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Status quo der Bälgentreterfrage. – Entschluß des Herrn von Eilersrode. – Neue Bewegungen der Parteien. – Thomas und Christoph werden handgemein. – Wie der Schuhflicker seinen alten Plan zur Ausführung brachte.

Der Bälgentreterdienst ward nach wie vor von dem Schuhflicker Thomas Kunze versehen. Der Herr von Eilersrode hatte ein Dutzend Briefe des Amtmanns und des Predigers, die von nichts anderm als von dieser Angelegenheit handelten, unerbrochen und ungelesen beiseite gelegt, sah sich aber am Ende gezwungen, sie der Reihe nach durchzulesen, um den ganzen Umfang des Krebsschadens, an dem seine Güter litten, genau kennenzulernen. Er fand in den Briefen der beiden feindlichen Gevatter Stoff zu mancherlei Bedenken und Verdruß. Die leidenschaftliche Sprache der beiden Gegner gefiel dem Gutsherrn und Kirchenpatron ganz und gar nicht mehr, wie oft er sich auch anfangs an der Katzbalgerei, die sich auf dem Papier ganz anders ausnahm wie in der Wirklichkeit, erlustigt hatte. Nach und nach regten sich bei ihm einige Zweifel an der strengen Redlichkeit des Amtmanns. Die Widerspenstigkeit des Pastors machte aber den Unwillen des gnädigen Herrn nicht minder rege. Trotz seines Befehls, dem Leineweber die Funktionen der vakanten Stelle zu übertragen, ließ der Pastor den Schuhflicker die Bälgen treten und die Glocken läuten; dabei fuhr er fort, von der Kanzel herab gegen den Amtmann zu Felde zu ziehn und mit dem Superintendenten und Konsistorium zu drohen.

»Nehmen Sie Ihr Interesse in dieser scheinbar geringfügigen Angelegenheit wahr«, sagte der Rechtsgelehrte, den Herr von Eilersrode mit dem Stand der Dinge auf seinen Gütern bekannt gemacht hatte. »Geben Sie nicht nach, denn hier handelt es sich um Leben oder Tod. Setzt der Pastor seinen Willen durch, so können Sie sicher sein, daß das von ihm gegebene Beispiel in der Gemeinde viele Nachahmer finden und zu viel größeren Verdrießlichkeiten für Sie Anlaß geben wird. Die Bauern sind ohnehin schon allzusehr geneigt, sich Dinge herauszunehmen, die ihnen nicht gestattet werden sollten. Sie machen sich Hoffnung auf eine gänzliche Ablösung von der Gutsherrschaft und zeigen sich, wo und wie sie können, für einen solchen Schritt schon viel reifer als unserm hohen Adel angenehm sein kann.«

»Mir bleibt am Ende nichts anderes übrig«, sagte der Herr von Eilersrode, »als dieser dummen Geschichte wegen selbst einmal auf meinem Gute zu erscheinen, um mich persönlich von der Wahrheit der verschiedenen von beiden Parteien vorgebrachten Beschuldigungen zu überzeugen. Ich muß mein Ansehn als Gutsherr und Kirchenpatron aufrechterhalten, Sie haben recht. Ich hätte aber nie im Leben geglaubt, daß ich eines Bälgentreters wegen je einen Schritt tun würde; nun bequeme ich mich sogar zu einer ganzen Reise.«

»Große Dinge haben fast immer einen kleinen Anfang, lieber Freund«, sagte der Jurist. »Denken Sie nur an die verschiedenen Casus belli Kriegsgründe. in der Weltgeschichte, und Sie werden finden, daß sie viel Analogie mit Ihrer Bälgentreterfehde haben.«

