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Blücher

Guten Vorwärtsschritt erhob er
Über Fluß und Berg und Tal,
Von der Oder, von dem Bober
Bis zur Elb' und bis zur Saal',
Und von dannen bis zum Rheine
Und von dannen bis zur Seine,
Marschall Vorwärts!
Marschall Vorwärts allzumal.

Rückert.

1.

Zu den vielen großen Merkmalen des 18. Jahrhunderts gehört auch dieses, daß im genauen Verhältnis zum Vorschritt der Epoche die Menschen sich vergrößerten und der so beispiellos über jene Zeit ausgegossene Reichtum von Genie, Ursprünglichkeit und Tatkraft zunahm. Die letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts haben in dieser Beziehung geradezu nicht ihresgleichen. Ein ganz umgekehrtes Verhältnis weist unser eigenes Jahrhundert auf. In die Anfänge desselben wirkte die herrliche Triebkraft des 18. noch herüber; aber je mehr es vorschreitet, desto auffallender wird der Mangel an großartig angelegten Geistern und Charakteren, desto breiter macht sich die liebe Mittelmäßigkeit, und es ist leider alle Aussicht vorhanden, daß ein ausgeprägtes intellektuelles und sittliches Liliputertum das Ende vom Säkulum der Klopfgeisterei und des Millionenschwindels kennzeichnen werde.

Unter den denkwürdigen Gestalten, die aus dem vorigen Jahrhundert in das jetzige herübergeschritten sind und strahlenden Glanzes in die Unsterblichkeit der kommenden Jahrhunderte eintreten werden, ist ohne Frage eine der eigenartigsten der Gebhart Lebrecht Blücher. Nichts weniger als ein Idealmensch – derartige »fehlerlose Ungeheuer« gibt es überhaupt nur in der lyrischen Poesie, nicht in der Wirklichkeit – aber eine feste, wuchtig, unauslöschbar und unverschiebbar in der Weltgeschichte dastehende Figur, mit einem unverkennbaren olympischen Widerschein auf der schöngebildeten Stirn, mit echtem Seelenfeuer in den großen dunklen Augen, mit einem Zug um den festgeprägten Mund, welcher zu sagen scheint und sagen darf: Eine große Schuldigkeit war mir auferlegt, und ich habe sie tüchtig getan … Was denn Besseres, als Großes tüchtig getan zu haben, könnte ein Mensch sich selbst und könnte die Nachwelt ihm nachsagen? Höfische Schönfärberei mag ihre Palette mit Rauschgold und Katzensilber bedecken, um damit Scheingrößen eine Kinder oder Unwissende blendende Wichtigkeit anzukünsteln; aber der einzige Maßstab, womit wirkliche Größen würdig gemessen werden, ist die Wahrhaftigkeit. Er soll in Nachstehendem gehandhabt werden.

Anziehend und bedeutend wird die Persönlichkeit Blüchers zuvörderst dadurch, daß er sicherlich der einzige Mann gewesen, der in der Epoche Friedrichs des Großen seine Laufbahn begonnen und in die Geschichte der Epoche Napoleons mit vollster Tatkraft eingegriffen hat. Nur ein aus Kernholz geschnittener Mensch vermochte sich so lange in Trieb und Saft zu erhalten, und Urteilsfähige werden in dem Manne, von welchem der Franzosenkaiser sich und anderen vorlügen wollte, daß er nur ein »besoffener Husar«, in dem Mann, in welchem ein weltschmerzelnder Byron nichts sehen wollte als »einen Stein, über den Napoleon gestolpert«, schon um des angedeuteten Umstands willen die genialisch angelegte Natur erkennen.

