Maximilian Schmidt
Glasmacherleut'
Maximilian Schmidt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV.

Am Vorabend des Palmfestes, dem Beginne der Osterferien, finden wir Franz, den Geschäftsführer von Elisenthal, auf demselben Wege wieder, auf welchem wir vor zwölf Jahren die erste Bekanntschaft mit dem kleinen Studenten gemacht hatten. Er stand auf der Höhe der Absetz, aufmerksam die Bergstraße hinabblickend und auf das Gerassel eines Wagens mit derselben Sehnsucht lauschend, wie damals, als er mit Herrn Pladls Gespann so bitter getäuscht wurde. So freudig, wie damals sein junges Herz den Seinigen entgegenschlug, ebenso freudig schlug es heute in der Erwartung eines frohen Wiedersehens nach langer Trennung; Liese kehrte heute von Wien zurück. Länger als es vorauszusehen war, blieb sie in der Fremde. Die Base, bei welcher sie sich aufgehalten, wurde mit schwerer Krankheit heimgesucht, und da sie außer Liese keine völlig zuverlässige Person in ihrem Hause hatte, bat sie das Mädchen, daß es bei ihr bleiben möge, bis sie wieder vollständig gesund sei; aber dieses währte lange, – dieses traf gar nicht mehr ein, und Liese konnte es nicht übers Herz bringen, die brave Frau in ihrer bedrängten Lage zu verlassen. Mit der Liebe einer Tochter pflegte sie die Kranke und führte außerdem das Geschäft mit einem Verständnisse und mit Vorteilen, daß die kranke Base Gott gar nicht genug danken konnte, ihr im Alter eine solche Stütze geschickt zu haben. Aber sie wollte es nicht glauben, daß 192 dieses ihre letzte Krankheit sei, sie dachte an nichts weniger als ans Sterben, und nie kam es ihr in den Sinn, ein Testament zu machen, um ihre künftigen Erben zu bestimmen. Von seiten ihres Mannes lebten sehr nahe Verwandte; aber diese kümmerten sich gar wenig um die Lebende. Prannes, der nur für Lieses Wohl sorgte, schrieb freilich einmal ohne Umstände an die Schwester, sie möge für Lieses Zukunft sorgen und spielte auf ein Testament an, aber die Kranke erwiderte hierauf, er möge sich vollkommen beruhigen, niemand erhielte von ihr etwas, als Liese, und sobald sie wieder gesund sei, wolle sie sofort zum Gerichte gehen und ihren letzten Willen aufnehmen lassen, worin sie Liese als ihre Universalerbin einsetze.

Die Base starb und – das Testament war nicht abgefaßt. Die Verwandten, welche sich früher nie blicken ließen, waren jetzt auf einmal vollzählig da. Sie nahmen Beschlag von allem, was da war, und eines Tages kam von der Liese ein Brief nach Hause, worin sie ihren Vater bat, er möge ihr ein Reisegeld schicken, damit sie so bald als möglich dem Kreise der Habsüchtigen entfliehen und nach Hause könne.

Prannes, der seit Jahren von nichts lieber träumte, als sein Mädchen würde einstens mit einem Kapital von wenigstens fünftausend Gulden aus der Kaiserstadt zurückkehren, zählte jetzt kopfschüttelnd die ersparten Thaler zusammen und trug sie nach Lohberg zum Schullehrer, welcher sich erboten hatte, die Liese von Wien abzuholen und beim dortigen Gerichte die Erbansprüche von Prannes geltend zu machen. Aber der wackere Freund konnte nichts ausrichten; ein Brief von ihm setzte Prannes in Kenntnis, daß er zwar mit leeren Taschen, aber mit einem 193 bildschönen und braven Mädchen am Freitage vor dem Palmfeste in Klattau eintreffen werde, wohin ihm Prannes mit Kellermeiers Fuhrwerk entgegenfahren möge. Das geschah, und heute mußte das Fuhrwerk zurückkehren, zurück mit dem von Franz so sehnlichst erwarteten Mädchen. Was fragte er darnach, ob das Mädchen reich oder arm zurückkomme! Wenn es nur wieder da sei, wenn es nur das alte Herz wieder brächte, das sie ihm geschenkt: diesen Besitz hielt er für den schönsten Reichtum in diesem Leben. – Unwillkürlich gedachte er aber auch der Wandlung im Schicksale des Pladelschen Hauses.

