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Der »grause« Zar

Oh, du grauser Zar, Iwan Wassiljéwitsch!
Von dir schufen wir unser helltönend Lied,
Wir schufen es im Tone der alten Zeit,
Wir sangen es zur Gussli, der hellklingenden,
Wohl oft sangen wir es, oft wiederholten wir's
Zur Lust, zum Ergötzen des rechtgläubigen Volkes.

Lermontow (deutsch v. Bodenstedt).

1.

Am 19. März 1585 war die Stadt Moskau von großem Wehklagen voll. Wer auf den Straßen erschien, vornehm und gering, der Bojar wie der Muschik, trat in tiefer Trauer einher. Das Volk lief herum, weinend, schluchzend, ganz verstört, wie wahnsinnig. Männer zerrauften sich das Haar, Weiber zerschlugen sich die Brust. In den Cerkwien (Kirchen) drängte sich die Menge, Gebete stammelnd, Klagelieder heulend. Als stöhnte die »weiße« Stadt selbst, die »heilige Matuschka« Moskau aus in tiefster Seelenpein, scholl überall der Schmerzensschrei: »Weh uns Armen! Was soll aus uns werden? Unser gutes Väterchen, der Zar Iwan, des Wassilji Sohn, ist tot!«

So wurde der betrauert und – wohlverstanden! – ganz zweifellos aufrichtig von seinem Volke betrauert, welcher ohne Frage der scheuseligste Tyrann gewesen, den der Erdball je getragen hat, ja geradezu ein zum zweitenmal nicht vorhandenes Schauderexemplar von Menschenbestie, Iwan IV., vom moskowitischen Volkslied mit scheuer Ehrfurcht genannt der »grause« Zar, im Buch der Geschichte Rußlands blutstarrend stehend als der »Grausame«, der »Schreckliche«.

Schon seinen Zeitgenossen, d. h. seinen nichtrussischen Zeitgenossen, erschien der grause Zar als etwas noch nie Dagewesenes. So schrieb der Kanzler von Polen, Graf Zamoiski, im Jahre 1579, Iwan der Schreckliche überböte alle Tyrannen, welche jemals gewütet hätten, an Grausamkeit. In späterer Zeit hat ein Landsmann dieses Urteilers, Adam Mickiewicz, der genialste Dichter und Sohn, den die slawische Rasse bislang vorgeschickt, in seinen am Collège de France 1840 gehaltenen Vorlesungen seine Betrachtungen über den Zaren zusammengefaßt in die Äußerung: »Iwan der Grausame war unfehlbar der vollendetste Tyrann von allen der Weltgeschichte bekannten. Er vereinigte in sich alle Spielarten oder, besser gesagt, er besaß eine besondere Gabe, eine ungemeine Leichtigkeit, der Reihe nach alle Spielarten der Tyrannei sich anzueignen. Jetzt erschien er frivol und ausgelassen wie Nero, dann wieder finster, stupid und wild wie Caligula. Mitunter zeigte er sich in Miene und Haltung so phlegmatisch-kalt wie Ludwig XI., ein andermal gebrauchte er in seinen Briefen die Redewendungen des Tiberius. In seinen mündlichen und schriftlichen Auslassungen kann man da das weitschweifige und verworrene Hin- und Herreden eines Cromwell, dort den schneidigen, aber überzuckerten Stil eines Robespierre finden.«

Mickiewicz legte sich auch die Frage vor, woraus sich wohl die unzweifelhafte Popularität erklärte, die der grause Zar bei seinem Volke genossen und die so groß gewesen, daß bei seinem Tode sogar die Familien seiner zahllosen Opfer aufrichtig um den Wüterich getrauert hätten, und der große polnische Poet fand auf diese Frage nur die Antwort, der Pöbel zeige immer Hang zur Grausamkeit, liebe die blutigen Schauspiele, sei unfähig, eine andere Kraft als die vernichtende zu würdigen, und zolle nach Maßgabe der eigenen Niederträchtigkeit dem Vernichtungsprinzip Vergötterung.

Daran ist schon etwas Wahres, viel sogar. Aber es geht doch wohl nicht an, das gesamte russische Volk am Ausgang des 16. Jahrhunderts in allen seinen Abstufungen und Schichten ohne weiteres für eine Pöbelmasse auszugeben. Selbst zugestanden, daß die politischen und sozialen Zustände Rußlands damals im Vergleich mit den gleichzeitigen mittel-, west- und südeuropäischen noch erzbarbarische gewesen seien, wäre eine solche Annahme unstatthaft. Wir müssen uns daher nach einer anderen Erklärung des absonderlichen Phänomens umsehen.

Da ist der russische Historiker Karamsin, der es zur Zeit Alexanders I. unternahm, zum erstenmal eine auf Quellenforschung beruhende Geschichte seines Landes im großen Stile zu schreiben, – ein für die damalige Zeit vortreffliches Werk, das aber der höfisch-geschmeidige Mann nur bis zum Aufkommen der Dynastie Romanow herabzuführen aus naheliegenden Gründen für geraten fand. Darüber, was vor den Romanows in Rußland geschehen war, hat er sich mit allem Freimut ausgesprochen. Darum auch über den »Schrecklichen«. Und zu welchem Ergebnis kam er? Wie erklärte er es, daß die Russen eine so beispiellose Greuelherrschaft nicht nur mit einer ebenso beispiellosen Geduld ertrugen, sondern auch das Ende der Marter mit aufrichtigem Schmerze beklagten? Streng und strikt im Geiste des Zarismus erklärte er es, und daraus ist zu ersehen, daß dieser Geist selbst den gebildetsten Russen ins Fleisch und Blut übergegangen war. »Die Geduld von Iwans Untertanen«, sagt Karamsin, »hatte keine Grenzen. Denn sie sahen ja die Herrschaft des Zaren für die Herrschaft Gottes an und hielten jeglichen Widerspruch für eine Übertretung des göttlichen Gesetzes. Sie zwar gingen dabei zugrunde, aber sie retteten für ihre Nachkommen die Macht Rußlands; denn in der Stärke des Volksgehorsams besteht die Kraft des Reiches.«

Hat nun der moskowitische Geschichtschreiber damit weiter nichts beabsichtigt, als eine Glorifizierung des Despotismus auf dieser und der Sklavenhaftigkeit auf jener Seite? Oder wollte er etwas andeuten, was spätere Historiker deutlicher ausgesprochen und weiter ausgeführt haben? Nämlich, der grause Zar sei nicht bloß um der Grausamkeit willen grausam gewesen, sondern auch aus Berechnung. Er habe sich nicht nur aus Wollust an den unerhörten Qualen geweidet, die er seinen Mitmenschen einzeln und in Masse antun ließ, sondern auch aus Politik. Der Wahnwitzige – denn für einen solchen würden Irrenärzte, Geschworene und Richter unserer Tage den grausen Zaren selbstverständlich ausgeben – sei nur scheinbar ein solcher, in Wirklichkeit aber ein Systematiker des Schreckens gewesen, ein vorweggenommener Saint-Just sozusagen. In Iwans Wahnsinn wäre demnach, wie in dem Hamlets, Methode gewesen und seine blutdürstige Raserei hätte den »Principe« Machiavellis in Szene gesetzt, obwohl es höchst unwahrscheinlich, daß dem »Schrecklichen« der Name des florentinischen Staatssekretärs oder der Titel von dessen »wie mit Teufelsfingern geschriebenem« Buch jemals zu Ohren gekommen. Schade übrigens, daß der große Florentiner den grausen Zaren nicht erlebt hat. Hätte er ihn erlebt und sein Regiment erkannt, so müßte »das Buch vom Fürsten« eine wesentliche Bereicherung erfahren haben.

Es darf als geschichtlich feststehend angesehen werden, daß eine wilde Leidenschaft der Grausamkeit den »Schrecklichen« zu vielen seiner Untaten getrieben hat. Die Lust am Bösen, als an solchem, war unbändig stark in ihm. Das Ächzen und Röcheln Gemarterter war Musik in seinen Ohren, und das von Schafotten strömende Menschenblut brachte seinen Augen Erquickung. Aber geschichtliche Tatsache ist auch, daß der vierte Iwan dem moskowitischen Zarismus die Form und Norm gegeben hat, welche stehend geblieben ist, bis der zarische Revolutionär Peter, genannt der Große, auftrat, um dem asiatischen Moskowitertum die eiserne Zwangsjacke der europäisch-zivilisierten oder wenigstens europäisch-dressierten Autokratie anzutun. In mehr als einer Hinsicht konnte übrigens der Iwan dem Peter zum Vorbilde dienen. Beide waren Schreckenssystemler. Peter allerdings der geschultere, wissendere und folgerichtigere. Er handhabte sein Schreckenssystem mit klarem Zweckbewußtsein, während sein Vorgänger mehr nur instinktmäßig verfahren war.

