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Mohammed und sein Werk

Ein Vortrag (November 1881.)

Er war das angezündete Feuer Allahs.

Koran, Sure 104.

1.

Als ich zuletzt die Ehre hatte, in diesem Saale Rathaussaal in Zürich. zu sprechen, war mein Thema die Erscheinung jener lothringisch-französischen Patriotin, die Gestalt und die Tat der Jeanne d'Arc, welche im 15. Jahrhundert den Anstoß zur Befreiung ihres Vaterlands von der Zwingherrschaft der Engländer gegeben hat. Vom 15. Jahrhundert ins 7. und 6., vom Mädchen von Orleans zum Propheten von Mekka ist ein weiter Rücksprung. Der Unterschied zwischen diesen beiden weltgeschichtlichen Gestalten stellt sich beim ersten Anblick als ein so bedeutender dar, daß er bis zur Bizarrerie zu gehen scheint. Ein genaueres Zusehen und Vergleichen ergibt jedoch eine unbestreitbare Ähnlichkeit. Ich meine damit nicht etwa den Schein des Wunderbaren, den die Laufbahnen des orientalischen Religionsstifters und der okzidentalischen Landbefreierin aufweisen, sondern vielmehr die Ähnlichkeit, daß in der glänzenden Gestalt des arabischen Helden wie in der schlichten der Heldin von Domremy gleichermaßen eine große Wahrheit als weltgeschichtliche Tatsache hervortrat – die Wahrheit: Nicht der klügelnde Verstand, nicht die besonnen rechnende und abwägende Bücher- und Kathederweisheit zeugt und wirkt die großen, die Menschen-, Völker- und Menschheitsgeschicke bedingenden und bestimmenden Gedanken und Taten, wohl aber tut das jener heilige Sturm und Drang des Herzens, den man übermenschlich, göttlich nennen möchte und muß, die elementare Leidenschaft ursprünglicher Naturen, jene Herrschgewalt des Willens, welche, die »Angst des Irdischen« weit hinter sich werfend, über alle Schmerzen des Lebens und über alle Schrecken des Todes zu triumphieren weiß. Angesichts dieser Wahrheit dürfte es angemessen sein, dann und wann den unbändigen Wissensstolz unserer Tage daran zu erinnern, daß es allzeit Lebensmächte gab, gibt und geben wird, welche nicht zu messen und nicht zu wägen, nicht zu berechnen und nicht zu analysieren sind. Im gewöhnlichen Lauf der Dinge mag man ja wohl mit Maß und Waage, mit Ziffer und Zirkel, mit Agentien und Reagentien auskommen, aber wenn ins Völkerleben große Krisen und Katastrophen hereinbrechen, dann wird immer wieder offenbar, daß die moralische Kraft doch die höchste Macht ist unter Menschen.

Die Wahl meines Gegenstandes trägt, will mir scheinen, ihre Rechtfertigung in sich selbst. Denn es dürfte sich in unserer wirrseligen Gegenwart doppelt empfehlen, von Zeit zu Zeit betrachtende und aufhellende Blicke auf die unerschütterlichen Gestalten zurückzuwerfen, die als leuchtende Marksteine und Pfadweiser die Entwicklungsstadien des Menschengeschlechts bezeichnen. Sodann möchte heute, wo die sogenannte orientalische Frage, welche sich nachgerade zur Frage nach dem Sein oder Nichtsein der mohammedanischen Welt zuspitzen zu wollen scheint, alljährlich, ja alltäglich Europa in Brand zu setzen droht – heute möchte die mit raschen Strichen zu zeichnende Erinnerung an den großen Mann nicht ganz unwillkommen sein, der einer der gewaltigsten und folgenschwersten Revolutionen in der Geschichte der Menschheit den Stempel seines Geistes und Namens aufgedrückt und die orientalische Frage in ihren Ursprüngen geschaffen hat, indem er der christlichen Religion die islamische gegenüberstellte. Die langen Jahrhunderte des Mittelalters hindurch war der Kampf zwischen dem europäischen Christentum und dem asiatischen Islam das eigentliche Grundmotiv der geschichtlichen Bewegung, und erst mit dem im 17. Jahrhundert begonnenen Niedergang des Osmanenreichs war der endgültige Sieg des Europäismus über das Asiatentum entschieden.

Die Augen von Menschen, deren Gedankenhorizont über das Nächstliegende, über das Gestern, das Heute, über das Morgen hinausgespannt ist, werden stets mit Staunen auf die unscheinbar kleinen Anfänge so ungeheurer Erscheinungen blicken. Der Zimmermann Jesus verkündigt aus der Tiefe seiner von himmlischem Erbarmen mit seinen Mitmenschen erfüllten Seele heraus den Fischern vom See Genezareth die frohe Botschaft von der Allvaterschaft Gottes. Der Kameltreiber Mohammed teilt seinen mekkanischen Hausgenossen die in der Einsamkeit der Wüste seinem inneren Auge vorübergeschwebten Visionen mit vom alleinigen Gott, von einer Vergeltung nach dem Tode, vom Himmel und von der Hölle. Und aus diesen zwei in abgelegenen Erdenwinkeln gemachten Versuchen, das Judentum weiterzubilden und zu vollenden, entspringen zwei Weltreligionen, die für unzählige Geschlechter der Menschen die höchsten Güter werden und jahrhundertelang in furchtbarem Ringen um die Weltherrschaft streiten. Noch heute ist die Kraft des Besiegten nicht völlig erschöpft, geschweige die des Siegers. Denn das religiöse Empfinden, Vorstellen und Glauben ist nicht, wie der Materialismus sich selbst und anderen weismachen möchte, ein rein willkürliches, dem Menschen von außen an- und eingebildetes Übereinkommen, sondern vielmehr ein von allen besonderen, von allen sogenannten »positiven« Dogmen und Kulten Unabhängiges, ein dem Menschen Immanentes, d. h. eine mit dem Begriffe Mensch untrennbar verbundene Stimmung, entsprungen dem menschlichen Abhängigkeitsgefühl, der menschlichen Hilfs- und Anlehnungsbedürftigkeit, welches und welche nur von größenwahnwitzigen Doktrinären geleugnet werden können. Solche haben sich viel Mühe gegeben, ein ganz und gar religionsloses Volk aufzuspüren. Es ist ihnen nicht gelungen, obwohl, wie allen bekannt, der Funke des religiösen Gefühls in Völkerstämmen, welche der Tierheit nahestehen, nur schwach glimmt und nur in der Form kindisch fetischistischer und schamanistischer Äußerungen aufdämmert. Und doch bezeichnen diese Äußerungen die Grenzlinie, wo die Bestie aufhört und der Mensch beginnt. Denn wie auf hohen Kulturstufen Religion in des Wortes höchstem Sinne das Sicheinsfühlenwollen des Endlichen mit dem Unendlichen ist, so regt sich auch schon auf unteren und untersten Stufen im Menschen der dunkle Trieb, seine Besonderheit mit der Allgemeinheit in Beziehung zu setzen und in Harmonie zu bringen. Das ist Idealismus, idealistisches Bedürfnis. Es liegt auf der Hand, daß und warum das Volk überall und allzeit für sein idealistisches Bedürfnis nur in der Religion, im religiösen Vorstellen, Glauben und Tun Befriedigung suchen und finden konnte und kann. Denn wenn zu unserer Zeit ein berühmter Büchermann David Friedrich Strauß in seinem Buche »Der alte und der neue Glaube«, über das Nietzsche in seiner berühmten Schrift »David Strauß, der Bekenner und der Schriftsteller« (1873) ein vernichtendes Urteil fällt. Der Herausgeber., der sich sein Lebtag mit Absicht und Ängstlichkeit volksfremd gehalten und verhalten hat, mit einer Zuversicht, die dem Bildungsphilister natürlich gewaltig imponierte, die bevorstehende Ersetzung der Religion durch die Kunst ankündigte, wobei etwa der Genuß Goethescher Dichtungen und Beethovenscher Symphonien die Bedeutung von Kultakten haben würde, so war das eben nur eine volksfremde Zukunftsmusik, von der man wie von einer anderen, noch bekannteren, sagen kann: Viel Geräusch und wenig Melodie. Dazu muß ich jedoch anmerken, daß ich hier unter Volk selbstverständlich nicht die sogenannten »flottanten« Bevölkerungen, welche traurig zu sagen von allem Zusammenhang mit naturgemäßen Verhältnissen mehr und mehr losgelöst werden, verstanden wissen will, sondern das seßhafte, das echte, das mit Herd und Heimat verwachsene Volk.

Die Stellung des Historikers zur Religion ist übrigens gegeben. Die Geschichtswissenschaft kennt keinen alleinseligmachenden Glauben, keinen unfehlbaren Papst und kein unfehlbares Buch. Sie achtet in der religiösen Idee den edelsten Versuch des strebenden Menschengeistes, eine Lösung des großen Daseinsrätsels zu finden und die jeden denkenden Menschen unablässig sich aufdrängenden Fragen: »Woher kommen wir? Warum und wozu sind wir da? Wohin gehen wir?« mehr oder weniger befriedigend oder auch unbefriedigend zu beantworten. Was jedoch die einzelnen Glaubenssysteme, Kirchen, Konfessionen und Sekten angeht, so soll sie der Historiker zwar nicht mit der Objektivität einer erkünstelten Gleichgültigkeit, wohl aber mit der Objektivität der Gerechtigkeit, also unbefangen und ohne Parteiborniertheit, als die verschiedenen Erscheinungsformen der religiösen Idee betrachten, welche Erscheinungsformen allesamt nur eine zeitliche Bedeutung, allesamt keinen unbedingten, sondern nur einen beziehungsweisen Wert haben.

2.

