oft sah ich, wie er beim Lesen, tief in die Blätter gebeugt, behaglich seinen Kropf streichelte und sich heimlich ins Fäustchen lachte. Er war gerade mit dem Ordnen von Pamphleten und Karrikaturen aus den vierziger Jahren beschäftigt, um sie später als Separatdrucke zu veröffentlichen unter dem Titel: »Sardellen für satirische Näscher.« Hübsch nicht wahr?

Sonntags gingen Frieda und ich zusammen in die Kirche. Obwohl ich katholisch bin, sie aber Protestantin war, bot dies keine Schwierigkeit. Es gab nämlich nur einen großen Tempel für alle Bekenntnisse – eine verkleinerte Hagia Sophia. An der Decke des Rundbaues sah man in geheimnisvoll einfallendem bläulichem Licht in Riesengröße das in einem Kranz von Goldflammen strahlende Auge Gottes; in den zahlreichen Nischen aber hatte jedes der zahlreichen Bekenntnisse einen Raum zum eigenen Gottesdienst. Für mich hatte der protestantische Kult selbst wenig anziehendes. Der Pfarrer, eine große Spinne von der Gattung Weberknecht mit langen dünnen Gliedmaßen vermochte mich nicht zu erbauen, dafür aber entschädigte reichlich der Organist, ein noch ganz junger Elefant, der allsonntäglich herrlich Bach und Händel spielte, so daß Anhänger aller Bekenntnisse hier zusammenströmten. In der katholischen Nische war die Musik nicht annähernd auf dieser Höhe, dagegen fand der Priester, ein Dompfaff mit schwarzem Käppchen und zinnoberroter Brust durch zündende Beredsamkeit den Weg zum Herzen. Zwei junge Raben dienten ihm morgens bei der Messe und abends beim Rosenkranz als Ministranten. Als Philosoph besuchte ich natürlich auch die anderen Nischen. In der israelitischen knüpfte ich sogar eine schätzenswerte Bekanntschaft an mit dem hochgelehrten, vielsprachigen Rabbiner Dr. Feiwe Philo, einem alten Nilkrokodil aus der durch kein amerikanisches Kaimanblut verfälschten, echten Linie. Er führte seinen Stammbaum zurück auf die alten alexandrinischen Juden, deren Nachkommen über Spanien, wo sie sehr geehrt wurden, nicht durch die erniedrigenden polnischen Ghettos nach Mitteleuropa gekommen seien. Er fühlte sich ganz und gar als Aristokrat. Feiwe bedeutete soviel wie Phöbus; Philo war sein Gelehrtenname, in Erinnerung an seinen großen Ahnen Philo von Alexandria. Viel Zuspruch hatte er übrigens nicht. Die jüdische Gemeinde war klein. Die Gebrüder Kaiman entledigten sich ihrer Pflichten gegen die Synagoge durch Stiftungen; dagegen erschien der Mädchenhändler Moische Schönheit regelmäßig am Freitag Abend. Er war streng orthodox und beklagte sich, daß hier das Passahfest nicht streng genug nach dem Ritus begangen würde. Dr. Feiwe hingegen war selbst aufgeklärt und neigte zum Zionismus. In der russischen Nische sah man hauptsächlich Bären und Wölfe vor dem bunten Ikonostas knien. Der Pope war ein Stachelschwein, ebenso harmlos wie wehrhaft aussehend. Besonders besucht war die mohammedanische Nische, aus der ein Minareh ins Freie emporwuchs. Von dessen Galerie aus rief der Muezzin, eine schneeweiße Eule, die Gläubigen viermal im Tag zum Gebet. Da sah man denn allerlei Getier heranziehen, Giraffen, Strauße, Zebras und viele andere. Die indische Nische, auch außerordentlich besucht – von Tigern, Leoparden, unzähligen bunten Vögeln und Schlangen – war zweigeteilt. In der brahmanischen Abteilung lag der Priester, eine bunte Abgottschlange in dicken Windungen vor dem vierköpfigen, vierarmigen Brahmabild, das auf einer Lotosblume saß, während das Brahmaputrahuhn um ihn herum seltsame Schritte vollführte; in der buddhistischen Abteilung gab es keine Priester; dagegen wimmelte es von Mönchen: Raupen, Larven und Faltern, welche die Lehre von der Seelenwanderung bekannten. Auch hier waren die Gläubigen teils Elefanten und Strauße. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Tiergattung nicht notwendig auch einen bestimmten Glauben bedingte. So war z. B. Seine Majestät katholisch und hatte ihre Hauskapelle in der Residenz. Fast in jeder Nische sah man Getier aller Art, nur wogen überall andere Arten vor. In der Nische der Parsi war der Feuersalamander Priester. Totengräberkäfer trieben Ahnenkult. Das Präriehuhn besorgte in einer Nische sämtliche Sekten der neuen Welt zugleich. An einer Seitenwand hing dort die verblaßte Photographie von Mrs. Eddy, der Begründerin der christlichen Wissenschaft. In dieser amerikanischen Kirche wurde nach dem Gottesdienst Thee gereicht und zwanglos geplaudert über Wetter und Geld. Dort sah ich oft Mr. Puma, einen jungen amerikanischen Silberlöwen, der später eine unheilvolle Rolle im Tierreich spielen sollte. Schon damals fiel mir der Gegensatz auf zwischen der furchtbaren Bosheit seines Gebisses und den andächtig blickenden Augen. Auch die Heilsarmee hatte guten Zulauf, zum Teil Häsinnen und besonders Lämmer, enttäuschte einstige Insassen der Maison Pompadour. Als wir hier vorüberkamen, drückte mir Frieda in heimlicher Aufwallung heftig die Hand, als danke sie mir, daß ich sie vor dieser Zuflucht bewahrt habe. Zwei Perlhühner ehrten das Andenken an Mrs. Blavatsky. Mit Schauern der Ehrfurcht erfüllte mich eine Nische, in der nordische Tiere, Riesenwale, Eisbären und Polarfüchse, Schneehasen, Schneeammern, Kolkraben, Eiderenten und Möwen noch zu Odin beteten. Der Priester war ein Elch. Übrigens gab es hier viele Proselyten neueren Datums, Stiere, Affen und Ochsen, die den Protestantismus verlassen hatten; ja sogar ein Olm und ein Axolotl waren darunter, dieser war Professor der Germanistik, jener Zeitungsschreiber, beide nur auf ihren Ferienwanderungen durch die deutschen Ströme und Bäche im Tierreich verweilend.

