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Was sich der Amtmann und der Pastor gegenseitig für Schikane zufügen. – Wessen Partei die Eilersroder Bauern ergreifen, und wie sie sich die Köpfe blutig schlagen.

Die Liebe sei erfinderisch, sagt man, aber viel erfinderischer ist der Haß. Wäre er's nicht, um wieviel glücklicher müßten die Menschen in dieser Welt sein! Die Liebe kann im Leben nie soviel aufbauen als der Haß niederreißt. Auch in Eilersrode sollte sich diese Wahrheit im Kleinen und Größeren bewähren. Der Amtmann und der Pastor taten sich allen erdenklichen Tort an. Am ersten Sonntage nach dem zwischen ihnen eingetretenen Bruch hielt der Pastor eine Predigt über den Zorn Gottes wider alle Feinde der Kirche. Er wies in seiner Rede nach, wie notwendig es sei, daß die weltlichen Behörden alles tun müßten, um der Kirche Ansehn und Macht aufrechtzuerhalten, wie sie selbst ohne die Würde der Kirche zugrunde gehen müßten, und berief sich auf des Propheten Jesaias Worte im 34sten Kapitel, wo gesagt wird: »daß die Herren der Völker heißen müssen Herren ohne Land, und alle ihre Fürsten ein Ende haben«, wenn sie sich gegen die Kirche versündigten. Ein Priesterfeind – fügte der Redner hinzu – sei aller Laster Freund, und eine Gemeinde, in welcher sich ein solcher befinde, müsse alles aufbieten, um sich vor seinem Gift zu hüten; es gäbe aber viele räudige Schafe unter der Herde Christi, und in Eilersrode brauche man leider auch nicht lange zu suchen, um ein solches zu finden.

Die Kirche war voller Menschen, denn die Bauern hatten schon gehört, daß der Pastor und der Amtmann sich überworfen hätten und wußten im voraus, daß sie am Sonntag etwas über diesen Friedensbruch von der Kanzel herab hören würden. Als nun der Prediger so heftig zu wüten anfing und gegen alle gottlosen Richter und Amtleute zu Felde zog, da richteten sich aller Blicke nach dem herrschaftlichen Stuhl, dem Chor gegenüber. Da saß die Frau Amtmännin ganz allein mit niedergeschlagenen Augen und zurückgelehnt auf der grüngepolsterten Bank, daß man sie kaum sehen konnte. Manche steckten die Köpfe zusammen und flüsterten sich den Namen des Amtmanns zu. Die ganze Versammlung war sehr andächtig; alle, die kein gutes Gewissen hatten, was man mit Gewißheit von dem größern Teil der Gemeinde sagen konnte, freuten sich innerlich, daß von ihnen heute keine Rede war, sondern daß alle Drohungen und Schmähungen des Kanzelredners sich handgreiflich auf den Amtmann bezogen. Niemand hatte Mitleid mit der armen Dulderin im herrschaftlichen Stuhl, die die Worte des Pfarrers natürlich auch zu deuten verstand. Sie war über die wenig verblümten Ausfälle gegen ihren Mann tief verletzt; um Trost und Erhebung im Gebete und in der Predigt zu finden, war sie in die Kirche gekommen, um ihr Herz vor Gott auszuschütten und seinen Beistand für sich und die Ihren zu erflehen; aber ihre Gedanken waren keiner Erhebung fähig, ihre Seele wurde nur noch bekümmerter. Die Worte des Geistlichen schnitten ihr durchs Herz, sie glaubte eher einen Gotteslästerer als einen Priester göttlichen Worts vor sich zu sehen. Scham und Empörung trieben dem sanften Weibe das Blut in die Wangen, als sie die triumphierenden Blicke der Pastorin auf sich gerichtet sah und beim Fortgehen aus der Kirche bemerkte, daß die Bauern sich alle auf dem Kirchhofe zusammengeschart hatten und dem Pastor die Hände schüttelten.