Ein tiefsinniger Seher, Shakespeare, hat bekanntlich unsere sogenannte Welt eine Bühne geheißen, auf welcher jede menschliche Persönlichkeit eine Rolle spielen müsse. Man könnte das, meine ich, auch auf die Völkerpersönlichkeiten übertragen und dann sagen, daß die Wohnsitze der orientalischen Rassen, deren zugleich feurige und grüblerische Phantasie ihren Intellekt beherrscht, von jeher die Lieblingsstätten gewesen, wo der rastlos in der Menschheit arbeitende religiöse Gedanke neue Formen anzutun sich bemühte. Und weiter wäre zu sagen, daß wiederum den Orientalen semitischer Rasse, deren biblische Stammtafel sich freilich mit den Ergebnissen der modernen Ethnologie keineswegs völlig deckt, eine vorzugsweise religiöse Rolle zugeteilt worden sei. Zum Beweise dessen braucht man ja nur drei Namen: Mose, Jesus und Mohammed zu nennen. Wenn jedoch ein bekannter Orientalist unserer Tage, der Franzose Ernst Renan, all sein Wissen und seinen ganzen Scharfsinn aufgeboten hat, um die Aufstellung zu begründen, der Monotheismus, der eingottheitliche Glaube, sei ein ursprünglicher Besitz, sei eine Erfindung, ja sozusagen eine uranfängliche Naturanlage der semitischen Rasse gewesen, so war das zwar ein geistreicher Einfall, ist aber keine religionsgeschichtliche Tatsache. Vielmehr steht fest, daß auch die Semiten, mit Einschluß der Hebräer, anfänglich nicht Monotheisten, sondern Polytheisten gewesen sind. Verschiedene semitische Stämme, z. B. die Assyrer, die Babylonier, die Phönizier, hielten bis zu ihrem Untergang am Polytheismus fest, blieben also, was wir Heiden zu nennen pflegen. Andere wurden im Verlauf ihrer Bildungsgeschichte aus der Sphäre der vielgötterischen Naturreligion in die Region der eingottheitlichen Geistesreligion hinübergeführt. Also die sogenannten Kinder Israel, die Hebräer, durch ihre großen und kleinen Propheten, die Ausgestalter des Jahwetums; ebenso die sogenannten Kinder Ismael, die Araber, durch ihren Propheten Mohammed, den Begründer und Gesetzgeber des Allahtums.

Das sind Vorgänge von ungeheurer Wichtigkeit und unberechenbarer Tragweite gewesen. Noch bis zu dieser Stunde trägt das Antlitz der zivilisierten oder, genauer gesprochen, der europäisch-amerikanisch-christlichen und der mohammedanischen Welt die geistige Signatur, die ihr der semitische, zuerst durch die hebräischen Propheten zu einer sittlichen Macht ausgebildete Monotheismus verliehen hat.

Aus dieser Weltanschauung heraus hat der Stifter des Islam sein Werk unternommen und durchgeführt.

Lassen Sie uns nun zuvörderst einen Blick auf das Land werfen, woher der Mann kam, und sodann diesen selbst ins Auge fassen.

Südlich von den großen syrischen und mesopotamischen Wüsteneien dehnt sich die mächtige Halbinsel Arabien zwischen dem Roten Meer und dem Persischen Golfe weit ins Arabisch-Indische Meer hinaus. So gelegen, hat das von einem Volke semitischer Abkunft bewohnte Land von unvordenklicher Zeit her ein abgeschlossenes, auf sich gestelltes und darum eigentümliches Dasein geführt. Nicht aber ein einförmiges; denn es hatte sich je nach den verschiedenen Bodengestaltungen, den klimatischen Verhältnissen und den Nahrungsbedingungen verschiedenartig gestaltet. In den zwar schmalen, aber ungemein fruchtbaren Küstenlandschaften, von denen die arabische Halbinsel von drei Seiten umsäumt ist, hatte sich frühzeitig eine auf emsige Acker- und Gartenwirtschaft gestützte seßhafte Kultur entwickelt, waren Dörfer und Städte entstanden, hatte sich gewerbliche Tätigkeit vielseitig geregt und hatte dieser ein lebhafter Handelsbetrieb sich zugesellt, Karawanenzüge nordwärts durch die Wüsteneien nach Syrien und in die Euphratgegenden, Handelsschiffe westwärts an die Küste Afrikas, ostwärts an die Gestade Persiens und Indiens entsendend. Anders auf der gewaltigen Hochebene, die das Innere der Halbinsel ausfüllt, eine unermeßliche Steppe mit bizarr gestalteten Felsbergen, wildzerrissenen Schluchten und zahlreichen Oasen mit brunnenreichen und früchteschweren Dattelpalmenhainen. Diese weiten Landschaften mit ihren plötzlichen Übergängen von wildester, schreckhaftester Öde zur Üppigkeit tropischer Vegetation, mit ihrer Abgeschlossenheit und Unzugänglichkeit, mit ihrem weitaus den größten Teil des Jahres hindurch wolkenlosen Firmament, aus welchem bei Tage eine glühende Sonne ihre Strahlengüsse niedersendet, während bei Nacht die Gestirne groß und klar herableuchten, diese Landschaften mit ihren prächtigen Gewittern, ihren Orkanen, Sandhosen, Luftspiegelungen und Wolkenbrüchen haben etwas Eigenartiges, das ans Unheimliche streift, etwas, was die Einbildungskraft höchst energisch an- und aufregt und sie mit den kühnsten Bildern füllt. In diesen Gegenden siedelten oder vielmehr wanderten, von ihren Stämmescheichs patriarchalisch regiert, die echtesten Araber, die Beduinen, Nomaden, deren Reichtum Kamele, Rosse und Schafe ausmachten und die zumeist in ihrer Person den Hirten, Jäger, Krieger und Räuber zu vereinigen wußten. Ein ganz unbändiges Freiheitsgefühl war diesen Wüstensöhnen eigen und, daraus entsprungen, ein in seiner Art äußerst reizbares Ehrgefühl. Damit verband sich eine wilde Rachelust, aber auch eine gewisse ritterliche Gastlichkeit und Galanterie, Treue in Freundschaft und Haß, sowie eine frohlockende Freude an Abenteuern und Wagnissen aller Art. Dies alles hat, in den Schmelztiegel einer heißen Phantasie geworfen, unter den Arabern der vormohammedanischen Zeit eine Poesie von außerordentlicher Eigenwüchsigkeit, Frische und Kraft hervorgebracht. Die Schöpfungen dieser Poesie, welche eine kunstvoll entwickelte Rhythmik und Metrik aufzeigen, sind später, im 9. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, in dem nationalen Liederbuch gesammelt worden, welches den Titel »Hamâsa« führt, Gesänge von 521 Dichtern und 56 Dichterinnen enthält und durch unsern großen Dolmetsch orientalischer Poesie, Friedrich Rückert, meisterlich verdeutscht wurde (1846). Erwägt man die außerordentliche Gunst und Einflußnahme, deren die altarabischen Dichter bei ihren Landsleuten allgemein genossen, so wird es kaum gewagt sein, anzunehmen, diese Kinder einer wilden und großen Natur müßten das dichterische Wort als eine Kundgebung von Göttlichem, als eine Offenbarung betrachtet haben. Darum untersteht es auch keinem Zweifel, daß Mohammed seine glänzenden Erfolge zu einem nicht kleinen Teil seiner nicht gewöhnlichen poetischen Begabung zu verdanken hatte.

Nun aber ist denkwürdig, daß ein so phantasiereiches und poesieliebendes Volk wie das arabische, keine Mythologie besaß. Dessenungeachtet war dieses Volk keineswegs religionslos. Gleich den übrigen Semiten hingen auch die alten Araber einer sogenannten Naturreligion an, die jedoch bei ihnen nicht zur Schaffung bestimmter, konkreter Göttergestalten vorschritt, sondern zu gemeinem Fetischismus ausartete. Das Idol trat an die Stelle des Ideals und, wie das ja in Sachen der Religion überhaupt so leicht und so häufig zu geschehen pflegt, die anfänglichen Sinnbilder des Göttlichen wurden zu diesem selbst, die Zeichen zu Wesen. Das sind dann die sogenannten »Götzen« seines Volkes gewesen, gegen welche Mohammed mit so flammendem Zorneifer anging. Es ist jedoch wohl zu beachten, daß schon vor dem Auftreten des Propheten, wenigstens im nördlichen Arabien, infolge der Wirkungen jüdischer und christlicher Einflüsse in der Anschauung denkender und gebildeter Menschen die Vorstellung von Allah, als dem wahren und einzigen Gott, sich einzuwurzeln begonnen hatte. So wissen wir von den beiden berühmten Dichtern Aa'schâ und Labyd, daß sie Monotheisten gewesen sind. Die Erscheinung des Propheten traf also sein Land nicht unvorbereitet. Wohl ist, wie der Schotte Carlyle mit Bezug auf Mohammed schön gesagt hat, der große Mann immer wie ein vom Himmel fallender Blitz; die übrigen Menschen warten auf ihn, und unter seinem zündenden Strahl flammen auch sie auf. Aber – so möchte ich das Carlylesche Gleichnis ergänzen – der Blitz entsteht nur, wenn die Atmosphäre so beschaffen ist, daß sie ihn zu erzeugen vermag.

