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IX.

Drei Jahre später, an einem warmen Herbstnachmittage, fährt in die breite Mündung des Kydnos, an der Küste Ziliziens, eine Märchenflotte ein. Nie hat eines Menschen Auge eine solche Armada erschaut. Schon auf der Fahrt an der Küste Phöniziens und Syriens hin haben die Fischer sich auf das Gesicht niedergeworfen in Furcht und Beben vor göttlicher Offenbarung. Einer der Überirdischen zieht dort dahin mit geschwellten kostbaren Purpursegeln und drei Reihen rhythmisch bewegter silberner Ruder. Der Rumpf des schlanken Führerschiffes mit seinen Türmen und Aufbauten ist aus purem Golde. Es sprüht Feuer unter der östlichen Sonne und blendet die Augen, als blicke man stracks hinein in die Mittagsglut am Himmel. So reist nur ein Gott über die Wasser. Eine Flottille flinker Kreuzer marschiert im Kielwasser der Wundergaleasse und erhöht das Mystische dieser gleitenden Fata Morgana.

Den schlammigen Strom hinauf geht der Kurs. Der Seewind fällt aus den Segeln. Matt hängt ihre Purpurpracht in der Flaute. Die Ruderknechte im Bauche der Schiffe keuchen im Takte der kurzen Trommelwirbel. Vor – zurück – vor – zurück. Die Schnelligkeit der Fahrt darf nicht leiden.

Die Ufer treten enger zusammen. In der Ferne stehen blau die Berge. Zu ihren Füßen liegt, noch verborgen, Tarsus, die rege Handelsstadt Ziliziens.

In den Dörfern, die den Strom säumen, rotten die Einwohner sich, gespenstisch erregt, zusammen. Viele Schiffe aus aller Welt gehen den Kydnos hinauf zum bergenden Hafen. Seefahrer sind den Anwohnern der Ufer nichts Fremdes. Doch dieses goldene Prunkschiff – – Bei allen Göttern, was ist das?! Das ist doch – –! Deutlich sichtbar – auf dem offenen Oberdeck – allen zur Schau! Das ist doch – –! Wenn das nicht eine der Himmlischen ist! In eigener gebenedeiter Gestalt!

Sie werfen sich an dem flachen grünen Ufer nieder – heben flehend die Hände empor. Aphrodite in gnadenspendender Herrlichkeit fährt den Kydnos hinauf auf Tarsus zu! Die Kunde fliegt über die Gestade. Aphrodite, die Schaumgeborene, segnet die Gefilde. Von den Feldern, aus den engen Dorfgassen wimmelt es andachtsbesessen hervor. Die Göttin der Liebe heiligt die Ufer des Kydnos! Jung und alt – wer möchte nicht noch lieben – Freuden der Leidenschaft erhaschen?! – rafft die Gewänder, rennt herbei, die Olympische zu schauen, von ihrer Nähe gesegnet zu werden.

Da ist sie – seht sie – dort – dort auf dem Deck – unter dem goldenen Baldachin! Wahrhaftig, es ist die Wunderbringerin der Liebe! Das Auge wagt den göttlichen Anblick kaum zu ertragen. Aphrodite selbst – in niederzwingender Schöne und Herrlichkeit. – Fast nackt. Genau wie die Maler die Holde malen. Auf ein weißes Lager hingegossen. Und Liebesgötter – Kupido selbst – mit seinen Amoretten, nackten Knäblein, – stehen zu beiden Seiten des Pfühles und fächeln der Erhabenen Kühle zu mit farbenbunten Straußenfedern. Und sieh nur – dort oben im Tauwerk und dort am Heck auch – und überall tummeln sich Nerëiden und Nymphen und Grazien von nie geschauter Schönheit und Pracht der Glieder in malerischen Gruppen – aber am schönsten – o – bei weitem, unvergleichlich, ist doch Venus, die Hüterin aller Freuden der Lust.

