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Ein deutscher Dichter

Wer würfelte aus Löwenzähnen und
Aus Eselsohren ihn zusammen?

Herzog Theodor von Gothland,
A. 3, Sz. 1.

1.

In der ersten Hälfte der dreißiger Jahre des Jahrhunderts der Eisenbahnen, der Syllabi und der Mitrailleusen sah man in der Haupt- und Residenzstadt des Däumlingreiches Lippe-Detmold, sowie zeitweilig auch auf den Straßen von Frankfurt und Düsseldorf, eine Figur herumwandeln, die geradeswegs aus einem der barocken Märchenbücher des Callot-Hoffmann entsprungen zu sein schien. Man hätte sie etwa für eine Spielart vom »Klein Zaches« halten können. Fragte man aber einen ehrsamen Untertanen des Tyrannen – das Wort ist nur im griechischen Sinne gemeint – von Lippe-Detmold: Wer ist der Mann?, so erhielt man in einem aus Respekt und Mitleid und Verachtung wunderlich gemischten Tone die Antwort: »Das ist unser Genie!« – Euer Genie? – »Nun ja, der Herr Auditeur Grabbe, der berühmt ist, weil er Komödienbücher trauriger und lustiger Sorte verfertigt hat.«

Der fragende Fremde mochte dann wohl sagen: Das ist der Dichter des Gothland, der Hohenstaufen und des Hannibal? und mochte hochverwundert der die Straße hinabschwankenden Erscheinung nachschauen.

Absonderlich genug war sie. Der Körper wie horizontal in zwei Teile geschnitten: die obere Hälfte Himmelsfeuer, die untere Erdenkot. Die ganze Gestalt eine so schlottrige Disharmonie, daß man bei ihrem Anblick sich versucht fühlte, wie ein Schuljunge den Horaz zu zitieren: » Disjecti membra poetae«.

Auf einem schmalen, schmächtigen Rumpfe mit frauenzimmerlich abfallenden Schultern trug »unser Genie« einen Prachtkopf, wenigstens was Schädelbildung und Stirnwölbung betraf. Wie aber der Kopf durch seine Mächtigkeit im schreienden Mißverhältnis zum schwächlichen Leibe stand, so war er auch sozusagen mit sich selbst uneins. Auf der Zeusstirne thronten, in den großen Augen blickten und blitzten edle Dämonen, aber um die knollige Rotnase und um den grobsinnlichen Mund her, dessen obere Lippe unschön über die untere herabhing, tummelten sich gemeine, und das starkzurückweichende, wie in dem ersten Entwicklungsansatz steckengebliebene Kinn bildete einen geradezu lächerlichen Gegensatz zu der wundervoll entwickelten oberen Gesichtspartie.

Der Herr Auditeur hielt sich in Kleidung und Gebaren sehr lässig. Sein Gang war mehr ein Schwanken und Schlurfen als ein Gehen: er schleifte seine Füße gleichsam hinter sich drein. Verdrießlichkeit lag auf seinem Gesicht wie eingeätzt. Auf seinen dünnen, blonden, hoch auf den Schädel zurückgewichenen Haaren hing windschief eine Mütze, deren ursprüngliche Farbe ebensogut grün als blau oder braun gewesen sein konnte. Die Brille hatte er von der Nasenwurzel auf die Stirn hinaufgeschoben. Von der linken Hand baumelte ihm ein Regenschirm herab, während er in der rechten ein rotes Schnupftuch trug, womit er sich zeitweise den roten Backenbart abwischte. Im Gehen brummte er häufig vor sich hin, und ein scharfes Ohr konnte Ausdrücke wie Bestie, Zobel, Rhinozeros und dergleichen mehr verstehen Die einzelnen Züge zu dem hier entworfenen Porträt sind hauptsächlich der Schrift »Grabbes Leben und Charakter« von Karl Ziegler (Hamburg 1855) entlehnt. Ziegler ist auch für die biographischen Angaben im vorliegenden Aufsatz der Hauptgewährsmann. Die Biographie Grabbes, welche Eduard Duller der ersten Ausgabe der »Hermannsschlacht« (1838) vorgesetzt hat, ist vielfach ungenau und nur da ganz zuverlässig, wo Duller als Augen- und Ohrenzeuge von dem Frankfurter Aufenthalt des Dichters handelt. Um die richtige und gerechte Würdigung Grabbes haben sich insbesondere Karl Goedeke (»Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung« III, 508f.), Rudolf Gottschall (Einleitung zu der von ihm besorgten Gesamtausgabe der Grabbeschen Werke, 2 Bände. Leipzig 1870) und Oskar Blumenthal (»Die Gegenwart«, 1873, Nr. 1f.) verdient gemacht..

Diese mehr oder weniger artikulierten Monologe wandelten sich mitunter zu absonderlichen Zwiegesprächen, wenn begegnende Bekannte den verdrießlich Dahinschlurfenden auf der Straße stellten oder in eine am Wege gelegene Wirtschaft zogen, um bei einem Früh- oder Spätschoppen die Tagesneuigkeiten zu verhandeln. »Hast du gestern den neuen Prediger gehört, Grabbe?« – »Nein, aber ich hörte, er hätte eine so schneidende Stimme, daß man sich damit rasieren könnte.« – »Willst du heute abend das Konzert besuchen? Fräulein X. wird singen.« – »Ach, die! Das letztemal sang sie so süß, daß ihre Töne vor Süßigkeit stanken.« – »Haben Sie, Herr Auditeur, das neue Buch über den polnischen Insurrektionskrieg schon gelesen?« – »Nein, doch ließ ich mir sagen, bei der Erstürmung Warschaus durch die Russen seien auf beiden Seiten zusammen zehn Millionen gefallen, die Läuse und Flöhe inbegriffen. Aber hören Sie mal, Herr Hauptmann, ob der liebe Gott wohl auch Gamaschen anhat?« – »Grabbe, was sagst du denn zu den neuesten Debatten in der französischen Deputiertenkammer?« – »Geht mir! Das Zeug! Die Juden haben aus ihrem Herrgott einen patriarchalisch-absoluten Herrscher gemacht. Wenn heutzutage wieder einer gemacht würde, müßte er sich sicherlich eine Pairs- und Deputiertenkammer gefallen lassen. Übrigens, wie steht es eigentlich mit der Legitimität Gottes? Ahnen hat er keine, soviel ist gewiß.«

2.

Ein Mann, welcher so war und sprach, ist nicht dazu gemacht gewesen, den Frauen zu gefallen. Die Frauen aber sind es, deren mehr oder weniger schöne Hände viel einflußreicher in die Literatur hineingreifen und darin viel bestimmender herumwirtschaften, als man gewöhnlich glaubt. Damit sind nicht etwa die Schreiberinnen gemeint, sondern nur die Leserinnen. Diese machen vorzugsweise den Ruf von Lyrikern, Dramatikern und Novellisten. Die Frauen bringen einen Schriftsteller in die Mode, gerade wie einen Haarputz, eine Robe- oder Mantilleform, und ebenso verhängen sie Acht und Bann über solche Autoren, die es verschmähen, mit süßer Kastratenstimme um ihre Gönnerinnenschaft zu werben. Weltkluges Federvieh gackert, gluckst und kräht daher allezeit so, daß sein Kapaunentum über alle Anzweiflung von frauenzimmerlicher Seite her erhaben ist.

Die Wirksamkeit der Damenpropaganda zugunsten oder -ungunsten von Autoren hat jedoch eine scharfgezogene Grenze. Sie fängt nämlich erst da an, wo die Region der Geister ersten Ranges aufhört. Jene Unsterblichen, von denen Johann Georg Fischer schön gesagt hat:

»Nur da und dorten rettet einen
Auf hohen Fluten seine Zeit,
Der leuchtet, wie die Sterne scheinen,
Ein Gott in seiner Einsamkeit« –

sie werden nicht von Frauenhänden auf ihre die Lande und die Zeiten überragenden Postamente gestellt. Sie stellen sich selbst hinauf kraft ihrer Souveränität von der Götter Gnaden. Sie bedürfen es nicht, in die Mode gebracht zu werden: wie alles übrige Gemeine liegt auch die Mode tief unter ihnen »im wesenlosen Scheine«. Man sieht wohl zuzeiten, weil der gute Ton das verlangt, Frauenhände Kränze zu den Füßen der Geisterkönige niederlegen; aber darauf beschränkt sich so ziemlich der Verkehr der Damen mit diesen.

Wieviele Frauen gibt es denn in Europa, welche die Homerischen Gesänge, die Nibelungen, die Göttliche Komödie, den Don Quichotte, die Werke Shakespeares, Molières und Goethes wirklich gelesen haben, verstehen und lieben? Kein Dutzend. Geht doch mal in Deutschland umfragen, wieviele Frauen wissen, was Lessing für seine Nation getan; fragt weiter, wieviele Frauen es dazu gebracht haben, Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen durchzulesen, und ihr dürftet in beiden Fällen eine Summe zusammenbringen, welche an die große Glocke der Bildungsstatistik zu hängen ihr wohl unterlassen werdet. Sogar Dichtungen, welche wie eigens dazu geschaffen sind, Mädchenwangen erglühen und Frauenaugen aufleuchten zu machen, finden nur wenige Leserinnen. Wieviele deutsche Frauen und Mädchen haben denn wohl Kenntnis von der herrlichsten Liebestragödie, welche seit Shakespeares Julia gedichtet worden, von Grillparzers »Hero« (Des Meeres und der Liebe Wellen)? Die Frauen zeigen in der Regel – von welcher es natürlich Ausnahmen gibt, aber wenige – eine ausgesprochene Vorliebe für das Mittelmäßige. Nicht sowohl deshalb, weil sie sich ihm wahlverwandt fühlten, als vielmehr darum, weil das Mittelmäßige der fraulichen Sucht, zu beschützen, zu begünstigen, zu bemuttern, hilfebedürftig entgegenkommt. Wehe dem Genie, wenn es sich einmal herabläßt, solche Bemutterung ebenfalls sich gefallen zu lassen. Es kommt dann leicht dazu, dumme Streiche zu machen. So ein dummer Streich ist z. B. der berühmte kinderbreiweiche und himbeersirupsüße Monolog im Tell.

Der arme Grabbe, obwohl nicht ein Dichter ersten, sondern nur zweiten Ranges, war seinem ganzen Wesen nach so angetan, daß er es weder als Mensch noch als Autor den Frauen rechtmachen konnte. Sie haben daher auch nichts für ihn getan, gar nichts. Darum ist er im großen Publikum so unbekannt geblieben, während Zeitgenossen von ihm, die er turmhoch überragte, berühmt und viel gelesen wurden. Die Frauen könnten freilich fragen: Was sollten und durften wir denn für einen Poeten tun, der niemals zu reiner Schönheit sich erhoben, nirgends zu künstlerischer Harmonie sich zusammengefaßt hat? Aber die Wahrheit ist, daß sie nicht deshalb nichts von ihm wissen wollten – haben sie doch zur gleichen Zeit einen Clauren mit Liebkosungen überschüttet –, sondern vielmehr deswegen, weil er es stolz verschmähte, ihnen zu schmeicheln. Freilich, er hatte den Schaden davon. Bei Lebzeiten wenig gekannt und anerkannt, ist er jetzt schon eine Verschollenheit, eingesargt in die kärglich ausgestattete Gesamtausgabe seiner Werke und beigesetzt in der großen Mumienhalle der Literaturgeschichte. Aber darum braucht ihm kein Zahn mehr wehzutun und kein Haar mehr grau zu werden. Er ist ja längst hinweg über alle die Eitelkeiten der Eitelkeiten –

»Was Großes auch der Mensch empfinde,
Was er erstrebe, was er finde,
Sein Tun und Denken sind nur Rauch
Im Winde.
Der höchste Ruhm, was ist er auch?
Ein Hauch!«

3.

