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XXVII.

Kleopatra empfängt Octavian. Charmion und Eiras haben sie geschminkt und gepudert wie niemals für Cäsar, nie für Antonius. Ihr Haar schimmert in dem lebendigen Blauschwarz ihrer jüngsten Tage.

Heute gilt es mehr als je zuvor. Heute muß sie mehr Frau, mehr Verführung, mehr Verlockung sein, als je in ihrem Leben voller Männerbetörung und Bestrickung.

Sie spielt die Kranke, die von zu viel Leid Gebeugte. Nur mit dem Hemd bekleidet liegt sie auf dem Bett, läßt ihn ins Schlafzimmer führen. Tut, als habe sie ihn so bald nicht erwartet. Als er in der Tür steht, schreit sie erschreckt auf und springt vom Lager. Steht vor ihm im Hemd aus durchsichtiger koischer Seide. Sucht ihre Blöße zu bedecken.

»Wie durfte man dich hierherführen!« flüstert sie schamhaft und – bricht zusammen. Das Hemd verrutscht. Fast nackt liegt sie vor dem fremden Manne.

Er hebt sie ritterlich empor, fühlt mit seinen kalten, feuchten Fingern den heißen, zitternden Frauenleib und legt ihn aufs Bett. Er erregt ihn nicht, macht keinen Eindruck auf seine impulsive Sinnlichkeit. Er ist ein Virtuose der List und Verschlagenheit. Ihre Komödie zerbricht an seiner Meisterschaft. Er ist kein Antonius. Dem großen Cäsar aber hat sie nichts vorgespielt. Ihn hat sie geliebt.

Kleopatra liegt mit geschlossenen Lidern. Nicht ganz geschlossenen. Aus einem winzigen Spalt blickt sie auf das käsige Gesicht mit den Pickeln, in die eisigen, unerbittlichen Augen. Das Herz sinkt ihr. Ihr reger, witternder Instinkt sagt ihr, daß dieser Mensch gegen ihre Künste gefeit und gewappnet ist. Doch sie spielt weiter – es geht um das Leben und das Reich.

Er steht vor dem Bett und wartet. Eine alte, böse Frau, denkt er. Sie sieht fast wider ihren Willen, daß seine Beine viel zu kurz sind für den langen Oberkörper. Doch sie will dieses Mißverhältnis nicht sehen, sie will sich mit aller Gewalt in echte Leidenschaft hineinpeitschen. Sie schlägt die Augen auf. Sie sind noch immer das Märchenhafteste und Herrlichste an ihr.

»Sei gegrüßt, Cäsar«, lächelt sie.

»Sei gegrüßt, Königin.« Er verweigert ihr nicht ihren Titel. Er will sie bei Laune erhalten, sie über ihre Zukunft täuschen. Sie lebendig nach Rom bringen, zum Triumphe.

»Komm«, lockt sie, »setz dich hierher.« Sie deutet auf das Bett, rückt sacht beiseite. Er setzt sich auf die Kante.

»Endlich«, seufzt sie kindlich. »Wie habe ich diesen Augenblick ersehnt!«

Sie faßt scheu seine Hand. Kalt ist sie und glitschig und tot. Ihr schaudert. Er überläßt sie ihr. Sie faßt sie fester, will sie erwärmen, will ihm ihre Glut in die Adern senden, ihn beleben, mit den heißen Strömen ihres Blutes eindringen in seine Hand und in sein eisiges Herz.

»Viel habe ich von dir gehört«, schwärmt sie. »Doch alle Berichte schwinden zu Nichts zusammen vor der Wirklichkeit.«

»Ich kann dir das Kompliment nur zurückgeben«, knarrt seine Stimme.

Da setzt sie sich heftig auf. Das Hemd gleitet von der Schulter, entblößt die eine Brust. Sie merkt es, läßt es. Sie weiß, sie kann Hals und Schultern und Busen noch immer zeigen. Sie sind, trotz ihrer vielen Mutterschaften, noch heute eine Pracht und Männerweide.