Der Herr von Eilersrode setzte sich endlich nieder, um dem Amtmann wie dem Pastor seinen Entschluß, nach Eilersrode zu kommen, mitzuteilen. Beide Schreiben wurden in einem sehr ungnädigen Ton abgefaßt. Dem Amtmann meldete der Schreiber kurz und bündig, daß ihm der Bälgentreterstreit höchst lästig und unangenehm zu werden anfange, ihm Grund zu mancherlei Verdrießlichkeiten gegeben und den Vorsatz in ihm erwirkt habe, auf seinen Gütern einmal in Person nachzusehen, ob auch in allen Dingen nach Rechten verfahren würde. Der Amtmann möge daher seiner, des gnädigen Herrn, Ankunft in den nächsten Wochen gewärtig sein und die nötigen Anstalten zu seinem Empfang treffen. Dem Prediger kündigte er ebenfalls seine bevorstehende Ankunft in Eilersrode an, gab ihm die Versicherung, daß, im Fall einer fortdauernden Widersetzlichkeit, Maßregeln gegen ihn ergriffen werden sollten, die er sehr beklagen werde, und ermahnte ihn noch einmal zur Nachgiebigkeit. Beide Briefe gingen an ein und demselben Posttage an ihren Bestimmungsort ab und verursachten den Empfängern nicht geringes Grübeln und Kopfzerbrechen. Sie fachten die glimmende Asche der Parteiwut wieder zu lichterlohen Flammen an und besserten den Zustand der Dinge um kein Haar. Der Amtmann geriet besonders heftig in Zorn über die Verleumdungen, die dem gnädigen Herrn auf seine Rechnung hinterbracht sein mußten. Er war gewohnt, immer nur artige und freundliche Briefe von seinem Gutsherrn zu empfangen und sah sich jetzt zum ersten Mal kalt und gebieterisch behandelt, ohne daß er Anlaß dazu gegeben zu haben glaubte; denn er bildete sich ein, in der ganzen Streitfrage nur im Interesse der Gutsherrschaft gehandelt zu haben.

Dem Schulmeister, der sich am Ankunftstage der Briefe in Eilersrode auf dem Amte einfand, teilte der Amtmann seinen Ärger über die boshaften Anschwärzungen mit, welche er, dem erhaltenen Briefe nach, gegen sich vorgebracht sehen mußte; er erzählte ihm, daß der Herr von Eilersrode bald selbst auf dem Amte erscheinen werde und daß alle Verleumder im Ort sich auf ein furchtbares Gericht gefaßt machen könnten. Zu gleicher Zeit suchte der Amtmann das früher begonnene Verzeichnis der Schmähungen, welche der Pastor von der Kanzel herab gegen ihn vorgebracht, wieder hervor und bereicherte es mit mehreren neueren ihm hinterbrachten Anzapfungen aus dem Munde seines Gegners. Er entwarf eine Klage wider den Pastor an das Konsistorium, mit welcher er sich vornahm, nach Erledigung der Bälgentreterfrage hervorzutreten. Im stillen wünschte er, der Prediger selbst möge es sein, der ihn bei dem gnädigen Herrn verunglimpft hatte, damit er einen neuen, wichtigen Klagepunkt gegen denselben anführen könnte.

Der Schulmeister begab sich, nachdem er das Amthaus verlassen, zum Pfarrer, von dem er ebenfalls erfuhr, was der Amtmann ihm, der Hauptsache nach, schon mitgeteilt hatte. Der Brief aus der Residenz hatte den Mann Gottes so sehr in Harnisch gesetzt, daß die Pastorin dem Leser abermals ein niederschlagend Pulver in Wasser reichen mußte. Nachdem der Schulmeister auf Befragen seines Vorgesetzten offen erklärt hatte, er würde, wenn er sich in des Herrn Pastors Stelle befände, auf keinen Fall nachgeben, sondern keinen Finger breit von seinem Rechte abstehen und selbst dem Kirchenpatron die Stirn bieten, ging er in den Krug, wo er einige Bauern beschäftigt fand, mit dem Wirt ihre Zeche zu machen. Er setzte sich mit einer schlau-wichtigen Miene zu ihnen und teilte ihnen die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft des Herrn von Eilersrode mit. Die Bauern spitzten das Ohr und schienen im ersten Augenblick nicht zu wissen, ob sie sich über diese Kunde freuen oder Sorge machen sollten. Der Schulmeister stellte ihnen aber vor, daß sie nun erst Ursach hätten zu triumphieren, denn jetzt werde ihnen Gelegenheit geboten, sich persönlich bei dem Gutsherrn über diejenigen Punkte zu beschweren, welche sie in der Verwaltung seiner Güter unter dem Amtmann mit Recht abgeschafft zu sehen verlangen könnten. Auch der Barbier war der Ansicht, daß der Gemeinde nichts erwünschter kommen könnte als ein Besuch des gnädigen Herrn. Er erinnerte die Bauern an den guten Rat, den er ihnen nach dem blutigen Kampf im Kruge gegeben, indem er sie abgehalten, schon damals mit ihrer Beschwerde hervorzutreten, und sprach ihnen Mut ein. »Jetzt«, rief der Bartscherer mit einer Art komischer Begeisterung, »jetzt könnt ihr zeigen, daß ihr keine alten Weiber, sondern Kerle seid, die Haare auf den Zähnen haben.«

Bald war die Kunde von der Aussicht auf die Ankunft des gnädigen Herrn im ganzen Dorf verbreitet. Der Schulmeister hatte zwar beim Amtmann sowohl wie beim Pastor das Versprechen geben müssen, nichts auszuplaudern; er konnte dies aber ohne Furcht tun, da er dem Amtmann die Nachricht gebracht, daß auch der Pastor ein Schreiben des Herrn von Eilersrode erhalten hätte und dasselbe vom Amtmann beim Pastor erzählt hatte, so daß der eine glauben mußte, das Geheimnis sei von dem andern ausgeplaudert.

