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Erster,
Allgemeiner Teil.


1. Kapitel.

§ 1. Übersicht über das Buch.

Das Kāmasūtram des Vātsyāyana ist hier von einigen wahrlich in irriger Weise zur Sprache gebracht worden; deshalb will ich dazu einen Kommentar mit dem Titel Jayamaṅgalā schreiben, nachdem ich mich vor dem Allwissenden verneigt habe.

Hier (in Indien) gibt es vier Kasten, die der Brahmanen usw., und vier Lebensstufen: den Brahmanenschüler, den Hausherrn, den Einsiedler und den Bettler. Dabei gilt für die Hausherren unter den Brahmanen usw. das dreifache Lebensziel Dharma, Artha und Kāma (Frömmigkeit, Erwerb und Vergnügen)., da ihnen die Erlösung (von den Banden der Welt) noch nicht erwünscht ist, und zwar ist dabei nach der Meinung der Liebeskundigen die Liebe als Ergebnis von Frömmigkeit und Erwerb das erhabenste Ziel und die Krone des Ganzen. In der Überzeugung nun, daß sie ohne Hilfsmittel nicht entsteht, hat der Meister Mallanāga Name für Vātsyāyana., um diese Mittel anzugeben, vorliegendes Lehrbuch verfaßt, indem er sich dabei den Meinungen älterer Lehrer anschloß. – Muß man aber nicht die in den Lehrbüchern niedergelegten (Satzungen über) Frömmigkeit und Erwerb annehmen, da sie die Liebe ergeben? Gewiß! Aber wiewohl die Liebe aus ihnen sich ergibt, erfordert sie doch andere Regeln, da ihr Wesen in der fleischlichen Verbindung besteht: diese erfordert Regeln, die Kenntnis dieser jedoch schöpft man aus dem Kāmaśāstra, nicht aber aus den Lehrbüchern über Frömmigkeit und Erwerb. Der Verfasser hat ja auch weiter unten den Leitsatz: »Da die Liebe in der fleischlichen Vereinigung von Mann und Frau besteht, verlangt sie Regeln, und diese lernt man aus dem Kāmasūtra.« Hier sind also diese Mittel zu nennen: die Angabe derselben ist der Zweck, den das Lehrbuch der Liebe verfolgt. Wie sollte man anders aus dem Lehrbuche lernen? Leute aber, die das Lehrbuch nicht studiert haben, können die Kenntnis der Mittel, die darin enthalten sind, erlangen, wenn sie sich von anderen unterrichten lassen; denn von selbst kommt sie nicht. Wenn aber doch fremder Unterricht stattfindet, warum wird dann das Lehrbuch selbst nicht anerkannt? Gleicht doch auf diese Weise die Kenntnis der Mittel den Buchstaben, die ein Holzwurm dargestellt hat! Denn dann weiß man nicht, was man tun und lassen soll, um richtig zu handeln; und dann geschieht es, daß bei der Fülle von Regeln von solchen Lebemännern nichtzünftige Schöne für zünftige angesehen werden. Und so heißt es denn: »Wenn einem, der das Lehrbuch nicht kennt, einmal etwas glückt, so ist das nicht hoch anzuschlagen, so wenig wie ein von dem Holzwurme gebildeter Buchstabe.«

Wenn nun auch manche, die das Lehrbuch der Liebe kennen, bei ihren Unternehmungen wenig beholfen sind, so liegt die Schuld eben an ihnen und nicht am Lehrbuche. Wo die Erkenntnis mangelhaft ist, sind die Lehrbücher ja überall gleich wertlos: nicht alle, die sich in den Lehrbüchern über Heilkunde usw. auskennen, denken nun auch an bekömmliches Essen usw. Darum haben diejenigen ihre Förderung dem Lehrbuche zu verdanken, die voller Lernbegier zugleich liebevoll daran glauben.

