Maximilian Schmidt
Glasmacherleut'
Maximilian Schmidt

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II.

Die Glasfabrikation im bayerischen Walde, hervorgerufen durch den großen Reichtum an Holz und Quarz, läßt sich bis auf das Ende des 15. Jahrhunderts zurückführenAuf der Karte des Weinerus vom Jahre 1579 sind »Frauen-Aw, Spielav, Creitzberg«, als Spiegelhütten und als Glashütte »Schonaw« verzeichnet. A. Müller's »Bayr. Wald« ist öfters als Quelle benützt. und bildete dieselbe den Hochpunkt der Industrie im Waldgebirge, deren Erzeugnisse im Welthandel eine hervorragende Stellung einnehmen. Auf mehr als zwanzig Hütten wird diese Fabrikation im großartigsten Maßstabe betrieben, von denen im Durchschnitt jede gegen 300 Klafter Holz verbrennt, ein Bedarf, der auf einem verhältnismäßig so kleinen Flächenraum an keinem anderen Orte der Welt seinesgleichen hat.

Die Hüttengebäude sind meistens nur aus Gebälk und Brettern aufgebaut, deren hohe Schindeldächer große Oeffnungen zum Hindurchdringen des Rauches enthalten und über welchen so viele gemauerte Schlote hervorragen, als im Innern des sehr einfachen Gebäudes sich Oefen befinden.

Die Hüttenleute teilen sich nach den ihnen bei der Fabrikation zukommenden Arbeiten in: Glasmacher, Gesellen oder Eintrager, Schmelzer, Schürbuben, Holzspreißler, Holzträger, Pochermann, Hafenmacher und Schreiner, deren Bestimmung aus ihrer Benennung hervorgeht. 17 Außerdem sind in der Hütte je nach ihrer Beschaffenheit: Glasschneider, Glasschleifer, Glasmaler, Formschneider, Modelleure &c. Die Glasmacher sind Meister, deren Anzahl sich nach der Größe der Hütte richtet. Jeder Glasmacher hat auf seine Kosten einen Gesellen, den Eintrager oder Eintragbuben. Die Bezahlung der Glasmacher geschieht in Spiegelfabriken nach dem Zoll, in Hohlglasfabriken nach dem Stück, und können sich dieselben monatlich 100–150 Gulden und noch mehr verdienen. Sie sind meist verheiratet und wohnen in der Nähe des Fabrikgebäudes in kleinen Häusern, welche ihnen der Hüttenherr nebst einigen Grundstücken pachtweise überläßt.

Trotz ihres guten Verdienstes ersparen sich jedoch nur wenige etwas, denn die Glühhitze der Oefen, der sie fortwährend ausgesetzt sind, verursacht, daß sie ewigen Durst haben, und der unvermeidliche Bierkrug spielt bei diesen Leuten eine große Rolle. Hier heißt es wie beim bekannten Herrn von Rodenstein:

»Man spricht von vielem Trinken stets,
Doch nie vom großen Durste.«

Indes ist kaum ein Beispiel aufzuweisen, daß je einer von ihnen dem Armenfonds der Gemeinde zur Last fiel.

Aber auch bei leerem Beutel bleiben sie guter Dinge, und ihren leichten Sinn, der sie auch in solcher Kalamität nicht verläßt, charakterisiert sehr treffend der im Munde des Volkes umgehende Reim:

»Die Glasmacherleut'
San gar lustige Herrn,
Und wenn's halt koa' Geld hab'n,
So klappern 's mit 'n Scherb'n.«

18 Die Kleidung der Glasmacher ist wegen der großen Hitze in der Nähe der Oefen äußerst einfach und besteht in einer strohenen Schirmmütze, einem Hemde, einer leinenen Hose, einer Schürze, und in Pantoffeln.

Aber auch außer der Hütte unterscheiden sich die Glasmacher in Kleidung, Manieren und Sprache merklich von den eigentlichen Waldlern, und bei Kirchweihfesten und andern Gelegenheiten, wo viel Landvolk zusammenkommt, findet man die Hüttenleute auf den ersten Blick heraus. Es sind viele Böhmen unter ihnen, welche als die geschicktesten gelten.

