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14

Des Herrn von Eilersrode Ankunft auf dem Amte; wie er den Pastor empfängt und welchen Ärger dieser über den Superintendenten und die ganze Bälgentreterfrage hat.

An einem schönen Frühlingstage rollte ein vierspänniger schöner Kutschwagen durch den Torweg auf den Amtshof. Alle in der Nähe beschäftigten Knechte sprangen herbei, um die Pferde ausspannen zu helfen; der Amtmann, der in der größten Eile sein Zimmer verlassen, trat an den wappenbemalten Wagenschlag, bückte sich sehr ehrerbietig tief zur Erde und geleitete den aussteigenden gnädigen Herrn in die für denselben seit mehreren Monaten bereitstehenden Zimmer des geräumigen Amthauses, das auch Schloß genannt wurde, solange der Besitzer desselben darin weilte.

Der gnädige Herr war gegen den Amtmann sehr kalt und wortkarg, machte sich's in seinem Zimmer bequem und ließ sich durch einen seiner Bedienten für den ersten Tag jeden Besuch verbitten. Niedergeschlagenen Muts beklagte sich der Amtmann bei seiner Frau über die ungewohnte Behandlung, welche er von dem Gutsherrn erfahren mußte. Seine Gemahlin tröstete ihn und schob die Kälte des gnädigen Herrn auf die Strapazen der gemachten Reise. Um den hohen Gast von den letztern zu stärken und zu erquicken, bereitete die Amtmännin ein sehr wohlschmeckendes Mittagsessen und suchte alles, was in der Eile vorzügliches aufzutreiben war, anzuschaffen und selber zuzubereiten. Der Herr von Eilersrode ließ ihr dafür seinen höflichen Gruß melden und sagen, er hoffe, bald das Vergnügen zu haben, sie bei sich zu sehen.

Im Dorfe machte das langersehnte und doch unverhoffte plötzliche Erscheinen des Gutsherrn großes Aufsehn. Überall sah man die Bauern die Köpfe zusammenstecken und lebhaft miteinander sprechen. Manche Dorfbewohner kannten den Herrn von Eilersrode kaum, denn derselbe war in seinem ganzen Leben nicht mehr als ein dutzendmal auf dem Gute gewesen, und seit seinem letzten Besuch war schon manches Jahr verflossen. Der Kutscher und die Bedienten des gnädigen Herrn schienen wenig Lust zu haben, sich mit den Knechten auf dem Amte und den Bauern im Kruge gemein zu machen. Sie hatten auf verschiedene an sie gerichtete Fragen und Einladungen sehr kurze, trockene und abschlägige Antworten gegeben und sprachen sogar hochdeutsch, was als ein untrüglicher Beweis ihres Hochmuts angesehen ward. Nach dem Anschein zu schließen, sollte die Ankunft des gnädigen Herrn wenig Freude im Dorf verbreiten; jeder hatte sich bei dem Besuch des Gutsherrn irgend etwas Angenehmes gedacht, jeder auf die Erfüllung irgendeines besonderen Wunsches gerechnet. Der Barbier hatte sich einen neuen Rock machen lassen und ein neues Messer gekauft, in der Hoffnung, der gnädige Herr werde ihm die Ehre antun, sich von seinen Händen rasieren zu lassen; woran dieser, beiläufig gesagt, sehr unweise getan haben würde, da der politische Barbier erstens ungemein neugierig und fragelästig war und zweitens niemand ohne Löschpapier rasieren konnte, d. h. ohne ein Dutzend kleiner Papierläppchen, die der Bartkünstler mit seinem Speichel zu benetzen und auf die Wunden zu kleben pflegte, welche sein Messer auf den ihm preisgegebenen Wangen riß. Der Herr von Eilersrode hatte seinen Kammerdiener mitgebracht, der bei ihm die Stelle eines Barbiers und Friseurs zugleich versah. Auch der Krüger hatte sich geirrt, indem er auf fleißigen Zuspruch der herrschaftlichen Bedienten in seiner Schenke zählte; er sah den betreßten Leuten sogleich an, daß sie seinen Krug für viel zu gering achten würden, um einen Schritt über dessen Schwelle zu setzen.

Auch am folgenden Tage ließ der Herr von Eilersrode sich nur auf Augenblicke hören und sehen. Er befahl, sein Reitpferd zu satteln und machte, nicht in Begleitung des Amtmanns, sondern eines seiner Bedienten, einen langen Ritt durch seine Besitzungen. Nachdem er wieder zurückgekehrt war, speiste er abermals allein und ließ sich dann von seinem Kammerdiener die angelangten Zeitungen vorlesen. Mit den Angelegenheiten der Eilersroder Gemeinde schien er sich erst später befassen zu wollen. Die Besorgnisse des Amtmanns steigerten sich bei dieser ihm persönlich bewiesenen Gleichgültigkeit und Geringschätzung von Stund zu Stunde; er machte gegen seine Frau kein Hehl aus den trüben Aussichten, mit welchen ihn das Benehmen des gnädigen Herrn erfüllte.