Nun sagt der Verfasser, in der Meinung, daß, nachdem er zuerst die Gottheit angerufen habe, dann die Abfassung des Buches in ungehemmtem Laufe vor sich gehe:

Dem Dharma, Artha und Kāma Verneigung!

Hier findet kein unregelmäßiges Vorangehen eines Wortes vor dem anderen statt, wiewohl Artha (nach Pāṇini), als mit einem Vokal anfangend und schließend, voranstehen müßte: denn Dharma gilt mehr. Der Verfasser sagt ja später: »Immer das Vorangehende ist das Wichtigere.«

Warum nun ruft er diese an, da es doch noch andere Gottheiten genug gibt? Das erklärt er:

Weil sie in dem Lehrbuche immer wiederkehren.

Eine Regel lautet: »Bei der Behandlung von zur Sache gehörenden und nicht zur Sache gehörenden Gegenständen gilt die Erfassung des zur Sache gehörenden Gegenstandes als das Wichtigste.« Und wie in diesem Lehrbuche hier die Liebe als Lebensziel in den Vordergrund gestellt ist, so durch ihre Vermittlung auch Frömmigkeit und Erwerb: denn wer nach den dort gegebenen Regeln lebt, erreicht die Dreizahl der Lebensziele. So sagt der Verfasser auch später: »Die Dreizahl soll man zu erreichen suchen, eines an das andere anknüpfend. So ergeben sich mit einer ebenbürtigen Frau, die noch keinem anderen angehört hat und dem Lehrbuche gemäß erlangt worden ist, Frömmigkeit und Erwerb, Söhne, Verwandte, Mehrung des Anhanges und ungekünstelte Liebeslust.« – Da nun jene drei Ziele im Mittelpunkte des Interesses stehen, sind auch deren Schutzgottheiten an die Spitze gestellt worden. Diese sind aus Ehrfurcht bei ihrem Namen zu nennen. Sonst würde eine Anrufung nicht am Platze sein, wenn sie nicht für die noch zu kennzeichnende Frömmigkeit usw. die Schutzgottheiten bedeuteten. Daß sie aber wirklich die Schutzgottheiten sind, ergibt sich aus der Überlieferung. Die Kenner alter Legenden erzählen nämlich: »Purūravas, der von der Erde in den Himmel gegangen war, um Śakra zu schauen, erblickte dort leibhaftig die Frömmigkeit usw. Er trat hinzu und erwies nur der Frömmigkeit, unter Vernachlässigung der beiden anderen, seine Verehrung, worauf er von diesen, die über die Hintansetzung empört waren, verflucht wurde. So ward er infolge des Fluches des Kāma von Urvaśī getrennt. Als das mit Mühe und Not wieder gutgemacht war, wuchs infolge des Fluches des Artha seine Habsucht so außerordentlich, daß er einem Brahmanen das Vermögen raubte. Da schlugen ihn die Grasbüschel tragenden Brahmanen, welche darüber aufgebracht waren, daß sie wegen der Wegnahme des Geldes keine Opferhandlungen usw. mehr vollbringen konnten, daß er starb.«

Verneigung auch den Lehrern, die das Wesen derselben zur Erkenntnis gebracht haben (avabodhaka).

»Derselben«, der Frömmigkeit usw. »Wesen«, Satzung. Sie erwecken ( avabodhayanti), also bringen zur Erkenntnis: Lehrer der Satzungen derselben … Die das Lehrbuch darüber verfaßt haben, um die Satzungen derselben aufzustellen, denen sei Verneigung dargebracht; d. h. anderen nicht. Warum? Darauf sagt er:

Wegen der Verbindung damit.

Der Sinn ist, weil sie mit diesem Lehrbuche hier in Verbindung stehen. Das (vorliegende) Lehrbuch ist nämlich verfaßt worden unter Abkürzung der von ihnen geschriebenen Lehrbücher.

