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Garibaldi

Er war ein Held, nehmt alles nur in allem,
Ich werde nimmer seinesgleichen sehn.

Nach Shakespeare.

1.

Der düstere Trauerpomp, der im Juni dieses Jahres (1882) unter Sturmgetose und Wogengedonner den Felsensteig von Caprera herabkam, ist vorübergezogen und mit dem übrigen Apparat desselben auch der überreich dabei entfaltete Redenbombast beiseite getan, zerschlissen und verschollen.

Der Mann im roten Hemde, schon bei Lebzeiten in Volkskreisen zu einer mythischen Figur geworden, ruht nun aus von seinen Heldengängen, wie von seinen Irrfahrten, und genießt jenes Friedens, den nur der Tod gibt.

Möchte doch die Majestät dieses einsamen Heroengrabes auf dem kleinen Eiland im Mittelmeer geachtet werden! Möchte doch keine verstandlose Pietät den Toten seiner Granitgruft entreißen, um das Denkmal, das in Rom oder sonstwo seine Überreste decken soll, zur momentanen Neugierstellung müßiger Gaffer zu machen, wie sie jetzt herdenweise alle Wege und Stege unsicher machen in Europa. Napoleons Grab unter den Weiden von Longwood war von einem vollen Hauch tragischer Poesie umwittert. Seine Gruft bei den Invaliden in Paris ist nichts als ein Wachsfigurenkabinett in Marmor. Laßt den Toten von Caprera ruhen, wo er selber ruhen gewollt! Verschont seine Überreste mit eurer Spektakelei! Ihr habt ja der Fahnen und Fackeln, der Kränze und Phrasen genug und übergenug aufgewendet. Laßt den aufrichtigen Schmerz im stillen trauern, aber heißt die erkünstelte Überschwenglichkeit schweigen und gebt der Geschichte das Wort!

Denn diese tritt jetzt in ihr Recht.

Drei Männer sind es, die das » Regno d'Italia« geschaffen haben: Mazzini, Garibaldi, Cavour. Mazzini war das Herz, Cavour der Kopf, Garibaldi der Arm der italienischen Einheitsbewegung. Mazzini hat die Saat ausgestreut, Garibaldi die Getreidemahd vollzogen, Cavour die Garben eingebracht. Ohne die beiden Idealpolitiker Mazzini und Garibaldi – wo wäre Cavour mit all seiner Realpolitik geblieben? Auf seinem piemontesischen Ministersesselchen. Gerade wie Bismarck mit all seiner Realpolitik auf dem preußischen Ministersessel oder gar auf dem Sorgenstuhl eines mäßig begüterten märkischen Junkers sitzen geblieben wäre, wenn ihm nicht die Propheten und Märtyrer der deutschen Idealpolitik von den Tagen Armins, Walters von der Vogelweide, Fischarts und Logaus bis herab zu den Tagen Klopstocks, Schillers, Palms, Körners, Arndts, Rückerts und Uhlands die Pfade gewiesen und die Wege gebahnt hätten. Dem Donner der Tat rollt ein lauter Widerhall nach, jawohl – aber ist es nicht der Blitz des Gedankens, der ihm voranleuchtet? Das ist eine Wahrheit, so wohlfeil wie Brombeeren. Aber in dieser Zeit schamloser Verlogenheit darf man wohl auch solche Wahrheiten scharf betonen, und die in Rede stehende sollte, scheint mir, namentlich auch unter uns Deutschen beherzigt werden. Sind doch seit 1870 in Deutschland gar viele enge Gehirne ganz und gar von der Vorstellung erfüllt, alles, was nicht sogleich praktiziert, verwertet, in Bargeld umgesetzt, von heute auf morgen nutzbar gemacht werden könne, das sei nicht »opportun« oder tauge eigentlich kurzweg gar nichts. In den Tagen unserer großen Denker und Lehrer waren freilich die heutzutage modischen Stichwörter »opportun« und »realpolitisch«, womit man jetzt alles schlichten und machen zu können wähnt, noch nicht erfunden. Auch ein drittes Modewort, das Wort »Freidenker«, haben, gelegentlich bemerkt, die Hochmeister der Ritterschaft dem deutschen Geiste nicht knäbisch renommistisch herausgehängt, wie neuestens Leute tun, denen die Bezeichnung »Nichtdenker« zumeist besser anstünde.

Will man dem Manne, von dem hier nicht etwa eine Lebensbeschreibung gegeben werden soll, sondern nur eine Charakteristik mit besonderer Berücksichtigung der zwei Glanzperioden seiner Laufbahn, 1849 und 1860, gerecht werden, so muß man sich auf den Standpunkt stellen, von welchem aus er sah, fühlte, dachte, sprach und handelte – also auf den Standpunkt eines Idealisten und eines italienischen Patrioten, dessen Seele vom Sonnenfeuer des Südens großgenährt worden war.

