Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Fürstin Z. war Polin von leidenschaftlichster Überzeugung. Den größten Teil des Jahres lebte sie im Osten des Landes als gesellschaftlich-politischer Mittelpunkt eines unruhigen, kleinen Kreises von Gutsbesitzern ihrer Nationalität an der Seite eines schweigsamen jagdliebenden Gatten, der ihre Überzeugungen im stillen teilte und sie daher äußerlich völlig gewähren ließ. Alle paar Wochen jagte sie, von einer Jungfer und einem Diener begleitet, in die Hauptstadt, wo sie nahe dem Tiergarten ein kleines Absteigequartier von 3 Zimmern mit ein paar Nebengelassen hatte, ihr »pied à terre«, wie sie es nannte. Dort verbrachte sie zunächst Stunden in erregten Gesprächen am Fernsprecher; bald fuhren Automobile vor, Abgeordnete erschienen, katholische Geistliche, fremde Diplomaten. In einem der Nebengelasse klapperten nun während einiger Tage von früh bis spät zwei ahnungslose Berliner Fräulein auf Schreibmaschinen, empfingen Botenjungen und Briefträger. Dazwischen erschienen Schneiderinnen und Putzmacherinnen mit Bergen von Kästen aus buntgeblümter Pappe. Mit ihnen verschwand die bewegliche kleine Fürstin, politische Verhandlungen schnell unterbrechend, in dem winzigen goldgelben Schlafzimmerchen, um nach 10 Minuten, obgleich es vielleicht Vormittag war, in ausgeschnittener Abendkleidung vor ihren Besuchern wieder zu erscheinen, um deren Gutachten über ihre neue Hülle entgegen zu nehmen, als gehöre das zu der eben abgebrochenen Angelegenheit; und jeder fühlte, daß dies auch wirklich dazu gehörte, denn der persönliche Einfluß der bezaubernden Fürstin auch auf die politischen Feinde war groß; da war der Sitz eines neuen Kleides ebenso wichtig wie die richtige Wortwahl in einem folgenschweren politischen Schriftstück. Die Fürstin pflegte sich nicht zu beeilen, ein solches Abendkleid wieder mit dem Tagesgewand zu vertauschen; sie führte gern, so wie sie war, die Besprechung zu Ende, saß mit ihren bloßen, schlanken Armen an ihrem Bouleschreibtischchen, warf mit ihren runden entschlossenen Händchen leidenschaftliche Schriftzüge auf einen seegrünen Papierblock, während die Herren hinter ihr standen, gebannt von den etwas widerspenstigen dunklen Nackenhärchen und den beiden schneeweißen Kugeln, die das Abendkleid gleich einer Fruchtschale halb sehen ließ. Dann entließ sie plötzlich alle Besucher auf einmal, zog sich mit ihrer Jungfer in ihr Schlafzimmerchen zurück und stieg nach einer Stunde in ein Auto in strengem Schneiderkleid, kleinem Hütchen und Schleier, »dezent« von oben bis unten, um beim Frühstück in einem der großen Gasthöfe, wo sie an irgend einem Ecktischchen erwartet wurde, wieder andere Verhandlungen zu pflegen. Hier traf sie häufig Ausländerinnen, die mit deutschen hohen Beamten oder Offizieren verheiratet waren. Die in der Regel französischen, bisweilen auch englischen Gespräche begannen meist damit, daß man sich über die Unmöglichkeit in Berlin zu leben einigte. Es lohne sich nicht einmal sich »anzuziehen«, sagte die kleine Fürstin oft, und gab zu verstehen, daß ihre äußerst »angezogene« Schlichtheit gar nicht als »Angezogensein« zu gelten habe. Damit bezauberte sie alle Frauen. Das schwere Kaliber der Toilette richtete sie nur auf Männer. Unter Frauen schien sie sich selbst auszustreichen. So schützte sie sich vor deren Eifersucht und erfuhr alle ihre Geheimnisse, auch die politischen, die sie von ihren hochbeamteten Gatten herausgelockt hatten. Dadurch war die niedliche kleine Fürstin immer genau unterrichtet über alles, was in den Reichsämtern, den Ministerien, im Bundesrat, in den Ausschußsitzungen des Reichstages und des Landtages vorging. Kein Wunder also, daß die ganze fremde Diplomatie bei ihr vorfuhr, sobald sie in ihrem Berliner »pied-à-terre« erschien.

Von allen diesen Dingen wußte man in dem amtlichen Berlin nichts. Wohl kannte man die kleine Fürstin als eine glühende Nationalpolin, aber diese Schwärmerei hielt man ihr zu gut. Man belächelte sie gönnerhaft, ohne sie im Mund der reizenden Frau ernst zu nehmen; da, wo solche Auffassungen gefährlich werden könnten, würde die Regierung schon das nötige tun. Dabei war diese kleine Frau so gutmütig und ließ sich jeden Spott von den Herren der Schöpfung gefallen, die doch alles besser wissen, und sie hütete sich wohl, durch zu ernste Betonung ihrer Grundsätze bei ihren Partnern im Gespräch die abweisende Dünkelhaftigkeit wachzurufen, die so dicht bei jenem gönnerhaften Wohlwollen der Besserwisser liegt.