Eine genaue Prüfung erweist jedoch diesen Instinkt auch als einen auf ein bestimmtes Ziel gerichteten. Das war kein anderes als die Geltendmachung des zarischen Willens als des Alleinwillens in Rußland. Darum ging Iwan darauf aus, das Ansehen und die Macht der beiden vermöge großen Grundbesitzes und sonstiger Reichtümer unabhängigen Stände, also des Bojarentums und der hohen Klerisei, vollständig zu brechen und die ganze Existenz der Aristokratie und der Hierarchie von der zarischen Gnade oder Ungnade abhängig zu machen. Diese Absicht klingt bald mehr, bald weniger deutlich als der Grundbaß aus dem infernalischen Konzert der Regierung des »Schrecklichen«. Sie kann auch, mit Ernst Herrmann, dem deutschen Geschichtschreiber des russischen Staates, zu sprechen, »einerseits eine so unerhörte Energie der Grausamkeit und anderseits die Möglichkeit der Durchführung erklären«, weil eben der herrscherische Einzelwillen mit einen allgemeinen, ob auch noch so despotischen Staatszweck zusammenfiel. Und auch die Popularität des grausen Zaren mag sich daraus erklären. Die knechtische Menge fühlte sich, sozusagen, geschmeichelt, daß ihr bluttriefender Herr nicht allein die geringen Leute peinigte und vernichtete, sondern auch und noch lieber die vornehmen, die großen und reichen.

Daß Iwan das Ziel, worauf sein wilder Instinkt sich richtete, wirklich erreichte, untersteht gar keinem Zweifel. Er war es, der an die Stelle der alten Groß- und Teilfürstensessel den Zarenthron setzte. Er war der erste ganze, fertige, regelrechte Zar, wie er denn auch diesen Titel, den allerdings schon sein Vater und sein Großvater neben dem großfürstlichen zeitweilig geführt hatten, für die Inhaber der höchsten Gewalt über Rußland zum bleibenden und ausschließlichen machte. Charakteristisch genug war »Zar« ein reinasiatischer Titel. Er bezeichnte einen Gebieter, der keine über der seinigen stehende Gewalt und ebensowenig nach unten zu irgendeine Schranke seines Willens anerkannte. Zarismus bedeutet also Souveränität im allerbarbarischsten Sinne des Wortes. Darum hatten die Herrscher der Mongolen-Tataren, deren Knechte die Moskowiter zwei Jahrhunderte lang gewesen, die Khane der »Goldenen Horde«, den Titel »Zaren« geführt. In Peter dem Großen regte sich dann aber, wie bekannt, der Europäismus so kräftig, daß er nicht mehr Zar, sondern Kaiser aller Russen heißen wollte.

Und nun laßt uns den »Schrecklichen« und sein Tun etwas näher ansehen.

2.

Iwan war ein Kind von drei Jahren, als sein Vater, der Großfürst Wassilji, im Dezember 1533 zu Grabe ging. Der Knabe folgte dem Toten im Zarentum oder, genauer gesprochenen, im moskowitischen Großfürstentum, weil, wie schon erwähnt worden, erst dieser vierte Iwan den Titel »Zar« zum stehenden machte.

Mit der Legitimität des dreijährigen Großfürsten hatte es freilich nicht nur ein Häkchen, sondern einen richtigen Haken. Sein Vorgänger Wassilji hatte seine erste Gemahlin Salome nach zweiundzwanzig Jahren einer kinderlosen Ehe in ein Kloster verstoßen und ihr gewaltsam den Nonnenschleier umbinden lassen. Der Lehre griechisch-russischer Rechtgläubigkeit zufolge hätte er nun ebenfalls ins Kloster gehen sollen, zog es aber vor, zu einer zweiten Ehe zu schreiten, und zwar mit Helene, der Nichte des aus Litauen nach Rußland verzogenen Fürsten Glinski, einer schönen, aber keineswegs im Geruche der Heiligkeit stehenden jungen Dame. Auch diese großfürstliche Ehe schien unfruchtbar bleiben zu wollen. Nachdem aber die schöne Großfürstin viele Wallfahrten getan und in verschiedenen heiligen Klöstern große Gelübde erfüllt hatte, gebar sie nach fünf Jahren im August 1530 ihren Sohn Iwan. In Moskau ging das Gemurmel um, weder die getanen Wallfahrten noch die erfüllten Gelübde hätten das glückliche Ereignis herbeigeführt, sondern vielmehr der junge Knäs (Fürst) Iwan Owtschina-Telepnew-Obolenski, mit welchem die Großfürstin nach dem Tode ihres Gemahls allerdings in einem geradezu skandalhaften Liebesverhältnis stand. Wassilji hatte jedoch seine Gemahlin nicht beargwöhnt und die Echtheit des Prinzen Iwan nicht angezweifelt. Sonst hätte er, als es ans Sterben ging, die Großfürstin nicht zur Vormünderin Iwans und während der Minderjährigkeit desselben zur Regentin des Reiches bestellt. Freilich blieb wie zur Beihilfe, zur Zügelung und Überwachung dieser weiblichen Reichsregentschaft der Bojarenrat bestehen, in welchem die Häupter der hohen Aristokratie sowie besonders verdiente Staats- und Kriegsmänner Sitz und Stimme hatten. Dieser Bojarenrat stellte also im allrussischen Zarentum so ungefähr das vor, was im neurussischen Kaisertum der Senat bedeutete. Die Regentin kümmerte sich jedoch wenig um die ihr gesetzte Schranke, sondern vergewaltigte mit Hilfe ihres Liebhabers Obolenski, der ebenfalls dem Bojarenrat angehörte, diese Behörde nach Belieben und herrschte leichtsinnig und willkürlich bis zum Jahre 1538, wo die allgemein Verhaßte plötzlich starb. Wie es hieß, an Gift. Dabei ist als sehr charakteristisch zu erwähnen, daß das urväterlich-barbarische Bartrussentum an der Witwe Wassiljis viel weniger ihren lockeren Lebenswandel als ihre Vorliebe für »westliche«, d. h. europäische Bildung getadelt und gehaßt hat. Man sieht, nicht erst der »Panslawismus« des 19. Jahrhunderts hat im Zarenreiche den Kulturhaß aufgebracht und gepredigt.

Nach Helenes Tod bemächtigte sich der Bojarenrat der Herrschaft und der Person des jungen Iwan, d. h. die verschiedenen Fraktionen der hohen Aristokratie zerrten den Knaben zwischen sich hin und her. Der Knäs Telepnew-Obolenski behauptete den Besitz des Prinzen, der ja für seinen Sohn galt, nicht länger als sieben Tage. Denn schon am achten wurde der Liebhaber Helenes durch den Knäs Wassilji Schuiski und dessen Anhang gestürzt und ins Gefängnis geworfen, wo er den Hungertod sterben mußte. Die Schuiskis sind dann durch die Bielskis beseitigt worden, hierauf wieder diese durch jene, weiterhin die Schuiskis durch die Glinskis – kurz, auch hier, wie anderweitig und anderzeitig so häufig, erhielt die bekannte Goethesche Quintessenz der sogenannten Weltgeschichte:

»Jeder solcher Lumpenhunde
Wird vom zweiten abgetan« –

ihren tatsächlichen Kommentar.