Seinem Namen und seiner körperlichen Erscheinung zufolge germanischer Abstammung, ist dieser blonde Ligurier dennoch in all seinem Fühlen, Denken und Tun ein Romane jeder Zoll gewesen. Also kein Mann vor-, um- und rücksichtiger Erwägung, sondern ein Mensch augenblicklicher Impulse, kein kalter Rechner, sondern ein kühner Drauflosgänger, weit mehr den Eingebungen der Phantasie als den Bedenken des Verstandes folgend und dann doch auch wieder einer guten Dosis echtitalienischer Schlauheit nicht ermangelnd. Diese Eigenschaft durfte ihm ja schon als dem Fanatiker, der er gewesen, nicht fehlen; denn ein Fanatiker war er, aber in des Wortes bestem und höchstem Sinne. Er glühte ja mit allen Sinnen für sein »Fanum«, für das Heiligtum der Einheit und Freiheit Italiens. Aus dieser Glut entband sich alle seine Liebe und all sein Haß. Er war ein Enthusiast, ein Phantast, wenn man will. Aber kein ins Blaue schwärmender, sondern vielmehr ein mit unermüdlicher Zähigkeit und hellem Opfermut auf ein festes Ziel gerichteter. Italien war der Traum seiner Nächte, wie der Gedanke seiner Tage. Wenn er sich in seiner späteren Zeit mitunter schwatzhaft in dem Nebelheim herumtrieb oder vielmehr herumtreiben ließ, wo die »Universalpolitik«, der »Weltmenschheitsbund«, die »Vereinigten Staaten von Europa, Asien, Afrika, Amerika und Australien« oder dergleichen grellbunte Fabelvögel mehr umherflattern, so war das eben eine Altersschwäche. In den Tagen seiner Kraft und seines Könnens war er ein Patriot, der allzeit und überall Italien suchte. Dieses Ziel zu sehen und zu finden, dazu reichten seine Gaben aus. Den vielverschlungenen und bösverknoteten Fäden der europäischen Politik geduldig nachzuspüren, um schließlich eine richtige Lösung oder Neuverknüpfung zu finden, das war nicht seine Sache. Er ist ja all sein Lebtag für das Zerhauen der Knoten gewesen. Daß es aber solche Knotenzerhauer doch auch geben müsse in dieser unserer knotenvollen Welt, werden selbst Bekenner des Weder-Fisch-Noch-Fleischliberalismus nicht unbedingt bestreiten wollen.

Im vorstehenden ist darauf angespielt worden, daß Garibaldi mitunter, und zwar besonders in seinen älteren Tagen, fatalen Einflüssen zugänglich gewesen und das Opfer einer beklagenswerten Lenksamkeit geworden sei. Jedermann weiß, daß zweideutige oder vielmehr unzweideutige Macher und Streber die Phantasie, die Begeisterung, die Gutmütigkeit des Mannes irreleiteten und mißbrauchten, um ihn das machen zu lassen, was man, wenn man wahr sein will, nicht anders nennen kann als dumme Streiche. Wie verträgt sich nun aber diese Bestimmbarkeit damit, daß man, wie oben schon getan worden, den Irrgänger von Aspromonte füglich und schicklich doch mit dem alten Horaz einen » tenacem propositi virum« (Mann, der seinen Vorsätzen treu bleibt) nennen darf? Gerade so, wie sich der Widerspruch mit dem Widerspruch in jedem Menschen verträgt. Wo war, wo ist, wo wird einer sein, der von sich mit Recht rühmen dürfte, daß er niemals »zwei Seelen« in seiner Brust wohnen gefühlt hätte? Wenigstens bedeutende Menschen werden dieses häufig genug wiederkehrende Gefühl der Zweiseeligkeit nicht ableugnen können, sondern allenfalls nur ganz gewöhnliche Leute.

So konnte es kommen, daß der König Viktor Emanuel, halb im Scherz, halb im Zorn, den großen Freischarenführer seinen »lieben Büffelschädel« nennen durfte, um das halsstarrige Drauf- und Durchfahren desselben zu bezeichnen, während zur gleichen Zeit Gesellen der vorhin erwähnten Sorte dem guten »Büffelschädel« den Leitstrick durch die Nase zogen. An diesem Leitstrick ist er auch im Jahre 1870 auf den Schauplatz seines letzten, in mehr oder weniger großem Stil unternommenen Abenteuers gezogen worden, das so kläglich verlief und mit dem undankbaren Fußtritt endigte, den die französische Nationalversammlung am 23. Februar 1871 dem alten Helden gab, der zu spät erkannt hatte, daß es zweierlei wäre, gegen neapolitanische oder aber gegen deutsche Soldaten zu Felde zu ziehen. Deutsche von gesundem und kräftigem Nationalgefühl werden Mühe haben, dem Andenken Garibaldis die Donquichotterie von 1870 zu verzeihen. Aber trotzdem muß man anerkennen, daß dieser Narrenstreich des Mannes, was seine Person anging, so ehrlich und selbstlos gemeint war wie irgendeiner der vom Helden des Cervantes getanen Narrenstreiche. Und wenn weiter uns kaltblütigen Nordländern das Theatralische, Opernhafte, um nicht zu sagen Seiltänzerische der Ausstaffierung und des Auftretens Garibaldis gar störsam vorkommen muß, so sollten wir billig bedenken, daß Südländer derartige Äußerlichkeiten ganz anders ansehen und werten als wir, die wir unter dem ewiggrauen Himmel unseres »gemäßigten« Klimas uns ja nur mit Mühe ein bißchen Farben- und Formensinn zu bewahren vermögen.

2.

Giuseppe Garibaldi ist in den Anschauungen und Strebungen des italienischen Karbonarismus aufgewachsen, der auf die Geschicke Italiens von so bedeutendem Einfluß gewesen. Er hat diese Anschauungen bis zuletzt festgehalten, und demnach war er in innerster Seele Republikaner und Pfaffenfeind.

