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3. Kapitel.

Der Riesendampfer »Halbgott« machte seine erste Fahrt durch die blaufinstere Sternennacht, die eisig über dem kaum bewegten Weltmeer lag. In vierzehn hell erleuchteten Stockwerken, die unteren mit kleinen Luken, die oberen mit Fenstern und breiten Verdecken, lebten an die fünftausend Menschen. Es ging gegen Mitternacht. Viele waren schon schlafen gegangen. Im Zwischendeck hatten sich die dunklen Haufen der Armseligen für die Nacht nebeneinander geschichtet. Noch trugen die Fahrstühle Menschen in üppiger Abendkleidung von einem Deck auf das andere. Die kleine Bühne hatte soeben ihre Vorstellung »Dollarkönigin« beendigt, und die Zuhörer, die Damen mit funkelnden Büsten, die Herren im Frack, strebten zu den Erfrischungs- und Rauchsälen. In einer Rennbahn übten noch einige Unermüdliche das Radfahren, auf einem umgitterten Platz wurde von ein paar kostbar gekleideten jungen Mädchen ein Ballspiel zu Ende geführt. Ältere Herren verließen in Nachtanzügen eben die Bäder. Bedienstete fegten die Dampfräume, andere ließen das weite Schwimmbecken auslaufen.

Ein alter Kellermeister, der mit jüngeren Männern den großen Palmensaal aufräumte, wo die Gäste zu speisen pflegten, sagte: »Jetzt kommen wir zu dem Friedhof des Meeres. Da bin ich Hunderte von Malen vorbeigefahren. Früher haben wir immer gezittert vor den Eisbergen, die hier nachts wie weiße Gespenster herumirren und die Schiffe zertrümmern. Aber auf den neuen Dampfern hat keiner mehr Angst, bis schließlich doch wieder einmal etwas passiert!« »Was soll denn passieren?« rief ein Jüngerer, der bisher eine Operettenmelodie leise vor sich hin gepfiffen hatte. »Schau, Junge,« sagte der Alte und führte den Anderen ans offene Fenster. »Der schwarze Schatten dahinten mit den zwei leuchtenden Augen, das ist die Sandinsel mit ihren Leuchttürmen. Nur im Sommer kann man dort anlegen. Noch jetzt im Frühjahr ist der Eisgang zu hoch. Dort sind in den letzten fünfzig Jahren 918 Schiffe gestrandet. Bei Tag kann man vom Dampfer aus oft die moosbewachsenen Mastspitzen der Wracks in die Luft ragen sehen. Da liegt mancher Kamerad begraben, mit dem ich die Fahrt über den großen Teich gemacht habe, und auch wohl mancher Vorfahre von mir, der in Seglern oder Kuttern die Reise hinüberwagen wollte. Schaut nur, schaut nur das weißglitzernde Ding dort; so wahr ich lebe, das ist ein Eisberg. Hört ihr den Donner? Das sind die Wogen, die sich an ihm brechen.« »Aber einem Schiff, wie dem ›Halbgott‹ geschieht hier nichts!« rief der Jüngere. »Wer will das wissen!« erwiderte der Alte. »Dort liegen auch Luxusdampfer, schwimmende Paläste, wie man sie nennt, in Trümmern geborsten, die noch halb aufrecht stehen.« »Du machst uns keine Angst,« sagte der Junge, »der ›Halbgott‹ kann teilweise beschädigt werden, aber niemals bersten oder gar sinken. Wenn du das glaubst, dann weißt du nichts von dem, was die Technik vermag.«

