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18

Eine Untersuchungskommission. – Welche bedenkliche Wendung des Pfarrers Schicksal erhält; wie die alte Landkutsche verkauft wird, und wie sich die Frau Amtmännin benimmt.

Nachdem der Herr von Eilersrode und des Amtmanns Tochter den Edelhof verlassen, herrschte auf demselben eine große Einförmigkeit und Ruhe. Der Amtmann hatte sich an das rege, heitere Leben der jüngsten Tage allzusehr gewöhnt, um nicht hinfort von einer tödlichen Langeweile geplagt zu werden, die ihn mürrisch und verdrossen machte. Seine Gattin fühlte sich zwar in dem alten Geleise ihres Haushalts um vieles leichter als während der Anwesenheit des Herrn von Eilersrode, aber auch des Umgangs mit ihrer Tochter enthoben, die sie durch lange, liebe Briefe zu entschädigen suchte, in denen sie ihr das Leben der Residenz und die Aufnahme schilderte, welche sie in der Familie des gnädigen Herrn gefunden. Das Mutterherz konnte in die Freude nicht mit einstimmen, welche der Amtmann empfand und aussprach, wenn Aurorens Briefe von der Liebe und Freundschaft redeten, die ihr an dem neuen Aufenthaltsort gezollt ward. Zwischen diesen Zeilen klang es stets so wehmütig durch, so erdenmüde, daß das Auge der gefühlvollen Mutter wohl sah, wonach ihrem lieben Kinde heimelte. Der Herr von Eilersrode hatte des Amtmanns Tochter sogar mit zu einem Hof ball genommen. »Eine Bürgerliche bei Hofe!« rief der glückliche, eitle Dorfrichter. – »Du wirst sehen, liebe Frau, sie macht ihr Glück, ein ungewöhnlich Glück.« Die Amtmännin schüttelte den Kopf, ohne zu widersprechen.

Im Dorfe hatte das Leben und Treiben wieder sein altes, gewöhnliches Bette gefunden. Der Schulmeister, der sich in den letzten Monden vom Amtshofe hatte fernhalten müssen, fand sich daselbst wieder ein, stattete Berichte ab und sammelte Neuigkeiten für den Pastor und die Gemeinde. Er war herzlich froh, daß die adlige Sippschaft, wie er den Hof des Herrn von Eilersrode nannte, endlich wieder aufgebrochen war. Solange es im Dorf und der Umgegend von glänzenden Livrebedienten und besternten und bebänderten Herren wimmelte, war sich der Dorfschulmeister so unerträglich winzig, so blutarm, so häßlich vorgekommen, daß er seine ursprüngliche Natur selber kaum mehr kannte und sich vor den Augen anderer schämte und zurückzog. Als aber die Luft vom aristokratischen Geflimmer und Getöse wieder rein war, kroch er wie eine Schildkröte aus seiner innern Hausung hervor und ward wieder ganz der alte lauernde, spionierende Dorfintrigant, der bald unterwürfig und kriechend, bald zutraulich und unverschämt, bald aufgeblasen und pedantisch über die Schwelle der Parteien schritt, und immer, ein Wolf im Schafkleide, aller Interessen warm im Herzen zu tragen heuchelte.

Der Prozeß zwischen dem Amtmann und dem Prediger dehnte sich sehr in die Länge; der zwischen dem Kirchenpatron und dem Pfarrer war, der Hauptsache nach, beendet, indem der letztere erklärt hatte, sich jede Wahl des Herrn von Eilersrode künftig gefallen lassen zu wollen. Die Kosten, welche der Advokat ihm in dieser Angelegenheit, die im Grunde schon außergerichtlich geschlichtet war, ehe der Prozeß begann, verursacht hatte, waren teilweise bezahlt, aber noch lange nicht verschmerzt; sie schmälerten die Einnahme eines Jahrs um eine bedeutende Summe. Auch blieb noch übrig, zu bestimmen, wer die während der Dauer des Streits erwachsenen Kosten tragen sollte, der Pastor oder der Herr von Eilersrode; darüber sollte die weiter unten erwähnte Kommission entscheiden.