»Es müssen ihm sehr schlimme Dinge über mich hinterbracht sein« – sagte der Amtmann –, »daß er mich so ganz links liegenlassen kann.«

»Er kann dir in Amts- und Geschäftssachen keine Vorwürfe machen« – erwiderte die Amtmännin –, »du hast ein gutes Gewissen, treu und redlich seine eigenen Interessen wahrgenommen und deine Bücher und Register in Ordnung; im übrigen bist du dem gnädigen Herrn keine Rechenschaft schuldig und darfst dich getrost beruhigen.«

Die Amtmännin bot ihrem Gatten an, dem Herrn von Eilersrode eine Visite abzustatten und ihn offen zu fragen, ob er etwas und was er gegen ihren Mann auf dem Herzen habe. Mit diesem Vorschlage war der Amtmann sehr zufrieden und wartete am andern Tage mit Schmerzen auf die Rückkehr seiner Frau aus den Zimmern des gnädigen Herrn. Dieser ging der guten Frau bei ihrem Eintritt bei ihm sehr freundlich entgegen, bat sie, sich zu ihm aufs Sofa zu setzen und erkundigte sich sehr teilnehmend nach ihrem und ihrer Kinder Befinden sowie nach manchen kleineren Familienangelegenheiten, auf die vornehme Leute nur dann Rücksicht zu nehmen pflegen, wenn sie, wie der Herr von Eilersrode, ein menschenfreundliches Gemüt besitzen.

»Ich will Ihnen nicht verhehlen, liebe Frau Amtmännin« – sagte der gnädige Herr, als jene ihm die Frage nach dem vorgelegt hatte, womit ihr Gatte seine Gunst verscherzt haben möge –, »daß mich die Streitigkeiten verdrossen haben, in welche Ihr Mann sich mit dem Pastor eingelassen hat. Ich liebe Ruhe und Frieden auf meinen Gütern wie in meinem eigenen Hause und kann es am allerwenigsten gutheißen, zwei Männer von Bildung eines Gegenstandes wegen sich überwerfen zu sehen, der nicht wert ist, daß man viel Worte über ihn verliert. Beide haben schuld, und ich fühle mich durch beide beleidigt. Zu der Redlichkeit Ihres Mannes habe ich noch dasselbe Vertrauen, dessen er sich stets würdig gezeigt hat. Mich von ihr vollkommen zu überzeugen, ist meine Pflicht und dies ein Grund, weshalb ich mich auf meinen Gütern hier eine Zeitlang aufhalten will. Ihr Mann hat sich übrigens keine unnötigen Sorgen zu machen; ich werde strenges Gericht halten und seine Verleumder hart bestrafen, wenn sich, woran ich nicht zweifle, seine eigene Unschuld klar erwiesen haben wird.«

Dem Amtmann fiel es wie ein schwerer Stein vom Herzen, als er erfuhr, daß er wirklich verleumdet worden war und daß man seine Diensttreue in den Augen des gnädigen Herrn verdächtigt hatte; er freute sich auch, daß seiner Gattin bei dem gnädigen Herrn ein so freundlicher Empfang zuteil geworden war. Er durfte nun darauf dringen, die boshaften Verleumder kennenzulernen, welche ihn um ein Zutrauen zu bringen getrachtet hatten, das ihm von jeher heilig gewesen war, das er nicht verscherzt zu haben glaubte; bis dahin durfte er sich aber beruhigen. Am nächsten Tage sagte der Herr von Eilersrode zu dem Amtmann, daß er bald Gerichtstag halten und die Gemeindemitglieder selbst vernehmen wollte, daß er die Rechnungsbücher nachsehen werde und im voraus überzeugt sei, alles in der besten Ordnung zu finden. Der Amtmann konnte den Tag nicht erwarten, an welchem er seinen Anschwärzer kennenlernen und seine Unschuld dartun sollte. Der gnädige Herr beeilte sich indes nicht, sondern gab eines Abends Befehl, nicht die Bauern für den nächsten Tag zu zitieren, sondern den Reisewagen in Bereitschaft zu setzen, um in die Stadt und auf einige umliegende Edelhöfe zu fahren und einige Tage mit dem Besuch verschiedener Freunde und Bekannten zuzubringen. Der Amtmann begleitete ihn an den Wagen und war froh, als ihm der gnädige Herr die Hand zum Abschiede reichte und bald wiederzukommen versprach.

Im Pfarrhause gab die Nachricht von der endlich erfolgten Ankunft des Herrn von Eilersrode zu manchen neuen Besorgnissen und Hoffnungen zugleich Anlaß. Die letzteren schwanden, als ein Tag nach dem andern verstrich, ohne daß der Pastor von dem Kirchenpatron aufs Schloß geladen oder daß ihm überhaupt dessen Ankunft gemeldet wurde. Wenn der Herr von Eilersrode früher auf seine Güter kam, schickte er stets einen seiner Bedienten ins Pfarrhaus, um dem Pastor seinen Gruß zu vermelden und ihn einladen zu lassen, zu ihm zu kommen; er hatte sich sogar von Zeit zu Zeit selber eingefunden und sich gegen die ganze Familie des Predigers stets überaus liebenswürdig erwiesen. Diesmal ließ sich keine Seele vom Amte sehen, kein Gruß wurde ihm überbracht, keine Einladung erging an ihn. Der Pastor überlegte daher mit seiner Frau, was er tun, ob er aus freiem Antriebe dem gnädigen Herrn seine Aufwartung machen oder warten solle, bis es demselben belieben würde, sich gnädigst zu erinnern, daß ein Pastor in seinem Dorfe wohne! Die Frau ärgerte sich über die Hintansetzung, welche sie erdulden mußte, und ebensosehr über das Ausbleiben so manches schönen Bratens, den sie bei ähnlichen Gelegenheiten früher in die Küche bekommen hatte, und riet ihrem Gatten, er solle sich, unter solchen Umständen, vor dem adeligen Herrn, der ihm ja nichts zu sagen habe, nicht beugen, sondern warten, bis derselbe zu ihm schicken werde. Da sie indes nach Verlauf mehrerer Tage einsah, daß es vergeblich sein würde, auf eine Einladung zu warten, meinte sie, ihr Mann solle es doch lieber nicht aufs Äußerste treiben, sondern seine Aufwartung machen. Dieser aber fand, daß es jetzt zu spät sei, einen Schritt zu tun, der seinem Feinde Grund zu Spott und Hohn geben würde. Als der gnädige Herr zur Stadt fuhr und der Prediger anfing, sich über den seinem Kirchenpatron bewiesenen Eigensinn Vorwürfe zu machen, nahm er dessen Abwesenheit wahr und schickte aufs Amt, um den Herrn von Eilersrode um Entschuldigung bitten zu lassen, sich nach dessen hohem Befinden noch nicht erkundigt zu haben und anzufragen, ob der gnädige Herr ihn zu sprechen begehre? Die Antwort, welche er erhielt, kannte er im voraus; er glaubte aber nun, seine Pflicht gegen den Gutsherrn erfüllt zu haben und nahm sich vor, an einem der nächsten Tage zum Superintendenten in die Stadt zu gehen, demselben die Ankunft des Herrn von Eilersrode zu melden und um Rat und Verhaltungsbefehle zu bitten.