Sehr verschieden war der Eindruck, den die erwähnte Kunde auf die beiden Kandidaten des Bälgentreteramts, auf den Leineweber und den Schuhflicker, hervorbrachte. Christoph Heisert freute sich ebenso sehr, als Thomas Kunze sich darüber grämte; jener hatte sich fest vorgenommen, den gnädigen Herrn inständigst zu bitten, ihn mit der ihm zugedachten Ehre ganz verschonen zu wollen, weil er sich durch die Konkurrenz, in welche er mit dem Schuhflicker getreten war, die Feindschaft sämtlicher Dorfleute zugezogen hatte und seines Lebens förmlich überdrüssig geworden war. Er hieß im Dorf nicht anders als der Neidhammel, der andern armen, ehrlichen Leuten das Brot vom Munde wegzuschnappen trachte; man wies mit Fingern auf ihn und seine Frau, für die man ebenfalls höchst ehrenrührige Spottnamen ausgedacht hatte. Seine alten Kunden im Dorf gaben ihm kein Garn zum Weben mehr, er mußte stundenweit auf den umliegenden Dörfern nach Arbeit umherlaufen. Sein armes Weib, dessen Gewissen wohl nicht ganz ohne einen leisen innern Druck sein mochte, wagte sich kaum zum Hause hinaus, weil sie sich vor den Natterzungen der bösen Dorfweiber fürchtete. Diesem Zustande, der einer kleinen Hölle glich, wollte Christoph dadurch ein Ende machen, daß er in Gegenwart des gnädigen Herrn freiwillig auf das ihm zugedachte Amt Verzicht leistete. Er hoffte, der Herr von Eilersrode werde seinen Wünschen Gehör schenken und ihn nicht mit den Gründen, mit welchen der Amtmann ihn zurückgewiesen, trotz seiner Abneigung dennoch zum Bälgentreter machen wollen. Die beiden Eheleute lebten in dem Gedanken an Befreiung aus dem lästigen Bann, in welchen die Gemeinde sie getan, ordentlich wieder auf.

Anders war es mit Thomas Kunze. Dieser hatte sich schon daran gewöhnt, sich als wohlbestallter Bälgentreter zu betrachten, weil er bereits seit geraumer Zeit die Funktionen desselben versah. Die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft des Herrn von Eilersrode und der Zusatz, derselbe komme zur Schlichtung der Streitigkeit zwischen dem Pastor, seinem Beschützer, und dem Amtmann, seinem Feinde, rührte ihn wie der Schlag. Er glaubte, nun sei es um ihn geschehen, er werde mit Schimpf und Schande den Dienst niederlegen und sich dem Hohn und Spott seines bösen Weibes und seines Rivalen, des Leinewebers, in Ruhe gefallen lassen müssen. Der Pastor selbst schien im ersten Augenblick allen Mut und die Hoffnung verloren zu haben, Thomas ferner schützen zu können und dem Rate der Pastorin, dem gnädigen Herrn zu weichen, folgen zu wollen. Die Frau Pastorin war nämlich anderen Sinnes geworden. Sie hätte zwar den Schuhflicker in seinen höchsten Wünschen gern unterstützt, allein andere, wichtigere Rücksichten ließen sie wünschen, dem Gegner lieber nachzugeben. Es ward ihr allzu lästig, alle die verschiedenen Nachteile, die aus der Spannung mit dem Amtmann teils schon hervorgegangen waren, teils ihr noch erwachsen konnten, zu ertragen. Sie erinnerte ihren Gatten an das Wohlwollen, dessen sie sich von Seiten des Herrn von Eilersrode von jeher in so hohem Grade hatten zu erfreuen gehabt, wieviel Gutes sie durch ihn genossen, wie oft er ihnen Geschenke gemacht und wie willig er sich bei dem Gesuch um Verleihung des Stipendiums für ihren ältesten Sohn erwiesen hätte. Sie bat ihn, bedenken zu wollen, wohin bereits sein Zerwürfnis mit dem Amtmann geführt, und daß die Folgen einer Spannung mit dem Herrn von Eilersrode von noch viel größerem Umfange sein müßten. Auch den Gesundheitszustand ihres Gatten zog sie in Erwägung. Der Pastor hatte zu keiner Zeit so viele niederschlagende Pulver einnehmen müssen wie jetzt; er wollte aber die Bemerkung gemacht haben, daß ihre besänftigende Wirkung auf seine Blutswallungen sich weit weniger geltend machte als früher, daß sie seinen Magen angriffen und die Verdauung schwächten.