Der Amtmann war wohlweislich daheim geblieben. »Die Herren auf der Kanzel« – sagte er – »haben gut reden, kein Mensch tut den Mund auf, um sie zu unterbrechen, wenn sie da oben, von heiligen Engeln und hölzernen Prophetenbildern umgeben, auf die Bibel schlagen und Zeter schreien. Sie sind so daran gewöhnt, das Wort allein zu führen, daß sie sich einbilden, sie hätten überhaupt und überall recht und ihre Zuhörer davon überzeugt, weil ihnen in der Kirche niemand antwortet.« Er dachte sich's wohl, daß der Prediger gerade den ersten Sonntag benutzen würde, um recht tüchtig gegen ihn zu Felde zu ziehn, und freute sich sogar darauf, denn er wollte in seiner Beschwerde, welche er gegen den Prediger aufzusetzen dachte, besonders darauf Gewicht legen, daß derselbe ihn, den Amtmann, in den Augen der Gemeinde durch Schmähungen und verblümte Sticheleien herabzusetzen und die Gemüter gegen ihn aufzustacheln trachte. Deshalb hatte er dem Schulmeister sowohl wie dem Leineweber den Auftrag gegeben, genau auf die Ausfälle zu achten, welche in der Predigt gegen ihn vorgebracht werden möchten, und ihm den Inhalt derselben zu berichten.

Christoph Heisert ging auch sogleich nach der Predigt aufs Amt und stattete über dieselbe einen umständlichen Bericht ab, den der Amtmann dem Hauptinhalte nach in das Register der gegen ihn begangenen Sünden seines Gevatters eintrug. Der Schulmeister, der seines Kirchendienstes wegen erst später erscheinen konnte, stellte sich abends in der Dunkelheit ein und ergänzte die Mitteilungen des Leinewebers durch seinen eigenen Bericht, der in manchen Punkten ausführlicher war. Der aufwiegelnde Ton, welchen der Amtmann in der Predigt verspürte, kam ihm sehr gelegen; er setzte sich noch an demselben Abend nieder, um seine Beschwerde über den Pastor an den Herrn von Eilersrode zu beenden, damit sie am nächsten Tage an den gnädigen Herrn abgeschickt werden könnte. Was den Amtmann besonders aufbrachte, war, daß der Pastor den Thomas Kunze eigenmächtig am Sonntag die Bälgen hatte treten und die Betglocke ziehen lassen. Er schrieb einen höflichen Brief an den Prediger, in welchem er selbst gegen eine interimistische Anstellung des Schuhflickers zum Bälgentreter als gegen ein die Rechte Sr. Gnaden, des Herrn von Eilersrode, beeinträchtigendes Präjudiz Vorentscheidung. feierlichst und förmlichst protestierte und verlangte, daß dem Christoph Heisert die Funktionen des Bälgentreters bis zum ergangenen Entscheid des Gutsherrn und obersten Kirchenpatrons überwiesen werden sollten. Der Pastor antwortete sogleich in einem ebenso höflichen Schreiben, daß er dem Christoph die Kirchenschlüssel nicht ausliefern, sondern bis zur Entscheidung der Sache durch den Superintendenten und das hohe Konsistorium den Thomas als Bälgentreter und Läuter werde fungieren lassen.

Solange der Pastor und der Amtmann miteinander auf freundschaftlichem Fuße standen, hatte sich der erstere vom Amte aus mancher Annehmlichkeit zu erfreuen und sich manche Freiheiten erlauben dürfen, zu denen ihm im Grunde die Befugnis mangelte. Die Amtmännin hatte manchen Rehziemer und manchen Hasen, auch Kapaunen, Würste und Obst in die Pfarrküche geschickt; denn sie wußte, daß der Pfarrer nur ein geringes Einkommen und wegen seiner zahlreichen Familie viel Sorgen hatte. Die Frau Pastorin sah nun wohl ein, daß ihre Küche und ihr Keller unter der obwaltenden Feindschaft am meisten leiden würden und konnte es nicht über sich gewinnen, die deshalb in ihr rege gewordenen Skrupel und Besorgnisse zu verschweigen; als sie aber ihrem Manne ihre Bedenklichkeiten mitteilte, erwiderte dieser, daß man nicht kleinlich auf materielle Nachteile sehen dürfe, wo es sich um wichtigere Dinge, um Recht oder Unrecht handle, und daß er sich schämen würde, jetzt irgendeine Gefälligkeit, geschweige denn eine Wohltat von dem Amtmann anzunehmen, wie schmerzlich es auch immer sein möge, der gewohnten Stütze entbehren zu müssen.

