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XXVI.

Doch noch ehe der Pharus am Horizonte steht, hat Kleopatra sich gefunden. Sie muß ihre Hauptstadt vor der Schreckenskunde von Aktium erreichen. Der Wind bläst günstig, die Ruderer werden durch Foltern, Drohungen, Versprechungen zu übermenschlicher Leistung angespornt. Vor der schmählichen Nachricht fliegt die Flotte dahin.

Wenn Alexandrien wüßte, daß seine Königin flüchtig und besiegt heimkehrt, daß alles verloren, der gewaltige Krieg gegen Rom ruhmlos zu Ende ist, würde dieses leicht entzündete, trügerische, aufsässige Volk ihr den Hafen sperren. Würde sie rücksichtslos entthronen, einen der Großen des Reichs zum König ausrufen.

Mit verwegener List erzwingt sie die Einfahrt in die Stadt. Die Schnäbel der Schiffe sind umkränzt, freudige Musik erklingt, Siegeshymnen der Matrosen und Soldaten tönen zum Lande herüber.

Auf den Quaimauern stehen die Alexandriner, jubeln und winken der sieghaften Flotte zu. Bis der Betrug durchschaut und die Wahrheit bekannt ist, hat Kleopatra längst alle strategischen Punkte der Stadt mit Militär besetzt, ihren Palast gesichert. Alexandrien und das Land sind fest in ihrer Hand.

Antonius hat einen letzten schwächlichen Versuch gemacht, ihre Liebe zurückzugewinnen. Höhnisch hat sie ihn abgewiesen. Da geht er. Er liebt sie noch. Er wird sie bis zum letzten Atemzuge lieben, trotz ihrer Verachtung und bitteren Zurückweisung. Die Liebe zu ihr ist der einzige Inhalt des Torsos seines ungestümen Lebens geblieben.

Doch er sieht jetzt klarer, objektiver. Er weiß, sie liebt ihn nicht mehr. Verachtet ihn. Sie, die vorzeitig aus der Schlacht geflohen ist – durch ein Versehen, einen Irrtum – verachtet ihn, weil er seinen Feldherrnpflichten untreu geworden ist.

Mit Recht verachtet sie ihn darob. Auch er verachtet sich und sehnt sich nach dem Tode. Aber noch immer muß er leben – für sie. Sie schützen, verteidigen mit dem letzten Blutstropfen, der in ihm sickert.

Bald wird Octavian folgen, Ägypten, seine Kornkammern, seine unermeßlichen Schätze zu erraffen. Dann muß er an Kleopatras Seite stehen mit seinem Schwert, seiner Kriegserfahrung. Sie beschirmen im letzten Verzweiflungskampfe.

Doch bis dahin will er ihr nicht lästig fallen, will er sie verschonen mit seiner Gegenwart und seiner verachteten Person.

Er bezieht ein kleines Haus auf dem Damme, auf dem der Leuchtturm Pharus steht, an einsamster Stelle. Erinnerungen kommen ihm an das Schauspiel, das er einst in Athen gesehen hat, in dem der Menschenverächter Timon auftrat. In Tarsus bei dem Gastmahl hat er Kleopatra davon erzählt. Endlos lange scheint ihm das her. Damals hat er über diesen sonderbaren Kauz gelacht. Da lag ihm Menschenverachtung und Einsamkeitssehnsucht meilenfern. Jetzt lacht er nicht mehr. Jetzt sitzt er vor dem kleinen Hause auf dem Damme des Pharus und denkt an die Vergangenheit und schüttelt sein weißes Haupt. –

Dann naht Octavian. Die Gefahr zieht dunkel herauf. Antonius eilt zur Königin. Er will kämpfen, will Alexandrien verteidigen. Sie lächelt heimlich. Sie hat Grund zu lächeln. Längst steht sie mit Octavian durch geheime, zuverlässige Boten in Verbindung. Sie hat ihm ihr Verhalten bei Aktium erklärt, gedeutet. Hat durchblicken lassen, wie sehr sie ihn seit langem bewundere, seine Tapferkeit, sein politisches Genie, und hat Worte von Liebe und Zukunft, klug gewählt, in ihre geheime Botschaft einfließen lassen.

Octavian ist schlauer noch als sie. Er geht auf ihren Ton ein. Auch er läßt in seiner Antwort Liebesworte aufklingen. Auch er habe sie immer bewundert und bedauert, daß sie gegen ihn gestanden habe. Doch jetzt könne alles anders werden. Er danke ihr für den Sieg bei Aktium, der ja, wie er jetzt erkenne, ihr Werk und ihr Geschenk sei. Und er deutet an, daß Einer noch im Wege stehe. Der müsse verschwinden, ehe sie zueinander finden können.