Schade freilich, sehr schade, daß der junge Blücher inmitten so hinterwäldlerisch roher und dürftiger Verhältnisse aufwuchs, wie sie während seiner Knabenjahre in Mecklenburg und Pommern gewesen sind. Gedankenlose Romantiker zwar machen ein großes Geschrei von der »Naturwüchsigkeit« Blüchers und preisen an ihm vor allem das, was sie das »Volksmäßige« nennen. Ganz abgesehen von unserm Helden, ist aber das sogenannte Volksmäßige meist nichts als Unfreiheit, Aftergläubigkeit und Brutalität, und selbst einem Romantiker sollte so viel Denkvermögen zuzutrauen sein, daß er einsehen lernte, Naturwüchsigkeit im besten Sinne des Wortes leide durch Bildung und edle Sitte keineswegs Not. Ich stehe nicht an, zu sagen, der leidige Umstand, daß Blüchers Erziehung so überaus mangelhaft und daß er genötigt war, alles nur aus seiner allerdings stets reich und frisch quellenden Natur zu schöpfen, sei ein nationales Unglück gewesen. Der Beweis hierfür ist dieser: Preußen hat, das kann einem ernstlichen Zweifel gar nicht unterstellt werden, für die Befreiung Deutschlands und Europas vom Napoleonismus nicht nur verhältnismäßig, sondern unbedingt das Meiste gelitten und das Beste getan. Der ihm zugefallene Siegespreis jedoch stand in gar keinem Verhältnis zu seinen Anstrengungen und Opfern. Die Sache Preußens war aber, was auch altbayrische »Patrioten« dazu sagen mögen, die Sache Deutschlands, welches dann auch, wie jedermann weiß, gleich Preußen um die Resultate der großen Kämpfe von 1813-1815 schmählich gebracht wurde. Nun wohl, hätte dies nicht verhindert werden können? Hätte der erste und hätte der zweite Pariser Friedensschluß nicht ein wesentlich anderes Gesicht bekommen müssen, wenn gegenüber einem nach der Einnahme von Paris von Talleyrandschen Schlingen und Krüdenerschen Gaukeleien umstrickten, eitelkeitstrunkenen Zaren Alexander, gegenüber einem bornierten und kraß britisch-selbstsüchtigen Castlereagh, gegenüber einem durch und durch widerdeutschen Metternich, gegenüber einem ängstlichen Erzhämorrhoidarius Knesebeck und einem schwachen, oberflächlichen Hardenberg der kerndeutsche Blücher nicht allein als ein gefeierter Marschall Vorwärts, sondern auch als durchgebildeter Welt- und Staatsmann gestanden hätte? Was ein siegreicher General, der zugleich ein gebildeter, feiner und fester Politiker ist, in Zeiten, wie jene gewesen sind, alles vermag, das haben Wellingtons diplomatische Erfolge sattsam erwiesen. Daß auch Blücher, von den Umständen begünstigt, ein solcher Politiker hätte werden können, dafür zeugt sein scharfer und geschwinder Verstand und die außerordentlich große Dosis von Schlauheit, die seinem Wesen beigemischt war. Aber während Wellington im Rate der Monarchen und Diplomaten seinen Stand nahm und höchst erfolgreich behauptete, saß Blücher, wie er nun einmal war, hemdärmlig im Palais Royal, pokulierend, hasardierend und husarisch auf das »infamigte Hundezeug von Federfuchsern und Diplomatikern« scheltend und fluchend. Diese hinterpommersche »Naturwüchsigkeit« konnte freilich nicht verhindern, daß Deutschlands Interessen denen des Auslands und einheimisch-dynastischen Eigensüchtigkeiten gewissenlos geopfert wurden.

2.

Mit dem Gesagten ist schon auf die Schlacken in dem guten Metall hingedeutet, aus welchem Blücher gemacht war. In Wahrheit, die ordinär-soldatische Dreifaltigkeit: Wein, Weiber und Würfel, ist allzusehr sein Glaubensbekenntnis gewesen, wenngleich betont werden muß, und zwar auf Grund unanfechtbarer Zeugnisse, daß er den Lockungen zu leichtfertigem Lebensgenuß niemals auf Kosten seiner Pflichterfüllung sich überließ. Die Wachtstubenatmosphäre seiner derben und lärmenden Vergnügungen hat die wahrhaft großen und edlen Züge in seinem Wesen nicht zu ersticken oder auch nur zu schwächen vermocht, und es ist bewundernswert, daß dieser Mann, dessen beklagenswert unzulängliche Bildung ihn sein Leben lang zur Wissenschaft, Poesie und Kunst keine rechte Beziehung gewinnen ließ, bis ins höchste Alter eine überraschende Fülle, Frische und Empfänglichkeit des Gefühls, eine geradezu poetische Seelenstimmung sich zu wahren gewußt hat. Das wird bei einem bloßen Lebemann oder gar Wüstling niemals vorkommen, und so wollen wir uns denn an den Schatten in dem Lichtbild des Helden weiter nicht stoßen. Wie in jeder bedeutenden Persönlichkeit lagen eben auch in der Blücherschen die Gegensätze hart nebeneinander. Das Unvermittelte, Unausgeglichene derselben hat Arndt vortrefflich hervorgehoben, wenn er von Blüchers Gesicht sagte: »Es hatte zwei verschiedene Welten, die selbst bei Scherz und Spaß, welchem er sich ganz frisch und soldatisch mit jedem ergab, ihre Farben nicht wechselten: auf Stirn, Nase und in den Augen wohnten Götter, um Kinn und Mund trieben gewöhnliche Sterbliche ihr Spiel.«