Einige Tage nach der letzten erwähnten Predigt ließ der Amtmann die Gänse des Predigers, welche auf herrschaftlichem Grund und Boden weidend angetroffen wurden, pfänden; der Besitzer mußte für jede Gans eine bestimmte kleine Summe Geldes entrichten, was zu der Frau Pastorin nicht geringem Ärger auch sogleich geschah. Da es gerade Zeit war, dem Pastor seine Tonne Bier, welche er regelmäßig aus der herrschaftlichen Brauerei bekam, zu liefern, befahl der Amtmann, ganz frisches, leichtes Bier einzufüllen, worüber sich die Frau Pastorin abermals sehr ärgerte. Ihr Mann stellte ihr aufs neue vor, wie töricht es sein würde, sich merken zu lassen, daß des Amtmanns Bosheiten wirklich ihren Zweck erreichten und wieviel verständiger und edler es wäre, wenn man zeigte, daß man sich durch solche kleinlichen Ränke und niederen Eingebungen der Rache und des Hasses nicht aus der Ruhe bringen ließe. Als aber am nächsten Tage abermals ein Brief von dem Amtmann einlief, in welchem derselbe dem Pfarrer ankündigte, daß der Religionsunterricht, der seinen Kindern bisher im Pfarrhause erteilt worden, ein Ende nehmen, und Aurora nicht in Eilersrode von dem Herrn Gevatter, sondern in der Stadt von dem Prediger an der Hauptkirche eingesegnet und zum Abendmahl geführt werden sollte – da übermannte auch den Pastor selbst der Schmerz der Reue und Bekümmernis. Es tat ihm in der Seele weh, daß die Kinder, die er liebte und zu deren Bildung und Seelenheil er glauben durfte, nach Kräften beigetragen zu haben, unter dem Zerwürfnis zwischen ihren Eltern leiden sollten. Besonders schmerzlich war ihm das Entziehen der ältesten Tochter des Amtmannes; er hatte Aurora sehr lieb und widmete ihrer Vorbereitung zur Konfirmation eine vorzügliche Sorgfalt. Nun sah er sein Werk zernichtet, noch ehe es vollendet war, seine Hoffnungen zerstört. Empfindlicher hätte sich der Amtmann in der Tat nicht an ihm rächen können; als der Pastor die Stelle las, in welcher ihm kurz und trocken angekündigt wurde, daß Aurora sein Haus nicht wieder betreten werde, wurde der gekränkte Mann leichenblaß und schien bei dem Gedanken, Aurora zu verlieren, den ganzen übrigen Inhalt des Schreibens zu vergessen. Der Amtmann hatte auch Geld mitgeschickt und bedankte sich außerdem schriftlich im Namen seiner Kinder für den bisher genossenen Unterricht.

Die Pastorin geriet von dieser Zeit an in Feuer und Flammen, wenn von den Amtsleuten gesprochen wurde; sie verbot ihren Kindern, mit ihren Kameraden auf dem Amtshofe zu spielen oder zu sprechen, grüßte weder den Amtmann noch die Amtmännin noch sonst ein Mitglied der Familie und wußte vor Ärger und Verdruß nicht genug Schmähworte auf dieselben vorzubringen. Da sie bei ihrem Manne für die letzteren kein offenes Ohr fand, so klatschte sie stundenlang mit ihrer Magd, mit der sie plötzlich viel vertrauter geworden war, und mit Thomas Kunze, dem sie jeden Tag aufs neue die Versicherung gab, er solle und werde Bälgentreter werden.

