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Was der verstorbene Bälgentreter für ein Mann war und was er zu tun und einzunehmen hatte. – Der Pastor und der Amtmann, und wie sich die Gevatter entzweien.

Erschrick nicht, lieber Leser, wenn du das erste Kapitel unserer Geschichte gleich mit Tod und Hader beginnen siehst, sondern bedenke, daß ohne Krieg und Tod keine Geschichte für den Menschen Interesse haben würde. Wäre der alte Bälgentreter von Eilersrode nicht gestorben, so – lebte er noch, und wenn er noch lebte, so wären der Amtmann und der Pastor gute Freunde geblieben. Dann aber würde am Ende ganz Eilersrode aus lieber langer Weile selbst ausgestorben sein. Es war also ein rechtes Glück, daß der Alte das Zeitliche segnete und dadurch dem langweiligen Frieden der Gemeinde ein Ende machte.

Der verstorbene Bälgentreter war ein guter Mann und ein Pfiffikus dazu; er verdient wohl, daß ihm ein Ehrenplatz an unserer Tafel eingeräumt werde, zumal, da ihm kein Mensch ein Kreuz oder einen Stein auf sein Grab gesetzt hat, das selbst nirgend mehr zu finden ist. Nur im Munde der kleinen Eilersroder Generation, deren Zeitgenosse er war, ohne viel anderes von der Zeit zu genießen als Sorgen und Not, lebte er noch eine Weile nach seinem Tode fort und ist auch dort seit vielen Jahren ganz vergessen.

»Der Mensch« – sagte der Verstorbene – »ist nichts anderes als ein Bälgentreter. Er macht sein Leben lang bloß den Wind zu dem großen Spiel der Welt. Wenn ihn das Kalkantenglöcklein Kalkant = Blasebalgtreter. in die Bälgenkammer und auf seinen Posten ruft, tritt er bald stärker, bald leiser, je nach seiner Kraft und seinem Gewicht, auf das Bälgenbrett, und eh er sich's versieht, ist seine Kraft erschöpft, er pfeift selbst aus dem letzten Loch und muß seinem jungen Nachbarn Platz machen. Von dem großen Orgelspiel hat er während seiner mühseligen Arbeit gar wenig gehört und begriffen; sondern nur eben so viel, um die Sehnsucht mit ins Grab zu nehmen, ihm am langen Ruhetage ungestört zuhorchen zu können.« So pflegte der kosmopolitische Bälgentreter zu philosophieren, wenn er mit seinen Freunden im Kruge vor der hölzernen großen Bierkanne saß. Die Bauern hielten große Stücke auf ihn und ihn eigentlich für klüger und gewitziger als den gar schlauen Schulmeister, der deshalb auch einen heimlichen Groll auf den Bälgentreter geworfen hatte und ihn als einen Rivalen ansah, von dem er sich nicht ungern durch den Tod befreit fühlte.

Der Bälgentreterposten in Eilersrode ward als ein sicheres Einkommen in der Gemeinde sehr geschätzt; der Verstorbene hatte dieser Stelle durch seine persönlichen guten Eigenschaften ein noch größeres Ansehn verliehn. So kam es denn, daß nach des Alten Tode mehr denn ein Kandidat auf den vakanten Posten schöne Hoffnungen gründete.

Was die Einkünfte betrifft, die der erwähnte Bälgentreterdienst abwarf, so beliefen sich diese an barem Gelde auf soviel, wie heutigentags ein reicher Großstädter etwa in einem Tage mit leichter Mühe und ohne besondern Luxus zu verzehren pflegt: nämlich auf sieben Reichstaler jährlich. Außerdem hatte der Bälgentreter freie Wohnung im Dorf und bekam für jeden Toten ein Brot, nach alter, guter Sitte, für das Ausläuten der Leiche. Dies Geschäft gehörte mit zu seinem Dienst, in welchem er ferner die Eilersroder Turmuhr täglich nachzustellen hatte, auch, im Fall der Schulmeister krank oder heiser, für diesen in der Kirche den Gesang leiten und endlich die Bälge zur Orgel treten mußte.