Der Injurienprozeß drohte des armen Pastors Hab und Gut vollends zu verschlingen, denn die Akten desselben waren im Verlaufe eines Jahres bedeutend angeschwollen, ohne daß das Ende dieser beklagenswerten Streitsache in naher Aussicht stand. Die beiden Anwälte, des Klägers und des Beklagten, bekämpften sich auf Tod und Leben und brachten es endlich dahin, daß die Gerichte, zur schnelleren Erledigung des Prozesses, eine Kommission ernannten, welche den Grund oder Ungrund der Klage an Ort und Stelle selbst ermitteln und die streitenden Parteien zum Vergleich zu bringen suchen sollte. Die Mitglieder dieser Untersuchungskommission erschienen bald nach jenem Bescheid auf dem Amte, wo sie sich sehr wohl bewirtet sahen und mehre Tage verstreichen ließen, bevor sie ihr Werk begannen. Man sah es diesen gelehrten Leuten an, daß sie nicht auf ihre eigenen Kosten zehrten. Sie führten ein Leben ganz wie das des Herrn von Eilersrode bei seiner Anwesenheit im Schloß; sie machten Besuche in der Umgegend, nahmen welche an und ließen sich den Wein des Amtskellers bei reichbesetzter Tafel wohlschmecken, als wären sie des Essens und Trinkens halber hergekommen. Der Schulmeister machte bei seinen Besuchen im Pfarrhause über das Benehmen der Herren Kommissionsmitglieder sehr treffende Bemerkungen, und der Prediger konnte seinen Ärger über die Wahrheit derselben nicht unterdrücken. Endlich begann die aus einem Mitgliede des Konsistoriums und zwei Rechtsgelehrten bestehende Untersuchungskommission ihre Arbeiten. Der Pastor wurde aufs Amt zitiert und mußte sich zuerst wegen der Widersetzlichkeiten gegen den Kirchenpatron in betreff der Wahl eines Bälgentreters rechtfertigen. Er berief sich dabei auf die von seinem Superintendenten erhaltenen mündlichen Instruktionen; da er diese schriftlich beibringen mußte, schrieb er seinem Vorgesetzten und bat ihn, der Wahrheit die Ehre zu geben. Der Superintendent ließ den Pastor mehrere Tage warten und erklärte dann, daß er zwar dem Prediger befohlen, streng auf Ordnung und Recht zu halten, ihn aber nie ermuntert hätte, seinen Widerstand gegen den Kirchenpatron so weit zu treiben, wie er es getan. Der Prediger konnte sich in den Augen der Kommission keineswegs rechtfertigen; er mußte eingestehen, sich ohne reifliche Überlegung der Wahl des Leinewebers jahrelang widersetzt und Anlaß zu verschiedenen Kosten gegeben zu haben, die vorläufig teils aus der Kirchen-, teils aus der Gemeindekasse bezahlt waren. Die Kommission gab nach mehrtägiger Prüfung dieses Streitpunkts ein Gutachten ab, das ganz zum Nachteil des Predigers ausfiel. Es blieb dem Ermessen des Herrn von Eilersrode anheimgegeben, ob derselbe dem armen Prediger auch die Kosten für Begräbnis des verstorbenen Schuhflickers Kunze, für teilweise Verpflegung der hinterlassenen Witwe und Kinder desselben und anderer während der verflossenen zwei Jahre erledigter Punkte aufbürden wollte oder nicht. Die Hoffnung des Pfarrers auf die Gerechtigkeitsliebe des gnädigen Herrn sollte ihm bald benommen werden. Der sonst so billig denkende Gutsherr war allzusehr wider ihn eingenommen, als daß er ihm hätte verzeihen und ihm einen Dienst erweisen mögen; vielmehr gab er gemessenen Befehl, mit aller Strenge darauf zu achten, daß der Pastor dem Urteil des Gerichts in allen Dingen pünktlich Folge zu leisten angehalten werde.