Mit den Worten »Prajāpati nämlich« usw. fährt der Verfasser fort, wobei er der klaren Erkenntnis der Überlieferung halber die Reihenfolge der früheren Lehrer kennzeichnet:

Prajāpati nämlich trug, nachdem er die Geschöpfe erschaffen hatte, vor ihnen die Satzungen der drei Lebensziele, als die Grundbedingung ihrer Erhaltung, in hunderttausend Kapiteln vor.

»Prajāpati nämlich«: das Wort »nämlich« bedeutet den Grund. Diese richtige Überlieferung wird Glied für Glied mit den alten Lehrern belegt. – »Grundbedingung ihrer Erhaltung«: Die Geschöpfe haben drei Stadien, die als Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung gekennzeichnet werden. Darunter ist die Erhaltung das ununterbrochene Fortbestehen nach der Schöpfung. Sie ist nun von zweierlei Art: glücklich oder unglücklich. Ebenso ist die Dreizahl der Lebensziele zweifach: annehmbar oder verwerflich. Im ersteren Falle Frömmigkeit, Erwerb, Liebe; im zweiten Mangel an Frömmigkeit, Mangel an Erwerb, Haß. So ist also der Lebensgang glücklich, der von der Frömmigkeit, unglücklich, der nicht von der Frömmigkeit geleitet wird; Erwerb bringt hier Genuß und tugendhaften Wandel, Armut mühseliges Leben und tugendlosen Wandel; Liebe bringt Glück und Nachkommenschaft, Haß keines von beiden. Ein solcher vom Glücke verlassener, kinderloser Mann führt ein Leben (wertlos) wie Gras. So ist also die Dreizahl der Lebensziele die Grundbedingung der Erhaltung. Da nun die Annahme oder Abweisung jener Dreizahl, je nachdem sie annehmbar oder verwerflich ist, nicht ohne Regeln stattfinden kann, so gibt es dafür das Lehrbuch, welches diese Regeln lehrt und bei gebührender Beachtung die Grundlage (für ein glückliches Leben) bildet. – »In hunderttausend«, einem lakṣa. – »Er trug vor«: damals war das das Gebräuchlichste, da es noch keine besonderen Lehrbücher gab. – In der Überzeugung, daß die Überlieferung Eigentum aller Menschen ist, trug er dieselbe, indem er sie in seinem Herzen wieder überdachte, als allgemeines Erinnerungsbuch mit Nachdruck vor.

Davon sonderte Manu Svāyaṃbhuva einen Teil ab, der den Dharma betraf.

»Davon«: Das von Prajāpati Gesagte bestand aus drei Teilen; davon sonderte Manu das, wo der Dharma behandelt war, ab; Bṛhaspati das, wo der Artha und Nandin das, wo die Liebe behandelt war. – »Svāyaṃbhuva«: wegen der Machtlosigkeit des Todesgottes ihm gegenüber. »Einen Teil, der den Dharma betraf«: das, wo der Dharma gelehrt wird. Der Sinn ist: das Dharmaśāstram.

Bṛhaspati den Teil, der den Artha betraf.

»Den Teil, der den Artha betraf«: d. h., er schrieb das Arthaśāstram. – Bei diesen beiden ist die Zahl der Kapitel nicht angegeben, da sie nicht bekannt sind.

Und des Mahādeva Diener Nandin lehrte gesondert in tausend Kapiteln das Lehrbuch der Liebe.

»Des Mahādeva (Diener)«: der dem Mahādeva nachgeht. Das ist kein anderer, beliebiger Mann namens Nandin; denn es heißt: »Als Mahādeva ein göttliches Jahrtausend mit Umā zusammen das Glück des Liebesgenusses genoß, trat Nandin an die Tür des Schlafgemaches und trug das Lehrbuch der Liebe vor«. – Hier ist die Zahl der Kapitel angegeben, da das Buch bekannt ist.

Dasselbe aber verkürzte auf fünfhundert Kapitel Auddālaki Śvetaketu.

