Maximilian Schmidt
Glasmacherleut'
Maximilian Schmidt

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VII.

Am Platzl, wo Schrenk den Kramerjakl verlassen hatte, ereignete sich inzwischen eine andere Szene, welche für den Koppengirgl ebenso heiter war, als die vorige für die Glasmacher traurig und trostlos schien. Wir wissen, daß dieser Wilderer auf Schrenks Mitteilung von dem stattgehabten Unglücke sofort den Entschluß faßte, sich von der Richtigkeit der Sache selbst zu überzeugen und außerdem Schrenks Flinte und den erlegten Auerhahn in Verwahrung zu nehmen. Alsbald war er an dem verhängnisvollen Platze angelangt und fand in der That den Jäger, das Gesicht zur Erde gewandt, wie tot am Boden liegend.

»'s is dennat anders, wie auf der Bärnjagd,« murmelte der Alte und besah sich etwas genauer den stillen Mann. Er forschte nach der Stelle, wo der Schuß eingedrungen, fand aber nirgends die geringste Spur; nicht ein Tropfen Blut zeigte sich an der Kleidung und auf dem Boden und neue Zweifel stiegen im Kopfe des Alten auf. Deshalb nahm er ihn bei der Hand und – sonderbarer Weise, sie war zwar kalt, aber kaum hielt er sie einige Sekunden in der seinen, war es ihm, als erwärmte sich allmählich die tote Hand. Der Koppengirgl fühlte sofort den Puls und rief erstaunt und erfreut: »Sackara! der lebt ja noch! Es ist richtig, wie i g'sagt hab', g'rad wie auf der Bärnjagd! – No wart', Kropfeter,« setzte er dann, gegen den Ohnmächtigen sich wendend, hinzu, »die 87 G'legenheit will i nöd unbenutzt lassen, mit dir abz'rechnen!« Er überlegte eine Weile und sein Lächeln zeigte, daß er mit seinem Einfalle zufrieden war.

»Er halt mi für an' Hexenmeister; i will doch seh'n, wie weit er 's Zutrau'n zu mir hat. Wenn er wieder zu sich kommt von sein' Schußfieber, so mach i ihm weiß, er is in an' Auerhahn verzaubert wor'n.«

Er hieb dem in der Nähe liegenden, von Schrenk erlegten Auerwild die Flügel ab und befestigte sie an dem Rücken des Ohnmächtigen derart, daß dieser glauben sollte – denn wie wir bereits wissen, der Kramerjakl glaubte alles – es wären ihm während seiner Ohnmacht Flügel gewachsen, und schraubte dann von des Jägers Flinte die Hähne ab. Während dieser Manipulation fing der Kramerjakl an, sich zu rühren. Der Kopp beeilte sich, auf die Seite zu laufen und die Stimme eines dritten nachäffend, zu schreien:

»Dort is an' Auerhahn, a großmächtiger, schuiß!« Und seine eigene Stimme wieder annehmend, setzte er dazu:

»Dös is ja dennat a Hexerei, so a Hahn, so großmächtig! Wenn dös koa' verzauberter Hahn is, bin i oana. Still, er rührt sich; wenn er vom Platz geht, druck i ab!«

Der Kramerjakl, der das Malheur hatte, bei jedem großen Schrecken ohnmächtig zu werden, hatte sich allmählich erholt; er konnte sich aber nicht darauf besinnen, ob er erschossen worden sei und also in der Ewigkeit erwache, oder ob er noch unter die lebende Menschheit gehöre. Er getraute sich die Augen nicht recht aufzumachen. Daß er nicht im Fegfeuer sei, das wußte er gewiß, weil er vor Frost zitterte; aber für die Hölle, wo es heißt, daß Heulen 88 und Zähneklappern herrscht, war einige Wahrscheinlichkeit vorhanden. Wie gesagt, er drückte die Augen zu, denn alles konnte er noch früh genug erfahren. –

Jetzt hörte er Menschenstimmen und eine Sprache, die er verstand. Unwillkürlich hob er den Kopf in die Höhe 89 und blickte nach dem Sprechenden; er sah ein Gewehr auf sich gerichtet, er hörte Zächerls Ruf. Der grelle Wechsel dieser Situation machte den ohnedies nicht gescheiten Kramerjakl erst ganz dumm.