Nachdem die Herren Kommissarien den ersten Streitpunkt erledigt hatten, schritten sie zur Untersuchung des zweiten. Der Amtmann hatte alles aufgeboten, den Kommissionsmitgliedern das Leben im Schloß so angenehm wie möglich zu machen. Im stillen wünschte er die Schmarotzer zwar hin, wo der Pfeffer wächst, aber er machte äußerlich gute Miene zum bösen Spiel. Die Herren machten es sich bequem, hielten täglich von elf bis ein Uhr mittags Sitzung, nahmen zu Protokoll und pflegten sich den Rest des Tags, nach solchen Beschwerden, an dem, was des Amtmanns Küche und Keller boten. Sie schonten das Papier wenig, weniger den guten Wein ihres Wirts, und schienen mit jedem neuen Tage größeres Wohlgefallen an dem Leben auf dem Amte zu finden. Als der Prediger über die einzelnen, eigenhändig niedergeschriebenen Beschwerdepunkte gegen den Amtmann vernommen wurde und er sich auf die Aussagen der Bauern berief, wurden die von ihm namhaft gemachten Dorfbewohner auf das Amt zitiert. Sie hatten sich längst auf dies gezwungene Erscheinen vor ihrem Richter vorbereitet und waren fest entschlossen, dem Prediger frech ins Gesicht zu lügen. Nachdem ihnen daher vorgelesen worden war, was sie, der Aussage des Predigers nach, zu Papier gegeben haben sollten, zuckten sie die Achseln, schüttelten die Köpfe und erklärten, kein Wort von dem gesagt zu haben, was ihnen der Geistliche in den Mund lege. Die Kommissarien sahen sich einander groß an und rieten dem Pastor, der vor Bestürzung und Empörung über die Schlechtigkeit seiner eigenen Pfarrkinder kaum ein Wort vorbringen konnte, den Bauern einen Eid zuzuschieben. Diese erklärten sich sogleich bereit, ihre Aussage durch einen Schwur feierlichst zu erhärten und würden ohne Bedenken einen Meineid begangen haben, wenn nicht der Geistliche von dieser Sünde sie zu retten beschlossen hätte.

»Nein«, rief der Pfarrer, im stillen an den unglücklichen Thomas denkend, »lieber will ich alles über mich ergehen lassen als zugeben, daß diese Leute schwören.«

»Bedenken Sie« – sprach der wortführende Kommissar –, »daß Sie als böswilliger Verleumder würden betrachtet und bestraft werden müssen, wenn Sie nichts zu Ihrer Entschuldigung beibringen könnten. Wir wollen den Bauern die Strafen vorlesen, welche das Gesetz für falsche Eide aufgestellt hat und Ihnen, Herr Pastor, steht es als Seelsorger frei, den Leuten das Gewissen zu schärfen.«

Die Bauern hörten zu, was ihnen der Kommissar aus dem Gesetzbuch über den Meineid vorlas; aber ihr verstocktes Gemüt ließ sich dadurch nicht abschrecken, sie bestanden vielmehr darauf, den Schwur, falls er gefordert werde, zu leisten. Der Prediger gab dies aber nicht zu, sondern blieb bei seiner abgegebenen Erklärung: lieber Unrecht leiden als zugeben zu wollen, daß seine Mitbrüder in dieser Sache einen Eid ablegten. Er ward daher nebst den Bauern entlassen und erhielt am folgenden Tage eine Aufforderung von Seiten der Kommission, dem Kläger öffentlich Abbitte und Ehrenerklärung zu leisten und die durch den Prozeß verursachten Kosten zu bezahlen. Der geist- und gemütsgeschlagene Pfarrer ergab sich in dies Urteil. Er leistete die ihm vorgeschriebene Abbitte und Ehrenerklärung im Beisein der Kommissarien vor deren bald darauf erfolgender Abreise aus Eilersrode und suchte Anstalten zu einer Geldanleihe zu treffen, um die bedeutenden Kosten zu bezahlen, welche ihm aus dem verlornen Prozeß erwachsen waren.

Bleich und gebückt schlich der arme Seelsorger einher; er war in den beiden letzten Jahren um viele Jahre älter geworden. Was hatte er alles erfahren und erdulden müssen! Wie viele Menschen hatten ihn betrogen, ihm Beweise ihrer innern Schlechtigkeit gegeben! Thomas, der Superintendent, die ganze Gemeinde! Treu und Glauben, Ehrlichkeit und Biedersinn, von allem, was er von der Kanzel herab gelehrt, für was er eifrig gekämpft, fand er keine Spur. Seine Worte hatten, wie der Samen auf unfruchtbarem Boden, keine Wurzel geschlagen; er hatte tauben Ohren gepredigt; niemand befolgte seine guten Lehren. Sein eigenes Gewissen machte ihm dabei nicht geringe Vorwürfe; freilich verdiente er die harte Lehre nicht, welche ihm aufgebürdet ward, freilich war und blieb er besser als alle seine Gegner; aber er hatte sich von seinen Schwächen hinreißen lassen, er hatte aus kleinlichen Rücksichten die höhern Pflichten seines Berufs hintenangesetzt. Der gute Mensch wird im Leben immer für einen Fehltritt viel härter bestraft werden als der schlechte.