Die Bevölkerung Arabiens bildete keine einheitliche Masse. Sie zerfiel in zahlreiche größere und kleinere Stämme, und diese lagen in selten unterbrochenen Fehden gegeneinander zu Felde. Neben dem nationalen Kitt der Sprache gab es jedoch für dieses zersplitterte Volk noch ein Gemeinsames und Einigendes. Das war die Ehrfurcht vor dem uralten Nationalheiligtum, der sogenannten Kaabah in Mekka, welche Stadt, zwischen dem Steppenplateau und dem Küstenland mitteninne gelegen, schon mittels ihrer Lage, dann aber auch durch die Beschaffenheit ihrer Einwohnerschaft, welche aus Hirten, Ackerbauern, Groß- und Kleinhändlern bestand, die Wechselbeziehungen zwischen dem Beduinentum und dem zivilisierteren Arabertum vermittelte und endlich als Stätte der Kaabah eines geradezu herrschenden Ansehens im ganzen Lande genoß. Die Legende will, Ismael, der Hagar Sohn, der angebliche Stammvater der Araber, hätte in Gemeinschaft mit seinem Vater Abraham die Kaabah erbaut. In Wahrheit war dieser Tempel von dem Stamme Koraysch gestiftet oder wenigstens ausgebaut worden, welcher Stamm, eben als Eigentümer, Wächter und Nutznießer des Nationalheiligtums, für den vornehmsten und mächtigsten aller arabischen Klane galt. Unter den Heiligtümern, die der Tempel umschloß, waren die verehrtesten der berühmte schwarze Stein und der Brunnen Zem-Zem, beide von seiten des urväterlichen arabischen Quell- und Steinkults dem Islam vermacht. Außerdem war der Tempel die Stätte einer absonderlichen Götterversammlung, weil dort die Haus- und Stammgötzen der verschiedenen Stämme Arabiens ihre Plätze hatten. Zu diesen Idolen wallfahrteten die Araber aus allen Ecken und Enden ihrer Halbinsel, um ihre Gebete und ihre Opfer darzubringen, und demnach war Mekka schon vor Mohammed seinen Landsleuten das, was Jerusalem den Juden, Delphi den Griechen, der Tempel des Jupiter auf dem Kapitol den Römern, das Sonnenhaus Korikancha zu Kuzko den alten Peruanern gewesen und Rom den Katholiken ist. So fest hatte sich die Vorstellung von der Heiligkeit dieses Ortes dem arabischen Bewußtsein eingeprägt, daß der Islam, als seine Zeit gekommen, wohl die Götzenbilder in der Kaabah zerschlagen, jedoch den Ort in seinem Ansehen nicht erniedrigen konnte, sondern noch erhöhen mußte; die Kaabah zu Mekka ist ja, wie allbekannt, der hochheilige Mittelpunkt der ganzen islamischen Welt, in den Augen jedes richtigen Muslem der Nabel der Erde. Darum mußte es denn auch von größter Bedeutung sein, daß gerade an dieser Stätte der Mann aufstand, der sein Vaterland Arabien religiös und politisch vereinheitlichte und es aus geschichtsloser Abgeschiedenheit und Dunkelheit auf die offene und helle Bühne herüberstellte, worauf die menschheitliche Tragikomödie sich abspielt. Denn von Mekka brach das islamische Arabertum erobernd in die Welt hinaus, glühend von dem jugendfrischen Eifer seines neuen Glaubens und alles vor sich niederwerfend wie die Wüstenorkane seines Heimatlandes. Damit war ein neues Kapitel aufgeschlagen im Buch der Weltgeschichte.

3.

Am 20. April des Jahres 571, eines Montags, gebar zu Mekka eine Frau des Stammes Koraysch, Amina geheißen, deren Gatte Abd Allah etliche Monate zuvor gestorben war, einen Knaben, der den Namen Mohammed erhielt. Dieser Name wird verschieden geschrieben und gesprochen: Mohammed, Muhammed, Mohammad, Muhammad. A. Sprenger, der gründlichste Biograph des Propheten, ist geneigt, den Namen nicht für einen ursprünglichen Eigennamen, sondern für einen späteren Ehrennamen zu halten, der bedeutet »Der Vielgepriesene« und seinem Träger beigelegt worden wäre, wie seinem Vorgänger Jesus der Verehrungsname Christus. Seine Zukunft wäre dem Neugeborenen nicht an der Wiege gesungen worden, auch wenn er eine solche gehabt hätte. Das ganze Vermögen, welches Abd Allah seinem nachgeborenen Sohne hinterlassen, soll bestanden haben aus zwei Kamelen, etlichen Schafen und einer abessinischen Sklavin. Der Knabe war demnach arm und sah sich, als ihm auch die kränkliche Mutter bald wegstarb, auf den Schutz seines Großvaters von mütterlicher Seite, Abd-Al-Mottalib, und nach dessen ebenfalls bald erfolgtem Tode auf den seiner beiden Oheime Abu Talib und Zuheir verwiesen. Sie konnten aber bei eigener Dürftigkeit nicht viel für ihn tun, und er sah sich genötigt, in früher Jugend schon sein Brot zu verdienen, und zwar als Schafhirtenjunge. Dann mehr herangewachsen, hat er seinen Oheimen, welche Händler waren, auf Karawanenzügen als Kameltreiber gedient, sowie gelegentlich auch als Bogen- und Köcherträger in einer der Klanfehden, in welcher seine Verwandten mitfochten. Viele Jahre nachher hat die Erinnerung an seine gedrückte Jugend dem Propheten die Verse in der 93. Koransure in den Mund gelegt: »Hat Gott dich nicht gefunden als Waise und dich behütet? Hat er dich nicht arm gefunden und dich reich gemacht? Hat er dich nicht gefunden irregehend und dich geleitet auf den richtigen Weg?« Später hat die gläubige Einfalt der Muslim diese einfache und armselige Jugendgeschichte Mohammeds mit den buntesten Mirakeln ausstaffiert, mit all den wunderbaren Umständen und Vorgängen, womit die mythenbildende Volksphantasie die Herkunft, Zeugung, Geburt und Kindheit der Helden, Helfer und Heilande der Menschheit auszuschmücken liebt, nicht bedenkend und nicht verstehend, daß die Gestalten dieser Unsterblichen nur um so größer und strahlender erscheinen, je enger und dunkler der Hintergrund ist, aus dem sie hervortreten. Schade übrigens, daß neben all den überflüssigen Wundern, womit die Legende Mohammeds Kindheit umgeben hat, das Notwendige nicht geschah, nämlich die Heilung des Knaben von Anfällen der Epilepsie oder, wie die moderne Forschung wissen will, der von Schönlein so benannten Hysteria muscularis, welche Krankheit auch noch den Mann häufig heimsuchte.

Er war 25 Jahre alt geworden, als sein Geschick eine günstige Wendung nahm. Diese kam von seiten einer Frau, der reichen Kaufmannswitwe Chadyga, deren Name jetzt in der Anschauung der islamischen Welt mit den Namen der Schwester Moses, Mirjam, der Mutter Jesu, Maria, und der Tochter Mohammeds, Fatima, die Vierzahl der auserwählten und vollkommenen Frauen ausmacht. Chadyga muß jedenfalls ein Weib von ungewöhnlichen Gaben und hoher Sinnesweise gewesen sein. Der große Einfluß, den sie auf Mohammed übte, der ohne ihre Liebe, ihren Glauben, ihren Mut und ihre Standhaftigkeit wahrscheinlich nie zum Propheten geworden wäre, ist ein vorragendes Beispiel von jener stillen, unscheinbaren und doch so wunderbar mächtigen Wirksamkeit, die die Frauen, und zwar nicht allein die auserwählten in der Geschichte der Zivilisation, von jeher entfaltet haben und hoffentlich zum Segen der Menschheit auch fürder entfalten werden. Der reichen, nicht mehr ganz jungen, d. h. vierzigjährigen Händlerswitwe Chadyga empfohlen, wußte sich Mohammed als Führer ihrer Geschäfte rasch das Vertrauen seiner Dienstherrin zu erwerben und bald noch mehr. Die Überlieferung meldet uns: Als Mohammed von seiner zweiten im Dienste der Witwe unternommenen Geschäftsreise heimkehrte, sah Chadyga vom Söller ihres Hauses aus, wie zwei Engel den Heimkehrenden mit ihren Fittichen bedeckten. Hätte die gute Dame etwas von griechischer Mythologie gewußt, so würden ihr die zwei Engel zweifelsohne wie Amoretten vorgekommen sein, und übersetzen wir den Vorgang aus dem Legendarischen ins Deutsche, so gewinnen wir als Fazit: Chadyga hatte ihren Diener, der ein stattlicher, kluger, anstelliger und redlicher Mann war, herzlich liebgewonnen. Sie reichte ihm ihre Hand, nachdem sie ihrem Vater Chuwaylid, der von einem so armen Schwiegersohn nichts wissen wollte, seine Einwilligung abgelistet, d. h. dem von ihr trunken Gemachten weisgemacht hatte, daß er in die Heirat gewilligt hätte.

Mohammed war dankbar. Er hielt seine Frau, welche an Intelligenz und Bildung offenbar ihre Landsmänninnen weit überragte, sehr hoch. Um ihr Ärger und Kummer zu ersparen, zähmte er, solange sie lebte, seine nachmals unbändig hervorgebrochene Sinnlichkeit, welche der dunkelste Fleck an seiner Erscheinung war, und ergab sich erst nach Chadygas Tode der Vielweiberei. Aber auch dann noch blieb ihm ihr Andenken heilig. Bei jeder Gelegenheit pries er ihren hohen Sinn und ihre Tugenden, so daß seine spätere Lieblingsfrau, die schöne Ayischa, ärgerlich zu sagen pflegte, sie wäre auf kein Weib eifersüchtig als auf die tote Chadyga. Daß sie Grund dazu hatte, dafür ist uns ein schönes Zeugnis überliefert worden. Eines Tages fragte die prächtige, aber ränkevolle und nicht eben sehr tugendliche Ayischa den Propheten: »Nun sage, bin ich nicht besser als Chadyga? Die war ja alt, zahnlos und unschön. Du liebst mich mehr, als du sie geliebt hast, nicht wahr?« Aber darauf Mohammed: »Nein, beim Allah, nein! Sie glaubte an mich, als noch niemand an mich glauben wollte. Auf der ganzen weiten Erde hatte ich nur einen Freund, und das war sie.«

Bis zu seinem 40. Jahre lebte und arbeitete Mohammed als Händler. Dann erst ist er als Prophet und Religionsstifter aufgetreten. Er scheint aber doch schon ziemlich lange vorher mit Höherem sich befaßt und den Handelsgeschäften nur noch geringe Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Hierauf deutet auch die Nachricht, daß er seines erheirateten Vermögens verlustig gegangen, sowie die Tatsache, daß er viele Jahre dem Sinnen und Denken widmete, zu diesem Zwecke die Einsamkeit suchte und darum bald allein, bald mit Chadyga, der Vertrauten aller seiner Gedanken, auf Tage und auf Wochen in eine Höhle des unfern von Mekka gelegenen Berges Hara sich zurückzuziehen pflegte. Ich brauche kaum daran zu erinnern, daß wir eine solche Zurückgezogenheit, ein Aufsuchen der Einsamkeit in Wildnissen oder Gebirgen auch in dem Dasein anderer Religionsstifter finden. Mose, Zarathustra, Buddha, Jesus sind in die Wüste gegangen, um, sozusagen, allein zu sein mit ihrer Seele und in der erhabenen Stille der Einöde die Kraft zu sammeln, das Geheimnis ihrer Mission auf dem lärmenden Markt des Lebens zu enthüllen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß Mohammed in beschaulicher Einsamkeit über sich und seine Aufgabe klargeworden.