Grabbe war keine jener vornehmen, jener olympischen Naturen, wie sie in Goethe und Schiller zur typischen Erscheinung gekommen sind. Goethe, durch die Gunst der Verhältnisse von Kindheit auf den Höhen des Daseins angenähert, hat von diesen herab seiner Nation und der Menschheit die Huld- und Gnadenfülle seines Genius ganz so gespendet wie »der uralte heilige Vater mit gelassener Hand aus rollenden Wolken segnende Blitze über die Erde säet«. Schiller seinerseits, von Kindheit auf mitten in den schweren Kampf um das Dasein hineingestellt, sein Leben lang nie vom Banne der Armut erlöst und bis zu seiner Todesstunde nie aus der Geldnot herausgekommen, ist dennoch als der echte Olympier, der er war, über den Erdenschmutz hingeschritten, ohne sich damit auch nur die Schuhsohlen zu verunreinigen, und so hat er ebenso sehr durch seinen Wandel als durch seine Werke herrlich heldisch dargetan, daß und wie ein wahrhaft vornehmer Mensch den Alp des Lebens zu tragen wisse.

Das Lippe-Detmolder »Genie« Christian Dietrich Grabbe war nicht auf dem Olymp geboren, sondern am 11. Dezember 1801 im Detmolder Zuchthause, dem sein Vater als »Zuchtmeister« vorstand. In späterer Zeit, als es mit dem Dichter schon scharf bergab ging, hat er einen schaudernden Rückblick auf die Stätte seiner Geburt und Jugend geworfen und hat zum Immermann gesagt: »Ach, was sollte aus einem Menschen werden, dessen erste Erinnerung die ist, einen alten Mörder in freier Luft spazieren geführt zu haben.« Wenn man diesen Stoßseufzer mit der ganzen Trübsal von Grabbes Lebenslauf zusammenhält, so muß man unwillkürlich des Goetheschen Wortes gedenken: »Niemand glaube die ersten Eindrücke seiner Kindheit jemals verwinden zu können.« Von Grabbes Vater ist weiter nichts zu sagen, als daß er ein pflichttreuer und dabei gutmütiger Zuchtmeister, ein solider und sparsamer Bürgersmann und friedfertiger Untertan gewesen ist. Die Mutter war eine Frau von starkem Knochengerüst und starkem Willen. Ms Mädchen eine Schönheit, hat sie ihre funkelnden Feueraugen auf den Sohn vererbt. Nicht minder auch das Feuer ihrer Gefühle, das Leidenschaftliche, Fahrige ihres Wesens und Gebarens, das mitunter in Phantastik und Grillenhaftigkeit überschlug. Sonst eine tüchtige, Ordnung schaffende Hausfrau: bildungslos und geradeaus, aber erbarmungsvoll und hilfsbereit. Daß sie ihren Sohn schon in seiner Kindheit zum Feuerwassertrinken förmlich angeleitet und verführt habe, ist nur eine boshaftdumme, von Grabbes Witwe aufgebrachte Lüge. Dagegen ist es wahr, daß Vater und Mutter den Sohn, der ihr einziges Kind war, von frühauf zu nachsichtig behandelten und so ziemlich verhätschelten. Der Junge war die Freude und der Trost ihres Daseins. Als seine Fähigkeiten sich zu entwickeln begannen, schwollen das väterliche und das mütterliche Herz voll Eitelkeit und Hoffnung. Ihr Dieterle sollte ein studierter Mann werden. Die guten Leute darbten und hamsterten ein kleines Vermögen zusammen, um dem Sohne das Studieren zu ermöglichen.

Das Studieren begann am Detmolder Gymnasium, und zwar unter guten Aussichten. Der Gymnasiast Grabbe faßte nicht nur rasch und leicht, sondern war auch sehr fleißig. Schon aber kündigte sich seine künftige Barockheit deutlich und mannigfach an. So in dem Bemühen, seinen Fleiß ängstlich zu verbergen, um sich den Anschein zu geben, als flöge ihm alles nur so an. Auch absonderlichste Einfälle, richtige Grabbeismen sprudelte er bereits heraus. So, wenn er eines Tages einen leidenschaftlich auf ihn einsprechenden Mitschüler plötzlich unterbrach mit den Worten: »Gott, o Gott, deine Plattfüße! Auf denen wollen wir mal einen Ball abhalten.« Oder wenn er ein andermal, als von einem dem Kolophoniumstragöden Klingemann zu setzenden Denkmal die Rede ging, dazu dieses Modell vorschlug: »Ein Erdhügel in Form eines Vulkans und darauf die Statue eines Esels, dem das Feuer vorn und hinten herausfährt.«

Der Sechzehnjährige begann zu dichten. Zunächst in der Form von deutschen Stilübungen, in denen schon, wie in Grabbes späterer Poesie, das Fratzenhafte hart und unvermittelt neben dem Erhabenen stand. Als einmal in der Klasse als Aufsatzthema ein Märchen gegeben war und Grabbe seine Arbeit vorlas, rief der Lehrer verwundert und bewundernd aus: »Wo haben Sie das her? Es ist ja, als läse man etwas von Calderon oder Shakespeare.« Ein andermal benahm sich Grabbe einem seiner Lehrer gegenüber wirklich sozusagen calderonisch oder shakespearisch, nämlich wie der Hauptmann Persius in der großen Zenobia oder wie der Fähnrich Pistol im vierten und fünften Heinrich. In den oberen Klassen des Detmolder Gymnasiums hatte sich damals neben den Klassikern der Saufteufel eingenistet, und unser Dietrich Christian tat sich im Grogvertilgen beträchtlich hervor. Eigentlich war das Kneipen den Gymnasiasten freilich verboten, aber uneigentlich ließ man es geschehen. Eines Tages befand sich Grabbe mit mehreren seiner hoffnungsvollen Kameraden in einer Konditorei, demnach auf verbotenem Grund und Boden, als einer der Herren Gymnasialprofessoren hereintrat. Zunächst allgemeine Verdatterung der unliebsam überraschten jugendlichen Liebhaber von Likören. Dann springt unser Christian Dietrich aus schuljungenhafter Verlegenheit mit Todesverachtung in groteske Renommisterei hinüber, indem er sechs Liköre auf einmal fordert und sie alle nacheinander vor den Augen des verblüfften Lehrers hinunterstürzt.

Das Hinunterstürzen von Spirituosen ist von da an leider eine Grabbesche Gewohnheit geworden und bis zum Ende geblieben wie vorzeiten beim Johann Christian Günther und wie in unseren Tagen beim gleichgenialen Amerikaner Edgar Poe, dem Dichter des » Raven« und des » Maëlstrom«. Dem armen Günther konnte man das noch notdürftig verzeihen, weil zu seinen Lebzeiten allgemein geglaubt wurde, es wäre das Hauptkennzeichen eines »Genies«, daß es abends betrunken in der Gosse läge. Aber andere Zeiten, andere Musen. Nachdem die deutsche Literatur durch Klopstock reinlich und keusch, durch Wieland weltmännisch fein und durch Lessing vornehm im Hochsinne des Wortes gemacht worden, war es nicht mehr erlaubt, Gosse auf Genie zu reimen und zu wähnen, die Rumflasche und der Ruhmpokal seien ein und dasselbe Ding oder der richtige kastalische Quell sprudle aus dem Spundloch des Arrakfasses …

Ein wunderlicher Mischmasch von einem angehenden Poeten war unser Christian Dietrich, als er mit der Absicht, die Rechtswissenschaft zu studieren, zu Ostern 1820 nach Leipzig abreiste, wohin er den Embryo seines Trauerspielungeheuers »Herzog von Gothland« mitnahm. Linkisch und hochfahrend, schüchtern und aufbrausend, verschlossen und überschäumend, weich und starrsinnig, phlegmatisch und quecksilbern: so stand er, ein Sonderling schon in den Jünglingsschuhen; ein Pessimist, ohne zu wissen, warum; fertig mit dem Leben, bevor es begonnen hatte, und doch auch wieder so ganz unfertig, so unreif wie eine Pflaume im Juni, innerlich zerfahren, äußerlich nachlässig und sogar unsauber. Sein Wesen war Maßlosigkeit. Es hatte da doch von frühauf eine ordnende, im Notfall auch zwingende Hand gefehlt, die dem armen Jungen begreiflich gemacht hätte, daß Regel und Maß viel mehr seien als Worte, auf welche ein »Genie« nicht zu achten brauche.

Eine solche Hand hatte sich freundlich gegen den jungen Grabbe ausgestreckt. Da war der Detmolder Archivrat Klostermeier, welcher die Frage: »Wo schlug Hermann den Varus?« mittels eines patriotisch-altertümelnden Buches zu lösen suchte. Ein sehr unterrichteter Mann, angesehen, wohlwollend, dienstbereit. Auf unsern Christian Dietrich aufmerksam geworden, hatte er sich bemüht, den jungen Bären ein bißchen zu zivilisieren, so daß er sich in anständiger Gesellschaft sehen lassen dürfte. Aber der junge Bär hatte diese Gönnerhand brummend zurückgewiesen und hatte sich durchaus nicht bewegen lassen, das archivrätliche Haus zu betreten. Sollte ihn von dieser Schwelle eine dunkle Ahnung zurückgeschreckt haben, daß ihn dort sein Schicksal erwartete? Gewiß nicht. Aber der Junge hatte leicht bemerken können, daß seine Ungeschlachtheit und Bizarrerie die guten Detmolder und Detmolderinnen in der Meinung, er wäre ein Genie, nur bestärkten. Hierdurch fühlte seine Eitelkeit sich so angenehm gekitzelt, daß er sich wohl hütete, an seinem Bärenfell herumlecken zu lassen. Einem »Genie« stand es ja gar nicht an, sich wie andere »ordinäre« junge Leute zu halten und zu gebaren. Es mußte seine eigenen Wege gehen.

4.

Es ging denn seine eigenen Wege, die aber durch wirre Waldwildnisse und über schwindelnde Höhen hinweg zuletzt doch nur in einen wüsten Sumpf geführt haben.

Mit der Juristerei befaßte sich Grabbe im ersten Semester seines Aufenthalts in Leipzig ziemlich ernst. Dann aber nahm er es mit seinem Brotstudium nur noch sehr obenhin. Und so nahm er es bald mit den Studien überhaupt. Einzig und allein die Geschichte vermochte ihm eine tiefere Teilnahme abzugewinnen. Sein Wandel war zügellos. Er stand übrigens ganz außerhalb der studentischen Kreise. Die Burschenromantik kam ihm läppisch vor, und von den Kindereien und Brutalitäten des »Komment« wollte er nichts wissen. Er tobte und tollte auf eigene Hand. Er renommierte, sozusagen, nur für und vor sich selbst, wenn er wie verrückt auf den Geldbeutel, Gesundheit und guten Ruf losstürmte. Darüber verekelte er sich folgerichtig mehr und mehr an allem wissenschaftlichen Denken und Arbeiten und verfiel auf die abgeschmackte Schrulle, zum Schauspieler geboren zu sein, was ihm der Professor Wendt vorderhand mit Mühe ausredete. Diesem teilte Grabbe auch seinen ruck- und stoßweise dem Abschlusse entgegengeführten Herzog Gothland mit, und dem Kathederling und Hofrat wären ob diesem tragischen Ungetüm alle Haare zu Berge gestanden, so er noch welche gehabt und nicht eine Perücke getragen hätte.