Rosalie hatte recht, als sie ihrem Vater gegenüber die Befürchtung aussprach, daß alle Blitze, die er auf Schrenk und Prannes herabwünschte, keinen anderen Weg fänden, als in sein eigenes Haus. Schwärzer und immer schwärzer zogen sich die Wolken über demselben zusammen, kein freundlicher Lichtstrahl konnte diese dunkle Schichte mehr durchbrechen. Die Verschwendung seines Weibes und seiner Söhne, der schlechte Absatz der Gläser, eine Menge unvorhergesehener Unglücksfälle – kurz: der vormals so reiche und angesehene Hüttenherr stand eines Tages als vergantet in den öffentlichen Blättern und seine Besitzungen zur Versteigerung ausgeschrieben. Pladl überlebte diese Schmach nicht; das Unglück war zu groß, der Schmerz um das Verlorene, die leider nicht ungerechten Selbstanklagen rieben ihn nach und nach, sozusagen auf; – er starb unausgesöhnt mit den Seinen, von welchen, außer Rosalie, keines an seinem Sterbelager stand, um ihm die Augen zuzudrücken, von denen auch sonst keines des Segens eines Sterbenden wert gewesen wäre. –

Die großen Besitztümer Pladls wurden zertrümmert 194 und um einen Spottpreis an die Meistbietenden verkauft, die Hütte ward dem Verfalle preisgegeben. Frau Pladl und ihre Söhne suchten im Genusse des Branntweines das Unglück ihres Hauses zu vergessen, und als sie das letzte, was sie besaßen, in der Lotterie verloren hatten, bettelten sie. Die Mutter starb als Bettlerin, die Söhne folgten ihr bald nach, und Rosalie? – man wußte nicht, wohin sie gekommen. Man hatte sie, nach dem Falle ihres Hauses, ein Päckchen auf dem Rücken, welches ihre wenigen Habseligkeiten enthielt, über die Grenze wandern sehen; – sie hatte es nicht vermocht, die Schmach der Ihrigen mit anzusehen, sie floh die Stätte des Uuglückes, um Ruhe zu finden in der Fremde. – – –

»Arme Rosalie!« rief Franz mit dem Ausdrucke des tiefsten, innigsten Bedauerns. Jetzt wurde er aber aus seinen trüben Betrachtungen durch eine über die Absetz heraufkommende Frauensperson gestört. Fast hörbar schlug ihm das Herz. War es Liese? Doch nein, die konnte es wohl nicht sein; es hätte doch auch Prannes mit dem Wagen in der Nähe sein müssen. Und doch, sein Herz schlug immer lauter, ein süßer Schauer überkam ihn. »Sie ist's ja nicht!« sagte er halblaut, als wolle er sich selbst besänftigen. »Nein, das kann Liese nicht sein, so schön, so groß, so –«

»Franzl!« rief jetzt die Ankommende, »kennst mich wohl gar nicht?«

»So bist du's richtig!« entgegnete Franz, mit freudigem Jubel dem Mädchen entgegeneilend, »Lieserl! Lieserl! Grüß dich Gott, Lieserl!«

Nach diesem Erkennen wurde nichts mehr gesprochen, man hörte nur mehr »Lieserl« und »Franzl«; dazwischen 195 ein wahres Schnellfeuer von Küssen, und wenn sie damit fertig, fingen sie wieder von neuem an.