Der Spätsommer brachte noch viele schöne Nachmittage, die wir mit Ausflügen in die abwechslungsreiche Natur ausfüllten. Frieda war eine völlig schwindelfreie Kletterin. Kaum vermochte ich ihrem munteren Schritt zu folgen, wenn wir die Nadelwaldzone hinter uns ließen und in die kahlen steinigen Höhen kamen. Die sonst Ängstliche schien über Felsen und Abgründen in ihrem Element. O wir waren durchaus nicht in allem ähnlich, aber wir achteten unsere gegenseitige Verschiedenheit. Dachs und Ziege gleichen sich nicht, aber sie ergänzen sich darum um so besser. Ich bedarf, um nicht zu grüblerisch zu werden, munterer Bilder um mich; Frieda hingegen, die sprunghaft Haltlose, bedarf des Schwergewichts eines besonnenen Genossen. Völlig einig waren wir nur in der Liebe zur Sonne, in deren Schein wir oft selig lagen, am Ufer eines kleinen Sees. Ein Walfisch ersetzte dort das Dampfschiff mit zwei Seehunden als drolligen Schiffsjungen. Oft fuhren wir auf seinem bequem eingerichteten Rücken umher, Kaffee trinkend und Kuchen essend, uns an dem Geplätscher der zwei Springbrunnen erfreuend, die aus seinen blumenumpflanzten Spritzlöchern gerade emporstiegen. Es gab auch eine Schwimmanstalt mit Sonnenbad. Frieda erklärte, sie könne zwar ganz gut schwimmen, täte es aber ungern; nun, jeder hat seine Schwächen. Ich schwamm dagegen oft hinaus. Ein älteres Walroß, dessen forscher Schnurrbart nicht lange über seine Gutmütigkeit täuschen konnte, war Schwimmlehrer. Seekühe gaben verschämt das Badezeug heraus. Eine etwas Gesprächige hieß Emma. Sie erzählte mir, daß im Winter hier viel Eissport getrieben würde. Dann kämen die Eisbären aus ihren gefrorenen Palästen in kleidsamen grünen Anzügen herunter und zeichneten sich durch elegantes Schlittschuhlaufen aus. Sogar Quadrille tanzten sie. Dagegen gewöhnten sie sich nur widerwillig an das Skilaufen.

Nur mit Wehmut kann ich der Herbstabende denken, wenn wir in der Dämmerung heimkehrten. Oft kamen wir von den Höhen herunter und sahen zwischen den Tannen die Lichter der Behausungen schimmern. Wie glücklich erschien uns dann unser Heim. Manchmal gingen wir auch nach dem Abendessen noch ins Brettl. Der »star« war dort ein Star, der als Komiker auftrat (Stil Papa Geis), ein Gürtel- und ein Schuppentier waren unübertrefflich als musikalische Clowns; ein Papagei als Damenimitator ließ Frieda Tränen lachen; ein Erdferkel war als Nackttänzerin der ausgemachte Liebling der Offiziere, prächtig anzuschauender Hirsche.