»Halt! halt!« rief er. »Wenn i wirkli no' nöd erschossen bin, so braucht's es nöd aa. Gott steh mir bei, der Koppengirgl!« setzte er dann hinzu.

Dieser aber rief: »An' Auerhahn, der schwatzen kann – was soll dös sein? – Das is a Hexenwerk!«

»Wo is denn an' Auerhahn?« fragte der Kramer mit zitternder Stimme.

»Du bist einer,« antwortete der Kopp.

»Was i? I wär an' Auerhahn?«

Der Jäger besah sich ringsum und bemerkte die an seinem Rücken herabhängenden Flügel. Wie ein Blitz durchzuckte ihn jetzt der Gedanke, er sei wirklich in einen Auerhahn verwandelt worden; vor seinem Geiste liefen die verzauberten Hasen vorbei, die einstens aus Koppens Hut hervorgegangen waren, und die Nähe dieser unheimlichen Person, die Flügel an seinem Rücken – es überlief ihn eisig kalt.

»I bin ja koa' Hahn,« rief er jetzt, »i bin der Kramerjakl, schau nur mein' Kopf an und meine Füß und meine Hos'n. – Hat denn an' Auerhahn Hos'n an? – Zächerl, kennst mi denn nöd? – Thua d' Flint'n aus'm Anschlag und laß mit dir schwatzen.«

»Nix da,« schrie der Wilderer, »der Kramerkropfet willst d' sei? so könnt' sich a jeder Auerhahn ausreden. I seh koa' Hos'n; i seh nix als lauter Federn.«

»Lauter Federn?« rief der Kramer mit ängstlicher Stimme. »Ja, ja,« dachte er, »es ist richtig; mit seinen 90 eigenen Augen sieht man sich immer in seiner früheren Gestalt, während die andern Leut einen nur in der verzauberten erblicken.«

»Sollst aber wirkli ein verzauberter Hahn sein,« sagte jetzt der Koppengirgl, »so woaß i die Ursach, warum d' verzaubert bist. Du hast 'n Schrenk erschießen woll'n. Is 's so?«

»Ja – dös hab i woll'n,« antwortete der Jäger mit zerknirschter Miene.

»Und warum?«

»Warum? Der Hüttenherr hat mir auftrag'n, wenig Umständ z'machen, wenn i'n beim Wildern ertapp.«

»Der Hüttenherr? Was weiter? Sag' alles, denn i hab' die Kraft, dich wieder umzuzaubern.«

»Ein Karolin als Schußgeld hat er mir g'hoaßen; aber nöd z'sammaschieß'n soll ich 'n; nur auf d' Füß sollt' i halten, hat er g'sagt. – Aber ach du lieber Himmel, was fang i denn an, wenn i iatzt an' Auerhahn bin!«

»Versprich mir zwoa Ding und i helf dir wieder zu deiner G'stalt.«

»I versprich dir's!«

»Laß 'n Schrenk und mi in Fried' künftig; such uns nimmer auf, und was d' Hauptsach' is, laß di nimmer verleiten, auf uns z'schieß'n.«

»I versprich's.«

»Und beschwörst es?«

»I beschwör's.«

»Dann versprich, daß d' di bessern willst wegen deiner Dummheit –«

»Wegen meiner Dummheit? Bin i denn gar so dumm?«

91 »I kann nöd nein sag'n,« entgegnete der Koppengirgl, gerade hinauslachend.

Der Kramerjakl, in dem endlich Zweifel über seine Verzauberung rege wurden, besah sich noch einmal ringsum und versuchte, einen angehängten Flügel herabzureißen. Dies war nicht schwer, und da der Kopp von seiner Dummheit gesprochen und in solch fürchterliches Gelächter ausbrach, mußte der betrogene, abergläubische Mann doch allmählich auf die Idee kommen, daß er am Ende zum Narren gehalten worden sei.