Durch den Schuhflicker war die Bälgentreterfrage nicht erledigt, denn es handelte sich jetzt noch immer darum, ob Christoph Heisert angestellt werden sollte oder nicht. Ehe der Pastor seinen Vorsatz, in die Stadt zu gehen, zur Ausführung brachte, kehrte der Herr von Eilersrode zurück und ließ den Prediger aufs Amt bescheiden. »Es ist doch gut« – sagte der letztere –, »daß ich nicht früher hingegangen bin; man sollte sich solchen hohen Herrschaften gegenüber nichts vergeben. Sie haben ohnehin vor dem geistlichen Stande wenig Respekt.«

Dem geistlichen Herrn dauerte die Zeit lang, während er Schuh und Schnallen anlegte, ein Paar feingestickte Bäffchen vortat und sich von seiner Frau beim Zubinden, Zuknöpfen und Zuschnallen seines Ornats hilfreiche Hand reichen ließ. Die Pastorin schärfte ihm dabei hundert Dinge ins Gedächtnis ein, die er nicht vergessen sollte zu seinen Gunsten anzuführen, wenn er sein Herz dem gnädigen Herrn ausschütten und ihm sagen würde, wie schlecht der Amtmann ihn behandelt habe. Das Herz schlug dem Pastor heftig, als er endlich von seiner Frau Abschied nahm und aufs Schloß eilte. Die Pastorin blickte ihm nicht ohne Stolz nach. »Er ist noch immer ein schöner Mann« – sagte sie –, »der schönste Mann in Eilersrode.« Und halb und halb hatte sie in diesem Punkte recht. Der Amtmann war beinahe um einen ganzen Kopf kleiner und durch seinen beträchtlicheren Leibesumfang viel unförmlicher als der schmächtige Landpfarrer, der sich mit einer Grazie zu bewegen verstand, die dem Dorfrichter fremd war.

Der Prediger überlegte im Gehen noch einmal alle Punkte, die er dem Herrn von Eilersrode vorzutragen dachte und sprach sich eine kurze Rede vor, mit welcher er den gnädigen Herrn begrüßen wollte. Er mußte, nachdem er sich hatte anmelden lassen, einige Minuten im Vorzimmer warten und konnte sich während dieser Augenblicke eines bangen, trüben Gefühls nicht erwehren, das ihn in der Erinnerung an bessere Zeiten beschlich. Freilich hatte er sich früher mit seinem Gevatter stets gezankt und sich besonders über des Amtmanns Theorie der Stände stets geärgert, allein, selbst in diesen Wortzänkereien lag dennoch auch eine geistige Anregung, und die Frau Amtmännin hatte sich immer um desto liebenswürdiger gezeigt, je weniger liebenswert ihr Gatte sich gemacht. Den Einfluß, welchen das nachgiebige, sanfte Gemüt der Amtmännin auf die Pastorin ausgeübt, vermißte der Prediger in allen Dingen vielleicht am meisten; seit der Feindschaft mit dem Amtmann war die Pfarrfrau viel bitterer, zänkischer und böszüngiger geworden.

Der Harrende würde noch lange an den Nachteilen gezählt haben, welche aus der Spannung mit dem Gevatter für ihn und die Seinigen erwachsen, hätte ihn nicht der eintretende Bediente ersucht, sich zu seinem Herrn zu verfügen, der ihn erwartete.

Der Herr von Eilersrode empfing den Prediger höflich aber kalt, lud ihn zum Sitzen ein und schien auf die Entschuldigung desselben wegen seines verspäteten, pflichtschuldigen Besuchs nicht zu achten.