*

Auf dem obersten Deck waren einige Herren in der Kabine des Kapitäns, der sie soeben verlassen hatte, um seiner Pflicht obzuliegen. Die Herren entstammten verschiedenen Nationen, aber alle sprachen englisch. Da war zunächst der Geheime Kommerzienrat Teuflin, der größte Ausfuhrhändler Deutschlands. Er sah kaum aus wie ein Mensch, eher wie ein Bewohner eines fremden Sterns. Sein Kopf war groß, rund, gelb und ohne ein Haar. Die Augen verschwanden in tiefen, verwitterten Höhlen, aber es sah aus, als könne er sie, wenn er wolle, wie Fühlhörner ausstülpen. Die Nase schien zweimal geknickt und zum Herausziehen eingerichtet wie ein Fernrohr. Die Ohren sahen aus wie zusammengerollt, aber jeden Augenblick bereit, weit ausgespannt zu werden. Dieser Mann sprach wenig, sah wie geistesabwesend, ja oft etwas einfältig aus, aber hörte umso aufmerksamer zu, während er Whisky mit Sodawasser trank. Sein Reisebegleiter war der größte deutsche Waffenfabrikant Herr von Drachenstedt. Auch er hatte etwas nicht Menschliches, denn er besaß die Schönheit eines Gottes: große stahlblaue, unbewegliche Augen und einen dichten schwarzen Bart um üppige Lippen. Im Sitzen überragte der Mann mit der hohen weißen Stirn alle anderen um mehr als Haupteslänge. Er war es, der hauptsächlich das Gespräch führte. Er wendete sich an einen viel kleineren fetten Mann, der formlos seine feisten Beinchen über einen Stuhl gelegt hatte und behaglich ein Pfeifchen rauchte. Er war kein anderer als Lord Amadill. Hinter diesem Namen aber verbarg sich auf seinen heimlichen Reisen der König der Briten, der es liebte, mit Leuten aller Art zu verkehren und sich nur, wenn es ihm gerade paßte, zu erkennen gab. Neben ihm saß sein Freund, Lord Hellsground, nach Herrn von Drachenstedt der Größte in der Runde, doch nicht so schön wie jener, sondern mit einem langen Pferdekopf und einem ungeheuren gelben Gebiß, das, wenn er lachte, stets aus dem bartlosen Mund hervortrat, und er lachte oft auf grimmige Art. Schloß er die Lippen wieder, dann konnte es vorkommen, daß der linke Eckzahn des Unterkiefers draußen blieb und über die Oberlippe ragte, bis Lord Hellsground dies wieder mit der Zunge in Ordnung gebracht hatte. Der Lord besaß mehrere englische und amerikanische, ja einige französische, italienische und russische Zeitungen. Als Sohn eines Schneiders geboren war er mit l0 Jahren Zeitungsjunge, mit 16 Jahren Zeitungsschreiber, mit 25 Jahren Zeitungsbesitzer, mit 40 Jahren Zeitungskönig, mit 48 Jahren Peer von England, mit 51 Jahren der nächste Freund des Königs. Er war der hauptsächlichste Gesprächspartner Drachenstedts. Voll Ungeduld suchte manchmal der Advokat Diavelin, Abgeordneter der französischen Kammer, zu reden, ein geisbärtiger magerer Mensch mit olivegrüner Haut und großen blitzenden Steinen im Frackhemd und an den knochigen Fingern; aber er war der englischen Sprache zu wenig mächtig, um das Wort an sich reißen zu können. Nicht viel anders ging es dem bleichen italienischen Dichter Satanelli, dessen nervöse Frauenhände ungeduldig auf den Tisch trommelten und dem russischen Diplomaten Wassili Wassiljewitsch Tschortoff, einem schon ergrauten eleganten Herrn, mit dunkel behaarten, mächtigen Händen, der meist französisch sprach. Ihm gehörten die größten Bergwerke des Uralgebirges.

Das Gespräch drehte sich um die Frage, ob es möglich sei, daß die technisch so ungeheuer fortgeschrittene Menschheit noch einmal in einen Krieg verstrickt werden könne.

»Niemals, so lange ich die Presse der halben Welt kontrolliere,« sagte Lord Hellsground.

»Niemals solange ich den Deutschen die besten Waffen liefere, denen keiner zu trotzen wagt,« rief Herr von Drachenstedt.

»Niemals, solange ich regiere,« bemerkte der Lord Amadill gemütlich; »denn die Welt wird vorziehen, gute Geschäfte zu machen und ihr Leben zu genießen.« Der König lächelte behaglich.

»Aber Majestät,« sagte plötzlich der Geheimrat Teuflin und seine Augen traten etwas vor, »wozu dann Ihre Bündnisse?«

»Eine Gegenfrage, lieber Geheimrat,« versetzte der König. »Wozu Ihre Rüstungen?« Teuflin: »Eben wegen Ihrer Bündnisse.« Lord Amadill: »Nein, diese wegen Ihrer Rüstungen.« »Köstlich,« rief der Franzose, »das nennt man das Gleichgewicht Europas.« Der König: »So ist es, maître Diavelin, und fühlen wir uns nicht alle wohl dabei? Unsere Vettern, die Deutschen, machen dabei ausgezeichnete Geschäfte, und wir ebenfalls. Keinem wird einfallen, den anderen darin zu stören.«

Der Eckzahn des Lord Hellsground ragte bedenklich über die Oberlippe.

»Aber wir Majestät,« wagte der Dichter zu sagen, »die Abkömmlinge des alten Roms, sind ein armes Land.«

»Das ist wahr,« versetzte der König leutselig, »darüber wird man demnächst reden; man wird euch etwas geben, damit ihr auch bessere Geschäfte macht.«

»Und das Testament Peter des Großen?« fragte plötzlich Wassili Wassiljewitsch auf Französisch. »Und unsere verlorenen Provinzen?« fügte Maître Diavelin hinzu. Der gemütliche König hielt seine kleinen runden Ohren zu und sagte: »Meine Herren, meine Herren, was sind das für indiskrete Fragen? Kommt Zeit, kommt Rat. Wir in diesem Kreis werden uns immer vertragen, denn, wie gesagt, wir haben ja alle dasselbe Ziel: Angenehm leben und Geld verdienen. Ist es nicht so, meine Herren?«

Der König ließ sich Champagner einschenken und stieß mit allen an. Herr von Drachenstedt sagte plötzlich: »Und wenn es Krieg gibt, dann ist das vielleicht das allerbeste Geschäft.« Alle räusperten sich; Wassili Wassiljewitsch erzählte später, er habe genau gesehen, wie der Geheimrat bei diesen Worten seines Freundes einen kurzen Augenblick lang Augen, Ohren und Nase weit herausstülpte, um sie sofort wieder einzuziehen.

