Maximilian Schmidt
Glasmacherleut'
Maximilian Schmidt

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X.

Als am andern Morgen das auf einer kleinen Erhöhung angebrachte Hüttenglöcklein zum Ave Maria geläutet wurde, umstanden dasselbe bereits eine große Anzahl von Kindern, welche in freudiger Aufregung über die bevorstehende Bergfahrt den kommenden Morgen kaum erwarten konnten. Vor dem Gebetläuten nahm sich das junge Volk noch etwas zusammen; aber nach demselben ließ sich alles frei gehen und die noch in den Hütten befindlichen älteren Leute wurden durch Schreien, Juchzen und Schüsse aus Schlüsselbüchsen aufmerksam gemacht, daß es Zeit sei, die Bergfahrt anzutreten.

Wie es an allen Festtagen üblich, sollte auch heute vom Hüttenglöcklein aus eine Tagreveille abgehalten werden. Die Musikanten, bestehend in vier jugendlichen Klarinettbläsern, zwei Flötisten, worunter Franz Schrenk, zwei Hornisten und einem Cinellenschläger, dann mehreren Geigern, einem Zugharmonika und zwei Mundharmonikaspielern, hatten sich lange vor der festgesetzten Zeit hier zusammengefunden und stimmten ihre Instrumente mit einer Wichtigkeit, als gelte es, eine Komposition von hohem Werte zur Aufführung zu bringen.

Ein jeder der Musikanten hatte bereits einen Eichenzweig auf seiner Kappe von solcher Größe, daß man glauben konnte, man sähe wandelnde Bäume. Als das Glöcklein 130 ertönte, herrschte plötzlich die größte Ruhe; das Mädchen, welches für diese Woche bei dem Ave Maria-Läuten die Vorbeterin zu machen hatte, verrichtete ihren Dienst und die ganze Versammlung betete andächtig nach.

Nachdem dies vorüber, gab Franz, der kleine Kapellmeister, das Zeichen zum Beginne eines Standstückes. Dies war die Nationalhymne: »Heil unserm König, Heil!« Die Buben und Mädchen, welche die Musikanten umstanden und dieses Lied alle auswendig wußten, sangen sogleich mit und in der frischen Morgenluft klang es so schön, so feierlich, wie ein Gebet, und wie die Töne von den Bergen widerhallten, so hallte es in den Herzen der kleinen Sänger wider, die gelernt hatten, Gott zu lieben und den König zu ehren. –

Dann aber begann die Tagreveille. Die Musikanten setzten sich in Bewegung und spielten einen lustigen Marsch die Hüttengebäude auf und ab, umgeben von der Jugend des Platzes, die mit Juchzen und Schüssen die Musik begleitete.

Alle Bewohner der Regenhütte streckten die Köpfe vor die Fenster, oder kamen selbst heraus, sich an den kleinen Musikanten zu ergötzen.

Diese waren jetzt vor der Schenke angekommen, wo Prannes sein Nachtquartier hatte. Auf Franzens Rat sollte diesem hier ein »Hofrecht« gemacht werden, und nachdem sie sich unter dem Fenster von Prannes postiert hatten, spielten sie sein Leiblied:

»Ich hatt' einen Kameraden &c.«

Prannes war bis zu Thränen gerührt über die ihm 131 gewordene Auszeichnung und warf den Buben einen Zwanziger herab, wofür ihm noch ein ordentlicher Tusch gemacht wurde. Dann marschierte die Musikbande nach Rabenstein, um dem allverehrten Hüttenherrn gleichfalls ein »Hofrecht« zu spielen. Auch hier wurden sie beschenkt und mußten ein Frühstück zu sich nehmen. Besondern Jubel verursachte Herrn Steigerwalds Versprechen, daß er selbst im Laufe des Tages mit seiner ganzen Familie auf den Falkenstein kommen und das Fest der Hüttenleute mitfeiern wolle. Dann ging es wieder zurück nach der Hütte, wo sich inzwischen alt und jung zur Bergfahrt hergerichtet hatte.