Die Nasen schnuppern verzückt. Riechst du? Ein Necktarduft strömt von dem Zauberschiffe her, der leise Wind trägt den Hauch von allen Wohlgerüchen des Olymps zu den Ufern herüber. Und Klänge – nie gehörte elyseische Klänge, rauschen, Sphärenmusik wiegt sich herüber, zu der die Reihen der silbernen Ruder im Takte blinken in der sinkenden Sonne.

Jetzt tritt ein Mann in erzerner Rüstung an das Ruhelager der Göttin. Mars ist es, Ares! raunt es durch die Menge an den Ufern, die immer dichter und fanatisierter wird. Plötzlich weiß jeder, Aphrodite kommt zum Heile Asiens, Bacchus besuchen. Das Wort ist irgendwo aufgesprungen, in die Menschenwoge geschleudert worden. Keiner weiß, woher. Aphrodite kommt, Asien zu beglücken und Bacchus zu besuchen, geht es von Mund zu bebendem Munde.

Bacchus? Ganz Kleinasien kennt den neuen Dionysos. Marc Anton ist es. In Athen hat er sich zum Gotte des Weins und der Freude weihen lassen. Zu ihm kommt Venus auf Besuch!

Taumel packt die Menschen. Trotz aller Skepsis und Gottlosigkeit und Lästerung sind sie abergläubisch und mythenscheu. Sie erschauern in Ehrfurcht und Hochgefühl, daß sie, gerade sie, diesen erlauchten mythologischen Vorgang erleben dürfen. Sie haben es immer gewußt, daß die Götter leben, nicht Märchen und Spuk sind. Heute hat jeder es gewußt und immer geglaubt. Auch mancher lose zweifelnde Spötter.

Kleopatras Boten haben das Wort, das sie lange erwogen hat, in die Massen geworfen.

Neben ihr stehen in durchsichtigen Gewändern, die nichts verhüllen, als Gefährtinnen der Göttin, Charmion und Eiras.

Der Mann in Galauniform, der an ihr Lager tritt und auf ihre aphrodisische Nacktheit mit Genießerfalten um den lüsternen Mund niederschaut, hat für unverzauberte Augen sehr wenig vom Gotte Mars. Als Kleopatra sein schmales Gesicht mit den spitzen Ohren und den listigen Augen zuerst in Alexandrien sah, grübelte sie: welchem Tiere sieht er nur ähnlich? Er hat etwas vom Luchse, dieser Quintus Dellius, der Abgesandte Marc Antons.

»Phänomenal«, lobt er und überblickt den ganzen Theaterkram, »phänomenal, wie du meinen Rat befolgt hast.«

Kleopatra lächelt spöttisch. Seines Rates, vor Antonius »lieblich geschmückt« zu erscheinen, wie Hera einst zum Zeus auf den Ida ging, seine Liebe zu erringen und ihn zu betölpeln, hat sie wahrlich nicht bedurft.

»Na, na«, droht Dellius schleimig, »lächele nicht so überheblich. Ein bißchen Angst hast du doch. Mich betrügst du nicht.«

Sie schweigt. Sie weiß, sie ist erregt. Sie fühlt ihre brennenden Wangen, trotz des Fächelns dieser nackten Bübchen da. Angst! Lächerlich. Vor Antonius Angst! Und doch hämmert ihr Herz Sturm. Doch braust ihr das Blut in den Ohren und Schläfen. Angst! Angst kennt sie nicht. Aber sie weiß, es ist die Entscheidung. Wieder eine der Schicksalsentscheidungen im Auf und Nieder ihres Daseins. Wieder eine der großen, nie wiederkehrenden Gelegenheiten. Sternenstunde ihres Lebensplanes. Die Idee des Kaiserreiches von Ost und West ist wieder in drängender Inbrunst in ihr auferstanden. Ihre Sehnsucht nach dem Throne der Erde flattert wieder als unsichtbares Banner am Bug ihres Königsschiffes.

»Geh«, sagt sie nach einer Weile zu dem römischen Schleicher – sie weiß durch ihre Spione, daß er Marc Antons erprobtester Kuppler ist –, »du verdirbst mir das Bild.«

Beleidigt folgt Dellius dem Befehl.