»Ich protestiere, meine Herren,« rief Lord Hellsground. »Auch ich hoffe, daß wir alle ein gemeinsames Ziel haben, aber ich wäre betrübt, wenn es ein anderes sein sollte, als die Entwicklung und Verbreitung der Zivilisation.« »Seien wir offen,« erklärte Drachenstedt und seine sonst kalten Augen flammten apostelhaft, »das alles sind Machtfragen.« »Nicht für uns!« erwiderte Lord Hellsground. »Weil Sie ein Viertel der Welt erobert haben.«

»Aber mit freiwilligen Berufssoldaten, denen der Krieg ein willkommenes Abenteuer war,« warf der König ein, »dies ist der wichtige Punkt! Heute dagegen wird man kein Volk mehr in das Abenteuer eines Krieges stürzen können.« »Außer den Franzosen, wenn es den Ruhm der Nation gilt,« rief Mâitre Diavelin lebhaft. »Und außer den Italienern« erklärte Satanelli, »wenn es gilt das alte Imperium Romanum zu errichten.« »Und außer den Russen,« meinte Tschortoff, »wenn es gilt das griechische Kreuz auf die Sophienkirche zu Konstantinopel zu setzen.« »Und außer den Engländern, wenn man ihnen versprechen kann, daß sie durch den Krieg doppelt so reich werden.« Geheimrat Teuflin und Herr von Drachenstedt tauschten lächelnd Augurenblicke. »Da haben wir noch etwas besseres, um das Volk zu führen wohin wir wollen,« sagte Teuflin pfiffig. »Und das wäre?«fragte der König, dem fast unheimlich wurde. »Wir besitzen einen Zauber,« erklärte Drachenstedt schlicht, »womit wir wie Chirurgen dem Volk seinen Willen schmerzlos herausschneiden und in dem Hohlraum etwas einnähen können. Erwacht das Volk aus der Narkose, dann vermißt es nicht das geringste, ist vielmehr stolz, nicht mehr zu wollen, sondern nur noch zu sollen.« Die Zuhörer waren teils ungläubig, teils lief ihnen das Entsetzen eiskalt über den Rücken. »Wenn wir Ihnen das glauben sollen,« sagte der Russe, der so etwas am wenigsten begriff, »dann sagen Sie uns, was das für ein Zauber ist.« Diese Frage schien allen etwas kindlich, doch zu ihren, besonders Lord Hellsgrounds Erstaunen, erklärte Drachenstedt bereitwillig: »Ich will Ihnen den Zauber nennen, denn nachahmen kann man ihn nicht. Er setzt ein philosophisch gebildetes Volk voraus. Er ist der sogenannte kategorische Imperativ, mit dem ich mich anheischig mache, das Volk in jedem beliebigen Zweck einzuspannen den unser Geschäft verlangt.« »Das ist ja furchtbar,« sagte der kleine dicke König fast wimmernd, »wie nennen Sie das Ding?«

»O Majestät,« versetzte Geheimrat Teuflin fast sentimental, »Sie sind auf dem Thron geboren. Aber so ein armer Napoleon der Industrie, kann man ihm übel nehmen, daß er auch 'n bißchen nach Macht strebt?« Obwohl der Geheimrat englisch sprach, verriet doch der Tonfall dieser Rede, daß er aus Hamburg stammte. Dem König war sie offenbar sehr peinlich; da trat Mr. Winighea Mischief herein. Er war ein Freund des Lord Hellsground, dem er vor kurzem seine amerikanischen Zeitungen verkauft hatte, um sich ganz dem Juwelenhandel zu widmen.

»Setzen Sie sich, Mischief,« sagte der König erleichtert. »Was bringen Sie Neues?«

»Ich habe die gelben Steine aus meinen Koffern herausgesucht. Wie gesagt: es gibt nur sieben auf der ganzen Erde. Da Se. Majestät keinen erwerben will« – (der König winkte ziemlich lebhaft ab) – »kann, wie heute früh besprochen, jeder von den Herren einen haben.«

Er reichte den beiden Deutschen, dem Lord Hellsground, dem Franzosen, dem Russen und dem Italiener je einen Goldreif mit dem Stein Tott. »Den siebenten« erklärte er, »hat soeben der Präsident dieser Schiffahrtslinie an seinen Finger gesteckt, Mr. Smalldevil.«

»Da können Sie aber heute mit Ihrem Geschäft zufrieden sein, Mischief«, sagte der König.

»Ja, das bin ich,« erwiderte jener und rieb sich die mageren gelben Hände.

»Und nun will ich Ihnen noch etwas verraten,« fügte er hinzu, »vielleicht lachen Sie mich aus, aber wir Amerikaner sind eben so wundergläubig wie wir smarte Geschäftsleute sind. Diese Steine sind Glückssteine, und darum bedaure ich, daß Se. Majestät keinen erworben hat. Sie werden alle bald bemerken, daß Ihnen Ihre Unternehmungen unerwartete Erfolge bringen werden.«

Alle lachten, während sie noch das Feuer ihrer Steine prüften. Nur der italienische Dichter deklamierte ernst ein paar Verse von Tasso und Wassili Wassiljewitsch ging einen Augenblick in seine Kajüte, um den Ring an einer Kette mit Kreuz zu befestigen, die er um den Hals auf der bloßen Haut trug.

*

Indessen stand auf der Kommandobrücke besorgt der Kapitän Coldenhead, ein kleiner Mann mit gelbem Seehundschnurrbart. In seinem Rücken flüsterte der Präsident der Linie, Mr. Smalldevil heftig auf ihn ein, ein fetter älterer Herr mit gewöhnlichem, etwas gedunsenem Gesicht und grauem Backenbart.