»Der Bälgentreter wird noch der Nagel zu deinem Sarge, liebes Kind« – sagte die Pastorin –, »du ärgerst dich dabei zuviel und reibst dich innerlich auf. Gewiß würde der gnädige Herr es dir besonders Dank wissen, wenn du dich bei seinem Hiersein gegen ihn ebenso nachgiebig erwiesest wie bisher unerschütterlich gegen den Amtmann. Er wird dich für deine Willfährigkeit entschädigen; glaube mir, es würde unser Schade nicht sein. Auch würdest du dann eher wieder zu Kräften kommen, liebes Kind.«

Der Pastor überlegte hin und her und sagte endlich: »Nein, ich habe keine Furcht vor Menschen, noch nehme ich kleinliche Rücksichten auf Gewinn oder Verlust in dieser leider so bedeutend gewordenen Angelegenheit. Herr von Eilersrode gilt in meinen Augen nicht mehr und nicht weniger als jeder andre Mensch, von dem ich mein Recht beobachtet zu sehen verlangen kann. Die Kreatur des Amtmanns soll nun und nimmer der Kirche eine Dienstleistung tun; ein solcher Bösewicht darf mit meiner Bewilligung nicht angestellt werden. Ich gebe daher nicht nach, sondern werde selbst dem Herrn von Eilersrode, und ihm besonders gegenüber, denn er ist der Patron der Kirche, meine Rechte als Vertreter der Kirchenwürde zu behaupten verstehn. Ich habe nicht bloß das Recht, jedes in meinen Augen zum Kirchendienst untaugliche, von andern gewählte Subjekt zu verwerfen, sondern sogar die Pflicht, dies zu tun, und das werde ich auch tun, so lange, bis man mir den rechten Mann in Vorschlag bringt.«

Bei diesen Worten wischte sich die Pastorin die Tränen aus den Augen, weil sie sah, daß ihr Gatte ihrem Rate kein Gehör schenkte und weil sie fürchtete, er werde in dem Streit am Ende doch den kürzeren ziehn. Das Ausbleiben von Geschenken für Küch und Keller ward von der Hausfrau tief empfunden, und mit Schrecken dachte sie an die Möglichkeit, durch den Verlust ihres kränkelnden Mannes in den Witwenstand versetzt zu werden.

Thomas merkte wohl, daß der Wind für seine Glückssegel sich gedreht hatte. Die Pastorin versicherte ihm zwar, daß er, was auch geschehen möge, nicht zu kurz kommen, daß er ihre Kundschaft nicht verlieren und eine Stütze am Pfarrhause stets behalten solle, solange sie lebe; aber sie hütete sich, vom Bälgentreterdienst zu sprechen und ließ ihn an dem Tage, an welchem des gnädigen Herrn ungnädiger Brief eingetroffen war, betrübt auf der Diele stehn. Traurig schlich der Schuhflicker vom Pfarrhofe. Ein tückischer Zufall führte ihm den Leineweber entgegen, der, mit einem Bündel Garn wohlgemut aus der Nachbarschaft heimkehrend, an dem Schuster vorüberging, der ihm einen so grimmigen »guten Tag« bot, daß dem Leineweber der Dank auf der Lippe stockte. Darüber geriet der Schuster in Wut; er kehrte sich um und rief: »Haltet Ihr Euch für zu gut, eines ehrlichen Menschen ›guten Tag‹ mit einem ›schönen Dank‹ zu erwidern?«

»Das eben nicht, Meister« – antwortete der Angeredete, sich halb umwendend –, »aber Ihr sähet so sauertöpfig drein, daß ich vergaß, Euch zu danken.«

»Tragt nur die Nase nicht zu hoch«, sagte er Schuhflicker, »Ihr habt noch lange kein gewonnen Spiel. Wenn ich nicht so wie Ihr mit dem ganzen Gesicht lache, so hat das seine guten Gründe: Ich habe keine Frau geheiratet wie Ihr, die bei dem da, auf dem Amte, einen so großen Stein im Brett hat.«