In solchen Trubeln, wo Brutalitäten aller Art zum täglichen Brote gehörten, wuchs der junge Großfürst auf und gewöhnte sich frühzeitig an den Anblick von Gewaltsamkeit, Blut und Schrecken. Von Versuchen, die ihm angeborenen wilden Triebe zu hindern, daß sie zu wüsten Leidenschaften auswüchsen, war gar keine Rede. Überhaupt nicht von Erziehung. Denn das Beibringen von Elementarkenntnissen und das Eintrichtern von kirchlichen Dogmen konnte doch wohl nicht so heißen. Die Herren Bojaren, die abwechselnd den Knaben bevormundeten, lachten dazu, wenn sie sahen, daß er seine Freude daran hatte, Tiere zu Tode zu martern. Bald war er ein vollendeter Jagdwüterich und überhaupt als siebzehnjähriger Junge schon ein ganzer Unhold, zu dessen Ergötzlichkeiten es gehörte, im rasenden Rosseslauf durch die Gassen von Moskau zu sprengen, Kinder, Weiber und Greise niederzureiten und das Wehgeschrei derselben zu vernehmen. Auch in anderem großfürstlichen Zeitvertreib übte er sich schon fleißig, will sagen in ekelhafter Völlerei, in wüster Unzucht und in grotesk-grausamen Späßen, wovon einer war, daß er die Bärte seiner Zechgenossen mit Spiritus begoß und dann anzündete. Mit solcher Kurzweil wechselten nicht minder groteske Übungen von Frömmigkeit, als da waren tumultuarische Wallfahrten, das Verrichten von Sakristansdiensten in den Cerkwien, das allerhöchst-eigenhändige Läuten der Kirchenglocken und anderes dieser Art mehr. Sein Leben lang hat der »Schreckliche« darauf gehalten, einen rechtgläubigen und frommen Zaren darzustellen, und er hat sich zweifelsohne ebenso aufrichtig für einen solchen gehalten, als ihn sein Volk dafür hielt. Freilich hat ihn das nicht verhindert, die Klerisei geradeso zu brutalisieren wie die übrigen Stände.

Inzwischen ging den Moskowitern eine Hoffnung auf, daß die bösen Anfänge ihres Herrn und Gebieters nur Auswüchse seiner Flegeljährigkeit gewesen seien. Denn in seinem Gebaren trat eine unverkennbare Besserung ein. Im Dezember 1546 ließ sich der junge Mann mit aller Feierlichkeit in der Kirche zur Himmelfahrt Marias zum Zaren krönen, und von dieser Krönung datiert der russische Zarismus als die bleibende Herrscherbenennung. Im Februar 1547 vermählte er sich mit der Bojarenenkelin Anastasia Romanowna, einer Sprossin desselben Geschlechts, aus welchem später nach dem Erlöschen des Hauses Rurik, nach dem Verderben des Usurpators Boris und nach Abspielung der Tragödie des falschen Dmitry die Dynastie Romanow hervorging. Es schien, daß sein junges Eheglück den Zaren für sanftere Regungen empfänglich gemacht habe. Dazu kamen dann Eindrücke und Einflüsse von anderer Seite, welche den jungen Despoten auf bessere Bahnen lenkten. Da war zuerst die furchtbare Schickung, daß Moskau durch ungeheure, im April und im Juni 1547 ausgebrochene Feuersbrünste verheert, ja zerstört wurde. Denn die ganze Stadt war ein Flammenmeer, dessen Wogen nicht weniger als 1700 Männer und Weiber verschlangen. Dann die Erscheinung eines asketischen Mönches, Sylvester geheißen, welcher, aus Nowgorod gekommen, den Zaren auf dem Hofgut Worobiewo, wohin sich Iwan aus der brennenden Hauptstadt gerettet, mit strafenden Worten antrat und mittels Entrollung von allerhand Visionen dem abergläubischen Autokraten, der eigentlich doch noch ein läppischer Junge war, die Hölle gehörig heiß machte. Endlich gewann gerade jetzt einer der besseren oder besten Hofherren des Zaren, der junge Alexei Adaschew, einen bestimmenden Einfluß auf Iwan. Die vereinten Ratschläge Sylvesters und Adaschews vermochten den Zaren, für die Zukunft gute Entschlüsse zu fassen und die Vergangenheit öffentlich zu verleugnen und zu bereuen.

Diese Verleugnung und Reuebezeigung führte einen Auftritt herbei, der in der Geschichte Rußlands – und nicht nur Rußlands – ganz einzig dasteht. Freilich ging es dabei in echtzarischem Stile zu und her. Iwan entbot nämlich Abgeordnete aller russischen Städte auf die Brandstätte von Moskau, und hier richtete er unter freiem Himmel an den Erzbischof-Metropoliten, das Haupt der russischen Geistlichkeit, angesichts der Städtedeputationen eine Rede, in der er seine Regierung, wie sie bislang gewesen, verurteilte, aber – wohlverstanden – alle Schuld von sich ab- und auf seine früheren Ratgeber hinüberwälzte. Dann fuhr er, unmittelbar an das versammelte Volk sich wendend, fort, das Geschehene wäre bedauerlicherweise nicht ungeschehen zu machen, und schloß mit der Versicherung, daß er gewillt sei, fortan gut und gerecht zu herrschen. Ein Seitenstück zu dieser zarischen Beichte im 16. Jahrhundert könnte etwa jenes »Sündenbekenntnis« abgeben, das der Herzog Karl von Württemberg an seinem fünfzigsten Geburtstag, am 11. Februar 1778, von allen Kanzeln seines Herzogtums verlesen ließ, mit dem daran gefügten Versprechen, daß er »die Zukunft einzig zum Wohle seiner Untertanen verwenden wolle und würde«. Der Herzog hat bekanntlich sein Versprechen nicht übel erfüllt, natürlich im Sinn eines »aufgeklärten« Despoten seiner Zeit. Wie der Zar sein Gelöbnis einlöste, werden wir bald sehen.

Zwar in der Zeitspanne von etlichen Jahren schien sich alles gedeihlich anlassen und entwickeln zu wollen. Der dem russischen Zarismus durch das Mongolentum eingeimpfte Ausbreitungs- und Eroberungstrieb regte sich energisch und griff nach überallhin nimmersatt aus. Rußland wuchs beträchtlich an Umfang und Macht. Das tatarische Zartum Kasan wurde 1552 erobert, ebenso wenige Jahre später das Zartum Astrachan. Schon streckte das Moskowitertum auch gegen Litauen, wie gegen die Ostseeländer und gegen das Schwarze Meer und den Kaukasus hin drohende Hände. Die spätere Regierungszeit des »Schrecklichen« sah die Eroberung Sibiriens für Rußland durch den kühnen Kosakenhäuptling Jermak.

Während so der junge russische Koloß nach außen hin seine Glieder stets weiter und weiter zu dehnen und zu recken beflissen war, machte sich im inneren Leben des Reiches eine eigentümliche Erscheinung bemerkbar. Nämlich den denkenden und einigermaßen unterrichteten Russen, also einer sehr kleinen Minderheit, wurde es in ihrer asiatischen Haut nachgerade zu eng und unbehaglich. Sie merkten, daß sie der europäischen, folglich zunächst der deutschen Bildungselemente und demnach auch der deutschen Lehrer, Bildner und Werkmeister bedürftig wären, wenn sie in den Kreis der Zivilisation eintreten und ihr Land zu einem europäischen Staat machen wollten. Auch der Zar verschloß sich, während seiner »guten« Zeit, dieser Erkenntnis nicht und tat Verschiedenes zur Herbeiziehung von fremden Kulturträgern, so daß er einigermaßen als ein Vorläufer von Peter dem Großen anzusehen ist, welcher anderthalb Jahrhunderte später das Werk der Europäisierung Rußlands freilich mit ganz anderer Energie in Angriff nahm. Wie aber das in seinem innersten und eigensten Wesen asiatisch gebliebene Stockrussentum der durch Peter unternommenen Vereuropäerung der Moskowiterei noch heutzutage unversöhnlich grollt, so erregten schon die zu Iwans des Schrecklichen Zeiten schüchtern unternommenen zivilisatorischen Versuche und Anläufe den ganzen Groll und Zorn aller Bartrussen, und der Größenwahn des Barbarismus erboste sich aufs heftigste gegen die »Heiden des Westens«. Hätte es damals schon russische Zeitungen gegeben, sie würden sich nicht weniger, aber sicherlich auch nicht mehr barbarisch-brutal gegen Deutschland, die Deutschen und alles Deutsche ausgelassen haben, als die russischen Zeitungen in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts taten. Es war dies die Heimzahlung der Kulturanleihen, von denen Rußland, als europäischer Staat betrachtet, bis dahin gelebt hatte. Jawohl, es gibt noch etwas Undankbareres als die Menschen, nämlich die Völker.

