Maximilian Schmidt
Glasmacherleut'
Maximilian Schmidt

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VIII.

Die nun folgende Charwoche war für alle Personen eine wirkliche Leidenswoche geworden.

Der Jäger ward auf Befehl des Landrichters nach Kötzting gesendet, nachdem er zuvor noch dem Lehrer und dem Prannes gründlichen Bericht über die ganze Angelegenheit abgestattet. Er bestätigte auch wiederholt auf Zächerls Anhalten, daß der Hüttenherr ihm auf Schrenk ein Schußgeld gesetzt habe, eine Handlung, welche den Prannes und sein Weib sowohl, wie auch den Schulmeister aufs tiefste empörte.

»Wenn dem so is,« sagte Prannes, »so hat man sich vorz'seh'n; i weiß, was i thu'.«

Am darauffolgenden Tage zog er ein besseres Gewand an, nahm den Gebirgsstock und ging Zwiesel zu. Er suchte Herrn von Poschinger in Zwieselau auf, welcher sich schon früher Mühe gegeben hatte, den tüchtigen Schmelzmeister für seine Spiegelfabrik zu gewinnen, und dieser unterhandelte mit dem freundlichen Hüttenherrn nur eine kurze Weile, so war er bei ihm in gleicher Eigenschaft, wie auf der Lohbergerhütte, angestellt und konnte seine neue Stelle zu jeder Zeit antreten. Nachdem dieses geordnet, ging er auf dem Rückwege über Rabenstein und suchte Herrn Steigerwald, den Besitzer der weltberühmten Glashütten zu »Regenhütte« und »Schachtenbach«, auf, um hier für Schrenk einen Platz zu erhalten, da für diesen Herr von 101 Poschinger gerade keine freie Stelle mehr hatte. Er wußte, daß Herr Steigerwald einen kräftigen Glasmacher brauchte, der imstande wäre, die kolossalen Glasstürze zu fabrizieren, und da sich, was Kraft und Geschicklichkeit anbelangt, nicht leicht ein anderer mit Schrenk messen konnte, so nahm Herr Steigerwald das Anerbieten von Prannes mit Freuden an, daß Schrenk bei ihm Dienste nehme, und war hierbei auf den Vorteil des Freundes redlich Bedacht genommen.

Nachdem Prannes seinen Zweck erreicht, trat er den Rückweg nach Lohberg wieder an und ließ sich, hier angekommen, sofort bei Herrn Pladl melden.

Der Hüttenherr ließ ihn in sein Zimmer treten und fragte nach seinem Begehr.

»Herr von Pladl,« entgegnete Prannes, »i begehr nöd mehr und nöd weniger, als mein' Abschied.«

Pladl war auf so etwas nicht vorbereitet und nicht ohne Verlegenheit stand er jetzt dem Schmelzmeister Prannes gegenüber. Er suchte sich aber zu fassen und fragte mit anscheinender Ruhe:

»Und darf man fragen, warum?«

»Das Warum können 's Ihna leicht denken. Mir is mei' Kamerad Schrenk mehr wert, als alle andern Leut' auf der Welt, mei' Wei' und mei' Deandl ausg'nomma, – und wer dem Schrenk ans Leben geht, der geht aa mir dran, und wer für 'n Schrenk a Karolin Schußgeld zahlt, der is mei' Feind und – daß i's grad 'raus sag' – der Feind san Sie und mit uns zwoa is's vorbei. Iatzt wissen's es. Nix für unguat.«

»Ich bitt mir mehr Respekt aus!« rief jetzt der stolze Hüttenherr. »Ihr vergeßt, mit wem Ihr sprecht. Ich weiß längst, daß Ihr es mit dem Schrenk haltet und halt 102 Euch nicht auf, wenn Ihr fort wollt. Was aber das Schußgeld angelangt, so möcht ich wissen, welcher Schurk so was behaupten kann?«

»Der b'haupt's, dem 's den saubern Auftrag geb'n hab'n, 'n Schrenk ins Unglück z'stürzen; der Kramerkropfet b'haupt's und niemand zweifelt dran, daß 's nöd so is.«

»So steht's?« rief der Hüttenherr. »Noch heut jag' ich den Kerl aus meinem Dienst. Von solchen Leuten bin ich umgeben? – da will ich mir Luft machen! Wie g'sagt, Prannes, Ihr werdet leicht zu ersetzen sein, so gut, wie Euer Kamerad, der Schrenk.«

