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Des Herrn von Eilersrode Verhalten zu den streitenden Parteien. – Thomas kriegt Schläge und trinkt sich einen Rausch. – Der Pastor stattet einen Besuch bei dem Superintendenten ab. – Wie der häusliche Friede des Schuhflickers bedenklich gestört wurde.

Der Amtmann war nicht träge gewesen in Zusammenstellung der Beschwerdepunkte, welche er bei dem Herrn von Eilersrode gegen den Pastor einreichte. Er setzte mit juristischer Breite die verschiedenen Gründe auseinander, welche ihn bewogen hätten, den Leineweber Christoph Heisert zum neuen Bälgentreter zu ernennen und sich der von dem Pastor getroffenen Wahl des Thomas Kunze zu widersetzen; er zählte dann die persönlichen Kränkungen auf, welche er durch den Geistlichen von der Kanzel herab hatte leiden müssen, und zitierte mit besonderem Gewicht die früher erwähnte Stelle aus Jesaias Kap. 34 von den länderlosen Herren und dem Ende der Fürsten, nannte den Pastor einen Aufwiegler des Volks, einen Verleumder und Intrigenhelden, dessen Ränke und Pläne darauf hinausgingen, ihn, den Amtmann, um sein richterliches Ansehn in der Gemeinde und um das Wohlwollen des gnädigen Herrn zu bringen. Der Bericht schloß mit der dringenden und gehorsamsten Bitte, der Herr von Eilersrode möge in die schwebende Angelegenheit schnell ein kräftiges Einsehn tun und dem Berichterstatter in Gnaden gewogen bleiben.

Trotz der Wichtigkeit, welche der Amtmann dem Gegenstande seines Berichts beigelegt, machte derselbe dem Empfänger nicht die geringste Sorge, vielmehr erlustigte sich der Herr von Eilersrode an der Sache und lachte beim Lesen des langen Schreibens seines Amtmanns einmal über das andere recht herzlich. Er hatte seit langer Zeit von seinen Gütern nichts anderes gesehen als Protokollextrakte, Rechnungsablagen und dergleichen alltägliche Dinge. Die Bälgentretergeschichte war in seinen Augen eine kurzweilige Episode in diesem ewigen Einerlei des monotonen Dorfverkehrs. Als ein lebensfroher, gutmütiger Mann erblickte der Gutsherr und Kirchenpatron in der Streitigkeit zwischen dem Geistlichen und dem Dorfrichter, in dem Bauernkrawall und dem Weibergeklatsch eine Bewegung und ein Leben, die er seiner Gemeinde kaum zugetraut hatte; er freute sich, daß die Leute auch einmal zeigen wollten, daß sie in der Welt seien, und für was anderes Sinn und Verstand hätten als bloß für Pflügen und Dreschen, und versetzte sich im Geist als behäbiger Zuschauer unter die aufgeregten Gemüter, die er mit einem Machtwort aus seinem Munde leicht beruhigen zu können glaubte. Kurz, er sah in der ganzen Streitsache nur die lächerliche Seite und beeilte sich keineswegs, dem dringenden Gesuch des Amtmanns um Erledigung der Bälgentreterfrage nachzukommen; erst als nach Verlauf einiger Wochen eine zweite, dringendere Bitte vom Amte einlief, ließ der Herr von Eilersrode den Amtmann und den Pastor wissen, daß es bei der von dem ersteren getroffenen Wahl sein Bewenden haben und der Leineweber Christoph Heisert wohlbestallter Bälgentreter sein und bleiben sollte.