Der Wilderer erkannte sogleich, was in Kramers Gehirn vor sich ging, und hielt es für das Beste, sich demselben zu nähern und einzulenken, indem er sagte:

»Du hast g'schwor'n, Kramer, mir nix mehr anzuhab'n; drum sollst iatzt wissen, daß d' ebensowenig in an' Auerhahn verzaubert bist, als die Hasen von dazumal von mir verzaubert waren und i bei der Bär'njagd a Kraftpulver g'habt hab'.«

Der betrogene Jäger, erst niedergedonnert vor Scham, fühlte bei der allmählich zunehmenden Gewißheit seines Menschseins wieder menschliche Leidenschaft und so groß auch der Aerger über seine Dummheit war, die er sich vielleicht zum erstenmal jetzt redlich eingestand, so suchte er doch, nach Art aller kleinlichen Menschen, diesem Aerger über sich selbst schnell ein anderes Objekt zu geben, und dieses war der Bär'nkoppengirgl.

»Malefizlump!« rief er diesem jetzt zu. »Kerl, weil d' mi so dumm g'macht hast, so erschieß i di!« Er nahm rasch seine Flinte zur Hand und wollte den Hahn spannen, aber welch Mißgeschick! – der Hahn war abgeschraubt 92 und wehrlos stand er dem Geschmähten gegenüber. Dieser lachte jetzt zum zweitenmal.

»Was bist iatzt so harb,« rief er ihm dann zu. »Vorhin warst voller Jammer, daß d' in an' Auerhahn verzaubert warst, und iatzt bist voller Wut auf mi, daß's nöd a so is. Vor a paar Sekunden schwörst, du willst mir nix mehr thua, und iatzt hätt'st mi fredi erschossen, wenn i nöd so g'scheit gwen wär, von der Flint'n die Hähn' abz'schraub'n. Woaßt was, Kramer, halt'n wir Versöhnung, geh'n wir zum Schrenk, und sag'n wir ihm, daß er umsonst in Angst und Sorg war, und weil di die Waldung da eh nix angeht, so schnauf nur koa' Wörtl von der heutigen Jagd, sonst geht's dir grad so schlecht, wie uns, und Kramer, denk an dein' Oad, wenn d' willst selig wern!«

Der beschämte Jäger ging nach weiterem Hin- und Herreden schließlich in den Wunsch des Koppen ein, mit ihm zu Schrenk zu gehen, und der Kopp versicherte ihm bei diesem Gange aufs neue, daß er niemals habe zaubern können, überhaupt eine große Geistesbeschränktheit dazu gehöre, an so verrücktes Zeug zu glauben.

Der Jäger, so vernünftig ihm auch Koppens Rede zu sein schien, schüttelte aber doch hie und da ungläubig mit dem Kopfe, und wenn er den Wilderer so von der Seite, wie er es in seiner Art hatte, betrachtete, überlief es ihn jedesmal eiskalt und er wünschte das Ende dieses Ganges herbei.

»Dös is natürlich,« sagte er zu sich selbst, »der wird mir seine Zaubereien so wenig auf d' Nas'n bind'n, wie i an' Wilderer meine Garnplätz zeig'; mag iatzt die G'schicht mit dem Auerhahn wirkli a Fopperei g'wes'n sei' – die Sach' war doch nöd so recht, wie's hätt' sein soll'n und 93 – der Verdacht ist ein Schelm.« – Kurz und gut, der Kramer blieb trotz seines Versprechens, sich zu bessern, auch fernerhin von Zaubergedanken umfangen; denn so ein alter, unter den Eindrücken von Kobolden und Hexereien grau gewordener Waldjäger kann seine Ideen nicht mehr ändern; sie sind ihm zur Gewohnheit geworden und der Glaube, der ihm sechzig Jahre gut gethan, sollte auch für den Rest seines Lebens noch aushalten. Das war seine Meinung, und es kennzeichnet sich die Zähigkeit, mit welcher er trotz aller Vernunftgründe des Zächerl in seinem Wahne befangen war, am besten dadurch, daß er wenige Jahre nach diesem Vorfalle, wo sich nur immer eine Gelegenheit darbot und mit den heiligsten Beteuerungen erzählte, er sei einmal in einen Auerhahn verwandelt gewesen und im Vertrauen die Leute vor dem Zächerl warnte, dem er selbst schon von weitem aus dem Wege ging.