Zu Ostern 1822 ging Grabbe von Leipzig nach Berlin, wo im Juni sein dichterischer Erstling den letzten Federhieb erhielt. Es ist ein kolossales Ding, dieser Herzog von Gothland, aber eben doch nur eine kolossale Fratze. Alle ersinnlichen Kraßheiten sind hier mittels des Hohlspiegels einer kranken Phantasie ins Ungeheuerliche aufgeregt. Schillers Räuber erscheinen im Vergleich mit dieser Greuelfastnacht als ein harmloses Idyll. Im Gothland latscht und platscht der Weltschmerz wie ein Besoffener in der Kotlache des Zynismus herum. Wahr ist es, dann und wann zuckt über die Kotlache ein blendend prachtvoller Metaphernblitz hin und erschallt ein vernichtungsfroher Donnerschlag mit solcher Gewalt, als müßte er, »diese Klippe im Ozean der Welten«, wie Grabbe unsere Erde nennt, zerbersten machen. So ein schlitterndes Gewitter, bis zur höchsten Pracht und Wut gesteigert, ist der Monolog Gothlands im dritten Akt. Hier hat Grabbe in seiner Art geleistet, was Schiller in der seinigen leistete, als er den Traum des Franz Moor vom Weltgericht dichtete. Beide Dichter haben später diese Region der Erhabenheit nie wieder erreicht. Im übrigen ist der Gothland nichts weniger als ein Drama, als eine Tragödie. Die Fabel ist aberwitzig, die Motivierung kindisch, die Handlung ein Opiumrauschtraum, der Held nur ein tragischer Kasperle, der alles kurz und klein haut; man weiß nicht, warum und wozu. Es war Grabbes fataler Mißgriff von Anfang an, daß er, die Bedingungen und Bestimmungen der dramatischen Kunst mißachtend und verachtend, auf die Aufführbarkeit seiner Dichtungen kein Gewicht legte und keine Rücksicht nahm. Nicht als ob sich die eine oder andere derselben, falls sie von einem einsichtigen Regisseur geschickt zur Hand genommen würde, nicht wirkungsvoll zur Darstellung bringen ließe; aber das Schlimme war, daß der Dichter, indem er sich in der Anlage seiner Stücke einer über alle realen Verhältnisse des Theaters hinausstürmenden Maßlosigkeit überließ, überhaupt nie lernte, sich zu beschränken, zu zügeln, mit seinen poetischen Mitteln hauszuhalten und den meist in wilder Trübheit hervorstürzenden Strom seiner Einbildungskraft künstlerisch zu dämmen und zu klären. So kam es, daß Grabbes Dramen eigentlich nichts sind als lauter dialogisierte Monologe und zwar lauter Grabbesche Monologe. Denn das hat er mit Byron gemein, daß alle seine Helden sich nur als Masken darstellen, hinter denen die Züge des Dichters unverkennbar deutlich hervorgucken …

Aus Berlin schrieb Grabbe nach Vollendung des Gothland: »Mein Werk fällt den Leuten, die es lesen, so sehr auf, daß sie beinahe wirbelig vor Überraschung werden.« Und wieder: »Mein Werk schafft mir allmählich immer mehr Freunde, Bekannte und Bewunderer. Das Stück ist aber so ausgezeichnet und groß, daß sie mir raten, ich müßte es nur außerordentlich geistreichen Männern zeigen, weil das gewöhnliche Volk es nicht verstände.« Man sieht, unser Christian Dietrich hatte sich das Goethesche: »Nur die Lumpe sind bescheiden« – gesagt sein lassen. Er schickte auch eine Abschrift des Gothland nach Dresden an Tieck, um sich dessen Urteil zu erbitten. Tieck, bekanntlich sein Leben lang ein Sybarit und Selbstsüchtling, der sich nie die Mühe gab, junge Streblinge zu fördern, wurde doch durch das absonderliche Ding von dramatischem Ungeheuer zu einiger Teilnahme bewogen und spitzte sein Urteil darüber zu dem Satze zu: »Ihr Stück hat mich angezogen und ergriffen, abgestoßen und erschreckt.« Das begreift sich. Aber die Wahrheit zu sagen, ist in den rohzugehauenen Granit- und Lavablöcken der dramatischen Gestalten Grabbes doch immer noch unendlich mehr Poesie als in den Tragantpuppen, die in Tiecks »Genoveva« und »Kaiser Oktavianus« herumdämmern. Das literarisch-polemische Lustspiel freilich, das Grabbe während der ersten Zeit seines Aufenthalts in Berlin schrieb und später unter dem Titel »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung« veröffentlichte, ist nicht weniger anspruchsvoll als die literarischen Komödien Tiecks und ebenso unbedeutend wie diese. Tieck und Grabbe haben das miteinander gemein, daß sie wähnen, ein paar schnurrige Einfälle reichten hin, ein Lustspiel daraus zu machen. Diese Einfälle werden dann platt und breit getreten, bis der letzte Tropfen von Witzsaft glücklich herausgepreßt ist. Die also entsaftete Polemik wird zuletzt unbeschreiblich fad und flau und ist auch, wie die literarischen Jämmerlinge und Jämmerlichkeiten, gegen die sie gerichtet war, längst gründlich verschollen. Tieck hatte übrigens in diesen Verschollenheiten vor Grabbe den Vorzug, ein wirklicher Ironiker zu sein, und als solchem ist ihm wenigstens da und dort eine Humoreske gelungen, welche, wie z. B. Hofrat Semmelzieges Erzählung von seinen ehemännischen Mißgeschicken im »Däumchen«, Feinschmeckern von Lesern stets angenehm auf der Zunge prickeln wird. Grabbes Humor dagegen wirft mit Felsstücken oder auch mit leeren Weinflaschen um sich und ist mehr lärmend als lustig. Seine Ironie hat Bärentatzen, und seine Scherze machen weniger lachen als frieren.

Wie wenig das Leichte, Lyrische, Luftige dem Genius Grabbes zu Gesicht stand, zeigt so recht das ebenfalls in Berlin entworfene dramatische Märchen »Aschenbrödel«. Diese Grabbeschen Feen und Gnomen haben nicht eine Spur von Arielhaftem oder Puckischem. Es sind plumpe Dinger, die frostige Witze machen und falsch singen. Überall in dem langweiligen Stück, wo sich der Dichter als Lyriker auftun will, manifestiert er sich als entschiedener Nichtlyriker Als Beleg greif' ich aufs Geratewohl folgende Strophen aus einem der Wechselgesänge heraus:
Erste Fee. Fühlst du den Widerhall?
Was singt die Nachtigall?
Zweite Fee. Verstehst du's nicht?
Ihr Schlag ist klar ja wie das Licht:
»Durchs laub'ge Dunkel
Bricht Glutgefunkel,
Entzündet mir die Brust.
Hoch flammt mir auf die Stimme
Und preist der Liebe Schmerz und Lust.«
Erste Fee. Was will der Duft der Rose?
Zweite Fee. Er ist der Rose Stimme
Und voll Gekose
Ruft sie dem Sonnengotte zu:
»Ich schlief im grünen Kleide,
Verloren ist die Ruh',
Denn mich erwecktest du!
O Sonn' und Liebesfreude,
Euch anbetend
Schwillt mir der Busen schamerrötend.«
Gnom. Ich merke hier Spektakel –
Mirakel, o Mirakel!
Die sind nicht häßlich.
Doch ich bin auch nicht gräßlich.
Ich werde hier poussieren,
Und werde reüssieren.
Die da! welch' eine Pfot' und welche Waden!
Sie tanzet auf dem Wind
Und tut sich keinen Schaden!
O wär' auch ich so leicht und so geschwind!
. Ein Lied ist ihm in seinem ganzen Leben nur einmal gelungen: der Schlachtgesang der schottischen Hochländer im fünften Akt des »Napoleon«, in welcher Dichtung sich ja auch die besten Auslassungen des Grabbeschen Humors finden. Dieser vermochte wohl dann und wann einen Witz hinzuschleudern, an welchem Gullivers Riesen ihre Seelenfreude gehabt hätten, aber er war zu brüchig, zu ungeschlacht, zu grotesk, um Schönes im Zusammenhang, um ein humoristisches Kunstwerk zu schaffen. Der erträglichste humoristische Versuch Grabbes ist noch der tolle Operntext »Der Cid«, natürlich nicht ernst gemeint, sondern eine gigantisch-spaßhafte Verhöhnung der Operntextbücher.

Einen dichterischen Wurf hat unser Christian Dietrich in Berlin getan, der, so er ans Ziel gelangte, zweifelsohne überhaupt sein bedeutendster gewesen wäre: den tragischen Wurf »Marius und Sulla«. Leider klafft in Grabbes Dichtungen, auch bei den zu Ende geführten, zwischen Absicht und Ausführung, Wollen und Vollbringen meist ein tiefer Spalt. Die Entwürfe zu seinen Werken verhielten sich zu diesen selbst wie des Dichters majestätische Stirn zu seinem verkümmerten Kinn oder zu seinem unschönen Mund sich verhielt: – » disjecti membra poetae«. In Wahrheit, man spürt in den Grabbeschen Dramen, wenigstens in den bedeutenderen, überall den Poeten, einen Poeten sogar, der die großartigsten Anläufe zur Lösung höchster Probleme der tragischen Dichtung nicht nur unternimmt, sondern auch durchführen zu können scheint; aber überall vermißt man den ordnenden, ruhig abwägenden, die ungestümen Sonnenrosse der Phantasie maßvoll zügelnden Künstlerverstand. Grabbes Muse war eine stolzgebaute Riesin, aber den Gürtel der Schönheit hat sie nie getragen.