Der Prediger erkannte in den Schlägen, welche ihn seit längerer Zeit trafen, Gottes Finger und beugte sich in Demut unter der Rute des Himmels. Sein Körper hatte unter den beständigen Gemütsaufregungen zu sehr gelitten; die Nahrungssorgen, welche sich jetzt zu seinem Kummer mischten, warfen ihn danieder. Er mußte sich auf ein langes, schmerzhaftes Krankenlager gefaßt machen. Es kam jetzt wirklich die Zeit, in welcher die niederschlagenden Pulver nicht mehr anschlagen wollten; er mußte einen Arzt kommen lassen. In dieser Trostlosigkeit flehte er den Himmel um Rettung an und bat, ihn ein Mittel finden zu lassen, um als ehrlicher Mann und Familienvater aus der peinvollen Prüfungszeit hervorgehn zu können. Der Himmel schien sich aber von dem Schwergeprüften gänzlich abgewendet zu haben. Der Schulmeister, dem sich der verlassene Prediger anvertraut und dem er den Auftrag gegeben hatte, sich im Dorfe bei den reicheren Bauern umzusehen, ob nicht einer unter ihnen, der sich zum Darlehn des erforderlichen Kapitals verstehen möchte, brachte jeden Tag eine neue verneinende Antwort. Die Bauern wollten ihrem Prediger kein Geld borgen; denn – sagten sie – er könne ja heut oder morgen sterben und Bücher und Weib und Kind seien schlechte Bürgschaften für die Rückzahlung eines Kapitals.

Da der Tag der Zahlung der Prozeßkosten heranrückte, ohne daß sich dem verzweifelnden Prediger ein Mittel dargeboten hätte, dem richterlichen Befehle nachkommen zu können, trug der kranke Mann seinem Schulmeister auf, seinem Advokaten zu schreiben, er möge ein Fristgesuch einreichen. Dies geschah und nicht ohne den gewünschten Erfolg. Mit Hilfe des Arztes und seiner eigenen Gattin ward der Kranke früher als er selbst gedacht wieder so weit hergestellt, daß er sich seinen Berufsgeschäften wieder zuwenden und selbst Wege tun konnte, um sich das Geld zu verschaffen, dessen er benötigt war. Er hatte nie im Leben geglaubt, daß der Kredit eines Mannes, der sein ganzes Dasein dazu verwendet, den Kredit alles Wahren und Guten zu befestigen, auf so schwachen Füßen stehen könne, wie er jetzt an seinem eignen Kredit wahrnehmen mußte. Da er selbst im ganzen Dorf auf abschlägige Antworten und kaltes Bedenken statt auf Hilfe stieß und auch in der Stadt niemand kannte, an den er sich mit seinem Anliegen hätte wenden können, so machte er seiner Frau den Vorschlag, einige entbehrliche Gegenstände zu Gelde zu machen. Die Pastorin weinte und wehklagte zwar gewaltig und schämte sich nicht, allen, die sie ins Unglück gestoßen, Böses zu wünschen und auf sie zu schimpfen, mußte aber doch einsehen, daß sie dadurch um keinen Schritt weiterkamen, und gab daher unter Tränen ihre Zustimmung zum Verkauf der Landkutsche. Diese wurde noch an demselben Tage aus der Scheune geholt und sauber abgeputzt. Am nächsten Morgen nahm der Pastor, um auf diesem harten Wege nicht ganz verlassen zu sein, einen von seinen Knaben, setzte sich mit ihm in den alten Familienwagen und fuhr in die Stadt, wo gerade Jahrmarkt war. Er hoffte, aus seiner Kutsche ein ansehnlich Stück Geld zu lösen und erkundigte sich sogleich im Wirtshaus, wie und wo er einen Käufer finden könne. Der gute Pfarrer hatte in seinem ganzen Leben kein so wichtiges Handelsgeschäft abgeschlossen und mußte sich nicht wenig Zwang antun, indem er so selber zu Markte zog, um sein Eigentum feilzubieten. Der Wirt des Gasthofs, in welchem der Prediger abzusteigen pflegte, kannte die alte Landkutsche sehr gut. Sie war ungefähr so alt geworden wie der verstorbene Küster von Eilersrode, denn schon des Pastors seliger Vater, der auch in Eilersrode Pfarrer gewesen, hatte sich in ihr zur Stadt fahren lassen. Das Lederwerk glänzte jetzt zwar von Fett und Öl, war aber dennoch zerrissen und durchgescheuert; das Holzwerk teilweise wurmstichig oder gespalten; der Lack am äußern Sitzkasten und Schlage abgesprungen und abgeschabt, und die Farbe der Kissen konnte man kaum noch für gelb erkennen, was sie ursprünglich gewesen sein mochte. Das Eisenwerk hatte vom Rost stark gelitten, die Räder waren nicht mehr modern, der Bock zu hoch und die Fenster teils blind, teils zerbrochen. Dabei hatte der ganze Wagen ein viel zu schweres Gewicht und schien bestimmt, nur von den stärksten, wohlgenährtesten Pferden des Landes und immer nur im Schritt gezogen zu werden.