Es war ein prachtvoller Sommertag; kein einziges Wölkchen unterbrach die wundervolle Bläue des Junihimmels, kein Nebelstreifen schwebte über den dunklen Waldungen nah und fern; es grünte und blühte ringsumher. Die Rose am Strauch, das Blümlein in der Wiese und am Bache, die Tannen und Buchen des Waldes – alle strömten erquickenden Duft den frohen Bergfahrern entgegen, und Hunderte von kleinen Vögeln sangen den Morgengruß in jubelnden Tönen. Die Mädchen pflückten frische Blumen nächst dem Wege und schmückten mit zierlichen Sträußchen die Hüte der Männer und die Brust der Frauen, sich selbst aber wanden sie Kränze um die Stirn aus den goldfarbig gefeierten Blumen des heiligen Johannes. Auch für Franz hatte Liese einen solchen Kranz gewunden und die Bedeutung der Johannisblume, die am heutigen Tage besonderen Segen ausspende, in eingehender Weise erklärt. Als nämlich der heilige Johannes zum Märtyrertode geführt wurde, weinten diese gelben Blümlein und der Heilige vermachte ihnen zum Danke dafür 132 sein Blut auf ewige Zeiten, wovon man sich gar leicht überzeugen kann; denn drückt man ein solches Blümlein zwischen den Fingern, so rinnt rotes Blut heraus. Deshalb wird die Johannisblume überall für ein heiliges Kraut gehalten und das Haus, in welchem man sie in Ehren hält, ist bewahrt vor dem bösen Feinde, vor Kobolden und Hexen. Das verdroß die bösen Hexen so gewaltig, daß sie mit Nadelstichen die Blümchen zu Tode peinigen wollten; aber je mehr sie die Blätter durchlöcherten, desto mehr gedieh die goldene Blüte, an welcher die Kraft der Bösen erlahmte. Darum sieht man noch heutigestags die Blättchen vielhundertmal durchstochen, aber dennoch grün und frisch, worüber die Hexen so erzürnt sind, daß sie den Blüten schon von weitem aus dem Wege gehen, denn ihre Macht erlahmt, wo Johannesblümlein prangen.

Aeltere Mädchen wieder wanden sich Kränze aus »neunerlei Blumen«, manche in der kühnen Absicht, eine Frage an das Schicksal zu wagen; denn es geht die Sage, daß diejenige, welche zu Johanni die jungfräuliche Stirn mit einem solchen Kranze geschmückt hat und bei sternklarem Himmel zunächst einem Baume hineinschaut in die dunkle Flut des Regenbaches, darin das Bild des zukünftigen Gatten erblickt. Manche neigte sich schon jetzt, als sie über den Steg schritt, bedeutungsvoll hinab in das rauschende Wasser, wo die rotgefleckten Forellen lustig herumschwammen und neugierig und überrascht heraufschauten zu der Menge von Leuten und der ungewohnten Lustbarkeit da oben.

Bald waren die Wanderer in einen Wald voll schöner Birken eingetreten, welche mit dem lustigen Grün ihrer regsamen Blätter das Dunkel des nahen, großartigen 133 Hochwaldes umsäumten. Es ist zwar der ganze bayerische Wald vorherrschend ein Waldgebirge, ein mehr oder weniger zusammenhängender Hochwald; am ausgeprägtesten aber trägt den Charakter eines solchen die Gegend zwischen dem Dreisesselberg und dem Arber, wo der Lusen, der Plattenhausen, der Rachel, das Scheuereck, der Falkenstein und endlich der Arber selbst ihre mit den dichtesten Forsten bestockten Riesenglieder erheben und von ihrem Fuße aus zahlreiche Ausläufer aus niedrigen Waldbergen in das Land entsenden. Das ist wirklich kein Wald, wie andere Wälder, das ist ein majestätischer, hehrer Wald, ein heiliger Wald! Die geraden, hochschäftigen Stämme der Bäume gleichen Riesensäulen, und wie in einem Dome wölben sich die Gipfelzweige der grünen Buchen gleich Schwibbögen zu einem gothischen Sprengwerk, das dann von dunklem Tannendache überdeckt wird. Feierliche Stille herrscht in diesem mystischen Halbdunkel, die nur morgens und abends von der melodischen Stimme der Drossel unterbrochen wird. Die gewaltigen Dimensionen der Baumsäulen versetzen uns in Erstaunen. Solche Tannen, solche Buchen sind uns in unsrem Leben noch nicht vorgekommen, sie stammen aus Urwaldszeiten. –