3.

Bis zum Jahre 1560 schlummerte der Dämon in dem Zaren, obwohl das Ungetüm schon 1553 ein Vorzeichen von seinem Erwachen gegeben hatte.

Da nämlich, im letztgenannten Jahre, war Iwan von einer schweren Krankheit befallen worden und hatte, dem Tode nahe, seinen nur erst halbjährigen Sohn Dmitry (den älteren) zu seinem Nachfolger bestimmt. Als aber die Bojaren dem Kinde den anbefohlenen Treueschwur leisten sollten, entstanden Weiterungen, welche dem kranken Zaren deutlich zeigten, daß es, falls er stürbe, mit dem Zartum seines Sprößlings schlecht bestellt sein würde. Das merkte sich der unverhofft wieder Genesende, und es mag sich von jetzt an langsam, aber stetig wachsend der Gedanke und Entschluß in ihm ausgebildet haben, alles niederzudrücken, zu zermalmen, zu vertilgen, was auf russischer Erde seinem zarischen Alleinwillen zu widerstreben wagte oder auch nur möglicherweise zu widerstreben wagen könnte.

Man darf sagen: jahrelang noch, bis 1560, hielt eine Frauenhand, die Hand der Zarin Anastasia, den Dämon nieder. Nach dem im August genannten Jahres erfolgten Tode dieser Beschwichtigerin sprang das Untier wütend auf. Alle die wilden Instinkte, die schon an dem Knaben und Jüngling Iwan spürsam gewesen, rasten jetzt mit verdoppelter Wut in dem Manne. Das Leben des Zaren war fortan nur noch eine, von seltenen Pausen unterbrochene Orgie der Wollust und der Grausamkeit. Er schien sich die Aufgabe gestellt zu haben, alles, was jemals die religiöse Fieberphantasie von Höllenqualen erträumt hatte, zu entsetzlicher Wirklichkeit zu machen – zu einer um so grausigeren Wirklichkeit, als die teuflischen Marterungen, die massenhaften Hinschlachtungen, sozusagen, inmitten der tobenden Bacchanale, welche den Zarenpalast erfüllten, vor sich gingen, gleichsam als notwendiges Zubehör der wüsten, ekelhaft rohen Szenen von Völlerei und Unzucht, welche den Kreml zu einer Stätte gemeinster Ausschweifung machten. Denn sofort nach dem Hingang Anastasias war die Liederlichkeit in Gestalt von Gauklern und Schnurranten aller Art, von Kupplern und Dirnen, Schmeichlern und Schmarotzern jeder Sorte in den Palast eingezogen. Auch Fürsten und Bojaren, alte und junge, wie nicht minder zu jedem Laster bereite Mönche mischten sich sklavenhaft dienstbeflissen unter diese verworfene Bande.

Der Knäs Andrei Kurbski, der Eroberer von Kasan, der geschickteste General Iwans und ein um das Reich vielverdienter Magnat, hat Denkwürdigkeiten hinterlassen, welche mit Recht für eine der Hauptquellen der Geschichte des »Schrecklichen« gelten. In diesen Denkwürdigkeiten hat ihr Verfasser das Walten und Schalten des Wüterichs treffend bezeichnet als eine »Feuersbrunst der Grausamkeit«.

Das Signal zum Aufschlagen dieser Feuersbrunst gab die plötzliche Ungnade und Verbannung der beiden bisherigen vertrautesten und einflußreichsten Berater des Zaren, des »Bettmeisters« (Oberkammerherrn) Adaschew und des Beichtvaters Sylvester. Der Zar schien durch die Erinnerung, daß er sich von diesen beiden jahrelang hatte beraten und leiten lassen, in eine sinnlose Wut hineingestachelt zu werden. Diese Wut fiel vernichtend auf die Verwandten und Freunde der Verbannten. Die Adaschews wurden geradezu ausgerottet, Männer, Weiber, Kinder. Die furchtbarste Episode in diesem Blutbade bildete der Tod von Maria Adaschew, einer um ihrer Schönheit, Tugend und Frömmigkeit willen hochangesehenen Frau. Als Hexe verklagt, welche durch Zauberkünste zur Bestrickung des Zaren durch Alexei Adaschew beigetragen hätte, wurde sie gezwungen, die Hinschlachtung ihrer fünf Söhne mitanzusehen, bevor sie selber einen qualvollen Tod erleiden mußte.

Der Tyrann begnügte sich aber nicht mit der Wegtilgung der Adaschews und ihrer Sippe. Der Tiger hatte Blut geleckt, und das schmeckte nach mehr. Als der junge Fürst Dmitry Obolenski-Owtschinin an der Tafel des »Schrecklichen« dem Buhlknaben desselben, Feodor Basmanow, zu sagen wagte: »Wir dienen dem Zaren durch nützliche und rühmliche Taten, du aber dienst ihm mit dem Laster Sodoms!«, ergriff Iwan ein Messer und stieß es dem freimütigen Manne ins Herz. Der Fürst Repnin, ein Greis, mußte sterben, weil er auf einem im Kreml veranstalteten Ball nicht tanzen wollte und es für sündhaft erklärte, eine Maske vorzustecken. Der Obmann des Bojarenrats, Fürst Wolkonski, wurde zum Hungertode verdammt. Ein Bojar, der als der schwache Trinker, der er war, sich geweigert hatte, einen großen ihm vom Zaren dargereichten Humpen zu leeren, wurde in den Keller geschleppt, wo man ihm so lange gewaltsam Met in die Kehle goß, bis er erstickte. Den Fürsten Kurletew ließ der »Schreckliche« zuerst mit Gewalt als Mönch einkleiden, dann aber mit Weib und Kindern und Sippen erwürgen.

Nach der Schuld oder Unschuld der Opfer wurde gar nicht gefragt. Scharen von Aufpassern und Angebern verklatschten heute diesen, morgen jenen, heute diese Familie, morgen jene Sippschaft beim Zaren, und der sprach dann, ohne daß die Angeschuldigten auch nur einem Verhör unterzogen wurden, die »große Acht« (Opala) über die Unglücklichen aus, d. h. das Vertilgungsedikt.

Der Schrecken fiel auf die Moskowiter wie ein Rudel Wölfe auf eine Schafherde. Von Widerstand keine Spur. Alle fühlten sich bedroht, aber nur die Mutigsten wagten, zu fliehen: so sehr hielt knechtische Furcht sie gebannt. Der Flüchtigen einer war der Knäs Alexei Kurbski, welcher sich nach Litauen in den Schutz des Königs von Polen rettete. Aus seinem Exil richtete er ein Mahn- und Warnschreiben an den Zaren, und ein treuer Knecht nahm das Wagnis auf sich, dieses Schreiben nach Moskau zu tragen und dem Zaren zu übergeben. Auf der »roten« Treppe des Palastes trat der Bote den von einem Höflingsschwarm umgebenen »Schrecklichen« an, nannte den Namen seines Herrn und überreichte den Brief. Zum Dank dafür nagelte der Zar den treuen Mann an den Boden fest.

Das ist wörtlich zu nehmen. Unter anderen niedlichen Gewohnheiten hatte nämlich Iwan auch diese, die scharfe Spitze seines schweren Stabes aus Elfenbein, den er beständig trug, solchen, die ihm Botschaften brachten, oder auch solchen, mit denen er sonst sprach, auf den Fuß zu setzen und sich mit aller Wucht auf den Stab zu lehnen, so daß die Spitze den Fuß des betreffenden durchdrang und ihn also an den Boden nagelte. Wehe dem Festgenagelten, der sich einen Schrei oder auch nur eine Gebärde des Schmerzes entwischen ließ, während sich der Festnagler an diesem krampfhaft verhaltenen Schmerze werdete. Der Bote Kurbskis ertrug die Qual ohne zu zucken, was aber den zarischen Wüterich doch nicht abhielt, den treuen Mann auf die Folterbank zu schicken, um alle etwaigen Geheimnisse des entflohenen Knäsen aus dem Armen herauszumartern. Dann setzte sich der Quäler hin, um die Klagen, Vorwürfe und Ermahnungen zu beantworten, die das Schreiben Kurbskis enthielt, und von diesem Brief des grausen Zaren könnte man allerdings vollberechtigt sagen, daß er »mit Teufelsfingern« geschrieben sei.