Der hocherfreute Amtmann ließ von dem erhaltenen herrschaftlichen Reskript sogleich eine Abschrift anfertigen und diese dem Pastor ins Haus bringen. Der Prediger setzte sich sofort nieder, um schriftlich gegen die Wahl des Gutsherrn und Kirchenpatrons zu protestieren. Er schrieb dem Herrn von Eilersrode, daß er sehr bedaure, dem Willen des gnädigen Herrn zuwider sein zu müssen; daß der Gutsherrschaft zwar das Recht der Wahl zustehe, aber der Ortsgeistlichkeit das der Bestätigung oder Nichtbestätigung derselben. Er müsse die Wahl verwerfen, weil das von seiten des gnädigen Herrn gewählte Subjekt einen liederlichen Lebenswandel führe und ein erklärter Spion des Amtmanns sei. Zwar wäre der Bälgentreter – schrieb der Pastor – nur ein kleiner und untergeordneter Posten, aber im Kirchendienst sei auch von den untersten Beamten vor allem die strengste Sittenreinheit und Lauterkeit des Charakters als eine Hauptsache zu verlangen. Einer Kreatur des Herrn Amtmanns, und für eine solche werde der erwähnte Christoph allgemein gehalten, könne und dürfe er unter keiner Bedingung je die Kirchenschlüssel anvertrauen. Die von dem Herrn Amtmann getroffene und von dem gnädigen Herrn, als Kirchenpatron, bestätigte Wahl sei teils eine schmähliche, öffentliche Protestation des Amtmanns gegen die guten Sitten und das Ehrgefühl der Gemeinde, teils ein Beweis persönlichen Hasses des Dorfrichters gegen ihn, den Geistlichen, dessen Ansehn untergraben, dessen Autorität in kirchlichen Dingen zunichte gemacht werden solle. Leider sei es eine Tatsache, daß der Herr Amtmann zu der verderblichen Klasse der Freigeister gehöre und als solcher einen verhängnisvollen Einfluß auf die Gemeinde und die ganze Umgegend ausübe; aber es wäre gerade darum auch von der allergrößten Bedeutung und Wichtigkeit, daß ihm nicht noch mehr Gewalt eingeräumt werde, als er ohnehin schon besitze. Der Pastor bat den Herrn von Eilersrode, ja wohl zu erwägen, von welchen bösen Folgen es sein müsse, wenn er in dieser schwebenden Streitsache die Anmaßungen des Amtmanns unterstützen und das von demselben gegebene Ärgernis dadurch noch vergrößern werde; er lenkte die Aufmerksamkeit des gnädigen Herrn auf den Schuhflicker Thomas Kunze, der in den Funktionen des vakanten Amts bereits wohlbewandert und in allen Dingen ein vortrefflicheres Subjekt sei als der Leineweber Heisert; er schilderte jenen ebenfalls als ein Opfer der Rache des Herrn Amtmanns, als einen Märtyrer der guten Sache und einen höchst tugendsamen, verdienstvollen Menschen und schloß mit der Erklärung, auf der Wahl desselben bestehen und die des Konkurrenten aufs entschiedenste wegen moralischer Mängel als unstatthaft von der Hand weisen zu müssen.

Das Vergnügen, welches dem Herrn von Eilersrode die Lesung dieses Protests gewährte, wurde durch einige in ihm aufsteigende Bedenken über die Treue und Redlichkeit seines Amtmanns gestört. Zwar lachte er wieder recht herzlich über die Wichtigkeit, welche auch der Pastor einem in seinen Augen so gleichgültigen Gegenstande beilegte; aber er ärgerte sich auch hinterher wieder über die kategorische, beinahe drohende Sprache des Geistlichen, der es wagte, sich seinem Willen zu widersetzen. Daran war der Herr von Eilersrode so wenig gewöhnt, daß er sich vornahm, mit einem befreundeten und berühmten Juristen der Residenz der Bälgentreterangelegenheit wegen Rücksprache zu nehmen.