»Is das schon der Urwald,« fragte die Liese ihren Vater, »von dem du mir erzählt hast, daß wir 'n heut' sehn?«

»No' nöd,« entgegnete Prannes, »wir san no' im Hochwald, was aber aa nix anders is, als a g'säuberter und a g'lichter Urwald. Den eigentlichen Urwald wern wir erst am kloan' Falkenstein z' seh'n krieg'n.«

»Was ist denn ein Urwald?« fragte Franz, welcher, obgleich im Walde aufgewachsen, sich bis jetzt gar wenig um derlei Benennungen gekümmert.

134 »A Urwald,« entgegnete Prannes, »is a wilder Forst, voll mit dichtem Baumwuchs, an den der Mensch noch koa' Hand g'legt hat. I werd enk an' solch'n zeig'n. Beim Waldhaus trennen wir uns von den andern und geh'n über 'n Falkenstein, nachher könnt's ös Urwald grad gnua seh'n.«

»Dös Vergnügen,« sagte Schrenk, »überlaß i dir, Prannes, i und dei' Wei' bleib'n auf 'n Weg und lass'n uns dann erzähl'n, was 's g'seh'n habt's.«

Als unsere Wanderer bei dem mitten im Hochwalde an der Straße nach Böhmen gelegenen Waldhause angelangt waren, wurde die erste Rast gehalten, weil hier der Sammelplatz aller Hüttenleute war, von wo aus gemeinschaftlich der große Falkenstein erstiegen werden sollte. Die hier befindliche gute Wirtschaft erfreute sich sogleich eines zahlreichen Zuspruches und alles ging daran, sich zu stärken zu den Strapazen des Bergsteigens. Unsere Freunde verabsäumten dieses zwar auch nicht; Prannes, Liese und Franz brachen aber zeitiger auf als die übrigen Leute, um sich den Urwald zu besehen, welchen sie nach kurzer Wanderung auch erreichten.

Erregte schon der Hochwald das lebhafteste Interesse, so hielt die ehrfurchtgebietende Majestät des Urwaldes den Sinn unserer Wanderer gehoben. Nirgends war hier eine Spur menschlicher Thätigkeit oder menschlichen Eingreifens in das Leben des Waldes sichtbar; überall nur ursprüngliche Naturbildungen, ungestörtes Walten der Natur im Schaffen, wie im Vernichten.

Zwischen und auf riesigen Felsblöcken ragen die Urwaldriesen gen Himmel und stehen mit ihren langherabhängenden grünen Bärten in ihrer Frische und Kraft da 135 wie die Alten vom Berge. Da stehen fürchterlich große Weißtannen, die man oft nur mit nach rückwärts gebeugtem Haupte mit dem Auge verfolgen kann; Fichten, wie sie nirgends anders mehr vorkommen. Neben diesen befinden sich, seit vielen Jahren tot und verwesend, gleich kolossale Genossen, ähnlich gigantischen Gespenstern, bald noch aufrecht, aber mehrfach gespalten, ohne Wipfel, ohne Rinde, mit verkümmerten, zerrissenen, vertrockneten Aesten, bald mitten im Sturze gehindert durch noch gesunde Nachbarn, bald schon hingestreckt auf den Boden, noch ganz oder in Fäulnis begriffen, während aus ihren Leichen bereits neue Stämme erstanden sind, denn überall ersetzt die Natur die schwindende Generation durch frisches, auf modernden Leichen keimendes Leben. Den gefallenen Größen des Waldes, Ranen genannt, wird von den vielen Moosen, welche sie geschäftig umklettern, der letzte Lebenstropfen noch ausgesaugt.