Die ganze höchst langwierige Epistel ist ein absonderlicher Mischmasch von Theologie und Politik, von Heuchelei und Brutalität, durchstickt mit Zitaten aus der Bibel. Hinter all den krausen Redeschnörkeln taucht aber doch immer wieder das hervor, was man die Staatsidee des Schrecklichen nennen könnte, der Gedanke einer argwöhnischen und grausamen Alleinherrschsucht. Auch schlägt häufig das Schwefelfeuer eines infernalischen Hohnes auf. So an der Stelle, wo der Zar schreibt: »Oh, armer Kurbski, warum willst du deine Seele verderben, indem du deinen elenden Leib mittels der Flucht zu retten trachtest? Wäre es dir nicht besser, auf Befehl deines Herrn zu sterben und dir den Märtyrerkranz zu gewinnen? Was ist denn das Leben? Was sind menschliche Ehren und Reichtümer? Nur Vergänglichkeiten und Schatten. Glücklich jeder, der mit dem Tode des Leibes das Heil seiner Seele erkaufen kann.«

Im Winter 1564 verbannte sich der Zar, sozusagen, selber aus seiner Hauptstadt. Denn am 17. Dezember fuhr er mit der Zarin – er hatte im August 1561 sich zum zweitenmal vermählt, und zwar mit einer tscherkessischen Prinzessin – mit seinen beiden Söhnen, seinen Günstlingen, seinem gesamten Hofstaat, seinen Trabanten und Garden, mit all seinen Schätzen, kurz mit Sack und Pack und einem ungeheuren Troß von Moskau weg, zunächst in das Dorf Kolomenskoje, von dort in das Dorf Triminskoje und von da in die Einöde der alexandrowschen Sslobode. Von hier richtete er am 3. Januar 1565 ein Schreiben an den Metropoliten in der Hauptstadt, worin er den geistlichen und weltlichen Würdenträgern, den Prälaten und Bojaren, ein langes Sündenregister vorhielt, sie der Verderbtheit und des Verrats bezichtigte. »Ihr ekelt mich an«, schrieb er, »ich hasse euch, weil ihr gegen mich Ränke schmiedet. Ich will nichts mehr mit euch zu tun haben, ich geb' euch das Regiment zurück. Mögt ihr zusehen, wie ihr damit zurechtkommt.« Ein zweites zarisches Schreiben war an die Bürger- und Kaufmannschaft der Hauptstadt gerichtet und ging aus einer anderen Tonart. Denn da hieß es, die »guten« Moskauer sollten sich getrost auf die Gnade des Zaren verlassen. Das »Volk« hätte von seinem Zorne nichts zu besorgen, das Volk würde von der zarischen »Opala« nicht getroffen werden.

Diese beiden Sendschreiben versetzten die Bewohner von Moskau in eine unbeschreibliche Angst. »Besnatschalie«, das ist Regierungslosigkeit, schien allen, sagt Karamsin, ein noch furchtbareres Übel als Tyrannei. Die Großen des Reiches bestürmten den Metropoliten, um jeden Preis den Herrscher zu besänftigen. Das Volk lief heulend durch die Gassen, stöhnte und klagte: »Der Zar hat uns verlassen, und darum müssen wir zugrunde gehen. Wer wird uns schützen gegen die Fremden? Was wird aus uns armen Schafen werden ohne den Hirten?«

Nun, sie erhielten ihren geliebten Hirten wieder, die armen Schafe. Der Zar hatte die wohlberechnete Selbstverbannungskomödie nur durchgeführt, um jeden Widerstandsgedanken, ja sogar jeden Widerspruchswunsch ein für allemal zu zertreten.

Eine große Abordnung, zusammengesetzt aus Bischöfen und Archimandriten, aus Knäsen und Bojaren, aus Kaufleuten und Bürgern, machte sich nach der alexandrowschen Sslobode auf, um vor dem Zaren »die Stirnen auf den Boden zu schlagen, zu jammern und die Rückkehr des Herrschers zu erflehen«. Iwan gab dem Drängen nach, wie er sagte, aus Ehrfurcht vor dem Metropoliten und vor den Bischöfen, aber nur unter der Bedingung, daß die Klerisei fortan sich nicht mehr einfallen ließe, irgendwie dazwischenzutreten, wenn er die »Verräter« mit der Acht belegte, mit dem Tode und der Einziehung ihres Vermögens bestrafte. In dieser Ankündigung trat, kaum noch etwas verhüllt, die Absicht des Zaren zutage, den Stand der großen Grundbesitzer, der bislang der zarischen Autokratie noch immer gewisse Schranken gezogen hatte, die alten Knäsen- und Bojarengeschlechter vollständig zu vernichten.

Daraufhin kehrte Iwan am 2. Februar 1565 nach Moskau zurück, und als er am folgenden Tage die hohe Klerisei und Bojarenschaft, die obersten Beamten und Richter, sowie die Spitzen der Bürgerschaft zu einer großen Versammlung berief, um vor dieser die Grundsätze seines künftigen Regiments dazulegen, da ergriff die Versammelten Schrecken vor dem wahrhaft schreckhaften Aussehen des »Schrecklichen«. Sie hatten ihn früher gekannt als einen Mann von stattlicher Gestalt, muskelkräftigem Gliederbau, breiter Brust, regelmäßigen Zügen, durchdringendem Blick, starkem Haar- und Bartwuchs. Das alles hatte sich während der 40 Tage seiner Selbstverbannung traurig verändert. Grimm und Groll mußten furchtbar in Iwan gewühlt haben. Es schien, als hätte seine Gestalt sich verkleinert, sein Gesicht wies verzerrte Züge, seine Augen blickten glasig, Haar und Bart waren ihm ausgefallen. Fürwahr eine Prachtausgabe von einem Zaren, das muß man sagen!

4.

In dem Beglückungssystem, das Iwan für sein Volk zu entwerfen und in Vollzug zu setzen geruhte, stand obenan eine neue Einteilung des Reiches. Dieses sollte fortan zerfallen in die Landschaft (Semschtschina) und in das ausgesonderte Gebiet (Opritschnina). In der Semschtschina beließ er die alten Grundherren, sowie die Inhaber von Lehens- und Dienstgütern in ihrem Besitztum. Aus sämtlichen zur Opritschnina geschlagenen Städten, Dörfern, Gehöften und Ländereien dagegen wurden die bisherigen Besitzer und Inhaber unerbittlich ausgetrieben. Denn die Opritschnina mit allen ihren Erträgnissen sollte ausschließlich dem Zaren, der Zarenfamilie und dem Zarenhof zugute kommen. Mit andern Worten, die Opritschnina war eine ungeheure zarische Domäne, auf welcher Iwan seine Hof-, Militär- und Zivildienstleute vornehmen oder geringen Standes als Dienstgüterinhaber ansiedelte. Aus diesen Lehensleuten wählte er seine Leibtrabanten, die »Opritschniks«, zuerst ein Korps von 1000 Mann, das aber bald auf den sechsfachen Betrag gebracht wurde. Diese Bande, deren Mitglieder zugleich Leibwächter, Späher, Angeber, Büttel und Henker waren, machte ihren Namen rasch zum Schrecken Rußlands.

Sicher, daß ihm dieses Werkzeug auch zum Scheuseligsten nie den Dienst versagen würde, ging der »Schreckliche« jetzt vorwärts auf seiner Vertilgerbahn. Der Terrorismus von 1793 hat bekanntlich das Wort »Wegsäubern« ( purger) erfunden oder wenigstens mit Vorliebe angewandt. Der »grause« Zar seinerseits sprach vom »Ausmerzen« und »Durchwurfeln« seines Volkes. Unmittelbar nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt begann die erste große Durchwurfelung oder Ausmerzung (»Opala«). Der schlummerlose zarische Argwohn stopfte die Gefängnisse mit Massen von »Verdächtigen« voll, ganz so, wie nachmals die republikanische »Terreur« 1792-1794 getan hat. Der Tyrannei, ob von einem Tyrannen-Zar oder von dem hunderttausendköpfigen Tyrannen-Pöbel gehandhabt, muß überall und allzeit alles und jedes verdächtig sein. Verdächtig sein heißt aber unter solchen Umständen verloren sein.