Sie will allein sein, sich sammeln. Drei lange Jahre hat sie auf diesen Augenblick geharrt, sich auf ihn vorbereitet. Sie muß ihm mit allen Sinnen und Geisteskräften gewachsen sein.

Die Düfte der Essenzen, die in hohen Becken an ihrem Lager verqualmen, die sanfte Melodie der Zithern, Flöten und Schalmeien des verborgenen Orchesters regen sie an, tragen ihre Gedanken aus dem Aufruhr der Stunde zurück in die letzte schwere Vergangenheit.

Sie ist nicht mehr die schlichte Frau in Cäsars Villa. Nicht die Fremde in der Fremde. Nicht die verfemte Geliebte eines ermordeten Autokraten. Hier ist nicht Rom. Hier ist der Osten. Hier ist sie regierende, machtvolle Königin. Hier auf ihrem Prunkschiffe ist sie ganz orientalische, selbstbewußte Fürstin in Pracht und Souveränität.

Diese drei bitteren Jahre des Harrens, das Unerträglichste für ihre tatlechzende Ungeduld, haben sie gereift. Ihre Schönheit ist noch vergeistigter, ihre Züge sind noch klugheitverklärter. Der Mund ist herber, die Augen ernster, enttäuschter. Doch jung ist sie geblieben im Antlitz und in Gestalt, jung wie die kleinen zierlichen Frauen sich erhalten. Sie ist jetzt siebenundzwanzig. Für eine Griechin mit orientalischem Tropfen im Blute Zeit höchster und letzter Blüte. Doch sie hat immer noch etwas vom Mädchen, etwas Frühlingsblumenhaftes, eine seltsame, schimmernde Emaille des unberührt Erfahrenen ist über sie hingehaucht, trotz ihres großen Jungen von sechs Jahren im Königspalast zu Alexandrien.

Es ist keine sinnlos kecke Farce, wenn sie als Göttin Venus posiert. Man glaubt ihr die Rolle, auch körperlich.

Sie hat in diesen drei Jahren nach der Vertreibung und Flucht aus Rom ihr Reich im Innern geordnet, alle Widersacher vernichtet. Ihr Verwaltungsapparat arbeitet wie eine Präzisionsmaschine. Hat durch ihre Späher jeden kleinsten politischen Vorgang in Rom und der Welt mit Argusaugen überwacht. Es war nicht leicht, den Wirrwarr des Geschehens zu verfolgen, zu durchschauen. In Italien wie im römischen Reiche des Mittelmeeres wütete der Kampf der Generale. Vier, fünf Militärdiktaturen rangen um die Vorherrschaft. Antonius hat sich bitter getäuscht. Die leuchtenden grünen Augen der Königin werden dunkel und starr, als sie an seinen Verrat an Cäsars Sohn denkt. Der junge, unbekannte Octavius Octavian hat sich als gefährlicher Gegner entpuppt. Er ist durchaus keine belanglose Nichtigkeit. Cäsars Name hat ihm Rückhalt und Selbstbewußtsein, seine kalte, verschlagene, grausame Gerissenheit Überlegenheit verliehen über den kraftsprühenden, tölpisch-schlauen, drauflos stürmenden Freibeuter an Cäsars Macht. Auch hatte Antonius nicht nur ihn zu bekämpfen. Die Mörder Cäsars standen gegen ihn auf mit starker Rüstung. Was half ihm da seine Wachtmeisterleibwache! Es galt Kampf bis aufs Messer. Er mußte sich gegen diese Feinde Cäsars mit dem zweiten Nachfolger, dem Adoptivsöhne Cäsars, dem verachteten Enkel des Wucherers aus Velletri, zwangsläufig verbünden. So gab er dem, den er als ungefährlichen Gegenspieler der Königin vorgezogen hatte, selbst Kraft und Bestand.

Kleopatra blickt auf. Der Fluß breitet sich jetzt zu einem See. Drüben stehen weiß gegen die Berge, von der sinkenden Sonne rosa übertuscht, die flachen Häuser von Tarsus. Die Kais sind schwarz von Menschen.