»Da drauf, Herr von Pladl, muaß i Ihna dennast ebbas erwidern. Was mi anbelangt, so kann's wohl sein, daß 's bald an' andern Schmelzmeister hab'n, aber wie's mit sein' G'schick und seiner Ehrlichkeit beschaffen is, da wird sich Ihr Geldbeutel am besten recht bald auskennen. I bin nöd hochmütig, aber i bild mir dennast ein, i hätt' mei' Sach nöd schlecht g'macht und der Herr von Pladl san durch mi grad auch nöd ärmer worn. Nix mehr iatzt von mir; weil's mi verächtli wegwerfen, muaß i mi selber dennast a weni ehr'n. Was aber mein' Kamerad'n, 'n Schrenk, betrifft, so muaß i Ihna 's grad sag'n, daß Sie 's bitter bereu'n wern, den Mann a so behandelt z'hab'n. Wer denn soll künftig die groß'n Spiegel blas'n? Wer denn? In der Hütt'n is koaner und weit und breit is aa koaner; und an' bravern Menschen giebt's nöd, so weit die Welt steht, als 'n Schrenk. Herr von Pladl, dös hab i Ihnen sag'n woll'n; nix für unguat.«

Der Hüttenherr hatte keine Lust, sich länger mit dem gereizten Manne abzugeben. Sein Hochmut erlaubte ihm 103 auch nicht, beschwichtigend auf den offenen Charakter des Prannes einzuwirken; im Gegenteile, er hatte ein Mittel, den Uebermut dieses Arbeiters am fühlbarsten zu strafen, ein Mittel, welches er in der Regel gegen seine Untergebenen gebrauchte: die Verachtung. Mit anscheinend vollkommener Ruhe und Kälte sagte er daher nach einer kleinen Pause:

»Am ersten Mai ist dem Schrenk seine Zeit aus; von mir aus seid Ihr nicht aufgehalten, Prannes, wenn Ihr gleich mit ihm fort wollt.«

»Soll a Wort sein!« entgegnete Prannes.

»Euer Geld soll Euch der Buchhalter ausbezahlen,« setzte Herr von Pladl noch hinzu. »Ich erlass Euch und Eurem Kameraden, der ohnedies in Kötzting sitzt, den Abschied von mir.«

Stolz wandte er dann Prannes den Rücken und entfernte sich aus dem Zimmer.

Prannes war etwas verwirrt geworden. Die Ruhe Pladls hatte ihn aus seiner Fassung gebracht; er wollte noch etwas entgegnen, aber der Hüttenherr hatte sich bereits entfernt. Daß dieser so wenig Umstände mit seinem Abschiede machte, das hatte er in der That nicht erwartet. Das kränkte ihn; aber sein Zorn auf Pladl ward dadurch nicht vergrößert, es bemächtigte sich seiner im Gegenteile ein Gefühl der Reue.

»Am End bin i dennast z' voreilig gwen,« sagte er zu sich selbst. »Es hat ihm weh tho', daß wir 'n alle verlass'n woll'n.«

Prannes, welcher noch vor einigen Minuten dem Pladl die schönsten Grobheiten ins Gesicht hätte sagen können, wäre jetzt, wenn dieser wieder herausgetreten und ein 104 freundliches Wort zu ihm gesagt hätte, für ihn sozusagen ins Feuer gegangen. Aber der Hüttenherr kam nicht mehr heraus. Der Schmelzmeister, der jedesmal, wenn er nach einem Gedanken suchte, sein Brisilglas zu Rate zog, nahm eine tüchtige Prise Schmalzler und verließ langsam die Stube und das Haus des Hüttenherrn. Er blickte noch von der Straße einigemal zum Fenster hinan, ob ihn Pladl nicht mehr zurückriefe, aber – es geschah nicht. In Gedanken verloren, entfernte er sich und war in der Wirtsstube von Kellermeier angekommen, ohne daß er dies eigentlich beabsichtigt hatte. – Lassen wir ihn. Er war hier in Gesellschaft des Wirtes und des Zächerl, welchen die Teilnahme um Schrenk herbeitrieb, gut aufgehoben und schien sich auch nach und nach wieder zu fassen und zu der Ueberzeugung zu kommen, daß er dem Hüttenherrn recht, ja ganz recht gethan habe; denn als er spät abends in Begleitung eines »Bedeutenden« nach Hause kam, sagte er bloß noch:

»Frau, pack ein, in acht Tag'n zieh'n wir fort auf Zwieselau; der Herr von Poschinger is a braver und an' andrer Mann, wie unser Hüttenherr, – und somit guate Nacht!« – –

Der Kramerjakl, welchen der Schulmeister nach Kötzting geschickt, hatte dort ein Verhör zu bestehen und wurde wegen seines blinden Diensteifers, und weil er es versuchte, auf Schrenk einen Schuß abzugeben, wozu er nicht berechtigt war, ebenfalls eingesperrt.