Von namhaften »Verdächtigen« wurden zunächst hingeschlachtet der Knäs Gorbatyi-Schuiski mit seinem siebenjährigen Sohn, die Knäse Peter Gorenski, Jurgi und Iwan Kaschi, Nikita Scheremetew und Dmitry Schewirew. Der letztgenannte starb auf dem Pfahl. Die Bojaren Iwan Scheremetew, Iwan Kurakin und Dmitry Nemoi wurden im Kerker grausam gequält und dann gewaltsam zu Mönchen gemacht.

Die Ausmerzungswut des Zaren schränkte sich jedoch keineswegs so ein, daß sie sich nur auf reiche und vornehme Leute, die dem Tyrannen irgendwie »verdächtig« waren, erstreckt hätte. Die zügellose Raub-, Mord- und Brandbande der Opritschniks fiel auch auf das gemeine Volk, wo und wann es ihr beliebte. Wurden doch von diesen schrecklichen Menschenjägern, die am Hals und am Sattel ihrer Rosse Hundeköpfe und Besen befestigten zum Zeichen, daß »sie wie Hunde beißen und das Land gänzlich ausfegen wollten«, während eines einzigen Winters in Moskau allein an 12 000 Menschen von Herd, Haus und Hof vertrieben und in die Schneewüste hinausgejagt, wo sie elendiglich zugrunde gingen. Unter der malaiischen Bevölkerung des ostindischen Archipels gibt es ein Vorkommnis, welches der »Mordlauf« heißt. Ein Mann wird plötzlich von einem rasenden Blutdurst erfaßt, besessen. Er nimmt sein Dolchmesser (»Kris«), stürzt aus seiner Behausung, rennt durch die Gassen seines Wohnorts und stößt alles nieder, was ihm begegnet, Menschen und Tiere. Ganz so machten es die Opritschniks des »Schrecklichen«. Mit Streitäxten und großen Messern bewaffnet, sprengten sie rottenweise durch die Gassen der Städte und Dörfer, alles niedermetzelnd, was ihnen in den Weg kam.

Der Zar haßte seine Hauptstadt, wo, wie sein finsterer Argwohn ihm einflüsterte, seine Sicherheit gefährdet wäre. Er residierte daher nur zeitweilig in Moskau. Wenn er nicht seine Umfahrten (»Objeesdy«) machte, Klöster besuchend, Grenzfestungen besichtigend, in den Wäldern Bären hetzend, saß er draußen in dem alexandrowschen Freidorf (Sslobode) in seinem verpallisadierten und umwallten Schloß wie ein lauernder Tiger in seiner Höhle.

Die Umgebung des Palastes glich einem Standlager, worin den Hofleuten, den Staatsbeamten, den Opritschniks, dann auch Kaufleuten und Handwerkern besondere Quartiere angewiesen waren. Auch Kerker und Marterkammern gab es da, zusammen genannt der »Peinhof«. In die Sslobode hinein oder aus ihr weg durfte niemand ohne Vorwissen des »Schrecklichen«.

Zuweilen langweilte er sich. Dann suchte und fand er Kurzweil in der Frömmigkeit. Er ist ja all sein Lebtag ein so »frommer« Herr gewesen! Seinen Palast in der Sslobode verwandelte er zur selben Zeit, wo massenhafte Mordbefehle von dort ausgingen, in ein Kloster. Aus seinen Menschenjägern wählte er dreihundert der ruchlosesten aus und tat ihnen Mönchskutten an. Sich selber ernannte er zum Abt, einen Fürsten Wäsemski zum Pater-Kellermeister. Er sowohl als alle diese absonderlichen Mönche trugen unter ihren Kutten stets die langen Mordmesser, von denen sie häufigen Gebrauch machten. Vor Tagesanbruch schon mußte die gesamte »Brüderschaft« in der Kirche versammelt sein. Da erschien der Zar-Abt mit seinen beiden Söhnen, mit dem ganzen Hofstaat und machte sich daran, eigenhändig eine volle Stunde lang die Glocken zu läuten. Dann Zelebrierung der Messe, wobei der Zar vorbetete und vorsang, sich bis zur Erde verbeugend und vor dem Ikonostas mit der Stirn so eifrig den Boden schlagend, daß jene blutrünstig wurde. Nach dem Frühgottesdienst fand um acht Uhr des Morgens ein zweiter statt, der etliche Stunden währte. Dann ging die »Brüderschaft« zur Mahlzeit ins Refektorium. Während die »Brüder« aßen, las ihnen der Zar-Abt aus Erbauungsschriften vor oder rezitierte Bibelstellen. Dann erst setzte er sich zur Tafel und speiste allein. War er satt und vollgetrunken, pflegte er sich tagtäglich nach dem »Peinhof« zu verfügen, wo stets Hunderte von Gefangenen vorhanden waren. Da wurde nun zur Augenweide des »Schrecklichen« stundenlang gemartert, wurden die scheuseligsten Henkerskünste an den »Verdächtigen« geübt. Das förderte, sagte er, seine Verdauung. Auch wenn er an Appetitlosigkeit litt, was infolge seiner Völlerei häufig eintrat, lief er in die Folterkammer, um, wie er sagte, durch den Anblick unter Marterungen zuckender und blutender Menschenleiber seine Magennerven zu frischer Tätigkeit anregen zu lassen. Die Hand will einem erstarren, wenn man nachschreiben soll, welche Martern das Ungeheuer von Zar und seine Helfershelfer aussannen. Die Opfer dieser Folterkunst wurden in eigens konstruierten Bratpfannen geschmort, in eigens erbauten Ofen gebraten. Anderen löste man ein Glied und ein Gelenk nach dem andern ab. Diese schund man lebendig, jene zersägte man mit dünnen Schnüren.

Eigenhändig den Henker zu spielen, war und blieb fortwährend eine der nobeln Passionen des Zaren. Im Jahre 1567 wurde sein vieljähriger treuer Stallmeister und Schatzkämmerer Iwan Fedorow »verdächtig«, nach der Zarenkrone zu streben. Dieser sinnlosen, höchst wahrscheinlich von dem »Schrecklichen« selbst erfundenen Unterstellung zufolge führte der Zar mit dem unglücklichen Greis eine grausame Verspottungsszene auf und stieß ihm dann das Messer ins Herz. Im folgenden Jahre wurde der Metropolit Philipp »verdächtig«, weil er bei Gelegenheit eines feierlichen Kirchganges Iwans in Moskau es wagte, dem Wüterich eine sanfte Vorhaltung zu machen. Der zarische Zorn hierüber wurde zunächst so ausgelassen, daß der »Schreckliche« einer Rotte seiner Opritschniks befahl, während einer schönen Julinacht in die Häuser angesehener Knäsen, Bojaren und Kaufleute einzubrechen, um die Frauen derselben zu rauben. Aus dieser Beute wählte er sich solche aus, die ihm gefielen; die übrigen verteilte er an seine Günstlinge. Dann brach er, die unglücklichen Weiber mitschleppend, aus der Hauptstadt auf, um mit seinen Mordgesellen sechs Wochen lang sengend und brennend, marternd und metzelnd in der Umgegend herumzuziehen. Auf diesem Zuge wurde alles, was Odem hatte, vernichtet, Mensch und Vieh, selbst die Fische in den abgelassenen Fischteichen. Im Herbst wurde der Metropolit Philipp, als er im erzbischöflichen Ornat am Tage von Mariä Himmelfahrt vor dem Altar stand, durch eine Schar Opritschniks ergriffen, weggerissen, entkleidet, mit Besenstreichen aus der Kirche gejagt und zu ewiger Einkerkerung in ein Kloster geschleift. Philipps Neffen Iwan Borissowitsch ließ der Zar köpfen, schickte das blutende Haupt dem Erzbischof in den Kerker und ließ ihm sagen: »Da hast du deinen lieben Verwandten.« Unlange darauf erlitt der greise Prälat den Tod mittels Erdrosselung.