Mit der unvergänglich-jugendlichen Gemütsfrische verband sich in dem Marschall Vorwärts eine von frühauf gehärtete und geübte Verstandesschärfe, eine schnelle und untrügliche Beobachtungsgabe, ein lebhafter Sinn für das Wirkliche und Tatsächliche, ein scharfer Einblick in das Spiel der menschlichen Interessen und Leidenschaften. Er hat, wie mit Grund zu vermuten ist, vielleicht sein Leben lang nie ein Buch ganz durchgeblättert: aber er verstand frühzeitig und übte fortwährend die schwierigere Kunst, das Buch des Lebens zu lesen, das für so viele Bücherweise stets ein mit sieben Siegeln verschlossenes bleibt. Daher wußte er die Menschen zu nehmen, wie sie sind, und auch sie zu fassen und zu packen verstand er. Wer kennt nicht die husarische Unorthographie des Alten? Aber seine in dieser absonderlichen Rechtschreibung verfaßten Briefe und Depeschen sind voll gesunden Gedankengehalts, bravster Gesinnung, kernig, mannhaft ganz und gar. Im mündlichen Verkehr vollends, besonders mit dem »gemeinen Mann«, hatte er nicht seinesgleichen. Seine natürliche Redegabe war sehr groß. Berühmt ist vor allen seinen Reden jene tiefgefühlte Improvisation geworden, welche er beim Siegesmahl von Wartenburg zum Ehrengedächtnis Scharnhorsts losließ. Ohrenzeugen haben versichert, der »unwillkürliche Erguß dieser Rede sei ein wunderbares Produkt dichterischer Begeisterung« gewesen. Ja, er war ein schneller und kühner Degen auch mit dem Wort. Es ist etwas wie das Blitzen einer blanken Klinge in allem seinem Sprechen, und der Alte besann sich auch nie lange, seine derb mecklenburgisch-pommersche Quart zu schlagen. Macht ihm da z. B. Anno 1814, nach der ersten Einnahme von Paris, der Marschall Berthier seine Aufwartung und sagt: »Es ist mir sehr angenehm, Ihnen, Herr Feldmarschall, meine Hochachtung bezeigen zu können, obschon ich wünschte, daß dies nicht hier in Paris geschehen müßte.« Worauf Blücher trocken erwiderte: »Hm, mir ist das ganz recht.«

Und wie über gute Damaszenerklingen krausverschlungene Arabesken anmutig sich hinschlängeln, so springt und lacht aus unseres Helden ernster Rede bei jeder Gelegenheit der Humor drollig und keck hervor. Mitunter hanswurstig derb genug. Bei Haynau – erzählt Müffling – war dem Brigadekommandeur des rechten Flügels gemeldet, daß eine feindliche Kolonne um seinen rechten Flügel herumgegangen sei und sich, Napoleon an der Spitze, bereits völlig im Rücken der Preußen befinde. Der Brigadekommandeur sendet seinen Adjutanten ins Zentrum zum kommandierenden General, und der Sendbote stattet seine Meldung in tragischem Ton ab. Blücher fragt: »In wessen Rücken? In dem Ihres Kommandeurs oder in dem meinigen?« – Der Adjutant bedauernd: »In Ew. Exzellenz Rücken.« – »Wohl, so sagen Sie Ihrem Kommandeur, daß ich mich über diese Nachricht ungemein freue, denn dann ist ja der Kerl, der Bonaparte, auf dem rechten Wege, mir – eine ganz besondere Ehre zu erweisen, wozu er nur von hinten kommen kann.«