Unsere Wanderer mußten oft durch ein Chaos von übereinandergestürzten Felsmassen, über ganze Verhaue klettern, über trügerische Moosdecken, die den Sumpf verbergen, springen, oder von Stein zu Stein sich schwingen, dann wieder durch dichtes Unterholz, durch Brombeerbüsche den Weg sich bahnen, beides oft zwischen weit ausgreifenden Aesten verblichener Riesenleiber. So mühselig dies auch sein mochte, in heiterster Laune wurden all die Schwierigkeiten überwunden.

Liese hatte öfters, wenn sie still standen und ausruhten, die Hände wie zum Gebete gefaltet. Die Großartigkeit der Natur machte einen überwältigenden Eindruck auf das kindliche Herz. Auch Franz war eigentümlich ergriffen; auch ihm war es so feierlich, so andächtig zu 136 Mute, und er drückte seine Stimmung am besten durch die Worte aus:

»Da möcht ich den ganzen Tag verweil'n!«

Franz stellte sich auf einen Stein zunächst einer riesigen 137 Buche und schnitt in deren Rinde die Anfangsbuchstaben von den drei Anwesenden »F., L. und P.« nebst der laufenden Jahreszahl zur ewigen Erinnerung ihres Dagewesenseins.

Nachdem Prannes den Kindern alle möglichen Aufschlüsse gegeben und sich länger, als er beabsichtigt, in dem Urwalde aufgehalten hatte, schlug er die Richtung nach dem großen Falkenstein zu ein, und sie gelangten bald auf einem gebahnten Forstweg, welcher sie aus der Waldwildnis wieder herausführte, in den Hochwald.

Nach zweistündiger Wanderung hatten sie den hohen Gipfel des Berges erstiegen. Trotz ihres langen Aufenthaltes im Urwalde waren sie die ersten auf der hohen, mit riesigen Gneisblöcken versehenen Kuppe. Zum erstenmal waren die Kinder auf einem so hohen Berge und mit unendlichem Vergnügen blickten sie hinaus in die weite, weite Welt. –

Ein ungewöhnlich reichgesättigter, blauer Duft war über das schöne Waldgebirge ausgebreitet, eine Ruhe, ein Friede, ein Ernst, eine stille Feier, welche tief die Seele ergreifen mußte. – Vom Gipfel des Falkensteins tritt dem Beschauer des Waldes ureigenste Schönheit, der Wald in großartiger Pracht entgegen. Feierlich ernst ist der Anblick der weithin gedehnten schiefen Flächen des Rachel, Lusen, Dreisessel, Arber, überdeckt in ihrer ganzen Länge und von der Sohle bis zum Scheitel mit dunklem, starrem Walde – unabsehbarem Walde, so weit das Auge reicht nach rechts und nach links, nichts als Wald, nur einmal dort eine Lichtung, nicht groß genug, seine Ganzheit zu unterbrechen, nur geeignet, die Wucht seiner Masse noch deutlicher empfinden zu lassen. So stand er vor unsern 138 Freunden, Ehrfurcht gebietend, ein Zeugnis der Macht stillthätiger Naturkräfte, bedeutungsvoll hier aufgerichtet auf dem Grabhügel längst verschwundener Bestände. –

Die tiefe Stille, welche bis jetzt im Gebirge geherrscht hatte, ward allmählich durch das Ankommen der Bergfahrer unterbrochen. Von allen Seiten kamen die Hüttenleute der verschiedenen Fabriken herangezogen mit Fahnen und Kränzen, mit Musik und Gesang, mit Jubelgeschrei und Pistolenschüssen, die sich zehnmal vervielfältigten in dem wunderbaren Echo der Berge.

Es folgte ein herzliches Begrüßen untereinander. Die Männer und Frauen, die Buben und Mädchen, alles hatte sich schnell zusammengefunden, alte Bekanntschaften wurden erneuert, frische angeknüpft und die vortreffliche Marketenderei, welche von der Waldhaus-Wirtschaft hier errichtet wurde, trug nicht wenig zu der allgemeinen Lustbarkeit bei.