Stubengelehrte, die sich, allen Lehren der Geschichte zum Trotz, die Entwicklung von Völkern und Staaten nur auf bureaukratischem, höchstens auf regelrecht-parlamentarischem Wege vorzustellen vermögen, haben über den Karbonarismus bekanntlich sehr abfällig geurteilt – um so abfälliger, je weniger sie ihn kannten. Nun ist es ja wahr, daß der Karbonarismus viel Komödiantisches, Läppisches, Törichtes, sogar entschieden Verwerfliches an sich hatte; aber nicht minder wahr ist es auch, daß er und nur er es gewesen, der das nach 1815 jeder Art von geistlicher und weltlicher Tyrannei unterworfene, zerrissene, durch heimische und fremde Zwingherrschaft niedergequetschte italienische Volk wiederaufzurichten versuchte und aufzurichten wußte. Er vollbrachte das dadurch, daß er in Formen, die dem Nationalcharakter angemessen waren, den Kultus des Vaterlandes pflegte, den Glauben an das Ideal »Italien« weckte und verbreitete und die gesamte gebildete Jugend zu dem Gedanken und Vorsatz erzog, für dieses Ideal Gut und Blut hinzugeben. Die Männer der ruhigen Bildung und friedlichen Entwicklung, die Balbo, Gioberti, D'Azeglio und ihre Gesinnungsgenossen, sie hätten niemals ein konstitutionelles Piemont, geschweige ein einheitliches Italien auch nur in Gedanken herzustellen vermocht, wenn ihnen nicht der Prophet des italienischen Radikalismus, Giuseppe Mazzini, vorangewandelt wäre, alle empfänglichen Herzen mit dem Feuer patriotischer Liebe und patriotischen Hasses erfüllend.

Nachdem Garibaldi in der Verbannung gelernt hatte, sein Vaterland doppelt heiß zu lieben – Männer, deren Patriotismus echt, lernen das im Exil immer – und nachdem er sich auf den Meeren und in den Pampas von Südamerika den Ruf eines kühnen Kriegers und geschickten Führers erworben hatte, ist er im großen Sturmjahr 1848 zuerst auf die weltgeschichtliche Bühne getreten. Nicht mit Glück. Der italienische Republikanismus hatte auf Garibaldis Freischarenführerschaft Hoffnungen gesetzt, deren Überstiegenheit in einem schreienden Mißverhältnis stand zu den Mitteln, über die der General verfügen konnte. War doch die große Mehrzahl der italienischen Patrioten viel zu klug, um nicht zu merken, daß, wie die Sachen lagen, die Idee der Vereinheitlichung ihres Landes nur mittels aufrichtigen Anschlusses an Piemont, d. h. auf monarchischem Wege zu verwirklichen wäre. Übrigens blieb auch das vorerst noch ein frommer Wunsch: denn der alte Radetzky zeigte den Italienern den kriegerischen Meister in einer Weise, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Der Sieger von Custozza – 1848, wie dann wieder 1866, ein Triumphfeld der Waffen Österreichs – ließ schließlich durch den General D'Aspre die Garibaldische Schar in die Schweiz hinüberjagen.

Freilich, während in Oberitalien Radetzky die schwarzgelbe Fahne mit dem habsburgischen Doppeladler auf den Dom von Mailand zurücktrug und in Unteritalien die bourbonische Pestilenz wieder in ihrer ganzen Grausigkeit grassierte, stieg der Stern des Republikanismus in Mittelitalien verheißungsvoll empor. Daß es nur ein Nebelstern war, sollte bald offenbar werden. Die kurzlebige römische Republik vermochte nicht einmal mit der kurzlebigen florentinischen zu einem Zusammenschluß zu gelangen. Bald auch drohten vom Norden her die Österreicher, vom Südosten her die Neapolitaner, und in Civitavecchia landeten 30 000 Franzosen, welche der Pseudo-Bonaparte, der die Pseudo-Republik Frankreich in seinen Kaiserschnappsack zu stecken sich anschickte, gesandt hatte, um den entflohenen Papst wieder auf den Stuhl Petri zu setzen und den Kirchenstaat wieder herzustellen – ein echt französisches Stücklein, eine prächtige Illustration der Victor-Hugoschen Bombastphrasen von der Völkerbrüderlichkeit und Kosmopolitik der Gallier! Solcher Illustrationen gibt es bekanntlich eine Menge, aber darum hören Schwachköpfe und Ignoranten doch nicht auf, an den bezeichneten Bombast zu glauben.

Die Verteidigung Roms gegen die völkerbrüderlichen Franzosen macht, zusammen mit der Verteidigung Venedigs gegen die Österreicher, bei weitem das Beste und Größte aus, was das republikanische Kredo dazumal, in den Jahren 1848-49, vollbracht hat. Es war bedauerlich, daß nicht Garibaldi den obersten Heeresbefehl in dem verarmten und belagerten Rom führte, sondern daß Mittelmäßigkeiten wie Avezzana und Roselli den Kommandostab hatten. Wäre Garibaldi Obergeneral gewesen, so würde – hat man behauptet – die Möglichkeit eines glücklichen Ausgangs nicht gefehlt haben. Dem ist nicht so. Eine Möglichkeit, die Waffen der isolierten römischen Republik von 1849 über die ungeheure Übermacht der Franzosen, Neapolitaner und Österreicher triumphieren zu machen, war von vornherein ausgeschlossen. Es konnte sich nur darum handeln, die Ehre dieser Waffen aufrechtzuerhalten bis zum Äußersten, und daß die von Garibaldi geführte »Legion« das getan hat, steht fest. Wir besitzen hierfür ein Zeugnis, dessen Wahrhaftigkeit nie die leiseste Anzweiflung gestattet hat, das Zeugnis eines Augen- und Ohrenzeugen, der zugleich ein in erster Reihe Mithandelnder war. Es ist unser trefflicher, leider vorzeitig hingegangener Gustav von Hoffstetter gemeint, dessen Tüchtigkeit und anspruchslose Liebenswürdigkeit gewiß bei allen, die ihn gekannt haben, in bestem Andenken stehen. Dieser deutsche Offizier hat den ganzen römischen Kampf von 1849 als einer der Führer desselben mitgemacht und nachmals ebenso schlicht wie genau und anschaulich diese denkwürdige geschichtliche Episode beschrieben (»Garibaldi in Rom; Tagebuch aus Italien«, 2. A. 1860).