Während der Amtmann jubelte und nicht anders tat, als hätte er gewonnen Spiel, schickte sich der Pfarrer an, zum Superintendenten in die Stadt zu gehen, ihm noch einmal mündlich, wie er schriftlich bereits getan, den ganzen Stand der Streitsache vorzutragen, ihn von seinem dem Kirchenpatron eingesandten Protest zu unterrichten und um Verhaltungsbefehle zu bitten. Der Bescheid des Herrn von Eilersrode hatte zwar im Pfarrhause nicht wenig Ärger und Verdruß verursacht; die Pastorin hatte ihrem Gatten wieder einen Löffel voll Cremor tartari zum Niederschlagen der Gemütswallung geben müssen; aber der Entschluß des Predigers, sich dem Plane des Amtmanns um jeden Preis entgegenzustemmen, stand um so unerschütterlicher fest, als die Feindseligkeiten des tückischen Gevatters sich in den verwichenen Wochen gehäuft hatten. Unter anderm ward Thomas Kunze von des Amtmanns Leuten gewaltsam aufs Amt gebracht, weil er, im Auftrage der Frau Pastorin, Futter suchend, einen Korb voll Gras und Klee auf herrschaftlichem Gebiet abgeschnitten hatte, was allerdings ein Unrecht war, aber doch keine so harte Züchtigung verdiente, wie ihm der Amtmann sie auf frischer Tat angedeihen ließ. Auf Befehl des Dorfrichters wurden nämlich dem armen Schuhflicker mit einem ledernen Marterinstrument fünfundzwanzig Hiebe auf die Hinterbacken gegeben. Thomas ließ sich die Schläge gefallen, schnitt aber, indem er sie erhielt, scheußliche Grimassen und stieß ein so gellendes Geschrei aus, daß die Leute auf dem Hofe glaubten, es werde jemand ums Leben gebracht. Mit dem leeren Korbe um den Hals mußte der Schuhflicker nach Erleidung der peinlichen Prozedur das Amt verlassen. Heulend kam er auf dem Pfarrhofe an und erzählte seiner Beschützerin mit Tränen in den Augen, wie grausam er behandelt worden. Der Pastorin war, als hätte sie selber Schläge bekommen, da sie diesen neuen Schimpf erfuhr. Damit der gemißhandelte Thomas seine Schmerzen vergesse, setzte sie ihm eine Flasche Branntwein und ein Glas vor und kalten Braten und Butterbrot zum Imbiß auf den Küchentisch. Dabei tröstete sie ihn mit der Versicherung, er werde nun bald als Bälgentreter ins Fäustchen lachen können. Thomas mochte keinen Bissen essen; aufrecht, von brennenden Schmerzen gefoltert, trippelte er umher, stierte ins Feuer auf dem Herd und leerte, da er sich einige Minuten in der Küche allein befand, den größten Teil des berauschenden Inhalts der Flasche im raschen Zuge. Dann machte er sich davon, ging nach Hause und warf sich, angekleidet wie er war, aufs Bett, worüber sein Weib in große Wut geriet und ihn mit Schimpfreden überhäufte. Da sie nicht nachließ, ihren Mann einen faulen Strick, einen schlechten Vater und liederlichen Kerl zu heißen und erklärte, er werde nun und nimmer Bälgentreter werden, riß dem Schuhflicker der Geduldsfaden; er sprang wütend von seinem Schmerzenslager empor, taumelte seinem fliehenden Weibe nach und ergriff einen hölzernen alten Leisten, den er ihr an den Kopf werfen wollte, mit dem er aber, statt des letzteren, das Fenster traf und ein paar Scheiben zerbrach. Als die Frau sah, daß ihr Mann betrunken war, ließ sie ihn in Ruhe und mied seine Nähe. Thomas legte sich wieder aufs Ohr und verschlief seinen Rausch, um nüchternen Sinnes mit Herzeleid die Zerstörung ansehen zu müssen, welche er während seiner Trunkenheit angestiftet hatte.

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Der härteste Schlag, welchen der Amtmann gegen den Prediger ausgeführt hatte, blieb die Entziehung seiner Kinder. Aurora war wirklich abgereist; ihr Vater hatte sie bereits vor einigen Wochen, seiner Drohung gemäß und trotz der Tränen des Mädchens und ihrer Mutter, zum Oheim in die Stadt gebracht. Nicht einmal Abschied vom Pastor zu nehmen war ihr gestattet worden.

Die Feinde der Eltern – sagte der Vater – wären auch die Feinde der Kinder, und es zieme sich nicht, daß seine Tochter noch tue, als kenne sie einen Mann, der ihres Vaters Achtung und Freundschaft so leichtsinnig verscherzt hätte wie der Pastor. Als der letztere erfuhr, daß Aurora wirklich das Dorf verlassen, brach er in helle Tränen aus. Der Riß zwischen ihm und dem Amtmann schien ihm selbst von dieser Stunde an unheilbar. Durch die spöttelnden und aufstachelnden Reden seiner Frau wurde das Gemüt des Pfarrers allmählich noch mehr umgewandelt; er ward von Tag zu Tage bitterer und feindseliger gestimmt. Die feindliche Haltung beider Familien wurde von den Häuptern derselben strenge überwacht; die armen Kinder litten besonders empfindlich unter der herrschenden Spannung; sie lebten in der größten Abgeschiedenheit voneinander und wurden, ohne ihr Verschulden, von ihren erbitterten Vätern strenger als gewöhnlich gehalten; mußten ihre Spielstunden, die sie sonst in so glücklicher Gemeinschaft verlebt hatten, ohne Gesellschaft zubringen und wurden weit mehr als bisher mit Lernen und Arbeiten geplagt, ohne daß sie den Grund von plötzlich so harten Maßregeln hätten begreifen können. – Die Eltern litten im Grunde selbst nicht minder, besonders die gute, sanfte Frau des Amtmanns, welche die Trennung von ihrem ältesten Kinde, dessen Umgang ihr schon längst zum Bedürfnis geworden war, fast täglich beweinte, ohne Aussicht darauf zu haben, daß das Geschehene rückgängig gemacht werden könnte.