Auf einem passenden Platze ward eine Scheibe aufgestellt und viele Glasmacher vergnügten sich hier den größten Teil des Tages. Auch der alte Schrenk, dem ein »guter Spezl« von der Ludwigshütte seinen Stutzen zur Verfügung stellte, ließ sich bei den Schützen einschreiben und er machte sich einige Hoffnung auf den für den ersten Preis bestimmten, mit Blumen und Bändern geschmückten Hammel. Einige jüngere Burschen hatten sich zusammengeschart, um frohe Gesänge ertönen zu lassen, hier in der klaren Luft, wo das Herz freier wird und die Brust sich erweitert, wo man so gerne träumt von dem süßen Engelsbilde der Freiheit, nachdem man Sorge und Kummer im tiefsten Thale zurückgelassen.

Prannes war als Hauptvorsänger allgemein erwählt 139 und diese Stimme gebührte ihm mit Recht. Man hätte ihn sehen sollen, wie er inmitten des Sängerkreises, auf einem großen Steine stehend, mit seinem Hute den Takt schlug und alle Stimmen sang, wo er einen Fehler bemerkte oder eine Nachhilfe geben zu müssen glaubte.

Zwischen den Gesängen mußten die jungen Spielleute, welche zu einer ziemlichen Bande angewachsen waren, musizieren und hier war Franz als Kapellmeister angestellt, einen Posten, den er unter den schwierigsten Verhältnissen und unter einem Chaos von Mißtönen auf die ehrenvollste Weise ausfüllte.

Das übrige junge Volk stand auch nicht müßig, sondern schleppte einen großen Vorrat von Holz und Reisig herbei, um in den Nachmittagsstunden Johannisfeuer, über welche gesprungen werden sollte, und abends eine große Hexe anzuzünden.

Die Lust war nicht wenig vergrößert durch die Ankunft einer im Walde allbekannten Persönlichkeit. Der Hackbrettschläger von Gotzendorf nämlich, welcher mit einer wahren Spürnase derartige Feste aufzufinden wußte, kam jetzt, sein Instrument auf dem Rücken tragend, den Berg heraufgestiegen, und der gemütliche Alte mit seinem heiteren Gesichte, welches von der außerordentlich breiten Krempe seines Hutes beschattet war, nickte gar freundlich den jungen Mädchen zu und wußte jedem etwas Angenehmes zu sagen. Der Cymbal-Toni, wie er gemeinhin hieß, wußte alle Herzensgeheimnisse; er war der Vermittler, der Liebesbote, der Heiratsmacher, ohne daß es besonders auffiel, denn der Cymbal-Toni wanderte mit seinem Instrumente von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf, in die entlegensten 140 Einschichten und wußte sich seiner Aufträge in der klugsten Weise zu entledigen.

Nachdem er sich von den Strapazen des Bergsteigens einigermaßen erholt und gestärkt hatte, legte er sein Instrument auf eine Steinplatte und hackte einen Dreher herab, so schön, so in die Füße gehend, daß die Buben und Mädchen der Lust des Tanzens nicht widerstehen konnten, und alsbald wurde auf dem grünen Platz herumgetanzt und alles war fröhlich und zufrieden von den Alten bis zu den Jungen; jedes vergnügte sich nach seiner Weise. Der Cymbal-Toni spielte immer schöner und jetzt sang er sogar zu seinen Tanzweisen und die Umstehenden sangen den Chor mit. Der Alte nickte den tanzenden Paaren oft bedeutungsvoll zu und manches Mädchen, das im Regenbache beim Mondscheinlichte und mit dem neunblumigen Kranze auf dem Kopfe den zukünftigen Geliebten zu schauen hoffte, verspürte die Wirkung dieses Kranzes schon jetzt auf der Kuppe des Falkensteines, und der alte Toni freute sich darüber und lachte – und lachte und die Buben und Mädchen lachten auch – es war so schön!