»Sie erhalten 20 000 Dollars bei der Ankunft, wenn Sie den Rekord brechen, Coldenhead. Fahren Sie so schnell, wie es irgend geht. Wir müssen es dieses Mal den deutschen Schnelldampfern zuvortun. Lange genug hat es das seefahrende England ertragen, daß ein anderes Land das blaue Band des Ozeans besitzt.«

»Aber, Sie wissen nicht, wo wir uns in diesem Augenblick befinden, Herr,« erwiderte der Kapitän. »Um den Weg zu kürzen, sind wir schon viel zu weit nach Norden geraten. Hören Sie denn nicht den Donner in der Ferne? Das sind die Massen, die sich von den grönländischen Eismauern gelöst haben.«

»Oh, wir sind weit von Grönland!« lachte Mr. Smalldevil ungeduldig.

»Aber die Ströme des Windes und des Meeres treiben das Eis bis hierher. Ich habe heute abend bereits drei drahtlose Warnungen von Schiffen erhalten. Sehen Sie dort den weißen Rücken über der Flut, das ist ein Eisberg.«

Mr. Smalldevil hatte ein Opernglas um den dicken Hals hängen. Er schaute durch in der vom Kapitän gewiesenen Richtung.

»Dies kleine Ding?« fragte er erstaunt. »Je kleiner sie sind, desto gefährlicher,« sagte Coldenhead, »desto weiter ragt der unterseeische Fuß des Eisbergs, Ich sage Ihnen nur soviel, daß wir jeden Augenblick an so ein Ding stoßen können und dann Gnade uns Gott.«

»Unsinn,« schnaubte Smalldevil,»ein Grund mehr, möglichst schnell durch die Gefahrzone hindurchzueilen, der »Halbgott« ist unversinkbar. Für Beschädigungen macht Sie die Gesellschaft nicht verantwortlich. Brechen wir dieses Mal den Rekord, dann tut es nichts, in was für einem Zustand der »Halbgott« in New York ankommt. Also los, Mann! Stellen Sie die Höchstgeschwindigkeit von 24 Knoten ein, und im Falle eines Unfalls schließen Sie sofort sämtliche Schotten. Wozu haben Sie denn den elektrischen Knopf da neben sich? Heute soll etwas gewagt werden! Ich wünsche, daß wir schneller, als es je geschah, durch die Eisfelder fahren und daß diese Fahrt historisch wird.«

»Dieser Wunsch wird Ihnen in Erfüllung gehen, Mr. Smalldevil,« sagte Mr. Winighea Mischief, der plötzlich aus dem Dunkel hervorgetreten war.

»So, glauben Sie, glauben Sie?« fragte Smalldevil erregt.

»Ich weiß es, denn Sie tragen ja den gelben Glücksstein am Finger.«

»Ach was, darauf gebe ich nichts, ich glaube an die Technik.«

In diesem Augenblick ertönte ein gewaltiger Krach. Der Kapitän stieß einen Fluch aus.

»Was gibt's?« rief Smalldevil. Mr. Winighea Mischief aber brach in ein Gelächter aus und verschwand im Dunkel. Dann flog er in Rabengestalt auf und setzte sich auf die Spitze des obersten Mastes, die Dinge erwartend, die nun kommen würden.

*

Die Nacht war ganz klar, nur leichte Nebel lagen auf dem Meer, viele Reisende vergnügten sich beim Tanz, andere hörten noch im Musiksaal Spiel und Gesang zu, als jener Krach ertönte, das Schiff stehen blieb und alle elektrischen Lampen erloschen. Man hörte die Hebel knarren, durch die der Kapitän mit einem Ruck die Maschinen zum Stillstand brachte und die wasserdichten Türen schloß. Im Vertrauen auf die Unversinkbarkeit des ›Halbgott‹ zeigten die Menschen mehr Neugier als Furcht. Fackeln und Laternen wurden angezündet und warfen ein ungewisses Flackern umher. Man umringte die Deckoffiziere, die erklärten, es handele sich um eine kleine Schraubenstörung. Einige Reisende, die schon zur Ruhe gegangen waren, stürmten in schnell übergeworfenen Kleidern die Treppen hinauf, aber sie beruhigten sich, als sie von Lachenden empfangen wurden, die am Reeling lehnten; darunter waren vertrauenerweckende alte Seeleute der Mannschaft, welche sie »ängstliche Landratten« nannten. Dennoch wurden Rettungsboote klar gemacht. Die in der Nähe Stehenden ließen sich hineindrängen. Die Boote wurden hinabgelassen. »Nur eine Vorsichtsmaßregel,« rief ein wohlgelaunter Offizier, »zum Frühstück werden alle wieder an Bord sein.« Dieses Vertrauen steckte an. Viele lachten und gingen Karten spielen oder in die Kajüten zurück. Indessen ruderten aber die gefüllten Boote schnell davon. Dies, erklärte der lustige Offizier, geschehe nur, damit nicht ein Boot beim Niederlassen in ein anderes falle, was doch kein Spaß sei. Nein, das sei wirklich kein Spaß, bestätigte mancher.