Die Glashütten in Schachtenbach, Regenhütte, Frauenau, Oberzwieselau und Buchenau haben einen weitverbreiteten Ruf. An diese reihen sich die Glashütten zu Lohberg, Lambach, Ludwigs- und Theresienthal, Klingenbrunn, die Riedl- und Schönbacherhütte.

Die Glashüttenbesitzer sind fast durchgehends sehr vermögliche Männer, die sich in ihren glücklichen und unabhängigen Verhältnissen geltend zu machen wissen, weshalb ihnen auch der Volkswitz den Titel »Glasfürsten« beilegt.

Auch der Besitzer der Oberlohberger Spiegelhütte, Herr von Pladl, war ein reicher und angesehener Mann. Er besaß einen Komplex von ungefähr 3000 Tagwerk Waldungen, so daß er seine Oefen von seinem eigenen Holze speisen konnte, und waren ihm außerdem eine Menge von Bauern auf viele Jahre hinaus kontraktmäßig verpflichtet, das Holz um einen Spottpreis zur Hütte zu liefern. Man berechnete damals den Holzpreis noch nach »Kreuzern«, so daß zum Beispiel im Akkord eine Klafter sechsunddreißig bis achtundvierzig Kreuzer, nach Umständen noch weniger 19 kostete. Das Glas dagegen war gerade noch einmal so teuer wie jetzt.

Die Oberlohbergerhütte stand am Fuße des Ossagebirges und war rings von Waldungen umgeben. Sie bestand in dem Hüttengebäude nebst Anbauten und mehreren kleinen Häusern für die Wohnungen der Arbeiter. Es waren an hundert Personen auf der Hütte beschäftigt und die Spiegel von Oberlohberg erfreuten sich eines großartigen Absatzes.

Das Wohnhaus des Hüttenherrn stand in dem ungefähr eine halbe Stunde von der Hütte entfernten kleinen Orte Lohberg, in dessen Nähe der weiße Regen, von seinem nahen Ursprunge, dem kleinen Arbersee, kommend, vorüberfließt. Das Haus des Herrn von Pladl ragte durch seine Bauart und Größe über die andern Gebäulichkeiten des Dorfes hervor und hatte ein herrschaftliches Ansehen. Dem schönen Aeußeren des Hauses entsprach auch seine innere Einrichtung, welche allenthalben von Reichtum und Luxus Zeugnis gab. Reich war Herr von Pladl in der That, das wußten alle Leute, auch ohne sein rücksichtsloses Auftreten und ohne das übertriebene Selbstbewußtsein, wodurch er sich, wie durch die offenkundige Verachtung minder Bemittelter, wenig Freunde machte. Sein Grundsatz war: »Wer kein Geld hat, ist ein Lump.« Wie es da mit der Achtung und Liebe zu seinen Mitmenschen, oder wiederum mit der Zuneigung dieser zu dem stolzen Manne bestellt war, läßt sich leicht erraten. Aber was fragte Herr von Pladl nach der Stimmung der Leute gegen ihn! Er hatte nur zwei Fragen: »Wurde das Glas richtig versendet?« und »Ging das Geld ordentlich ein?« Sein Sekretär und Buchführer beantwortete ihm dieses stets zur 20 Zufriedenheit, denn die Hütte war gerade im besten Schwunge – dank dem ausgezeichnet schönen Glase, welches der Schmelzmeister Prannes zu bereiten verstand, und dank dem Buchhalter der Hütte, als welcher der Schulmeister von Lohberg verwendet wurde. Wäre Pladl nicht zufällig in den Händen so reeller Leute gewesen, seine Verhältnisse hätten sich nie so glänzend gestalten können, denn er verstand weder das eine noch das andere richtig. Er wußte nur recht gut zu leben und wollte an andern ersparen, was er verbrauchte. Er war kurzweg ein Knicker. Kam zufällig ein Bettler in sein Haus, so wurde er gewiß mit harten Worten abgewiesen; denn es war ein weiterer Grundsatz Pladls: »nie einem Bettler etwas zu schenken«.

Hielt Pladl auf solche Weise sein Geld zusammen, so sorgten andere dafür, es wieder fortzubringen, vor allem seine Frau mit ihren zwei Freundinnen: der Lotterie und der Flasche.