Feiner führte der Alte in seiner letzten Lebenszeit den Bischof Eylert ab, der im Staatsrate gegenüber von Blücher, Gneisenau und Grolman die Nichtverpflichtung der Mennoniten zum Kriegsdienst mit christlichen Gründen eifrig verfocht, bis dem Eifernden der Feldmarschall in die Flanke fiel mit dem biblischen Spruch: »Niemand hat größere Liebe denn der, so sein Leben läßt für die Brüder.« Man sieht, Blüchers Humor und schlagfertiger Witz tummelte sich keineswegs ausschließlich in der Region des wachtstüblichen Grobianismus, aus welcher Region bekanntlich auch Napoleon mit Vorliebe seine Bilder und Schlagwörter geholt hat. Aber zur Charakteristik des Marschalls Vorwärts gehört ein Zug von Zynismus ebenso unumgänglich wie der Schnauzbart zur Zeichnung seiner Physiognomie.

Wenn Blücher schon als Mensch, wie das jeder scharf ausgeprägten und eigenartig auf sich selbst gestellten Persönlichkeit widerfährt, den allerverschiedensten Urteilen unterstellt wurde, so geschah ihm dies noch mehr in seiner Eigenschaft als Heerführer. Die noch jetzt vorwiegende, durch die französische Geschichtsmacherei wie durch gedankenlose deutsche Anekdotenstoppelei weitverbreitete Meinung ist, daß husarische Haudegenschaft das hervorragendste Merkmal von Blüchers Feldherrnrolle gewesen sei. Wahr ist daran, daß ein klirrendes Reitertreffen ihm allzeit die schönste und liebste Erscheinung im Kriegsleben gewesen ist und daß es dem Alten noch während des Feldzugs von 1814 in Frankreich oft unwiderstehlich in der Husarenfaust zuckte, den »Schwerenöterfranzosen« mit dem eigenen Säbel »eins abzugeben«. Aber keineswegs ist Blücher ein bloßer Haudegen gewesen, und was ihm vollen Anspruch gibt, ein Heerführer ersten Ranges zu heißen, ist namentlich sein Verhalten im Feldzug von 1813. Da war er es, der den Grundgedanken des Trachenberger Feldzugsplans mit schärfstem Verständnis, mit unbeirrbarer Besonnenheit und zugleich mit Ausschlag gebender Energie aus- und durchführte. Daß hiervon und nur hiervon das Gelingen des Unternehmens und damit das Schicksal Europas abhing, weiß jedermann. Blücher war kein wissenschaftlich gebildeter Kriegstheoretiker und noch weniger ein tiftelnder Kriegswissenschaftsmystiker; aber dafür besaß er unendlich viel Wertvolleres: den wahren Feldherrninstinkt und jene Macht des Gemüts, jene Schnellkraft des Willens, mittels welcher wie auf den Walstätten des Geistes so auch auf denen des Schwertes die wahrhaft großen Siege erstritten werden. Er war kaum imstande, eine weitausholende strategische Disposition im Detail zu entwerfen, und ein künstlich ausgetiftelter Schlachtplan vollends widerte ihn an. Aber er hatte ein Ohr für die entscheidenden Stunden, ein Auge für die entscheidenden Punkte und endlich das rechte Herz, jene zu nützen und diese zu gewinnen.

3.

Es ist eine traurige Tatsache, daß die ungeheure Mehrzahl der Menschen überhaupt und der Deutschen insbesondere stets von Herzen bereit ist, emporragenden Mitmenschen und Landsleuten »eins anzuhängen«. Das liegt so sehr in der Natur des ungebildeten und des gebildeten Pöbels, daß man sich weiter nicht dabei und darüber aufzuhalten braucht. Aber wahrhaft empörend ist es doch, daß die Kleingeisterei gerade eine schönste Tugend Blüchers zur Verkleinerung seines Ruhmes benutzt hat, seine so seltene Tugend der Neidlosigkeit und der Bereitwilligkeit, die Verdienste anderer anzuerkennen. Weil er im sorglosen Bewußtsein des eigenen Wertes einmal gesagt hat: »Ohne den Scharnhorst kann ich nichts machen« – und weil er einmal den Gneisenau seinen »Kopf« genannt hat, soll der heldische Greis gar keines selbständigen Plans und Entschlusses fähig, soll all sein Tun nur ein marionettenhaftes, durch andere bestimmtes und geleitetes gewesen sein. In den Augen von Wissenden ist diese Ansicht freilich zu absurd, als daß sie einer Widerlegung bedürfte. Was aber Nichtwissende betrifft – solche nämlich, welche überhaupt belehrbar sind – so genügt es vielleicht, sie zur Betrachtung jener Szene zu vermögen, wo Blücher (im November 1814) zu Frankfurt am Main dem hämorrhoidalischen Knesebeck und anderen Friedenswinselern gegenüber die große und tapfere Idee vertrat, die die wirklichen Patrioten beseelte, die große und tapfere Idee, die die verbündeten Waffen von den Ufern der Katzbach, der Spree und der Elbe siegreich an die des Rheins geführt hatte und sie siegreich weiter führen sollte bis nach Paris.