»Ho! ho!« schrie jetzt in heiterem Tone der alte 196 Prannes, während der Lehrer applaudierend »Bravo!« rief. Sie waren mit dem Fuhrwerk langsam nachgerückt und bei den sich Begrüßenden angelangt, ohne daß es diese bemerkt hatten. Franz eilte auf Prannes zu und drückte ihm freudig die Hand. Auch jetzt sagte er kein Wort; aber seine Augen waren naß und sahen ihn gerührt an.

»Is nachher die Sach schon in Richtigkeit?« fragte Prannes dann lächelnd.

»Wenn der Göd nichts dagegen einznwenden hat,« entgegnete Franz, »wir zwei, die Liese und ich, wir zwei wissen, was wir wissen wollen.«

»Und woaßt auch, Franzl, daß's Deandl nix mitbringt von Wean, als z'riss'ne Schuah und abg'nutzte Kleider, und daß ihr dös G'sindel da unten außer die fünstausend Gulden, die ihr von Gott und Rechts wegen g'hört hätt'n, bald auch dös bißl g'nommen hätt'!«

»Was liegt dran,« entgegnete Franz; »die Lieb' und Treu, die sie mir wieder mitbracht hat, ist mir lieber, als aller Reichtum in der Welt, und ich wär ein sauberer Geschäftsführer, wenn ich nicht einmal eine Frau ernähren könnt'!«

»Bs! bs!« entgegnete Prannes, »so weit san wir no' nöd, aber der Cymbal-Toni hat g'sungen: Was nöd is, kann no' wern! Iatzt aber setzt's enk auffi aufs Wagl, daß wir eini kommen in d' Lamm, und wenn wir auch koane fünftausend Gulden bei uns hab'n, wir mach'n dennast heut um zehntausend Gulden an' Spektakel.«

Prannes hatte recht; als er in gestrecktem Trabe durch das Dorf fuhr, liefen die Leute vor die Thüren, um die 197 »Wienerin« wiederzusehen, und wie ein Lauffeuer ging es durch den Ort, daß sie die Hochzeiterin des jungen Geschäftsführers von Elisenthal sei.

Dann ging es Lohberg zu, wo Frau Prannes und der alte Schrenk der Ankunft der Ihrigen mit Sehnsucht entgegensahen, und als sie endlich kamen – wer fände Worte, die Lust der Mutter zu beschreiben, als sie nach so langer Trennung ihr schönes, braves und einziges Kind wieder zärtlich an ihre Brust drücken konnte!

In Lohberg sollte Nachtlager gehalten werden, weil man hier bei Freund Kellermeier das Wiedersehen der Liese feiern und wieder einmal an diesem Orte verweilen wollte, wo man vor vielen Jahren so vergnügte Stunden hingebracht hatte. Aber nicht das frohe Wiedersehen allein wurde gefeiert, sondern auch – die Verlobung von Franz und Liese.

Andern Tages, als am Palmfeste, gingen unsere Freunde wieder zur Kirche, wie vor zwölf Jahren, und der Lehrer hatte die Brautleute überredet, wieder dasselbe Offertorium mit Gesang und Flötensolo vorzutragen, wie damals, als das Lieserl zum erstenmal ein Solo sang.

Nach dem Gottesdienste ließen sie sich von den »Pueribuben« etwas vorsingen und mit schönen Palmgerten beschenken, und damit allen Erinnerungen an die Ereignisse jenes Tages würdige Rechnung getragen würde, gingen die Verlobten auch noch zum Regenbache hinunter, wo ja seinerzeit der Bund ihrer Herzen geschlossen wurde.

Sie gedachten lächelnd der hier gebauten, schönen Luftschlösser von Hüttenherrn und Hüttenfrau; der Franz hielt 198 diesen Platz auch heute noch zum Ausbau einer Glashütte wie geschaffen.