*

In der Kabine für drahtlose Telegraphie, die sich nächst der Kommandobrücke befand, schliefen zwei junge Beamte, Smyder und Skelly. Plötzlich steckte der Kapitän den Kopf durch die Tür und rief: »Schnell aufstehen. Wir haben einen Zusammenstoß mit einem Eisberg. Rufen Sie um Hilfe!«

Die beiden sprangen aus ihren Kojen. Smyder eilte schlaftrunken an den Apparat. Skelly sagte lachend: »Was der Alte für Angst hat!« Smyder gab das Notsignal CQUD, und Skelly belustigte sich damit die Buchstaben als Wort auszusprechen und machte Zkwud, zkwud. In zehn Minuten war die Antwort des Dampfers van Broedermann da, der mit Volldampf zu kommen versprach. Als Skelly zum Kapitän eilte, um dies zu melden, fand er das Verdeck bereits voll aufgeregter, schreiender Menschen. »Es ist ernst,« rief er, zurückkehrend, Smyder zu, der im Nachtanzug am Apparat saß und weitere Verbindungen suchte. Unten ließ eine Musikkapelle einen amerikanischen Tanz toben, obwohl immer neues Krachen das ganze Schiff erschütterte. Eisige Kälte drang herein. Skelly kleidete sich an und warf dem arbeitenden Kameraden einen Rock über die Schultern. Dieser merkte mit Schrecken, daß der Apparat immer schwächer ging. Der Kapitän kam zurück und sagte, im Maschinenraum sei Wasser eingedrungen. Das konnte Smyder dem van Broedermann noch mitteilen. Er arbeitete unausgesetzt weiter, den Mantel über den Schultern, keinen Blick hinter sich werfend, während die Panik der vom Tod Bedrohten immer lauter wurde. Skelly half dem nun aufrecht am Apparat Stehenden in die Kleider und warf sich und ihm Rettungsgürtel um. Der Kapitän rief beiden zu: »Ihr habt eure Pflicht getan; mehr kann nicht geschehen. Jetzt mag jeder an sich selbst denken. Während Skelly in einem Gefach Geld zusammenkramte, eilte ein Mensch vorbei, der Smyder mit einem Griff den Rettungsgürtel abzog. Noch immer hörte man die Musikkapelle wie in großer Entfernung.

*

Plötzlich erglühte die elektrische Beleuchtung wieder und goß Lichtfluten über die sich wie wahnsinnig in einander verquirlenden Menschen, welche, die Männer stoßend und tretend, die Weiber kratzend und beißend, den Weg nach den Rettungsbooten suchten. Die Verdecke waren zerquetscht, die Seiten des Schiffs und die wasserdichten Abteilungen aufgerissen. Die oberen Galerien und einige Rettungsboote lagen zersplittert in den niederen Stockwerken, dazwischen erschlagene Menschen und heulende Verwundete. Der Kapitän kommandierte laut von seiner Brücke aus. Durch das ganze Schiff tönten Rufe: »Alle Passagiere an Deck.« Aus dem Maschinenraum scholl ein fauchender Lärm wie von brüllenden Tieren. Weit ausgeschnittene Damen voll Diamanten, andere in spitzenbesetzten Nachtkleidern wurden fast erdrückt und gebärdeten sich so hilflos, daß sie, vor den Rettungsbooten stehend, nicht hineinzusteigen wagten; andere wollten sich von ihren männlichen Angehörigen nicht trennen, bis man sie schnell umfaßte und sie hineinwarf, wo sie am Boden liegen blieben. »Alle Mann zurück,« riefen die Offiziere; an die Boote herandrängende Männer wurden mit Revolvern ferngehalten, einige Schüsse fielen, Salpetergeruch stieg auf, man sah geschwärzte Gesichter. Andere Männer, die den Frauen den Vortritt lassen wollten, wurden dagegen von rückwärts in die Boote gestoßen. Eine hochschwangere Frau rief aus dem Boot ihrem auf dem Schiff verbliebenen Gatten zu: »Auf Wiedersehn in New York.« Einige sprangen nackt über Bord, in der eisigen Flut klammerten sie sich an die massenhaft herumschwimmenden Eisschollen.

Plötzlich geriet das Schiff unter der Gewalt des einströmenden Wassers ins Schwanken und legte sich stark auf die Seite. Aus dem Zwischendeck, von wo aus viele auf herabgelassene Flöße sprangen, hatte ein Knäuel zerlumpter Menschen in bunten Lappen, die halbnackten Weiber mit Säuglingen auf dem Arm, den Weg hinaufgefunden, weil sie glaubten, die Reichen würden zuerst gerettet; da wollten sie teilhaben, denn vor dem Tod sind alle gleich. Nun wurde der Kampf um die Rettungsboote immer erbitterter. Manche fielen leer in die Flut hinab und erschlugen dort einige Schwimmende, während sie anderen eine Zuflucht gewährten. Wiederum ertönte ein Krachen und Zischen, das alles bisherige Getöse an Kraft übertraf, die Schiffskessel barsten unter der Berührung mit der eisigen Flut. Viele Menschen wurden aus den unteren Räumen über Bord geschleudert. Das Meer kochte einige hundert Meter weit auf in weißem Gischt. Noch immer tönte von irgendwoher Musik, und zwar der amerikanische Choral: »Näher mein Gott zu Dir.«

Nicht wenige Menschen waren innerlich so gelähmt, daß sie willenlos jeden Eindruck aufnahmen, der sich ihnen bot. So standen einige um ein altes Ehepaar herum, das sich Arm in Arm hielt. Vergebens hatten Matrosen versucht, sie zu trennen und die Frau in ein Rettungsboot zu schleppen. Der Mann erzählte ruhig, daß er und seine betagte Gattin in jahrzehntelanger Arbeit zusammen ein großes Vermögen erworben hätten und nun auch gemeinsam in den Tod gehen wollten. Die Zuhörer klammerten sich offenen Mundes an diese Worte wie geängstigte Kinder an die beruhigende Märchenerzählung der Mutter. In der Nähe ertönten Revolverschüsse. Zwei Männer, die sich umschlungen hielten, hatten sich erschossen und fielen rittlings über den Reeling in die Flut. Das Beispiel fand Nachahmung. Ein junger Mensch schoß einem Mädchen in die Schläfe und dann sich selbst. Schon wartete ein Dritter, um dem Toten die rauchende Waffe zu entreißen und auf sich selbst zu richten.

