Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV.

Im Peristyl seines kleinbürgerlichen Hauses am Forum Romanum, in der Stiegengasse der Ringschmiede, geht Octavian auf und nieder. Es ist ein warmer Sommertag. Tiefblau steht der italische Himmel über dem Garten. Der Springbrunnen spielt, entsendet sprühende Kühle. Der junge Mann empfindet sie peinlich, trotz der zwei wollenen Tuniken, die er übereinander trägt. Trotz der Leibbinde. Das Gesicht beschattet, obwohl die Sonnenstrahlen nicht in die Gartenhalle dringen, ein breitrandiger Strohhut.

Auf einem schlichten, fast ärmlichen Sessel – Octavius Octavian ist bei allem unverhofften Reichtum, der ihm nach den Räubereien des Antonius noch immer aus Cäsars Nachlaß zugefallen war, ein erbärmlicher Knauser – sitzt im Schatten einer Säule seine Schwester Octavia. Ihre beseelten, schönen, schwermütigen Augen folgen der vermummten untersetzten Gestalt mit liebevollen Blicken.

Auf hohen Absätzen, größer zu erscheinen, klappert Octavian über die Steinfließen des Rundgangs. In seinem hübschen, gradlinigen, von Plustern und Pickeln entstellten Gesicht ist etwas Fahriges, Unsicheres. Er schielt in Grausamkeit und Tücke. Und redet mit seiner dünnen, knarrenden, hohen Stimme daher, ohne sie anzusehen. Nie blickt er dem Menschen, mit dem er spricht, ins Auge.

»Morgen ist er in Brindisi. Wir müssen uns entscheiden. Die Stunde verrinnt. Ich kann den Kampf nicht riskieren. Ich habe zwölf Legionen, er neunzehn. Und dann – unter uns kann ich ehrlich sein –, ich bin kein großer Feldherr.«

»Du hast früher Unglück gehabt«, sänftigt Octavias tiefer metallischer Alt. Diese Stimme klingt, nach den gebrochenen Fistellauten des Bruders, wie der Ton einer uralten chinesischen Bronzeglocke, voll und rein und lauter.

Er macht eine wegwerfende Bewegung mit dem dünnen Arme. »Laß – ich kenne mich. Ich bin kein Kriegsheld. Aber –« er bleibt stehen, hebt nervös den Hut und streicht das gelbliche weiche Haar aus der Stirn – »ein Staatsmann bin ich. Das habe ich von unserem großen Oheim geerbt. Ein großer Staatsmann bin ich.«

»Sicher«, bestätigt sie in zärtlichem Eifer und hebt ihm ihr klassisch edles, makelloses Römerinnengesicht entgegen. Es ist bleich und verhärmt, schmal noch von der Geburt des Kindes, das sie nach dem Tode des Gatten vor zwei Monaten geboren hat. Sie trägt tiefe Trauer.

»Und dann –« Octavian wandert wieder stelzend einher – »ich kann jetzt nicht ins Feld rücken. Meine Leber!«

Er preßt die Hand in die Lende und verzieht kläglich das Gesicht.

Octavia weiß, es ist nichts Gefährliches. Sie kennt seit den Kindertagen in Velletri seine eingebildeten Krankheiten. Doch sie kritisiert nicht, sie liebt urteilslos. Hat den um sechs Jahre jüngeren Bruder immer mütterlich verwöhnt und verhätschelt nach dem frühen Tode der Mutter. Ihre gläubige Güte nimmt auch heute seine hypochondrische Klage ernst und wichtig.

»Die Leber, du Ärmster! Hast du den Arzt kommen lassen?«

»Ja. Er versteht nichts, dieser elende Quacksalber. Bei nächster Gelegenheit, wenn es wieder einmal Proskriptionen gibt, werde ich ihn über die Klinge springen lassen«, lächelt er schadenfroh.

»Octavian! Pfui. Schäme dich! Wie kannst du –«

»Laß das. Misch' dich gefälligst nicht in meine politischen Erwägungen«, fährt er ihr mit einem bösen Blick seiner strahlenden falschen Augen über den Mund. Dabei zeigt er seine häßlichen, schadhaften, kleinen Zähne. Wie ein Schakal sieht er aus in diesem gefährlichen Augenblicke.

Octavia sieht es nicht, sie sieht nur den vergötterten Bruder. In rührend bescheidener Frauendemut beugt sie sich seiner höheren Einsicht, nimmt sie diese Blutopfer erschauernd hin als grausige Notwendigkeiten einer unerforschlichen Staatsraison. Ihr Vertrauen zu seiner Weisheit als Staatsmann kennt keine Grenze.

Er stapft wieder auf und nieder und spricht vor sich hin. »So schwer es mir wird, ich muß mich mit ihm aussöhnen.«

»Ja – ja! Friede, Eintracht, Ende des furchtbaren Blutvergießens.« Ein Jubel bricht aus ihrem Herzen.