Um Garibaldi hatte sich die edelste Blüte italienischer Jugend gesammelt. In diesen jungen Männern, welche großenteils den gebildetsten, begütertsten, im besten Sinne vornehmsten Familien entstammten, pulsierten die Feuergedanken, welche Giacomo Leopardi in seinem hochherrlichen Canto »An Italien« ausgeströmt hatte. Viele dieser jungen Helden haben die Echtheit ihrer Vaterlandsliebe mit ihrem Herzblut besiegelt. Ich wüßte nicht, daß zu irgendeiner Zeit und unter irgendeinem Volke auf dem Altar des Vaterlands edlere Opfer geblutet hätten als ein Eugenio Manara oder ein Emilio Morosini. Manara, aus der Fülle aller Glücksgüter und jungen Eheglücks nach Rom geeilt, um für Italien zu kämpfen, einer der tapfersten sowohl wie auch begabtesten und militärisch gebildetsten Führer, wurde, kaum fünfundzwanzigjährig, am 30. Juni bei der Villa Spada von einer Franzosenkugel tödlich getroffen. Seine letzten Atemzüge verwandte er darauf, seinen schmerzerfüllten Waffengefährten zu sagen: »Tröstet meine Frau und bringt ihr diesen meinen letzten Gruß: sie soll unsere Kinder in der Liebe zum unglücklichen Vaterland erziehen und, sobald sie stark genug sind, ihnen die Waffen zur Befreiung Italiens in die Hände geben.«

An demselben Junitag von 1849 fiel auch Morosini, ein Apoll an Jugendschönheit, noch nicht zwanzig Jahre alt. Als er ein Jahr zuvor in Oberitalien als Freiwilliger zur italienischen Fahne hatte eilen wollen, hatten seine Schwestern die Mutter flehentlich gebeten, den zärtlich geliebten Bruder nicht ziehen zu lassen. Aber die edle Italienerin sagte: »Ich gebe dem Vaterland das Beste, was ich habe, meinen einzigen heißgeliebten Sohn.« Als Hoffstetter später die kummervolle Mutter aufsuchte, gestand sie ihm, sie habe nur den Trost, zu wissen, daß ihr Emilio heldisch gestritten und gestorben. Eine Nation, fürwahr, die sich solcher Mütter und solcher Söhne rühmen darf, braucht nie zu verzweifeln. Wenn aber Garibaldi, wie durch unzählige Beispiele erwiesen ist, gerade auf die reinsten und selbstlosesten unter seinen Landsleuten, auf so herrliche Menschen wie Manara und Morosini einen magisch-mächtigen Einfluß übte, so liegt hierin, sollt' ich meinen, der unwidersprechlichste Beweis, daß er ein großer Mann war. Allzeit und überall ist nur wenigen Auserwählten eine solche elementare Macht über Menschen gegeben. Dem italienischen Vorfechter kam hierbei noch etwas zu statten: das glückliche Naturell seiner Landsleute. Wo der Italiener liebt, ist seine Liebe voll; wo er haßt, ist sein Haß ganz. Das leidige deutsche Laster der Nörgelei kennt er nicht. Die süßsaure Anerkennung, das halbe Lob, der flaue Tadel, diese schlechten deutschen Gepflogenheiten sind nicht seine Sache. Dem Neide, der Ohnmacht und der Mittelmäßigkeit werden seine Frechheiten jenseits der Alpen nicht so leicht nachgesehen wie diesseits. Es ist charakteristisch, daß italienische Zeitungen, welche notorisch im Sold und Dienst des Vatikans stehen, das Ehrliche wie das Schicksalsmächtige in der Persönlichkeit Garibaldis anerkannt haben. Nur deutsche und französische Pfaffenblätter haben ihn in gemeiner Weise verleumdet und verlästert.

Unser Gewährsmann sah den General zum erstenmal am 6. Mai 1848. »Ruhig und fest saß er zu Pferde, als wäre er darauf geboren, ein etwas kleiner Mann mit sonnverbranntem Gesicht und vollständig antiken Zügen. Unter einem spitzen Hut mit schmaler Krempe und schwarzer Straußfeder drängte sich das braune Haar hervor. Der rötliche Bart bedeckte zur Hälfte das Gesicht. Über der roten Bluse flatterte der kurze, weiße amerikanische Mantel.« Zuerst staunte der gute Hoffstetter nicht wenig über diesen »sonderbaren Aufzug«. Aber der Gesamteindruck, den er von der Erscheinung des Generals empfing, war doch der, daß er einen Mann vor sich habe, »welcher zum Befehlen geboren sei«.

Wie richtig dieser Eindruck gewesen, hatte unser Zeuge bald zu erhärten Gelegenheit, als er Garibaldis Streifzüge gegen die Soldaten des Re Bomba in der Umgebung von Rom mitmachte und mitfechtend beobachtete, wie der General die Gefechte bei Velletri, Frosinone, Palestrina und Anagni vorbereitete, anordnete und durchführte, »mitten im dichtesten Feuer, der empfangenen Wunden nicht achtend, kaltblütig im Führen, feurig im Fechten«.

Mit der Gefahr in Rom wuchs auch das militärische Talent und die Tatkraft Garibaldis. Er vornehmlich war es, der das Eindringen der belagernden und bombardierenden Franzosen in die Siebenhügelstadt bis zur letzten Möglichkeit verhinderte. Er hat auch nicht kapituliert, als die römische Republik dem pseudobonaparteschen Banditenstreich erlag. Er faßte den kühnen Entschluß, sich mit den Trümmern seiner Legion quer durch Italien zu schlagen, Franzosen, Neapolitanern und Österreichern zum Trotz, um, wo möglich, dem belagerten Venedig eine Verstärkung zuzuführen. Er machte seinen Waffengefährten kein Blendwerk vor, als er sie einlud, das verzweifelte Abenteuer zu wagen. Er sagte schlichtwahr zu ihnen: »Wer mir folgen will, dem biete ich Mühseligkeiten, Hunger, Durst und alle Gefahren des Krieges.« Etliche Tausende folgten ihm, und er rettete sie auf den Felsen von San Marino.