»Lassen Sie uns sogleich von der Bälgentretergeschichte sprechen« – sagte der gnädige Herr –, »ich muß gestehn, daß ich nicht begriffen habe und noch nicht begreifen kann, wie Sie, Herr Pastor, als ein verständiger Mann, dessen Streben unter allen Umständen ein friedenstiftendes und wohlwollendes sein soll und muß, sich zu solchen leidenschaftlichen Kämpfen haben hinreißen lassen können, wie sie in dieser elenden Angelegenheit auf meinem Grund und Boden stattgefunden haben. Ich kann Ihnen mein Mißfallen darüber nicht verhehlen und hoffe, Sie werden meine Anwesenheit in Eilersrode nicht unbenutzt vorübergehen lassen, sondern wieder gutmachen, was Sie so schlimm gestaltet haben. Es bleibt bei meinem Willen: Der Leineweber Christoph Heisert, den der Amtmann zum Bälgentreter in Vorschlag gebracht hat, den ich als solchen bestätige, erhält den Dienst; was Sie und meinen Pächter betrifft, so wünsche ich Eilersrode mit dem Bewußtsein zu verlassen, daß Sie sich wieder versöhnt haben und wieder auf dem alten freundschaftlichen Fuß stehen werden wie früher. Die beklagenswerten Ereignisse, welche in der letzten Zeit in Eilersrode stattgefunden haben, das störrische, tobende Wesen meiner Bauern, die sittliche Versunkenheit, in welche mehrere derselben geraten sein sollen, der nächtliche Unfug, die unerhörten Spitzbübereien, endlich auch das unglückselige Ende eines Menschen, den Sie mit aller Gewalt zum Unterbeamten machen wollten und dadurch offenbar zu seinem Untergange beigetragen haben, das alles ist größtenteils, wenn nicht einzig und allein, aus dem Zank und Streit hervorgegangen, in welchen Sie sich mit dem Amtmann eingelassen haben.«

»Ew. Excellenz« – sagte der Pastor, sich zusammennehmend – »sehen die Lage der Dinge zwar mit sehr hellem Auge an, scheinen aber, wie ich mir untertänigst zu bemerken erlauben muß, zu vergessen, daß ich nicht aus eigenmächtigem Antrieb, sondern auf Geheiß und Befehl meines Vorgesetzten, des Herrn Superintendenten, gehandelt, und mich der Ernennung des Leinewebers aus moralischen Gründen habe widersetzen müssen.«

»Aber guter Freund« – rief der gnädige Herr ungeduldig –, »sehen Sie denn nicht ein, daß Sie mit Ihren moralischen Gründen die Unmoral heraufbeschworen haben? Ihr Herren Geistlichen seid eitle Leute und steht beständig auf dem Quivive! Auf der Hut sein. Ihr glaubt, euch viel zu vergeben, wenn ihr nachgeben sollt, und lehrt doch beständig, es sei besser Unrecht leiden als Unrecht tun. Angenommen, der von uns in Vorschlag gebrachte Kandidat sei wirklich kein ganz so moralisches Subjekt als Sie wünschen, so hatten Sie ja die beste Gelegenheit und selbst die Pflicht, ihn auf andere Wege zu bringen. Statt dessen setzen Sie einem Schuhflicker, der doch auch kein Tugendheld gewesen sein soll und sich, meiner Ansicht nach, von dem Verdachte, die auf dem Amte begangenen Diebstähle ausgeführt zu haben, keineswegs hinreichend gereinigt hat, in den Kopf, er solle und müsse Bälgentreter werden, stürzen den Menschen in Geisteszerrüttung und geben indirekt Anlaß zu einem Selbstmorde. Das sind die Folgen einer Halsstarrigkeit und kleinlichen Eigenliebe, wie ich sie Ihnen nicht zugetraut hätte.«

»Aber bedenken doch Ew. Gnaden« – seufzte der Pastor, sich den kalten Schweiß von der Stirn wischend –, »daß der Herr Amtmann an allem schuld ist; daß er es ist, der Ihnen die Zustände dieser Angelegenheit in einem ganz falschen Lichte schilderte, daß er aus diesem Zwerge einen Riesen gemacht hat. Ich erlaube mir, Ew. Excellenz hier ein Verzeichnis von all den Gehässigkeiten und Feindseligkeiten, die der Herr Amtmann seit zwei Jahren wider mich ausgeübt, vorzulegen sowie ein aus dem Munde der Bauern selbst gesammeltes zweites Verzeichnis aller der Beschwerden, welche die Gemeinde über den Stellvertreter ihres gnädigen Herrn führt. Das letztere wird meinen Gegner in den Augen Ew. Excellenz entwaffnen und das erstere beweisen, daß ich wohl recht hatte, mich gegen die Eingriffe solcher Hände in Kirchenangelegenheiten zu schützen.«

Der Herr von Eilersrode nahm die Papiere, welche der Pastor ihm mit zitternden Händen überreichte und sagte: »Das sind zwei verschiedene Sachen, die wir genau trennen und untersuchen wollen. Ich trage allerdings einige Bedenken gegen die konsequente Aufführung meines Amtmanns, will und kann ihn aber nicht vor seiner eigenen Verteidigung verurteilen. Die Beschwerde der Bauern werde ich in besondere Erwägung ziehn und die Bestätigung der Klagepunkte aus dem Munde der Kläger selbst entgegennehmen. Das hat aber mit der Bälgentretergeschichte nichts zu tun; diese fängt an, mich zu langweilen, und ich wiederhole Ihnen noch einmal, daß es bei der Wahl des Christoph Heisert sein Bewenden haben soll.«

