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XXIV.

Es wird lange und viel Kriegsrat gehalten. Kleopatra führt den Vorsitz und das Wort. Sie rät zur Seeschlacht. Sie will mit der Flotte die Blockade brechen. Sie hat ihre geheimen Gründe.

Das Grübeln, Sinnen und Planen der letzten Wochen ist in ihr zu einer Entscheidung gereift. Sie hat innerlich die letzte kühne, lebensbestimmende Schwenkung gemacht.

Sie ist im Herzen und Verstand zu Octavian übergegangen.

Auf zwei Männer hat sie bisher ihren gewaltigen Lebensgedanken getürmt. Cäsar ist gefallen. Zu Antonius hat sie jedes Vertrauen verloren, seit sie weiß, daß er bereit gewesen ist, sie den Freunden und Rom zu opfern und sie aus dem Lager zu jagen. Sie! Nach den langen Jahren des Zusammenlebens, der Leidenschaft, der Verbundenheit des Wollens und Wirkens und Zieles. Und dennoch hat er sie in der entscheidenden Stunde verraten und preisgegeben. Sie aus ihrem, ihrem ureigensten Kriege, ihrem Werke vertreiben wollen! Damit ist die Vergangenheit geschändet, jedes Band zwischen ihnen zerrissen und eine gemeinsame Zukunft unmöglich geworden.

Wohl hat sie durch die Scheidung von Octavia den Bruch zwischen Antonius und Octavian unüberbrückbar gemacht. So schien es ihr vor Wochen. Doch was heißt »unüberbrückbar« bei Marcus Antonius, dem Schwächling! Ereignisse sind oft stärker als grimmigste Feindschaft. Wer bürgt ihr dafür, daß die Gegner sich nicht doch nach einer unentschiedenen Schlacht zu Lande versöhnen und vertragen? Bei dem entmarkten, alten, von den Ausschweifungen seiner Jugend entnervten Manne ist alles möglich.

Und was wird dann aus ihr und ihrem Königstume des Westens?!

Sie liegt wach die langen Nächte und grübelt: und schmiedet die letzte größte Intrige ihres Lebens, einen Verrat und Plan von heroischem Ausmaß, wie ihn nur eine Frau von größtem politischen Genie zu fassen und zu tätigen wagt. Sie setzt, wie sie es immer getan hat, alles auf einen Mann. Ihre Kühnheit und Zuversicht ist ungebrochen, trotz aller Schicksalsschläge, und ihre stupende Energie und Lebenskraft.

Sie weiß, Octavian trachtet nach der Krone. Dann mit ihr! Dieser Gedanke von unerhörter Verwegenheit und Keckheit ist grade wegen seiner ungeheuren Vermessenheit ganz nach ihrem Sinne. Sie kennt aus vielen Erzählungen die impulsive Sinnlichkeit dieses jungen Menschen. Nun, sie weiß, daß sie, trotz ihrer Jahre, noch Männer, grade junge Männer, im Sturme nehmen und betören kann. Sie will alles wagen, um alles zu gewinnen.

Und darum rät sie zur Seeschlacht. Hier ist sie mit ihren gut gerüsteten, flinken, wendigen Kreuzern eine Macht. Von ihrem Landheere hält sie, unbestechlich wie sie in ihrem Urteile ist, selbst wenig. Aber zur See kann sie Octavian einen untrüglichen Beweis ihrer Anhänglichkeit, ihrer Bundesgenossenschaft erbringen. Hier kann sie vor den Augen Roms und seines Herrn – Antonius offen und unverkennbar verraten und im Stiche lassen.

Sie ficht im Kriegsrat verzweifelt für den weiblichsten und kühnsten Gedanken ihres Lebens und der Weltgeschichte.

Die Römer im Rate, auch Antonius, auch Canidius Crassus, der ihr sonst immer zustimmt, von blassen Hoffnungen verlockt, sind unbeugsam, stehen einmütig schroff gegen sie. Nie ist Rom eine Seemacht gewesen. Seine weltgestaltenden Erfolge hat es zu Lande erfochten. Antonius ist ein altgedienter Landsoldat. Vom Seekrieg versteht er wenig, vertraut den Schiffsplanken nicht. Ein Marinegenie, wie Marcus Vipsanius Agrippa, ist ein erstaunliches, römisches Wunder.