Das war freilich nicht »opportunistisch« gesprochen und gehandelt, dafür aber heldisch, und am Ende aller Enden machen doch nicht die Opportunisten, sondern nur die Helden Geschichte.

3.

Die Präliminarien von Villafranca (11. Juli 1859), denen der Friedensschluß von Zürich (10. November) als eine bloße Formalität nachhinkte, hatten Italien unfertig, in Verwirrung und Gereiztheit gelassen. Der meineidige Dezembermann in den Tuilerien glaubte ein wahres Wunderwerk von schlauer Staatskunst zuwege gebracht zu haben, als er nach den Tagen von Magenta und Solferino jählings einen Frieden schloß, der die Österreicher im Festungsviereck und in Venedig, den Flüche speienden Pius in Rom, den König Bomba in Neapel ließ, die Despoten Mittelilaliens auf ihre Thrönlein zurückzuführen versprach und alle diese widerhaarigen Elemente mit dem widerhaarigsten, dem um Mailand vergrößerten konstitutionellen Piemont, in eine italienische Konföderation zusammenbinden wollte. Ein absurder Gedanke, der lächerlich gewesen wäre, falls er nicht zu dumm war, um komisch sein zu können! Der Aushecker dieser Absurdität wähnte, damit drei Fliegen mit einem Schlage getroffen zu haben. Er glaubte erstens, mittels Schaffung dieser Mißgeburt von einem geeinten Italien sich vor der Wiederholung einer Orsinischen Bombenmahnung gesichert zu haben. Er glaubte zweitens, den Papst und somit auch die französische Klerisei aufs neue und fest sich verpflichtet zu haben. Er glaubte drittens, der Selbstsucht Frankreichs eine wirksame Schmeichelei dargebracht zu haben, indem er Italien so zerrissen und ohnmächtig ließ, wie es vorher gewesen. Man weiß ja, daß es von jeher das Dogma aller französischen Parteien war und bis zur Stunde blieb, Frankreich müsse schlechterdings ein zerstückeltes und machtloses Deutschland und ein zerrissenes und ohnmächtiges Italien zur Seite haben, um sich in aller Bequemlichkeit als » la grande nation« aufspielen zu können.

Nun aber geschah wieder einmal etwas in der Welt, was den Beweis erbrachte, daß der Gedanke doch mächtiger ist als die materielle Gewalt, die Begeisterung weiser als die List und die Kraft des von einem großen Wollen und Wagen erfüllten Gemüts stärker als alle Fädengespinste und Maschenknüpfungen der Diplomatie. Ein Realpolitiker würde nie zu denken gewagt haben, was der Idealpolitiker Garibaldi im Jahre 1860 kurzweg tat, indem er nach Sizilien jene »Tausend von Marsala« führte, die in ihrer Art ein nicht minder ehrenvolles Gedächtnis in der Geschichte für immer sich gestiftet haben als vordem die dreihundert Spartaner des Leonidas.

Grollend über die Abmachung von Plombières, wo Cavour Savoyen und Nizza an den Kaiser der Franzosen verschachert hatte, um dessen Beistand gegen Österreich zu erlangen, war Garibaldi aus dem Turiner Parlament weggegangen. Er war dort überhaupt nicht an seinem Platze gewesen. Männer der Tat scheinen überhaupt nicht an ihrem Platze zu sein in diesen Versammlungen, die ja namentlich während des letzten Jahrzehnts, als wären sie mit Blindheit geschlagen, so eifrig daran gearbeitet haben, das Ansehen und die Geltung des Parlamentarismus in den Augen der Völker abzuschwächen oder ganz zu ruinieren. Es gilt dies ausnahmslos von allen Parlamenten. Jammerselig kleinliches Parteigezänk, leichtfertige Gesetzefabrikation und uferlose Rederei haben diese Anstalten so herabgebracht, daß es begreiflich wird, wenn Leute, welche weder zu den dummen noch zu den rückschrittlichen gehören, nachgerade zu der Meinung gekommen sind, es wäre für die Völker kein Unglück, wenn diese Paradeplätze der Zungenvirtuosität, der Grundsätzeverlotterung, der Eitelkeit, der Strohdrescherei und des Ränkespiels für eine Weile zugesperrt würden – falls eben nur der ungeheure Dampfkessel, 19. Jahrhundert geheißen, des Schwatzventils entbehren könnte.