Eigentlichen gesellschaftlichen Verkehr hatten wir nicht, vermißten ihn aber auch nicht im geringsten. Friedas Vergangenheit hätte doch vorläufig ihre Einführung in die Familien mit Damen verhindert. Ihr genügte es, bisweilen ihre Freundin, die Buchhalterin, zum Kaffee, zu laden. Dann sprachen sie zusammen über Magdeburg. Etwas peinlich war uns der Besuch des Privatgelehrten Karl Pfahl, eines Kuckucks, der in einem Paket Eier seiner Frau brachte und Frieda allen Ernstes das Angebot machte, sie, natürlich gegen einen entsprechenden vorherzuzahlenden Tagespreis, auszubrüten. Seine Frau habe nämlich dazu keine Zeit, weil sie ihm bei einer wissenschaftlichen Arbeit helfen müsse. Was der sich wohl einbildete! Natürlich warf ich ihn hinaus. Über bösartigen Klatsch hatten wir uns übrigens nicht zu beklagen, da wir uns nirgends vordrängten. Nur die Ökonomierätin, deren Entbindung nahe bevorstand, soll einmal von Frieda als von »dieser Person« gesprochen haben. Auch die »jeunesse dorée« zeigte anfangs einiges Interesse. Bisweilen balzten – trotz der Jahreszeit – Auer- und Birkhähne vor unseren Fenstern in den possierlichsten Stellungen. Frieda stand hinter den Vorhängen und lachte sich halb tot. Etwas mehr Eindruck machten ihr die Räder schlagenden Pfauen, aber gefährlich konnten auch sie ihr nicht werden. Sie wußte zu gut, was sie an mir hatte. Immerhin veranlaßten mich diese Ereignisse, unsere Trauung zu beschleunigen. Sie wurde eines Sonntags im Tempel von dem Dompfaffen vorgenommen. Friedas Stimme war vor Rührung tränenerstickt, als sie das laute und vernehmliche Ja aussprechen sollte. Nun war unser Glück vollkommen. Auch wirtschaftlich ging es uns ganz gut. Mein Gehalt war so reichlich, daß ich einen Teil davon auf die Bank tragen konnte, die von zwei Polypen, einem Brüderpaar, geleitet wurde.

Ich speiste bisweilen abends bei Postel in der gewohnten Gesellschaft und traf hie und da die beiden Bibliothekare im Kaffeehaus. Gegen Ende des Winters gab ich ein kleines Herrenessen, wobei ich sie mit Dr. Feiwe Philo zusammenbrachte. Auch Postel erschien, der sonst nie in Gesellschaft ging, außer zu den unvermeidlichen Veranstaltungen des Hofes; er freute sich, daß es mir gelungen war, gerade die geistreichsten Leute zueinander zu bringen. In der Tat – ich muß es selbst sagen – hatten die Gespräche jenes Abends eine geradezu attische Würze. Die Spaße des Dr. Karfunkel, den ich wohlweislich nicht geladen hatte, wurden nicht vermißt, das kann ich wohl versichern. Frieda zeigte bei Tisch ihre glänzendsten Hausfraueneigenschaften. Sie hatte alles allein gemacht mit der einzigen Hilfe unserer Aufwärterin Frau Schupp, der alten Waschbärin. Das niedliche Katzenfrett Mizzi bediente. Bei Tisch hatte Frieda den Ehrenplatz. Sie war in helllila gekleidet und leicht ausgeschnitten. Die Herren konnten ihr gar nicht genug Schmeicheleien sagen. Beim Braten brachte der lustige Marabu einen Toast auf sie aus, den sie beim Dessert mit einem Glas Champagner schüchtern erwiderte. Dann war sie plötzlich mit feinem Takt verschwunden, ehe sich noch bei den Herren das Bedürfnis nach Untersichsein fühlbar gemacht hatte. So wurde sie geradezu vermißt.

Der alte Rabbiner hatte merkwürdige Handschriften mitgebracht, die gerade in einem syrischen Kloster gefunden worden waren. Sie gaben ganz neue Einblicke in das semitische Heidentum vor der monotheistischen Jahwereligion. Postel erklärte dies für neue Offenbarungen. Der Ernste der beiden Marabus ging auf den Inhalt nicht ein, legte vielmehr die philologische Methode an und bestritt die Echtheit der Handschrift; aber der gelehrte Philo setzte ihn durch seine Begründungen völlig matt. Der lustige Marabu freute sich, weil wieder ein neuer menschlicher Wahnsinn entdeckt sei. Ich war als Wirt entzückt, daß der Abend so interessant verlief. Postel kündigte dem Rabbiner für morgen seinen Besuch an. Er wünschte die Handschriften für die Bibliothek zu erwerben. Als sich spät nach Mitternacht die Herren verabschiedet hatten – wir wußten nicht, daß dies der letzte glückliche Abend im Tierreich gewesen war – fand ich Frieda noch wach. O die Schelmin! Sie wollte noch von mir das Lob ihrer Hausfrauenleistung hören. Oft hatte ich nachts zu ihrer Freude in ihren Armen auf eine halbe Stunde Dachsgestalt angenommen. In dieser Nacht, dem Höhepunkt meines Glückes, lösten sich unsere Arme überhaupt nicht. Der junge Tag sah mich zum erstenmal als Dachs.


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