Die Ortsverhältnisse hatten zur Ausübung dieser verschiedenen Geschäfte die Einsetzung eines eigenen Angestellten nötig gemacht. In der Nähe von Eilersrode nämlich liegt oder lag zur Zeit unserer Geschichte eine Filialkirche. Der Pfarrer von Eilersrode mußte sonntags nach seiner Predigt in der Mutterkirche auch in jener die Kanzel besteigen und ließ sich gewöhnlich in seiner alten Landkutsche dahin fahren. Der Dorfschulmeister wohnte in der Filialgemeinde und der Bälgentreter in Eilersrode selbst.

Außer den genannten wohnte im Hauptdorf noch die Hauptperson der ganzen Gemeinde: der Amtmann. Dieser hatte Eilersrode von dem Gutsherrn, der ein gar vornehmer, großer Herr war und in der Residenz am Hofe lebte, in Pacht genommen und versah zugleich das Amt eines Gerichtsherrn, wozu es ihm an den für die gewöhnlichen Streitsachen der Bauern ausreichenden nötigen juristischen Kenntnissen nicht fehlte. Die Patrimonialgerichtsbarkeit Private Ausübung der Rechtsprechung von Seiten des Gutsherrn über die Gutseingesessenen. wurde von ihm streng gehandhabt, er führte eine scharfe Kontrolle über das weltliche Gemeindewesen, legte genaue Rechnung ab und hatte sich deshalb auch bei dem Dominialherrn in besonders hohe Gunst zu setzen verstanden. In der Gemeinde selbst wurde jedoch manche bittere Klage über die eiserne Rute des Amtmanns laut. Bald ließ er einem Bauern die Flinte abnehmen, weil der arme Schelm im Verdacht stand, herrschaftliches Wild auf seinem Felde zu schießen; bald verbot er, die Schafe auf dem Kirchhofe zu weiden, was seit der Urväter Zeiten noch keiner seiner Vorgänger untersagt hatte; bald schickte er armen Steuerpflichtigen Exekution ins Haus, weil sie gegen die vermehrte Steuer protestiert und erklärt hatten, sich lieber pfänden lassen zu wollen als über ihre Kräfte zu zahlen; und nicht selten ließ er Widerspenstige in der Gerichtsstube mit dem Stock quid juris Was Rechtens ist. lehren. Darum nannten ihn manche Gemeindemitglieder auch einen Dorftyrannen, und der Schulmeister sagte, der Amtmann regiere wie der Bürgermeister in Schilda, während andere die Gerechtigkeitsliebe und Unparteilichkeit des Dorfrichters lobten und es für ein Glück hielten, daß einer da war, der mit den Rebellen im Dorf kurz Federlesen machte.

Tatsache bleibt, daß der Amtmann zu Eilersrode in Geschäftssachen ein rechtlicher Mann war, der seinem Gutsherrn in allen Hauptdingen klaren Wein einschenkte, die Bauern, nach seinem eigenen Ausdruck, tüchtig »zusammenritt« und sich sehr ungern von Klägern und Bittstellern aus seiner Behäbigkeit innerhalb seiner vier Wände reißen ließ. Übrigens konnte es keinen unterhaltenderen und lustigeren Gesellschafter geben als ihn; weshalb er auch in der ganzen Nachbarschaft bei den Besitzern und Pächtern der umliegenden Güter sehr beliebt war und häufig zu Jagden, Festen und Schmausereien von ihnen eingeladen wurde.