Wäre die Tragödie »Marius und Sulla« so ausgeführt und vollendet worden, wie sie angelegt ist, sie würde in der deutschen Literatur dastehen als ihr echtestes historisches Trauerspiel. Aus den fertiggedichteten Szenen atmet ein kräftiger Hauch Shakespeareschen Geistes. Vollendet, müßte diese Dichtung den Römerdramen des großen Briten völlig ebenbürtig zur Seite getreten sein. Ja, es hätte sie, der vorliegenden Skizzierung des Ganzen nach zu schließen, an Einheit des Grundgedankens wie an Geschlossenheit der Architektur sogar hinter sich gelassen. So, wie es ist, schließt das Fragment mit einer jener prächtigen Hyperbeln, über welche Grabbe immer zu verfügen hatte. Sulla zieht nach der Niedertretung aller Feinde triumphierend in Rom ein und

»Der Erdball liegt wie ein
Gekrümmter Sklave unter seinem Fuß;
Lautjauchzend wie den Wetterstrahl der Donner
Begrüßt das Volk sein Lächeln …«

Seltsam, gerade zu der Zeit, wo Grabbe, am »Marius und Sulla« schaffend, nicht erfolglos strebte, mit dem Schöpfer des »Koriolan« und »Julius Cäsar« wetteifernd zu ringen, schrieb er seine Abhandlung »Über die Shakespeareomanie«, ein geistvolles Kuriosum, das aber vor allem beweist, daß er den englischen Dichter denn doch viel besser studiert hatte als Hunderte von zunftmäßigen Kritikern, von denen dem ersten der zweite, diesem der dritte usw. bis zum hundertsten und tausendsten einer dem andern gedankenlos faul nachschwatzt. Neuerdings hat sich bekanntlich Rümelin das Verdienst erworben, mittels seiner »Shakespearestudien eines Realisten« den übermäßigen, häufig geradezu ins Narrenhafte überschlagenden Shakespearekult auf das richtige Maß zurückzuführen und der namentlich durch Gervinus dogmatisierten Shakespeareabgötterei gehörig den Text zu lesen. Nun wohl, lange vor dem Realisten hat Grabbe in seiner Abhandlung gegen diese zuerst von den Romantikern aus Neid auf Schiller angegebene Abgötterei gar manchen wohlbegründeten Einwurf vorgebracht und gezeigt, daß eben auch an der Sonne Shakespeare nicht alles Gold sei, sondern viel Messing mit unterlaufe. Im übrigen wurde selbstverständlich der wahren und wirklichen Größe Shakespeares die gebührende Huldigung dargebracht und diese oder jene Seite solcher Größe durch Grabbe in die richtige Beleuchtung gerückt.

Sieht man den Lebenswandel an, den der Dichter in Berlin führte, so muß man sich verwundern, daß er Zeit und Stimmung zu den erwähnten Entwürfen und Arbeiten – wozu noch der Plan zu dem kleinen tragischen Spiel »Nannette und Marie« kam – zu finden vermochte. Denn dieser Lebenswandel war zügellos und aufreibend im höchsten Grade, wechselnd nur zwischen der Aufregung der Orgie und der Erschlaffung des Katzenjammers, ein wüstes Stück »Genialität«.

Der irrlichtelierende Christian Dietrich war Mitglied einer Bande von Poetastern, Kritikastern, Philosophastern und sonstigen Phantastern geworden, welche sich alle mögliche Mühe gab, ein schwächliches Nachspiel zum »Sturm und Drang« der Götz- und Wertherzeit in Szene zu setzen. Borch, Köchy, Gustorff, Robert (der Bruder Rahels), Üchtritz und Heine gehörten dieser Bande an, die sich in Berlin auftat, kurz nachdem der Kater-Murr- und Meister-Floh-Hoffmann an der Rückenmarksdarre gestorben war, die er sich mittels der in Gemeinschaft mit Ludwig Devrient ausgestochenen »Elixiere des Teufels« und mittels sonstigen Alkohols angetrunken hatte. Von diesen epigonischen Kraftgenies sind zwei, Robert und Üchtritz, bekannt und zwei, Grabbe und Heine, berühmt geworden. Köchy, der Verständigste in der Sippschaft, scheint in dieser ungefähr die Rolle gespielt zu haben, die in der weiland rhein- und mainländischen Dichtergenossenschaft Heinrich Merck innehatte. Im übrigen hat sich zwischen diesen nachgedruckten »Titanen« kein dauerndes und festes Verhältnis gebildet. Wir sehen da nur eine flüchtig-gemeinsame Bummelei und keine Spur von jenen edlen, fördernden und fruchtbaren Freundschaften, wie das 18. Jahrhundert sie gestiftet hatte.

Derweil war Grabbe mit den Geldmitteln, seinen kraftgenialen Lebenswandel fortzusetzen, zu Ende. Nachdem er verschiedene halbe und ganze Verzweiflungssprünge gemacht – der skurrilste war der bekannte, angeblich aus Mangel an einer Feder mit einem »Span« geschriebene Bettelbrief an den damaligen Kronprinzen von Preußen – mußte von Berlin geschieden sein. Die Schauspielerberufsratte rumorte wieder unter der Schädeldecke des Zerfahrenen und trieb ihn nach Dresden, wo ihn Tieck mit dem Theaterintendanten Könneritz in Beziehung setzte. Tieck scheint für eine Weile an dem absonderlichen Menschenkind aus dem Teutoburger Walde ein ironisches Behagen gefunden zu haben, das freilich nicht lange vorhalten konnte. Natürlich offenbarte sich die erwähnte Ratte beim leisesten Versuch einer Probe sofort als das, was sie war. Die Hoffnung, als Regisseur beim Theater angestellt zu werden, mußte ebenfalls fehlschlagen, und nach drei Monaten erkannte Grabbe, daß er seinen Wanderstab weitersetzen müßte. Er ging noch sozusagen im Zickzack um das »verwünschte« Detmold herum, mußte aber schließlich doch hinein. Unterwegs in Leipzig, von wo er nach Braunschweig und Hannover dämmerte, hatte er noch einen ganz besonderen Grabbeismus verübt. Er saß in Gohlis bei Bier und Eierkuchen, als ein Leipziger Herr, der ihn von früher her kannte und sich ihm sehr teilnehmend bezeigt hatte, hereintrat, sich zu ihm setzte und ein freundschaftlich Gespräch begann, welches aber der Dichter unterbrach, den Herrn Rat von der Seite anschnaubend: »Gott, o Gott! Lassen Sie mich doch zufrieden! Der schöne Eierkuchen wird mir ganz kalt durch Ihr ewiges Sprechen. Ich habe jetzt keine Zeit zum Zuhören.«

5.

In abgerissenen Kleidern und mit abgerissenerem Gemüt kehrte Grabbe in seine Vaterstadt zurück. Wie der Heimgekehrte gestimmt war, merkt man, wenn er alten Bekannten auf ihre freundlichen Begrüßungen mit gelangweiltem Gesicht die stehende Antwort gab: »Ei sieh, ich meinte, du wärest schon längst gestorben.« Im Sommer 1824 bestand er das juristische Examen, welches im Reiche Lippe eben kein Examen rigorosum gewesen sein mag, und begann als Advokat zu praktizieren, daß Gott erbarm'! Sonst hielt er sich möglichst abseits der Leute, sogar im Wirtshaus. Mitunter grabbeisierte er freilich dort explosivisch genug. Machte sich z. B. eines Tages ein Detmolder Magister des Langen und Breiten mit einer Schoppenstecherrede über Shakespeare mausig, als unser Christian Dietrich aus der Ecke, in der er gesessen, plötzlich hervorfuhr: »Sie und Shakespeare? Sie verstehen ja gar nichts vom Shakespeare!« Später, nachdem er berühmt geworden, hat er einmal einen durchreisenden Berliner Studenten, dessen Bewunderungsphrasen ihn langweilen mochten, in die Wange gebissen mit den Worten: »Da haben Sie ein Zeichen meiner Hochachtung.«

Dem Dichten nicht nur, sondern auch der Teilnahme für literarische Dinge überhaupt schien er während der ersten Zeit nach seiner Heimkehr ganz entsagt zu haben. Langten Briefe von seinen Berliner Kumpanen an, so warf er sie uneröffnet beiseite. Man hätte glauben können, der Dämon in Grabbe habe schon gänzlich ausvulkanisiert und nur eine tote Schlacke zurückgelassen. Dem war aber nicht so. Zwar hatte er, nachdem es ihm mißlungen, eine Gehilfenstelle beim Archiv zu erhalten – sein alter Gönner Klostermeier hatte ihn dazu vorgeschlagen – in völliger Hoffnungslosigkeit wiederholt in sein Tagebuch geschrieben: »Wär' ich tot, es wär' mir lieb; lebt' ich nie, es wär' mir lieber.«

Aus dieser trägen Verlorenheit riß ihn ein buchhändlerischer Einfall heraus. Einer seiner Leipziger Bekannten, Kettembeil, hatte eine Buchhandlung in Frankfurt erworben und machte dem Dichter das Anerbieten, seine fertigen Manuskripte, insbesondere das des Gothland, zu drucken. Grabbe ging auf diese erste günstige Wendung seines Geschickes mit einem Eifer ein, welcher zeigte, daß sein Pessimismus zu dieser Zeit denn doch mehr nur ein anempfundener als ein eingelebter war, und zudem: »Dichter lieben nicht zu schweigen; wollen sich der Menge zeigen.« Im Jahre 1827 erschienen dann die »Dramatischen Dichtungen von Grabbe«, zwei Bände, welche den Gothland, den Torso Marius und Sulla, ferner Nannette und Marie, die Komödie Scherz, Satire und Ironie, sowie den Aufsatz über den Shakespearewahnsinn enthielten. Des Dichters Ruf war damit gemacht. Dumme Kritikjungen schrien sogar aus voller Kehle, in dem Schöpfer des Gothland sei der deutschen Literatur ein »Meteor« von Byronscher Größe aufgegangen.

Unter solchen Umständen wurden die guten Detmolder förmlich stolz auf »unser Genie«, und sein Ruf drang sogar bis zu den erhabenen Höhen hinauf, wo der Selbstherrscher von Lippe thronte. Serenissimus geruhte zu geruhen, daß auch der Staat den literarischen Verdiensten »unseres Genies« seine Anerkennung zollen müßte, und wie in der Flachsenfingerei selbst das Gute und Löbliche fast immer mit Notwendigkeit in der Ausführung zu einer Karikatur wurde und wird, so geschah es auch hier. Auch in einem wirklichen Staate wäre es nicht ganz leicht gewesen, für einen Christian Dietrich Grabbe das richtige Amt zu finden, in Liliput war es unmöglich. Der Dichter wurde im Jahre 1827 zum Auditeur des lippeschen Heeres, will sagen Bataillons, ernannt, und er hat sich dann auch als ein nie dagewesenes und schwerlich jemals wiederkommendes Unikum von Auditeur dargestellt. Man ließ ihn aber mit größter Nachsicht eine erklecklich lange Zeit amten, wie sein Humor es ihm eingab, und dieser gab ihm Streiche ein, wie sie in deutschen Amtstuben noch nie vorgekommen waren und wohl nie wieder Vorkommen werden Man lese zum Beispiel bei Ziegler (a. a. O. S. 85 f.) die tolle Szene, wie Grabbe in Unterhosen und darüber gezogenen schwarzseidenen Strümpfen, im rotkattunenen Nachtkamisol und darüber gehängtem schwarzem Frack zwei Offizieren den Diensteid abnahm..

Abgesehen davon, begann jetzt Grabbes Glückszeit, falls nämlich solche dämonische Naturen überhaupt glücklich sein könnten. Sie können es nicht, weil das höchste wirkliche Glück, das dem Menschen beschicken, jener höchste Grad von Resignation ist, der schon an die Todesruhe grenzt und alle die Gemeinheit der Welt höchstens noch eines traurigen Lächelns grenzenloser Verachtung würdigt. Diese Resignation ist es auch allein, welche jenen durch nichts zu erschütternden Mut verleiht, ohne Furcht wie ohne Hoffnung den Stein des Sisyphus zu wälzen, d. h. das Gute zu wollen und das Rechte zu tun.