Das Jahr 1882 hat Enthüllungen gebracht, die ein helles Licht werfen auf die eigenartigen und wohltuenden Beziehungen zwischen Garibaldi und dem König Vittorio Emanuele, welchem Italien so großen Dank schuldet. Der König-Ehrenmann (» il re galantuomo«), wie ihn Garibaldi zu nennen pflegte, hatte in seinem Wesen manche Ähnlichkeit mit diesem. Vor allem die, daß auch ihm Italien über alles ging. Nur kleine Seelen konnten die Meinung aussprechen, der König sei durch eine kleinlich-ehrsüchtige Hauspolitik geleitet und getrieben worden. Er war vielmehr ein italienischer Patriot, wie einen solchen Italien unter seinen Fürsten noch niemals gesehen hatte. Als zu Anfang des Jahres 1860 Garibaldi von dem Cavourschen Schachergeschäft zu Plombières erfuhr, schrieb er am 17. Januar aus Fino nach Turin an den Obersten Türr: »Haben Sie die Güte, Seine Majestät zu fragen, ob die Abtretung Nizzas an Frankreich eine beschlossene Sache sei! Diese Frage wird von meinen Mitbürgern« – Garibaldi war bekanntlich 1802 in Nizza geboren – »in dringender Weise an mich gerichtet. Antworten Sie sofort durch den Telegraphen! Ja oder Nein!« Türr begab sich ins Schloß und suchte eine Audienz nach. Der König, unpäßlich, empfing ihn im Bette liegend, mit aufgekrempelten Hemdsärmeln. Er ließ sich den Brief Garibaldis geben, las ihn und sagte, die scharfen Augen auf Türr geheftet: »Durch den Telegraphen? Ja oder Nein? Sehr gut!« Dann nach einer kurzen Pause: »Nun denn, Ja! Aber sagen Sie dem General: Nicht allein Nizza, sondern auch Savoyen! Und wenn ich mich entschlossen habe, die Heimat meiner Ahnen, den Stammsitz meines Geschlechts dahinzugeben, so wird er sich wohl bequemen können, den Ort zu verlieren, wo er geboren ist.« Endlich, nach einer abermaligen Pause, sagte der König noch in schmerzbewegtem Ton: »Ja, es ist ein grausames Geschick, daß ich und er für Italien das größte Opfer bringen müssen, das man von uns verlangen kann.« Italien hat bekanntlich seit 1850 viel Glück, außerordentlich viel Glück gehabt: sein größtes aber war, daß es zu gleicher Zeit einen Garibaldi, einen Cavour und einen Emanuel besaß.

Die unmittelbaren Folgen des Friedens von Zürich zeigten die angebliche Staatskunst Napoleons III. in ihrer ganzen Nichtigkeit auf. Es folgte dann der frevelhafte Schwindel des mexikanischen Abenteuers, um den Anfang vom Ende der pseudobonaparteschen Herrlichkeit zu markieren. Die Zustände in Italien waren unleidlich. Die Bestimmungen des Züricher Friedens flatterten als wertlose Papierfetzen im Winde. Von dem Spottgebilde eines italienischen Staatenbundes keine Rede! Die Bevölkerungen von Mittelitalien fielen mittels feierlicher Volksbeschlüsse dem König Viktor Emanuel zu, und die von Unteritalien und Sizilien lechzten nach Erlösung aus bourbonischer Pein. Die im Vatikan arbeitende Flüchespritze goß nur Öl in das Feuer nationaler Begeisterung. Dieses Feuer im geheimen zu schüren, war der im Januar 1860 nach kurzer Unterbrechung wieder ans Piemontesische Staatsruder zurückgekehrte Cavour eifrig bemüht. Zugleich wußte der große Minister dem Despoten in den Tuilerien, welcher Italien noch immer unter seiner Hand zu haben wähnte, ein Beschwichtigungsgaukelspiel von vollendeter Meisterschaft vorzumachen. Der Sohn der Hortense Beauharnais, den in den Tagen seiner Macht so viele feile Zungen und Federn für ein politisches Genie ausgegeben haben, war dazumal gerade so der Narr Cavours, wie er etliche Jahre später der Narr Bismarcks gewesen ist.

Aber alle diplomatische Kunst hätte doch nicht ausgereicht, der aufs höchste gespannten Lage eine entschiedene und entscheidende Wendung zu geben. Es war wieder einmal ein Draufgänger vonnöten, ein Knotenzerhauer, und der kam im April 1860 von seiner Ziegeninsel nach der Villa Spinola unweit von Genua herüber. Diese Villa wurde das Hauptquartier zur Rüstung des Unternehmens, im Verlaufe dessen der Stern Garibaldis zu seiner Zenithöhe hinanstieg. Hier sammelten sich um den General alle die aus früheren Kämpfen mit dem Leben davongekommenen Führer der Rothemden, die Bertani, Stocco, Bixio, La Masa, Cairoli, Crispi und manche andere. Es kam auch der Ungar Türr, etwas später der Deutsche Rüstow. Die Mannschaften eilten in kleinen Trupps, um Aufsehen zu vermeiden, herbei, viele der besten Männer und Jünglinge Ober- und Mittelitaliens, fast lauter gediente und erprobte »Bersaglieri«, und bald war das »Tausend« voll. Nach Sizilien sollte die kühne Kriegsfahrt gehen. Dort sollte der Hebel angesetzt werden zum Sturze des Bourbonenthrons in Neapel, zur Vernichtung der Priesterherrschaft in Rom, zur vollen Lösung der italienischen Einheitsfrage, zur endlichen Verwirklichung der stolzen Losung von 1848: » Italia farà da sè« (Italien wird es aus eigenen Kräften machen).

Es steht fest, daß Garibaldi sein kühnes Wagnis hätte weder vorbereiten noch durchführen können, wenn die Turiner Regierung es nicht stillschweigend gebilligt und so der italienische »Nationalverein«, also die konstitutionell-monarchische Partei, das Unternehmen nicht ausgiebig unterstützt hätte – selbstverständlich in der Meinung und Absicht, daß die Sache zum Vorteil der Monarchie ausschlagen sollte und müßte. Cavour wußte demnach um alles. Die ihm zugeteilte Rolle in diesem neuen Aufzug des Dramas der italienischen Bewegung war sicherlich eine ungeheuer schwierige. Er sollte den anerkannten Bannerherrn des italienischen Republikanismus in einem Unternehmen, das hochrot den republikanischen Stempel trug, gewähren lassen, ja sogar unterderhand fördern. Zugleich aber sollte er sich fertigmachen, im gegebenen Augenblick mit überlegener Macht einzugreifen, um die von Garibaldi erlangten Erfolge zum Vorteil der Monarchie auszubeuten und überhaupt der ganzen Sache eine nationale zwar, aber entschieden monarchisch-dynastische Wendung zu geben. Endlich mußte er gleichzeitig den ganzen Apparat diplomatischer Kniffe und Pfiffe, worüber er verfügte, in Anwendung bringen, um den Argwohn des Verbrechers vom 2. Dezember einzulullen, wenigstens so weit, daß Frankreich von einer tatsächlichen Einmischung in den Gang der Dinge auf der apenninischen Halbinsel abgehalten werden könnte.