»Es wird schwerhalten, lieber Herr Pastor« – sagte der Wirt –, »einen Liebhaber für Ihre Kutsche zu finden. Die Wagenfabriken liefern jetzt so billige und leichte Ware, und die Herrschaften, die was Gutes und Solides haben mögen, lassen sich's aus England oder Frankreich kommen.«

»Alle Welt ist heutzutage bequem und strebt nach Wagen und Pferde« – meinte der Verkäufer –, »ich sollte meinen, ein gutes, altes Stück müßte immer leicht seinen Mann finden. Bedenken Sie nur, der Wagen ist äußerst bequem, hängt hinten und vorn in Federn und ist groß.«

»Nur eins fehlt ihm, Herr Pastor, die Jugend, und ein anderes, der Zuschnitt; er ist für Großvater, Vater und Sohn gemacht; heutzutage hat man's lieber klein und nett, zierlich wie die Stiefel an den Füßen der jungen Herren. Doch wir wollen sehn, was zu machen ist.«

Der Wirt schickte und lief selber in der ganzen Stadt umher. Alle Schmiede und Rademacher fanden sich bald vor dem Wirtshaus ein, nicht um die alte Landkutsche zu kaufen, sondern um sich über diese Rarität auf vier Rädern lustig zu machen. Der Pastor, der sich ein paarmal unter die Gesellschaft mischte und seiner Kutsche Vorzüge anpries, wurde selbst zur Zielscheibe des städtischen Witzes ausersehn. »Das also ist der beneidenswerte Besitzer dieses Prachtexemplars von einer Landkutsche!« hieß es. Der eine fragte, wo denn das fünfte Rad an diesem Wagen sitze; ein anderer meinte, die Kutsche sei viel zu klein; einem dritten war sie viel zu zart und leicht gebaut; ein vierter fragte endlich nach dem Preis, ohne Lust zu haben, sie zu kaufen. Ein schallendes Gelächter wurde dem Pastor zur Antwort, als er die Frage des letzten beantwortete.

»Sie fordern einen Preis« – sagte der Wirt –, »für den man heutigentags Wagen und Pferde kauft.«

»So tun Sie mir den Gefallen« – bat der unglückliche Eigentümer der verspotteten Landkutsche –, »sich mit einem der Käufer zu verständigen, ich gebe Ihnen Vollmacht, den Handel abzuschließen.«