In dem absonderlichsten aller Auditeurs begann auch die Dichterader wieder zu pulsieren. Im Sommer 1828 wurde die Tragödie »Don Juan und Faust« geschaffen, ein kühner und der Hauptsache nach auch gelungener Versuch, das Klagewort von Goethes Faust: »Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust!« originell zu glossieren. Grabbe verkörperte diese zwei Seelen in den Gestalten seines Don Juan und seines Faust. Jener ist der resolute südliche Genußmensch, dieser der dem Warum des Warum nachgrübelnde nordische Träumer, und so vertreten die beiden die zwei Seiten des Weltschmerzes: den rastlos vorwärts stürmenden Trieb nach Glück und Genuß und die dicht hinterher hinkende Erkenntnis, daß Glück und Genuß auch nur eine Seifenblase. Als den genialsten Zug in dieser Dichtung hat man mit Recht den hervorgehoben, daß Donna Anna sich unverkennbar weit mehr zu dem liederlichen Realisten Don Juan als zu dem erhabenen Idealisten Faust hingezogen fühlt, wie man ja übrigens auch beim Mozart aus den Verwünschungen der Donna gegen den Wüstling das »Küsse mich noch einmal!« deutlich genug heraushört. Es sind Schönheiten in Grabbes Dichtung, die diese zwar nicht entfernt dem Goetheschen Faust, aber doch dem Byronschen Manfred zur Seite stellen. Als Drama teilt es jedoch die schon berührten Grundgebrechen der Grabbeschen Dramatik. Es ist sogar noch mehr zentrifugal als andere Stücke des Dichters, oder vielmehr, es hat gar kein Zentrum; denn daß schließlich Don Juan und Faust von einem und demselben Teufel geholt werden, kann doch wohl nicht für ein Zentralmotiv gelten. Auch geht den Gestalten das rechte Leben ab. Ihre Erscheinungsweise und ihre Sprechart decken sich nicht. Alle Charaktere des Stückes sind, scharf angesehen, nur Marionetten. Man sieht allenthalben den drähtelenkenden und hört überall den soufflierenden Dichter. Ja, wahrhaftig, beim Anblick dieses Don Juan, dieses Faust, dieses als schwarzer Ritter verkleideten Teufels muß man unwillkürlich an jene alten trockenen Holzschnittbilder denken, denen Papierstreifen mit großbrockigen Sentenzen aus dem Munde hängen. Derselbe Tadel trifft übrigens auch Byrons Manfred und Kain. Selbst unter den Dichtern höchsten Ranges haben nur wenige es vermocht, derartige Stoffe künstlerisch zu bewältigen und die Träger metaphysischer Probleme zu plastischen, fest und voll zur sinnlichen Erscheinung kommenden Gestalten herauszuarbeiten. Streng genommen, vollbrachten das nur Aschylus im Prometheus, Dante im Inferno, Shakespeare im Hamlet, Cervantes im Don Quichotte, Goethe im Faust und Mickiewicz im Totenfest. Die vollendetsten aller dieser Schöpfungen sind zweifelsohne der spanische Hidalgo und der deutsche Mephisto.

Im Winter 1828-1829 begann Grabbe die ausführende Arbeit an seinem beabsichtigten Tragödienzyklus »Die Hohenstaufen«, mit welchem Stoffe sich gleichzeitig auch andere deutsche Dichter, insgesamt dazu angeregt durch Raumers Geschichtswerk, beschäftigt haben. So der arme Waiblinger, ein der Grabbeschen Art vielfach verwandter Epigone der Kraftgenialitätszeit, der damals in Rom einem vorzeitigen Grab auf dem Friedhof bei der Pyramide des Cestius zustürmte, den er vorahnend in dem schönsten seiner Lieder gefeiert hatte. Grabbe hat freilich nur zwei Stauferdramen fertiggebracht: »Friedrich Barbarossa« und »Heinrich VI.«; aber die sind denn doch edles Korn, vollends verglichen mit der Spreu in Raupachs Hohenstaufen. Unser Christian Dietrich verhält sich zum Raupach wie Gutenberg zu einem Schnellpressetreiber und Watt zu einem Lokomotivführer oder auch wie Rheinwein zu Dünnbier, wie Mokka zur Cichorie. Szenen wie die zwischen Heinrich dem Löwen und Mathildis in Barbarossa (A. 5, Sz. 2) und die zwischen Kaiser Heinrich und dem sterbenden Welfenherzog in Heinrich VI. (A. 3, Sz. 2) konnte nur ein Dichter von echt dämonischer Sehergabe denken und darstellen. Hier entspricht der Größe des Wurfs die Großartigkeit der Ausführung durchaus und vollkommen. Nirgends auch ist Grabbe so sehr Dramatiker wie in diesen beiden Stücken. Sie gehören unzertrennlich zusammen, sind eigentlich nur eins: im Barbarossa knotet sich die tragische Schuld, im Kaiser Heinrich vollzieht sich die Sühne. Der Schöpfer dieser beiden Dichtungen, in denen sich ein edler Vaterlandsstolz hoch aufrichtet, sollte in Deutschland nie vergessen werden Ein echtgermanischer Zug, die gemütliche Fürsorge für die Tiere, wie die romanischen Nationen sie gar nicht kennen, springt uns aus nachstehendem Gespräch zwischen den beiden sächsischen Landsknechten Landolf und Wilhelm (im Barbarossa) entgegen. »Wilhelm: Die Freude lacht dir ja aus dem Gesicht. – Landolf: Ich habe endlich ein bißchen Hafer für die Lise aufgetrieben und sie knuspert darin, daß sich das Herz umkehrt vor Vergnügen. – Wilhelm: Ja es geht nichts über das Knuspern von so einem Pferde. Ohne das kann ich nicht schlafen. Wie geht's deinem eigenen Magen? Ich hungere verflucht. – Landolf: Mein Magen ist leer wie die Welt vor ihrer Erschaffung. Aber die Lise tut sich doch einmal gütlich!« – – Von echt dichterischem Instinkte zeugte es, daß Grabbe einmal den stahlharten, von aller Sentimentalität himmelweit entfernten Kaiser Heinrich unversehens in das Wort ausbrechen läßt: »Nichts ist doch edler als ein deutsches Herz!« Im Don Juan und Faust ist eine der schönsten Stellen die, wo der letztere vom deutschen Heimweh angefaßt wird –
»Was ist mir näher als das Vaterland?
Die Heimat nur kann uns beseligen;
Verräterei, die Fremde vorzuziehn!
Nicht Faust wär' ich, wenn ich kein Deutscher wäre.
O Deutschland! Vaterland! die Träne hängt
Mir an der Wimper, wenn ich dein gedenke.
Kein Land, das herrlicher als du, kein Volk,
Das mächtiger, edler als wie deines! Stolz
Und stark, umkränzt von grünen Reben, tritt
Der Rhein dem unverdienten Untergang
In Niederlandens Sand entgegen, kühn
Und jauchzend stürzt die Donau zu dem Aufgang –
Unzähl'ge deutsche Adern rollen grad'
So stolz und kühn wie Deutschlands Ströme!«
.

Einer der großartigsten Vorzüge Grabbes ist sein Vermögen, Massen dichterisch wirksam in Bewegung zu setzen. Von deutschen Dichtern kommt ihm hierin nur einer gleich, Schiller, der diese Kunst nach kleinerem Maßstab in der Bankettszene im Wallenstein, nach größtem in der Landsgemeindeszene auf dem Rütli im Tell bewundernswert bewährte. So tat auch Grabbe. Schon in den Stauferdramen, noch mehr aber in seiner zunächst vorgenommenen und vollendeten Dichtung. Seine Kraft der Hervorbringung war zu jener Zeit so recht im Fluß und Guß und Schuß, und unmittelbar nach Vollendung Heinrichs VI. hob er im Januar 1830 »Napoleon oder die hundert Tage« zu dichten an. Aber dies Werk markierte keinen künstlerischen Vorschritt, im Vergleich mit dem zweiten Stauferdrama sogar einen entschiedenen Rückschritt. Es zerfährt und zerfasert sich zu einer dialogisierten historischen Novelle. Die Form ist grundverfehlt und ganz unhaltbar. Nimmt man aber von dem Anspruch der »Hundert Tage«, ein Drama vorstellenzu wollen, Abstand, so haben wir eineReihenfolge von Genrebildern aus dem Volks- und Hofleben, von Intrigenspielen und Lager- und Schlachtszenen vor uns, welche zu den besten Schilderungen gehören, die überhaupt existieren. Es sind Kabinettstücke vom höchsten Werte darunter, z. B. die vierte Szene des dritten Aufzugs, wo die Erbärmlichkeit des bourbonischen Schranzentums und die der Napoleonischen Landsknechtschaft gleich meisterlich zu ergötzlicher Anschauung gebracht ist.

Das ganze Stück, wie es steht und liegt, muß anerkannt werden als die weitaus bedeutendste dichterische Transfiguration des Napoleonismus. Damit verglichen, ist alles, was französische, italienische und englische Poeten zur Kennzeichnung des großen Despoten und des Napoleonischen Frankreichs aufgebracht haben, nichts als Auckerbäckerware; selbst Manzonis und Byrons berühmte Napoleonoden nicht ausgenommen. Von Lamartines, Quinets und Hugos geschwollener Floskelei wollen wir gar nicht reden. Der letztgenannte, infolge kläglicher Unwissenheit sein zweifelloses Genie meist mißbrauchend, um poetische Mißgeburten zu zeugen, hat viele hundert Ellen vom besten französischen Bombast verschwendet, um nacheinander das Bourbonentum, den Napoleonismus, den Louis-Philippismus und den Republikanismus glorifizierend darein zu wickeln. Wenn man die ungeheuerliche Phraseologie seiner in den dreißiger Jahren verfertigten Napoleonkulthymnen näher ansieht, so grinst einem aus ihnen schon der Hugo von 1870 entgegen, – der Hugo, welcher proklamierte: »Ich habe meinen Namen vergessen, ich heiße jetzt Vaterland; ich bin ganz Bajonett, ganz Kanone, ganz Mauer!« – der Hugo, welcher es, wie ich anderwärts bemerkte, vollmäßig verdient hat, daß man mit Travestierung des bekannten Shakespeareschen Verses

»Des Dichters Aug', in schönem Wahnsinn rollend« –

von seinen angeblich patriotischen, in Wahrheit aber torenbübischen Ausfällen gegen Deutschland sage:

Des Narren Mund, in wüstem Wahnwitz geifernd …

Grabbe hat in der Manier seines »Napoleon« später noch zwei dialogisierte Historien geschrieben, den »Hannibal« und die »Hermannsschlacht«. Von beiden Dichtungen läßt sich dasselbe sagen, was von jener gesagt worden ist. Große historische Blicke, gewaltige poetische Würfe, markig-wuchtige psychologische Züge überall; aber kein Verstehen, kein Verstehenwollen der dramatisch-künstlerischen Notwendigkeiten. Hervorzuheben sind die zwei weiblichen Figuren Alitta im Hannibal und Thusnelda im Hermann: von sämtlichen Grabbeschen Frauengestalten sind diese beiden am besten »herausgekommen«. Freilich verlieh des Dichters mehr und mehr zunehmende Sucht, fortwährend lapidarisch zu charakterisieren und seine Personen sozusagen nur noch Granit sprechen zu lassen, auch diesen beiden Gestalten etwas Steinernes. Beide sind zudem Mannweiber, die an die mannweiblichen Heldinnen Ariostos unliebsam erinnern. Nie war der arme Christian Dietrich imstande, eine Frauengestalt zu schaffen, in welcher sich anmutig-bescheidene Zartheit mit dem kräftigen Aufschwung idealer Gesinnung verbunden hätte.