»Ew. Excellenz setzen mich in die peinlichste Verlegenheit« – sagte der Pastor – »und verursachen meinem ergebenen Herzen großen Kummer, indem ich, trotz meines besten Willens, diese Differenz aus dem Weg zu räumen, doch in der vorgeschlagenen Weise die Hand dazu nicht reichen darf. Mein Superintendent würde mich zur strengsten Rechenschaft ziehen und mich mit Recht hart tadeln, wenn ich nach jahrelangem Kampf gegen diese Ernennung eines Menschen, dessen unmoralische Eigenschaften ihn zu jedem Kirchendienst untauglich machen, in dieselbe nun endlich dennoch willigen könnte.«

»Sie bestehen also auf Ihrem Kopf und verharren in Ihrer Widerspenstigkeit gegen mich?«

»Nicht gegen Ew. Excellenz, gewiß nicht, aber gegen ein von Ew. Gnaden verkanntes Subjekt, und dies aus zwiefachem Grunde: aus innerster eigner Überzeugung und infolge Befehls meines Vorgesetzten.«

»Ich sehe« – sagte der Herr von Eilersrode –, »es ist in Güte mit Ihnen nichts anzufangen; so mögen Sie sich denn die Früchte Ihrer Hartnäckigkeit selber zuschreiben. Ich werde Sie lehren, daß ich der Herr von Eilersrode bin. Nun wundert mich auch das Benehmen Ihres eigenen Sohnes gar nicht mehr; sein Trotzkopf ist dem Ihrigen ganz ähnlich. Auf Wiedersehn, Herr Pastor, Sie wollen nicht, daß ich sage, auf frohes Wiedersehn.«

Mit diesen Worten brach der ungnädige gnädige Herr auf, machte dem Pastor eine kleine Verbeugung, ging in ein Nebenzimmer und ließ den erschrockenen Mann allein im Zimmer stehn. Das Eintreten eines Bedienten riß den Pfarrer aus der Betäubung, in welche ihn der Unmut und die Drohung des Herrn von Eilersrode versetzt hatten. Mit glühendem Gesicht und zitternden Knien verließ er, eiliger als er gekommen, das Amthaus. Glücklicherweise traf er weder den Amtmann noch sonst ein Mitglied der Familie auf der Treppe und Diele des Hauses und langte, nur von einigen Dorfleuten gesehen und gegrüßt, wieder in seiner Wohnung an, aus deren Fenstern die Pastorin ihm sehnsüchtig entgegensah.

»Schlecht, sehr, sehr schlecht« – erwiderte der Pfarrer auf die Frage seiner Frau nach dem Stand der Dinge. »Dieser Edelmann, der sich früher von andern seinesgleichen stets durch Leutseligkeit und feine Manieren vorteilhaft unterschied, ist jetzt grob und herrschsüchtig geworden und verlangt von mir einen blinden Gehorsam. Er will meinen wohlerwogenen Gründen gegen seine Wahl kein Gehör schenken.«

»Offenbar hat die Amtmännin den gnädigen Herrn noch mehr gegen dich eingenommen« – sagte die Pastorin, indem sie ihrem Manne behilflich war, den Staatsanzug abzulegen und ihm dann ein niederschlagend Pulver eingab –, »ich weiß, daß sie dem Herrn von Eilersrode eine Visite abgestattet hat. Der Schulmeister hat erzählt, daß der gnädige Herr sehr liebenswürdig gegen sie gewesen ist und sich ganz lange allein mit ihr unterhalten hat.

»Der Amtmann wird seinen Lohn bald empfangen; der gnädige Herr wird große Augen machen, wenn er mein Protokoll, aus dem ich ihm früher nur Andeutungen mitgeteilt habe, jetzt vom Anfang bis zum Ende durchliest. Er muß einsehn, daß der Amtmann ein Betrüger ist, der die Bauern schindet und sein Sündengeld in die Tasche steckt. Wir werden die längste Zeit diesen Bock zum Gärtner gehabt haben.«

In dieser Art trösteten sich die Gatten eine Weile über den Verlust der Gunst des gnädigen Herrn mit der Hoffnung auf den Sturz und Untergang ihres Feindes. Bald aber mischten sich wieder die Berechnungen der Pastorin über die Nachteile, die ihrer Küche und ihrem Keller aus den Streitigkeiten erwachsen waren, in die Unterhaltung und ließen nur zu deutlich den Wunsch durchblicken, das Vergangene ungeschehen machen zu können. Neid und Mißgunst ließen aber die Frau diesen Wunsch nie ganz über die Lippen bringen, und ein Gefühl des Rechts und der gekränkten Ehre hinderten den Pastor ebenfalls, ihn auszusprechen. Nach dem gepflogenen Gespräch mit dem Kirchenpatron sah er wohl ein, daß er sich auf ernste Maßregeln von Seiten des letzteren würde gefaßt machen müssen; darum beschloß er, noch an demselben Tage in die Stadt zu fahren, um dem Superintendenten über seine Unterredung mit dem gnädigen Herrn Bericht abzustatten. Er sputete sich daher bei dem aufgetragenen Mittagsessen sehr und trieb, nachdem er die alte Landkutsche bestiegen, den Kutscher an, rascher als gewöhnlich zu fahren.

Als der Prediger bei dem hochwürdigen Herrn ins Zimmer trat, glaubte er in dessen Gesicht ganz denselben Ausdruck übler Laune zu entdecken, den er bei seinem letzten Besuch so bitter empfunden hatte. Der Superintendent pflegte eben nach gehaltener guter Mahlzeit einiger Stunden Ruhe auf dem weichen Sofa und erwiderte den freundlichen, untergebenen Gruß des eintretenden Konfraters mit gähnendem Munde und finsterer Miene. Der Pastor erzählte von seiner an demselben Morgen mit dem Kirchenpatron gehabten Unterredung und wurde sehr warm dabei. Desto kälter blieb der Superintendent.