Kleopatra versteht. Versteht genau. Auch Octavian will vor Rom und der Welt nicht das Odium auf sich laden, den einst beliebtesten Mann zu töten. Er legt es ihr nahe.

Doch sie kann es nicht. Sie will es nicht. Töten nicht! Der Mord verschließt ihr Rom. Ihn zum Selbstmord treiben – – – vielleicht.

In ihrer Verzweiflung glaubt sie den trügerischen Worten des Mannes, den sie aus den Erzählungen Marc Antons als den tückischsten Schleicher und Leisetreter kennt.

Doch was wiegen jetzt Marc Antons Erzählungen! Sie ist in diese letzte Möglichkeit, die ihr noch geblieben ist, vernarrt. Ihr kritischer Blick ist vom Unheil getrübt. Sie ahnt nicht, daß Octavian nichts will, als sie hinhalten, sie vor übereilten Schritten bewahren.

Sie soll leben. Im Triumph will er sie den Römern vorführen. Diese Frau, die sie einst als Cäsars Geliebte in stolzem, weißem Wagen dahinpreschen gesehen haben, sie, die einst in Rom die Mode diktiert hat, die im Tempel angebetet werden mußte, will er in Ketten vor seinem Triumphwagen dahinschleppen.

Er weiß, damit erklimmt er den Gipfel der Popularität, damit erringt er die Königskrone. Darum heuchelt er Liebe und Dank und Verehrung.

Schon steht sein Heer bei Pelusium, jenem Pelusium, von dem aus Kleopatra einst, vor vielen Jahren, jung und kühn und abenteuerfroh, in einem Nachen zu Julius Cäsar gekommen ist. Sie denkt daran – wehmütig, aber nicht ergeben, nicht todestraurig, nicht weniger kühn noch weniger abenteuerfroh als in jenen lang vergangenen Mädchentagen.

Noch ist sie nicht am Ende. Noch lange nicht. Sie hat ja Octavians geheime Botschaft. Immer noch liegt ein neues Leben vor ihr und vielleicht – sicher fast – die Erfüllung aller Pläne. Wenn sie ihn nur erst sprechen kann! Wenn sie ihn ködern und einfangen, seine Sinnlichkeit aufreizen kann! Noch ist nichts verloren. Noch liegt das Leben bunt und verheißend vor ihr.

Antonius hat sich ermannt. Er ist am Leben geblieben, Kleopatra zu verteidigen und zu schützen. Er will nicht umsonst in Schande am Leben geblieben sein. Er rafft das Heer der Ägypter zusammen, zieht gegen Octavian nach Pelusium. Kleopatra läßt ihn ziehen. Vielleicht fällt er. Kühl erwidert sie seinen leidenschaftlichen Abschiedsgruß.

Heldenmütig greift er an. Mit ungeheuerer Wucht führt er seine Truppen vor. Alte Tage werden lebendig. So hat er unter Cäsar in Spanien, so hat er bei Philippi seine Soldaten zum Siege geführt. So führt er jetzt die Ägypter, reißt sie hin, reißt sie mit.

Da laufen sie zum Feinde über. Auf geheimen Befehl der Königin. Octavian soll sehen, sie steht bei ihm.

Jetzt sieht auch Antonius. Mit wenigen Freunden entkommt er nach Alexandrien. Will Kleopatra sprechen, will Rechenschaft fordern.

Sie hat sich mit ihren Schätzen in dem Mausoleum eingeschlossen, das sie sich seit einiger Zeit am Tempel der Isis erbauen läßt. Es ist eine unbezwingbare Festung. Freilich ist sie noch nicht ganz fertig. Der obere Teil ist unvollendet, das Dach fehlt noch. Doch die Mauern ragen, das Tor wehrt jedem Zutritt.

Als Antonius die Stadt erreicht, erfährt er das Entsetzliche. Kleopatra hat sich getötet! Im Mausoleum getötet, weil ihr die letzte Hoffnung auf Sieg erloschen sei.

Antonius glaubt das Furchtbare, Unglaubliche nicht, kann es nicht glauben. Er sprengt zum Mausoleum, sitzt ab, ruft, klopft, rast. Von innen antworten Charmion, Eiras und der Eunuch Potheinus. Sie schreien, sie wehklagen und bestätigen den Selbstmord der Herrin. Aber sie verweigern dem Geliebten ihrer Königin den Eintritt.

Die Herrin habe verboten, ihrem Marcus den grauenvollen Anblick ihres entstellten Körpers zu bieten. Sie wolle schön und blühend in seiner Erinnerung fortleben. Und wieder dringt Heulen und Wehklagen hinter dem verschlossenen Tore hervor.