»Wenn ich dir auch nachgeben wollte« – sagte der Amtmann, den Kummer seiner Frau wahrnehmend –, »du siehst wohl ein, daß mir meine Stellung zum gnädigen Herrn und die eigne Hartnäckigkeit des Pastors jeden versöhnenden Schritt unmöglich machen. Er widersetzt sich selbst dem Willen des Herrn von Eilersrode und rennt in sein eigenes Unglück blind hinein. Wer nicht hören will, muß fühlen.«

Daß es dem Amtmann mit solchen Äußerungen wenig ernst war, wußte seine eigene Frau nur zu gut; das tat ihr eben weher als alles andere, daß sie in ihrem Gatten wirklich ein feindseliges, harsches Gemüt erkennen mußte.

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Als der Pastor sich bei dem Herrn Superintendenten in der Stadt hatte anmelden lassen, wurde er sogleich bei demselben eingeführt, mußte neben ihm auf dem Sofa Platz nehmen und ihm alles erzählen, was sich seit seinem schriftlich abgestatteten Bericht in der streitigen Frage zugetragen hatte. Der Pastor legte das Reskript des Kirchenpatrons vor, was der Herr Superintendent mit sichtlichem Verdruß zu lesen schien; dann reichte der Prediger seinem Vorgesetzten die Antwort, welche er dem Herrn von Eilersrode auf dessen Reskript gegeben.

»Sie haben ganz verständig und Ihrer Würde als Ortspfarrer gemäß gehandelt«, sagte der Superintendent – »Ich bin mit der Art und Weise, in welcher Sie die Interessen der kirchlichen Autorität vertreten haben, sehr zufrieden. Zu keiner Zeit war es notwendiger als jetzt, sich vor den Einmischungen der weltlichen Behörden in Kirchensachen so sehr in acht zu nehmen. Das Ansehn der christlichen Kirche ist, leider Gottes! nicht im Zunehmen. Die Feinde der Kirche treiben ihr Unwesen immer frecher und drohen, den Stand der Geistlichen in seiner ohnehin genug geschmälerten Macht zu schwächen. Wir dürfen uns in dieser Angelegenheit nichts vergeben. Ein Mann, der, wie dieser Christoph Heisert, in so zweideutigem Rufe steht, darf unter keiner Bedingung durch die Ränke und Schliche seines Gönners in das vakante Amt eingeschwärzt werden. Für ihn, wie für den Amtmann selbst, gibt es kein anderes Verhältnis zur Kirche als das des Sünders zu seinem Richter; sie wird ihnen den Trost nicht verweigern, wenn sie sich als reuige Büßer nahn, aber keinerlei Gemeinschaft mit ihnen haben, solange sie, in ihrem verstockten Sinn, auf ihrem bösen Kopf bestehen. Beharren Sie also in Ihrem Widerstande gegen diese Ernennung eines neuen Bälgentreters, mit dessen Sitten und moralischen Eigenschaften Sie nicht durchaus zufrieden sein können, und berichten Sie mir ferner schnell und ausführlich, was sich in dieser Angelegenheit begeben wird. Ich hoffe, der Herr von Eilersrode, auf dessen Antwort Sie warten, wird billigdenkend und verständig genug sein, um von seinem wahrscheinlich nur auf inständiges Bitten des Amtmanns erlassenen Befehl abzustehen. Sollte ich mich indes in dem Charakter dieses Edelmanns irren, so sein Sie überzeugt, in mir stets eine kräftige Stütze gegen ihn zu haben. Wir fürchten uns nicht vor dem hohen Herrn.«