Am erwähnten Sonntage nach der Kirche versammelten sich alle Bauern von Eilersrode im Kruge. Die, welche um den Streit zwischen dem Amtmann und dem Pastor wußten, erzählten Grund und Hergang desselben denen, die in die Sache noch nicht völlig eingeweiht waren. Eine Menge kleiner Gruppen von Erzählenden und Horchenden bildeten sich vor der Tür, im Garten, auf der Kegelbahn und in der Schenkstube. Die einen unterhielten sich über die Predigt des Pfarrers, riefen sich seine eigenen Worte ins Gedächtnis zurück, äußerten ihre Schadenfreude über die Strafpredigt, die der Amtmann erhalten, oder bedauerten, daß er sie nicht mit eigenen Ohren angehört hatte; andere gingen näher in die Ortsverhältnisse ein und suchten den Hader zwischen ihrer geistlichen und weltlichen Behörde aus tieferliegenden Gründen zu erklären. Nachdem sich diese verschiedenen Gruppen einander mehr und mehr genähert und einige derselben sich untereinander verschmolzen hatten, machte der Dorfbarbier den Vorschlag, die ganze Gesellschaft möge sich in die große Gaststube begeben, um gemeinschaftlich zu beraten, ob man nicht die Gelegenheit benutzen könne, manche Übelstände in der Gemeinde zur Sprache zu bringen, und welche Partei man in dem Kampf zwischen Amtmann und Pastor ergreifen wolle. Dieser Vorschlag fand ungeteilten Beifall und wurde sogleich zur Ausführung gebracht.

Alle Bauern begaben sich in die große Schenkstube, die bald so sehr mit Menschen angefüllt war, daß die Schenkdirnen Mühe hatten, die nach Rum, Branntwein und Bier schreienden Gäste zu befriedigen. Alle Bänke waren besetzt, einige setzten sich auf die Tische, während ein Teil der Versammlung, in der Mitte des Zimmers, der Verhandlung stehend beiwohnen mußte.

Die Predigt des Pastors hatte offenbar auf alle Gemüter einen für den Amtmann höchst nachteiligen Eindruck gemacht. Was man auch gegen den Prediger zu sagen haben mochte; wie lästig auch die Stolgebühren Pfarramtsnebengebühren. und Gefälle waren, die ihm jahrein jahraus entrichtet werden mußten; wie oft sich auch die Gemeinde über des Geistlichen Einmischung in das Privatleben der einzelnen und über seinen harten Tadel und das öffentliche Abkanzeln beschwert hatte; gegen die Fuchtel und das Joch des Amtmanns verschwanden alle seine Fehler. »Wir bleiben am Ende doch, was wir sind, und tun doch, was wir wollen«, sprachen die einen. »Wir sind nicht mehr als der Amtmann, der's noch viel stärker gekriegt hat als unsereins«, meinten die andern. »Mag er uns immerhin zuweilen die Leviten lesen, es kann nicht schaden, dafür ist er Pastor«, sagte ein dritter, »das ist eine schlechte Gemeinde, die nicht einmal von ihrem Prediger tüchtig abgekanzelt wird.«

Der Amtmann zog in dieser Verhandlung den kürzeren. Jeder wußte etwas wider ihn vorzubringen. Einige äußerten den Wunsch, die Gemeinde möge eine Beschwerdeschrift über den Dorfrichter bei dem Herrn von Eilersrode einreichen, damit dem gnädigen Herrn einmal gehörig die Augen geöffnet würden. Diesem Vorschlage widerriet aber der Barbier, der bei dieser ganzen Beratung eine bedeutende Rolle spielte, und nie zu fehlen pflegte, wenn im Kruge gekannengießert wurde. Man solle – sagte der Bartkünstler – so lange warten, bis der Herr von Eilersrode, an den sich wahrscheinlich der Amtmann und der Pastor wenden würden, seinen Entschluß in betreff der Bälgentreterwahl bekanntgemacht haben würde. Dieser Rat fand Beifall, und man beschloß vor allem, die Bestimmung des Herrn von Eilersrode abzuwarten.