Noch hat sie Zeit, wie so oft, voll Zorn und Selbstanklage an den unverzeihlichen Fehler zu denken, den sie begangen hat.

Der Kampf der Mörder Cäsars hatte sich nach Kleinasien, in ihre Nähe, gespielt. Einmal schien es, als würde Cassius, der den Dolch gegen Cäsars Haupt gezückt hatte an jenem furchtbaren Märztage, in diesem Tohuwabohu des Bürgerkrieges die Oberhand gewinnen. Er war Herr im Osten. Antonius traute sie nicht und traute ihm auch keinen nachhaltigen Erfolg zu – nach jenem Tage in Rom. Da war sie einem verblendeten Truge erlegen. Schon sah sie Cassius als Sieger, als den Herrn von Rom, aus dem Chaos erstehen. Daß er Cäsar, ihren Cäsar, ermordet hatte, wog nicht auf der Waagschale ihres politischen Ehrgeizes.

Sie, die wartete, aus dem Hinterhalte lauerte auf die Entwicklung des Weltgeschehens, die sprungbereit harrte und abschätzte, sprang zu, glaubte, endlich sei ihre Gelegenheit gekommen. Sie beißt in der Erinnerung schonungslos in die geschminkten Lippen. Blut sickert hervor. Sie leckt es mit spitzer Zunge fort.

Eine politische Erkenntnis war zum Grundsatz ihres Tuns, ihres Lebens geworden: sich dem Römer anzuschließen, der als Mächtigster aus dem Kampfe aller gegen alle hervorgehen würde. Durch ihn ihr eigenes Land zu beschirmen, mit ihm den alten Cäsarplan der Verbindung von Ost und West der Erde, des Weltreichs zu erneuern.

Und da hatte sie in ungezügelter Ungeduld, in unbeherrschter Erfüllungsgier auf den falschen Lenker im Wagenrennen gesetzt. Hatte Cassius ihre starke wohlgeschulte Flotte zu Hilfe gesandt gegen Antonius und Octavian. Ein folgenschwerer Irrtum, ein verräterischer Fehler. Eine Blindheit ihrer politischen genialen Hellseherei. Wohl hatte sie ihn gleich darauf erkannt. Ihre Schiffe abberufen. Doch die Tat blieb und zeugte gegen sie. Und Cassius fiel bei Philippi.

Antonius, Octavian sind jetzt die Herren Roms. Als Strohmann nehmen sie Lepidus als Dritten in den Bund. Sie teilen die Welt. Antonius wählt sich den Osten.

Kleopatra schüttelt die Erinnerung, die den Glauben an ihre staatsmännische Unfehlbarkeit schmerzlich verwundet hat, heftig von sich ab. Blickt aus schmalen Augenschlitzen über den Hafen hin. Er ist voller Schiffe aller Nationen. Die Mannschaften stürzen an die Reeling, glotzen herüber. Sie liegt königlich unberührt in ihrer kaum verhüllten Venusnacktheit.

Dort in Tarsus ist Antonius. Ohne Fulvia. Ihrer strengen Zucht entronnen. Man spürt es an seinen Taten. Sie kennt jeden seiner Schritte. Wie ein Verrückter zieht er durch Griechenland. Sie sieht ihn deutlich vor sich. Wie oft mag ihm jetzt der Kopf von Schmerzen rauchen! Und der Katzenjammer aus verquollenen Augen wimmern! Sein Marsch durch Griechenland war ein Bacchantenzug. Ein Venusdurchgang. Mit seinem Gesindel, Mimen, Dirnen, Artisten zieht er umher, als Herakles – sein erdichteter Ahnherr – verkleidet, entkleidet. Läßt sich als Bacchus huldigen und anbeten. Ein armer Irrer. Und brandschatzt die Städte und Dörfer, treibt Steuern und Abgaben ein, daß die Völker aufschreien. Echt Antonius, ganz Antonius. Phantastischer Akteur und Räuber.