Sein bis jetzt zurückgelegter Lebensweg hatte ihn an den verschiedenen Seiten der Daseinsweise seiner Landsleute vorübergeführt, wie er auch auf seinen Händlerfahrten mit den Lehren und der Lebensführung der Juden und der Christen Bekanntschaft zu machen ausreichende Gelegenheit gehabt. Er hatte Steppen durchwandert und in Städten gelebt; er war Hirt und Händler gewesen, Knecht und Herr, arm und reich; er hatte die Anschauungen und Bedürfnisse, die Tugenden und Laster der Menschen beobachtet; er hatte auch ein Stück Krieg gesehen. Aber alle diese Beobachtungen, Erlebnisse und Erfahrungen hatten ihn nicht befriedigt. Er ahnte, wußte, wollte Besseres. Auch in ihm glühte jene Flamme, ein Funke von einer Zentralsonne der moralischen Welt, welche Begeisterung heißt und ihre berufenen Träger befähigt, in die Geschicke der menschlichen Gesellschaft schicksalsmäßig einzugreifen, selber ein Stück Schicksal. Wie alle Menschen, in welchen der »göttliche Anhauch«, der Genius, sich offenbart, dachte er mehr an andere als an sich selbst. Ihn bekümmerte die Finsternis, in der sein Volk wandelte, das infolge seiner politischen Zersplitterung und religiösen Zerfahrenheit seine beste Kraft in zwecklosen Fehden vergeudete. Als das Grundübel seines Landes erschien ihm der Mangel eines großen, umfassenden und einigenden religiösen Prinzips. Ein solches müßte aufgestellt und in Wirksamkeit gesetzt werden. Ob dem Propheten dabei auch schon der Gedanke vorschwebte, sein Volk würde, unter dem Banner eines neuen Glaubens gesammelt und geeint, wohl das Zeug haben, eine große politisch-geschichtliche Rolle zu spielen, diese Frage ist mit Bestimmtheit weder zu bejahen noch zu verneinen. Für wahrscheinlich kann gelten, daß Mohammed anfänglich nur eine religiöse Reform seiner Nation im Auge hatte, daß aber die Logik der Tatsachen, der Zwang der Verhältnisse ihn bald nötigte, mit dem Reformator den Feldherrn und den Staatsmann in seiner Person zu vereinigen.

Vor allem war er kein in elegischem Brüten über einer großen Idee sich verzehrender Mensch, sondern ein Tatmann. Er wollte, das Licht, das er in seiner Seele brennen fühlte, sollte hinleuchten über ganz Arabien, hellend und wärmend, und mit echt arabischer Begeisterung und Tapferkeit, nicht weniger auch mit echt arabischer Klugheit und Zähigkeit ging er daran, seine Gedanken zu verwirklichen.

Hiernach ist die Frage, ob Mohammed es mit seinem Glauben an seine Berufung und mit seinem aus diesem Glauben entsprungenen Werke ehrlich und ernstlich gemeint habe, oder ob er nur ein schlauer Betrüger, ein eigen- und ehrsüchtiger Schwindler und Streber gewesen sei, mit gebührender Verachtung beiseitezustellen. Diese Frage überhaupt aufzuwerfen, konnte nur die Dummheit oder die Unwissenheit sich einfallen lassen. Eine weltgeschichtliche Tat, wie die Gründung des Islam, kann zu ihrem Vater ganz unmöglich den Betrug haben. Man gründet wohl Großscheinendes, momentan Blendendes, auf Lug und Trug, niemals aber wirklich Großes und Dauerndes. So auch keine Weltreligion. Erst dann, wenn der religiöse Gedanke seine ursprüngliche Triebkraft eingebüßt hat, sucht und findet er in dem Betrug einen zweideutigen Helfer. Ganz fraglos war Mohammed ein Mensch von ganzer und voller Überzeugung. Sogar ein Fanatiker war er, wie denn, genau angesehen, wahrhaft Mächtiges, Völkergeschicke Entscheidendes nie ohne einen gewissen Grad von Fanatismus auf-, durch- und zurechtgebracht wird. Endlich steh' ich nicht an, Senekas bekannten Satz: »Kein Genie ist ohne Beimischung von einigem Wahnsinn« – auf den arabischen Propheten, insbesondere im Hinblick auf seine erwähnte Krankheit, anzuwenden, und erinnere hier auch noch an das im »Sommernachtstraum« stehende Shakespearesche Wort:

»Des Dichters Aug', in schönem Wahnsinn rollend,
Blitzt auf zum Himmel, blitzt zur Erde nieder.«

Mit solchen Augen, aber zugleich ein scharfer Beobachter und ein nachdenklicher Erwäger, hatte sich unser Mann umgesehen in der Welt. Er war, wie schon erwähnt, auf seinen Handelsreisen mit Juden und Christen in Verkehr gekommen, und in Gesprächen mit ihnen hatte er ihre religiösen Überlieferungen, Glaubenslehren und Gottesdienste kennengelernt. Denn eine andere Quelle der Belehrung über Judentum und Christentum, über die heiligen Schriften und Satzungen dieser Religion sprudelte ihm nicht, da der »ungelehrte Prophet« weder zu lesen noch zu schreiben verstand. Das ist allerdings neuerlich angezweifelt, aber das Gegenteil keineswegs glaubhaft erwiesen worden. Wir, an dieser Stelle, können den gelehrten Streit hierüber billig auf sich beruhen lassen, bedenkend, daß es ganz gleichgültig ist, ob Mohammed den Koran mündlich oder schriftlich verfaßt hat. Viel wichtiger ist der Umstand, daß die Einflüsse von jüdischer und von christlicher Seite her der Unabhängigkeit seines Denkens und der Selbständigkeit seines Urteilens keinen Abbruch taten. Er ließ die jüdische Lehre gelten, und er ließ auch die christliche gelten, beide bis zu einem gewissen Punkt. In Mose, so, wie er ihn kannte und verstand, achtete er den Feststeller des Begriffes eines einzigen, außerweltlichen, geistigen Gottes. In Jesus, soviel er von ihm wußte, ehrte er den großen Reformer des Judentums, der dieses aus der Rasseselbstsucht, aus der nationalen Beschränktheit herauszuheben und zum Reinmenschlichen emporzubilden unternommen hatte. Allein das Judentum genügte ihm nicht, weil es die durch den Propheten von Nazareth angestrebte Reform verworfen hatte, und das Christentum, das ihm zudem nur in der widerwärtigen Gestalt anatolisch-byzantinischer Fetischisierung vor Augen getreten war, wollte er nicht, weil es durch die Vergottung Jesu den einheitlichen, den monotheistischen Gottesbegriff getrübt und geschwächt hätte. Ihm schwebte als verständlich, ersprießlich und erstrebbar ein Drittes vor. Er wollte nämlich den Grundgedanken des jüdischen Jahwetums, d. h. die Einheit, Alleinheit und Geistigkeit Gottes, verkünden, und zwar verbunden mit einem Gottesdienst, der, im Gegensatz zu dem starren, weitschweifigen und borniert nationalen jüdischen Zeremoniendienst, mehr die ethisch-praktische Seite hervorkehren und also die humanen, im Christentum gelegenen Elemente in sich aufnehmen und zur Entwicklung bringen sollte.

4.

Nun aber ist es die Wonne und das Weh genialer und zugleich charakterstarker Menschen, daß, wenn sie einmal von einer großen Idee erfüllt sind, sie von ihr ganz und gar ergriffen, geradezu besessen werden. So ein Gedanke wird in dem auserwählten Menschen zu Fleisch und Blut, pulsiert in seinen Adern, vermischt sich mit allen seinen Vorstellungen, läßt ihm nicht Rast bei Tage, nicht Ruhe bei Nacht, treibt alle seine Empfindungen auf die Spitze und versetzt sein Nervengeflecht in krankhaft-reizbare Schwingung. Dieses Seelenfieber – denn so darf ich vielleicht den gemeinten Zustand bezeichnen – macht sich in Delirien Luft, welche sich in phantasiereichen Naturen zur zeitweilig-somnambulistischen Ekstase steigern können. Eine solche Natur war Mohammed und überdies, was hier wiederum sehr in Betracht kommt, eine epileptische. Daraus dürfte es sich erklären lassen, daß die den Mann beherrschende Idee ihm allmählich visionär gegenständlich wurde, d. h. daß er das, was er fühlte, dachte und wollte, in der Form von Halluzinationen leibhaftig, greifbar deutlich vor sich zu sehen glaubte. Diese rein innerlichen Vorgänge, diesen psychologischen Prozeß würde selbstverständlich die Menge weder begriffen noch würde sie daran geglaubt haben. Um so etwas dem Volke mundgerecht zu machen, mußte überall und allzeit die Maschinerie des Übersinnlichen, des Mythologischen in Bewegung gesetzt werden. Die islamische Überlieferung weiß darum von der »Erleuchtung« und »Berufung« des Propheten dies zu melden: »In seinem 40. Lebensjahre erschien dem Mohammed der Engel Gabriel als Überbringer der göttlichen Offenbarung und befahl ihm, als Prophet Allahs, des höchsten Gottes, diese Offenbarung den Menschen zu verkündigen.« In dieser Weise, d. h. durch Vermittlung des Engels Gabriel seien dann dem Propheten die einzelnen Abschnitte des Korans, d. h. der islamischen Bibel, geoffenbart worden.