Marc Anton und die Unterführer wollen zu Lande siegen. Hier sind sie zu Haus, hier wissen sie Bescheid. Doch Kleopatra setzt willenszäh gegen Antonius, gegen Canidius, gegen alle ihren Vorsatz durch. Hitzige Debatten glühen auf im Imperatorenzelt. Antonius, der um das Letzte und Äußerste ringt, sucht ihr begreiflich zu machen, daß ein Seesieg den Feind niemals völlig niederringen kann, also vergeblich und zwecklos ist. Man müsse Octavian zu einer Entscheidung in Mazedonien zwingen.

Sie bleibt hartnäckig und fest. Keiner begreift die sonst so kluge, einsichtige Frau. In einer, ihrer letzten, Liebesnacht gewinnt sie Antonius für ihren vernichtenden arglistigen Plan.

Im Morgengrauen des 2. September 31 gibt er plötzlich den Befehl zur Ausfahrt der Flotte. Verzagt, kopfschüttelnd, insgeheim fluchend, führen die Unterfeldherrn den tragischen Befehl aus.

Der linke Flügel geht zuerst vor. Agrippa sieht den Angriff mit heiterer Freude und Ruhe. Nimmt sofort seinen rechten Flügel zurück in die Adria, markiert Angst und Flucht. Will den Feind aus der Enge des Sundes herauslocken, ihn mit seinen raschen Windhunden zu umfassen.

Langsam kommen die hochgetürmten schwerfälligen Kolosse Marc Antons aus dem Meerbusen heraus. Hinter den römischen Schiffen liegt vor Anker die ägyptische Flotte, die Kleopatra selbst befehligt. Sie soll erst später in den Kampf eingreifen mit ihren flinken Rennern und die Entscheidung bringen, wenn der Gegner zermürbt und zum Wanken gebracht ist. Vorläufig soll sie in der Bucht ausharren und scharf beobachten.

Jetzt sind die drei Geschwader Marc Antons vor der Bucht. Da sausen die Schiffe Agrippas heran. Gischt sprüht weiß empor an ihren scharfen Schnäbeln.

Doch die Umfassung mißlingt. Antonius hat einen guten Tag. Der alte Löwe in ihm ist erwacht. Er ist im Kampf, Hirn und Herz sind stark und hell. Er zieht seine Linie weit auseinander. Da schwenken Agrippas leichte Boote ein. Drei, vier umzingeln jedes der Ungetüme Marc Antons. Wie eine Meute Jagdhunde an den gestellten Eber hetzen sie heran, suchen in kühnem Vorbeischneiden den ungefügen Fahrzeugen Ruder und Steuer wegzurasieren.

Hier gelingt es, dort nicht. Aus den Schießtürmen der Linienschiffe prasseln Steine, Wurfgeschosse. Die starken Sehnen der Katapulte schwirren. Manche der Windhunde erliegen.

Doch immer von neuem gehen sie zum Angriff vor. Suchen in todesverachtendem blitzschnellen Vorstoß zu rammen, überschütten den klobigen Gegner mit einem Hagel von Pfeilen. Enterhaken werden von den hochbordigen Schiffen herausgeflitzt. Da hat einer eins der kecken Boote gepackt. Läßt es nicht wieder los. Holt es heran. Die Ausfallbrücke poltert nieder. Aus dem Linienschiff stürmt es heraus. Es wird ein Landkampf mit Schild und Speer und Schwert. Andere Windhunde eilen zur Hilfe. Der Kampf Mann zu Mann rast.

Brandpfeile, brennende Pechtöpfe ziehen ihre flammende Bahn, zischen nieder, zünden. Hochauf lodert die trockene Takelei. Masten stehen als brennender Wald glutrot gegen den blauen Himmel. Es kracht, platzt, splittert. Menschen in Panik springen brüllend über Bord in brennenden Uniformen, mit verstümmelten Gliedern, tauchen ins löschende Wasser, versinken, kommen wieder hoch, krallen sich an Planken, an Ruder, feindliche, freundliche. Werden hereingezogen, gerettet; werden abgeschüttelt, versenkt, gespießt, von Ruderschlägen zerschmettert, von Pfeilen durchbohrt.

Rauchende Trümmer treiben auf den Wellen, Verwundete schreien, röcheln, ringen mit den Fluten, versinken. Leichen tanzen auf den Wellen auf und nieder. Rot färbt sich die See.