Der Tabaksrauch, den während dieser Verhandlung so viele Pfeifenköpfe und so viele Mäuler ausströmten, ward so dicht, daß man von einem Ende des Tisches aus den Sprecher am andern Ende desselben kaum mehr erkennen konnte; Bier und Branntwein halfen, die umnebelten Köpfe noch mehr zu erhitzen als die heftigen Reden. Die Zungen lösten sich mehr und mehr; man schimpfte auf den Amtmann, und als einem der Bauern einfiel, daß der Leineweber Christoph Heisert, der sich auch eingefunden und während der ganzen Debatte wie auf Kohlen gesessen hatte, von dem verhaßten Dorfrichter zum Bälgentreter ausersehen sein sollte, wies er mit den Fingern auf denselben hin und warf ihm vor, die Versammlung ausspionieren zu wollen, um seinem Gönner berichten zu können, was die Bauern über ihn gesprochen hätten. Darüber geriet die Menge der halbbetrunkenen Gäste in die äußerste Aufregung; ein unheimliches Gemurmel machte für einen Augenblick dem lauten Toben und Durcheinanderschreien Platz, bis einer der Sprecher sich erhob und unter dem Beifallsgelächter der Anwesenden den Leineweber fragte: ob es wahr sei, was man über ein früheres zärtliches Verhältnis zwischen dem Amtmann und des Webers Frau im Dorfe erzähle? Kaum hatte der Redner zur Bezeichnung dieses Verhältnisses ein sehr verhaßtes Wort über die Lippen gebracht, als Christoph Heisert seine kurze Tonpfeife aus dem Munde nahm und sie dem Beleidiger an den Kopf warf. Im Nu stürzte dieser gegen ihn heran und warf, da er ihn nicht erreichen konnte, sein Branntweinglas nach dem Leineweber, der sich geschickt bückte und dadurch Veranlassung gab, daß das kräftig geschleuderte Glas einem seiner Nachbarn an den Kopf flog. Nun geriet die ganze Masse in die wildeste Bewegung; der Leineweber war unter den Tisch gekrochen und paßte einen günstigen Moment ab, um mit aller Kraftanstrengung seiner Ellbogen dem Gewirr der drängenden Bauern zu entschlüpfen, die Tür zu erreichen und sich, rasch wie der Wind, aus dem Staube zu machen, während ein Teil der Zecher handgemein geworden war und Krüge und Gläser hin und her flogen. Die Schenkstube glich in diesem Augenblick der großen Kajüte eines von den Wogen des empörten Meeres furchtbar geschaukelten Schiffes: Tisch und Bänke wankten und stürzten um, die Stehenden wurden zu Boden geworfen, die Liegenden zertreten. Hundert Fäuste wehrten von sich ab oder schlugen wütend um sich, ohne zu sehen, ob auf Freund oder Feind. Dabei brüllten die Kehlen der Kämpfer wild durcheinander; hie und da ächzten und stöhnten Verwundete, und manche Köpfe trugen blutige Spuren des tollen Lärms und Gefechts an sich.

Vor der Tür und auf der großen Diele standen eine Menge Weiber und Kinder, die den großen Tumult noch vermehrten, die einen nach ihren Männern, die andern nach ihren Vätern schreiend.

Als die erste Wut des Streites vorüber und die Stube durch das Entweichen der Verwundeten und Minderbeherzten etwas gelichtet war, kehrte den Tobenden die Besinnung wieder; der Freund erkannte den Freund, und aller Augen suchten den Leineweber, der indes sein Heil in der Flucht gefunden und glücklich den Amtshof wieder erreicht hatte, wo er wartete, bis der Herr Amtmann, der gerade bei Tische saß, abgespeist haben und ihn rufen lassen würde.