Der einzige Mensch, der alles dies durchschaute, war Herr von Hiergeist. Da seine Gattin Erika von Geburt Ausländerin, Deutschrussin, war, fiel sie naturgemäß gleich in den Kreis der Berechnungen der Fürstin. Kaum war sie einmal in Berlin, so wußte es die Fürstin und verfehlte nicht, am Fernsprecher oder in Briefchen Erika durch Liebenswürdigkeiten, ja durch Schmollen zu gewinnen, obwohl Erika fast l0 Jahre jünger war und an gesellschaftlichem Rang unter der Fürstin stand. Aber diese hatte sich nun einmal in das blonde junge Frauchen vernarrt. Sie mußte sie sehen, wenn auch nur auf eine Viertelstunde, und so war die gesellschaftlich ehrgeizige Erika ein paarmal in jenen Kreis von Ausländerinnen gekommen, der sich unzufrieden spottend um die Fürstin scharte. Erikas Ehrgeiz galt aber nicht ihrer eigenen Person, sondern ihrem Gatten. Mit ihm wollte sie steigen, und so erzählte sie ihm getreulich alles, was sie sah und hörte. Ihm wurde immer klarer, daß es sich um eine nicht unbedenkliche ausländische Verschwörung handelte, welche uns zum mindesten nicht ganz freundliche Regierungen dauernd über geheime politische Vorgänge auf dem Laufenden hielt. Dies schien Herrn von Hiergeist um so gefährlicher, als er zu den Wenigen gehörte, die trotz dem allgemeinen Optimismus eine schwere Kriegsgefahr heraufziehen fühlten. Er bestärkte daher zu Erkundungszwecken Erika in dem Verkehr in jenem Kreis, der alles Deutsche herabsetzte und im selben Maße neue Anhänger gewann, als die deutsche Öffentlichkeit in ihren Äußerungen richtungsloser wurde, zwischen willfähriger Schwäche vor dem Ausland und überbetonter Schroffheit hin und her schwankend. Immer lächerlicher wurde in der Hauptstadt die Anbetung alles Fremden und zugleich immer anmaßender das Selbstlob und die Übertreibung deutscher Ansprüche. Unsere Politik wagte sich abwechselnd viel weiter vor, als sie verantworten konnte, um dann wieder viel weiter zurück zu weichen, als eines großen Reiches würdig ist. Durch ihre Leere wie durch ihre Lautheit gleich beleidigende Worte lagen in der Luft, die Genußsucht und die Gier nach Reichtum wurden im ganzen Land immer roher. Die scheinbar künstlerische »Aufmachung« des Lebens verbarg den Abkömmlingen älterer Kulturen nicht die Taktlosigkeiten und den Ungeschmack, die diesem Treiben zu Grund lagen. So kam es, daß die Urteile jenes ausländischen Klüngels nicht ganz unbegründet waren und auch von Männern wie Herrn von Hiergeist teilweise, wenn auch mit Betrübnis, anerkannt wurden. Trotzdem überschritt sein Urteil nicht einen Augenblick die Grenze, bis wohin man in jenen Tadel einstimmen konnte. Er unterschied sehr wohl den mit Recht verabscheuten neuen Berliner Geist von dem alten deutschen Wesen. Aus Erikas Berichten aber erkannte er wohl, daß es sich bei jenen Fremden nicht nur um eine ästhetisch-gesellschaftliche Ablehnung der tatsächlichen Geschmack- und Taktlosigkeiten des hauptstädtischen Lebens handelte, sondern daß irgend etwas gegen Deutschland selbst im Anzug war. Hier merkte er auf. Vor allem: was war an alledem mehr schlechte Laune, was Plan, was nur zufällige, aber nicht verschmähte Nebenwirkung? Noch suchte er nach einigen Anhaltspunkten für eine geheime Denkschrift, die er für einige maßgebende Personen ausarbeiten wollte, als er seine Berufung in den Orient erhielt.

Wie ein Schicksalswink erschien es ihm daher, daß die Fürstin bereits am Fernsprecher nach ihm gerufen hatte. Daß er als vielleicht Einziger ihr politisches Köpfchen nicht für ungefährlich hielt, hinderte ihn nicht, sich von ihr als Frau bezaubert zu fühlen. Dadurch aber, daß sie sich von ihm ernst genommen fühlte, wenn auch als Gegnerin, fiel er für sie gänzlich aus dem Kreis der anderen Herren heraus. Er pflegte, wenn auch ablehnend, stets mit großem Wohlwollen, ja Verständnis für das Psychologische auf ihre polnischen Beweisgründe einzugehen und ihr die deutschen in einem angenehmen Ton vorzutragen, wie etwa die Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts ihren Zuhörerinnen im Salon wissenschaftliche Belehrung gaben. »Excellence«, rief dann die Fürstin aus »quel charmant causeur que vous êtes ... si tous les Allemands étaient comme vous, il y aurait moyen de s'entendre!« Auch in ihr war außer der politischen Berechnung, diesen aufsteigenden Stern und Gatten einer Ausländerin für ihre Zwecke recht nahe zu betrachten, noch etwas anderes lebendig: der weibliche Wunsch zu erfahren, ob denn dieser Herr von Hiergeist, »obwohl ein Deutscher«, wirklich so viel klüger sein sollte, als die andern; ja ihr verwundertes Herzchen gestand sich, daß Herr von Hiergeist als Mann in jeder Hinsicht, »sous tous les rapports,« in Frage kam. Darum rüstete sie gegen ihn ihre stärksten Geschütze.


 << zurück weiter >>