»Sagen Sie mir aber doch« – fragte der ehrwürdige Herr –, »was verlangen Sie denn eigentlich für Kapazitäten und moralische Eigenschaften von einem Bälgentreter? Ich denke, wenn der Mann gute Knochen hat und auf den Dienst paßt, zur rechten Stunde den Glockenstrang zieht und den gehörigen Wind in die Bälgen tritt, so füllt er seinen Platz aus.«

»Ew. Hochwürden haben ganz recht« – entgegnete der Pastor, verwundert über diesen Einwurf seines Vorgesetzten. – »Es wird vom Bälgentreter wenig mehr verlangt; aber kleine Geschäfte sind wie kleine Ausgaben, sie erheischen genaue, strenge Ordnung und Rechnung; für eine solche aber eignen sich nur Leute von der größten Redlichkeit und wirklicher Tugend, wie sie der selige Thomas Kunze besaß.«

»Wissen Sie wohl« – fuhr der Superintendent fort –, »daß Sie sich da eine höchst kitzlige Geschichte auf die Schultern geladen haben? Mit dem Herrn von Eilersrode ist nicht zu spaßen. Sie taten sehr unrecht daran, sich ihm persönlich zu widersetzen.«

»Aber« – sagte der Pastor erschrocken – »ich handelte ja nur nach den von Ihnen empfangenen Instruktionen; ich habe ja keinen Schritt ohne Ihren ausdrücklichen Befehl getan.«

»Der Teufel hat Ihnen befohlen« – schrie der feiste, gähnende Mann – »sich mit dem gnädigen Herrn selbst in einen Kampf auf Leben und Tod einzulassen, nicht ich; ich riet Ihnen, sich der Wahl des Amtmanns zu widersetzen, nicht der des Herrn von Eilersrode.«

»Erlauben Ew. Hochwürden« – sagte der Prediger zorngerötet.

»Erlauben Sie, guter Freund« – unterbrach ihn der Superintendent –, »Sie werden mich doch nicht Lügen strafen wollen. Ich befahl Ihnen nichts, gar nichts in bezug auf den Kirchenpatron. Sie mögen Ihre Haut zu Markte tragen, mich sollen Sie ungeschoren lassen; verstehn Sie mich? Überdem seh ich gar nicht ein, wie Sie sich jetzt noch sträuben können und mögen, nachdem der Schuhflicker über die Geschichte wahnsinnig geworden und ins Wasser gegangen ist. Wer Pech angreift, besudelt sich. Ich wasche meine Hände in Unschuld und bitte Sie, mich in Zukunft mit Privatstreitigkeiten verschonen zu wollen.« Dabei warf der Herr Superintendent sich in die Polster zurück, nahm ein auf dem Tische vor ihm liegendes Buch zur Hand und gab dem armen Konfrater ebenso deutlich als unhöflich zu verstehn, daß er seiner Gegenwart überhoben zu sein wünsche. Das Wort erstarrte dem letztern auf der Zunge; er stand auf, machte eine stumme Verbeugung und eilte davon. In Verzweiflung warf er sich auf den harten Sitz seiner Landkutsche, die rasselnd durch die Straßen dem Tore wieder zufuhr. Die Verräterei des Superintendenten ging dem betrübten Seelsorger tiefer zu Herzen als das kalte, harte Benehmen des Herrn von Eilersrode selbst. Als er im Dunkeln ins Dorf einfuhr und in seine verbitterte Einsamkeit wieder zurücktrat, schwebte ihm lebhaft des Sohnes Bild vor.

»Er hatte recht« – sprach Wilhelms Vater zu sich selbst –, »sich von diesem trüben Schlamm des Lebens loszusagen. Hier ist keine Freude, keine Größe zu entdecken; des Daseins Lust scheitert an der Erbärmlichkeit der Menschen! Wie unrecht habe ich getan, gegen den trägen Strom dieses trüben Lebens anschwimmen zu wollen!«

Die Pastorin war äußerst erschrocken über ihres Mannes Aussehn. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und rief ein über das andere Mal Verwünschungen gegen den Amtmann, gegen den Herrn von Eilersrode und den Superintendenten aus. »Das ist ja ein schlechter, abscheulicher Mensch« – sagte sie –, »er hat dich und den armen Thomas ins Unglück gestürzt und will sich nun aus der Sache ziehn wie ein Schelm. Ich kann dir's nun auch wohl sagen, mein Kind, was ich allen Grund zu glauben habe: Thomas wird wohl die Gänse des Amtmanns gestohlen und derjenige gewesen sein, dessen Schurzfell aus dem Schornstein fiel. Ich weiß von unserer Magd, die aus Erbarmen gegen den Unglücklichen nichts verraten wollte, daß er selbst am Tage vor dem Diebstahl unsere Gartenleiter vom Boden holte und sie versteckte. Erst vor ein paar Tagen hat das Mädchen mir dies Geständnis gemacht und erzählt, was sie von einer bei dem Superintendenten im Dienst stehenden Bekannten erfahren hat, daß Thomas oft und nie ohne leere Hände bei ihrer Herrschaft vorgesprochen und unter anderm auch mehre Gänse gebracht habe.«