Frau von Pladl liebte es, sich aufzuregen. Wein und Lotterie mußten ihr dazu dienen, und namentlich die letztere sorgte, daß sie aus der Aufregung gar nicht mehr herauskam. Pladl, der reiche, stolze Mann, der von so vielen beneidete, er entbehrte das schönste Glück – den häuslichen Frieden.

Seine Familie bestand in sechs Kindern, drei Knaben und drei Mädchen, von denen das älteste 12 Jahre alt war. Bei Pladls großem Vermögen stand seinen Nachkommen eine sorgenfreie Zukunft in Aussicht; aber sie war leider nicht gesichert.

Das Verhältnis des Herrn Pladl zu seinen Hüttenleuten war das der verletzenden Herablassung. Er zahlte und sie arbeiteten. Da, so meinte er, habe er die 21 schwierigste Arbeit von allen. Daß sie gut und schön arbeiteten, rechnete er ihnen nicht als Verdienst an, sondern bezeichnete es kurzweg als »Schuldigkeit« und wollte selbst für Schrenks Fabrikate, welcher vermöge seiner herkulischen Kraft größere Spiegelzylinder zu blasen imstande war, als andere Arbeiter, jetzt keine Worte der Anerkennung mehr finden. Früher stand Schrenk bei ihm in hohen Gnaden. Wie schon aus der Begegnung mit Franz ersichtlich, war dieses zur Zeit nicht mehr der Fall und die Ursache hiervon folgende:

Im bayerischen Walde herrscht die Sitte, am Fastnachtsdienstag oder selbst erst am Aschermittwoch (Aschamicha) den Fasching (d'Foschen) zu begrabenDen Fasching zu begraben ist ein uralter heidnischer Gebrauch, wahrscheinlich mit dem Frühlingsfeste zusammenhängend, das vor der Pflugzeit mit der Beendigung des Ausdreschens fiel. Es hängt daher mit der figürlichen Beseitigung des Winters und den landwirtschaftlichen Arbeiten desselben zusammen.. Am Nachmittage verkleiden sich einige lustige Männer und Burschen und tragen unter komischen Szenen einen den Karneval vorstellenden Strohmann in einen zunächstliegenden Obstgarten oder auf den größten Misthaufen des Dorfes, um ihn da unter Absingen von parodierten Psalmen zu begraben. Dieses Leichenbegängnis wird durch allerlei Intermezzos verherrlicht, und bildet dabei das sogenannte »Ausspielen« eine bei alt und jung beliebte Belustigung. Es ist dies eine Art Haberfeldtreiben, jedoch mit dem Unterschiede, daß es am hellen Tage geschieht und über die Schranken des Scherzes selten hinausgeht. Ausgespielt wird, wer sich das Jahr über etwas zu schulden kommen ließ, wodurch er sich lächerlich gemacht. Wird von jemand eine 22 lächerliche oder thörichte Handlung erzählt, so heißt es stets: »Den muaß man auf d' Foschen ausspiel'n!«

Im vergangenen Fasching wurde denn auch Herr von Pladl ausgespielt und zwar, wie er glaubte, auf Anstiften Schrenks. Die Ursache hierzu war folgende:

Kurze Zeit vor dem Fasching kam ein vagierender Guckkastenmann nach Lohberg. An seinem Karren hatte 23 er einen miserablen Klepper, ein kleines, blindes Pferd, welches nebenbei noch einen großen Höcker hatte, angespannt. Die Hüttenleute umstanden lachend das erbärmliche Gespann und einer der Hüttenbuben schwang sich auf die Mißgeburt und ritt es zum Ergötzen der Leute die Hüttengebäude auf und ab. Da kam Herr von Pladl und blickte, wie er es bei Pferden im Brauch hatte, mit großer Kennermiene nach dem kleinen Klepper.

»Das wär' was für das kleine Fraaln,« meinte Schrenk lächelnd.

»Was soll's kosten?« fragte der Hüttenherr.

