Maximilian Schmidt
Glasmacherleut'
Maximilian Schmidt

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XII.

Eine Stunde später war Franz in Begleitung des Lehrers auf dem Heimwege begriffen. Es traf sich eigentümlich, daß der junge Glasmacher heute fast mit allen Personen wieder in Berührung kommen sollte, welche mit den früheren Schicksalen seines Vaters in naher Beziehung standen. Es war ihm nämlich auf seinem Rückwege ein Begegnen vorbehalten, nach welchem er sich niemals gesehnt hatte: das des Herrn Pladl und seiner Tochter Rosalie, und dieses Begegnen war noch dazu von Umständen begleitet, welche sogar von weittragenden Folgen, ja eine Bestätigung des Sprichworts werden sollten: »Kleine Ursachen, große Wirkungen.«

Zwischen Lohberg und Sommerau befindet sich ein ziemlich tief eingeschnittener, fast schluchtähnlicher Grund, durch welchen ein reißender Wildbach, vom nahen Ossa, kommend, hindurchfließt, um sich in den nahen Regenfluß zu ergießen. Wie alle Wildwasser im Frühjahre, ging auch dieser Bach gerade jetzt außerordentlich hoch und reißend, als der Lehrer und Franz an demselben ankamen, um auf dem Fußsteige von Lohberg nach Sommerau zu gelangen. Fast zu gleicher Zeit war, von Sommerau herkommend, Herr Pladl mit seiner Tochter, Fräulein Rosalie, hier eingetroffen, welche auf dem Heimwege die Fahrstraße benützt hatten und auf dem Fußsteige nach Hause gelangen wollten. Als aber Herr Pladl vor dem Stege ankam, welcher 161 nur aus einem schmalen, über mehrere große Steine gelegten Brette bestand, das wegen des hohen Wassers fast von demselben bespült war, hemmte der Hüttenherr seine Schritte, denn er wagte es nicht, dem schwankenden Brette seinen schweren Korpus anzuvertrauen. Er schimpfte fürchterlich auf die Gemeindeverwaltung, daß sie keine bessere Vorsorge getroffen, und als er jetzt des Lehrers ansichtig ward, welcher als Gemeindeschreiber auch ein Glied der Verwaltung war, machte er diesem die gröbsten Vorwürfe, daß er nicht besser für die Herstellung ordentlicher Verbindungsmittel Sorge trage. Der Schullehrer erwiderte, daß er sogleich zu Sommerau das nötigste anordnen wolle, im übrigen der Steg zur Notdurft schon ausreiche, und daß man mit dem Gehen viel eher hinüber komme, als mit dem Raisonnieren.

»Machen Sie's nur wie ich« sagte er lachend, und mit »eins, zwei, drei!« war er jenseits des Baches.

Franz schickte sich an, nachzufolgen, und zählte während des Hinübergehens ebenfalls laut: »eins, zwei, drei!«

Pladl nahm die Sache jetzt auch von der heiteren Seite und schritt über den Steg. Er zählte dabei gleich den vorigen: »eins, zwei« – da krachte es und plumps! lag er drinnen im Bache und schrie Zeter und Mordio!

Rosalie schrie laut auf. Der Lehrer schrie auch, aber nicht aus Schrecken, sondern vor Lachen. Franz jedoch sprang dem Hüttenherrn nach und half ihm wieder aufs Trockene. Dieser schimpfte jetzt in allen Tonarten und war über des Lehrers schallendes Gelächter ganz wütend. Die Sache war aber noch nicht abgethan; der Papa war jenseits, Rosalie diesseits des Baches, und die Verbindung 162 zwischen beiden, der verhängnisvolle Steig, gebrochen. Was war zu thun? Das Mädchen war in sichtlicher Verlegenheit; aber Franz, welcher mit einigen Sprüngen wieder jenseits angelangt war, wandte sich an Rosalie:

163 »Ich will Sie hinübertragen, Fräulein,« sagte er, »Sie dürfen sich meinen Armen schon anvertrauen.«

»Warum nicht gar,« erwiderte mit einem Blicke der Verachtung das Mädchen, »das werde ich nie thun.«

»Dann müssen Sie einen großen Umweg machen,« sagte Franz, »es darf Sie nicht genieren, wenn Sie von mir einen Dienst annehmen.«

»Eine Gefälligkeit,« verbesserte das Mädchen, »eine Gefälligkeit von einem Schrenk.«

»Nun,« entgegnete Franz lachend, »thut Ihnen der Esel eine Gefälligkeit, wenn Sie ihn spazieren reiten? Sie betrachten es gewiß nur als Dienst. Betrachten Sie mich, wenn Sie wollen, für den Esel, und Sie brauchen mir so wenig zu danken, wie Sie 's jenem thun.«

»Unter dieser Bedingung,« erwiderte spöttisch Rosalie, »nehme ich's an.«

Franz nahm hierauf das Mädchen schnell in seine Arme und trug es wie eine Puppe an das andere Ufer.