Der folgende fand die Ladung verbraucht und warf die Waffe ärgerlich beiseite. Ein alter Herr, dessen Frau und Kinder um keinen Preis ohne ihn die Boote hatten besteigen wollen, eilte in den Speisesaal und kam schnell zurück, die Arme voll von Flaschen mit starken Schnäpsen, als hätte er in einem überfüllten Vergnügungslokal dank seinen Ellenbogen doch für sich und die Seinen Erfrischungen erobert. Er teilte die Beute unter sie aus. Wie wohl oft in glücklichen Zeiten zog der besorgte Vater seinen Pfropfenzieher heraus. Der Älteste schlug seiner Whiskyflasche an der Wand den Hals ab und reichte sie der Schwester. Alle küßten sich, dann setzten sie, dicht beisammen stehend, die Flaschen an die Lippen und versuchten die scharfen Getränke auf einen Zug zu leeren. Die Frauen sanken schnell zu Boden. Die Männer setzten ein paar Mal an, bis sie hintaumelten. Den Alten überkam zuletzt noch eine plötzliche Heiterkeit, und er pries den Herandrängenden sein Mittel eines schmerzlosen Todes, nach dem Speisesaal deutend, wo noch Whisky in Hülle und Fülle sei, dann fiel auch er nieder.

Nachdem der Kapitän Coldenhead alles getan hatte, was in seinen Kräften stand, erklärte er zwei Offizieren: »Ich ziehe vor, auf meinem Schiff zu sterben, als im Wasser.« Er eilte in seine Kajüte, wo ihn die beiden Offiziere einholten, um ihn am Selbstmord zu hindern. Er entwischte ihnen, sprang über Trümmer von Masten und Holzwänden, und schoß sich, hinter einem Schornstein verborgen, in den Mund. Eine hohe Woge spülte den Leichnam sofort ins Meer.

*

Noch immer lag die See spiegelglatt unter dem sternenhellen Himmel. Die Rettungsboote waren vorwiegend von Frauen und Kindern besetzt, doch bei weitem nicht bis auf den letzten Platz, während noch zahllose Ungerettete von dem Schiff herunterriefen. Hunderte von Menschen mit Rettungsgürteln schwammen in der Flut zwischen Eisschollen, halb erstarrt die Berührung der Boote suchend. Hände wurden ihnen entgegengestreckt und mancher wie im Traum heraufgezogen, um dann sofort in Bewußtlosigkeit zu versinken. Andere Schwimmende hörte man plötzlich wild aufgurgeln, ehe sie versanken. Einzelne Boote wurden von den sich außen Anklammernden gekippt und die sich schon gerettet Wähnenden versanken.

Um diesem Schicksal zu entgehen, befahl Mr. Smalldevil, der aufrecht in einem wenig besetzten Boot stand, einem Matrosen, die sich an den Rand klammernden Hände mit einem Beil, das zum Durchschneiden der Taue gedient hatte, abzuhacken. Einige Totenhände blieben an dem Boot hängen. Manche von den Insassen der Rettungsboote waren wie gebannt von dem zauberhaften Anblick, den das ganz langsam in die dunkle Flut sinkende erleuchtete Schiff bot, dessen Schornsteine schwarzen Rauch, Flammengarben und Wolken von Glutfunken ausspieen. Raketen stiegen auf, eine letzte Hoffnung auf Hilfe. Die unheimlichsten Geräusche waren hörbar, als ob alle Maschinen im keuchenden Kampf gegeneinander arbeiteten. Das Schiff tauchte mit dem Vorderteil ein, wie ein riesenhafter Wasservogel. Bis zuletzt ertönte zwischen den jammernden Hilferufen von irgendwoher eine Musik. Noch immer sprangen viele Menschen herab in die Flut, während andere oben mit sich kämpften, ob sie den Sprung wagen sollten; wieder andere standen still am Reeling, dem wirren Schauspiel wie aus einer anderen Welt zusehend, den Tod erwartend. In einiger Entfernung erhoben sich blauweiß schimmernd, oft völlig in weißen Gischt getaucht, die Flanken eines weiter südlich treibenden Eisbergs.

Sechs Stunden trieben die Frierenden in den Booten auf dem bedrohlichen Eisfeld umher. Einige starben, andere begannen laut zu husten, als müßten sie ersticken und zitterten im Fieber. Frauen hielten in den Armen wimmernde Säuglinge, deren Mütter nicht aufzufinden gewesen waren. Manche der rudernden Männer verließ die Kraft, so daß einzelne Frauen gezwungen waren, zeitweise die Ruder zu ergreifen. Die schweren Eismassen drängten die Boote in immer größere Entfernung voneinander. Auf einigen brannten Laternen, die den anderen immer noch die Richtung anzeigten. Noch sah man am Nachthimmel die ungeheure Masse, das leuchtende Schiff, bis es plötzlich in die Tiefe schoß, leeres Dunkel zurücklassend.