Der Schullehrer, welcher sich um die Glasmacher wacker annahm, zog sich deshalb den Unwillen des Hüttenherrn gleichfalls zu; es kam zu unangenehmen Erörterungen; Pladl wurde grob und der Schulmeister hatte auch keine 105 Ursache, besonders zart zu sein, kurz, auch der Lehrer sagte dem Hüttenherrn seinen Dienst als Buchhalter auf und so brachte die Leidenswoche allen Personen wirklich mehr oder weniger große Widerwärtigkeiten.

Franzl hatte schlechte Ferien. Sein Vater war eingesperrt, bei Prannes ging auch nichts Rechtes mehr zusammen, der Lehrer war ebenfalls mißvergnügt und die munteren Hüttenbuben übten bei den obwaltenden Verhältnissen auch keine besondere Anziehungskraft auf ihn aus.

Die kleine Liese war das einzige Geschöpf, welches ihm auf einige Augenblicke seine traurige Lage vergessen machen konnte. Sie schwätzte in einem fort, sprach ihm Mut und Hoffnung zu und brachte Franzens ganzen Jammer mit der Leidensgeschichte des Erlösers in recht sinnreiche Vergleichungen. »Am Samstag,« setzte sie dann immer hinzu, »is in der Lamerer Kirch' d' Auferstehung und am Samstag wird auch dei' Vater wieder befreit wern aus 'n G'fängnis, und wie unser Herrgott nach vierzig Tag'n in Himmel g'fahr'n is, so fahr'n wir alle mitanand in noch kürzerer Zeit ummi auf Zwiesel, wo der Herr Steigerwald und die Herren von Poschinger haus'n, die uns alle glücklich mach'n wern.«

Sie gab ihm dann Anleitungen, wie er es machen müsse, um auch ein Hüttenherr zu werden, und versprach ihm jedesmal, wenn er etwas kleinmütig bei diesem Thema wurde, daß sie selbst mit Herrn von Steigerwald das Nähere in dieser Angelegenheit besprechen wolle. Trotz alledem wollte sich Franz nicht erheitern; denn er dachte stets an den abwesenden, in Haft gehaltenen Vater.

Als am Donnerstag wieder in der Hütte gearbeitet 106 wurde, bat Franz seinen Paten, er möge ihn bei der Arbeit zuschauen lassen, da er ja selbst in Bälde zu den Glasmachern zählen würde. Prannes gewährte ihm gern, und während er seinen Geschäften oblag, besah sich Franz mit eigentümlichen Gefühlen die Räume, welche künftig seine Welt ausmachen sollten, in denen er seine Existenz gründen und, wie die kleine Liese meinte, ein reicher Mann werden sollte. Er besah sich die geheizten Glasöfen, in welchen die großen Schmelztiegel voll feurig flüssiger Glasmasse standen, und mit verdoppeltem Interesse beobachtete er jetzt die Arbeiter, welche durch fensterähnliche Oeffnungen aus dem Schmelzofen mittelst einer PfeifeEin eisernes Rohr, das unten einen hohlen Knopf und oben ein hölzernes Mundstück hat. die nötige Glasmasse herausnahmen, um sie zu einer hohlen Kugel und durch Schwenken in der Luft zu einem Zylinder zu blasen. Es freute ihn, wenn diese Zylinder mittelst einer Scheere geöffnet wurden und die eingesperrte Luft lustig herausknallte, wenn das »Walzl« gut gelang und in thönernen Formen zum Kühlofen und von da zum Streckofen gebracht werden konnte, woraus das fertige Spiegelglas in Form von flach ausgebreiteten, glänzend weißen Tafeln hervorging.