Galt in den Augen des abergläubischen Jägers der witzige Zächerl für einen bösen Zauberer, so war er in Franzens Augen der allerliebste und willkommenste Hexenmeister von der Welt; denn wie könnten wir die Freude schildern, welche der Knabe empfand, als Zächerl den »lebendigen« Kramerkropfet hereinbrachte? Er schrie gerade hinaus vor lauter Vergnügen, und als Frau Prannes und das Lieserl erschreckt herbeiliefen, weil sie ein neues Unglück befürchteten, nahm er eins nach dem andern um den Leib und tanzte unter Juhschreien mit ihnen im Zimmer herum; dann küßte er alle der Reihe nach, selbst den Kramer und Zächerl, zog schnell den Rock an, setzte das Mützchen auf und – »B'hüt Gott, ich lauf 'n Vater nach Kötzting nach!« – eilte er fort, ohne daß man ein Wort mit ihm reden, noch weniger ihn hätte zurückhalten können.

94 Als er flüchtigen Schrittes Lohberg zueilte, kam ihm der Lehrer, durch die beiden Glasmacher von dem Unglücke auf dem Ossa bereits in Kenntnis gesetzt und soeben im Begriffe, die Leiche des Jägers durch mehrere Leute holen zu lassen, entgegen. Franz erzählte ihm in Kürze, welche glückliche Botschaft er dem Vater nachzubringen habe, was bei allen Anwesenden die aufrichtigste Freude hervorrief.

Der wackere Lehrer war sogleich bereit, Franz nach Kötzting zu begleiten, schlug aber vor, daß Kellermeier seinen Wagen einspannen lassen müsse, damit man schneller zum Ziele gelangen, womöglich den Schrenk unterwegs einholen könne. Der vor Freude zitternde Knabe konnte aber nicht abwarten, bis eingespannt war; es trieb ihn mit unwiderstehlicher Gewalt vorwärts; wußte er auch, daß ihn der Lehrer zu Wagen alsbald einholen müsse, er zog es doch vor, ohne Aufenthalt zu Fuß die Straße gegen Kötzting einzuschlagen. Die Freude beflügelte seine Schritte und so hatte er über eine Poststunde zurückgelegt, noch bevor der Lehrer mit dem Wagen in Lohberg abgefahren war, und vorwärts eilte er über Berg und Thal in dem freudigen Bewußtsein, daß er mit jedem Schritte dem geliebten Vater näherkomme. Weit über die Hälfte des Weges hatte er zurückgelegt, als ihn der Lehrer mit dem Wägelchen endlich einholte. Er setzte sich hinein und im strengsten Trabe ging es nun weiter gegen Kötzting. Trotz all dieser Eile war es aber nicht mehr möglich, die beiden Glasmacher auf dem Wege einzuholen, denn sie waren auf dem Gerichte eine Viertelstunde früher angelangt und hatten schon um eine Audienz beim Landrichter nachgesucht. Dieser, ein allgemein geehrter Biedermann, ließ die beiden Glasmacher gerne vor sich kommen; denn er kannte sie gar 95 wohl von seinen Inspektionsreisen her und hatte sich beim Kellermeier zu Lohberg manche Stunde mit den fröhlichen Leuten aufs angenehmste unterhalten.

»Was seh ich? Die beiden Unzertrennlichen von Lohberg? Womit kann ich euch dienen, meine lieben Freunde?« rief er ihnen entgegen, als sie in sein Zimmer eingetreten waren. Er reichte beiden die Hand, und erst jetzt bemerkte er mit Befremden die traurigen Mienen in den Gesichtern der sonst so fröhlichen Glasmacher.

»Was ist geschehen?« fragte er jetzt.

»A groß's Unglück,« entgegnete Schrenk, »hat's heut' abg'setzt und i bin fredi kommen, Gnad'n Herr Landrichter, selber alles zu berichten, wie 's gangen hat und wie weit i bei dieser Sach beteiligt bin.«

Er erzählte hierauf der Wahrheit gemäß das ganze Vorkommnis auf dem Ossa, beteuerte seine Unschuld an dem Tode des Jägers, welchen er einem unglücklichen Zufalle zuschrieb, und bat den Landrichter, gnädig zu richten in dieser verhängnisvollen Sache. Auch Prannes vereinigte seine Bitten mit den Schrenks.