Während der ersten Jahre seiner Erleuchtung und Berufung gab sich Mohammed nur seiner Frau Chadyga und etlichen vertrautesten Freunden gegenüber als Prophet. Seine erste, eifrigste und treueste Jüngerin Chadyga ist es gewesen, die den ersten kleinen Kreis von Muslim, d. i. Gläubigen, für das islamische Evangelium gewann. Zu diesem Kreise gehörten Mohammeds Sklave Zayd, nachmals vom Propheten an Sohnes Statt angenommen, dann die beiden angesehenen Mekkaner Abu Bakr und Othman, sowie der junge Aly, ein Sohn von Mohammeds Oheim Abu Talib, später, mit des Propheten Tochter Fatima vermählt und mit dem Preisnamen »Der Löwe Gottes« geschmückt, einer der herrlichsten, aber auch unglücklichsten Helden des Islam. Es gibt eine Erzählung, welche dem jungen Aly schon zum Anfang eine vortretende Rolle zuweist. Bekanntlich ist es ein fragwürdiges Vorrecht der Jugend, über jedes und alles, was sie versteht und nicht versteht, mit mehr oder weniger liebenswürdiger Unverfrorenheit absprechen zu dürfen, weil sie ja nur ein Achselzucken von seiten der Wissenden riskiert. Die Jugend besitzt aber auch das edle Vorrecht, oft mit dem Instinkt des Herzens das Große und Wahre rasch und begeistert ergreifen zu können, während diesem das reifere Alter noch zaudernd, zweifelnd und zagend gegenübersteht. Nach dreijähriger Prophetenarbeit war Mohammed erst so weit, daß er eines Tages etwa vierzig seiner Verwandten und Freunde, denen seine Bestrebungen einige Teilnahme eingeflößt hatten, in seinem Hause versammeln konnte, um ihnen die Frage vorzulegen: »Glaubt ihr an mich und meine Sendung? Und wer will mir beistehen in meinem Werk?« Da hätten alle geschwiegen. Aber der sechzehnjährige Aly wäre aufgesprungen und hätte mit ungestümer Begeisterung ausgerufen: »Ich will!« Es scheint demnach, daß der nachmalige »Löwe Gottes« in einer Stunde der Entscheidung eins jener durchschlagenden Worte gesprochen habe, welchen die Bedeutung von Taten zukommt.

In demselben Maße jedoch, in welchem die kleine islamische Gemeinde sich mehrte, wuchs auch der Widerstand gegen sie und nahmen die ihr bereiteten Widerwärtigkeiten zu. Mächtigste Männer vom Stamme Koraysch – auf dessen Stimmung und Haltung doch vorerst alles ankam – traten gegen die neue Heilsbotschaft und deren Träger auf. Wie es unter ähnlichen Umständen anderwärts geschehen war, so forderten die Widersacher auch hier vor allem, der Prophetseinwollende sollte seine angebliche Sendung bewahrheiten mittels Wunderwirkens. Darauf Mohammed: »Allah hat mich nicht gesandt, Wunder zu tun, sondern nur, seine Offenbarung den Menschen zu bringen. Dieser Offenbarung Inhalt ist Wunders genug.«

Allein damit gaben sich die Korayschiten nicht zufrieden. Der Witz Börnes, daß seit dem Tage, wo Pythagoras nach Findung des pythagoreischen Lehrsatzes dankbar eine Hekatombe darbrachte, d. h. hundert Ochsen zum Opfer schlachtete, jeder Ochse zittere, wenn ein neues Licht aufgehe in der Welt, ist und bleibt ein guter Witz, zeichnet jedoch die Sachlage, von der ich handle, nicht völlig. Auch mit dem allerdings tausendfach bestätigten Erfahrungssatz, daß die Beschränktheit und der Neid der Mittelmäßigkeit überall und immer gegen das Genialische und Originelle gehässig, abwehrend und feindselig sich verhalten haben, reicht man nicht aus. Mehr schon trifft es das Wesen der Sache, wenn man sagt, daß die Menschen und die Völker allzeit und allenthalben weit lieber und schneller dem Dummen, Gemeinen und Schlechten als dem Gescheiten, Edlen und Rechten zugefallen seien. Übrigens konnten ja die Leute vom Stamme Koraysch für ihren Widerstand gegen die neue Lehre auch anführen, daß die Begriffe neu und gut keineswegs immer sich decken. Aber schließlich war, wie das in unserer »besten der Welten« so oft, ja zumeist der Fall zu sein pflegt, die ganze Angelegenheit eine Geldfrage. Die Korayschiten fürchteten, der Prophet wolle an den allerempfindlichsten Teil ihrer heidnischen Orthodoxie rühren, d. h. an ihren Geldsäckel, indem die neue Lehre ihre, der Korayschiten, Einkünfte als Eigentümer, Hüter und Sakristane der Kaabah schmälern oder ganz versiegen machen könnte. Endlich mögen die Schwierigkeiten, mit denen Mohammed zu ringen hatte, nicht unbeträchtlich verstärkt worden sein durch den Umstand, daß er nicht mehr reich war. Einem Reichen, der mit Millionen gefüllte Säcke als Schutz- und Trutzschilde vor sich hinstellen kann, pflegt ja die menschliche Niedertracht, wenn nicht alles, so doch vieles hingehen zu lassen, sogar wohl auch die Gründung einer neuen Religion. Die Rothschilds und Konsorten haben sich jedoch, soviel man weiß, nie und nirgends mit Religionsgründerei befaßt. Wozu auch? Sie standen sich ja bei dem urväterlichen Kultus des Goldkalbes ganz gut.

Es liegt ein tiefer Sinn darin, daß der Königssohn von Kapilavastu sich erst aller Reichtümer und Herrlichkeiten seiner Prinzenschaft entäußern und sich zu einem Armen, zu einem Bettler machen mußte, bevor er aus dem Prinzen Siddhatta zum Buddha, d. h. zum Erweckten, Erleuchteten, Wissenden werden konnte und als solcher der Stifter der Religion, welche von allen auf dem Erdball heimischen Religionen die meisten Bekenner zählt. Zur Rothschilderei hatten alle die großen und guten Menschen, die Kulturhelden, die Lehrer und Tröster der Menschheit, entschieden kein Talent.

Langsam also, sehr langsam, kam Mohammed vorwärts. Der Tod Chadygas war für den jungen Islam ein unersetzlicher Verlust. Die ungetrübte Lauterkeit der neuen Religion, die Makellosigkeit des Verkündigers derselben verschwand mit dieser Frau. Ein bedeutender Gewinn dagegen war es, daß einer der angesehensten Korayschiten, Omar, der neuen Lehre beitrat. Der ist nachmals, als zweiter Kalif, eine der Grundsäulen des Mohammedanismus geworden. Diesen, d. h. die islamische Doktrin, wollen wir uns jetzt vergegenwärtigen.

5.

»Islam« – d. i. Hingebung, nämlich an den Willen Gottes – nannte der Prophet die von ihm gepredigte und begründete Religion. Die Bekenner derselben nannten und nennen sich »Muslim«, wovon unser verderbtes Wort Muselmanen kommt. »Muslem« im Singular bedeutet einen sich Hingebenden, nämlich an Gott, also einen Bekenner, einen Gläubigen, welcher zu seinem Gegensatz den »Giaur« hat, den Ungläubigen, weil nicht an den Islam Glaubenden. Denn das Allahtum hält sich ebensogut für alleinseligmachend wie das Judentum und das Christentum. Es ist in seinem innersten Wesen unduldsam, wie das ja – alle Redensarten beiseite gestellt – sämtliche monotheistischen Glaubenssysteme von jeher waren und ihrer Natur gemäß sein mußten.

Die Lehre des Islam ist enthalten im »Koran« (mit dem Artikel »Al Koran«), welches Wort bedeutet »Die Schrift« oder »Das Buch« und folglich genau den Sinn unseres aus dem Griechischen herübergenommenen Wortes »Die Bibel« hat. Der Koran ist den Muslim das Buch der Bücher, das Buch schlechthin, die Heilige Schrift, das geoffenbarte Wort Gottes. Jeder orthodoxe Allahbekenner ist felsenfest überzeugt, daß die Urschrift des Koran von Ewigkeit her im siebenten Himmel vorhanden gewesen sei. In Wahrheit ist »Al Kitah«, das Buch, die Schrift, wie die islamische Bibel auch genannt wird, das Werk des Propheten, nicht aber als Ganzes genommen, sondern nur in den einzelnen Teilen. Mohammed hatte bei seinen Lebzeiten in verschiedenen Epochen und bei verschiedenen Veranlassungen den Inhalt des Koran seinen Jüngern und Jüngerinnen stückweise mündlich mitgeteilt. Einzelne Abschnitte mag er wohl auch geradezu diesem oder jenem diktiert haben. Bei seinem Tode befanden sich Bruchstücke dieser Bibel, auf Pergament, auf Leder, auf Palmblätter, auf die Schulterknochen von geschlachteten Schafen geschrieben, in verschiedenen Händen. Andere hatten sich ungeschrieben in dem Gedächtnisse von Gläubigen erhalten. Der Prophet selbst hatte weder eine Zusammenstellung veranstaltet, noch auch eine befohlen. Da sich aber schon unter dem ersten Kalifen Abû Bakr – Kalif ist Nachfolger oder Statthalter, nämlich des Propheten – die Rätlichkeit, ja Notwendigkeit einer Sammlung der Offenbarungsschriften des neuen Glaubens herausstellte, so wurde eine erste Redaktion unternommen, welcher dann unter dem Kalifat Othmans eine zweite und endgültige folgte. Beide Male verfuhren die Redaktoren ohne alle Methode, und darum ist der Koran, dessen Volumen nicht die Hälfte des Umfangs unserer Bibel beträgt, ein wahres Wirrsal von Buch, ich möchte sagen ein ins Quadrat erhobenes Sammelsurium. Das einzige Prinzip, von dem die Sammler und Ordner desselben sich leiten ließen, scheint gewesen zu sein, die längsten Stücke voran, die weniger langen in die Mitte, die kürzeren und kürzesten ans Ende zu stellen. So, wie sie jetzt vorliegt, zerfällt die islamische Bibel in 114 Suren, d. i. Kapitel, von sehr ungleichmäßiger Ausdehnung. Einige sind bandwurmlang, andere enthalten nur wenige Zeilen. Der Koran ist in einer Art rhythmischer Prosa verfaßt, welche am Ende der Zeilen nicht selten zu Reimen sich zuspitzt. Geist und Ton sind in den einzelnen Abschnitten sehr verschieden; den ganzen Koran aber in einem Zuge durchlesen zu müssen, das dürfte als eine der schwersten Geduldproben zu bezeichnen sein, welche dem Menschen, wenigstens dem abendländischen, auferlegt werden könnten. Der jeden unbefangenen Sinn so sehr anmutende naiv-epische Stil von manchem der alttestamentlichen Bücher fehlt der islamischen Bibel. Das merkt man deutlich an der Art und Weise, wie im Koran die alttestamentlichen Mythen- und Sagengeschichten von Abraham bis zur Zeit Jesu in ewigen Wiederholungen mitgeteilt sind, mit buntscheckigem Märchenflitterzeug verunziert. Auch der alttestamentliche Schöpfungsmythus kehrt im Koran wieder, aber wunderlich verschnörkelt und so, daß dabei der islamische Teufel, der Iblis, eine vortretende Rolle spielt. In der Regel spricht Mohammed als wortreicher Rhetor, mitunter jedoch auch als wirklicher Dichter. Dann findet er, emporgetragen auf dem Feuerwagen seiner Einbildungskraft und seiner Leidenschaft, für eifervolle Anschauungen auch den entsprechend gewaltigen sprachlichen Ausdruck. Ihren höchstpathetischen Schwung, sozusagen eine Poesie des Zorns, erreicht die Heilige Schrift des Islam, wenn sie die Schrecken des Weltgerichts und die Qualen der Hölle schildert, ihre höchste Anmut und Feierlichkeit, wenn sie von den Freuden redet, welche der Seligen im Paradiese harren.