Als während dieser eifrigen Betrachtungen Franz zum Ofen kam, wo sein Vater in der Regel arbeitete, und dessen Platz leer fand, überkam ihn plötzlich eine unaussprechliche Traurigkeit; es war ihm gerade zu Mute, als wenn der Vater gestorben wäre. Das Gefühl des Verlassenseins befeuchtete seine großen, schwarzen Augen und entpreßte ihm bittere Thränen. Die feierliche Stille in dem großen Gebäude, die Düsterheit, welche darin herrschte, trugen dazu 107 bei, daß der arme Knabe aus seinem Jammer gar nicht mehr herauskommen konnte, und so fand ihn sein Pate, hinter einem Ofen auf einem Holzstoße sitzend, in recht trostloser Lage. Prannes sprach ihm Mut zu und führte ihn wieder an den Platz zurück, welcher so trübe Gefühle in Franzens Gemüt hervorgerufen, nämlich an den Ofen, wo der alte Schrenk in der Regel arbeitete und in dessen Nähe sich die Werkzeuge befanden, welche derselbe zur Fabrikation der Spiegelzylinder gebrauchte. Er sagte zu ihm, auf die feurige Glasmasse in dem Glastiegel weisend: »Siehgst, Franzl, das da drin in dem Hafen hoaßt man den Glassatz, und wenn der nix nutz is, wern die Spiegel auch nix nutz, so schön man's auch blast. Man muaß's versteh'n, den Quarz oder d' Kieselerd' durch ordentliche Flußmittel, wie: Soda, Salz, Kalk, Asch'n und andre Ding' ins Schmelz'n z' bringen und muß die rechten Mittel kennen, wie man 's G'meng rein macht und entfärbt. A jed's Ding hat sein' guat'n Grund; der Arsenik macht rein, der Kalk bewirkt 'n Glanz, das Soda löst auf und die Kohl'n heb'n 'n Fluß, aber a bisserl z'viel oder z' wenig von 'n oan oder 'n andern und – nix is's. Dös muaß der Schmelzmeister gründlich kennen, und wie d' Semmeln nix taug'n, wenn der Bäcker an' schlecht'n Teig knet't, so taugt auch 's Glas nix, wenn's der Schmelzmeister nöd versteht, an' richtig'n Glassatz herzustell'n. – Dös mirk dir und mirk dir auch dös: die Gläser von unsrer Hütt'n da waren bis dahersig die schönst'n weit und breit, und wenn di einer fragt, warum? so sagst ihm nacha, weil dei' Göd der Schmelzmeister gwen is, und kannst ihm auch sag'n, daß dei' Göd der Prannes is, den der Herr von Pladl wie r an' alten Schlappschuh wegg'worfen hat.«

108 Nachdem er so seinem Aerger einige Luft gemacht, nahm er von den Werkzeugen des alten Schrenk die Glaspfeife und reichte sie Franzen mit den Worten hin:

»Da, Franzl, lang amal eini in d' Schmelz und probier, ob's d' a Kugl blas'n kannst. Je größer du 's z'sammbringst zum erstenmal, um so größer wirst dei' Glück mach'n als Glasmacher. Nimm di z'samm, fass' d' Pfeif'n fest an und schwing's in d' Höh; denk', du blast dei' künftig's G'schick. So, iatz fang an.«

Franz vergaß jetzt seinen Jammer und mit lebhaftester Begierde ergriff er die Pfeife, an deren Kopfe sich die zähflüssige Glasmasse angehängt hatte. Er wollte dem Paten zeigen, daß er zum Glasmacher viel besser tauge, als zum Studenten, und daß er mit Leichtigkeit die größte Kugel zu blasen imstande sei. Er lächelte schon im voraus triumphierend; aber er hatte zwei wichtige Dinge außer acht gelassen, die beim Anfertigen eines Glaszylinders vor allem nötig sind: feste Arme zum Halten der Pfeife und eine kräftige Lunge zum Blasen der Kugel. Mit Anwendung ungeheurer Willenskraft war es ihm zwar möglich, die Pfeife in die Höhe zu heben und einigemal in das Mundstück zu blasen, aber schon nach wenigen Augenblicken verlor er das Gleichgewicht, und ehe er sich's versah, lag die Pfeife zu seinen Füßen und zischte die feurige Glasmasse auf dem feuchten Thonboden des Gebäudes. –

Prannes schüttelte etwas bedenklich den Kopf.