Doch dieser Mann ist von Haß gegen sie gesättigt und viel zu schlau, einer Wallung seiner Sinne zu willfahren. Für ihn bedeutet sie einen politischen Trumpf. Weiter nichts. Sie soll ihm die höchste Volksgunst in Rom erwerben.

»Es ist kein Kompliment!« flüstert sie eindringlich und preßt die Hand, die auch unter ihrer Wärme die Grabeskälte nicht verliert. »Ich habe Bilder von dir gesehen. Ich habe deinen Weg verfolgt. Jetzt liege ich besiegt am Boden. Aber das wirst du mir zugestehen, daß ich keine unkluge Frau gewesen bin.«

»Sicher nicht!« Es klingt zwischen Wahrheit und Hohn.

Sie blickt ihn unruhig an, fährt aber mutig fort: »Von Politik verstehe ich doch immerhin einiges. Vergiß nicht« – sie lächelt schmerzlich – »ich bin die Schülerin deines – Vaters.«

»Vaters«, sagt sie keck, obwohl sie Cäsarion stets gegen ihn, den durch Betrug zum Erben Cäsars Erhobenen, ausgespielt hat. Auch er denkt an ihre jahrelange Feindschaft und wird innerlich noch abweisender. Diese allzu späte Anerkennung seiner Rechte hat versagt.

»Ich weiß«, nickt er und lächelt zutraulich.

»Ich erwähne das nur, um dir begreiflich zu machen, daß ich sehr wohl fähig war, deinen großen Weg zu beurteilen. Du bist nach Julius Cäsar der einzige Staatsmann großen Formats.«

»Du beurteilst mich sehr liebenswürdig.«

»Ich urteile wahr und gerecht.« Und dann führt sie unvermittelt einen wohlüberlegten Fechterhieb: »Weißt du, daß dein Vater nach dem Sieg über die Parther sich von Calpurnia scheiden lassen, mich heiraten und mit mir den Thron des Weltreiches besteigen wollte?«

Sie blitzt ihn an. Er erwidert mit seinen hellen Augen ihren Blick.

»Ich habe es sagen hören.« Seine Worte klingen nicht sehr überzeugt.

»Es ist Wahrheit!«

Sie springt aus dem Bett, ehe er weiß, was sie vorhat. Ist an einer Lade, holt bereitgelegte Briefe hervor.

»Hier – hier, lies!« Sie hält ihm die Täfelchen entgegen. »Da – dieser, dieser letzte – am Tage seiner Ermordung – – –«

Sie gibt ihm die Übrigen hastig in die Hand, knüpft die grüne Schnur mit eiligen Fingern auf. »Da – lies!«

Er klemmt die anderen Täfelchen zwischen die Schenkel – liest. Sie beobachtet ihn. Schrecklich ist er, denkt sie. Aber auch Antonius war ihr anfangs eine arge Zumutung, und sie hat sie überwunden. Freilich war Antonius schön und voll aufwühlender Kraft.

Octavian hebt den Kopf. »Ja«, sagt er trocken, »ich sehe.«

Da tritt sie dicht vor ihn, er fühlt durch die dicke, wollene Toga, die er trotz der Wärme des alexandrinischen Herbstes trägt, ihre nackten Glieder.

»Cäsar – willst du mit mir vollenden, was der jähe Tod deines Vaters unerfüllt gelassen hat?!«

Diese dreiste, direkte Frage stürzt ihn einen Augenblick in Verlegenheit. Doch sofort hat er sich gefaßt. Er könnte gleich »Ja« sagen – und lügen. Doch eine zu rasche und willfährige Zustimmung scheint ihm zu unglaubhaft. Darum zögert er schlau. Er lächelt skeptisch.