Mit der Frömmigkeit des Amtmanns war es nicht weit her; zwar ging er des Anstands und seiner Familie halber von Zeit zu Zeit zur Kirche, aber im Grunde glaubte er weder an einen bestimmten Gott noch an den Teufel, hielt nichts von der Geistlichkeit und machte sich, wo ihm Gelegenheit dazu gegeben ward, über die Herren im schwarzen Rock weidlich lustig. Sehr dagegen liebte er den Wein und hielt sich stets im Keller einen guten Vorrat von trefflichen Sorten; in dieser Hinsicht war er, was man heutzutage einen Mäßigkeitsverneiner nennen könnte, und stand in der ganzen Gegend in dem wenig beneidenswerten Rufe eines Mannes, der viel vertragen könne. Die Frage, ob er ein treuer Ehemann, kann hier noch nicht beantwortet werden, weil erst im späteren Verlauf unserer Geschichte auch in diesem Punkte groß Bedenken erhoben werden muß, dem die Feinde des Amtmanns unbedingt Glauben schenkten. Ohne besonderen Scharfblick konnte man wenigstens in dem Umgange mit dem Dorfrichter bald und leicht erkennen, daß er kein Weiberfeind war und jungen, schönen und flinken Dirnen gern einen Dienst in seinem Hause verschaffte. Mit einem Wort, der Amtmann war ein Lebemann und in den meisten Dingen das lebendige Gegenteil des gelehrten Ortspastors, der von ihm manchen Übermutserguß erleiden mußte und ihm nicht mehr zugetan war als der Amtmann ihm.

Auch bei dem Prediger hatten sich neben vielen guten Eigenschaften einzelne Fehler eingestellt, die den biedern, deutschen und offnen Charakter des Mannes beschatteten. Er führte einen exemplarischen Lebenswandel und wich darin gar sehr von den meisten seiner Amtsbrüder ab, die zu sagen pflegen: Tut nach meinen Worten, aber nicht nach meinen Werken! Wie er sprach, so war er auch: ohne Falsch und Verstellung. Er war mäßig in allen Dingen, dem Guten ein treuer Freund, dem Unglücklichen ein Tröster, dem Lasterhaften ein Schrecken. Seine Gottesfurcht und Liebe zum Guten ließen ihn aber im Kampf gegen die Verirrten und das Böse oft den rechten Weg verfehlen. Er geriet leicht in Zorn gegen solche, die sich seiner Meinung nach am Christentum und der guten Sitte versündigten. Diese pflegte er sonntags tüchtig »abzukanzeln«, wenn er ihnen sonst nicht beikommen konnte; er stellte die Trunkenbolde, die Spieler und Liederlichen öffentlich in der Kirche zur Rede, nannte sie bei Namen und gab ihnen nicht selten vor der Gemeinde entehrende Scheltworte. So weit gingen seine Drohungen und sein Eifer gegen Gotteslästerer und Sünder, daß er zu verschiedenen Malen selbst den Amtmann von der Kanzel herab scharf geißelte und ihm mit den Schrecken der Ewigkeit drohte, im Falle er sich nicht bekehren und der verwildernden Gemeinde mit besserem Beispiele vorangehen würde. Obschon er es meistenteils dabei vermied, den Namen des Amtmanns auszusprechen, wußte doch immer ein jeder, auf wen der Pfarrer es gemünzt hatte, wenn er so auf den Sack schlug, und der gegenseitige Groll der beiden Hauptpersonen im Dorf war durch die verblümten Angriffe und Anzapfungen von der Kanzel herab nicht wenig genährt worden.

Wie für und wider den Amtmann, so hatten sich auch für und gegen den Pastor in der Gemeinde Parteien gebildet. Die einen liebten den Seelsorger seiner Tugenden und des bewährten Beistands wegen, den er ihnen in Tagen der Bedrängnis erwiesen hatte; die andern fürchteten und haßten ihn zugleich, weil er ihnen nicht nachsichtig genug war, sich um ihr häusliches Tun und Treiben bekümmerte, den Klagen ihrer Weiber oft Gehör schenkte und ihnen unbarmherzig das Gewissen schärfte. Sie hätten weit lieber einen Prediger gehabt, der Fünfe gerade sein lassen und im Kruge auch wohl mit ihnen aus einem Glase getrunken hätte, statt eines so strengen Sittenrichters einen nachsichtsvollen Mann.