Dicht vor ihr bleibt Octavian stehen. »Wenn du wüßtest, wie ich diesen Menschen hasse! Wenn ich daran denke, wie er mich empfangen hat, als ich nach Cäsars Tod nach Rom kam! Diese Überheblichkeit, diese Arroganz. Als ob ich –« Er bricht ab. Die Erinnerung ist seiner Gesundheit unzuträglich.

»Es ist doch schon so lange her«, begütigt sie.

»Und wenn es tausend Jahre her wäre«, knirscht er. Doch sein Zorn, sein Haß zeigt keine sichtbare Erregung, keine Flamme, nur kalte, furchtbare Ruhe. »Nie werde ich ihm das vergessen! Einmal werde ich mich rächen dafür und für seine Diebereien und seinen Widerstand gegen meine Erbschaft. Als ob Cäsars Wille nicht einwandfrei bekundet wäre in seinem Testamente!«

»Das ist er«, erhärtet sie sanft.

»Und da tut dieser Schuft, als ob er mir eine Gnade erweist, daß er mich als Mitregenten – mich, den alleinigen Erben von Cäsars Macht als Mitregenten – –! Lassen wir es! Ein andermal. Jetzt muß ich ihm Lämmerpfötchen entgegenstrecken. Muß.«

»Eintracht ist stets das Beste«, lächelt sie tröstend.

Kein Widerschein ihres milden Lächelns tritt auf seine kalten Züge. Stumm geht er zweimal zwischen den Säulen hin und her. Dann bleibt er abrupt vor der Schwester stehen.

»Du mußt mir helfen«, sagt er unvermittelt.

»Ich?!«

»Eine große Aufgabe ist in deine Hand gelegt.«

»Ich verstehe nicht, wie ich – – Doch du weißt, Octavian, was in meinen Kräften steht, gehört dir. Was habe ich nach dem Tode meines Gajus noch außer dir und dem Kinde!«

»Ich habe mir alles genau überlegt. Antonius weiß natürlich genau so gut wie ich, daß alle Chancen auf seiner Seite sind. Worten wird er nicht zugänglich sein, Bitten sind gefährlich. Es gibt nur ein Mittel, ihn gefügig zu machen.«

»Welches, Octavius? Wende es an. Laß es endlich Frieden werden in Italien.«

»Ich will es anwenden. Aber du mußt mir helfen.«

Sie glüht auf. Ihr Körper blüht ihm aus dem Sessel entgegen wie ein Kelch, der sich nach langer Dürre dem Regen darbietet. »Sag' – wie?«

»Du mußt ihn kirren.«

»Antonius! Ich?« Sie sinkt in den Stuhl zurück. »Wie soll ich –?«

Der Bruder steht vor ihr, bastelt an der wollenen Leibbinde mit nervös unsicheren Fingern. »Es ist mir ein Fingerzeig der Götter«, sagt er mit scheinheiligem Augenaufschlag zum Himmel empor, »daß sie dich und ihn zur rechten Zeit verwitwet haben.«

Octavia streicht in fassungsloser Verwirrung die rohen fichtenen Lehnen des Sessels mit ihren langen schmalen Händen. Sie ist Ebenbild der Mutter, einer Römerin aus altem Geschlechte. Octavian gleicht dem Wucherer, dem Großvater.

»Er ist Frauen gegenüber sehr empfindlich, der eingebildete Herkules. Denk an die vielen – Damen –« fast hätte er Dirnen gesagt –, »die ihn beherrscht haben. Denk an Kleopatra!«

Sie antwortet nicht. Hat sich noch nicht gefunden. Hat alles andere erwartet, als diese Zumutung an ihre Frauenschaft, ihr Witwentum. Doch der Römerin ist Frauenhandel zu jedem Zwecke nichts Fremdes. Das Ungeheuerliche verliert langsam das Bestürzende, Überwältigende, Unmögliche. In Rom haben Frauen seit Urzeiten auf Befehl geheiratet, in höheren und tieferen Interessen des Vaters, der Brüder.

Octavian hat weiter gesprochen. »Er kommt aus Alexandrien – von diesem orientalischen Gesindel. Es wird dir, einer Römerin, einer edlen, schönen Frau, ein Leichtes sein, seinen Sinnen zu schmeicheln, seine Eitelkeit zu betören.«

»Nein – nein!« ruft sie und stemmt sich auf dem Sitze zurück, »selbst wenn ich auf deinen Wunsch einginge –« er hört aus dem Klang der Worte, daß sie schon gewillt ist, ihm zu gehorchen –, »wie sollte ich mit der Ägypterin wetteifern können!«

Er lacht kurz und schrill. Ein schauriges Lachen, das ins Mark schneidet. »Du? Mit dieser Afrikanerin! Erstens bist du viel schöner.«

»Octavius!« wehrt ihre Bescheidenheit.

»Doch. Ich habe sie gesehen, als ich einmal den Oheim besuchte. Ganz pikant, na ja. Aber schön? Für römische Begriffe? Nein, Liebste. Hab' mich sehr über den Alten gewundert. Muß damals schon arg verkalkt gewesen sein. Kein Vergleich mit dir.«

»Ich kenne sie«, sagt Octavia leise.