»B'hüt Sie Gott, Fräulein Rosalie,« sagte er, und sprang, ohne ein Wort der Anerkennung abzuwarten und auch zu hören, wieder ans jenseitige Ufer zu dem Lehrer, mit welchem er dann ohne Aufenthalt den Weg nach Sommerau und über den Brennes fortsetzte.

Franz hatte dieses Abenteuer vergessen, bevor eine Stunde vergangen; nicht dasselbe war bei derjenigen der Fall, welche in so beleidigender Weise seinen Dienst angenommen und statt eines Dankes mit Roheiten belohnt hatte. Der Vater raisonnierte während des Nachhausegehens in einem fort auf den Lehrer, welcher sich erlaubte, ihn in seiner Bedrängnis auszulachen, und nahm sich vor, die ganze Gemeindeverwaltung wegen der schlechten 164 Instandhaltung der Verbindungsmittel zu verklagen; dann zankte er mit dem Mädchen, weil dieses den Vorschlag gemacht, den Fußweg einzuschlagen, – dann schimpfte er über das Wasser, das seine Kleider durchnäßt, und über sich selbst, daß er so unvorsichtig war, über das schwache Brett zu gehen. Zu Hause angekommen, gab es dann einen neuen Auftritt mit der Frau, den Kindern und den Dienstboten, wie es alle Tage der Fall war; denn seinen Aerger über die meistens selbst verschuldeten Störungen im Geschäfte ließ er in der Regel an seinen Hausgenossen aus, die ihm freilich auch hinreichend Ursache dazu gaben. Die Hüttenfrau nahm keine Rücksicht auf die bedeutend geringer gewordenen Einkünfte, im Gegenteile brauchte sie jetzt mehr Geld als früher, wo Herr Pladl noch nach Tausenden rechnete. Die Kinder waren jetzt fast alle in einem Alter, wo bedeutende Summen für dieselben verwendet werden mußten; zwei Söhne waren auf fernen Studienanstalten, thaten aber so wenig gut und machten trotz ihrer Jugend so viele Schulden, daß man sie nirgends lange behielt, und die nichtsnutzigen Buben mußten schon nach wenigen Jahren mit Schand und Spott wieder zurückkehren in das elterliche Haus. Kein Wunder, daß Herr Pladl auf diese Weise all seine gute Laune verlor; aber sein unwirsches Benehmen machte ihm von Tag zu Tag mehr Feinde, die besten Arbeiter verließen seine Hütte, und die Gläser von Oberlohberg hatten ihr ganzes Renommee nach und nach verloren. Rückständige Zahlungen, Fallissements bedeutender Häuser, welche infolge der bewegten Zeiten eintraten, brachten ihm gleichfalls einen großen Verlust, und mit Riesenschritten, oder wie der Kramerjakl sagte: »rapidi capiti«, ging es bei Herrn Pladl abwärts. Dazu der 165 Krieg im eigenen Hause, das verschwenderische, dem Laster des Trunkes und der Lotterie sich hingebende Weib, die liederlichen Kinder . . . . Herr Pladl war zu bedauern!

Rosalie, das siebzehnjährige Mädchen, das verhätschelte Schoßkind des Vaters, war ohne alle Grundsätze groß geworden. Das stattlich herangewachsene, große Mädchen mit den rötlich blonden Haaren, dem weißen, feinen Teint, dem edelgeformten Gesichte und den himmelblauen Augen hätte für schön gelten können, wenn dem Anzuge und den Haaren mehr Sorgfalt zugewendet worden wäre, wenn diese schönen Augen nicht gar so leblos gewesen wären. – Arme Augen! warum glänztet ihr denn nicht im Frühlinge des Lebens? Spiegel der Seele, konntest du niemals widerstrahlen von seligem Glück? – Arme Seele, an welcher der Frühling vorüberzieht, ohne ein einziges Blümlein zurückzulassen, nicht einmal ein Totenblümlein, das die kalte Oede ihres Herzens wenigstens mit stiller Wehmut hätte unterbrechen können! – Doch, sie trug keine Schuld an dieser Verwahrlosung von Geist und Herz! Der täglich sich wiederholende Krieg im eigenen Hause, die Lieblosigkeit der Geschwister, welche mit neidischen Augen auf die Bevorzugte des Vaters blickten, und der dadurch herbeigeführte fortwährende Streit, der Mangel an wahrer Religion, dem echten Kitt des häuslichen Glückes: kurz, es fehlte aller und jeder Anlaß zu einer geistigen Anregung und Rosalie hatte es bis jetzt noch nie empfunden, daß ihr fast alles mangelte, was das Leben hätte schön machen können.