Das Schiff, die Flotte macht fest inmitten des Hafens. Die Kapitäne haben ihre genaue Instruktion. Sie hat alles bis ins Letzte vorbereitet. Läßt nichts vom Zufalle regieren. Cäsars Schule. Sie lächelt bitter. Und doch hingen auch Cäsars wohldurchdachte Pläne am tragischen Zufall – –

Als Antonius, selbsterwählt zum Herrn des Ostens, nach Griechenland kam, hatte sie sofort ihre große Chance erkannt. Sofort. Alle kleinen Fürsten Asiens waren ihm huldigend nach Ephesus entgegengeeilt. Sie nicht. Sie wollte nicht eine von Vielen sein. Ihr Reich war unter diesen Kleinen das größte und mächtigste. Das einzige, auf dem bisher Roms Löwentatze nicht wuchtete. Sie kam nicht. Sie horchte angespannt mit allen Sinnen hinaus. Würde er ihrer gedenken? Jetzt, da er in ihrer Nähe war? Würde jene Stunde in Rom, in der sie um ihn geworben hatte, in ihm lebendig werden?

Da rief er sie. Sandte den Kuppler Quintus Dellius mit dem gemessenen Befehle, sie habe sich in Tarsus vor seinem Richterstuhle wegen der Unterstützung des Cassius durch ihre Flotte, wegen dieser feindlichen Handlung zu verantworten.

Er hatte sie gerufen! Das entschied. Das allein hatte Bedeutung. Er hatte ihrer gedacht. Die beleidigende, drohende Form seines Gedenkens berührte sie nicht. Es war ihre Sache, diese Form umzuformen.

Die Schiffe liegen nun vor Anker. Drüben an den Kais, den Schuppen, Warenhäusern stehen die Menschen zu Tausenden.

Diese hellen Tarser, deren Stadt eine weit berühmte Redner- und Philosophenschule ziert, glauben nicht, wie das törichte Landvolk draußen an den Ufern des Kydnos, an die leibhafte Erscheinung der Aphrodite.

»Die Venus? Mensch, siehst du nicht die ägyptischen Kreuzer?! Die Ägypterin ist es, die Kleopatra. Mummenschanz ist es, Theater.«

Der andere nickt zögernd.

Doch Sensation ist es, eine nicht alltägliche Sensation, die Königin Ägyptens halbnackt auf ihrem Prachtschiffe aus purem Golde bewundern zu dürfen.

Das Gewimmel am Kai läßt Kleopatra kalt. Was schert ihre hochmütige einsame Seele die Plebs! Ein Gedanke nur erfüllt sie: wird Er kommen?

Sie liegt in lässiger Hoheit, allen zur Schau. Die Kapelle spielt ihre sanften, heimischen Weisen, die Düfte wehen zur Stadt hinüber, die Amoretten fächeln, die Nymphen, Grazien, Seenixen stellen ihre wechselnden lebenden Bilder. Das Herz wirbelt Sturm durch ihren trügerischen Gleichmut. Entscheidungsstunde ihres Lebens! Sie weiß es. Alles hängt, wie so oft, von dem ersten Augenblicke, von dem ersten neuen Begegnen ab. Wird er kommen? Wird er sich ihrem Willen beugen? Wird ihr phantastisch kühner Plan gelingen? Ihre Gedanken kreisen hinter der ruhigen Stirn mit dem Venuskopfschmuck.