Die Beantwortung der Frage: Welche Glaubenslehre wird im Koran vorgetragen? suche ich möglichst knapp zu formulieren. Bekanntlich ist die Vorstellung vom Dasein einer Gottheit der Punkt, von welchem alle systematisierten Religionen ausgehen und in welchen jede zurückmündet. Der Mensch glaubt, daß ein Wesen über ihm sei, ein höheres, übermenschliches, göttliches Wesen, das er verehrt, liebt, fürchtet, eine Macht, von der er Hilfe und Trost erwartet im diesseitigen und Seligkeit in einem gehofften jenseitigen Dasein. Der Islam nun, von der Voraussetzung getragen, es wäre rein unmöglich, nicht zu wissen, daß Gott sei, hat sein Gottesbewußtsein, sein Grunddogma zusammengefaßt in das lakonische Symbol: » Lâ 'ilâha illâ 'Ilâhu«, d. h. »Kein Gott außer Allah«. Der Gottesname Allah, sprachlich nahe verwandt mit den hebräischen Bezeichnungen der Gottheit ( el, eljon, elohim), ist zusammengezogen aus dem Artikel al und dem Substantiv elah und bedeutet »der Verehrungswürdige«, »der Erhabene«. Sein streng-monotheistisches Grunddogma betont der Islam fortwährend. Der Koran kommt immer wieder auf den Satz von der unwandelbaren Einheit Gottes zurück, nicht selten mit einem polemischen Seitenblick auf die christliche Trinitätslehre. So lautet am Ende der islamischen Bibel die 112. Sure noch einmal nachdrucksam: »Gott ist Einer. Er ist von Ewigkeit. Er ward nicht gezeugt und hat nicht gezeugt. Ihm gleich ist Keiner.« Trotzdem vermochte dieser strenge und starre Eingottesglaube sich nicht folgerichtig zu erhalten. Alle entwickelteren Religionen beweisen das Bedürfnis des Menschen, zwischen Menschheit und Gottheit eine Mittelstufe zu setzen, und so sah sich auch Mohammed gedrungen und gezwungen, sei es in Anlehnung an die persisch-jüdische Lehre, sei es in Erinnerung an den uralten Geister- und Dämonenglauben seines eigenen Volkes, seinen alleinigen Gott mit Scharen von Engeln als mit dessen Dienern und Boten zu umgeben. Und worauf sollte ferner das in der Welt vorhandene Böse zurückgeführt werden? Doch nicht auf den allmächtigen, allweisen und allgütigen Gott?

Da mußte also die Annahme eines Satans oder Teufels aushelfen, welcher Widersacher Gottes und Verführer der Menschen den Namen Iblis erhielt. Der Gegensatz von Gott und Teufel ist jedoch in der islamischen Dogmatik bei weitem nicht so bestimmt herausgebildet wie in der christlichen. Auch die Bedeutung und Stellung der Dämonen, der sogenannten Djine, ist im Koran eine unklare und verschwommene, insofern sie nicht immer als böse Geister erscheinen.

Der zweite Hauptlehrsatz des Islam enthält die Vorherbestimmung der menschlichen Geschicke durch Gott, jene Prädestinationslehre, welche auch in der Geschichte des Christentums einen so großen Raum eingenommen und soviel Lärm gemacht, im Mohammedanismus aber das große Schisma zwischen Sunniten und Schiiten herbeigeführt hat.

Das dritte Dogma betrifft das Prophetentum; es stellt fest, daß Mohammed der wahre Prophet und Übermittler der göttlichen Offenbarung sei. Mohammed ist also der Prophet, der Prophet par excellence, jedoch nicht der erste und nicht der einzige. Denn als seine Vorgänger erkennt der Koran ausdrücklich Mose und Jesus an, aber Mohammed ist der Vollender des Prophetentums.

Das vierte Hauptdogma handelt von der Unsterblichkeit der Seele, von der Auferstehung der Toten, vom Weltgericht, von der schließlichen Belohnung der Guten und der Bestrafung der Bösen. Diese islamische Eschatologie (Lehre von den letzten Dingen) ist ganz augenscheinlich altpersischen und christlichen Vorstellungen nachgebildet, in ihren Einzelheiten aber sehr geschickt auf die sinnliche Anschauungsweise der Orientalen berechnet und darum heißblütig-phantastisch ausgemalt.

Wenn das Dogma die Seele der Religion, so ist der Kultus bekanntlich ihr Leib. Da finden wir nun, daß im Islam das Verhältnis zwischen Seele und Leib, d. h. zwischen Gotteslehre und Gottesdienst, mit äußerster Konsequenz durchgeführt ist. Die strenge Festhaltung des Begriffs eines abstrakten, außerweltlichen, leib- und bildlosen Gottes verwarf und verwehrte das Hereinbrechen weiterer mythologischer Elemente in den Kult und verwarf und verwehrte demzufolge gleichermaßen das Herantreten der Künste zum Gottesdienst. Nur zugunsten der Baukunst war eine Ausnahme gestattet; allein die in den Dienst der Religion gezogene Architektur sollte sich bei Schaffung und Auszierung der islamischen Tempel auf das Notwendigste beschränken. Einen Gottesdienst der Gemeinde kennt eigentlich der Islam nicht. Die Andachtverrichtung ist Sache des einzelnen. Den Hauptbestandteil des muslimischen Gebetes macht die Sure aus, die den Koran eröffnet. Die Auslegung von Koranstellen durch die Imame von den Kanzeln der Moscheen herab können als Predigten in unserem Sinne kaum bezeichnet werden.

Die vier großen gottesdienstlichen Pflichten des Muslem aber sind: 1. Das Gebet, täglich fünfmal zu verrichten, mit zur Kaabah gen Mekka gerichtetem Antlitz; 2. das Fasten namentlich während des ganzen Monats Ramazan vom Sonnenauf- bis zum Sonnenuntergang; 3. das Almosenspenden, d. h. die Mildtätigkeit im engsten und im weitesten Sinne des Wortes; 4. die Wallfahrt nach Mekka, welche jeder Rechtgläubige wenigstens einmal im Leben machen soll. Für weitere gottesdienstliche Verbindlichkeiten gelten: 1. Die Beschneidung, 2. häufige Waschungen und Reinigungen, 3. der »Djihad«, d. i. der Krieg gegen die Kiaffir oder Giaurs, d. h. gegen alle Nichtmuslim.

Einen geschlossenen Priesterstand oder gar eine geistliche Kaste hat der Islam nie gekannt. Er kennt nicht einmal ein Priestertum, sofern dieses im christlich-kirchlichen Sinne auf einer Weihung beruht. Eine Theokratie allerdings hat der Prophet gestiftet, insofern dem dogmatisches Ansehen genießenden »Imamet«, d. h. dem Gesetz der Erbfolge gemäß die höchste geistliche und weltliche Macht und Gewalt bei seinen Nachfolgern und Statthaltern, den Kalifen, sein sollte. Allein dieser islamische Cäsaropapismus hat seine Einheit und Obmacht bekanntlich nicht lange zu behaupten vermocht. Auch andere Vorschriften des Propheten verloren mit der Zeit ihre Geltung. So hat er z. B. die Möncherei ganz ausdrücklich verworfen, allein sie hat sich dennoch in den Islam einzuschleichen gewußt. Endlich muß hier noch daran erinnert werden, daß der Koran zugleich Dogmatik, Ritualgesetz, Sitten- und Rechtslehre ist. Die mohammedanische Bibel enthält also die kanonische Norm nicht allein für das religiöse, sondern auch und ebensosehr für das soziale und politische Dasein der Muslim: sie ist das Zivil- und Strafgesetzbuch der gesamten islamischen Welt, in allem die letzte und höchste Instanz. An diesem Felsen ist die Zukunft des Mohammedanismus gescheitert. Denn wie wäre gegenüber der Elastizität und Entwicklungsfähigkeit des Christentums, welches den verschiedenartigsten Klimaten, Rassen, Völkern und Staatseinrichtungen bieg- und schmiegsam sich anzupassen wußte, eine Fortbildung oder auch nur eine Erhaltung der mohammedanischen Macht in die Länge möglich gewesen bei dieser Unfähigkeit, die intellektuelle und die praktische Seite des Lebens auseinanderzuhalten, bei dieser trägen Gewöhnung, auf Anschauungen und Satzungen zu beharren, welche dem Arabertum des 7. Jahrhunderts auf den Leib geschnitten waren?