Niemand wird ungestraft sich einfallen lassen, aus den wohlerworbenen Ehrenkränzen eines Scharnhorst und Gneisenau, wie eines Yorck und Grolman, auch nur ein Blättchen herauszubrechen. Kein gerechter Mann wird ferner, wenn von der Kriegsgeschichte jener Zeit die Rede ist, unterlassen, in der Reihe der tüchtigsten und bravsten Führer einen Prinzen Eugen von Württemberg zu nennen, noch auch anzuerkennen, daß der Generalissimus Schwarzenberg unter unsäglich schwierigen und peinlichen Verhältnissen alles getan hat, was zu tun seine Gaben ihn befähigten. Aber fest steht: keiner der Genannten hätte den Blücher zu ersetzen vermocht. Keiner außer ihm hatte das Zeug zu einem Marschall Vorwärts, und gerade eines solchen bedurfte es, um den Napoleon und den Napoleonismus zu fällen. Der Zar Alexander und der alte Blücher haben es vorzugsweise gemeinschaftlich vollbracht. Jener war der bewegende Wille, dieser die drängende, treibende Kraft des beispiellosen Kampfes. Ja, ein rechter Kraftmann war der Held mit der Jünglingsglut unter der siebzigjährigen Schädeldecke, der adlernasige, dunkeläugige, dem jenes Dämonische innewohnte, das alle wirklich großen Menschen kennzeichnet. Dieses Zaubermächtige trat in seiner Stellung und in seinem Verhalten zu den Soldaten ganz auffallend zutage. »Man glaubt allgemein«, berichtet ein urteilsfähiger Augenzeuge, »da Blücher einen so gewaltigen Einfluß auf die Soldaten übte, daß er sich viel mit ihnen beschäftigt, sie gemustert, exerziert und in allen Stücken für sie gesorgt habe. Nichts weniger als das. Sie bekamen ihn vielmehr kaum anders zu sehen als im Gefecht. Was war es denn aber, was die Leute so mächtig an ihn kettete? Die Kühnheit, die aus seinen Augen leuchtete, sein heldenmäßiges Wesen, seine grauen Haare, seine Stimme, wenn er im Vorbeireiten einige Scherzreden von sich gab, die Gewißheit, daß er in dem Augenblick da sein würde, wenn es not täte, und daß er in den schlimmsten Lagen nie verzage, das Glück immer benutze.« Das war's! Blücher gehört zu jenen bevorzugten Naturen, welche schon durch ihr bloßes Sein gelten und wirken und das unerklärliche, aber unbestreitbare Privilegium haben, das von vornherein zu besitzen, was andere erst mühsam sich erwerben müssen: Macht über Menschen.