Der Verlockung zum Fratzenhaften gab Grabbe jetzt mehr und mehr nach, wie unter anderem die Schilderung des Mittagessens in Hermanns Hof, oder die Beschreibung, wie die karthagischen Oligarchen ihre Häuser zu Mäusefallen für ihre Gegner einrichten, beweisen können. Auch im Zynischen ließ der Dichter immer zwangloser seinen Dämon aus. Die Szene in der Hermannsschlacht, wo »die Klopp« ihre Vaterschaftsklage gegen den »Katermeier« bei dem römischen Prätor anbringt, sieht aufs Haar einer schadenfrohen Satire auf die berühmte Stelle in der Germania ähnlich, wo Tacitus die Keuschheit der deutschen Mädchen preist. In der ursprünglichen Handschrift des Hannibal kamen Naturlaute vor, wie sie zu Anfang des 18. Jahrhunderts in der Wiener Hanswurstkomödie gebräuchlich waren. Die karthagischen Generale wollen Kriegsrat halten, und während sie hochweise beraten, geht Hannibal beiseite mit den Worten: »Wartet mal, ich muß erst mein Wasser abschlagen.« Bevor er dann Italien verläßt, verrichtet er noch Unbeschreibliches und sagt: »Das ist mein Denkmal, welches ich hier hinterlasse« … Trotzdem hielt der Dichter als solcher stets an dem Axiom fest: »Groß sein heißt, nicht ohne großen Gegenstand sich regen« – und trug sich zur Zeit, wo er im Vollsaft seines Wollens und Könnens stand, mit den großartigsten tragischen Entwürfen. So beabsichtigte er, eine Tragödie »Alexander der Große« und eine weitere »Jesus« zu dichten, und jedenfalls wäre Grabbe mehr als irgendeiner seiner Zeitgenossen der Mann gewesen, solchen Problemen gerecht zu werden Der Dichter pflegte, bezeichnend genug für seine Art zu arbeiten, seine Werke auf Papierschnitzel zu schreiben, wie solche ihm gerade zu Hand oder wie er sie aus Aktenfaszikeln oder Dienstbüchern herausriß. Aus einem solchen Schnitzel hat sich das folgende kleine Bruchstück von der beabsichtigten Alexandertragödie erhalten.
Alexander.
Wenn ich dich liebe, Thais, glaub' ich,
Es ist die Welt mit all den brennenden
Gestirnen!
Thais.
König, flammt' ich überm Haupt
Dir doch wie die da! Eine Flamme würd'
Der Himmel …
Alexander.
Siehst du den Ost erröten? Der
Ist meine Braut.
Thais.
Und ich?
Alexander.
Du bist ein Schimmer
Von seiner glühnden Wange.
. Dazu würde aber erforderlich gewesen sein, daß des Dichters Leben nicht selber zu einer Tragikomödie geworden wäre, zu einem tollen Mischmasch von tragischen Motiven und barocken Vorkommnissen, welches Wirrsal einem kläglich-fratzenhaften Ende zuschwankte.

6.

Von allen barocken Einfällen, die unser Christian Dietrich jemals ausgehen ließ, war zweifelsohne der tollste seine Heirat. Menschen von seinem Schlage gelingt sehr selten oder nie der »große Wurf«. Denn zum Gelingen gehören Frauen, wie sie eben auch sehr selten vorkommen. Wenn es besonders gutgeht, eine auf zehntausend. Lucie Klostermeier, welche zu heiraten Grabbe das Unglück hatte, war keine von den zehntausenden, bewahre!

Die Billigkeit fordert jedoch, anzuerkennen, daß es wahrlich kein Spaß gewesen ist, mit dem Christian Dietrich zurechtzukommen. Eine gute Ehe ist Gleichmaß, ein fortwährendes gegenseitiges Zugestehen, Schonen und Verzeihen, ohne daß hiervon jemals die Rede wäre. Daß dem so sein müßte, davon hatte weder der Dietrich noch die Lucie auch nur die blasseste Vorstellung. Beide waren jähe, maßlose Naturen, und zur Steigerung der Unerquicklichkeit ihres Verhältnisses war das Weib die stärkere Natur, welche es bald loshatte, daß ihr Eheherr von Charakter nur ein Waschlappen.

Grabbe war erst nach dem Tode des Archivrats Klostermeier im Sommer 1829 mit der hinterlassenen Tochter desselben in nähere Beziehungen getreten. Lucies Bildung imponierte ihm; außerdem war sie eine hübsche Figur mit üppigen Formen. Er kam auf die unsäglich dumme Idee, das wäre eine Frau für ihn. Sie ihrerseits, die ein erkleckliches Stück von einem Blaustrumpf war, fühlte sich geschmeichelt, daß ein berühmter Dichter ihr den Hof machte, obwohl diese Hofmacherei meist in grabbesch-grotesken Formen vor sich ging. Die erste förmliche Werbung Grabbes mißlang jedoch. Das bureaukratische Blut der Frau Archivrätin empörte sich gegen den Gedanken, daß ihre Tochter dem Sohne des Zuchthausvogtes angetraut werden sollte, und da Lucie weit entfernt war, wirklich in ihren Bewerber verliebt zu sein, so erhielt dieser in aller Form einen Korb.

Der machte ihm freilich nicht viel zu schaffen. Seine Freiwerberei war ja nur die blanke Marotte gewesen. Jetzt aber verschoß er sich leidenschaftlich in ein sehr schönes Bürgermädchen, dem er von seiner Leidenschaft so lange und so heiß vorzuphantasieren wußte, daß die arme Henriette sich zuletzt einbildete, auch sie sei verliebt. Die Folge davon war ein förmliches Verlöbnis, das im Frühjahr 1831 stattfand – zur großen Genugtuung von Grabbes aufrichtigen Freunden, welche überzeugt waren, Henriette würde dem Dichter eine behagliche Häuslichkeit bereiten und dadurch Ordnung in seinen Wandel und Frieden in sein Gemüt bringen. Diese Hoffnung währte jedoch nicht lange. Henriette mußte bald innewerden, daß weder Grabbe für sie, noch sie für Grabbe paßte. Ihr solid bürgerlicher Sinn fühlte sich abgestoßen durch die Kraftgenialitäten ihres Verlobten, welcher seinerseits mitunter dem, was er die Philisterei seiner Braut nannte, so recht mit Absicht vor den Kopf stieß. Was sollte z. B. ein schlichtdenkendes, aber richtig und warm fühlendes Mädchen dazu sagen, wenn eines Tages, als sie auf einem Spaziergang am Schloßgraben vorüberkamen, ihr Verlobter plötzlich zu haselieren anfing und die Frage an sie tat: »Hör' mal, was würdest du wohl tun, wenn ich jetzt ins Wasser spränge? Soll ich mal hineinspringen?« Henriette mochte denken: Springe du, wohin du willst; ich aber will mich hüten, mit dir ins Ehebett, d. h. in mein Unglück zu springen. Und sie hütete sich wirklich. Sie gab dem Dichter sein Wort zurück, verließ ihre Vaterstadt und ließ sich durch keine Bemühung Grabbes bewegen, ihm noch einmal Gehör zu schenken.

Nun geschah das Dümmste, Tollste: unser abermals bekorbter Christian Dietrich kehrte zu Lucie Klostermeier zurück, und diese nahm den von der gescheiten Henriette Aufgegebenen wohlwollend auf. Er begann seine Werbung um Lucie aufs neue und fand Gehör und Erhörung. Warum? Weil ein anderer Freier sich nicht einstellen wollte, weil Fräulein Lucie nachgerade in das Alter eingetreten war, wo man schlechterdings einen Mann erwischen muß, wenn man nicht sitzen bleiben will. Sie wollte nicht sitzen bleiben, und im März 1833 trat sie mit Grabbe vor den Traualtar. Unter welchen Vorzeichen, macht die Tatsache klar, daß der Bräutigam beim Herausgehen aus der Kirche einem Bekannten zurief: »So, da haben wir nun das Unglück!«

In Wahrheit, sie hatten es, er und sie. Diese Ehe war in der Hölle geschlossen und wurde binnen kurzem, binnen sehr kurzem eine richtige Hölle für die beiden Eheleute. Auf welcher Seite das größere Maß von Schuld war, dürfte schwer zu entscheiden sein. Hätte Frau Lucie ein weniger kaltes Herz und einen weniger heißen Kopf besessen, so müßte sie unbedingt als der weniger schuldige Teil bezeichnet werden. Sie hätte dann wohl auch verstanden, ihren Gatten davon abzuhalten, seine meiste Zeit in der Kneipe zu versitzen und sich nach und nach um den gesunden Menschenverstand, um die Arbeitskraft und Arbeitslust, sowie um die Achtung seiner Mitbürger zu trinken.

In der schönen polnischen Ballade vom Hexenmeister Twardowski springt der Teufel, der ihn zu holen kommt, unversehens aus dem Branntweinglas. Auch der Teufel, der dem Christian Dietrich schließlich physisch und moralisch, sozusagen, das Genick brach, lauerte in den Weinflaschen und Rumgläsern, ohne die der beklagenswerte Mann schon vormittags nicht mehr sein konnte.

Wie es mit seiner Ehe bestellt war, beleuchtet scharf und häßlich genug, was Ziegler bei einem Besuch im Grabbeschen Hause sah und hörte. Der Dichter hielt auf dem Hof eine Eule und eine Ente, an und mit welchen Tieren er die wunderlichsten Grabbeismen verübte und welche er allen Besuchern zeigte. Auch Ziegler mußte sie sehen. Grabbe stopfte zuerst der Eule ein übermäßig großes Stück Fleisch in den Hals, dann holte er die Ente herbei und stieß sie zu der Eule in den Käfig, um, wie er sagte, die beiden Biester miteinander zu kopulieren. Er deklamierte in Karikaturmanier die Trauungsformel und schrie der Ente zu: »Sag ja!« Die geängstigte Ente machte Quak, quak! worauf der Poet: »Ha, Grabb, Grabb! Hörst du? Das ist ein Stich auf mich. Wart', du verfluchte Bestie!« Und er schlug das arme Tier, über das nun auch die Eule wütend herfiel. Lachend kreischte bei diesem Anblick Grabbe seinem Besucher zu: »Gehen Sie geschwind zum Herrn Pastor! Er soll hier eine Kopulation vornehmen. Es ist eine Sünde und Schande, eine solche wilde Ehe!« Inzwischen war Frau Lucie in den Hof gekommen und blickte mit schadenfrohem Kichern auf das verrückte Treiben ihres Gatten. »Ja, ja,« sagte dieser, »meine Frau geht gerade wie eine Ente. Komm, Ziegler, meine Frau will dir gern einen Kuß geben.« Sie zierte sich: »Ach, lass' doch, Grabbe!« konnte aber das Lachen nicht verhalten. »Ach was«, schrie er, »du hast es ja doch gern!« Ziegler machte sich mit möglichst guter Manier davon. Von den zügellosen Reden, die Grabbe während der abendlichen Trinkgelage, die er in seiner Wohnung veranstaltete, in Gegenwart seiner Frau losließ, wagt der Biograph kein Beispiel zu geben. Er sagt nur: »Ja, es waren wunderbare Gesellschaften, die kaum in denen der emanzipierten Frauen von der ausgelassensten Art ihr Gegenstück finden möchten.« Natürlich wechselten diese Rauschstimmungen mit katzenjämmerlichen, und in solchen warf dann der Dichter auf den nächsten besten Papierfetzen Versebriefchen an seine Frau, in denen sich der Säuferwahnsinn anzumelden schien Zum Beispiel:
»Ach, Lucie!
Vor der Eh'
Da waren es süße Träume!
Nun blüh'n die Bäume –
Denkst Geld!
Mein Herz ist eine Welt,
Durch dich verdirbt das Essen.«
.