6.

Von der Skizzierung seiner Lehre wenden wir uns wieder zu der Person des Propheten zurück.

Er galt, wie sprichwörtlich alle Propheten, in seinem Heimatlande lange soviel wie nichts. Dann begann er etwas zu gelten, als Gegenstand der Sorge, der Furcht und des Hasses seiner Stammesgenossen, der Männer vom Stamme Koraysch. Die Ausbrüche dieses Hasses haben ihn genötigt, längere Zeit hindurch ein abenteuerlich-unstetes Dasein zu führen. Mehrmals mußte er vor den Nachstellungen seiner Feinde aus Mekka entweichen, um sich in der Wüste, in Schluchten und Höhlen zu bergen. Immer wieder in seine Vaterstadt zurückkehrend, suchte er sich bis zum äußersten darin zu behaupten, weil er gar wohl wußte, von welcher Wichtigkeit es wäre, von diesem anerkannten Vorort Arabiens aus seine Lehre zu verbreiten. Nun aber schritten die Korayschiten zur Ausführung des Anschlags, mittels Mordes dem lästigen Neuerer den Mund zu schließen. Dieser Gefahr mußte Mohammed weichen, und er entkam ihr durch Anwendung einer echt beduinischen Kriegslist. Aus Mekka entflohen, gelangte er unter vielen Fährlichkeiten nach der Stadt Medina, wo ihm eine Zuflucht bereitet war durch Anhänger, welche als Wallfahrer den Islam in Mekka kennengelernt, angenommen und nach Medina gebracht hatten. Auch waren dem Propheten seine sämtlichen Anhänger, seine beiden Fluchtgenossen Abu Bakr und Aly abgerechnet, aus Mekka nach Medina vorangeflohen. Die Korayschiten setzten erfolglos einen Preis von 100 Kamelen auf den Kopf des ihrem Mordanschlag entgangenen Propheten.

Am 14. September des Jahres 622 langte der Flüchtling in dem vor den Toren Medinas gelegenen Dorfe Koba an. Von dieser Flucht (»Hidjrah«) Mohammeds datiert bekanntlich die Zeitrechnung der mohammedanischen Welt. Nicht ohne Grund. Denn die Hidjrah markiert in der Laufbahn des Propheten den ausschlaggebenden Wendepunkt. Jetzt erst wurde seine Stellung eine öffentliche und seine Rolle eine geschichtliche; jetzt erst wich das Dunkel und die Stille seines Privatlebens dem Glanz und Geräusch eines Daseins, auf welches die Augen und Gedanken von Tausenden und bald von Myriaden von Menschen als auf ihren Mittelpunkt sich richteten. Denn mit dem Amt eines Predigers und Propheten, eines durchweg nur auf die friedlichen Mittel der Unterweisung angewiesenen Lehrers verband von jetzt ab Mohammed die Arbeit, das Wesen, Walten und Wirken eines Staatsmannes, Feldherrn und Fürsten.

In Medina nämlich entwickelte sich die islamische Sekte binnen kurzem zu einer großen religiösen und politischen Partei, welche der Prophet auch als solche zu lenken und zu leiten, zu mehren und zu meistern hatte. Hierbei nun ist der ihm eingeborene Genius des Mannes, die ganze Macht seines Ich und Selbst, die Fülle und Vielseitigkeit seiner Begabung, die von ihm ausstrahlende Souveränität seines Wollens und Tuns so recht kundgeworden. Wie alle auserwählten Geister besaß auch er in vollem Maße das Geheimnis der Machtübung über Menschen. Mit der Fürstlichkeit Mohammeds freilich ist es noch sehr ärmlich und kärglich bestellt gewesen, wie beispielsweise die wahrhaft beduinische Einfachheit zeigt, womit in Medina die Hochzeit seiner Lieblingstochter Fatima mit dem treuen Aly gefeiert wurde. Der ganze Hochzeitsschmaus bestand aus einer mit Datteln und Oliven gefüllten Schüssel, und die Ausstattung des jungen Paares war eine geradezu bettelhafte. Aber trotz der Armseligkeit seines Haushalts war er doch bald nach seiner Ankunft in Medina in der Verfassung, der Verkündigung seiner Lehre die Überredungskraft des Schwertes beizufügen. Es erwies sich eben auch beim Aufkommen des Islam die leider durch den ganzen Verlauf der Geschichte bestätigte Wahrheit, daß keineswegs nur auf dem sehr wünschenswerten Wege ruhiger Bildung und mit den friedlichen Mitteln der Belehrung und Überzeugung die großen Wandlungen in der menschlichen Gesellschaft sich bewerkstelligen und vollziehen. Der kindische Traum vom ewigen Frieden mag in Kinderfibeln paradieren, um Kinder zu ergötzen. Das Buch der Geschichte ist aber keine Kinderfibel, sondern lehrt denkende und wissende Menschen, daß es bei den großen Umwälzungen in der Menschheit niemals ohne Gewaltsamkeit abgegangen ist. Das Christentum hat übrigens in dieser Beziehung dem Islam bekanntlich gar nichts vorzuwerfen. Denn keine Religion hat so viel Blut und so viele Tränen gekostet wie die christliche.

Sobald der Prophet in Medina festen Sitz gewonnen, faßte er als notwendiges Ziel die Bewältigung von Mekka ins Auge, ganz richtig rechnend, daß mit Mekka ganz Arabien binnen kurzem ihm zufallen müßte. Er begann also von Medina aus an der Spitze seiner Anhänger den Krieg gegen die vom Stamme Koraysch, nachdem er den »Djihad« gegen die Ungläubigen als ein förmliches Gebot Allahs proklamiert hatte. Selbstverständlich wurde dieser Krieg zunächst im Stil echt arabischer Razzias geführt. Einen ersten wirklichen Sieg über die Korayschiten gewann Mohammed im Treffen bei Bedr. Zwar schwankte die Entscheidung noch lange, und eine erste Berennung Mekkas mißlang sogar; allein der Islam gewann doch allmählich Boden; der Anhang des Propheten wuchs im Lande, und das konnte nicht ohne Rückwirkung auf seine Gegner bleiben. Ein Stammeshäuptling in den Dörfern und Städten, ein Beduinenscheich der Steppe nach dem andern stellte sich unter das Banner Allahs, und der neue Glaube wurde nachgerade zu einer nationalen Macht, welche alle Hindernisse überwältigte. Zu Ausgang des Jahres 629 vermochte Mohammed mit 10 000 Streitern vor Mekka zu rücken, und schon im Januar 630 zog er als Sieger in die bezwungene Stadt ein. Er übte Mäßigung und Milde. Arabischem Kriegsrecht zufolge waren sämtliche Bewohner der besiegten Stadt dem Untergang verfallen. Der Prophet begnügte sich jedoch, etliche der verstocktesten Korayschiten zum Tode zu schicken.

In der Kaabah wurden die Götzenbilder feierlich zerschlagen und verbrannt, das also gereinigte Haus aber zum Haupttempel des Islam erklärt. Im folgenden Monat zog Mohammed von Mekka aus, um den letzten Widerstand, den seine Lehre und sein Herrscheramt noch in Arabien zu befahren hatten, niederzuschlagen. Er tat dies mittels seines großen Sieges im Tale von Honayn, und jetzt reichte sein Machtgebot über die ganze Halbinsel, ja er konnte seine Waffen nach Syrien hinaustragen und den Kaiser von Byzanz bekriegen. Verständigerweise verfolgte er jedoch die kriegerische Laufbahn nicht weiter, sondern wandte den Rest seines Lebens auf die Durchbildung und Festigung seines Werkes, indem er auf der Basis des Islam Arabien neu organisierte. Sein Lieblingsaufenthalt war Medina, und da wollte er auch begraben sein. Im 10. Jahre der Hidjrah wallfahrtete er zum letztenmal nach Mekka, diesmal ganz im Stil eines anerkannten und hochverehrten Fürsten der Gläubigen. Der Einzug in die Kaabah war der Triumphalpomp seiner Prophetenschaft. Nach Medina zurückgekehrt, erkrankte er, und auf dem Krankenlager wies er wiederum, wie er schon oft getan, die Versuche seiner Jünger, ihn zu vergotten, ihn für Gottes Sohn zu erklären, fest und bestimmt zurück. »Gott hat keinen Sohn, und ich bin nur ein Mensch wie ihr alle«, sagte er. Seine Vertrautesten versammelte er zu einer letzten feierlichen Ansprache, welche der Überlieferung zufolge lautete: »Ich höre, der Tod eures Propheten erfülle euch mit Schrecken. Aber hat denn je einer der vor mir gekommenen Propheten ewig gelebt? Ihr mußtet also wissen, daß ein Tag käme, wo ich von euch getrennt werde. Ich wandere jetzt zum Allah, meinem Herrn, euch aber ermahne ich zur Eintracht.« Dann befahl er, allen seinen Sklaven die Freiheit zu schenken und alles Geld, das in seiner Kasse sei, den Armen zu geben. Es war freilich wenig genug, 6 oder 7 Denare. Denn der Fürst der Gläubigen, der Beherrscher Arabiens, starb arm. Der 7. oder 8. Juni 632 war sein Todestag. Da, wo sein Sterbebett gestanden, wurde sein Grab gegraben, bestimmt, das sehnsüchtig erstrebte Ziel der Pilgerfahrt von Millionen zu werden.

7.

Der menschliche Hang zur Mythenbildnerei im allgemeinen und die arabische Fabuliersucht im besonderen haben nicht gezögert, nach dem Heimgange des Propheten die Erscheinung desselben, auch die körperliche, mit einem so dicken Nimbus des Wunderbaren zu umhüllen, daß man ihn vorher energisch zerreißen und beseitigen muß, wenn man die wirklichen Umrisse und die wahren Züge des großen Mannes erkennen will. Es ist auch wohl nur billig, daß man bei Vergegenwärtigung seines Gesamtcharakterbildes den Propheten nehme, wie er in seiner besseren und besten Zeit war, wenn schon nicht verschwiegen werden darf, daß er in späteren Jahren mitunter, sogar häufig, bedenklich von jenem bösen Gebresten angekränkelt war, das ich die Weihrauchskrankheit nenne. Gegen die giftigen, Unheil stiftenden Dünste derselben scheint leider kein menschliches Gehirn fest genug vermauert zu sein.