In dem ganzen Auftreten und Gebaren solcher Männer offenbart sich etwas Providentielles. Der Glaube an ihre Sendung verleiht ihnen eine so unbeirrbare Zukunftsahnung, daß ihre Überzeugungen Menschen von gewöhnlichem Schlage nicht selten wie fixe Ideen vorkommen. So ist uns wohlbezeugt, daß Blücher seinen Freunden mitunter geradezu als wahnsinnig erschien, wenn er während der Glückshöhezeit des Napoleonismus dort hinten im Pommerland unter berserkerwütigem Schelten und Fluchen aufschrie: »Der Bonaparte muß herunter, und ich werd' ihn helfen herunterbringen!« Dieses Ziel stand fest vor seinem vorschauenden Auge, dabei blieb er und daran hielt er. Lange bevor Gneisenau am 19. Oktober auf dem Marktplatz von Leipzig im Kreise der triumphierend einziehenden Heeresfürsten und Generale zuerst es laut aussprach, daß der Krieg den völligen Sturz Napoleons zum Ziele haben müßte, lebte und webte der Gebhart Lebrecht in diesem Gedanken, den so entschieden und unerbittlich nicht einmal der Freiherr vom Stein erfaßt hatte. Schon im Februar 1813 gab der Alte zu Breslau dieser seiner Überzeugung Ausdruck, freilich nach seiner Art in einer Weise, die einem Wittgenstein und anderen um Friedrich Wilhelm herumschwänzelnden Kamarillakreaturen die Haare zu Berge sträubte.

Wie er sein Werk glorreich hinausführte, wie er in den Feldzügen von 1813 und 1814 das Schwierigste und Entscheidendste vollbrachte, wie er endlich zu einer Stunde, wo das Schicksal Europas an einem Haare hing, bei Waterloo, dem Napoleonismus den Garaus machte, das alles ist, wenigstens im ganzen und großen, allgemein bekannt und beweist herrlich, was auf ein großes Ziel unerschütterlich gerichtete Beharrlichkeit vermag. Weit weniger bekannt und beachtet dagegen ist gerade der Zug in Blüchers Wesen, der als der eigentümlichste und bedeutendste bezeichnet zu werden verdient: seine Deutschheit, seine glühende, nicht kleinpreußische, sondern im höchsten und besten Sinne großdeutsche Vaterlandsliebe. Es ist geradezu wundersam, daß ein Soldat Friedrichs des Großen, der doch alles Menschenmögliche getan hat, um seine Soldaten und seine Preußen überhaupt vergessen zu machen, daß sie Deutsche – ja, es ist wundersam, daß dieser mecklenburgische Junker und Friedrichsche Soldat in seinen Greisenjahren ein deutsch-patriotisches Feuer in der Seele trug, wie ein solches erst wieder aus Schillers »Tell« in die Herzen der deutschen Jugend hineingesprüht war – eine vaterländische Stimmung und Gesinnung, die sich die jüngere Generation auf dem Wege dichterischer Anregung und wissenschaftlicher Reflexion aneignen mußte, während sie in dem heldischen Greise mit der ganzen Ursprünglichkeit und Frische der Inspiration waltete. Und keineswegs etwa erst zur Zeit des großen Aufschwungs von 1813. Man sehe dessen zum Zeugnis die prächtigen Briefe, worin er schon im Jahre 1809 den König Friedrich Wilhelm und andere beschwor, den Kampf gegen Napoleon zur gemeinsamen deutschen Sache zu machen und »die ganze deutsche Nation zu den Waffen zu rufen«. Der Alte war auch einer der ersten, welche klar erkannten, wie schnöde das deutsche Volk mittels des ersten und zweiten Pariser Friedens, wie mittels des Wiener Kongresses, um die gehofften Früchte seiner Leiden und Anstrengungen betrogen wurde, und er hat bekanntlich in den ingrimmigsten Zornworten über alle diese »Machenschaften« sich ausgelassen. Charakteristisch ist hierbei, daß ihm, dem preußischen Feldmarschall, der Vorteil Preußens und Deutschlands stets identisch erschien. Es liegt ein noch unveröffentlichtes Schreiben Blüchers vor mir, datiert vom 20. November 1815, worin er im Tone herber Enttäuschung seine Ansicht über die Zeitlage dem König Friedrich Wilhelm darlegt, das »elende Machwerk« der Minister der verbündeten Höfe verdammt und mit den Worten schließt: »Preußen und Deutschland steht trotz seiner Anstrengungen vor der ganzen Welt immer wieder als das betrogene da …«

Fürwahr, wenn wir uns, alles zusammengenommen, recht vergegenwärtigen, wie der Gebhart Lebrecht leibte und lebte, als Mann, als Feldherr und Patriot, so fühlen wir uns unwillkürlich getrieben, zu sagen: Wie täte ein solcher Vorwärtsgänger und Vorwärtstreiber unserer eigenen Zeit not und wohl!


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