Bald kam es zwischen Mann und Frau zu den widerwärtigsten Auftritten, insbesondere auch veranlaßt durch die allerdings nicht ungerechtfertigte, aber taktlos und rücksichtslos geübte und kundgegebene Fürsorge, welche Frau Lucie dem Gatten gegenüber hinsichtlich ihres beigebrachten Vermögens betätigte. Mit dem ärgern und ärgsten Verfall von Grabbes Ehe und Haushalt ging sodann der seiner amtlichen Stellung Hand in Hand. Eine grenzenlose Unordnung war allmählich in der Führung seiner Geschäfte eingerissen oder vielmehr war diese Führung geradezu eine Nichtführung geworden. Man muß anerkennen, daß die Regierung sehr nachsichtig gegen den Dichter verfuhr und dem Unwesen zusah, solange es irgendwie anging. Zuletzt aber ging es schlechterdings nicht mehr, und Grabbe erhielt im September 1834 die wohlverdiente Entlassung mit der gnädigen Erlaubnis, Titel und Uniform als Auditeur beibehalten zu dürfen. Hierauf hat sich der Dichter des Marius und des Napoleon nicht wenig eingebildet; so wunderlich mischten sich in diesem Kraftgenie und Schwachmatikus die Elemente.

Begreiflich, daß Detmolds Boden jetzt dem unglücklichen Manne unter den Füßen brannte. Gab ihm doch seine Frau deutlich genug zu verstehen, daß sie den wirklichen, nicht den abgesetzten Auditeur Grabbe geheiratet hätte, und daß es eine grobe Täuschung, falls er etwa wähnte, von ihrem Eingebrachten zehren zu können. Er entschloß sich, dem »undankbaren« Lippe-Detmolder Vaterland den Rücken zu kehren und anderwärts bessere Sterne zu suchen, die er aber nirgends finden konnte, weil er sie nicht in der eigenen Brust trug. Am 4. Oktober 1834 setzte er sich in den Postwagen und fuhr gen Frankfurt am Main.

7.

Echt grabbesch platzte er in die respektable Frankfurter Welt hinein.

Wie er aus dem Postwagen gestiegen, eilte er nach der Wohnung eines ihm bekannten Professors, der gerade zahlreiche Gesellschaft bei sich sah. Ohne auf diese die geringste Rücksicht zu nehmen, ging Grabbe auf den Hausherrn zu und sagte laut und lachend: »Ich komme soeben von der Post. Sie werden erstaunen, mich hier zu sehen. Ich habe Detmold verlassen. Mein Weib, mein böses Weib hat mir die Hölle so heiß gemacht, daß ich alles aufgegeben habe und davongegangen bin.«

Wer sich so in Frankfurt einführte, konnte sich in dieser Stadt keine dauernde Stätte gründen. Grabbe brachte es demnach zu gar nichts, als daß er in den Frankfurter Kneipen für eine kurze Weile die maulaufsperrende Ver- und Bewunderung etlicher Schöngeister von niederer Sorte erregte, denen er durch Redensarten imponierte. Derartige Gesellen mochten es auch »ungeheuer genial« finden, wenn Grabbe die arme Bürgersfrau, bei der er sich eingemietet hatte, ängstigte, indem er, wenn sie auf sein Zimmer kam, um es aufzuräumen, die Tür abschloß, zwei Pistolen auf den Tisch legte und die Erschrockene zwang, ihm aus Gesangbuch und Bibel stundenlang vorzulesen, während er auf dem Sofa saß und »mit der ernsthaftesten Miene von der Welt die gottlosesten Fragen dazwischenwarf«.

Aber es war nicht mehr an der Zeit, Sturm und Drang zu spielen in der Weise von Klinger und Lenz, von welchen beiden Stürmern und Drängern unser Christian Dietrich auch als Poet ein potenziertes Gemisch gewesen ist: Titanismus und Barockheit, weltschmerztragisches Pathos und Kneipgeniestreichemacherei.

Eine gutmütige Österreicherseele, Eduard Duller, der damals in Frankfurt den »Phönix« herausgab, nahm sich Grabbes liebevoll an, ermunterte ihn zum Arbeiten und suchte ihn nach Kräften aus der Atmosphäre von Weindunst, Tabaksrauch und Bummelwitz herauszureißen. Allein der gute Duller war dazu lange nicht stark genug, und überhaupt war niemand mehr stark genug dazu. In einem lichten Augenblick merkte Grabbe, daß seine Gastrolle in der Mainstadt ausgespielt sei. Die Schoppenstecher von Bewunderern ließen ihn fahren und fallen, sowie der Umgang mit ihm den Reiz der Neuheit verloren hatte. Von einer Erfüllung seiner Hoffnung, eins oder das andre seiner Stücke die Frankfurter Bühne beschreiten zu sehen, war auch nicht entfernt die Rede. Nun kam der übelberatene und überhaupt nicht zu beratende Dichter auf den Einfall, sich nach Düsseldorf an Karl Immermann zu wenden, dessen persönliche Bekanntschaft er früher gelegentlich gemacht hatte. Hervorgerufen mochte dieser Einfall dadurch sein, daß Immermann in Nachahmung der Bemühungen Goethes und Schillers um das Weimarer Theater damals eifrigst arbeitete, das Düsseldorfer zu einer Musterbühne zu machen. Grabbe bildete sich ein, Immermann würde sich bestimmen lassen, unter anderen theatralischen Experimenten auch das der Aufführung Grabbescher Dramen zu machen. Er ließ einen Not- und Hilferuf nach Düsseldorf abgehen, und Immermann beantwortete ihn mit einer freundlichen Einladung.

Hilfegesuch und Einladung, beides war gleich töricht. Wenn je zwei Menschen nicht zu und für einander paßten, so waren es der preußisch-stramme, steifnackige, ordentliche, wohlgebürstete und wohlrasierte Oberlandesgerichtsrat Immermann und der zerfahrene, schwabbelige, sozusagen aus allen Nähten gegangene, schmierärmlige und stoppelbärtige Exauditeur Grabbe. Es war da von vornherein gar keine Möglichkeit vorhanden, daß sich zwischen den beiden Dichtern ein auch nur halbwegs erquickliches Verhältnis würde herstellen und behaupten lassen. Freundschaften wie die zwischen Goethe und Schiller gehören überhaupt zu den seltensten Erscheinungen auf Erden. So ein Phänomen kehrt im günstigsten Falle alle paar hundert Jahre einmal wieder. Immermann hatte aber neben anderen Grillen auch die pädagogische unter der Schädeldecke, wie sich denn in mehr als einem seiner Werke ein gewisser Schulmeisterton unangenehm bemerkbar macht. Auf der andern Seite freilich haben wir gerade diesem pädagogischen Tick des Schöpfers vom Merlin und vom Alexis jene klassische Karikatur des überstiegenen Schulmeistertums zu verdanken, die Figur des Schulmeisters Agesel im Münchhausen, neben dem Hofschulzen und der blonden Lisbeth die am meisten realpoetische aller Immermannschen Gestalten.

Immermann, der selber bedeutend genug war, um Grabbes Bedeutung neidlos anzuerkennen, mochte hoffen, das verwilderte Genie erziehen zu können, und man muß sagen, daß er, nachdem sein Erziehungsobjekt Ende November 1834 in Düsseldorf angelangt war, auf dieses Geschäft die redlichste Mühe verwandte. Er bemutterte den unbehilflichen Bruder in Apoll förmlich und sorgte mit Rat und Tat für ihn. Auch suchte er den Christian Dietrich in dessen eigenen Augen wieder zu heben, indem er ihn in gute Gesellschaft, in wirklich gute Gesellschaft brachte. Namentlich dadurch, daß er seine Geliebte, die Gräfin Elise von Ahlefeldt, vermochte, Grabbe in ihren Kreis aufzunehmen. Es muß sich wunderlich mitangesehen haben, wenn der Christian Dietrich mitunter einem Jucken nachgab, in die feinstilisierte, teearomatische Unterhaltung dieses Kreises plötzlich einen seiner nach Grog riechenden Gargantuawitze hineinzuwerfen, und dann Immermann sofort strafend blickte und mahnend den Pädagogenfinger erhob und Grabbe gehorsam einen krummen Buckel machte und nur koboldisch in sich hineinzukichern wagte.

Den Winter über konnte sich Immermann schmeicheln, daß sein erzieherisches Experiment gelingen würde. Grabbe vollendete den »Hannibal«, und sein Mentor schaffte für diese Dichtung sowie für das noch ungedruckte Märchendrama »Aschenbrödel« einen nach deutschen Begriffen nicht allzu knauserigen Verleger. Im Frühling 1835 fühlte sich der Christian Dietrich verhältnismäßig so befriedigt und behaglich, daß er mit Ernst und Eifer daran ging, seine »Hermannsschlacht« zu liefern.

Aber das alles konnte doch nicht dauern. Immermann hatte weder das Talent noch die Geduld, ein Erziehungsproblem wie das vorliegende zu lösen, und Grabbe war viel zu alt, sich noch erziehen zu lassen. Es war zu spät, viel zu spät.

Die ersten Verstimmungen zwischen den beiden Poeten rührten davon her, daß Immermann schlechterdings keine Anstalten machte, Grabbesche Stücke auf das von ihm geleitete Theater zu bringen. Versuchen hätte er das schon können, da er ja mit seinen eigenen ebenfalls nur wenig bühnengerechten Dramen auch experimentierte. Der Verdruß, den Grabbe darüber empfand, verleidete ihm die Beteiligung an dem Gesellschaftskreise seines Mentors. Hatte er sich doch in dieser Teeatmosphäre von Anfang an entsetzlich gelangweilt und sich Zwang antun müssen bis zum Kinnbackenkrampf. Gegner Immermanns mochten auch wohl dem Christian Dietrich bei Gelegenheit ins Ohr raunen, der Herr Oberlandesgerichtsrat habe ihn, den Dichter des »Gothland«, nur herkommen lassen, um ihn als Lobposaune für die Schnurrpfeiferei des Immermannschen Theaterregiments zu gebrauchen und zu mißbrauchen. So etwas brauchte man einem Menschen, der zwischen blinder Hingebung und blindem Argwohn hin und her schwankte, nicht zweimal zu sagen. Er betätigte seine Entrüstung zunächst dadurch, daß er seine Besuche bei Immermann und bei der Ahlefeldt einstellte, und weiterhin dadurch, daß er in Weinspelunken, wohin er den Weg mit außerordentlicher Leichtigkeit wiederfand, groteskwitzige Schnurren über das Immermannsche Theater nach allen Richtungen hin losknallte. Immermann, der bekanntlich auch nicht zu den Sanftmütigen gehörte, nahm das so übel, daß er dem Verhöhner mit gerichtlicher Klage drohte. Zur Ausführung dieser Drohung kam es zwar nicht; aber in Immermann verlor Grabbe doch seinen letzten Halt, und sobald sich ihm dieser versagte, ging das Sinken und Versinken unaufhaltsam weiter.