Da erschienen gegen Morgen Lichter in der entgegengesetzten Richtung; es war der durch den drahtlosen Telegraphen zu Hilfe gerufene Dampfer van Broedermann, der, wie versprochen hatte, mit Volldampf zur Unglücksstelle eilte. Alle Boote strebten ihm in der gespenstischen Dämmerung entgegen. So verwirrt es beim Verlassen des ›Halbgott‹ zugegangen war, so einfach vollzog sich nun alles. Kaum ein Dutzend Boote mit etwa je 50 Insassen und einige Flöße mit Zwischendeckern, meist Russen und Polen, waren gerettet worden. Sie schwammen alle so weit voneinander entfernt, daß sie sich beim Anlegen an den van Broedermann kaum störten. Viele Gerettete vermochten nicht aufzustehen, geschweige denn allein das Fallreep zu erreichen; ihre Füße waren erfroren oder zerquetscht. Mit Mühe wurden sie hinaufgebracht, von festen Armen umfaßt und sofort in Betten gebracht.

Die Reisenden des van Broedermann stellten ihre Kajüten zur Verfügung und gaben warmes Zeug her. Bettdecken wurden als Notkleider für Frauen und Kinder zurecht geschnitten. Die Ärzte stellten viele Fälle von Lungenentzündung sowie Arm- und Beinbrüche fest. Bei jener Hochschwangeren, die den Gatten auf dem »Halbgott« zurückgelassen, hatten die Wehen begonnen; sie wurde in die Kapitänskajüte gelegt. Es fanden sich im ganzen sieben Säuglinge von unbekannter Herkunft. Eine Mrs. Theodosia Spinsy von stattlicher Figur, auf der Adlernase einen Kneifer, dessen schwarze Schnur sie über dem rechten Ohr trug, lief erregt in einem lila Schlafrock umher und erzählte immer wieder, die rudernden Männer seien alle ohnmächtig geworden. Wenn nicht die Frauen entschlossen eingegriffen hätten, wären die Boote zweifellos im Eis stecken geblieben. Endlich stieß sie auf einen Journalisten in Pyjamas, der sie sich nicht entgehen ließ und alle ihre Angaben auf einen Block schrieb. Sie war die erste, die im stand war und Lust bezeugte, Zusammenhängendes über die Vorgänge berichten.

*

Was nun unsere Freunde betrifft, die wir beim Champagner in der Kapitänskajüte des »Halbgott« verlassen haben, so war es ihnen inzwischen vorzüglich ergangen. Ihnen hatte Mr. Coldenhead sofort reinen Wein eingeschenkt. Gleich nach dem Zusammenstoß trat er in seine Kajüte und sagte ihnen, noch hoffe er zwar das Schlimmste abzuwenden, für die nächste Stunde bestehe überhaupt keine Gefahr, doch sei es vernünftig, sich auf alles vorzubereiten. Die sturmerprobten Männer begaben sich darauf in aller Ruhe in ihre nahen Luxuskajüten, nur Signor Satanelli war etwas nervös. Sie zogen warme Westen an, doppelte Socken, feste Stiefel, hüllten sich in ihre Pelze und versahen sich mit Halstüchern und gutem alten Brandy. Es versteht sich, daß sie alles an sich nahmen, was sie von Wertsachen und Papieren mit hatten. Lord Hellsground ließ sich vom Kapitän die zwei zuverlässigsten Matrosen rufen und versprach jedem fünftausend Dollars. Sie machten gleich ein von den anderen etwas getrennt befindliches Rettungsboot klar. Lord Hellsground erklärte, den linken Eckzahn zeigend, den inzwischen zurückgekommenen reisefertigen Herren, er mache sich ein Vergnügen daraus, sie zu einem kleinen »trip« einzuladen. Mr. Coldenhead berichtete, daß der van Broedermann bereits Rettung versprochen habe. Es war also nichts anderes zu befürchten, als ein paar Stunden auf der kalten Flut treiben zu müssen. Was bedeutete das für Männer wie Lord Hellsground, der ein eifriger Robbenjäger war?

Inzwischen hörte man von den darunter liegenden Verdecken Schreien und Stöhnen, aus dem Maschinenraum ertönte bedenkliches Getöse, die Dampfsirenen machten einen betäubenden Lärm. Der Italiener, der in seinem eleganten Straßenpelz etwas schlotterte, meinte, es sei nun wohl Zeit, das Boot zu besteigen. So fuhren die Herren unbemerkt ab, zunächst nach der entgegengesetzten Richtung, wie die anderen Boote. Der Rabe Winighea aber saß auf seinem Mast und kreischte vor Lust.

In einiger Ferne umkreiste das Boot die Unglücksstelle. Hie und da ergriff einer der Herren selbst die Ruder, um sich durch Bewegung etwas warm zu machen. Selbst der dicke kleine König versuchte dies eine Weile. Der Italiener erinnerte angesichts des sinkenden Schiffs an Dante. Geheimrat Teuflin hatte alle seine Sinnesorgane fest eingezogen und schien wie erstorben. Wassili Wassiljewitsch küßte sein Kreuz. Maître Diavelin rief dauernd: » Ah les malheurex, les malheureux,« wobei er die eigene Rettung sichtlich rauschhaft genoß. Nur Herr von Drachenstedt und Lord Hellsground berieten sachlich. Als der van Broedermann in Sicht kam, hatten sie gleichzeitig den Gedanken, es würde besser wirken, wenn man erst die anderen Boote anlegen ließe. So erschien ihr glückhaftes Schiff als letztes im Augenblick, als die ersten Sonnenstrahlen flach über die Flut fielen. Ein bißchen steif vom langen Sitzen im Boot stiegen die in ihre Pelze Gehüllten am Fallreep hinauf in vortrefflichster Frühstücksstimmung. Der erste, der sie oben begrüßte, war Mr. Winighea Mischief. »Nun, bringen meine gelben Steine nicht Glück?« fragte er. »Sie alle sind vom Schicksal noch zu großen Dingen aufgespart!«

Im Offizierssalon stand der Teetisch mit blitzendem Silbergerät. Eine angenehme Wärme kam aus dem Kamin, an dem ein kleiner Diener Weißbrot röstete. Ein Grammophon spielte ganz gedämpft, fast wie eine Spieldose: » God save the King.« Dies alles war das Werk Mr. Mischiefs.