Als im Januar 1569 Iwans zweite Gemahlin starb, gab dieser Todesfall Veranlassung zu neuen Schlächtereien. Denn die Zarin wäre »vergiftet« worden, behauptete der Zar. Von wem? Von dem Vetter des Zaren, dem Fürsten Wladimir Andreyewitsch ohne Zweifel. Sofort erging der Vertilgungsspruch über den Fürsten, dem der »Schreckliche« schon lange gegrollt hatte, sowie über die ganze fürstliche Familie. Wladimir, seine Gemahlin Eudoxia, seine zwei Töchter, seine zwei Söhne wurden gezwungen, den Giftbecher zu trinken. Ihre Diener und Dienerinnen zog man splitternackt aus, jagte sie auf die Gasse und schoß sie nieder. Wladimirs Mutter, Euphrosyne, riß man aus ihrer klösterlichen Zurückgezogenheit und ertränkte sie in der Scheksna.

In demselben Jahre 1569 und im nächstfolgenden wurden »Opalas« größten Stils in Szene gesetzt, Ausmerzungen, die an Massenhaftigkeit alles bisher von dem »Schrecklichen« Geleistete noch überboten.

5.

Die Stadt Nowgorod am Ilmensee – in den Akten und Annalen der Hansa Naugarden geheißen – war durch ihren deutschen »Kaufhof« zur Zeit der Blüte hanseatischer Macht ein wichtiger Vorposten des Germanentums im slawischen Nordosten gewesen. Die mächtige Handelsstadt hatte sich dann dem durch die moskowitischen Großfürsten ihr auferlegten Joche nur ungern gefügt, aber sie hatte sich ihm gefügt. Da, im Jahre 1569, wurde sie dem »grausen« Zaren »verdächtig«. Einer aus der Schar seiner Späher und Angeber hatte die Nowgoroder, ohne allen Grund, bezichtigt, sie hätten sich mit dem König von Polen in verräterische Zettelungen eingelassen. Dafür sollten sie, ohne daß irgendwelche Untersuchung der schändlichen Bezichtigung stattfand, ein Strafgericht erfahren, das das den Moskowitern eingeimpfte Mongolentum in der allerfürchterlichsten Weise zum Vorschein kommen ließ und Iwan dem Schrecklichen einen Platz zur Seite des Dschingiskhan und des Tamerlan sicherte.

Im Dezember genannten Jahres brach der Zar mit seinen Opritschniks und mit einem Heerhaufen von 15 000 Mann aus der alexandrowschen Sslobode auf zu seinem Mongolenzug gegen das dem Untergang geweihte Nowgorod. Er tat genau, wie Dschingis und Timur auf ihren Zügen getan hatten: alles auf seinem Wege wurde vernichtet. In Klin, in Twer, in Torschok, in Medin wurde erbarmungslos gewürgt, damit, sagten die Würger, »niemand den Nowgorodern das Geheimnis vom Heranzug des Zaren verraten könnte«.

Im Januar langte der von seinem ältesten Sohn Iwan, dem Zarewitsch, begleitete »Schreckliche« vor Nowgorod an. Er ließ die Stadt umzingeln und alle Zugänge von außen verbarrikadieren, damit niemand herauskönnte. Dann hielt er mit seinen Truppen den Einzug und ließ sich von dem ihn feierlich empfangenden Erzbischof Pimen in Prozession zur Sophienkirche geleiten, wo er dem Gottesdienst sehr andächtig beiwohnte. Hierauf setzte er sich mit seinem Gefolge im erzbischöflichen Palaste zur Tafel. Aber plötzlich, mitten im Schwelgen, sprang er auf und stieß brüllend den tatarischen Schlachtschrei »Hallahah!« aus. Das war das Signal zur Abschlachtung der Bewohnerschaft von Nowgorod und zur Ausraubung der Stadt. Fünf Wochen lang währten Gemetzel und Plünderung. Kein Stand, kein Alter, kein Geschlecht blieb verschont. Der Unhold von Zar ritt von Straße zu Straße, sich an den gräßlichen Szenen des Massenmords ergötzend. Bei der Kirche zur Geburt Christi allein wurden 10 000 Leichen eingescharrt. Die Gewässer des Wolchow stauten sich von der Menge der darein geworfenen Toten. Etliche zeitgenössische Berichterstatter geben die Zahl der Umgekommenen auf 100 000 an. Andere mindern diese Angabe auf 60 000 herab. Einer meldet mit Bestimmtheit, der »Schreckliche« habe an einem Tage nicht weniger als 15 000 Nowgoroder erwürgen lassen, Weiber und Kinder eingerechnet. Ein anderer sagt, seit der Zerstörung Jerusalems sei ein so grauenhaftes Schauspiel wie die Verheerung Nowgorods und seiner Umgebung nicht gesehen worden.

Leichenhaufen, Blutdunst, Hungersnot, Pestilenz und Verödung hinter sich lassend, rückte der Zar von Nowgorod auf Pskow, um auch dieser Stadt das Schicksal von jener zu bereiten. Auf einer Anhöhe machte er Halt und blickte, so meldet der Chronist, »die Stadt unverwandt an, die untere Kinnlade bewegend, als fräße er Pskow auf«. Doch der bedrohte Ort entging dem Schlimmsten, er wurde nur geplündert, vollständig ausgeraubt, weil ein blödsinniger Anachoret, Salos Nikola, der für einen großen Heiligen galt, mittels seiner Prophezeiungen dem abergläubischen Wüterich so imponierte, daß er die Abschlachtung der Pskower unterließ.

Aber die Wolke von Blutdampf, Brandrauch und Entsetzen, die über Nowgorod schwebte, dehnte sich bis nach Moskau hinüber. Dorthin zurückgekehrt, übte der Zar wieder einmal eine jener Tyrannenkünste, die er dem Bonapartismus vorwegnahm. Um nämlich seiner alles verzehrenden Wut neue Menschenhekatomben darbieten zu können, erfand er ein ungeheuerliches Komplott, das, wie er phantasierte, viele seiner vornehmsten Würdenträger, Knäse, Bojaren und Diäke, mit dem als Gefangenen in die alexandrowsche Sslobode geschleppten Erzbischof Pimen von Nowgorod angesponnen hätten, um den Zaren zu ermorden. Auf Grund dieser ruchlosen Frevel wurden eingekerkert der Kanzler Wiskowatyi, der Schatzmeister Funikow, die Bojaren Stepanow, Wassiljew, Jakowlew, auch die beiden Hauptgünstlinge, der General Basmanow samt seinem Sohne Fedor und der Fürst Wäsemski, der »Pater-Kellermeister«, der Fürst Prosorowski, kurz an 300 »Verdächtige«. Nach scheußlichen Folterungen erging der Todesspruch gegen die »Hochverräter«.

Der 25. Juli 1570 sah die schreckliche Vollstreckung. In Kitaigorod, im chinesischen Quartier von Moskau, war eine Menge von Galgen errichtet, waren Haufen von Marterwerkzeugen bereitgelegt, war ein großes Feuer angezündet und darüber ein riesiger Wasserkessel aufgehängt. Die Opritschniks schlossen um diese Zurüstungen einen Kreis. Der Platz war öde, denn das Volk verbarg sich ängstlich in Kammern und Kellern. Unter Trompeten- und Paukenschall kam der »Schreckliche« mit seinem Hofstaat geritten. Die Leere des Platzes mißfiel ihm. Er gebot, von überallher das Volk mit Gewalt herbeizutreiben, damit »es Zeuge seines Strafgerichts wäre«. So füllte sich denn der Platz mit einer zitternden Menge. Der Zug der Verurteilten schwankte heran, langhingedehnt, furchtbar anzusehen, die zerfleischten, verrenkten, blutenden, zermarterten Leiber nur mühseligst fortschleppend. Da rief der Zar von seinem Rosse herab über die Menge hin: »Volk, du wirst Marter und Tod sehen, aber zur Züchtigung von Verrätern. Sprich, ist mein Gericht gerecht?« Worauf das liebe »Volk«: »Lang lebe unser Väterchen, der Zar! Tod den Verrätern!« Darauf nahm das massenhafte Martern und Morden seinen Anfang, und das Zerstückeln, Sengen, Verbrühen, Pfählen, Zerhauen, Zersägen hörte erst auf, nachdem binnen zwei Stunden an 200 Menschen abgeschlachtet waren. Drei Tage später wurden die übrigen Verurteilten nachgeholt, bei welcher Gelegenheit der Zar den Fürsten Schachowskoi eigenhändig mit seiner Elfenbeinkeule totschlug. Die Frauen und Kinder der Gemordeten ließ der »Schreckliche« ersäufen. Einzelnen dieser weiblichen Opfer, wie der Gattin Funikows, einer Frau von Tugend und Würde, ließ der Unmensch so greulich schamlose Mißhandlungen antun, daß die Feder vor der Andeutung derselben zurückschrickt, und der Grausamkeit Molochs die Verworfenheit Belials gesellend, zwang er die fünfzehnjährige Tochter der genannten Unglücklichen, die Verschändung ihrer Mutter mitanzusehen. Das gesamte Vermögen der Hingeschlachteten fiel selbstverständlich dem Zaren anheim. Die entsetzlichen Blutrasereien Iwans waren demnach sehr einträgliche Finanzoperationen, seine Mördereien zugleich Geldgeschäfte.