Erfolganbeter haben natürlich den Minister um dieses Doppel- oder Tripelspiels willen gepriesen, weil es eben Erfolg hatte. Altfränkische Menschen jedoch, welche des bescheidenen Dafürhaltens sind, daß es nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Leben etwas wie Moral geben sollte, werden es sehr begreiflich finden, daß die Papalini, die Borbonici und die Austriaci in ganz Italien den ministerlichen Doppel- und Tripelspieler keineswegs einen » gran uomo«, wohl aber einen » gran birbante« nannten. Mit Garibaldi war es etwas ganz anderes. Von dem wußte alle Welt, daß er kein doppeltes Spiel spielte. Der ging nicht im Zickzack, sondern geradeaus. Da es kein Italien geben konnte, sei es ein Reich Italien oder eine Republik Italien, solange der Thron der Bourbons in Neapel und der Stuhl Petri in Rom stand, so mußten seiner Meinung zufolge diese beiden hinderlichen Möbel umgeworfen, zerschlagen und weggeschafft werden. In Stunden kühnsten Hoffens mochte sich der General wohl auch mit der Vorstellung tragen, daß die Erschütterung, welche der Sturz dieser beiden Thronstühle hervorbringen würde, gewaltig genug wäre, um noch einen dritten ins Wanken und zum Fallen zu bringen, den des nachgemachten Bonaparte an der Seine, auf welchen Garibaldi mit nicht geringerem Abscheu blickte, als mit welchem etwa in Alt-Eran strenge Ormuzdbekenner auf den Ahriman und seine Dews hingesehen hatten.

Übrigens ist auch behauptet worden, Cavour hätte das sizilische Abenteuer des großen Freischärlers nur darum unterderhand unterstützt, weil er gehofft hätte, der unbequeme Idealpolitiker würde in diesem Abenteuer zugrunde gehen. Ein auch nur halbwegs bindender Beweis für diese Behauptung ist aber nicht beigebracht worden, und Cavours zweifelloser Patriotismus verbietet, daran zu glauben. Dagegen ist erwiesen, daß Garibaldi wenigstens stillschweigend damit einverstanden war, es müßte die nach vielen Weiterungen zwischen der republikanischen und der monarchischen Partei vereinbarte Losung des Unternehmens sein: »Das Italien der Italiener, geeint unter der konstitutionellen Krone Viktor Emanuels!«,und Cavour wußte dafür zu sorgen, daß diese Losung eingehalten und verwirklicht wurde.

Der Verlauf des großen Abenteuers von 1860 ist bekannt. In der Nacht vom 5. auf den 6. Mai schiffte sich Garibaldi im Hafen von Genua auf zwei, zum Schein gewaltsam weggenommenen Dampfern mit seinem »Tausend« – eigentlich 1067 – ein, und am 11. Mai landete er zu Marsala an der Westküste Siziliens. Drei Tage später erklärte er sich zum Diktator der Insel »im Namen Viktor Emanuels, des Königs von Italien«. Auf dem Marsche gen Salemi begrüßte ihn ein begeisterter Mönch, Pantaleone, als den Erlöser seines Heimatlandes, geradezu wie einen Heiland und Messias. Es muß überhaupt als denkwürdig hervorgehoben werden, daß auf Sizilien die niedere Weltpriesterschaft und die Mönche ganz entschieden für die nationale Sache eintraten. Die meisten der sizilischen Freischarenbanden, die zur Fahne des Diktators eilten, wurden von Mönchen und Pfarrern geführt. Auch anderwärts hat ja die Geschichte der Umwandlung Italiens eine stattliche Reihe von Beispielen geliefert, daß italienische Priester das Vaterland über die Kirche zu stellen wußten, und einer der edelsten Blutzeugen für die Sache der Einheit und Freiheit Italiens war jener Priester Ugo Bassi, welcher 1849 Rom gegen die Franzosen verteidigen half und den dann beim Rückzug nach San Marino die Österrreicher fingen und erschossen.

Am 15. Mai jagte Garibaldi bei Calatafimi die erste ihm entgegengestellte neapolitanische Truppenschar in die Flucht. Am 6. Juni war Palermo in seiner Gewalt. Am 28. Juli kapitulierte Messina. Am 19. August fuhr der General mit 5000 Mann über die Meerenge von Kalabrien. Am 21. hatte er Reggio. Das bei Salerno stehende Heer König Franz' II. lief vor dem »Roten Teufel« davon. Am 1. September brach Garibaldi von Cosenza gegen Neapel auf. Am 6. floh der Bourbon aus der Hauptstadt. Am 7. hielt der »Rote Teufel« seinen Triumpheinzug unter einem so wahnsinnigen Volksjubel, wie er nur am Fuße des Vesuvs ausbersten kann.