»Vortrefflich!« – rief der Pastor mit bitterm Lächeln – »ich halte dem Elenden noch eine lange, schöne Rede an der Bahre, nachdem ich seine Unschuld mehr als einmal von der Kanzel herab behauptet und seinetwegen den Amtmann gezüchtigt habe. O, wie schmerzlich werde ich enttäuscht!«

»Habe ich's nicht immer gesagt? Das kommt von deinem guten Herzen, liebes Kind. Für andere hast du dich stets willig aufgeopfert, und sie haben es dir doch nie anders als mit dem schwärzesten Undank gelohnt. Wärst du mehr auf deinen eignen Vorteil bedacht gewesen, es stände heut besser um uns und unsere Kinder.«

»Schone meiner« – bat der gequälte Mann seine plappernde Frau –, »du siehst, wie ich leide. Thomas schuldig zu wissen, ist für mich ein harter Schlag; ich werde ihn nicht verschmerzen. Auf diesen Menschen hatte ich mein ganzes Vertrauen gesetzt. Daß er mich täuschte, ist schrecklich. Nun erkläre ich mir seinen Wahnsinn: Gott strafte ihn furchtbar aber gerecht für den doppelten Meineid; unerforschlich sind seine Wege.«

»Und nun« – fuhr die Pastorin fort, ohne auf die Bitte ihres Mannes zu hören –, »nun der Sünder aus der Welt gegangen ist und der Frau Superintendentin keine gestohlenen Gänse mehr ins Haus schleppen kann, nun kehrt der saubere Herr dir den Rücken zu und fertigt dich schnöde ab. Er würde dich nicht verlassen haben, wenn der nichtswürdige Schuhflicker am Leben und bei Verstände geblieben wäre. Wer weiß, wieviel Geflügel, Eier und Butter aus Eilersrode noch in seinen Magen gewandert wäre.«

»Ein langes Gewebe von Schlechtigkeiten und Sünden breitet sich da vor meinen Augen aus«, sprach der Pastor betrübten Herzens. –

Am andern Morgen stellte sich der Schulmeister im Pfarrhause ein und überbrachte dem Pastor allerhand Nachrichten vom Amte, die wenig geeignet waren, seinen Kummer zu verscheuchen. Er erzählte, daß der Amtmann sehr guter Laune sei und hoffe, sich vor den Augen des gnädigen Herrn reinzuwaschen ; daß in den nächsten Tagen eine Reihe von Untersuchungen eingeleitet werden sollten und daß Christoph Heisert eine Audienz bei dem Herrn von Eilersrode gehabt habe. Der Pastor schickte an demselben Tage zum Leineweber und ließ ihn ersuchen, bei ihm vorzusprechen. Christoph erschien auch bald darauf und wurde von dem Prediger ungewöhnlich artig und zuvorkommend empfangen.

»Ich habe Euch kommen lassen« – redete er den Leineweber an –, »um mit Euch über den Bälgentreterposten zu sprechen; da der Thomas aus der Welt gegangen ist und ich wünsche, den Zwistigkeiten, welche durch diese Angelegenheit ins Leben gerufen wurden, ein Ende zu machen, so habe ich beschlossen, mich Eurer Ernennung nicht ferner zu widersetzen, wenn Ihr mir versprecht, Euch so zu betragen, wie ich es erwarten kann.«

»Es tut mir leid« – sagte der Leineweber –, »daß der Herr Pastor nicht ein Jahr früher so gesprochen wie jetzt, da dann vielleicht der arme Thomas vor dem Leid bewahrt worden wäre, das ihn betroffen. Jetzt muß ich mich für den guten Willen des Herrn Pastors bedanken, denn gestern bin ich bei dem gnädigen Herrn gewesen und habe ihn gebeten, er möchte doch davon abstehen, mich zum Bälgentreter machen zu wollen.«

»Das habt Ihr getan?« rief der Prediger verwundert.

»Ja« – erwiderte Christoph –, »ich bat den Herrn Amtmann schon vor Jahr und Tag darum, weil es für mich ein Kummer war, ansehen zu müssen, daß der Herr Pastor und der Herr Amtmann sich über eine solche Sache verfeindeten und ich nicht zu den Leuten gehöre, die darauf ausgehn, ihren Nebenmenschen das Brot vor dem Munde wegzufischen.«

»Und was hat der gnädige Herr Euch für Bescheid gegeben?«

»Der gnädige Herr war sehr guter Laune; er lachte und sagte: So ginge es oft im Leben, daß die Menschen es sich einander um nichts und wieder nichts verbitterten.«

»Freilich, der eine stirbt über den Streit und der andere gibt seine Rechte freiwillig auf.«

»Es solle mich niemand zwingen, sagte der gnädige Herr, Bälgentreter zu werden, wenn ich nicht selber wollte, und entließ mich sehr gnädig und herablassend.«

»Ich habe Euch früher unrecht getan« – sprach der Prediger – »und das tut mir jetzt leid.«

»Der Mensch kann sich irren« – erwiderte der Leineweber –, »und der Herr Pastor sind auch ein Mensch.«

So war dem Pastor nun plötzlich eine neue Freude verdorben und die Brücke abgebrochen, auf der er sich wieder in die Gunst des Kirchenpatrons einzuführen gehofft hatte. Während einer ganzen schlaflosen Nacht hatte er sich mit den Gedanken herumgetragen, sich gegen den von seinem Gegner in Vorschlag gebrachten Kandidaten nachgiebig zu zeigen und dadurch die verscherzte Gönnerschaft des gnädigen Herrn wiederzuerhalten. Durch die freiwillige Verzichtleistung Christophs auf den Bälgentreterdienst ward ihm die ganze Bälgentreterangelegenheit vollends verhaßt gemacht. Er gestand es sich jetzt selbst, daß er viel darum geben würde, wenn er die alten Zeiten wieder herbeizaubern könnte.