Der Pastor war über die Leutseligkeit und das Wohlwollen des Superintendenten entzückt. Um demselben eine kleine Freude zu machen, hatte er einen Topf voll frischer Butter und eine fette Truthenne mitgebracht und der Frau Superintendentin überliefert. Diese trat, als der Pastor eben aufgestanden und im Begriff war, sich zu empfehlen, in die Stube und erzählte ihrem Manne, welche Überraschung ihr der Herr Pastor bereitet habe, worauf sich beide Gatten sehr freundlich und warm nach der Frau Pastorin und den Kindern des Pastors erkundigten. Der letztere sagte, er fühle sich ganz beschämt darüber, daß der hochwürdige Herr Superintendent und dessen Gemahlin von einer so geringfügigen Kleinigkeit zu reden die Gewogenheit hätten. Sein Vorgesetzter erwiderte ihm, er bedaure, von dem Besuch des Herrn Konfrater nicht vorher in Kenntnis gesetzt worden zu sein, da er denselben sonst würde gebeten haben, bei ihm zu Tische zu bleiben, was sich nun nicht gut machen ließe, weil man in der Stadt in der Geschwindigkeit nichts erhalten könne, was einem so werten Gaste vorzusetzen sei. Der Pastor bedankte sich vielmals, erklärte, das Mittagsessen für genossen annehmen zu wollen und empfahl sich mit einer tiefen Verbeugung dem ferneren Wohlwollen der beiden Gatten.

Die Zeit dauerte dem Pfarrer lang, als er sich in seiner alten zweispännigen Kutsche, die groß wie eine Stube war und, ihrer Unbeholfenheit und Schwere wegen, nur langsam fortgeschafft wurde, dem Dorfe und seiner Wohnung näherte. Nachdem er endlich angelangt war, kam ihm seine Frau sogleich entgegen. Sie erkannte auf den ersten Blick an dem heitern Gesicht ihres Gemahls, daß die Reise desselben ihren Zweck erfüllt haben mußte. Auch Thomas Kunze, der sich auf dem Pfarrhofe eingefunden und beim Ausspannen der Pferde behilflich war, freute sich im stillen über die heitere Miene des Pastors, der ihn bleiben hieß, um sich mit ihm über seine eigne Angelegenheit zu unterhalten.

»Es steht alles gut« – sagte der Prediger zu dem in die Stube eintretenden Schuhflicker –, »der Herr Superintendent ist ganz auf unserer Seite. Es würde aber Eurer eigenen Sache sehr förderlich sein, wenn Ihr Euch dem hochwürdigen lieben Herrn persönlich vorstelltet, ihm Eure Lage schildertet und ihn gehorsamst bitten würdet, sich Eurer anzunehmen.«

Thomas erschrak bei dem Gedanken, einen so hohen geistlichen Herrn wie den Superintendenten von Angesicht zu Angesicht zu sehen und sogar mit ihm zu reden; allein der Pfarrer machte ihm Mut und versicherte ihn, er habe gar keine Ursache sich zu fürchten.

»Ihr würdet gut tun« – sagte die Pastorin –, »der Frau Superintendentin ein kleines Geschenk in die Küche mitzunehmen. Dergleichen wird immer gut aufgenommen. Ihr habt ja eine Gans, die würde ich an Eurer Stelle daransetzen; sie wird Euch wieder eingebracht werden.«

Der Pastor pflichtete seiner Frau bei und riet, Thomas möge suchen, sich bei der Frau Superintendentin angenehm zu machen und die Gans als Geschenk darbieten. Der Schuhflicker versprach, diesem Rate zu folgen und begab sich, halb vergnügt, halb betrübt, nach Haus, um seiner Frau mitzuteilen, welches Opfer gebracht werden müsse, um den Bälgentreterdienst zu erhalten. Die künftige Frau Bälgentreterin entsetzte sich nicht wenig bei dieser Eröffnung, denn sie hatte sich schon längst auf das schöne Fleisch und Fett ihrer Gans gefreut. Sie weinte vor Ärger und Bosheit, als Thomas ihren Bitten, von seinem Vorhaben abzustehn, kein Gehör schenkte, sondern sich anschickte, die Gans sogleich zu schlachten.

»Wir wollen die Federn behalten«, sagte Thomas.

»Bilde dir nicht ein« – sprach die erbitterte Frau –, »daß ich die Gans rupfen werde; bleibst du bei deinem Sinn, so magst du es selber tun, ich reiche dir keine Hand bei der Arbeit. «

Thomas machte sein Messer scharf und legte eine eiserne Kneifzange in die Kohlen auf dem Herd, um die tödliche Wunde, welche der Gans den Garaus machen sollte, sogleich zuzubrennen, damit sie nicht ihr kostbares Blut verliere.