Als Büßerin hat er sie vor seinen Richterstuhl gefordert. Sie lächelt ihr Sphinxlächeln. Marc Anton als Richter über sie, wenn Fulvia ihn nicht bemuttert! Ein Lächeln nur. Als Venus kommt sie zum Bacchus. Sie hat lange gesonnen. Wie soll sie vor ihn treten? Der erste Augenblick entscheidet ein Leben, ein Weltreich. Sie hat sich gegen das erste Aufzucken dieses Planes innerlich gesträubt. Es ist üble Mache, hohler Kitsch. Aber sie führt ihn aus mit ihrer verbissenen Energie. Er ist auf das Mimenhafte in diesem Kulissenschieber zugeschnitten. Auf sein Niveau herabgeschraubt. Sie hat diesen Mann nur einmal bewußt gesprochen. Doch sie kennt ihn durch und durch. Ihre Menschenwürdigung hat ihn abgeschätzt, eingeschätzt. Sie will auf seine lebhafte, kindlich-vulgäre Vorstellung wirken mit Paukenschlägen. Er ist der Held, der Herold der Banalität. Sie täuscht sich nicht. Sie weiß, er hat Erfolge, hat sie schon unter Cäsar gehabt. Wieso? Woher? Sie analysiert ihn mit ihrer scharfen, kritischen Intelligenz. Er verdankt seine ungeheuere Beliebtheit bei den Massen seinem Mittelmaß, dem Opernhaften in ihm. Er gilt den Vielen als der romantische Heros. Er regt die Massenpsyche an. Er ist Blut vom Blute der Allgemeinheit, dichter, heißer nur, komprimierter. Er ist das Abbild aller, aller Wünsche, Sehnsüchte, ins Maßlose gesteigert. Er ist der Normalheld der Männer und Inbegriff des Mannes für die Weiber. Nichts Mystisches ist an ihm, nichts Geheimnisvolles, er ist kein Mirakel, wie Cäsar war. Er ist allen verständlich in seinen Räuschen, Genüssen, seiner Tapferkeit, seiner lärmenden Gutmütigkeit, seiner leiblichen Kraft, seiner frechen Raffsucht. Er ist der erfüllte Traum des banalen Durchschnitts, der ihn vergöttert.

Kleopatra sucht den Kai ab. Noch nichts. Nur Menschenwogen wallen dem Wasser zu.

Sie kann warten. Sie muß. Ruhe, nichts übereilen, nichts zum dritten Male übereilen. Cäsar und Cassius stehen als warnende Säulen.

Doch in ihrem geschmacklosen Schaustück ist auch ein Körnchen tieferer Bedeutung und Symbolik verborgen. Als Venus kommt sie zu Bacchus zum Heile Asiens. Das ist die Parole, das der Sinn des Gepränges. Als Gleichgestellte – als Göttin zum Gotte kommt sie. Nicht als Büßerin. Nicht einmal als Königin. Als das Höchste in der Menschenverehrung tritt sie vor ihn. Eine enge Verbindung mit ihm deutet sie von Anbeginn an. Venus und Bacchus, die regierenden Gottheiten der Erde. Die Liebe und der Rausch. Innig Vereinte. Wirkung auf die empfängliche Phantasie des Orients ist das geheime Ziel. Unlösliche Verknüpfung vom ersten Augenblick an.

Jetzt – gleich – in dieser Stunde noch, muß sich die Zukunft entscheiden. Kühn ist der Streich. Gelingen oder Fiasko, Weltreich oder Vernichtung aller gigantischen Pläne hängt davon ab, ob er zu ihr kommt oder darauf beharrt, daß sie als Büßerin vor ihm erscheint. Venus als demütige Angeklagte ist Travestie, untilgbare Lächerlichkeit, bedeutet erbärmlichste Niederlage, ewiges Versinken des Königstraumes der Erde.

Noch rührt sich nichts am Ufer. Kein Nachen naht. Quintus Dellius will zu ihr treten. Sie weht ihn fort. Nicht Mars, – Venus regiert die Stunde.

Trotz aller raunenden Bedenken in ihrer Brust weiß sie, fühlt sie, diesmal hat sie nicht auf den falschen Lenker im Wagenrennen gesetzt. Diesmal nicht. Diesmal wird sie hinaufspringen am Start auf den Wagen und mitfahren, dem Ziele entgegen. Diesmal wird sie in die Zügel greifen, dem Rosselenker zurufen, ihn anspornen, bei ihm stehen – mit ihm die gefährlichen Kurven nehmen, ihm Ratschläge zuschreien, ihn mit ihrer Nähe, ihrer Körperwärme anfeuern. Diesmal muß sie mit ihm durchs Ziel gehen. Das Chaos hat sich gelichtet. Lepidus ist eine Null. Antonius vielleicht auch. Jedenfalls wird sie die Eins davor sein, die ihn zu einer hohen Zahl macht. Octavian ist der Gegner. Ihn gilt es zu vernichten. Dann West und Ost verbinden, unter ihrer Hand einigen, mit Antonius als Werkzeug. Mit ihm vollenden, was mit Cäsar gescheitert ist.