So ging es denn lustig zu auf dem hohen Waldberge und höchstens von der kleinen Musikbande her, sonst klang kein Mißton in die Freude der wackeren Glasmacher, die nach schwerer, anhaltender Arbeit bei der Glühhitze der Glasöfen sich glücklich fühlten in der frischen, erquickenden Bergluft und die umgeben von Leuten desselben Handwerks, sich heimisch fanden in der großen Menge.

Das war eine Lust, als die Johannisfeuer abgebrannt wurden! Hand in Hand sprangen die Buben und Deandeln über das brennende Element und gaben sich Mühe, recht 141 hoch zu springen, denn: »So hoch der Sprung, so lang gedeiht der Flachs!«

Auch die älteren Leute versuchten, über die Flamme zu kommen, denn »wer übers Johannisfeuer springt, bleibt dasselbe Jahr vor Fieber verschont«, und dieser Wohlthat wünschte jeder teilhaftig zu werden.

Franz und Liese waren auch nicht unter den letzten. Sie schienen sich gar nicht satt springen zu können, und Franz mußte darüber seine Kapellmeisterpflicht fast ganz vernachlässigen.

Die Freude dieses Festes wurde nicht wenig vergrößert, als gegen Abend mehrere der Glashüttenbesitzer mit ihren Familien, so namentlich die Herren von Poschinger und Herr Steigerwald mit Frau und Kindern ankamen und an der allgemeinen Lustbarkeit Anteil nahmen. Sie wurden mit kernigen und warmen Toasten ausgezeichnet, denn man wußte, wie gerne diese Hüttenherren unter ihren Arbeitern verweilten und welch innigen Anteil sie stets an deren Leiden und Freuden nahmen.

Die Kinder dieser reichen Leute, von frühester Jugend daran gewöhnt, den Arbeiter zu ehren und seinen Kindern freundlich entgegenzukommen, besannen sich nicht lange, an der Lust derselben thätigen Anteil zu nehmen. Die kleine Josephine fand ein besonderes Vergnügen, mit einem lieblichen Knaben, dem Sohne des Herrn von Poschinger auf Frauenau, über das Sunnwendfeuer zu springen, und zwar mit solcher Geschicklichkeit, daß man den beiden von allen Seiten Beifall spendete. Der Cymbal-Toni drohte den Kleinen lächelnd mit dem Finger und sein Hackbrett schlagend, sang er: 142

»Als Kloane durch's Feuer,
Als Große durch's Leb'n,
A Kinderspiel hat schon
Manch' Brautpaarl geb'n.
Die kloan Deandln wachs'n,
Die Buama wern Herrn;
's braucht gar nöd viel Fax'n,
Kann z'sammg'heirat wern!«

Die Kinder verstanden es nicht, was der Alte mit pfiffig lächelnder Miene sang, desto besser merkten die Eltern, wo der Toni hinauswollte, und fragend und lächelnd blickten sie sich gegenseitig an; die Frauen Poschingers und Steigerwalds aber nickten sich mit einem gewissen Einverständnisse freundlich zu. – Doch, was war es, daß man mit dem Springen übers Feuer plötzlich innehielt und sich alles um die Tochter Steigerwalds drängte? Das Mädchen lag am Boden und verbarg seinen Kopf in die Hände; dabei stieß sie, wenn auch absichtlich gedämpfte, aber dennoch hörbare Schmerzenslaute aus. Bestürzt eilten die Eltern des Mädchens und die übrigen Leute herbei.

Der neben dem Mädchen knieende junge Poschinger teilte den Fragenden mit, daß Josephinen während des Springens etwas in die Augen geflogen sein müsse. Josephine bezeichnete dies gleichfalls als die Ursache eines fürchterlichen Schmerzes. Jedes kam nun mit Rat und That herbei, jedes wußte ein eignes Mittel, wie der schmerzende Gegenstand aus dem Auge entfernt werden könne. Viele probierten ihre Kunst, nachdem die Eltern des Mädchens vergebens zu helfen gesucht hatten, aber erfolglos blieb auch die Mühe und der gute Wille der übrigen Leute. Josephine weinte vor Schmerz, welcher infolge der vielen 143 nutzlosen Versuche sich bedeutend steigerte. Jetzt kam die kleine Liese herbei und laut und mit triumphierender Miene rief sie: »I kann helf'n!«