»Na also!« triumphiert er. »Und ihn kennst du doch auch.«

»Nur vom Sehen.«

»Das genügt. Er ist nur Fassade. Hinter diesem prunkvollen Äußeren steckt nichts als prahlerische Hohlheit. Ein Blender, ein Kulissenheld, den du um den Finger wickeln wirst.«

»Du schilderst mir den Mann, um den ich werben soll, ja sehr verlockend«, gesteht sie mit einem schmerzlich bitteren Lächeln.

Der »große Staatsmann« erkennt, daß er einen Fehler begangen hat. Er verbessert rasch: »Wenn ich nicht glauben würde, Octavia, daß trotz allem ein guter Kern in ihm steckt, würde ich ihn dir nicht zum Manne vorschlagen. Du kennst mich doch. Etwas muß wohl an dem Mann sein, den der große Cäsar zu seinem nächsten Gehilfen und Vertrauten erkoren hat.«

»Gewiß«, pflichtet sie sinnend bei.

Dann, nach einer kleinen Pause, in die aufdringlich laut der Springbrunnen rieselt, hebt sie den Kopf dem Bruder entgegen. Ihr Gesicht ist noch bleicher, die Schatten um die Augen noch dunkler, der Mund zuckt beherrscht. Mit leise bebender Stimme sagt sie:

»Ich halte deinen Plan für undurchführbar. Was habe ich Verlockendes für diesen Mann, der die schönsten Frauen dieser Erde besessen hat?«

Er will hastig unterbrechen. Doch sie streckt die Hand aus mit solch gebietender Würde, daß er verstummt.

»Octavius, du willst mich als Werkzeug deiner Politik benutzen. Ich füge mich. Ich bin bereit, dir zu dienen, obwohl ich Gajus Marcellus noch voller Tränen liebe. Aber unter einer Bedingung.«

Noch niemals hat er die gütige, gefügige Schwester so fest und so bewußt sprechen gehört. Ärgerlich fragt er: »Die ist?«

»Daß ich wirklich dem Frieden diene.«

Mit seiner eisigen Ruhe, durch die seine Erbitterung nur ganz sacht hindurch ätzt, erwidert er: »Das tust du doch!«

Unbeirrt fährt sie fort: »Ich opfere mich nicht für einen Frieden auf Stunden.«

»Das verstehe ich nicht.« Er spricht immer höher, immer schriller.

»Wenn ich – wenn mich Antonius zum Weibe nimmt, dann spiele ich keine Komödie. Dann werde ich versuchen, ihn so treu und ehrlich zu lieben, wie ich Gajus geliebt habe. Dann gehöre ich zu ihm, wie ich zu dir gehöre.«

Ihre Stimme wird immer sicherer, immer mehr findet sie sich.

»Dann gibt es für mich nur eine große heilige Lebensaufgabe.«

Er starrt sie feindselig an und knurrt etwas Unverständliches zwischen seinen stockigen Zähnen.

»Dann lebe ich, zwischen den beiden Menschen, denen ich in Liebe gehöre, Eintracht zu säen und zu erhalten. Vergiß nicht, Octavius, daß mich dann jede Fehde zwischen euch zur unseligsten Frau Italiens machen würde. Jeder Sieg, jede Niederlage des einen von euch bedeutet für mich den tiefsten Schmerz und Jammer.«

Er macht nervöse Zeichen der Ungeduld. Doch sie spricht leidenschaftlich fort. »Nein, laß mich ausreden! Wenn ich ihn heirate, opfere ich mich dir und der Wohlfahrt meines verwüsteten Vaterlandes. Aber ich tue es nur, kann es nur tun, wenn du mir schwörst, daß du deinen Haß und Groll gegen Antonius vergessen willst, daß du dich niemals an ihm rächen wirst, – daß es dir Ernst ist um den dauernden Frieden zwischen dir und ihm.«

Er schweigt eine Weile, die Unterlippe zwischen den Zähnen. Dann sagt er abweisend und überheblich: »Das, meine Liebe, sind Dinge, die dich nichts angehen.«

»O doch!« entgegnet sie heftig. »Ich bin immer gefügig und nachgiebig gewesen. Ich will es auch jetzt sein. Aber wenn ich das Andenken meines Mannes beleidige –«

»Unsinn!«

»– soll es einem erhabenen Zweck gelten.«

»Gilt es doch!«

»Schwöre mir, daß du mit Antonius Frieden halten willst!«

»Und wenn er ihn bricht?«

»Das laß meine Sorge sein.«

»Also gut. Ich verspreche es.«

»Nicht so. Nicht so nebensächlich. Schwöre es mir beim Schatten unserer Mutter.«

»Ich schwöre es dir beim Schatten unserer Mutter«, gelobt er feierlich. Seine Augen schillern in geheimer Tücke. Doch Octavia sieht es nicht. Ihre Bruderliebe und das Wohl des Vaterlandes blenden sie.


 << zurück weiter >>