Bei einigen der abgekühlten Bauern stellte sich während einer ruhigeren Überlegung die Furcht ein, sie möchten ein wenig zu laut und unvorsichtig gegen den Amtmann gesprochen haben; sie beschlossen daher, sich künftig lieber neutral zu verhalten. Dadurch wurde die Mehrheit, welche sich anfangs zugunsten des Pastors ausgesprochen hatte, zwar bedeutend geschwächt, die öffentliche Meinung neigte sich aber doch immer noch mehr nach seiner als nach des Amtmanns Seite. Ein paar Haupträdelsführer blieben in der Schenke sitzen, wo die Scherben und Trümmer des Stubengefechtes aufgesammelt und Tisch und Bänke wieder an ihre Stelle gebracht wurden, während der Wirt die Kreide zur Hand nahm und die Zahl der zerbrochenen Krüge und Gläser schweigend an die innere Seite des Schenkschrankes notierte.

»Laß sie dir vom Bälgentreter bezahlen«, rief einer der zurückgebliebenen Gäste, lachend auf die Scherben deutend, dem Wirt zu.

»Da«, sagte ein anderer, indem er mit übermütiger Gebärde ein hart Stück Geld klingend auf den eichenen Tisch fallen ließ. »Soviel wende ich an den Spaß.«

»Ich bin noch mit heiler Haut davongekommen«, sprach ein dritter, sich an die Lende fassend. »Es war, als ob Korn gedroschen werde. Soviel Schläge hat es lange nicht gesetzt.«

»Auch soviel Striche nicht«, murmelte der Wirt schmunzelnd in den Bart, und fuhr fort, Namen und Zahlen ans Wandbrett zu schreiben. Daß er sich dabei nicht streng an die Wahrheit halten konnte, lag an der Sache selbst, denn er konnte wohl die zinnernen Deckel zu seinen zerschlagenen Bierkrügen und die schweren Füße der Branntweinsgläser zählen, aber doch nicht wissen, von wem sie zerbrochen waren. Er kannte indes seine Leute aus mancher ähnlichen Szene, in welcher ihm eine schärfere Beobachtung möglich gewesen war als in dem eben beendeten Strauß, und wußte jeden nach seiner mehr oder minder heftigen Gemütsart ziemlich genau zu schätzen.

Die Nachzügler überlegten noch einmal das Vorgefallene, erwogen die Gründe für und wider den Amtmann und den Pastor und faßten endlich den Beschluß, zum Sturz des ersteren, soviel in ihren Kräften stehe, beizutragen und sich in den nächsten Tagen zum Pfarrer zu begeben, um, gewissermaßen als bevollmächtigte Abgesandte der ganzen Gemeinde, ihm ihr Leidwesen über die vom Amtmann erlittene Kränkung an den Tag zu legen und ihm das Versprechen zu geben, daß sie, soviel von ihnen abhänge, zum Siege seiner guten Sache beitragen würden.

Wer sich über den Krawall im Kruge am meisten freute, das war der Dorfschulmeister. Als er abends vom Amte kam und aus dem Munde des Amtmanns den Bericht des Leinewebers vernommen hatte, lachte er wie ein Erzschalk in sich hinein und rieb sich vergnügt die Hände. Er sah, zu seinem großen Behagen, daß die Bälgentreterfrage sich zu verwickeln anfange; Verwickelungen aber waren recht eigentlich sein Element. Er fühlte, daß er einer Zeit entgegenschreite, in welcher er viel im Trüben werde fischen können.

Die Bälgentreterkandidaten hatten jetzt schon den Hintergrund auf der Bühne eingenommen; der Amtmann und der Pastor, die ganze Gemeinde stand im Vordergrund und der Schulmeister mitten im Getreibe ohne alle Gefahr. Wie ein Fuchs, der von der Witterung heimkehrt, schlich er zurück und überlegte, wodurch er sich am nächsten Tage dem Pfarrer verbinden könnte.

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