Als der Schuster dies gesprochen, legte der Leineweber sein Garn in den Rasen, trat dem zurückweichenden Sprecher näher und fragte, was er mit seinen letzten Worten sagen wolle. Thomas machte Miene, ohne Antwort davonzugehen und wandte dem Leineweber mit einem höhnischen Lächeln den Rücken. Christoph ließ ihn aber nicht davon. Er faßte ihn beim Kragen, und da der Schuhflicker um sich schlug und sich von den Händen seines Angreifers loszumachen suchte, umklammerte dieser ihn mit beiden Armen und zwang ihn zu einer ernsten Gegenwehr, bei welcher der Beleidiger den kürzeren ziehen sollte.

Christoph war ein breitschulteriger, stämmiger Mann, und obgleich Thomas eine derbere Faust führte, kam diese der seinen doch an Muskelkraft nicht gleich. Dennoch setzte sich der Schuster hart zur Wehr, schlug mit Händen und Füßen um sich, suchte sogar seinem Angreifer mit den Zähnen beizukommen, mußte aber endlich der Übermacht desselben unterliegen. Nachdem sich beide Kämpfer mehrere Minuten lang keuchend hin und her gerungen, hob der Leineweber den Schuhflicker mit einem kräftigen Ruck vom Boden auf und stürzte mit ihm zur Erde, die von dem schweren Fall dumpf aufdröhnte. Sogleich erhob der Schuster ein furchtbares Geschrei, das mehrere Zuschauer auf den Kampfplatz herbeizog. Christoph ließ sich dadurch nicht abhalten, den Besiegten die Kraft seiner Arme fühlen zu lassen; er wälzte Thomas, der auf die Seite gefallen war, vollends auf den Bauch, stemmte ihm ein Knie in den Nacken und hielt ihm mit einer Hand die Lenden fest, während seine andere einen am Rande des Wegs liegenden kurzen Knotenzweig ergriff und zu dem Geheul des Schuhflickers mit kräftigen Schlägen auf das Sitzfleisch des Wimmernden den Takt schlug. Thomas schäumte mit dem Munde vor Wut und Schmerzen, entging aber seinem Peiniger nicht eher, als bis diesem der dürre Zweig in der Hand zerbrochen und sein Arm vom Schlagen müde war.

»Ich will dich lehren« – sagte der Leineweber aufstehend – »dein böses Maul halten, du pechschwarzer Riemenschneider du!«

Thomas blieb ruhig liegen, als er das Knie seines Siegers nicht mehr im Nacken fühlte. Wie ein Käfer, der die Beine unter die Flügeldecken zieht, wenn ihn die Hand des Knaben vom Zweige nimmt, und tut, als wäre er tot, so lag der Schuhflicker zusammengekauert am Boden und regte sich nicht. Einige Dorfjungen standen um ihn herum, halb erschrocken, halb vergnügt über den tragikomischen Kampf der Männer.

»Er hat ihn totgeschlagen« – sprach einer der Burschen.

»Ei was tot!« rief ein anderer und wagte es keck, dem Schuster einen kleinen Tritt mit dem Fuße zu geben. Plötzlich raffte dieser sich auf; die Jungen stoben kreischend auseinander und lachten und riefen dem Enteilenden den Spott und Hohn über seine schimpfliche Niederlage nach. Thomas schlich eilig davon; da er einige Blutspuren an sich bemerkte, trat er an den Rand des durch das Dorf fließenden Bachs und wusch sich das Gesicht und die Hände von den roten Zeichen seines schimpflichen Rückzugs rein; dann ging er beschämt nach Hause und setzte sich still an die Arbeit. Sein Weib ließ ihm aber nicht lange Ruh.

»Nun wird es sich ja wohl bald zeigen, ob sie dich wollen oder nicht«, sagte sie –, »ich hoffe, du wirst den Mund zu rechter Zeit auftun. Der gnädige Herr kommt, nun können wir sehen, ob er wirklich nicht soviel zu sagen hat als der Pastor. Ich kann es mir immer noch nicht denken, daß du den Dienst behalten wirst. Wenn du ihn aber nicht kriegst, das sage ich dir, so magst du zusehen, wo du unsere Gans wieder hernimmst, die sich der Superintendent hat gut schmecken lassen.«