»Dasselbe aber«: das von Nandin gelehrte. Von diesem einen Teil. Das Wort »aber« bedeutet das Spezialisieren. »Auddālaki«: Śvetaketu, welcher ein Kind des Uddālaka ist. – Mit dem Besuchen fremder Frauen war es nämlich auf Erden früher so, daß es heißt: »Wie gekochte Speise, o Fürst der Könige, sind allen gemeinsam die Weiber: darum soll man sich über sie nicht ereifern, sich nicht in sie verlieben, sondern sie nehmen wie sie sind«. – Durch die Regeln, die in dem Lehrbuche des Auddālaki stehen, ist die Bestimmung so getroffen worden, daß es heißt: »Enthaltung der Brahmanen vom schweren, gepreßten Rauschtranke und der Menschen von fremden Frauen, wie der fromme Einsiedler Auddālaka lehrt. Mit der Erlaubnis des Vaters verfertigte darauf der fromme Büßer Śvetaketu ruhig das Lehrbuch Mehrere Mss. (Notices XI, Nr. 313, Peterson IV, 25 und Peterson II, 109) lesen sukhaśāstraṃ statt des sukhaṃ śāstraṃ der Ausgabe., wobei er festsetzte, wen man besuchen dürfe und wen nicht.«

Dasselbe aber verkürzte wiederum um anderthalbhundert Kapitel Bābhravya Pāñcāla in sieben Abschnitten, einem allgemeinen, einem über den Liebesgenuß, einem über den Verkehr mit Mädchen, einem über die verheirateten Frauen, einem über fremde Weiber, einem über die Hetären und einer Upaniṣad.

»Dasselbe aber«: wie es von Auddālaki verkürzt worden war. Er »verkürzte es wiederum«, inhaltlich und dem Wortlaute nach. Früher war das Besuchen fremder Frauen allgemein verboten, hier aber im Speziellen: darum spricht er hier auch von einem Abschnitte über fremde Weiber. – »Anderthalb«: um fünfzig vermehrt. – »Allgemein«, weil er den folgenden Abschnitten gemein ist. – »Über den Liebesgenuß«, weil der Liebesgenuß sein Thema ist. – »Über den Verkehr mit Mädchen«, ein Abschnitt, in welchem der Verkehr, der Liebesgenuß, mit Mädchen behandelt wird. – »Über die verheirateten Frauen«, dessen Gegenstand die Gattin ist. – Ebenso ist es mit dem Abschnitte »über fremde Weiber«. – »Über die Hetären«, weil sein Gegenstand die Hetären, das Treiben der Hetären sind. Ebenso ist es mit dem Upaniṣad-Abschnitte: Upaniṣad = Geheimlehre. – Das Erwähnen des allgemeinen Teiles usw. geschieht, um die Gliederung des Lehrbuches anschaulich zu machen: so viel Gegenstände stehen in dem Buche. – Der Meister verkürzte danach sein Lehrbuch ebenso. »In sieben«, um sich zu beschränken. – Wo die Gegenstände der Kapitel zusammengefaßt sind ( adhikriyante), das nennt man Abschnitt ( adhikaraṇa). – »Bābhravya«: ein Pāñcāla, der der Sohn des Babhru ist …

Davon behandelte Dattaka auf eine Aufforderung der Hetären von Pāṭaliputra hin den sechsten Abschnitt, den »über die Hetären«, gesondert.