Der Landrichter hatte der Erzählung des Glasmachers ruhig und ernst zugehört. Ein schmerzlicher Zug zeigte sich während derselben auf seinem Gesichte; man sah es ihm an, es that ihm wehe, gegen denjenigen, den er so gerne mit Wohlwollen behandelt hätte, als ernster und strenger Richter auftreten zu müssen.

Nachdem er Schrenk einige Momente fest in die Augen geblickt hatte, fragte er ihn:

»Ihr seid bereit, das alles zu Protokoll zu geben, was Ihr mir soeben erzählt habt?«

»Ja, derentwegen bin i da, Herr Landrichter,« 96 entgegnete Schrenk. »Laßt's an' Schreiber kommen – was i g'sagt hab', bei dem bleib i.«

Der Landrichter war im Begriffe, einen Schreiber aus dem Nebenzimmer zu rufen, als sich die Thüre öffnete und Franz hereingesprungen kam.

»Vater,« rief er, auf diesen zueilend und ihn umarmend – »er lebt! er lebt!«

Nun hätte man sehen sollen, wie dieser Ausruf die im Zimmer anwesenden Personen elektrisierte.

Schrenk zitterte wie Espenlaub; Freude und Zweifel machten ihm das Blut erstarren und mit großen Augen und geöffnetem Munde wartete er auf die Antwort seiner Frage: »Wer, Franzl? der Kropfet?«

Der Prannes, welcher sich bis jetzt nur mit seiner Zipfelhaube die Thränen aus den Wangen gewischt und Schrenks Rede fortwährend mit Kopfnicken begleitet hatte, sah auf Franzens Ruf erstaunt auf und fragte mit gespannter Erwartung: »Was sagst da, Bua?«

Der Landrichter kehrte erfreut um und rief: »Also nur verwundet? Nicht tot?«

Franz beantwortete die Fragen dieser drei Männer, indem er mit unendlichem Vergnügen sagte:

»Frisch und g'sund is er. Nix fehlt dem Kramerkropfet, gar nix; i hab'n g'seh'n, und – nicht wahr, Herr Landrichter, jetzt erlauben's schon, daß mein Vater wieder heim geht?«

Der Schrenk konnte sich von seinem freudigen Erstaunen kaum erholen; der Prannes hatte nichts Eiligeres zu thun, als sein Brisilglas herauszuziehen, und, nachdem er geschnupft, reichte er es Schrenk hin und sagte mit weit ausgeholtem Atem:

97 »Iatzt schnupf'n wir amal – auf den Schreck'n!«

Der Landrichter reichte Schrenk und seinem getreuen Freunde gerührt die Hand.

Nun kam auch der Lehrer von Lohberg und bestätigte Franzens glückliche Nachricht.

Das war ein Geplauder und ein Glückwünschen! Der Lehrer, Schrenk, Prannes und Franz redeten alle zu gleicher Zeit; der Schluß von Prannes Ergießungen aber war: »No', den Rausch heunt!«

Aber dafür war etwas gut.

Der Landrichter hatte die Leute eine Weile in ihrer Freude sich ergehen lassen; dann trat er herzu und Franz bei der Hand nehmend, sagte er:

»Der Herr Student muß für seine frohe Botschaft auch etwas haben. Komm mit mir, Franz; meine Frau hat gestern einen Kuchen gebacken, sie wird dir ein Stück zum Verkosten geben. Ich habe dann mit euch,« dabei wandte er sich an die übrigen, »noch eigens zu sprechen.«

Nachdem der wohlwollende Herr den kleinen Studenten der Frau Landrichterin bestens empfohlen, kehrte er in sein Amtszimmer zurück. Auf seinem Gesichte zeigte sich aber jetzt Ernst und Strenge.