Thomas antwortete keine Silbe, aber in seiner Seele arbeiteten die Gedanken heftig durcheinander. Sein Weib hatte einen früher gefaßten unglückseligen Plan lebhaft wieder in ihm aufgeregt; jetzt war es Zeit, seinen Vorsatz, den Amtmann zu bestehlen, in Ausführung zu bringen; jetzt konnte das Wohlwollen des Superintendenten nicht teuer genug erkauft werden. Die Schläge, welche er eben vom Leineweber erhalten, erinnerten ihn an die, welche der Amtmann ihm früher hatte geben lassen; für jene und diese wollte er sich rächen, noch in dieser Nacht rächen. Er dachte sich schon lebhaft in das Vergnügen hinein, das er empfinden würde, wenn er erst heimlich ins Fäustchen lachen dürfte. Wenn er bis jetzt in seinem Vorhaben geschwankt hatte, so war's, weil ihm, je länger er dem Bälgentreteramt vorstand, desto größere Hoffnung auf die Dauer seines Besitzes gemacht wurde. Jetzt, wo alles auf dem Spiel stand, schien es ihm natürlich, daß auch alles gewagt werden müßte. Gegen Abend ging er noch einmal zum Pastor, von dem er erfuhr, daß seine Angelegenheit nicht mit erkaltetem Eifer betrieben werden sollte. Der Prediger erzählte ihm, daß er am nächsten Tage abermals zum Superintendenten in die Stadt gehen und sich neue Verhaltungsbefehle holen wolle; er gab Thomas den Rat, sich ebenfalls bereitzuhalten, in den nächsten Tagen wieder vor dem hochwürdigen Herrn zu erscheinen, um ihm seine Sache ans Herz zu legen. Das hatte der Schuster ohnehin beschlossen; er erklärte sich daher sogleich bereit, in die Stadt zu wandern, sobald der Herr Pastor zuvor seinen eigenen Besuch würde abgestattet haben.

Die Pastorin hatte große Lust, diesmal die Reise mitzumachen ; da ihr Gatte glaubte, sie könne ihm in seiner Angelegenheit von einigem Nutzen werden, so bestärkte er sie in ihrem Entschluß und bat sie, einige Geschenke an die Frau Superintendentin bereitzuhalten. Thomas wurde beauftragt, noch an demselben Abend die alte Landkutsche zu schmieren und im Dorf die Pferde zu bestellen, welche am nächsten Tage das Gattenpaar vom Lande in die Stadt bringen sollten.

Als der Schuhflicker nach Hause ging, war es schon ziemlich spät geworden; Frau und Kinder hatten sich bereits zu Bette gelegt, und alles schien seinem Vorhaben günstig zu sein. Um seinen Mut zu demselben anzufeuern, tat er einen tüchtigen Zug aus der in einem Winkel der Stube versteckten großen Branntweinflasche und füllte sich danach aus ihr eine kleinere, die er in seine Tasche steckte und mit auf den Weg nahm.

Draußen war's stockfinstre Nacht; die Lichter im Dorf erloschen eins nach dem andern. Auch auf dem Amte war nur ein Zimmer im obern Stock matt erhellt: Aurorens Krankenzimmer. Herbstliche Nebel hüllten die ganze Gegend ein, und nicht weiter als auf wenige Schritte konnte man den Weg vor sich schimmern sehen. Der Schuhflicker kannte Stock und Stein in und um ganz Eilersrode wie seine Tasche. Der Gänsestall, dem er einen nächtlichen Besuch abzustatten beschlossen hatte, lag einige hundert Schritte von dem Hauptgebäude entfernt, hart an einer hölzernen Planke, von der der Amtgarten innerhalb des Gehöfts eingehegt war. Um dahin zu gelangen, mußte zunächst die äußere Gartenmauer erklommen werden. Das war bald geschehn; an einer alten Weide, die neben einem hervorspringenden Eckstein der Mauer stand, kletterte Thomas in die Höhe, erstieg die Mauer und prüfte horchend, ob sich vor und hinter ihm nicht etwas Verdächtiges regte; dann ließ er sich innerhalb des Gartens von der Höhe niedergleiten. Wie eine Katze schlich er durch die Blumen- und Gemüsefelder und erreichte bald die hölzerne Planke, hinter welcher das Ziel seiner nächtlichen Streiferei lag. Nachdem er sich aufs neue überzeugt hatte, daß rund um ihn her alles im tiefen Schlaf liege und er keinen Überfall zu befürchten habe, schwang er sich auch über die regenfeuchte Planke und stand nun vor der Pforte des Gänsestalls, die nur mit einem hölzernen Knebel verschlossen war, den er bloß aus der eisernen Klammer zu ziehen brauchte, um in das Innere des Stalls zu gelangen.