Er lockt sie nicht als Mann. O nein. Doch er wird wohl nicht immer einen qualmenden Schädel und dampfende Katerstimmung haben. Und wenn auch! Sie hat ihren klaren Kopf und ihre unhemmbare Energie. Das genügt. Um Liebe geht es in dieser Verbindung nicht. Es geht um das Reich der Welt, das sie an seiner Seite, durch ihn, mit ihm gewinnen will, für sich, für Cäsarion. Mit ihrer Macht. Ihrer Macht als Weib. Sie darf nicht wählerisch sein. Muß den Mann nehmen, der mit ihr die Weltmacht werden kann. Dieser Mann ist Octavian oder Antonius. Octavian ist fern. Antonius ist greifbar nah. Liebe, Gefallen hat in ihrem Leben keinen Raum mehr seit Cäsars Tod. Der Wille, ihr kleines Land vor Rom zu schützen, ihren unabhängigen Thron gegen Roms Ländergier zu erhalten, ihn zum Thron der Welt zu wandeln und zu erhöhen, gebietet allein. Seit dem Niederbruche in Rom schlafen ihre Sinne. Erwachen bisweilen, verlangen ihr Recht und werden von ihrem trotzigen, politischen Streben entrechtet, geduckt und betäubt. Nur die Politikerin, die Frau der tausend Pläne, die doch alle in den einzigen großen Plan der Weltherrschaft einmünden, wacht und lebt. Das Weib in ihr schlummert narkotisiert vom Willen und Ehrgeiz.

Ihre Adoptivahnen, die Pharaonen, deren Reich sich unter Amenhotep II. vom Sudan bis zum Euphrat und den Jonischen Inseln erstreckte, ihre leiblichen Ahnen, die Ptolemäer, die unter Ptolemäus III. das Alexanderreich erneuert haben, leben und spuken in ihrem Blute. Jetzt, in ihrer seelischen und geistigen Frauenreife, heißt leben, sein, noch fordernder als zuvor, herrschen, Macht besitzen. Liebe bedeutet für sie nichts anderes mehr, als Gefährtin sein des Mannes, der ihr titanisches Begehren verwirklichen kann. Dieser Mann ist Antonius. Ihn hat sie nach langem Zaudern, Prüfen, Abwägen gewählt. Mit ihm spielt sie va banque. Auf ihn hat sie ihr Reich, ihre glühende Ruhmsucht, ihre und ihres Sohnes Zukunft gesetzt. Ihm will sie Mitkämpferin sein, ihm ihren Geist, ihre Genialität einhauchen, mit ihm den einzigen Teilhaber der Erde, Octavian, zerschmettern, mit ihm das Weltreich aufrichten, sich zu seiner und der Erde Herrin emporschwingen.

Sie schließt unmittelbar dort an, wo sie in Rom aufgehört hat. Dort waren die Verhältnisse gegen sie. Dort stand Fulvia vor Antonius als Wall und Schirm. Hier sind die Verhältnisse für sie. Hier ist sie keine ohnmächtige, verlassene Fremde, hier ist sie Königin des einzigen freien Königreichs des Ostens. Hier wird sie Antonius das Geständnis ablisten, daß Cäsar seinen Sohn Cäsarion zum Erben eingesetzt hat. Diese vernichtende Waffe wird sie schwingen in dem Entscheidungskampfe mit dem Usurpator Octavian.

Sie blickt hinüber zum Kai. Menschenmauern türmen sich dort zusammen. Antonius kommt nicht. Ein eisiges Verzagen kriecht an ihr empor, hinein in ihr Herz. Hat sie sich verrechnet? Wirkt der Mummenschanz nicht auf sein jungenhaft abenteuerliches Gemüt? Hat er die Stunde in Rom vergessen? Hat sie wieder, zum letzten Male, endgültig verspielt?


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