»Fünfundzwanzig Gulden,« entgegnete der Guckkastenmann. »Kaufen 's mir's ab, gnä Herr, ich kann das Tier a so nimmer ernähr'n.«

Pladl rief dem Reiter zu, er solle an ihm vorbeiparadieren. Das geschah. Weil aber das Pferd den Höcker auf der entgegengesetzten Seite hatte und der Bube im Trabe vorüberritt, bemerkte der Hüttenherr diesen Fehler nicht; und daß das arme Tier blind sei, vor der Zeit zu sagen, hatte der Guckkastenmann keine Ursache.

»Was geben 's?« fragte der Händler. »Schlagen 's einmal ein Gebot; ich will's los haben. Was gilt's?«

»Zehn Gulden,« antwortete Pladl, nur um ein Gebot zu sagen.

»Topp!« rief der Verkäufer, »die Leut sind Zeugen, das Pferd g'hört Ihnen.«

Pladl wollte eine Einwendung machen, daß es ihm nicht ernst wäre, aber der Mann sagte: »G'handelt ist g'handelt; ich bitt um mein Geld.«

Wollte sich der Hüttenherr nicht vor seinen Untergebenen bloßstellen, mußte er dem Manne die versprochenen 24 zehn Gulden aushändigen. Er that es auch, nicht ohne Verlegenheit, dachte aber schließlich doch, er hätte einen guten Kauf gemacht. Der Guckkastenmann bedankte sich und steckte das Geld in die Tasche. Wie erschrak aber Pladl, als er das Pferd in der Nähe betrachtete! Das Tier war blind, höckerig und, wie jetzt der Verkäufer auch zugestand – taub.

Alles schrie laut auf vor Lachen, als der stolze Herr mit Schrecken erkannte, daß er sich derartig habe betrügen lassen. Natürlich wollte er den Kauf sofort wieder rückgängig machen; aber der Händler erwiderte nur: »G'handelt ist g'handelt.« Da stieg dem Herrn von Pladl die Galle auf und der Mann sollte mit Gewalt zur Zurückgabe des Geldes angehalten werden.

»Packt den Kerl,« schrie Pladl zu seinen Leuten, »und haut ihn so lange, bis er das Geld herausgiebt.« Dieser Aufforderung wollten denn auch sofort einige allzu dienstfertige Leute nachkommen; aber der alte Schrenk trat dazwischen und rief:

»Neamd wag's, den Mann anz'rühr'n; i nehm'n in mein Schutz. Is der Herr von Pladl mit sein Kauf nöd z'fried'n, so is dös sei' Schuld. Bevor man an' Handel abschließt, schaut man sich d' Sach an. Ein jeder von uns hat g'seh'n, daß 's Pferd buckelt und blind is, wird wohl so a vornehmer Herr, wie unser Hüttenherr is, an' armen Teufel nöd so an' Bettelhandel streitig mach'n woll'n?«

Die Hüttenleute, die sich nicht »Nein« zu sagen trauten, wo der Schrenk »Ja« sagte, und welche überdies leicht das Richtige in dieser Sache erkannten, zogen sich zurück und gingen bis auf wenige laut lachend auseinander.

25 »Ihr Galiläer,« rief Pladl lachend aus, »will ich denn, daß ihr den Schelm tot prügelt? Man sollte glauben, ihr hättet noch niemand einen Puff versetzt und wäret wahre Muster der Barmherzigkeit. Nun, ich freue mich darüber und will euch nicht weiter in Anspruch nehmen, und damit die Sache ein Ende hat, so« – er wandte sich hier gegen den Guckkastenmann – »nehme Er seinen Gaul und behalte das Geld, aber ich bitt' mir aus, daß Er Eile hat und daß ich Ihn nie wieder in Lohberg sehe!« Nachdem er noch Schrenk einen wütenden Blick zugeworfen, ging er nach Hause; der Guckkastenmann aber zog mit seinem Pferde und dem Gelde in der zufriedensten Laune von dannen. –

