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VI.

Tagelang sitzt sie im verdunkelten Schlafzimmer, unbeweglich und starrt in die Leere, die Cäsars Tod gelassen hat. Denkt, trauert, grübelt, verzweifelt. Alt sieht sie aus, uralt wie das Rätsel des Lebens. Zerzaust, ungepflegt, vergangen. Sie hört Worte um sich. Charmions sorgende griechische Stimme. Eiras' sanfte pflegende Hand fühlt sie – und hört und fühlt nichts. Man bringt ihr sein Kind. Sie sieht Cäsarion und sieht und sieht durch ihn hindurch ins Leere. Man erzählt von dem Leichenbegängnis auf dem Forum, der Wut des Volkes gegen die Mörder – sie hört, versteht und versteht nichts. Tage und Nächte sitzt sie und starrt in die Kluft, die Cäsars Tod in der Welt und ihrer Welt gelassen hat. Und dann bricht der Boden des Zimmers auf, und wie weiße Dämpfe qualmt es hervor; betäubendes Schuldbewußtsein. Sie hat ihn vorwärtsgetrieben, gegen seine Klugheit, gegen sein besseres Wissen. Sie hat ihn in den Tod gejagt. Sie hat den Tod auf ihn gehetzt in ihrer leidenschaftlichen Ungeduld. Sie weiß es und starrt auf ihre untilgbare Schuld.

Der Königsgedanke der Welt hat sein erstes Opfer gefordert.

Man dringt in sie. Die Herren ihres Gefolges, der Eunuch Mardion, der Hausminister Potheinus verschaffen sich Zutritt. Sie ist in Gefahr. Die neue Regierung, Senat und Konsuln, haben sich mit den Verschwörern geeinigt. Ihr Leben ist in Gefahr. Auch das des Kindes.

Da rafft sie sich auf. Das Wort Gefahr erweckt sie, wie eine Fanfare den Schläfer. Sie kennt Furcht nicht. Hat nie Furcht gekannt. Gefahr ist für sie ein Stählungstrank. Gefahr spürt jede Tatkraft in ihr auf. Sie hat überwunden. Sie wird handeln. Die Krise ist überstanden. Die Lähmung des Schmerzes, die Ohnmacht fällender Enttäuschung gleitet von ihr ab. Sie ist nicht die Frau, die der Gefahr weicht. Sie nicht! Im Gegenteil.

Ein leidgereiftes Weib ersteht aus dem Niederbruch seines Lebens. Sie stellt Cäsarion, seinen Sohn, vor sich auf den Tisch. Der Knirps, der des Vaters Züge trägt, tanzt vergnügt vor ihr – ihm ist es ein lustiges Spiel, auf dem Tische zu tanzen. Er ist für ihre hastenden Gedanken Sammelbecken, Kristallisierungspunkt.

Sein Sohn. Sein Erbe. Für ihn wird sie kämpfen und für sich. Für ihn wird sie das Weltreich bauen – und für sich. Cäsar war ein Mensch. Ihn konnten Dolche töten. Sein – ihr Traum vom Reich dieser Erde ist unsterblich. Ist Vermächtnis. Sie wird für dieses Erbe leben und es verwirklichen. Kein Jauchzen ist mehr in diesem Gedanken, kein Brausen und Sturm der Liebe und Einigkeit. Als kalte, heilige Pflicht ist er erstanden aus den Trümmern ihrer Liebe und ihres Daseins.

Marc Anton ist der Herr Roms geworden. Er ist einer der Konsuln dieses Jahres. Der Konsul. Er war Cäsars Intimus, seine rechte Hand, obwohl er ihm nie recht traute. Er hat den Staatsschatz, alle Schriften und Papiere Cäsars an sich gerafft, in sein Haus geschafft. Er hat sich zu Cäsars Willensvollstrecker aufgeschwungen. Er muß Cäsars einzigem Sohne das Erbe aushändigen, ihr, der Mutter, überantworten. Es muß ein Testament vorhanden sein. Oft hat sie mit Cäsar darüber gesprochen. Es muß ein Testament vorhanden sein, das Cäsarion zum Alleinerben aller Macht Cäsars bestimmt. In ihm wird sie den Gedanken des Weltreichs lebendig erhalten, bis er erwachsen ist. Cäsars Erbe wird ihr Reich Ägypten gegen Rom schützen und schirmen.

Sie läßt anspannen. Kleidet sich voll Sorgfalt. Sie kennt Marc Anton, doch nur sehr flüchtig. Wer galt ihr als Mann neben Cäsar! Nur in kurzen Räuschen der Schwäche war sie ihm im Begehren untreu. Sie will Eindruck machen auf den neuen Herrn Roms. Voll Kummer sieht sie im Spiegel, wie elend, wie schmal und unscheinbar sie geworden ist. Sie wird keinen Eindruck auf diesen Mann machen.

Dann nicht! Sie hat etwas, das fast so stark ist wie Frauenschönheit und Verführung. Sie hat das Recht in ihrer Hand. Das Recht, das Cäsars Sohn gebührt. Sie fährt dicht verschleiert und schwarz umflort zu Marc Anton.


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