»Wir lebten doch wenigstens in Ruh und Frieden zwischen unsern eigenen vier Wänden« – sagte der Pastor zu seiner Frau –, »und wenn wir nun auch mancher Täuschung, in der wir damals befangen lebten, überhoben sind, müssen wir doch allzu bitter dafür büßen. Alle Waffen kehren sich wider mich.«

»Ich weiß am besten« – seufzte die Pastorin –, »wieviel ich seit zwei Jahren gelitten habe; aber ich sehe nicht ein, wie es durch unsern guten Willen hätte besser werden können.«

Das Leben im Pfarrhause war in der Tat seit zwei Jahren von Tag zu Tage trüber geworden. Mit der zwischen dem Pfarrhause und dem Amthause aufgeworfenen Grenze war zugleich, für das erstere besonders, eine Lebensader unterbunden. Während der Amtmann oft Fremde und Freunde um sich sah, lebte der Pfarrer mit seiner Familie in der größten Abgeschiedenheit von der gebildeten, geselligen Welt. Er hatte sich gegen den Einfluß des Umgangs mit den schlichten, naturkräftigen, aber meist sinnrohen Dorfbewohnern und des gemeinen, schlauen Schulmeisters nicht gänzlich zu schützen vermocht und fing an zu verbauern, während seine Frau vergesindete, indem sie fast nur mit Weibern und Mädchen umging, die wohl bei ihr gewinnen mochten, von denen aber sie selbst keine Verfeinerung der Sitten und Gefühle lernen konnte. Die Kinder waren unter solchen Verhältnissen gänzlich verwildert und galten für die ungezogensten in der ganzen Umgegend. Der älteste Sohn war von jeher der Liebling der Eltern gewesen; besonders hatte der Vater auf ihn mit Stolz herabzusehen angefangen, seit Wilhelm ein Mann geworden war. Die Trennung von diesem Kinde war der geheime Nagel an dem Sarge des Vaters; er liebte ihn immer noch zärtlich, zärtlicher vielleicht denn je. Wie schwer sich auch in den Augen des Vaters der Sohn mochte vergangen haben, der Pastor fing an, die Natur dieses Sohnes besser kennenzulernen und in ihm den Geist der Zeit zu erblicken, von dem er freilich nicht viel mehr wußte und erfuhr, als was in den Zeitungen, die in Eilersrode ein halbes Jahr nach ihrem Erscheinen gelesen zu werden pflegten, stand; und das war gar wenig und das wenige meistens verdreht und verkehrt.

Wilhelm hatte, seit er dem Vater auf dessen Drohbrief geantwortet, nichts wieder von sich hören lassen. Der Rektor der Universität hatte seinem alten Kommilitonen in Eilersrode die Nachricht mitgeteilt, daß sein Sohn die hohe Schule verlassen habe und niemand wisse, wohin er seine Schritte gelenkt hätte. Anfangs war kein Posttag vergangen, an welchem der Pastor nicht mit Gewißheit auf einen Brief von Wilhelm gerechnet, und die Frau Pastorin nicht bittere Tränen geweint hätte, nach und nach aber lernten sich beide in das Unvermeidliche schicken und ihren Kummer in sich verschließen. Die Pastorin ward es endlich müde, ihrem Manne die tausendmal gemachten Vorwürfe wieder und immer wieder zu machen, und der Pastor tröstete sich mit der kräftigen, strebsamen Natur seines Sohnes und hoffte auf die Gunst des Himmels, dem er sein Kind oft empfahl. Er hatte den Menschen von jeher zu trauen verstanden, und, wie oft er sich auch getäuscht gesehen, lebte doch der Glaube an das Gute und Edle zu mächtig in ihm, als daß er ihn bei seinem eigenen Kinde leicht hätte verlieren können. Das Schicksal Wilhelms hatte für den Vater, neben dem Schmerzlichen und der Sorge, auch etwas Poetisches; er konnte in die alltäglichen Klagelieder seiner Frau nicht mit einstimmen, die beim Strumpfstricken und Hemdennähen über den Gedanken weinen konnte, daß ihr Wilhelm vielleicht Mangel an den notdürftigsten Lebensbedürfnissen leiden müßte.

»Hat er nicht zwei gesunde, kräftige Arme und einen hellen Sinn von Gott erhalten?« – fragte der Pastor – »Das ist unendlich viel und reicht hin, sich alles im Leben zu verschaffen, was der Leib zur Erhaltung bedarf. Und unser Sohn hat weit mehr als das empfangen, weit mehr: Schönheit des Körpers und ein gutes Herz. Sein gutes Herz wird ihn Menschen finden lassen, ich zweifle nicht daran, die ihn lieb gewinnen werden. Wenn er nur sich selbst, sein besseres Selbst rein und lauter erhält; für alles übrige bangt mir nicht. – Wo er wohl weilen mag in diesem Augenblick?« konnte der Vater mit einem so liebreichen, milden Blick fragen und dabei in so tiefe, ernste Sorgengedanken versinken, daß man wohl sehen konnte, wie innig väterlich er seinen Sohn liebte und wie weh ihm die Trennung von demselben tat.

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