Da glaubt Antonius. Ganz langsam geht er davon. Also kein Verrat von ihr?! Feigheit der Truppen. Er wankt dahin. Kleopatra ist tot. Sein Gehirn kann die Größe des Unglücks nicht umfassen. Aber er weiß es doch, irgendwo in der Brust, im Herzen weiß er, Kleopatra lebt nicht mehr, seine kleine Königin atmet nicht mehr, blickt nicht mehr aus ihren schönen grünen Augen in die Welt.

Er kommt zum Schloß. Jetzt gibt es nichts mehr zu verteidigen, nichts mehr zu schützen. Jetzt darf er sterben. – Endlich.

Sein Sklave Eros weigert sich, ihm das Schwert durch die Brust zu rennen. Er tötet sich lieber selbst vor den Augen des Herrn. Da stößt Antonius sich den Degen in den Unterleib. Er stürzt, wälzt sich in wahnsinnigen Schmerzen. Doch der Schmerz um die Geliebte ist stärker als alles körperliche Leid.

Da stürmt einer herein, einer seiner Diener und meldet, schreit es dem Sterbenden in das Ohr, in dem laut das Blut braust: »Kleopatra lebt! Ich habe sie aus dem Tore des Mausoleums blicken sehen – mit meinen eigenen Augen habe ich sie gesehen!«

Der Sterbende versteht schwer, doch langsam begreift er. Glaubt es nicht – kann diese gemeine List nicht glauben von der Frau, die er über allen Kummer und alle Erniedrigung und den Verlust einer Weltmacht hinweg geliebt hat. Kann nicht glauben, daß sie Selbstmord geheuchelt hat, ihn zum Freitod zu treiben.

Er befiehlt mit schwerer, lallender Zunge, die kaum noch seinem Willen gehorcht, ihn zum Mausoleum zu tragen. Es geschieht.

Und jetzt – jetzt läßt man den Verröchelnden ein. Kleopatra will den Leichnam in ihrem Besitz haben, ihn als Unterpfand ihrer Treue und ihres Gehorsams an Octavian auszuliefern.

Man legt Antonius vor der Königin nieder. Er kann sie nicht mehr sehen, die Augen sind schon gebrochen. Er hört nur ihre Stimme, die gleißnerisch seine rasche Tat betrauert. Er verzeiht. Er ist über alle Erbärmlichkeit dieses Lebens hinaus. Er tastet nach ihr, hinein in das Dunkel, das ihn umrauscht, seine Hände irren, sie reicht ihm die Hand. Er lächelt und stirbt. Ihre List hat ihn gemordet.

Sie steht und blickt auf ihn nieder. Sekundenlang überschwemmt sie ein Gefühl der Rührung und des Wehs. Dann wendet sie sich ab. Vorbei. Sie muß weiter. Sie muß ihren Lebensplan ausführen. Er allein lebt in ihr. Er hat alles Weibliche, alles Menschentum in ihr verschlungen. Sie ist nur noch ein gefühlloser Götze ihres Weltherrschaftsgedankens.

Am nächsten Tage zieht Octavian in Alexandrien ein durch die breite Prachtstraße, die die Stadt von Ost nach West durchschneidet. Das Volk drängt sich voll Angst in den Gassen. Was wird der Sieger über die Besiegten verhängen? Man kennt erschauernd seine Grausamkeit. Man hat von Perugia und anderen Greueltaten gehört.

Octavian hält auf dem grünen Rasen des Gymnasiums, der noch vor kurzem die feierliche Erhebung Kleopatras zur Königin der Könige und die Krönung ihrer Kinder gesehen hat. Alles fällt Gnade erflehend vor dem kalt glitzernden Blick des jungen Menschen auf die Knie. Er spricht – spricht griechisch, radebrecht es. Doch sie verstehen es besser als Latein.

Er kann aus Berechnung milde sein. Das hat schon Antonius gewußt. Er spielt heute den großherzig Milden.

»Stehet auf«, ruft er mit seiner dünnen, heiseren Stimme über den weiten Platz hin. »Ich will allen verzeihen in Gedenken des großen Alexanders, des Gründers und Erbauers dieser herrlichen Stadt. Ich will diese Stadt schonen um ihrer Schönheit und Größe willen.«

Alles erhebt sich und jubelt dem Milden, Erlauchten zu.

Dann eilt Octavian in den Palast, zu Kleopatra.

Seine Leute haben das Mausoleum überrumpelt, sind durch das offene Dach eingestiegen, haben die Königin als Gefangene in ihren Palast im Bruchion geführt. Doch sie behandeln sie voller Hochachtung und Ergebenheit. Es ist strenger Befehl Octavians, ihr die Unbefangenheit, das Gefühl der Sicherheit nicht zu rauben.

Bis zuletzt soll ihr der Wahn erhalten bleiben, daß er sie nach Rom mitnehmen werde – als Geliebte und Mitbeherrscherin des Ostens und des Westens.


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