Wenige Wochen nach diesem Ereignisse kam der Fasching und am Begräbnisfeste desselben, am Aschermittwoch, sollte das arme Pferd zum zweitenmal den Hüttenherrn in Aufregung versetzen. Einige lustige Bursche aus der Umgegend hatten sich nämlich dasselbe zu verschaffen gewußt und machten sich den Spaß, den stolzen Hüttenherrn auszuspielen. Sie hatten dies so geheim zu halten gewußt, daß kein Mensch ahnte, was sie vorhatten, als sie am Nachmittage des benannten Tages zahlreich nach Lohberg kamen und sich vor Pladls Haus postierten. Da sprengte plötzlich ein Bube mit dem verhängnisvollen Klepper heran und der Hüttenherr mußte zusehen, wie ein Mann in einer ihm frappant ähnlich sehenden Maske mit dem ebenfalls nachgemachten Guckkastenmann in Unterhandlung trat, und schließlich die Sache den bekannten lächerlichen Verlauf nahm. Und daß nichts fehlte, erschien auch Schrenk und brachte in etwas übermütiger Fastnachtslaune die mit Pladl gehabte Szene wieder ins Gedächtnis. 26 Dieses Mal aber konnte sich Pladl nicht mehr mäßigen. Er eilte mit geladenem Gewehre aus dem Hause und hätte vielleicht in seiner Entrüstung ein Unglück angerichtet, wären die Burschen nicht wie Spreu auseinandergestoben.

Nur Schrenk lief nicht davon, und es kam zwischen ihm und dem Hüttenherrn zu einem heftigen Auftritt.

Pladl ließ sich nicht ausreden, daß das Ausspielen auf Schrenks Anstiften geschehen, obgleich ihm dieser versicherte, er hätte nicht das entfernteste darum gewußt. Das Resultat dieses Streites war, daß Schrenk seinen Dienst kündigte.

Nach üblichem Uebereinkommen mußte jeder Hüttenbedienstete zwei Monate voraus künden, und so gerne auch Schrenk gleich Abschied genommen hätte, so war er doch gezwungen, diese Zeit noch auf der Hütte zu bleiben.

Freilich hätte später Pladl die Sache gern rückgängig gemacht, aber sein Hochmut und sein Rachegefühl erlaubten ihm dies nicht. Er sann auf Mittel, den Stolz des Glasmachers zu demütigen, so lange er noch in seiner Hand war, und wie ihm dies gelungen, werden wir bald zu hören bekommen.

Niemand auf der Hütte war dieser baldige Abgang Schrenks unangenehmer, als dem Schmelzmeister Prannes. Die beiden Familien Schrenk und Prannes waren durch gegenseitige Gevatterschaft, durch langjährige Freundschaft und Gewohnheit mit einander verbunden. Seit dem Tode der Frau Schrenk war das Verhältnis womöglich noch ein innigeres geworden, denn beide Parteien hausten jetzt sogar miteinander, indem Frau Prannes für den Witwer und seinen Sohn die Wirtschaft bestellte und letzterem wirklich mit der Sorgfalt einer Mutter zugethan war. 27 Herr Prannes war, wie schon erwähnt, ein bedeutender Mann auf der Lohbergerhütte; er hatte den Ruf des besten Schmelzmeisters weit und breit, und da die Art und Weise, wie er die verschiedenen zur Glasbereitung nötigen Ingredienzien zum Flusse brachte, und wodurch er die Weiße, die seltene Reinheit und den Glanz des Spiegelglases erzielte, nicht nur eine Folge seiner persönlichen Geschicklichkeit war, sondern auch in einer von ihm als Geheimnis bewahrten eigentümlichen Mischung mit gewissen Zuthaten ihren Grund hatte: so begreift sich leicht, daß Herr Prannes auf der Hütte ein Mann von Ansehen war. Sein ehrlicher Charakter, sein schlichter Sinn und stets heiterer Humor sicherten ihm außerdem die Liebe und Achtung aller Leute.