Vom Flaggschiff aus verfolgt und lenkt Antonius den grausigen Kampf. Voll Umsicht gibt er seine Befehle. Ist mit seinem Schiffe hier, dort, überall. Ist umzingelt, haut sich los. Ermutigt, ermahnt, beseelt, hoch auf dem Turme stehend, allen sichtbar, mit seiner mächtigen Stimme, die ihren alten Trompetenklang wiedergewonnen hat, das Brausen der Schlacht durchbrüllend.

Allmählich verwickeln und verknoten sich die Schiffe zu einem wilden Chaos. Freund und Feind bilden eine wirre, dampfende, geballte Masse. Die Fahrzeuge verbeißen, verranken sich ineinander.

Hier kämpft man auf gesenkter Laufbrücke Brust an Brust, Schild an Schild. Ein gewaltsamer siegreicher Vorstoß fegt eine ganze Abteilung in das gurgelnde Wasser.

Dort ein splitterndes, markdurchbebendes Krachen. Ein Linienschiff hat einen Kreuzer in wuchtigem Anprall gerammt. Sein Schnabel steckt tief in den Weichteilen der feindlichen Flanke. Das leichte Boot ist aufgespießt. Taktmäßig, zum dumpfen Dröhnen der Kommandopauke, rudern die Knechte im Rumpfe des Rammers rückwärts. Das große Schiff wird frei. In das gewaltige Leck des verwundeten Windhunds stürzt sich die See. Der Kreuzer sackt davon, reißt die Besatzung mit in den dunkel kreisenden Wirbel.

Als wären sie vor Entsetzen wahnsinnig geworden, irren brennende Schiffe über den Kampfplatz, lohende Fackeln.

Ruhig, unberührt liegt die ägyptische Flotte im Hintergrund der Bucht. Von ihrem Admiralsschiffe aus verfolgt Kleopatra, in weißem schlichten Gewande, das im Winde flattert, den Lärm, die Wechselfälle, das Getümmel, die Brände ihrer Seeschlacht. Sie ist erregt. Die große Entscheidung tobt in ihrem Blute. Doch sie steht beherrscht und gefaßt an der Reeling und blickt hinaus auf die Adria.

Dann gibt sie ruhig den Befehl: »Das Ganze vorwärts!« Doch nur bis zum Eingang des Meerbusens geht die Fahrt. »Das Ganze halt!« Sie will nur bessere Übersicht über das Grauen dort draußen gewinnen.

Drei Stunden schon wütet das Morden über den Wassern. Noch ist nichts entschieden. Noch ist das Los des Tages nicht gefallen. Immer wieder schüttelt das Schiff Marc Antons die Umklammerung ab, stößt vor, dahin, dorthin, geht in majestätischer Ruhe über die sanften Wellen, ermuntert, hilft, ordnet.

Heldenmütig kämpfen seine Soldaten, Matrosen. Noch ist er der geliebte Führer, dem die Mannschaft blindlings vertraut. Wunder des Mutes sehen sie ihn persönlich verrichten. Heute ist er kein schlaffer, entmarkter alter Mann. Heute ist er wieder der Tapferste der Tapferen, der beste Mann Cäsars, wie in jungen Tagen.

Die Partie steht zum mindesten gleich. Vielleicht neigt sich die Waage schon ein wenig zugunsten der schweren Schiffskolosse des Antonius.

Da plötzlich – als wäre der Himmel auf Seiten ihres Verrates – springt ein frischer Nordwind auf. Und jetzt – was bedeutet das?! Die Flotte Kleopatras breitet die Segel, braust aus der Einfahrt der Bucht heraus – allen voran das Admiralsschiff der Königin, weithin sichtbar und erkennbar an seinen in der Sonne flammenden Purpursegeln. Was will sie? Will sie jetzt schon in den Kampf eingreifen?

Antonius starrt entgeistert auf das nahende Schiff. Es ist doch noch viel zu früh. Hat sie seinen strategischen Plan mißverstanden? Es ist doch gegen die Verabredung! Noch ist der Feind nicht erschüttert, noch wankt er nicht. Kann sie ihre Ungeduld nicht zügeln? Sie soll sich doch keinen unnötigen Gefahren aussetzen mit ihrem weithin leuchtenden Schiffe! Sie soll doch erst, wenn der Feind weicht – wenn er flieht, nachsetzen mit ihren kleinen, flinken Kreuzern.