Der nächtliche kalte Nebel und das böse Gewissen machten dem Diebe die Zähne in seinem Munde klappern und die Knie an ihm schlottern; um sich die Gänsehaut zu vertreiben, zog er seine Flasche hervor und setzte sie nicht eher von den Lippen wieder ab, als bis er ihren Inhalt bis auf den letzten Tropfen zu sich genommen hatte. Dann öffnete er, die leere Flasche wieder verbergend, leise die Tür, schlich gebückt in den Stall und packte mit ausgebreiteten Armen im Nu eine Bewohnerin des warmen Häuschens, der er in der größten Geschwindigkeit den Hals umdrehte. Kaum hatten die wachsamen Tiere den feindlichen Räuber in ihrer Nähe verspürt, als sie ein schreiendes Geschnatter erhoben, als gelte es, ein Kapitol zu retten Nach römischer Überlieferung haben 386 v. Chr. während einer Belagerung des Kapitols in Rom durch die Gallier die heiligen Gänse der Göttin Juno durch ihr Geschrei die schlafenden Römer noch rechtzeitig vor einem überraschenden Überfall der Angreifer gewarnt. und wild durcheinander flatterten. Dabei geriet eine andere schwere, fette Gans dem Schuhflicker zwischen die Beine und in seine Würgerhände. Auch diesem Opfer seines Planes wurde in aller Hast ein kurzer Prozeß gemacht. Darauf warf Thomas beide Leichen über die Planke und kletterte behende wieder in den Garten zurück, den er im Fluge durcheilte. Auch die Mauer ward schneller als beim Kommen von dem Diebe übersprungen; ohne Unfall und wohlbehalten erreichte er seine Wohnung.

In seiner Furcht vor den nacheilenden Rächern brachte der Raubmörder beide Gänse seiner schlafenden Frau ins Bett. Diese wurde dadurch, der Himmel weiß aus welchem Traum gestört, und fuhr schreiend und sich vor den feuchten Mitschläfern fürchtend, in die Höhe, ließ sich aber von ihrem Manne mit wenig Worten über die Herkunft derselben beruhigen. Als die Gänse unter den Federn des Bettes warm zu werden anfingen, kehrte Leben in sie zurück. Die Frau sprang entsetzt aus den Kissen und leistete ihrem Manne bei dem Gemetzel, das er darauf mit den armen Geschöpfen anstellte, hilfreiche Hand.

Nachdem die Gänse zum zweiten und letzten Mal gemordet und wohlverborgen waren, krochen Mann und Frau zu Bett und unterhielten sich flüsternd noch lange über den kühnen Raub.

»Die eine ist für uns« – sagte der Schuhflicker –, »die andre für den Superintendenten.«

»Also für den« – sagte die Schusterfrau und wandte sich unwirsch auf ihre andere Seite –, »für den trägst du deine Haut zu Markt!«

Thomas beruhigte seine Frau durch das Versprechen, sich hinfort öfter an des Amtmanns Geflügel machen zu wollen, bat sie, nur ja still und vorsichtig zu sein, und siegte über den Anflug nächtlicher übler Laune seines Weibes, das nun zur Hehlerin seines Verbrechens geworden war.

Die Gatten bestimmten, wann die gestohlene Gans gegessen und wie ihre Leidensschwester in die Stadt geschafft werden sollte, ohne die Aufmerksamkeit der Einwohner des Dorfs rege zu machen. Der Schuhflicker hatte seit einigen Tagen ein Paar große Wasserstiefel zum Versohlen in Arbeit; in einen von diesen Stiefeln sollte die für den ehrwürdigen Herrn in der Stadt bestimmte Gans verborgen und, an einem durch die Stulpenriemen gesteckten Stock über die Schulter hängend, transportiert werden. Die andere Gans wollten sie auf dem Boden rupfen und bei verschlossener Tür braten und verzehren.