»Mit mein' Glück sieht's traurig aus,« sagte der Knabe verzagt, »mit 'n best'n Will'n konnt' i's nöd besser mach'n.«

Prannes legte dem Knaben die Hand auf die Schulter und sagte dann in freundlichem Tone:

109 »Dös thuat nix, Franzl; mit dein' Glück hat dös gar nix z' schaffen; es is a Dummheit, daß man einem solche Sach'n weis macht; aber mirk dir's, was i dir iatzt sag: Den best'n Will'n hast d' g'habt, a schöne Kugl z'blas'n, aber können hast es nöd; drum muaßt es lernen und mit der Zeit wirst du 's grad so guat können, wie die andern Glasmacher. So is's auch mit dein' G'schick. Der guate Will'n allein reicht nirgends aus. Wissen muaß man a Sach' und können muaß man a Sach' und wer's nachher zu nix G'scheit'n bringt, den haßt sein G'schick oder er is a Lump.«

»I will 's schon lernen!« entgegnete der Knabe zuversichtlich, »Ihr dürft Enk drauf verlassen, Göd!«

»Ich glaub's und unser Herrgott wird di b'schütz'n,« sagte Prannes.

In diesem Augenblicke wurde die Stille im Hüttengebäude durch einen großartigen Spektakel unterbrochen.

»Hui, d' Ratschenbuam!« rief Franz, und Glaskugel, Paten und sein Schicksal vergessend, machte er sich von Prannes los und eilte zum Eingange des Gebäudes hin, wo die »Ratschenbuben« sich postiert und ihre ohrenzerreißende Musik angestimmt hatten.

Am Gründonnerstage, wo in den Kirchen das Läuten mit Glocken während der nun beginnenden Trauerzeit verboten ist, weil, wie es heißt, »die Glocken nach Rom gehen,« bedient man sich allenthalben in katholischen Ländern der »Ratschen«, um mittels derselben den Anfang des Gottesdienstes oder der Ave Maria-Zeiten anzuzeigen. Im inneren Walde, wo gar viele im nahen Böhmen stattfindende Gebräuche sich auch diesseits eingebürgert haben, ziehen am Gründonnerstag und Charfreitag die Schulknaben 110 im Dorfe herum, postieren sich, mit Ratschen, Hämmerchen, Knarren, Klöppeln und andern Lärmwerkzeugen versehen, am Eingange der Häuser und setzen ihre Schnarrinstrumente in Bewegung, sobald die Turmuhr zwölf oder sechs schlägt. Dabei rufen sie einstimmig:

»Wir ratschen, wir ratschen zum englischen Gruß,
Daß jeder katholische Christ beten muß!«

Die Buben knieen sich dabei auf ihre Ratschen, um sie auf den Boden festzuhalten.

Am Charsamstage kommen sie dann mit einem großen Korbe und sammeln Eier, Kuchen und Geld für ihre Bemühungen.

Dieser Gebrauch wurde in Lohberg, gleich dem »Puerigesang« am Palmsonntage, von den Hüttenbuben ausgeübt, und es läßt sich leicht denken, daß dieselben von der ganzen übrigen Jugend des Platzes dabei begleitet wurden.

Die kleine Liese stand jetzt natürlich auch bei den Ratschenbuben, und als sie Franz ansichtig wurde, nahm sie ihn bei der Hand und sagte, er möchte mit ihr nach Hause kommen, damit sie zum Fenster hinaussehen könnten, wenn vor ihrer Wohnung geratscht würde, und daß sie dabei SpinatkrapfenEs ist üblich, am Gründonnerstage etwas Grünes zu genießen; in Böhmen und an der Grenze macht man unter anderem mit Spinat gefüllte Krapfen, wie man in Schwaben mit Gemüse gefüllte Nudeln, die sogenannten Laubfrösche oder Maulschellen, an diesem Tage bereitet. zu essen bekämen, welche die Mutter soeben gebacken habe. Franz war mit Vergnügen dazu bereit, und wohlgefällig lehnte er, als die »Ratscher« dort angekommen, bei Prannes am Fenster und nickte heuer den 111 Buben mit einer gewissen Herablassung zu, denn voriges Jahr war er ja selbst noch einer der »Ratschenden.«

Kurz, diese unbedeutenden Zwischenfälle, hernach das Zurichten zum Färben der roten Eier, worin Frau Prannes ebenso Meisterin war, wie im Backen famoser Osterkuchen; dann der Besuch des Grabes und die Grabmusik im kleinen Lohbergerkirchlein, bei welch letzterer auf Wunsch des Lehrers auch Franz und Liese mitzuwirken hatten: alle diese Dinge trugen begreiflicherweise dazu bei, Franz zu zerstreuen und seinen Schmerz über die Abwesenheit seines Vaters zu lindern.