»Davon«: von dem von Bābhravya verkürzten Buche. – »Den sechsten«: um zu zeigen, daß dies die gehörige Ordnung ist und keine andere. Die Zahlangabe ist (eigentlich) mit Unrecht aus dem (anderen) Texte entnommen: über die fortlaufende Zählung werden wir noch eingehend reden. – »Von Pāṭaliputra«: die in einer Stadt in Magadha, Pāṭaliputra mit Namen, wohnen … – »Auf eine Aufforderung hin«: Irgend ein Brahmane aus Mathurā schlug in Pāṭaliputra seine Wohnung auf. Als er schon vorgerückten Alters war, ward ihm ein Sohn geboren, bei dessen Geburt die Mutter starb. Der Vater überließ diesen einer anderen Brahmanin dort an Sohnes Statt und ging mit der Zeit in eine andere Welt ein. Die Brahmanin aber meinte: »Das ist mein angenommener Sohn« (dattaka) und gab ihm danach den Namen. Von ihr erzogen, lernte er nun in kurzer Zeit alle Wissenschaften und Künste; und da er eifrig disputierte, ward er bekannt als Meister Dattaka. Eines Tages nun kam ihm der Gedanke, das Treiben der Welt in seinem Höhepunkte kennen zu lernen, das besonders bei den Hetären zu finden sei. Da ging er nun Tag für Tag zu dem Hetärenvolke, nachdem er mit ihnen bekannt geworden war, und lernte das Treiben dort so gut kennen, daß er selbst von ihnen angegangen werden konnte, um Unterweisungen von ihm zu empfangen. Da sprachen die Hetären, die Vīrasenā an der Spitze, zu ihm: »Unterrichte uns, wie wir die Männer ergötzen sollen!« Auf diese Aufforderung hin »behandelte er gesondert«. So berichtet die eine Legende. Eine andere aber, die auch Glauben gefunden hat, erzählt in ansprechender Weise wie folgt: »Ein gewisser Dattaka wurde von Śiva, den er auf einer Prozession zur Erzielung von Kindersegen mit dem Fuße gestoßen hatte (?), verflucht und in ein Weib verwandelt. Im Verlaufe der Zeit durfte er einen Wunsch tun, worauf er wieder zum Manne wurde. Als solcher gab er, auf beiden Gebieten erfahren, die Sonderdarstellung. – Wenn er nun das Werk des Bābhravya bearbeitet hat, was hat er dann in seinen Lehrsätzen Besonderes geboten, daß man von seiner Kenntnis des doppelten Geschmackes spricht? Und wenn diese Sache auch dem Verfasser einleuchtete, würde er sagen »Dattaka, der einen doppelten Geschmack besitzt, behandelte auf eine Aufforderung usw.« –

Im Zusammenhang damit behandelte Cārāyaṇa den allgemeinen Teil besonders; Suvarṇanābha den Abschnitt über den Liebesgenuß; Ghoṭakamukha den Abschnitt über den Verkehr mit Mädchen; Gonardīya den Abschnitt über die verheirateten Frauen, Goṇikāputra den Abschnitt über fremde Weiber, Kucumāra die Upaniṣad. So ward dieses Lehrbuch von vielen Meistern stückweise abgefaßt und sein Zusammenhang unterbrochen. Weil nun dort die von Dattaka usw. verfaßten Abschnitte des Lehrbuches nur Bruchstücke sind, das des Bābhravya aber wegen seines Umfanges schwer zu studieren ist, wurde der ganze Stoff (von Vātsyāyana) zu einem kleinen Texte zusammengefaßt und so dieses Kāmasūtram geschrieben.

Der Kommentar bringt hier erst noch einmal den Text bis »Upaniṣad«. Dattaka hatte den Abschnitt über die Hetären besonders behandelt: nun schrieben »im Zusammenhange damit« Cārāyaṇa usw. ebenfalls besonders, ausführlich. Ausführlichkeit in den Texten gibt Gelegenheit, eigene Meinungen aufzustellen: das wird (der Verfasser) in seinem Lehrbuche an den betreffenden Stellen nachweisen. – Mit den Worten »So ward« usw. gibt er den Endzweck seines eignen Werkes an: »Dieses Lehrbuch«, das von Bābhravya verfaßte. – »Stückweise«, indem sie einzelne Teile machten. »Zusammenhang unterbrochen«, gleichsam etwas unterbrochen, wie man es hier und da sehen kann. Das soll heißen: das von Nandin usw. Geschriebene ist eben unterbrochen. – »Dort«, im Gange des Werkes. »Abschnitte des Lehrbuches«, gleichsam seine Glieder. – Weil es »Bruchstücke« sind, kann man daraus alle die Sachen, die zu dem Körper der Liebe gehören, nicht zumal erfassen. – »Des Bābhravya«: Er gibt nun die Schattenseiten des obzwar vollständigen, von Bābhravya vorgetragenen Lehrbuches an: wenn es auch vollständig ist, so ist es doch »wegen seines Umfanges« unbequem zu studieren. Darum wurden die sieben Werke in sieben Abschnitten »zusammengefaßt«. »Der ganze Stoff zu einem kleinen Texte«: das deutet die Vollständigkeit und bequeme Handhabung an. – »Dieses«, damit meint er das Beabsichtigte; »geschrieben«, damit kündigt er das Vollendete an.