Er und Schrenk hießen weit und breit: »die lustigen Glasmacher«, oder wegen ihrer innigen Freundschaft: »die Unzertrennlichen«. Herr Prannes, ein mittelgroßer, etwas hagerer Mann, hatte einen unverwüstlichen Humor. Er trug in der Regel eine kurze, lederne Hose, einen abgeschossenen grünen Samtjanker und hatte stets eine schwarze Zipfelhaube auf. Er war, wie Schrenk, in den Fünfzigern; aber alles in ihm lebte, als wäre er noch ein Jüngling von zwanzig Jahren. Im Singen lustiger Lieder und Erzählen von »Huderln« (Anekdoten) hatte er nicht seinesgleichen und der Bräuer in Lohberg hielt die Einkehr des Prannes immer für einen Segen; denn er zog stets eine Menge Leute an, und – was dem Wirt die Hauptsache war – alles blieb sitzen, solange der Prannes blieb, und der Prannes mit seinem Freunde Schrenk tranken, wenn sie einmal kamen, nicht ein und zwei Glas, wohl aber mehr, recht viel mehr. Sie hatten ja das 28 Privilegium, mehr zu trinken, als andere, denn sie waren Glasmacher. Prannes war aber trotzdem der beste Familienvater; an seinem Weibe und seinem Kinde, dem Lieserl, hing sein Herz und das mit Recht. Seine Frau war das beste Weib und die beste Wirtschafterin; ihr Stolz war die Erziehung ihres Kindes und die Reinlichkeit ihres Hauses. Spiegelblank waren in der kleinen Wohnung stets Boden, Tisch und Bank, und an der schneeweißen Wäsche des Herrn Prannes erkannte man, wie sehr darauf bedacht genommen wurde. Lieserl war zehn Jahre alt, hatte dunkle Haare, schwarze Augen und ein rundes Gesicht; sie schien ganz das Temperament ihres Vaters zu haben, denn sie war ebenso lustig und sang gerade so gern, wie er. Sie hatte es im Singen schon so weit gebracht, daß sie im Lohberger Kirchlein, einer Filiale von Lam, auf dem Chore singen durfte, worauf sie nicht weniger stolz war, als ihr Vater. Dem Schrenken-Franzl war diese Liese mit schwesterlicher Liebe zugethan. Sie betrachtete ihn als Bruder, wie ihn ihre Eltern gleichsam als Sohn betrachteten. –

Wir haben Franz im Kreise der Familie Prannes wohl aufgehoben verlassen, und er hätte sich auch vollkommen zufrieden gefühlt, wenn ihm nicht fortwährend Pladls Begegnen auf der Absetz und dessen Drohung gegen seinen Vater vor Augen geschwebt hätten. Er nahm auch keinen Anstand, seinem Paten davon Mitteilung zu machen und um die Ursache dieses gespannten Verhältnisses zwischen Pladl und seinem Vater zu fragen.

Prannes teilte Franz diese Ursache im wesentlichen mit, riet ihm aber, dem Vater von Pladls heutiger Aeußerung nichts zu sagen, um nicht einen neuen Skandal 29 hervorzurufen. Hielt es doch Prannes noch fortwährend für möglich, daß Schrenk wieder auf der Lohbergerhütte bleibe, wenigstens strebte er dahin, die Sache mit Pladl wieder auszugleichen; denn der Abgang des Freundes ging ihm schon jetzt schwer zu Herzen und er wartete auf eine günstige Gelegenheit, mit dem Hüttenherrn ein »gescheites Wort« reden zu können. Zu Franz sagte er aber noch vor dem Schlafengehen: »Franzl, merk dir zwoa Ding: Sieh nöd mehr als d' muaßt, und frag' über nix, was man dir verschweig'n will!«

Franz konnte trotz der Strapazen des Tages, trotz des Bewußtseins, im heimatlichen Bette zu liegen, zu keinem ruhigen Schlafe gelangen und er stand schon bei Sonnenaufgang angekleidet vor der Thüre, den Vater, dessen Arbeit in der Hütte gegen Morgen zu Ende war, zu erwarten, und als er kam, ihn mit unendlicher Freude zu begrüßen. Der alte Schrenk hätte vor lauter Fragen und Freude gar nicht mehr daran gedacht, von der anstrengenden Arbeit einige Stunden auszuruhen, wenn ihn Franz nicht dringend darum gebeten hätte. Schrenk wollte dieses höchstens auf ein oder zwei Stunden thun; denn heute mußte er mit in die Kirche zur Palmenweihe, um unserm Herrgott zu danken für Franzels frohe Wiederkehr, und mit einem gewissen Vaterstolze drängte es ihn auch, den kleinen Studenten den Nachbarn und Freunden vorführen zu können. 30


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