Am Charsamstage wurde auf der Hütte die Arbeit eingestellt und es richtete sich alles her, was nur immer abkommen konnte, nach Lam zu gehen, um der feierlichen Auferstehung in der dortigen Pfarrkirche beiwohnen zu können. Fast alle Hüttenleute gingen dorthin, und die Familie Prannes nebst Franz war unter den ersten auf dem Wege nach dem Pfarrdorfe. Auf allen Gesichtern drückte sich eine gewisse Zufriedenheit aus, daß die traurigen Tage der Leidenswoche ihrem Ende nahe waren und man sich allmählich wieder froheren Gefühlen überlassen dürfte. Die beklommenen Herzen, welche infolge der kirchlichen Zeremonien die ganze Leidenslegende, vom Oelberge bis Golgatha, aufs tiefste mitempfunden hatten, wandten sich von der Moderluft des Grabes wieder dem durch den Tod des Erlösers neuergrünten Baume des Lebens zu.

Wie klangen »die wieder aus Rom mit Eiern und Flecken zurückgekehrten Glocken« so feierlich und rein von dem Turme der hochgelegenen Pfarrkirche hinaus in das wildschöne, romantische Thal des Lammererwinkels! Wie schön hallte das Echo dieser Klänge, weithin die Kunde 112 bringend von der nahe bevorstehenden Auferstehung des Herrn!

113 Alles strömte zur Kirche, welche mit unzähligen Lichtern beleuchtet ward, nachdem die untergehende Sonne ihre letzten Strahlen freundlich auf den mit Weihrauch umdufteten Fronaltar gesendet hatte. Die mächtigen Töne der Orgel klangen freudig durch das Schiff des Gotteshauses und mit ihnen vereinigte sich der vielhundertstimmige, rührend schöne Jubelgesang der gläubigen Menge.

Franz stand vorn in der Nähe des Speisegitters; auch er vereinte seine schöne Stimme mit dem Gesange der andern. Aber in seine feierliche Stimmung zitterte doch ein greller Mißton; denn des Gedankens an seinen fernen Vater konnte er sich nicht erwehren. – Da hörte er hinter sich den Gesang einer kräftigen Mannesstimme, welche absichtlich den Gesang des Knaben zu begleiten schien, so daß Franz, darauf aufmerksam gemacht, sich nach dem Sänger umsah. Wer beschreibt den freudigen Schrecken, als er jetzt in das gute, treuherzige, liebe Gesicht seines Vaters blickte?

»Vater,« rief er, »Vater, seid Ihr's wirklich? Ihr seid frei?«

»Frei und versöhnt,« antwortete der Vater mit gleich freudigem Empfinden, dem Sohne herzlich die Hand drückend, »frei und versöhnt mit dem da.«

Erst jetzt bemerkte Franz, daß der Kramerjakl, welcher neben seinem Vater stand, ihm die Hand zum Gruße hinreichte.

»So, Franzl,« sagte der Vater, »iatzt sing nur wieder furt; nach der Kirch' schwatzen wir mit anander, sing iatzt nur wieder zua.«

»Vater,« entgegnete Franz lächelnd, »i kann jetzt nimmer singen vor lauter Freud'!«

114 »So bet'!« erwiderte der alte Schrenk lächelnd, »und dank unserm Herrgott, daß wir gute Feiertag kriegt hab'n.«

Das geschah denn auch von ganzem Herzen.

Mit den freudigsten Gefühlen schlugen nach Beendigung der kirchlichen Feier unsere Hüttenleute den Weg nach Hause ein. Freunde und Bekannte drängten sich herbei, Schrenk zu dem günstigen Ausgange seiner Sache zu gratulieren, und »glückliche Feiertage!« rief man den Hüttenleuten von allen Seiten zu. Dieser Wunsch fand aber auch seine schönste Verwirklichung; denn unsere seit wenigen Tagen so schwer geprüften Freunde feierten in der That fröhliche – recht fröhliche Ostern! – 115


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