Mit den Worten »Hier« usw. gibt (der Verfasser) die einzelnen Teile des Inhaltes seines Buches an:

Hier die Darlegung seiner Abschnitte und Paragraphen: Übersicht über das Buch, Erreichung der drei Lebensziele, Darlegung des Wissens; Leben des Elegants; Erörterung über die Freunde und die Befugnisse der Botin des Liebhabers. Soweit der erste, allgemeine Teil: fünf Kapitel, fünf Paragraphen.

Darstellung des Koitus nach Maß, Zeit und Temperament; Arten der Liebe; Untersuchung über die Umarmungen; Mannigfaltigkeit der Küsse; die Arten der Nägelwunden; Regeln für das Beißen mit den Zähnen; Gebräuche in den einzelnen Ländern; Arten der Lagerung während des Beischlafes; absonderliche Weisen des Koitus; Anwendung von Schlägen und die dabei gebräuchlichen Ausführungen des sīt = Machens; der umgekehrte Liebesgenuß; Stellungen des Mannes beim Liebesgenuß; das Aupariṣṭakam; Anfang und Ende des Liebesgenusses; verschiedene Arten der geschlechtlichen Liebe; Liebesstreit. – Soweit der zweite Abschnitt, über den Liebesgenuß. Zehn Kapitel, siebzehn Paragraphen.

Regeln für das Freien; Prüfung der Verbindungen; Gewinnen des Vertrauens des Mädchens; das Herangehen an ein Mädchen; Erklärung des Äußeren und der Gebärden; die Bemühungen eines einzelnen Mannes; das Aufsuchen des zu gewinnenden Mannes; Erlangung des Mädchens infolge der Annäherung; Hochzeitsfeier. – Soweit der dritte Abschnitt, über den Verkehr mit Mädchen. Fünf Kapitel, neun Paragraphen.

Benehmen der einzigen Gattin; Wandel während der Reise des Mannes; Benehmen der ältesten Gattin gegenüber den Nebenfrauen; Benehmen der jüngsten Gattin; Benehmen der Witwe, die wieder geheiratet hat; Benehmen der Zurückgesetzten; Leben im Harem; des Mannes Umgang mit vielen Gattinnen. – Soweit der vierte Abschnitt, Über die verheirateten Frauen. Zwei Kapitel, acht Paragraphen.

Darstellung des Charakters von Mann und Frau (und die) Gründe der Zurückhaltung; die bei den Frauen vom Glück begünstigten Männer; die mühelos zu gewinnenden Frauen; das Anknüpfen der Bekanntschaft; die Annäherungen; die Prüfung des Wesens; die Taten der Botin; das Liebesleben großer Herren; das Treiben der Frauen im Harem; die Bewachung der Frauen. – Soweit der fünfte Abschnitt, über die fremden Weiber. – Sechs Kapitel, zehn Paragraphen.

Musterung der Besucher; Gründe des Besuchens; Zurückweisen der Besucher; Hingebung an den Geliebten; Mittel für den Erwerb von Vermögen; Kennzeichen eines Gleichgiltigen; Erkennen der Gleichgiltigkeit; Verfahren bei dem Fortjagen; Wiederannahme eines Ruinierten; Arten des Gewinnes; Prüfung der Aussichten auf Gewinn und Verlust und des Risikos; Arten der Hetären. – Soweit der sechste Abschnitt, über die Hetären. Sechs Kapitel, zwölf Paragraphen.