Es war natürlich, daß die Freunde des Amtmanns gerade die Feinde des Pastors sein mußten, und umgekehrt; auch lag es in der Natur der Sache, daß die Partei des Pastors die schwächere und bescheidenere, die des Amtmanns aber die stärkere und unternehmendere war. Das Gute und Sittliche wird im Leben nimmer einen so großen Anhang finden als sein Gegenteil; nicht weil, nach der Meinung unsers strenggläubigen Pastors, der Mensch mit einem angebornen innern Trieb zum Bösen auf die Welt kommt, sondern weil das Gutsein und Guthandeln den meisten Menschen zu unbequem ist und ihnen nichts Großes einbringt.

Bis zum Tode des alten Bälgentreters standen der Amtmann und der Pastor sich wenigstens äußerlich voll Höflichkeit und freundlich einander gegenüber. Sie nannten sich, infolge einer gemeinschaftlich übernommenen Patenstelle, Gevatter und reichten sich die Hände, wenn sie sich sahen. Nicht selten trafen sie mit ihren Familien in Gesellschaften zusammen, und dann und wann im Jahre sah sich der Amtmann selbst genötigt, den Pastor mit zu seiner Tafel zu ziehen. Selten freilich ging es in solchen Fällen ohne gegenseitige Reibereien und Stichelreden ab. Ein mehr als hundertmal zwischen ihnen verhandeltes Kapitel war z. B. die Einteilung der Staatsbürger in Stände. Der Amtmann behauptete steif und fest, es gäbe in der Christenheit nicht drei, sondern nur zwei verschiedene Stände, den Wehr- und den Nährstand nämlich, zu welchem letzteren auch die Geistlichen gezählt werden müßten. Darüber geriet nun allemal, und je öfter, desto heftiger, der gute Pfarrer in Zorn und bot alle Gelehrsamkeit und Redekünste auf, um die Selbständigkeit und Bedeutung des Lehrstandes im Staate zu retten. Wenn er dann dabei recht in Eifer geraten war, lachte der Amtmann schadenfroh und ließ dem Pfarrer gern das letzte Wort, weil er seinen Zweck, ihn zu ärgern, erreicht hatte und sich überzeugte, daß er seine Behauptung ein andermal leicht wieder von vorn aufstellen und den Mann Gottes damit ebenso gewiß in Harnisch bringen könne wie gewisse Tiere mit einem roten Lappen.

Kaum hatte der Bälgentreter die Augen zugetan, als die äußerlich aufrechterhaltene Form zwischen den Gevattern auf eine harte Probe gestellt werden sollte, und die geheime gegenseitige Abneigung der beiden Parteiführer der Gemeinde in offne Fehde ausbrach.

Ehe noch der mehrerwähnte Verstorbene beerdigt war, ließ sich der Prediger eines Morgens bei dem Amtmann anmelden. Dieser horchte hoch auf, als ihm der Besuch seines Nachbars zu so ungewöhnlicher Stunde angesagt wurde. Die Förmlichkeit, welche der Prediger beobachtete, indem er nicht, wie er es in früheren Jahren wohl zu tun pflegte, unangemeldet eintrat, brachte den schlauen Amtmann sogleich auf die rechte Fährte. »Er will etwas von mir«, sprach er zu sich selber, »das ist gewiß. Ich werde ihn meine Autorität fühlen lassen.« Dabei setzte er sich in Amtspositur, tat einen starken Zug aus seiner silberbeschlagenen Meerschaumpfeife und erwartete den Kommenden, der mit einem »Schönen, guten Morgen, Herr Gevatter!« und einer kleinen Verbeugung eintrat.