Der Wirt ging nun mit einem der Kauflustigen seitwärts und handelte mit ihm. Was derselbe bot, war ungefähr der vierte Teil von dem, was der Prediger gefordert hatte. »Sie ist nicht mehr wert, als was an altem Eisen an ihr ist«, sagte der Käufer. Der Wirt meldete dem Prediger, was man ihm für seine Kutsche geben wolle. Der Arme erschrak heftig bei Nennung des kümmerlichen Kaufpreises; da ihm aber der Wirt deutlich machte, daß er seine Erwartungen bei diesem Handel wirklich viel zu hoch gestellt hatte, und da er durch den Spott und die satirischen Bemerkungen der Leute eingeschüchtert und in Verlegenheit gesetzt war, bat er den Wirt, den Kauf abzuschließen und steckte die wenigen Taler, welche ihm als Erlös seines veräußerten Eigentums zukamen, seufzend in die Tasche. Ohne sich länger in der Stadt aufzuhalten, nahm er seinen Sohn an die Hand und schritt mit ihm zum Tore hinaus. Dem Jungen wollte das Gehen bald nicht mehr behagen; er hatte nichts vom Markte gesehen und war mürrisch darüber, daß ihm der Vater nichts gekauft hatte. Darum fing er an zu weinen und beklagte sich, er könne nicht weiter marschieren. Der gute Pastor mußte sich bequemen, seinen unartigen, müden Jungen streckenweise huckepack zu tragen. Auf diese Weise langten beide erst spät und sehr ermüdet und hungrig im Pfarrhause an. Der Pastor erzählte, um welchen Spottpreis er die Landkutsche losgeschlagen und wieviel Hohn und Spott er mit in den Kauf habe nehmen müssen. Die Pastorin weinte bei dieser Nachricht bitterlich; sie hatte immer große Stücke auf die Kutsche gehalten und schämte sich in Gedanken schon über die Randglossen, welche die Bauern machen würden, wenn sie in Erfahrung brächten, daß der Pastor kein Fuhrwerk mehr besitze und sich hinfort mit offenen Bauernwagen behelfen müsse, wenn er nicht gar zu Fuße gehen wolle.

Der Schulmeister hinterbrachte dem Amtmann alles, was er über dies jüngste Ereignis in des Pfarrers Familie erfuhr. Der Amtmann war boshaft genug, um sich an der Not seines Gevatters zu weiden. Die Amtmännin aber hatte längst das größte Mitleiden mit dem Unglück des Mannes empfunden und nahm sich vor, ihn aus seiner Verlegenheit zu retten. Da sie dem Schulmeister kein Zutrauen schenkte, schickte sie zum Leineweber Heisert und trug ihm auf, zum Pastor zu gehn und zu tun, als ob er gehört hätte, daß er eine Anleihe zu machen wünsche; er sollte ihn fragen, wieviel Geld er zu haben wünsche und sich ihm als Darleiher anbieten. Christoph begab sich auch an demselben Tage zum Prediger und erkundigte sich, ob er noch Geld brauche. Der Geistliche war nicht wenig überrascht, in dem Mann, gegen welchen er sich so lange selbst feindselig benommen hatte, einen Freund in der Not kennenzulernen. Er schüttete ihm sein ganzes Herz aus und dankte ihm innig für das Versprechen, ihm das fehlende Geld verschaffen zu wollen.

»Wie unrecht tat ich doch« – sagte der Prediger zu seiner Frau –, »diesen Mann so sehr zu verkennen. Thomas war ein schlechter Mensch, der uns alle hinterging, und dieser Christoph Heisert, den ich für einen bösen, arglistigen Menschen hielt, sammelt jetzt feurige Kohlen auf mein Haupt.«

Der Leineweber stattete der Amtmännin Bericht ab; die gute Frau leerte das kleine Kästchen mit den Ersparnissen vieler Jahre, händigte dem Überbringer die verlangte Summe ein und verbot ihm, zu einem Menschen zu sagen, daß sie es sei, welcher das dem Pastor vorgestreckte Geld gehöre. Ohne diesen rettenden Engel würde der Prediger ohne Zweifel in die größte Not geraten sein; er hätte die Kosten seines Prozesses unmöglich bezahlen können und würde es sich haben gefallen lassen müssen, sich von Gerichts wegen auspfänden zu lassen.

Als der Tag, an welchem die Prozeßkosten bezahlt werden sollten, erschien, wunderte sich der Schulmeister nicht wenig, den Prediger zahlungsfähig zu finden, ohne daß er hätte ergründen können, von wo der Schuldner Geld erhalten. Er hatte sich längst auf den Tag gefreut, an welchem er des Pfarrers Wohnung vom Büttel betreten zu sehen hoffen konnte; da er selbst einige harte Taler zusammengespart, hatte er sich vorgenommen, den Zeitpunkt der höchsten Not abzuwarten, um dem Prediger dann gegen hohe Zinsen sein eigenes Geld vorzustrecken. Daß ihm dieser Schacher nicht gelingen sollte, verdroß ihn zwar sehr, aber er unterließ es doch nicht, dem Pastor seine Freude über das glückliche Ende seiner Verlegenheit auszudrücken.

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