Von allen Schiffen – feindlichen, freundlichen – blickt man staunend auf die nahende ägyptische Flotte. Agrippa bereitet sich vor, dieser Reserve des Feindes zu begegnen. Der Kampf ebbt plötzlich ab. Aber – seltsam – die Ägypter gehen nicht zum Angriff gegen die Gegner vor. Mitten durch die Schiffe von Freund und Feind hindurch steuern in der Pracht ihrer windgeschwellten Segel die Schiffe der Kleopatra. Laut gurgelt das Wasser um die hohen Büge. Sie fahren mit gutem Winde durch die Schlachtreihen hindurch, als ginge sie dieser Kampf nichts an – haben Kurs hinaus auf das offene Meer.

Befremdet sieht alles die raschen Fahrzeuge mit kräftig geblähten Segeln am Horizont verbleichen.

Dann setzt, nach dieser Atempause des Wunderns, der Kampf mit doppelter Erbitterung wieder ein. Agrippa ist von einer drängenden Sorge befreit. Marc Antons Leute haben eine starke Stütze und Hilfe verloren. Brander zischen, Segel knistern lohend auf, Menschen verbluten, verbrennen, verröcheln.

Was schert es Antonius! Kleopatra hat ihn auf ihrer Durchfahrt wieder behext. Plötzlich ist er nicht mehr der verantwortliche Feldherr, der Tapfere, der vergötterte Führer. Er ist nichts, als der schlotternde, betörte, vernarrte Geliebte. Er weiß nur noch, daß die geliebte Frau mitten aus der Schlacht entwichen ist. In seinem wirbeligen Hirn steht nur die eine, alles andere überstürzende Frage: Wohin ist sie gefahren? Weshalb ist sie gefahren? Was ist ihr geschehen?

Er begreift diese Flucht nicht. Kann sie nicht begreifen. Denn er weiß ja nicht, ahnt ja nicht, daß sie dem Octavian, dem Feinde, den Beweis ihrer Ergebenheit, ihrer Bundesgenossenschaft eklatant geben will. Er sieht nur ihre unverständliche, mystische, rätselhafte Flucht, sieht nur seine Liebe den Kampfplatz verlassen.

Und vergißt alles andere, Ruhm, Ehre, Verantwortung, Pflicht, Treue, Kameradschaft, alles. Weiß nur, daß die geliebte Frau fort ist. Die Schlacht verliert Sinn, Zweck, Inhalt, Ziel. Was hat er hier noch zu schaffen, wenn Kleopatra nicht mehr da ist? Kopflos, scheulos, ehrvergessen folgt er. Wie ein übermächtiger, unwiderstehlicher Magnet zieht sie ihn nach.

Er jagt in verblendeter, blinder Liebe hinter seiner Liebe her. Setzt über auf das schnellste Schiff seiner Flotte, einen Fünfruderer. Mitten in tobender Schlacht. Gelangt durch ein Wunder an Bord. Läßt alle Segel setzen. Peitscht die Ruderer bis zum Bersten ihrer Muskeln. Hetzt ihr nach. Windet sich aus dem Schlachtgetümmel heraus. Gewinnt das freie Meer. Saust dahin, nur einen Gedanken im Schädel: Kleopatra einzuholen, zu fragen, zu hören, warum sie ihn verlassen, warum sie aus dem Kampfe geflohen ist. Bald verstummt hinter der forcierten Fahrt das Brausen der Schlacht.

Agrippa verfolgt sein Schiff nicht, nicht die ägyptische Flotte. Er braucht jeden Kiel. Ihm ist jedes feindliche Schiff, das ausscheidet, eine Hoffnung auf den Sieg. Er weiß nicht, daß der schnelle Fünfruderer Antonius davongetragen hat. Nur wenige wissen es.

Der Kampf geht fort, die Schlacht wütet sinnlos weiter. Erst der Abend macht ihr ein Ende. Bei Sonnenuntergang kehrt die Flotte nach schweren Verlusten in die Bucht zurück.

Draußen sammelt Agrippa seine Renner. So mancher fehlt, liegt zerrissen auf dem Grunde der Adria. Schiffstrümmer, Leichen, Verwundete wallen mit den Wellen.

Erst am nächsten Tage eilt das Gerücht von der Flucht des Oberkommandierenden zu beiden Lagern.

Bei der Armee Marc Antons bricht alles zusammen. Die orientalischen Fürsten ziehen kopfscheu mit ihren Truppen eiligst ab. Die Römer gehen, irr geworden an ihrem geliebten General, zu Octavian über.

Der gewaltigste Zusammenprall von Orient und Okzident ist zu einer Farce ausgeartet, als Satyrspiel verpufft.


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