Dieser 7. September 1860 war der eigentliche Höhe- und Glanztag in Garibaldis Dasein. Auf so einer Höhe und in solchem Glanze lange sich zu halten, ist aber dem Menschen nicht gegeben. Von jenem Tag an ging die Laufbahn des Generals nicht mehr aufwärts, sondern abwärts. Den Bourbonenthron in Neapel hatte er umgeworfen, aber sein Vorsatz, auch den Stuhl Petri in Rom umzustürzen, blieb eine Phantasie. Den staatsmännischen Forderungen der Lage zeigte er sich nicht gewachsen. Sein Talent für die Organisation und den Betrieb des Zivildienstes war gleich Null. Berufene Urteiler haben auch gemeint, Garibaldi wäre zwar groß im kleinen Kriege gewesen, aber klein im großen. Eine Armee von 100 000 oder auch nur von 50 000 Mann zu führen – wohlverstanden einem tüchtigen Gegner gegenüber – sei weit über sein Vermögen gegangen. Die überlegene Geisteskraft und Geschicklichkeit Cavours hat er tatsächlich zugestanden und anerkannt. Denn er machte ja keinen Versuch, zu verhindern, daß der piemontesische Minister in seiner Art das von Garibaldi heroisch angefangene Unternehmen diplomatisch und militärisch zu Ende brachte. Die Einheit Italiens war hergestellt, Rom und Venedig ausgeschlossen. Das blieben freilich zwei offene und schmerzhafte Wunden, wie an dem neuen italienischen Staatskörper, so in der Seele Garibaldis, und man kann sich leicht vorstellen, welchen bitteren Groll er in sich bemeistern mußte, bevor er die Stimmung fand, so herzlich, wie er tat, den ihm auf der Walstatt am Volturno begegnenden Viktor Emanuel als » Re d'Italia« zu begrüßen. Dann kehrte er arm, wie er gekommen, mit leeren und reinen Händen nach seinem Eiland Caprera zurück, er, dem als Diktator Siziliens und Neapels die Reichtümer dieser Länder monatelang zur Verfügung gestanden hatten.

Und nun begannen Alter und Krankheit ihre traurigen Rechte an dem Manne geltend zu machen, für dessen Ruhm es gut gewesen wäre, wenn er nach seiner Heldenfahrt von 1860 gestorben wäre. Es war ihm ja nur noch gegeben, Mißgriffe zu tun und Fehlschläge zu erleben: Aspromonte, Stelvio, Mentana. Dann die Torheit der Torheiten, aus Gründen der Vernunft, der Sittlichkeit und der Politik gleich verwerflich, die Narrenfahrt nach Frankreich i. J. 1870, zum Dank dafür, daß die Deutschen soeben den Italienern die ihnen durch die Franzosen so lange versperrten Tore Roms von Sedan her aufgeschlossen hatten. Auch sonstige Altersschwächen des Alten von Caprera machten sich unangenehm bemerkbar. So seine mehr oder weniger absonderlichen mündlichen und schriftlichen Stilübungen, so seine hetzenden Zurufe an die italienischen Republikaner, während er sich doch von der italienischen Monarchie eine Jahrespension von 100 000 Lire gefallen ließ.

Aber alle diese Mängel, Schwächen und Fehle waren weggewischt aus dem Gedächtnis der Menschen, als der elektrische Draht über uns um den Erdball die Botschaft blitzte, daß Garibaldi am 2. Juni 1882 in seinem bescheidenen Haus auf Caprera gestorben sei. Da wurde offenbar, daß die Gesellschaft von heute doch auch Stunden hat, wo sie noch an etwas Besseres glaubt als an den allmächtigen Kurszettel. Man fühlte, daß ein großer und guter Mann dahingegangen war. Ja, Freunde und Feinde fühlten so. Es gereichte einem italienischen Hauptorgan der päpstlichen Kurie, der » Voce della Verità«, wahrlich nur zur Ehre, daß sie dem Papstbekämpfer diesen Nachruf widmete: »Mit Garibaldi verschwindet einer der größten Männer der Revolution, einer der größten Gegner des Papsttums. Wir beugen die Stirn vor der Majestät des Todes und erinnern uns der Worte des göttlichen Lehrers: ›Liebet eure Feinde!‹ Wenn Garibaldi der heftigste Feind der Kirche gewesen, so war er zugleich auch der loyalste. Er bekämpfte die Kirche mit offenem Visier und kannte keine Heuchelei.« Von allen Huldigungen aber, die dem lebenden und dem toten Helden dargebracht worden sind, dürfte wohl die edelste jene Ode sein, die ihm der genialste Poet, den Italien seit dem Hingange Manzonis, Leopardis und Giustis vorgeschickt, Giosuè Carducci, geweiht hat …

»Fern vom gemeinen Kreise der Seelen ruft
Dich die Geschichte strahlend zu jenen Höhn,
Zu jenem fleckenlosen Kreise,
Unter des Vaterlands heimische Götter.

Du kommst, und Dante spricht, zum Vergil gewandt:
›Wir haben niemals edleres Heldenbild
Ersonnen.‹ Livius sagt lächelnd:
›Er ist geschichtlichen Stamms, o Dichter!

Die zähe Kühnheit dieses Liguriers
Gehört Italiens Bürgergeschichte an;
Sie ruht im Rechte, strebt nach Hohem,
Und sie verklärt sich im Idealen.‹«

Ja, das ist's! Im Idealen hat Giuseppe Garibaldi gelebt und gewebt. Der Glaube an das Ideal, der seine selbstlose Seele bis in die letzte Falte füllte, war seine Stärke. Er war, was Goethe mit einem jener Worte, wie nur er sie zu finden wußte, bezeichnen und kennzeichnen wollte, eine » Natur« – eine wahre und wirkliche Heldennatur. Unter ihm lag tief, wie unter unserm Helden Schiller, »in wesenlosem Scheine das Gemeine«. Sein Tod hat eine ungeheure Lücke gerissen. So weit ich überallhin die Blicke schweifen lasse, ich sehe keinen, der ihn ersetzen könnte.


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