*

Nach dem Frühstück ließ sich der Präsident der Linie, Mr. Smalldevil, bei den Herren melden. Bleich und erregt kam er herein. Seine Backen waren blau. Der kräftige Körper beherrschte kaum das Zittern. »Man sucht einen Sündenbock, meine Herren« rief er, »und wer ist da geeigneter, als der Präsident? Dabei bin ich Privatpassagier, wie jeder andere. Es sind Journalisten an Bord, meine Herren. Sie bedrängen den drahtlosen Telegraphen. Wenn Sie ahnten, was da unten vorgeht, es ist die reine Revolution. Rund herausgesagt, meine Herren... Majestät... Hier suche ich Schutz, ich bin ein Familienvater.«

Mr. Smalldevil knickte zusammen, mit einem Riesentaschentuch die blutrote Stirn wischend. Lord Hellsground zeigte sein Gebiß, Geheimrat Teuflin zuckte mit Nase und Ohren. Der König aber sagte: »Nun meine Herren, ich denke, leben und leben lassen sei auch hier unser Grundsatz!« Sofort wiederholte Tschortoff diese Worte, und auch die andern stimmten ein. So wurde unter dem Vorsitz des Lords Hellsground »das Komitee der Überlebenden« gegründet, der Kapitän des »van Broedermann« gebeten den Telegraph zunächst zu sperren und unter den Geretteten hervorragende Persönlichkeiten in den Offizierssalon zu bitten. Dem Komitee traten bei: der berühmte amerikanische Philantrop Isidor Niederhofheim, Major Froghhickler, der persönliche Adjutant des Präsidenten der Vereinigten Staaten, der New Yorker Theaterdirektor Flegenhaus, Mr. Cardeza, die bekannte Sportsautorität, Mr. Cosmo Hippack, der erfolgreiche Romanschriftsteller, Mr. Geo Measeframe, der größte Briefmarkensammler der Welt, das erschütternde Medium Hama Hamalamion, der Kupferkönig Mr. Lawche-Jubiet, der Kohlenkönig Thomas Oxenham und der Schweinekönig Angel Chibinaze. Diese Herren setzten ein Schriftstück auf, das sich die allein authentische Darstellung der Vorgänge nannte, – gewissermaßen aus der Vogelperspektive gesehen, wie Mr. Winighea Mischief treffend bemerkte – mit dem Zweck »sensationelle und übertriebene« Meldungen zu verhindern. Es begann folgendermaßen: »Die Unterzeichneten sind betrübt, gezwungen zu sein, einem jener fürchterlichen Ereignisse gegenüberzutreten, die manchmal im Rate der Vorsehung beschlossen sind, die unsere Vorsicht zunichte machen, die eine noch so kühne Phantasie sich nicht ausdenken kann, und die uns empfinden läßt, wie arm unsere Worte sind. Wir können unserer Bewunderung dafür nur unvollkommenen Ausdruck geben, daß die besten Traditionen der See beobachtet, daß willig alle erdenklichen Opfer gebracht worden sind. Insbesondere sind wir einem glücklichen Zufall dankbar, daß der Präsident der Linie selbst, Mr. Smalldevil, als Privatpassagier usw. usw.« Dieses Schriftstück ließ Mr. Smalldevil sofort durch Schreibmaschine vervielfältigen, steckte die Bogen in Briefumschläge, und legte Schecks auf eine Bank in New York bei. Die Briefe ließ er durch den Obersteward an die Journalisten, Beamte, Politiker und sonstige hervorragende Personen auf dem Schiff verteilen.

Die Vorwürfe, Mr. Smalldevil habe den Kapitän zur Übereilung der Fahrt veranlaßt, und sei im Augenblick der Gefahr unter Zurückdrängung Anderer zuerst in ein leeres Boot gestiegen, dessen Bemannung er selber bestimmte, die laienhafte Behauptung, statt des Schwimmbades und der Radfahrbahn hätte man auf dem »Halbgott« lieber für die dreifache Zahl von Rettungsbooten sorgen sollen, waren fast verstummt, als sich der van Broedermann New York näherte. Vielmehr waren alle Überlebenden nun überzeugt, daß sich die Ausbootung in musterhafter Ordnung vollzogen und jeder Einzelne sich als Held erwiesen habe. Man entsann sich sogar besonders bewunderungswürdiger und rührender Einzelheiten im Verhalten des Mr. Smalldevil. Seiner Entschlossenheit allein verdankte man z.B., daß die Frauen zuerst gerettet wurden. Er war gesehen worden, wie er selber zwei von den Säuglingen unbekannter Herkunft auf den Armen zu den Booten trug. Inzwischen wurde in der Kapitänskajüte ein amerikanisches Knäblein geboren, dem die beglückte Mutter zur Erinnerung den Vornamen »Halbgott« gab.


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