Im Gruß des Geistlichen lag die ganze Würde und das Rechtsgefühl des Mannes. So kommt ein gutes Gewissen, ein Mensch, der die krummen Wege verachtet und der Form des geselligen Lebens nicht mehr einräumt als ihr gebührt. Der Pfarrer war ein Mann in seinen besten Jahren, ein Vierziger, schlank von Wuchs und rasch in seinen Bewegungen. Die mehr angenehmen als schönen Züge seines Gesichts erhielten durch ein großes blaues Auge, das offen und klar unter den starken Brauen hervorblickte, einen eigenen Reiz; das glattrasierte Kinn, die bartlosen Wangen und die schlicht und straff nach hinten gekämmten, zum zierlichen Zopf zusammengebundenen Haare gaben dem Kopf des Predigers etwas Jugendliches, Mutvolles; der schwarze, lange, engzugeknöpfte Schoßrock, die weißen Bäffchen, welche, eine Verlängerung des sorgsam gebundenen Halstuchs bildend, vorn herabhingen; die beschnallten Schuhe und bebänderten Kniehosen; der kleine dreieckige Hut – das alles stand ihm sehr wohl, und der lange, mit einem blanken Silberknopf versehene Stock, ein altes Erbstück vom Vater, wurde von seiner Rechten mit einer gewissen spanischen Würde getragen, die das Imposante seiner stattlichen Haltung noch erhöhte.

»Guten Morgen, Herr Gevatter!« erwiderte der Amtmann, minder gemessen und mit einer Art boshaft zutraulichen Freundlichkeit, ohne aufzustehn und ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. »Was verschafft mir das seltene Vergnügen Ihres Besuchs?« fuhr er fort, nachdem der Angekommene sich ihm gegenüber auf einem Stuhl mit hoher Lehne niedergelassen hatte.

»Der Herr Gevatter« – sagte der Prediger mit klarer Stimme – »haben ohne Zweifel vernommen, daß unser Bälgentreter gestern mit Tode abgegangen ist.«

Der Amtmann nickte mit lächelndem Gesicht, als wäre von einer Geburt und nicht von einem Sterbefall die Rede.

»Da müssen wir« – fuhr der Pfarrer fort – »nun wohl beizeiten darauf bedacht sein, den vakanten Platz mit einem tauglichen Subjekt wieder zu besetzen.«

Der Amtmann nahm die Backen voll Tabaksrauch, den er paffend vor sich hinblies, bevor er antwortete, und sagte dann trocken: »Gut, Herr Gevatter, ich werde Sorge tragen, daß ein taugliches Subjekt den vakanten Bälgentreterdienst erhalte.«

Bei diesen unerwarteten Worten stieg dem Geistlichen das Blut ins Gesicht. »Ich will hoffen« – sagte er –, »daß ich in dieser Angelegenheit Sitz und Stimme haben und daß der Herr Gevatter auf den von meiner Seite in Vorschlag zu bringenden Kandidaten gebührend Rücksicht nehmen werde.«

»Es tut mir leid« – erwiderte der Amtmann, dem scharfen Blick des Predigers halb ausweichend –, »daß sich der Herr Gevatter in eine Sache mischen will, deren Regulierung vom Kirchenpatron ausgehen muß. Ihro Gnaden, der Herr von Eilersrode, würden sich höchlichst wundern, wenn sie in Erfahrung brächten, daß sich der Herr Gevatter in diese von mir, als dem Stellvertreter des gnädigen Herrn, also von Amts wegen zu bewerkstelligende Wahl mengen wollen. Der Bälgentreter wird von uns ernannt werden, und ich hoffe, der Herr Gevatter wird sich mit meiner Versicherung, diese Angelegenheit sobald als möglich zu erledigen, zufrieden geben.«

»Ich bin nicht gekommen« – entgegnete der würdige Geistliche –, »um dem Herrn Gevatter die Anzeige von dem Ableben des alten Bälgentreters zu machen, sondern einer gemeinschaftlichen, die Wiederbesetzung des erledigten Postens betreffenden Beratung wegen. Meiner Rechte als Ortsprediger kann, darf und werde ich mich dabei nicht im geringsten begeben.«

»Und ich kann und darf und werde mir keine Eingriffe in meine eigenen Rechte gefallen lassen« – erwiderte der Amtmann, indem er aufs neue eine dichte Rauchwolke von sich blies. – »Ich werde mir erlauben, den Bälgentreter zu ernennen, ohne den Herrn Gevatter um Rat zu fragen.«