»Du hast es zunächst nach Cäsars Tod – mit einem anderen versucht.«

»Ja – ich bekenne es offen. Was wußte ich damals von dir?! Dein leuchtender Stern ging eben auf. Ich Törin sah ihn nicht. Ich habe gefehlt, ich gebe es ohne Beschönigung zu. Aber sag' selbst, habe ich mich nicht zu dir geschlagen, sobald es möglich war? Sobald ich dein Genie erkannt hatte? Denk an Aktium.«

»Ich denke daran«, sagt er langsam. »Du hast mir einen untrüglichen Beweis deiner Zuneigung erbracht.«

»Einen?! Sind meine Truppen nicht vor Pelusium zu dir übergegangen – auf meinen Befehl?!«

»Auch das.« Die Verachtung in ihm steigt. »Und darum – auch ich will offen mit dir reden – ich bin verheiratet. Du weißt es. Mit Livia. Vielleicht hast du davon gehört, welches Aufsehen diese Heirat in Rom – –«

»Ich habe davon gehört und weiß, daß du auch in der Liebe ein kühner Eroberer bist.«

Er erwidert ihr berückendes Lächeln. »Du wirst begreifen, daß ich mich nicht ohne weiteres von Livia trennen kann. Unter uns – meine Liebe zu ihr ist erkaltet. Aber das bleibt ganz unter uns!«

»Selbstverständlich!« Sie preßt ihre Schenkel verschwörerisch gegen seine Knie.

»Ich muß vorsichtig sein, habe Rücksichten zu nehmen. Ich denke mir die weiteren Schritte so: Ich kehre in drei Tagen nach Rom zurück. Du begleitest mich.«

»Mit Freuden.« Mühsam beherrscht sie ihren Jubel.

»Mit allen königlichen Ehren bist du mein Gast an Bord und in Rom. Und dann – nun, das Weitere zwischen uns wird sich finden.«

Er lächelt verliebt zu ihr empor.

Doch sie hat zu viele Männer verliebt vor sich gesehen. Ihr Instinkt, ihre Witterung, ihre Erfahrung läßt sich nicht täuschen. Er ist ein großer Künstler der Verstellung, aber die Falschheit in seinen Augen kann er doch nicht verbergen, nicht vor dem Scharfblick dieser Frau.

Sie sieht plötzlich den weißen Funken der Arglist in seinen Pupillen aufblinken. Und weiß mit einem Male in greller Erleuchtung alles. Weiß, daß er mit ihr eine verruchte Komödie spielt, daß er sie nur in seine Macht bringen will, daß er sie betrügt.

Mühsam beherrscht sie sich. In Sekunden ist ihr Leben verwirkt und verfallen. Sie weiß es. Und sie spielt mit der stärksten Kraft und Überwindung ihres Daseins diese letzte verlogene Szene zu Ende. Sie vermag verführerisch zu lächeln.

»Ja«, sagt sie fast fröhlich, »alles andere zwischen uns wird sich finden!«

Sie blickt zum letzten Male in ihrem Leben mit ihren grünen, kristallenen Augen einem Mann schalkhaft und lockend ins Gesicht.

Er erhebt sich. »Also halte dich zur Abfahrt in drei Tagen bereit.«

Sie nickt. Er steht zögernd vor ihr. Dann beugt er sich rasch zu ihr nieder – er ist trotz seiner kurzen Beine größer als sie – und küßt sie auf die Stirn. Auch in diesem eisigen Kusse fühlt sie den Verrat.

Er ist fort. Sie starrt auf die Tür, durch die er und die letzte Hoffnung mit ihm gegangen ist. Langsam sinkt sie auf das Lager zurück, schlägt in alter, lieber Gewohnheit ein Bein über das andere, stützt den Ellbogen auf das Knie, legt das Kinn in die Handfläche und sinnt. Sinnt lange. Überblickt alles. Weiß, daß er sie im Triumph in Rom vor seinem Wagen schleifen will. Von ihren Augen sind die Binden letzter verzweifelter Hoffnung gefallen. Sie sieht schonungslos. Er will sie im Triumph vorführen. Wie Julius Cäsar ihre Schwester Arsinoë in Ketten vor seinem Triumphwagen dahingeschleppt hat.