Fassen wir die Züge zusammen, welche uns über die Persönlichkeit Mohammeds überliefert worden, so gewinnen wir dieses Bild: Von Mittelgröße, besaß er einen schlanken, geschmeidigen, sehnigen Wuchs, einen wohlgeformten Kopf, ein rundliches, braunes, rotwangiges Gesicht, mit einer hohen, schön gewölbten Stirn, unter welcher große schwarze Augen hervorblickten, gewöhnlich sanft und träumerisch, strahlenwerfend in Augenblicken der Begeisterung, feuersprühend im Zorn. Die schmalrückige Adlernase mit ihren sehr beweglichen Flügeln deutete auf Leidenschaftlichkeit, der Mund mit den vollen, aufgeworfenen Lippen auf Sinnlichkeit, das massive, von einem starken Bart bedeckte Kinn auf Energie hin.

Leicht und lustig ertrug der Prophet Anstrengungen und Strapazen aller Art, ließ sich von Hitze und Frost, von Hunger und Durst wenig anfechten, war ein kühner Reiter, ein geschickter Bogenschütze und Schwertkämpfer, persönlich tapfer, als Führer in der Schlacht ebenso scharfblickend und umsichtig wie als Politiker, als welcher er seine Entwürfe auf das Fundament tiefer und vielseitiger Menschenkenntnis stellte, um sodann mit geduldiger Beharrlichkeit an der Durchführung derselben zu arbeiten. Seine Stimmung äußerte sich in Haltung und Miene zumeist als milder Ernst, aber im Umgang und Gespräch waren ihm die Formen anmutsvoller Leutseligkeit eigen. Wenn Zeit, Ort und Anlaß es forderten, hat sich der sonst gewöhnlich wortkarge Mann zur hinreißenden Beredsamkeit erhoben. Dann strömte die Zunge des Dichters die Eingebungen des Propheten in Worten aus, die flammten wie Blitze und rollten wie Donner. Er war ein durch und durch ehrlicher Mensch, offen und ohne Hehl auch in seinen Fehlern und Ausschreitungen. Nichts Gleisnerisches, Scheinheiliges, Muckerisches an und in ihm. Aus der Tiefe einer felsenfesten Überzeugung heraus handelte er. Er glaubte an das, was er verkündete, und darum glaubten die Menschen auch ihm. Er war ein Prinzipmann, kein aalglatter Opportunist, kein Schleicher und Heuchler, sondern ein Geradeausgänger und weder ein Höfling der Macht noch ein Schmeichler der Menge. Der Grundzug seines Wesens ist zweifellos Liebe zu den Menschen gewesen, wie denn ja, wo diese mangelt, wohl etwa so ephemere Scheindinge wie napoleonische Kaiserschaften aufgeschwindelt werden können, nie aber Bleibend-Großes gedacht, gewollt und geschaffen wird. Es fehlten ihm auch nicht die menschlich guten, feinen und edlen Charakterstriche, deren Mangel an dem berühmtesten Manne der ersten wie gleichermaßen an dem berühmtesten Manne der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so unangenehm auffällt. Der Prophet war gegen die Menschen billig und nachsichtig, liebte auch einen harmlosen Scherz. Als ihn eines Tages eine alte Frau hartnäckig behelligte, mit der Bitte, er möchte doch beim Allah fürsprechen, damit sie ins Paradies käme, sagte er ungeduldig: »Es kommt keine alte Frau ins Paradies.« Als aber die gute Greisin darob in Schluchzen ausbrach, tröstete er sie, sprechend: »Allerdings kommt keine Alte ins Paradies; denn an der Schwelle desselben werden die alten Frauen durch Allahs Gnade wieder in schöne junge Mädchen verwandelt.«

Rastlos war sein Wunsch, wohlzutun, und es ist bekannt, daß er sich in Speise, Trank und Kleidung die größte Mäßigkeit und Sparsamkeit auferlegte, um desto wohltätiger gegen andere sein zu können. Auch jenes Kennzeichen menschlicher Herzensgüte, das Mitgefühl und die Fürsorge für die Tiere, fehlte ihm nicht. Summa: Im seltensten Maße hat Mohammed Genie, Mannhaftigkeit, Einfachheit, Edelmut und Tatkraft in sich vereinigt. Er war so recht eine elementare Persönlichkeit, ein ursprünglicher Mensch, ein Held im Hochsinn des Wortes, und zutreffender als von jenem etwas zweifelhaften römischen Helden hätte der große Tragiker von dem arabischen rühmen können:

»So mischten sich ihm die Elemente,
Daß die Natur aufstehen durft' und sagen:
Das war ein Mann!« …

Einen Dichter, der seiner würdig wäre, hat der Prophet Allahs noch nicht gefunden. Die bekannte Tragödie Voltaires ist nur eine im Sinne der aufklärerischen Philosophie des 18. Jahrhunderts gezeichnete Karikatur. Von dem wahren Wesen und Wirken seines Helden hatte der große Spötter gar keine Ahnung. Großartig zwar hat Julius Mosen in den Schlußgesängen seines »Ahasver« den Eintritt des Islam in die Weltgeschichte dargestellt, aber wie sehr haben wir es doch zu beklagen, daß die jugendfreudige Absicht Goethes, einen Mohammed zu dichten, nicht zur Verwirklichung gelangt ist.

Das Werk aber dieses Mannes darf nicht nach dem Anblick beurteilt und gewertet werden, den es heute darbietet. Von Anfang an zwar war es, wie alles Menschliche, mit dem Mal der Vergänglichkeit bezeichnet, allein der Islam in seinem Niedergang darf uns nicht ungerecht machen gegen den Islam in seinem Aufgang. Seit länger als einem Jahrtausend ist dieser Glaube für Hunderte und wieder Hunderte von Millionen Menschen der Inhalt ihres Denkens, ihr heiligster Besitz, ihr höchstes Hoffen, ihre mächtigste Stärkung, ihr bester Trost gewesen. Und mit welcher Kraft und mit welchem Glanz hat diese Religion ihre Eroberungsrolle durchgeführt! Binnen des ersten Jahrhunderts schon nach dem Tode des Propheten langte der Mohammedanismus mit seiner linken Hand an den Ebro in Spanien und mit seiner rechten an den Ganges in Indien. Der arabischen Unwiderstehlichkeit hat nur germanische Unbesiegbarkeit den Weg zur Weltherrschaft zu verlegen vermocht. Großes also vollbrachte der Islam mit dem Schwert, aber Großes auch mit dem Geiste. Was alles das christliche Mittelalter der weit vorgeschritteneren islamischen Bildung zu verdanken hatte, ist bekannt. Unter dem Schutze der Kalifate von Bagdad und von Cordova sind herrliche Kulturfrühlinge aufgeblüht. Die Prachtbauten von Cordova, Sevilla und Granada, wie die von Kairo, Delhi und Agra zeugen noch jetzt beredsam von dem künstlerischen Wollen und Können dieser Kultur, welche der Weltliteratur einen Firdusi, Sadi, Dschelaleddin, Hafis, Hariri und alle die spanisch-arabischen und sizilisch-arabischen Dichter gab, der Wissenschaft einen Avicenna und Averroes, eine ganze Reihe von Mathematikern, Astronomen, Forschungsreisenden und Heilkünstlern, sowie sie auch aus dem Boden philosophischer Spekulation den Sufismus hervortrieb, jenes pantheistische Evangelium freudiger Gott-Trunkenheit. Das alles ist nicht verloren, sondern vielmehr zum Gesamteigentum der zivilisierten Menschheit geworden.

Gegenwärtig freilich scheint der Islam, schon seit Jahrhunderten von innen heraus gewelkt, im Absterben begriffen – wenigstens in seinen staatlichen Formen und Gestaltungen. Der Möglichkeit einer Wiederverjüngung steht sein ganzes Wesen entgegen. Allah wird an ihm wohl kein solches Wunder tun, wie der Prophet jener weinenden Greisin tröstend eins in Aussicht stellte. Das Endschicksal alles Gewordenen und Werdenden, das Vergehen, das Schicksal von Religionen, Staaten, Völkern, Rassen, von Weltkörpern sogar, wird auch das des Islam sein. Schon seit langem hört man ja in russischen und anderen Staatskanzleien die Diplomatenfedern kritzeln, welche ihm das Testament aufsetzen, dem armen »kranken Mann« von Mohammedanismus, den die Unentwickelbarkeit seines Dogmas und der daraus entsprungene dumpfe Fatalismus mit seinem ganzen verderblichen Gefolge, Sultanismus, Vielweiberei, Sklavenwesen, Unwissenheitsdünkel und Trägheit, zu einem unheilbaren Siechling gemacht haben. Der Tag wird und muß also kommen, wo die Geschichte über ihn zur Tagesordnung schreitet. Aber es ziemt uns, nicht mit Überhebung, sondern nur mit Mitleid dieses Ende einer so gewaltigen Erscheinung vorzufühlen, eingedenk, daß die Reihe auch an uns kommen, ja daß, wie unsere Weisen wollen, das in erhabenem Schweigen über, um und unter uns tagende große Parlament der Welten dereinst über unsere kleine Erdenwelt selbst zur Tagesordnung übergehen wird. Ob dann das, was die Menschheit gefühlt, gedacht und getan, erstritten und gelitten, all ihre Triumphe und ihre Niederlagen, ihre Eroberungen und ihre Opferungen, ihre Verdienste und ihre Verfehlungen, all ihre Lust und all ihr Leid auf Wegen, welche selbst die Phantasie eines Dante nicht zu ahnen vermöchte, den Bewohnern anderer Welten zugute kommen oder aber ob dies alles verweht sein werde, spurlos, ein Windhauch von gestern – wer weiß es?


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