Bezaubern der Frauen; Gefügigmachen; Stimulantien; Wiedererweckung der erstorbenen Leidenschaft; Mittel, den Penis zu vergrößern; besondere Praktiken. – Soweit der siebente Abschnitt, die Upaniṣad. Zwei Kapitel, sechs Paragraphen.

So ergeben sich sechsunddreißig Kapitel, vierundsechzig (?) Paragraphen und sieben Abschnitte. Tausend Śloken nebst einem Viertel.

Das ist die Übersicht über das Buch.

»Hier«, der folgende Text. – Wo die Gegenstände abgehandelt, zur Sprache gebracht werden (prakriyante), das heißt Paragraph (prakaraṇa). Deren und der Abschnitte »Darlegung«, kurze Bezeichnung. – »Übersicht über das Buch«, »Erlangung der drei Lebensziele« usw. sind die behandelten Gegenstände. In Übereinstimmung damit tragen auch Teile von Büchern dem (Inhalt) entsprechende Bezeichnungen, wie z. B. das Gedicht »Tod des Kaṃsa«. Dieses Lehrbuch nun besteht aus zwei Hauptteilen: der Hauptsache und den Zusätzen. So ist das, wodurch die Wollust eingerichtet, erzeugt wird, eine Hauptsache; z. B. Umarmungen. Wodurch das gelehrt wird, das ist auch eine Hauptsache: (z. B.) der Abschnitt über den Liebesgenuß. Wodurch Männer und Frauen vollständig gewonnen werden, das ist ein Zusatz; d. h. (z. B. der Abschnitt) »Mittel zur Vereinigung«. Wodurch das gelehrt wird, das ist ebenfalls Zusatz: z. B. die vier Abschnitte über den Verkehr mit Mädchen. Hierbei geschieht das Verrichten der Hauptsache und Zusätze nicht ohne die Beobachtung des Allgemeinen: darum wird vorher dieses abgehandelt. Die Upaniṣad aber wird der Verfasser zuletzt bringen, da sie zur Geltung kommt, wo Hauptsache und Zusätze nicht ausreichen. Beides aber fällt unter Hauptsache und Zusätze, indem es einen Teil davon bildet. – Dort im allgemeinen Teil ist am Anfange der Paragraph »Übersicht über das Buch« genannt, weil dasselbe darin zusammengefaßt wird. Mit dem »sechsunddreißig« usw. nennt er die Zahlen in seinem Buche nach Gliedern und im ganzen. Die Zahl der Kapitel gibt er dabei an, um zu zeigen, daß es im Vergleich mit den früheren Büchern klein ist; die Zahl der Paragraphen und Abschnitte, ohne auf andere zu zielen; die Zahl der Śloken, um zu zeigen, daß es nicht zu klein und nicht zu groß ist. – Als Übergang zu dem weiteren Texte sagt er:

Nachdem diese kurze Übersicht desselben gegeben worden ist, wird nun die ausführliche Darstellung folgen: denn erwünscht ist den Wissenden hienieden eine gedrängte und (zugleich) eine breite Darstellung.

»Desselben«, des Lehrbuches. – »Wird nun die ausführliche Darstellung folgen«, nach der kurzen Übersicht. – Auf die Frage, weshalb er denn das Buch so angelegt habe, antwortet er: »Denn erwünscht«. Diejenigen, welche »hienieden« mit dem Lehrbuche vertraut sind, heißen »Wissende«. Diesen ist es erwünscht, wenn sie ein Lehrbuch in kurzer und (zugleich) breiter Darstellung im Herzen tragen. Denn wenn der Stoff der Paragraphen bekannt ist, ergibt sich nach Belieben tiefere Versenkung in denselben ohne Unsicherheit.

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