Sie befeuchtete Josephinens geschlossene Augenlider mit Speichel und führte dann die Spitze des rechten Zeigefingers leise in einem kleinen Kreise herum, wobei sie nachfolgenden Segensspruch hersagte:

»Liabe Frau vom hohen Bog'n,
Is mir ebbas in d' Aug'n g'flog'n;
Liabe Frau von Passa,
Thun mir's wieda assa;
Liabe Frau vom heilön Bluat,
Mach' mir mei Aug'n wieda guat.«

An jenem Auge nahm die Kleine diese Operation vor und Josephine war in der That imstande, die Augen wieder zu öffnen; der schmerzende Gegenstand war durch Lieses Geschicklichkeit entfernt und das kleine Fräulein konnte wieder von neuem der Lust des Tages leben.

Herr Steigerwald nahm aber die kleine Wunderdoktorin bei der Hand und sagte zu ihr:

»Mädl, du bist geschickter als wir alle, und es ist nicht mehr als billig, daß du belohnt wirst für deine Kunst.«

Herr Steigerwald suchte ein Geldstück, um es dem Mädchen zu übergeben; aber Liese antwortete sogleich und entschlossen:

»Herr von Steigerwald, i nehm ganz gewiß nix an; erstens überhaupt nix, und zweitens wär's aus mit meiner Kunst, wenn i mi dafür bezahl'n ließ.«

»Wer bist du denn, Mädchen?« fragte jetzt, überrascht von dieser bestimmten Antwort, Herr Steigerwald.

144 »I g'hör' 'n Prannes!« entgegnete die Kleine mit einem gewissen Stolze.

»Da bist du braver Eltern Kind!« sagte Herr Steigerwald, die Kleine auf die Schulter klopfend; »aber wenn ich dir nichts schenken darf, so mußt du mir schon sagen, womit ich dir sonst eine Freude machen könnte, denn du hast mein Mädl von großen Schmerzen und uns von großer Angst befreit. Sag', womit kann ich dir auch einen Gefallen thun?«

Liese sah den freundlichen Herrn mit großen Augen und prüfend an. Sie sah sich jetzt im Kreise herum und ihr Blick fiel auf Franz. Lieserl hatte plötzlich einen Gedanken gefaßt; aber noch war sie im Zweifel, ob sie diesen Gedanken aussprechen dürfe.

»Nun?« drängte der Herr. »Was willst du mir sagen?«

»Ich wüßt' schon etwas,« antwortete jetzt, wie nachdenkend, das Mädchen. »Sie können mir schon einen Gefallen thun, aber es muß auch g'wiß sein!«

»Wenn's billig ist und in meiner Macht steht,« entgegnete lächelnd der Hüttenherr, »dann darfst du auf mich rechnen.«

Alle Umstehenden waren mäuschenstill, um den Wunsch der kleinen Liese zu vernehmen; aber diese ließ die Neugierde der Leute unbefriedigt.

»Wenn i's Ihnen ins Ohr sagen darf?« erwiderte verlegen das Mädchen.

»Das darfst du,« antwortete der Hüttenherr und neigte sich lächelnd hernieder.

Liese lispelte ihm jetzt leise etwas ins Ohr. Herr Steigerwald lachte laut auf, und bevor er dem Mädchen 145 eine Antwort geben konnte, war dasselbe davongeeilt, hatte Franz an der Hand genommen und hüpfte lustig mit dem Freunde wieder über das Sunnwendfeuer.