Er trat Schrenk gegenüber und sagte:

»Schrenk, es freut mich, daß sich die Sachlage anders gestaltet hat, als Ihr befürchtet. Gleichwohl kündige ich Euch hiermit an, daß Ihr als Arrestant hier zu bleiben habt.«

Schrenk erschrak jetzt aufs neue und nicht weniger Prannes. War ersterer sprachlos, so vermochte letzterer wenigstens die Frage, welche beiden auf der Zunge schwebte, in gebrochenen Worten hervorzubringen:

98 »A–A–A–rrestant? Wie das, Gnad'n Herr Landrichter? Für was lebt nachher der andere?«

»Dank sei unserm Herrgott,« entgegnete streng der Landrichter, »daß er lebt! Glaubt Ihr übrigens deshalb rein zu sein von aller Schuld? Will ich auch dem Jäger Kramer kein Recht einräumen, auf fremdem Grund und Boden Justiz auszuüben, wie aber könnt Ihr es wagen, Schrenk, in die Wälder hinauszugehen, und zu wildern?«

»Herr Landrichter,« besänftigte Prannes, »thuat ja kaum der Müh wert wegen dene paar Stückl, die man kriegt; der Hüttenherr oder der Staat, wer's grad is, die spür'n ja so was gar nöd.«

»Aber jemand andrer spürt es,« rief der Landrichter, »und dieser andere ist das Gesetz. Das Gesetz hat das Wildern verboten und es ist mit schwerer Strafe belegt. Wer trotzdem ohne Befugnis auf die Jagd geht, der mißachtet das Gesetz, und wer das Gesetz nicht achtet, der ist kein guter Bürger und Unterthan, der hat keine Liebe zu seinem König, unsrem angestammten Landesherrn, und wer das Gesetz nicht selbst befolgt, ist auch nicht seines Schutzes würdig. Merkt Euch das, Schrenk, und auch Ihr, Prannes, könnt's Euch merken. Ihr aber, Schrenk, seid wegen Wildfrevels der Strafe verfallen; das Verhör mit dem Jäger wird dann auch über das andere entscheiden.«

Und sich zum Lehrer wendend, sagte er: »Seien Sie so gütig, Herr Lehrer, und besorgen Sie, daß der Jäger Kramer noch heute bei Gericht erscheint.«

Dann wandte er sich wieder etwas milder zu Schrenk mit den Worten: »Euer bis jetzt ungetrübter Leumund wird übrigens nicht unberücksichtigt bleiben.«

»Na', na',« erwiderte jetzt Schrenk, »Gnad'n Herr 99 Landrichter; Leumund hin, Leumund her; sperr'n's mi nur ein, so lang 's woll'n; recht g'schieht mir; aber i hab' 's heut' scho' amal verschwor'n, nie mehr in mein' Leb'n nimm i zum Wildern a Bix in d' Hand!«

»Und i aa nimmer!« setzte Prannes dazu. »Der Teufel soll das Wildern hol'n! Hätt' auch niemals denkt, daß dös so weit g'fehlt is, wie der Herr Landrichter sag'n. – Ja – 'n Künig woll'n wir nöd kränk'n weg'n dene paar Schwanzeln, die wir 's Jahr über krieg'n. Dawischen hab' i mi zwar no' nöd lass'n, aber Herr Landrichter, wenn's woll'n, können 's mi aa einsperrn, damit i mir's besser merk'. G'rad recht g'schieht mir, mir elendigem miserablen Menschen!«

Der Landrichter hatte Mühe, sich des Lachens zu enthalten. Dann sagte er zu Prannes:

»Also von heut' an wissen wir, was wir zu unterlassen haben, und auch wir zwei, Schrenk. Prannes versieht einstweilen an dem Studenten Vaterstelle. Ich hoffe, daß ich recht bald die Freude haben kann, Euch wieder frei zu lassen. Ich schick Euch den Sohn wieder her, macht kurzen Abschied und hofft auf baldiges Wiedersehen.«

Alsbald kam Franz, und wenn auch mit Thränen, verabschiedete er sich doch gefaßt wieder von dem Vater. Der gütige Landrichter hatte ihm den Trost baldigen Wiedersehens gegeben. Diesen im Herzen tragend, fuhr er dann mit dem Lehrer und dem Paten zurück in die Heimat. Der Vater aber blieb zurück mit der festen Zuversicht: »War mir heut unser Herrgott gnädig, der Herr Landrichter wird's auch schon recht mach'n!« 100


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