So war es um Rosalie bestellt bis zu dem Momente, wo sie von Franz über den reißenden Wildbach getragen 166 wurde, ein Dienst, für welchen sie keine Silbe des Dankes, wohl aber Worte des Spottes und der Beleidigung fand.

Das Mädchen war seit jenem Augenblicke unzufrieden mit sich selbst; sie ärgerte sich, daß sie Franzens Anerbieten angenommen. Da es aber einmal geschehen, so, meinte sie, hätte sie wohl dem Burschen für seine Bemühung einen »Gelt's Gott!« sagen können. Dieser Gedanke, dieser Selbstvorwurf wollte Rosalie nicht mehr verlassen. Als ihr Vater zu Hause wieder auf sein unwillkommenes Bad polterte, konnte das Mädchen nicht umhin, zu sagen:

»Es war doch schön von dem jungen Schrenk, daß er dir so schnell beigestanden ist in der Not und auch mir so gefällig war. Wir hätten ihm danken sollen.«

»Dummes Geschwätz!« erwiderte jetzt Pladl. »Einem Schrenk für etwas danken? Kein Mensch hat es ihn geheißen, uns einen Gefallen zu thun. Er hat sich selbst aufgedrungen, der dumme Mensch, und ich werde mir solch ungebetene Dienste verbitten.«

»Also hätte er dich im Bache liegen lassen sollen?« fragte das Mädchen.

»Ja,« schrie der Vater aufgeregt, »lieber will ich ersaufen, als von einem Schrenk einen Dienst erbitten! – Wer ist schuld an unserm Unglück, als der Schrenk? Seinetwegen ist der Prannes aus meinem Dienste getreten und geht auf der Hütte alles verkehrt. Kein Tag vergeht, ohne daß ich unsern Herrgott bitte, daß er seinen Blitz herabschleudere auf die ganze Sippschaft!«

»Dieser Blitz,« entgegnete Rosalie stotternd und mit gedämpfter Stimme, »hat aber bis jetzt immer nur unser Haus gefunden und weiß auch künftig keinen andern Weg.«

»Meinethalben schlagt er's ganz z'samm!« schrie erhitzt 167 der Hüttenherr, indem er, die Thür hinter sich mit Gewalt zuschlagend, das Zimmer verließ.

Rosalie entfernte sich ebenfalls; sie wollte allein sein, und eine Stickerei zur Hand nehmend, setzte sie sich auf eine Ruhebank in dem zunächst des Hauses befindlichen Garten. – Hier war es Frühling und eine angenehme laue Luft wehte durch das Thal des weißen Regens. Rosalie hatte ihre Arbeit alsbald aus der Hand gelegt und blickte nachdenkend hinaus in die Gegend.

Es war so feierlich still; die Waldungen am Arber und Ossa erglühten in den Strahlen der scheidenden Sonne in unbeschreiblich schönen, dunkel violetten Tönen. Rosalie blickte schweigend nach diesem herrlichen Spiele der Natur; es war ihr, als ob das Herz davon erwärmt und das zerrissene Gemüt wieder erquickt würde. Sie dachte an nichts Bestimmtes, nur als ihr Auge jetzt über den Brennes hinglitt, flüsterte sie leise:

»Dort ging er hinüber, zufrieden und glücklich und – mich verachtend.« – –

Was war es, daß Rosalie ihr Tuch vor die Augen hielt? Weinte sie? – Lange weilte sie auf diesem Platze; sie achtete nicht des Dämmerlichtes der hereinbrechenden Nacht und daß bereits am Firmamente der Abendstern mit flimmerndem Gruße den Beginn einer reizenden Frühlingsnacht verkündete. Fast erschreckt fuhr sie von ihrem Sitze auf, als im Hause die gellende Glocke zur Abendmahlzeit ertönte. Sie kehrte dahin zurück; zuvor aber trocknete sie sorgfältig Augen und Wangen – denn Rosalie hatte geweint. – – 168


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