Sie schließt die Lider. Sieht visionär den Triumphzug Octavians. Sie hat damals in Rom Cäsars Triumph miterlebt. Sie sieht sich im Zuge dahinwanken. Hört den Hohn, den Spott, die Beschimpfungen, die auf sie niederprasseln, auf sie, die in Rom bestgehaßte Frau. Wäre sie als Königin dort eingezogen – keine Zunge würde wagen, gegen sie zu lästern. Aber auf die Gefangene, die Besiegte, die Gestürzte werden sie speien.

Sie sieht die Via Sacra – sieht die Plebs, riecht ihre Ausdünstung, sieht die vornehmen Damen, denkt an ihren Besuch bei der Zauberin Canidia – damals sprang ihnen allen der Neid und Haß aus den Augen. Doch sie mußten sich ducken, mußten ihr Goldbild im Tempel der Isis anbeten – – Nein, nein, sie wird der Rachsucht nicht das Schauspiel bieten, Kleopatra in Ketten zu sehen. Sie nicht!

Sie schnellt empor, eilt zur Tür, ruft Charmion und Eiras.

»Ich brauche Gift«, keucht sie.

Die Getreuen starren entgeistert.

»Herrin«, stößt Charmion hervor.

Die Königin macht eine Geste, die jeden Einwand fortmäht. »Rasch.«

»Wir werden überwacht. Keiner darf den Palast ohne Begleitung verlassen, keiner eintreten.«

Kleopatra hebt langsam den Blick. »Gebraucht List«, sagt sie müde.

Eiras beginnt schluchzend zu bitten, zu flehen. Charmion schließt sich an.

»Geht, schafft Gift!« befiehlt sie, als habe sie die Klage nicht gehört.

Ein Diener verläßt den Palast. Wird von Octavians Geheimschergen verfolgt. Doch er kauft nur harmlos ein. Geht auch in einen Gemüseladen, kauft Obst, spricht mit dem Verkäufer. Dieser geht, bringt einen Korb mit Feigen. Bei der Rückkehr in den Palast wird alles geprüft und als unverdächtig durchgelassen.

Eine Stunde später bringt der Eunuch Potheinus Octavian einen Brief in das Gymnasium, wo er sein Quartier aufgeschlagen hat. Das Schreiben ist von Kleopatra.

»Ich habe es mir überlegt. Du ekelst mich. Nie könnte ich Deine Geliebte oder Deine Frau werden. Lieber sterbe ich. Ich möchte auch keine Kinder gebären, die einen Wucherer zum Ahnherrn haben. Kleopatra.«

Octavian springt auf. Schickt Boten. Als sie atemlos in den Palast gelangen, die verschlossene Schlafzimmertür erbrechen, liegt Kleopatra im Königsschmuck tot auf dem Bett. Zur Seite, mit geöffneten Pulsadern, verbluten Charmion und Eiras.

Am Boden des Körbchens mit den Feigen lag eine giftige Natter verborgen.

Zwei Tage später wird Cäsarion, den Kleopatra nach Indien gesandt hat, ihn vor Octavians Wut zu retten, eingeholt und niedergestochen.

Dann spielt Octavian wieder den Milden. Die anderen Kinder der Frau, die ihn noch im Sterben geschmäht hat, verschont er. Er nimmt sie mit nach Rom. Dort erzieht Octavia die Sprößlinge des Mannes, der ihr das tiefste Leid angetan, und der Frau, die sie zum unglücklichsten Weibe Roms gemacht hat, voll Liebe und Güte zu wackeren, friedensfrohen Menschen.

Ende.


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