Thomas hatte, trotz des günstigen Erfolgs seines verbrecherischen Unternehmens, eine furchtbare Angst ausgestanden und hoch und teuer geschworen, niemals auf ein zweites auszugehen. Als die ganze Gänsegesellschaft im Stall des Amtmanns zu schnattern und zu schreien anfing, war's ihm, als riefen tausend Stimmen ihn bei Namen. Schrecklich tönte in seinem Ohre noch lange der gewaltige Lärm fort, der sich mit dem Gebell der Hunde vermischte, das kurz nachdem der Dieb die Planke im Rücken hatte, anschlug. Er zitterte unter der schweren, heißen Bettdecke vor Angst und Aufregung wie ein Espenlaub und ließ sich erst beruhigen, als seine Frau ihm ihre zärtliche Teilnahme in ungewohnt hohem Grade bewies und ihm das Versprechen abnahm, in Zukunft öfter für Weib und Kind zu sorgen und von Zeit zu Zeit einen guten Bissen auf den kargbesetzten Tisch des Hauses bringen zu wollen.

Der Pastor und die Pastorin saßen am andern Morgen zeitig in der Landkutsche und fuhren zur Stadt. Sie ließen, nachdem sie hier angelangt waren, den Herrn und die Frau Superintendentin gehorsamst fragen, ob es ihnen erlaubt sei, ihre Aufwartung zu machen. Der Superintendent ließ dem Pastor melden, daß er zwar außerordentlich beschäftigt sei, aber ihm doch einige Augenblicke schenken wolle. Die Pastorin wurde von der Frau Superintendentin empfangen. Der Pastor fand seinen Vorgesetzten bei sehr übler Laune; der letztere erklärte ihm, daß er für den Augenblick so sehr mit wichtigen Arbeiten überhäuft sei, daß er sich mit der Angelegenheit des Herrn Konfrater nicht befassen könne; übrigens aber dessen Verfahren in der in Frage stehenden Angelegenheit gänzlich billige. Er gab ihm deutlich zu verstehn, daß er gern der Gesellschaft seines Gastes überhoben wäre und hielt ihn, da derselbe sich sogleich wieder zum Gehen anschickte, nicht zurück.

Der Empfang, welcher der Frau Pastorin zuteil wurde, war minder kalt und unfreundlich. Die Frau Superintendentin war durch die Geschenke an Käse und schöner Topfbutter, mit welchen die gute Pfarrfrau sie überraschte, sehr gerührt und hatte auch die Klagen und Beschwerden, welche die Pastorin gegen den Amtmann und dessen Familie vorbrachte, geduldig und mit sichtlicher Teilnahme angehört und selbst versprochen, ihren Mann mit allen kleinen Ränken und boshaften Streichen des Dorfrichters gegen den Pastor und dessen Familie in Kenntnis zu setzen.

Den Pastor verdroß gleichwohl das Benehmen seines Vorgesetzten; er ärgerte sich über die ihm bewiesene Gleichgültigkeit des Superintendenten so sehr, daß er den Weg nach Eilersrode, trotz der Bemühungen seiner Gattin, ihn zu erheitern, still und in sich gekehrt zurücklegte und halbkrank im Pfarrhause anlangte. Da er über heftige Kopfschmerzen klagte, mußte er sich auf Bitten seiner Frau sogleich zu Bette legen.

Thomas erfuhr von seiner Gönnerin, daß sich die Frau Superintendentin nach ihm erkundigt und den Wunsch ausgesprochen habe, er möge seine Hoffnungen bald mit gutem Erfolg gekrönt sehen. Am nächsten Tage machte sich daher der Schuhflicker auf die Beine, nahm eine der gestohlnen Gänse, steckte sie in einen der großen Wasserstiefel, nahm diesen an einem derben Knotenstock über die Schulter und begab sich in die Stadt, wo er diesmal den Amtmann nicht zu Gesicht bekam und für sein Geschenk noch besser traktiert wurde als das erste Mal. Die Frau Superintendentin trug dem Schuhflicker auf, er möge ihren Mann wegen der kurzen Abfertigung, welche dem Pastor am Tage vorher zuteil geworden wäre, bei dem letztern entschuldigen. Zu gleicher Zeit ließ sie die Frau Pastorin fragen, ob es nicht möglich sei, für Geld und gute Worte noch mehr von der schönen Topfbutter erhalten zu können. Auch die Vorzüglichkeit der erhaltenen kleinen Käse rühmte sie gegen Thomas und setzte hinzu: ihr Mann sei ein großer Liebhaber von Käse.

Der Schuhflicker kehrte vergnügter als der Pastor nach Eilersrode zurück, wo sich die Kunde von dem Gänseraube verbreitet hatte und hundert Zungen schadenfroh erzählten, wie zornig der Amtmann über den frechen Diebstahl sei. Die Bauern rieten hin und her, wer wohl die Gänse möge gestohlen haben; der Amtmann aber traf ernstliche Anstalten zur Verhinderung eines neuen Verlustes und zur Ermittelung des Diebes.

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