Noch trug sich der verlorene Mann, über den sich jetzt auch ein Zehrfieber unerbittlich hermachte, mit großen dichterischen Absichten. Er wollte eine Komödie »Eulenspiegel« schaffen – »mein Eulenspiegel wird ein tolles lustiges Tier«, schrieb er an einen Bekannten – er nahm das Projekt einer Alexandertragödie wieder auf, er rühmte sich, die Person und Mission Jesu mit dem Nimbus höchster tragischer Würde umgeben zu wollen, zur gleichen Zeit, wo er seine Kneipgesellen, welche doch nicht spröde waren und etwas vertragen konnten, mit dem ins Gespräch hineingeworfenen Grabbeismus ärgerte: »Jesus war doch auch nur ein Judenjunge.« Natürlich blieb es, da die Versunkenheit des Dichters Tag für Tag zunahm, beim Schaffenwollen. Der Vulkan war ausgebrannt und hatte nur Asche und Schlacken zurückgelassen.

In Wahrheit, dieses Bild ist gerechtfertigt. Es war Vulkanismus in unserem Christian Dietrich. Lavaströme von Poesie waren aus seiner Seele in rotflammendem Flusse hervorgebrochen, aber nur, um sofort zu steinerner Härte und Scharfkantigkeit zu erstarren. Nie hat Grabbe es verstanden, sich das Haupt mit Rosen zu kränzen, nie gaben die straffgespannten Saiten seiner Leier einen weichen lyrischen Klang. Durchgängig fehlt in seinen Werken das »Ewigweibliche«. Darum steigert sich in der Grabbeschen Dichtung die Freude zu bacchantischem Rasen, darum spritzt sich der Schmerz in Verzweiflungsgelächter aus, darum rafft sich der Gedanke zu schroffepigrammatischer Kürze und Knappheit zusammen, darum verzerrt sich der Witz zu infernalischem Zynismus. Die Grazien sind ferngeblieben …

Zuletzt hatte der Dichter in Düsseldorf nur noch ein verkommenes Musikgenie, Norbert Burgmüller, zum Gesellschafter. In der Weinstube zum Drachenfels verdämmerten und verduselten die beiden gleichverstimmten Seelen ihre Tage, stundenlang in hinbrütendem Schweigen einander gegenübersitzend. Als dann im Mai 1836 der Musikus plötzlich starb, konnte es Grabbe nicht mehr in Düsseldorf aushalten. Ein Detmolder Freund schickte ihm auf sein Begehren Reisegeld. »Ich habe«, schrieb der mit sich und der Welt Zerfallene, »erst an einen Sprung in den Rhein gedacht, will nun aber in der Heimat das Ende abwarten, das nicht mehr lange ausbleiben kann.« Daheim angelangt, ging er nicht in das Haus seiner Frau, sondern nahm im Gasthause zur Stadt Frankfurt Wohnung. Seine Erscheinung muß jammervoll gewesen sein. Als ihn sein Biograph zum erstenmal wieder erblickte, mußte er unwillkürlich ausrufen: »Grabbe, Grabbe, um Gottes willen, wo ist dein Stolz?«

8.

Gerade der Stolz regte sich aber noch mitunter in dem Gebrochenen, welcher jetzt – es ist schmerzlich davon zu reden – nur noch der Gegenstand und Zielpunkt des Detmolder Kneipenwitzes war, und wunderbare Blasen trieb dieser Stolz aus der Hefe von Grabbes Lebensbecher mitunter empor.

Saß er da eines Abends unter seinen Bekannten in der Gaststube zur Stadt Frankfurt und hörte, stumm in sich zusammengesunken, einem Gespräch über Literatur zu. Einer sagte: »Seitdem der Goethe gestorben, haben wir doch eigentlich keine Größe mehr, etwa den Tieck ausgenommen.« – »Was Tieck!« zischte Grabbe wütend auf, »ich bin größer als Tieck. Ich steige mit jedem Tage und er sinkt. Was ist denn Tieck?« Man lachte. Das Gespräch wandte sich auf Tiecks Tochter und von dieser auf Grabbes Frau. »Du bist nur nicht energisch genug gegen sie aufgetreten, Grabbe«, hieß es. »Ei was«, entgegnete der Dichter, »ich werde mich schon als Mann zeigen.« Worauf der Witzbold des Kreises: »Das ist's ja gerade, was sie verlangt« – und allgemeines Lachen erscholl.

Ein andermal war eine große, von einer vergnüglichen Landpartie lärmend heimgekehrte Gesellschaft in der Gaststube, und unter all dem Gläserklingen, Würfelbecherschwingen und Liedersingen kam jemand auf den unglücklichen Gedanken, den Dichter, der brütend in einer Ecke saß, zum Vorlesen seiner noch ungedruckten »Hermannsschlacht« aufzufordern. Der arme Poet ließ sich verleiten, die Handschrift aus seinem Zimmer zu holen und die Vorlesung anzuheben. Er konnte aber gegen den Tumult halb oder ganz berauschter Menschen gar nicht aufkommen, und als er dennoch beharrte, schrie einer der Zecher über den Tisch herüber: »Ach was! Laßt uns lieber trinken und hört auf mit Vorlesen! 's ist ja doch nur dummes Zeug.« Ganz niedergedonnert steckte Grabbe sein Manuskript in die Brusttasche und saß da wie vernichtet. Sein nachmaliger Biograph drückte teilnahmsvoll die Hand des Unglücklichen, welcher mit halberstickter Stimme ausrief: »Alle meine Schreiberei ist Quark! Ich habe die Welt satt! Ich wollt', ich wäre tot!«

Er sollte es bald sein. Der zuverlässigste Freund der Armen und Elenden, der große Allerbarmer Tod gab ihm, was er nie besessen hatte: Frieden und Ruhe.

Aber der Entjochung vom Leben, der Auflösung ins große All und Nichts ging noch ein bitterer Kampf voran. Mittellos und todkrank, wie er war, mußte sich Grabbe entschließen, seine Frau aufzusuchen, um sich in ihrem Hause einen Platz zum Sterben zu erbitten.

Das Sterben hob an, und es war ein langes und peinvolles. An dem Sterbebett des Dichters kämpften gute und böse Dämonen miteinander: die unaustilgbare Liebe der armen alten Mutter Grabbes für ihren verlorenen Christian Dietrich und der zänkische Groll einer Gattin, die nicht zu verzeihen vermochte und doch vor der Welt den Anstand so weit zu wahren trachtete, daß sie den sterbenden Mann nicht aus dem Hause weisen wollte. Eine häßlichste Falte in dieses Weibes Seele legte der Umstand bloß, daß Frau Lucie ihren Gatten weder selbst verpflegen noch leiden mochte, daß seine Mutter ihn pflegte. Diese mußte ihren Platz am Lager des Sohnes förmlich erkämpfen. Der Dichter seinerseits erkannte den Trost, den ihm die Anwesenheit seiner Mutter gewährte, dadurch an, daß er ihr in seiner grotesken Weise zu erkennen gab, alles, was von Seelenwärme noch in ihm wäre, gehörte ihr. Er erlebte jetzt, was er vordem gedichtet:

»Oh, um so länger du die reinen,
Menschlichen Gefühle niederringst,
Um so gewalt'ger richten sie hernach,
Wann ihre Stunde schlägt, sich wieder auf.«

Am 12. September 1836, gegen drei Uhr nachmittags, starb er. Seine Mutter wischte ihm den Schweiß des letzten Ringens ab; unter ihrem plattdeutschen Liebkosungswort: »Muin leuve, leuve Christian!« verhauchte er seinen letzten Atem. Sie schloß ihm die Augen und badete die majestätische Stirn des toten Sohnes im Naß ihrer Zähren.

Frau Lucie aber saß in ihrer über dem Sterbegemach gelegenen Stube, mit Geldzählen beschäftigt. Man kam, ihr zu melden, daß ihr Gatte tot. »Topp«, sagte sie aufspringend und die Hände zusammenschlagend zu einem anwesenden Nachbar, »topp, das ist gut, daß der Unhold tot ist! Nun wollen wir einen guten Kaffee machen!« Am Abend darauf spielte jedoch Frau Lucie die bekannte untröstliche Witwe von Ephesus ganz vortrefflich. Sie schmückte auch das Haupt des Hingegangenen, als er in den Sarg gelegt wurde, mit einem dicken Lorbeerkranze. –

Nur ein dünnes Häuflein standhafter Verehrer und Freunde geleitete die Überreste des Dichters der Hohenstaufen und der Hermannsschlacht zu ihrer Ruhestätte …

Alles zusammengenommen, dürfte das Richtige getroffen sein, wenn man sagt, daß in starkem Maße die Vaterlandslosigkeit das Verderben Grabbes mitverschuldet habe. Merkt man doch sogar den Taten der herrlichsten Helden des deutschen Geistes, den Schöpfungen von Lessing, Goethe und Schiller deutlich genug an, daß diese Helden nicht auf dem starken und gesunden Boden eines Nationalstaates, sondern auf dem Krähwinkelboden der elenden Viel- und Kleinstaaterei erwachsen sind und gestanden haben. Wie ganz anders noch müßte der germanische Genius durch diese seine erlauchten Träger zur Offenbarung gelangt sein, so es ihnen gegönnt gewesen, ein großartiges Nationaldasein im Spiegel ihres Genies aufzufangen. Das Gefühl des ungeheuren Mißverhältnisses zwischen dem idealen Wert und der realen Bedeutung seines Volkes, zwischen dem Können und dem Gelten seiner Nation, kurz, der ganze damalige deutsche Jammer der Zerrissenheit und Staatslosigkeit wühlte und gärte auch in dem unglücklichen Christian Dietrich. Er trieb den Patriotismus freilich nicht als Handwerk; er gehörte auch nicht zu jener in unseren Tagen nicht eben seltenen Sorte von Patrioten, die ihre Vaterlandsliebe zum Piedestal ihrer Eitelkeit und Großmannssucht zu machen wissen und welche es entsetzlich übelnehmen, wenn die Nation es ohne sie machen kann, ja sogar sich beigehen läßt, auf die querköpfige Neunmalweisheit und geckenhafte Selbstgefälligkeit eingebildeter Großmannschaft gar keine Rücksicht zu nehmen, und es nur mit einem Lächeln der Verachtung aufnimmt, wenn daraufhin die eiteln Jämmerlinge an ihr zu Verrätern werden, in Vers und Prosa gegen sie losziehen und ihren bittersten Feinden sich anschmeicheln. Auch ein Politiker war der arme Grabbe nicht, und es würde ihm schwergefallen oder unmöglich gewesen sein, irgendeinen halbwegs praktischen Vorschlag zur Besserung der deutschen Zustände zu machen. Aber hinter den Nebelwolken seiner Phantasterei, Zerfahrenheit und Barockheit leuchtete doch groß und stolz der nationale Gedanke und blitzte mitunter plötzlich prächtig hervor, wie in dem schönsten von ihm gesprochenen Wort:

»O, kein Donner an
Dem Himmel und kein Laut auf Erden, quöll'
Er auch von schönster, süßester Lippe, gleicht
An Macht dem Worte: Vaterland


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