Herr Steigerwald teilte des Mädchens Geheimnis lächelnd, aber leise seiner Frau mit, doch nicht leise genug, daß es der zunächst dem Hüttenherrn stehende Cymbal-Toni nicht gehört hätte. Kopfschüttelnd kehrte dieser dann auf seinen Platz zurück, und wie vorhin den Herrenkindern, drohte er auch jetzt lachend mit dem Finger Franz und Liese zu und sang wieder zu seinem Hackbrett:

»Die kloan Deandln wachs'n,
Die Buama wern Herr'n,
's braucht gar nöd viel Fax'n,
Kann z'sammg'heirat wern!«

»Was hast ihm denn ins Ohr g'sagt?« fragte jetzt Franz die Freundin.

»A mei', a Dummheit!« entgegnete das Mädchen.

Auch die anderen Leute fragten neugierig Franz und das Mädchen selbst, was sie von dem reichen Hüttenherrn wohl verlangt habe; aber sie erhielten nichts anderes zur Antwort, als:

»A mei', a Dummheit!«

Lieserl hatte mit Herrn Steigerwald gesprochen, wie sie es voriges Jahr dem Franzl zugesagt hatte, und nicht ohne Erfolg. Es war aber gewiß keine Dummheit; denn kurz darauf ließ der Hüttenherr den alten Schrenk und Franz zu sich rufen und unterhielt sich angelegentlichst längere Zeit mit beiden. Auch Frau Steigerwald mischte sich in das Gespräch und schien recht befriedigt über Franzens Antworten.

146 Vater und Sohn waren gleich freudig überrascht, als jetzt Herr Steigerwald zu Franz sagte:

»Ich will aus dir etwas machen, Franz. Komm von nun an in deinen freien Stunden nach Rabenstein. Der Hofmeister meines Sohnes soll dir Unterricht geben, und wenn auch gerade zu keinem Hüttenherrn, so hoffe ich doch, daß du es einmal, wenn du fleißig und brav bist, zu mehr bringen wirst, als zu einem gewöhnlichen Glasmacher. Bist du's zufrieden?«

Franz wußte nicht, wie ihm geschah; als er in die ihm dargereichte Hand des wohlwollenden Herrn einschlug, konnte er bloß die Worte hervorstammeln: »Ich weiß nicht, ob ich das wert bin.«

Der danebenstehende alte Schrenk war ganz sprachlos. Die Bewegung in seinem Gesichte, die Thränen, welche ihm über die Wangen herabliefen, sagten, was in seinem Innern vorging. Als ihm Steigerwalds die Hand reichten, konnte er bloß sagen: »Vergelt's Gott, gnä Herr und gnä Frau!«

Nun kam die Preisverteilung bei den Schützen. Die Musikanten mußten ihre Instrumente zur Hand nehmen, um die Preisträger mit rauschenden Tuschen zu ehren. Franzl hielt seine Flöte als Dirigentenstab in der erhobenen Hand, um das Zeichen zum Beginne zu geben.

Da hieß es:

»Erster Preis: ein Hammel, zuerkannt dem ehr- und tugendsamen Obergesellen auf der Regenhütte, Herrn Schrenk!«

Dem Franzl fiel vor freudigem Schrecken die Flöte aus der Hand, aber er hatte noch so viel Geistesgegenwart, zu rufen: »Ein Tusch! Ein Tusch!«

147 Nachdem die Preiseverteilung vorüber, richtete man sich zum Aufbruche. Prannes stimmte noch das Lied an:

»Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgebaut so hoch da oben!«

um mit diesem prachtvollen Chore Abschied zu nehmen von dem schönen Walde, der in den Strahlen der scheidenden Sonne weithin erglänzte in unbeschreiblich schönen, dunkelpurpurvioletten Tönen.

Nach eingetretener Nacht ward mit Kienfackeln beim Hinabsteigen über den Berg der Weg beleuchtet, und als man im Thal angelangt war, richteten sich aller Blicke wieder auf die Kuppen der Berge ringsumher, von welchen hochauflodernde Feuer emporstiegen, zum Ergötzen der heimkehrenden Glasmacher, denen der heutige, so fröhlich hingebrachte Tag ein Lichtpunkt in der Einförmigkeit ihres Lebens war und welche nach langer Zeit noch mit Freuden erzählten von dem Sunnwendfeste auf dem großen Falkenstein. 148


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