»In zehn Jahren,« sagte er, »will ich mir so viel ersparen, daß ich diesen Platz kaufen und eine Hütte bauen kann.«

Franz war nicht wenig überrascht, als jetzt Herr Kellermeier, hinter ihm stehend, sagte: »Wer wird denn da zehn Jahre warten? Heuer wird's noch baut; der Platz g'hört mir und d' Hütt'n wern wir bald habn. Der Herr Lehrer hat mir längst den Plan ins Ohr gesetzt und ich kann ihn nöd verdammen. Du bist ein fleißiger, junger Mensch, Franzl, und verstehst was; du verdienst, daß man dir unter d' Arm greift. – Also wenn's dir nachher recht is, wird d' Spiegelhütten baut und du kannst es in Pacht nehmen, so lang d' willst, oder kannst mir's nach und nach abzahl'n und als Eigentum erwerb'n. Schmeckt dir dös?«

Franz war sprachlos. Seine kühnsten Pläne und Hoffnungen waren verwirklicht, noch eher als er es zu hoffen gewagt! Liese lächelte dem freundlichen Manne mit unendlicher Freude entgegen.

»Ja, Herr Kellermeier,« rief sie, »ich weiß gar nicht, was ich thun muß, Ihnen meinen Dank auszudrücken?«

»Dös will i dir glei' sag'n,« entgegnete der alte Herr; »an' Schmatz möcht i von dir und dös an' g'hörigen.«

»Den soll'n's hab'n,« rief Liese, und noch bevor sich's der Bauherr versah, hatte er nicht nur einen, sondern mehrere Küsse von den schönen Lippen des jungen Mädchens erhalten.

Der alte Schrenk und Prannes waren über dieses unerwartete Glück ganz außer sich vor Jubel.

199 »Dös is a Freundschaftsstuck,« sagte Schrenk zum Lehrer, »daß 's 'n Kellermeier dahin bracht habt's. Unser Herrgott wird Enk's vergelten, wir können's nöd.«

»O ja,« entgegnete der Lehrer, »glaubt Ihr, ich hab's umsonst gethan? Ich verlang von Euch auch einen Gefallen.«

»Im voraus d' Hand drauf,« rief Prannes.

»Dann verlang ich, daß Ihr, Prannes, der Schmelzmeister auf der neuen Hütt'n werdet und Ihr, Schrenk, auch wieder nach Lohberg übersiedelt, damit wir alle wieder beisammen sind und uns wieder unterstützen können in Leid und Freud!«

»Das war schon längst mei' Wunsch,« entgegnete der alte Schrenk; »alle geh'n wir wieder umma auf Lohberg. Zwölf Jahr lang war'n wir von einander trennt, verleb'n wir die paar Jahrln, die uns unser Herrgott noch's Leben schenkt, glückli und zufried'n miteinander.«

»Einverstanden!« rief Prannes. »Jetzt freut mi mei' Leb'n erst wieder doppelt, daß i's Lieserl aa ohne die g'hoffte Erbschaft glückli woaß und die alten Glasmacherleut nimmer ausanander müaß'n. Die neu Lohbergerhütten soll nöd die schlechtest' wern im Wald, dafür steht der Prannes!«

»Und wann soll die Hochzeit sein?« fragte Franz.

»Auf Bartlmä,« antwortete Prannes, »wenn der Almakirta am Arber is, dort z' höchst ob'n auf 'n Berg soll d' Hochzeit g'feiert wern!«

»Warum dort oben?« fragte Franz.

200 »Warum? Weil's mir z' eng wäret in der Stub'n oder im Thal; wenn d' Freud so groß is, da muaß 's frei sei' um mi, und weit muaß i umaschau'n können in der Welt, weil i die ganz' Welt erfüll'n möcht mit meiner Freud'!«

Diesem Vorschlage wurde von allen freudigst beigestimmt, nur Franz und Liese dachten sich im stillen: »Wenn nur Bartlmä schon da wär'!« 201


 << zurück weiter >>