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2. Kapitel.

§ 62. Wiedererweckung der erstorbenen Leidenschaft.

Wer eine Frau von feurigem Temperamente nicht befriedigen kann, gebrauche künstliche Mittel. Zu Beginn des Koitus reibe man die Vulva mit der Hand und übe den Beischlaf erst dann aus, wenn die Frau bereits Wollustempfindungen hat. Das ist das Wiedererwecken der Leidenschaft. Der Koitus mit dem Munde dient als Wiedererweckung der Leidenschaft bei einem Manne von mattem Temperamente; bei einem, dessen Jugend dahin ist; bei einem, der fett und bei einem, der erschöpft ist. Oder man wende künstliche Vorrichtungen an. Diese sind aus Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Elfenbein, Büffelhorn, Zinn und Blei; weich, kühlend, die Potenz stärkend und zweckentsprechend. Das sind die künstlichen Vorrichtungen nach Bābhravya. Vātsyāyana lehrt, sie seien aus Holz und dem Wesen des einzelnen entsprechend. Mit einer Öffnung vom Umfange des Penis und am Rande rauh durch viele kleine Knötchen: das nennt man … Der Name valaya, den die englische Übersetzung bietet, fehlt sonst; doch spricht Yaśodhara gleich darauf von den valaye dve.. Zwei solche bilden den »Umhang«. Sind es deren drei und mehr bis zur vollen Länge, so ergibt sich das »Armband« (cūḍaka). Dem Umfange entsprechend wickle man eine kleine Schnur latākārā sīsakādimayī. herum: das ist »das kleine Armband«. Eine an der Hüfte befestigte, der Größe entsprechende, nach beiden Seiten offne Vorrichtung mit festen und rauhen gesprenkelten Kügelchen ist der Panzer (kañcuka) oder das Netz (jālaka). Wo derlei fehlt, ein Flaschengurkenstengel und Bambusrohr, mit Öl und Salben gut bestrichen, ebenso die vom Unterschenkel eines Schweines abgezogene Haut (?) Y. liest: śūkarajaṅghābaddha iti śūkarajaṅghātah pramāṇavaśena nirmokavad ākṛṣṭaṃ carma. oder ein glatter Holzkranz, festgeknüpft und mit vielen Myrobalanenkernen versehen. Das sind die durchbohrten künstlichen Vorrichtungen. Einer aber, dessen Penis nicht durchbohrt ist, kann nicht in Tätigkeit treten: so wird bei den Bewohnern des Dekhan bei den Kindern das Glied wie ein Ohr durchbohrt. Ist der Betreffende zum Jüngling herangewachsen, so läßt er es mit einem Messer einschneiden und bleibt so lange im Wasser stehen, als Blut kommt; um der Frischhaltung (des Wundkanals) willen chidrasyāsaṃkocārtham. findet dann in der betreffenden Nacht der Koitus ohne auszusetzen statt. Darauf reinige man den Penis einen Tag später mit Essenzen. Der allmählich wachsende wird mit Blattrippen von Calamus Rotang und Wrightia antidysenterica als Stärkungsmitteln umwunden. Man reinige ihn mit Süßholz, vermischt mit Honig. Darauf vergrößere man ihn durch eine bleierne Wulst; und bestreiche ihn mit dem Öl der Nuß von Semecarpus Anacardium. Das sind die künstlichen Mittel des Durchbohrens. – Dort bringe man die verschiedenartig gestalteten künstlichen Vorrichtungen an: das »Runde«, das »an einer Stelle Runde«, das »Mörserchen«, das »Blümchen«, das »Dornige«, den »Reiherknochen«, den »Elefantenhauer«, die »acht Kugeln«, die »Haarlocke« (?), den »Kreuzweg« oder auch noch andere, wie Theorie und Praxis es lehren. Sie müssen viel aushalten können und je nach der Gepflogenheit weich oder rauh sein. – Das ist die Wiedererweckung der erstorbenen Leidenschaft.

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§ 63. Die Mittel, den Penis zu vergrößern.

Man salbe den Penis mit den Stacheln des auf den Bäumen lebenden Gewürmes, reibe ihn zehn Nächte mit Öl ein, salbe ihn immer wieder, und reibe ihn nochmals ein; wenn er auf diese Weise Geschwulst zeigt, lege man sich mit dem Gesichte nach unten auf das Bett und lasse ihn durch ein Loch in demselben hängen. Wenn man dann mit kühlenden Essenzen den Schmerz gestillt hat, bringt man den Penis entsprechend der Entwicklung der Geschwulst zur vollen Geltung. Das ist die Schwellung auf Lebenszeit bei den Lebemännern, die den Namen »von Insektenstacheln herrührend« führt. – Eine Vergrößerung auf einen Monat bewirkt das Einreiben mit dem Safte von Physalis flexuosa, Batate, jalaśūka »Ein im Schlamm lebendes Tierchen«; Y.: lokapratītam!, Solanum-Früchten, frischer Büffelbutter, von Elefantenohr Butea frondosa, Arum macrorhizum, Ricinus communis oder roter Ricinus. und Heliotropium indicum, mit jedem einzelnen; auf sechs Monate, wenn man aus diesen Essenzen eine Speise kocht und den Penis mit Öl einreibt. Granatbaum- und Koloquinthengurkenfrüchte, Cucumis utilisssimus und der Saft von Solanum-Früchten, bei langsamem Feuer gekocht und mit Öl eingerieben oder besprengt. Diese und andere Mittel erlerne man von geeigneten Leuten. – Das sind die Mittel, den Penis zu vergrößern.