»So werde ich mich an meinen Superintendenten, und, im Fall es die Sache erfordern sollte, an das hohe Konsistorium wenden. Ich muß in honorem ministerii Zur Ehre des Amtes. zu behaupten wissen, daß kein Kirchenamt zu Eilersrode wider meinen Willen und ohne meinen Konsens vergeben werden kann.«

»Ein jeder fege doch vor seiner Tür, Herr Gevatter! Ich trage kein Gelüste, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen, habe ohnehin genug Amtslasten auf meinen Schultern; aber hier handelt es sich um eine Prinzipienfrage und diese muß ich, als Jurist, verstehn; werde sie Ihnen auch bald begreiflich machen.«

Der Prediger stand auf. Zorn und Verachtung glühten in seinem Gesicht. So gut er konnte, unterdrückte er die Äußerung seines innersten Gefühls, und mit erzwungener Mäßigung sprach er vor dem Fortgehen: »Ich will hoffen, daß der Herr Amtmann sich bedenken und die Sache zuvor noch erst beschlafen werden. Es sollte mir herzlich leid tun, wenn es dem Bösen wirklich gelänge, den Samen der Zwietracht zwischen uns auszustreuen.«

»Dem Herrn Pastor diene meine abgegebene kategorische Erklärung zur Antwort«, entgegnete der Amtmann trocken, ohne sich aus seiner bequemen Lage im Lehnsessel zu rühren. »Es gibt Leute, die beschlafen ihre Gedanken tausendundeine Nacht und haben deshalb doch noch nie vernünftig gehandelt; was mich betrifft, so bewache ich meine Gedanken, drum weiß ich auch, was ich zu tun habe.«

»Nun, so komme denn das Ärgernis auf den, der es lieblos und böswillig heraufbeschwört!« sagte der gekränkte Gevatter und verließ mit einer stummen Verbeugung das Gemach.

Der Amtmann rieb sich schadenfroh die Hände und weidete sich in Gedanken im voraus schon an dem Ärger, den er dem Prediger durch die Ernennung des neuen Bälgentreters zu verursachen dachte.

»Warte«, flüsterte er lächelnd vor sich hin und sah dem Geistlichen, der rasch über den langen Hof schritt, höhnisch nach –, »du kommst mir eben gelegen; jetzt will ich dir zeigen, wer in Eilersrode das Regiment führt, ein Amtmann oder ein Pfaff. Du sollst an mich denken!« Bei den letzten Worten ging der Dorfrichter im Zimmer auf und ab und murmelte noch mancherlei Reden in den Bart, bis die Morgenpfeife ausgeraucht war.

Nun war der Bruch vollständig, der lange zu Wasser gegangene Krug zerbrochen, der Krieg angekündigt. Aus einer Kleinigkeit wird leicht ein Riese, sobald die Leidenschaften der Menschen dabei mit ins Spiel geraten. Der Wahn des Menschen ist der Böse, der den Samen der Zwietracht ins Leben säet; einen andern gibt es nicht, vor einem andern brauchte der gottesfürchtige Prediger nicht zu warnen. Er trug ihn aber selber in sich und war ebenso blind als sein Gevatter. Beide bildeten sich ein, die Vertreter höherer Rechte sein zu müssen, die hier wahrlich nicht in Betracht zu kommen brauchten. Die Eitelkeit und Leidenschaft beider Männer verschmähte den kürzeren Weg des Friedens und zog es vor, im hitzigen Kampf um ein fernliegendes Prinzip die Sache selbst aus den Augen zu setzen.

Wieviel vernünftiger war der verstorbene Bälgentreter, der in seinem schlichten Mutterwitz die Menschen bloß für Windmacher ansah. Die gelehrten und vornehmen Herren könnten gar oft viel Gutes fürs Leben lernen, wollten sie bei dem praktischen gesunden Menschenverstand, der leider selten als Amt- und Würdenträger, sondern meistenteils im schlichten, unscheinbaren Gewande auftritt, in die Schule gehn.

Der Mutterwitz ward in Eilersrode zu Grabe getragen, und der Aberwitz pflanzte seine bunte Fahne auf den frischen Hügel.

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