Während dieser Voranstalten fuhr des Schuhflickers Frau fort, über das blutige Vorhaben ihres Mannes zu murren. Sie nannte ihn einen Rabenvater, der seinen Kindern das Brot entzöge und in den Tag hineinwirtschafte, ohne an das Ende zu denken. Thomas hörte eine Zeitlang geduldig zu, als seine Frau aber nicht aufhörte zu schelten und zu murren, befahl er ihr, stillzuschweigen oder zu erwarten, daß er ihr den Mund stopfe. Als er die schreiende Gans zwischen die Knie nahm, ihr eine tiefe Kopfwunde beibrachte und das glühende Eisen in dieselbe hineintauchte, fing sein Weib bitterlich zu heulen und aufs neue heftig zu schelten an. Der Schuhflicker nahm aber sein Schurzfell vor, setzte sich auf seinen hölzernen Dreifuß, legte die Gans auf den Schoß und fing an, sie, während sie noch warm war, zu rupfen. Die Frau hätte bei diesem Anblick umkommen mögen.

»Das fehlt auch noch« – keifte sie –, »daß wir armen Leute die Vornehmen und Reichen mit unserm bißchen Hab und Gut mästen müssen. Schinden sie uns nicht ohnehin genug? Viel vernünftiger und natürlicher wäre es, wir nähmen ihnen von ihrem Überfluß, als daß wir ihnen die Früchte unserer sauern Arbeit opfern. Bilde dir nur nicht ein, daß sie dir auf deine Gans irgend etwas zugute tun werden. Das fällt ihnen nicht ein. Sie nehmen alles, als gehöre ihnen die Welt von Gott und Rechts wegen, aber sie geben nichts. Du wirst schon sehen, daß ich recht habe, daß dir all dein Scherwenzeln im Pfarrhause und unsre Gans nichts helfen.«

»Weib« – schrie Thomas und sah seine Frau wütend an –, »mache mich nicht toll mit deiner verfluchten Zunge; daß es dir nicht geht wie neulich.«

»Wo du die Fenster eingeschmissen hast, die den Glaser noch heute vergeblich erwarten. Pfui! daß du dich nicht schämst, mich daran zu erinnern. Der Amtmann hat wohl gewußt, wen er vor sich hatte: du verdientest die Prügel, die er dir aufzählen ließ, und wirst wohl die letzten in deinem Leben noch nicht gekriegt haben.«

»Ich will dir gleich welche davon abgeben, du böses Mensch« – knirschte der Schuhflicker und riß eine ganze Faust voll Federn und zugleich ein Stück Haut von der Gans ab.

»Und Bälgentreter wirst du doch nun und nimmer« – schrie die boshafte Schusterfrau höhnisch.

Nun hielt Thomas es nicht länger aus; er sprang von seinem Schemel auf, faßte die halbgerupfte Gans beim Hals und warf sie seiner Frau, die sich zur Flucht anschickte, mit solcher Gewalt auf den Rücken, daß sie längelang auf den Boden niederstürzte und in ein furchtbares Geschrei ausbrach, so daß alle Nachbarsweiber und Kinder zur Hilfe herbeieilten, weil sie glaubten, der Schuhflicker bringe seine Frau ums Leben. Wirklich hatte es den Anschein, als hätte Thomas mörderische Absichten auf sein Weib gehabt. Er stand da mit blutigen Händen, wildrollenden Augen und kirschrotem Gesicht; in der elenden Stube stoben die Federn der Gans umher und im Winkel neben der Türschwelle lag der halbnackte Vogel, der den Nachbarn bald Aufschluß über die Blutspuren des Schuhflickers und Anlaß zu allerhand spöttischen Reden gab, unter denen sie wieder abzogen.

Nachdem Thomas seinen Zorn gekühlt, fing er sein unterbrochenes Geschäft wieder an, bei welchem er einmal über das andere tief seufzte und sich endlich über den erlittenen Ärger mit dem Gedanken tröstete, daß er nun bald den Lohn aller Mühen und Leiden ernten und als Bälgentreter förmlich angestellt werden würde. Im voraus dachte er daran, was er der Frau Superintendentin bei der Überreichung der Gans sagen und wie er ihren Mann bitten wollte, sich seiner in Gnaden anzunehmen. Als er mit dem Rupfen der Gans zu Ende war, wusch er sich vom Blute rein und suchte seine Kleider von Federn und Daunen zu befreien, was eine neue schwierige Arbeit war, da er überall voll Pech saß. Dann verbarg er die verhängnisvolle Leiche, damit sein Weib sie ihm nicht stehlen konnte, unter Schloß und Riegel und ging zur Frau Pastorin, um ihr zu melden, daß er und seine Gans bereit wären, in die Stadt zu wandern.

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