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§ 64. Besondere Praktiken.

Die Frau, die man mit Pulver von Euphorbia antiquorum-Dornen, vermischt mit Boerhavia procumbens, Affenkot und der Wurzel von Jussieua repens bestreut Auf dem Kopfe., liebt keinen anderen. Wer eine Frau besucht, deren Vulva mit Pulver von Ruta graveolens, Vernonia anthelminthica, Eclipta prostrata, Eisenrost und Ameisen und dem verdickten ausgeschwitzten Safte der Früchte von Cathartocarpus fistula und Eugenia Jambolana bestrichen ist, dessen Leidenschaft schwindet. – Wer eine Frau besucht, die sich in Pulver von Mistkäfern, Salvinia cucullata und Ameisen, verbunden mit verdünnter Büffelbuttermilch, gebadet hat, dessen Leidenschaft schwindet. – Eine Salbe und Kränze aus den Blüten von Nauclea Cadamba, Spondias mangifera und Eugenia Jambolana bewirken Unbeliebtheit. – Eine Salbe aus den Früchten von Asteracantha longifolia zieht die Vulva einer »Elefantenkuh« für eine Nacht zusammen. – Pulver aus den Wurzelknollen des Nelumbium speciosum und des blauen Lotus sowie aus Terminalia tomentosa und sugandha Andropogon schoenanthus? mit Honig zu einer Salbe verrieben, weitet die Vulva einer »Gazelle«. – Myrobalanenfrüchte, versehen mit dem Milchsafte von Euphorbia antiquorum, Soma und Calotropis gigantea und den Früchten von Vernonia anthelminthica bewirken Weißwerden des Haares. – Ein Bad mit den Wurzeln vom arabischen Jasmin, Wrightia antidysenterica, Kavanjañikā, Clitoria Ternatea und Ślakṣṇaparṇī bewirkt, daß die Haare wieder wachsen. Wenn man sie mit einer Salbe bestreicht, die man durch sorgfältiges Kochen derselben Sachen erhält, so werden sie schwarz und wachsen allmählich nach. – Die Lippe, die mit Lack gefärbt wird, den man siebenmal mit dem Hodenschweiße eines weißen Hengstes vermischt hat, wird weiß. Arabischer Jasmin usw. bringen sie in den früheren Zustand zurück. – Diejenige Frau, welche einen Mann auf einer Rohrpfeife blasen hört, die bestrichen ist mit Salvinia cucullata, Costus speciosus, Tabernaemontana montana, Flacourtia cataphracta, Pinus deodora und Asteracantha longifolia, wird ihm untertan. – Speise mit Früchten von Datura vermischt macht wahnsinnig. Melasse dient, wenn sie verdaut ist, als Gegenmittel hierfür. – Welchen Gegenstand auch immer eine Hand berührt, die mit dem Kote eines Pfauen bestrichen ist, der von gelbem oder rotem Arsenik gefressen hat: der ist unsichtbar. – Wasser, vermischt mit Öl und Asche von Kohlen und Gras, bekommt die Farbe von Milch. – Eiserne Gefäße, bestrichen mit Śravaṇa und Panicum italicum, verrieben unter Terminalia Chebula und Spondias mangifera, werden zu kupfernen. – Wenn man eine Lampe ansteckt mit dem Öle von Śravaṇa und Panicum italicum und einem Dochte aus Seide und Schlangenhaut, erscheinen zur Seite länglich zugeschnittene Hölzer als Schlangen. – Wenn man die Milch einer weißen Kuh trinkt, die ein weißes Kalb hat, findet man Ruhm und ein langes Leben. – Heil den trefflichen Brahmanen!

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Unter Zusammentragung der älteren Lehrbücher und unter Aneignung ihrer Vorschriften ist dieses Kāmasūtram hier in gedrängter Darstellung mit Fleiß niedergeschrieben worden.

Wer dessen Inhalt kennt, versteht Dharma, Artha und Kāma, hegt Zuversicht, kennt die Welt und handelt nicht in der (blinden) Leidenschaft.

Die absonderlichen Mittel, die Leidenschaft wachsen zu machen, wie sie gemäß den einzelnen Abschnitten behandelt worden sind, die werden hier unmittelbar darauf ausdrücklich verboten.

Nach dem Worte, daß die Theorie nichts gilt, wird (nur) die Praxis anerkannt: man wisse, daß der Inhalt der Theorie sich überallhin erstreckt, die Praxis aber nur auf einzelne Teile.

Ich, Vātsyāyana, habe den Inhalt des Lehrbuches des Bābhravya aufgenommen und nach gehöriger Prüfung der Überlieferung dieses Kāmasūtram entsprechend verfaßt.

In höchster Enthaltsamkeit und Andacht ist es geschaffen worden für das Treiben der Welt; seine Einrichtung hat nicht die (blinde) Leidenschaft zum Ziele.

Wer den Sinn dieses Lehrbuches kennt, der zähmt seine Leidenschaft, indem er dem Dharma, Artha und Kāma ihre Bestimmung wahrt, die sie in der Welt einnehmen.

Der Wissende also, der sich darauf versteht und auf Dharma und Artha achtet, erreicht sein Ziel, wenn er in der Verliebtheit handelt, ohne von (blinder) Leidenschaft erfüllt zu sein.

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