6.

Nun endlich schien die große Saumselige, die Nemesis, Hand und Fuß rühren zu wollen. Aber es war nur ein Schein. Denn auch hier bewahrheitete sich wieder einmal der alte Spruch, daß die Völker büßen müssen, was die Könige, die Kaiser oder die Zaren gesündigt haben.

Eine ganze Reihe von Unglücksschlägen fiel auf das moskowitische Reich. Dem erbarmungslosen inneren Krieg, den der »Schreckliche« seinem Volke machte, waren im Jahre 1570 Hungersnot und Pestilenz gefolgt. Dazu kam im nächsten Jahre die furchtbare Heimsuchung eines Tatareneinfalls. Der Khan der Krim, Dewlet-Girey, tat an der Spitze seiner zahlreichen Horden einen Kriegszug in das Moskowiterland. Söhne desselben, Russen, welche vor dem Wüten ihres Zaren zu den Tataren geflohen waren, hatten den Khan dazu an- und aufgereizt. Der »Schreckliche« rückte mit seinen Opritschniks dem Feind entgegen bis nach Serpuchow, konzentrierte sich dann aber, ohne einen Schlag zu versuchen, Hals über Kopf rückwärts, floh an Moskau vorbei und barg sich in dem fernab gelegenen Jaroslaw. Der Khan kam heran, nahm die schutzlos preisgegebene Hauptstadt, plünderte sie gründlich und verbrannte die ausgeraubte, so daß nur der Kreml stehenblieb. In dem Flammenmeer wären, hieß es, 100 000 Menschen umgekommen. Ein zweites Hunderttausend schleppten die Tataren bei ihrem Abzug mit fort in die Sklaverei. Im folgenden Jahre, 1572, kam der Khan wieder, da wurde ihm aber der Weg gewiesen. Freilich nicht durch den Unhold von Zaren, der sich in der ganzen Tatarennot als ein großer Jämmerling erwiesen hat, sondern durch den Knäsen Michail Worotynski, der sich 50 Werst von Moskau, bei Lopossna, an der Spitze eines russischen Heeres, dessen Kern 7000 deutsche Landsknechte unter ihrem Oberst Georg von Fahrensbach bildeten, den Tataren entgegenstellte, sie entscheidend schlug und die geschlagenen in ihre Steppen zurückjagte.

Obwohl also nur mit Mühe und Not der Gefahr entgangen, von den Tataren erobert und verschlungen zu werden, übten sich doch die Moskowiter sofort selber wieder im Erobern und Verschlingen. Ihr Ausbreitungstrieb war auf Livland und Estland gerichtet, so daß der »grause« Zar in seiner auf die Erwerbung dieser Ostseeländer gerichteten Begierde als ein Vorläufer Peters des Großen erscheint. Für diesmal blieb aber der moskowitische Heißhunger ungestillt, weil Schweden und Polen im Kriegswesen den Russen überlegen waren.

Der »Schreckliche« kehrte demnach seine Waffen wieder nach innen, gab seinen Russen zu fühlen, was es hieße, einen Zaren seines Schlages zu haben, und füllte seine letzten Lebensjahre, wie schon so viele seiner früheren, mit greulichen Untaten aus.

Die vollendete Sklavenhaftigkeit seiner Untertanen ließ ihn gewähren. Nicht die leiseste Regung von Widerspruch, geschweige von Widerstand, hatte er mehr zu befahren. In diesem moskowitischen Sklavenpöbel, in dem vornehmen wie in dem geringen, war jeder Hauch von Ehre und Menschenwürdegefühl erstickt. Knäse und Bojaren fanden es ganz in Ordnung, wenn der Zar sie um geringer Versehen willen auspeitschen ließ wie Stallknechte. Ein Bojar, den der »Schreckliche« spießen ließ, betete vom Pfahl herab: »Gott helfe dem Zaren! Gott gebe dem Zaren Glück und Heil!«, bis der Tod seiner Marter ein Ende machte. Unlange nach der Tatarennot ließ Iwan den Sieger von Lopossna, den ehrwürdigen Fürsten Worotynski, der Zauberei bezichtigen, sowie eines Anschlags auf sein, des Zaren, Leben und ließ den Unglücklichen langsam zwischen zwei Kohlenfeuern rösten. Zugleich mit Worotynski wurde der Knäs Nikita Ordejewski zu Tode gequält. Den »heiligen« Abt Kornelius von Pskow und seinen Schüler Bassian ließ der Zar in einem riesigen Mörser zerstampfen, den neuen Erzbischof Leonidas von Nowgorod in ein Bärenfell einnähen und von Hunden zerreißen. Häufig machte er sich den »Spaß«, eingefangene Bären auf die Volksmenge loszulassen.

Es fehlte nur noch das Wüten gegen das eigene Fleisch und Blut, und auch dieses kam. Von Iwans rohem und gewalttätigem Verfahren im Heiraten, Sichscheiden und Wiederverheiraten wollen wir weiter nicht reden. Er brachte es nach und nach bis zu sieben Frauen, von denen aber in der kirchlichen Anschauung verschiedene nur Kebsen waren. Als er, ohne alle Rücksicht auf die Gebote und Verbote der Landeskirche, zu seiner siebenten Gemahlin die Marfa Nagoy genommen hatte, kam ihm der Einfall, um eine englische Lady zu werben, Mary Hastings. Seinem zu diesem Zweck nach England geschickten Unterhändler Pissemski gab er auf, zu erkunden, ob die besagte Lady auch recht »groß, feist und weiß« wäre. Der Handel zerschlug sich aber. Im Oktober 1582 gebar Marfa Nagoy dem Zaren seinen jüngsten Sohn Dmitry.

Elf Monate zuvor, im November 1581, hatte der »Schreckliche« seinen ältesten Sohn, den Zarewitsch Iwan, ermordet. Es hieß, der Prinz habe seinem Vater Vorwürfe gemacht, weil dieser seine, des Prinzen, Gemahlin Helene mittels roher Mißhandlung um ihre Mutterhoffnung gebracht hätte. Sei es darum, sei es aus einem anderen Grunde, der Zar fuhr in rasendem Jähzorn auf den Sohn los und stieß ihm die Spitze seiner elfenbeinernen Keule in die Schläfe. Iwan brach zusammen und starb fünf Tage darauf.

Das scheint das Untier von Vater doch erschüttert zu haben. Wenigstens konnte er es in der alexandrowschen Sslobode, seiner Lieblingshöhle, wo er den Sohn erschlagen, nicht mehr aushalten, sondern siedelte nach dem Kreml der aus ihren Brandruinen wiedererstandenen Hauptstadt über. Dort ist er dann, am 18. März 1585, nach kurzer Krankheit gestorben, »versehen mit allen Tröstungen der Religion«. Sein mehr als halb blödsinniger Sohn und Nachfolger Feodor starb 1595, und mit ihm erlosch der Stamm der moskowitischen Großfürsten aus dem Hause Rurik …

Warum ich dieses grauenhafte Kapitel aus der Geschichte des Zarentums vor den Augen denkender Leser und Leserinnen aufgeschlagen habe?

Damit ein Stück russischer Vergangenheit ein Stück russischer Gegenwart erklären helfe.

Der russische Nihilismus ist nicht so rätselhaft, wie er aussieht. Es läßt sich in ihm unschwer ein logisch-notwendiges Produkt der Geschichte Rußlands erkennen. Man kann seine Eltern ganz bestimmt nachweisen: der Vater heißt Zarismus, die Mutter Korruption.


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