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Das Trauerspiel in Mexiko

Dies ist die heilige Wahrheit von der
Entstehung des Leidens: der Durst nach
Werden, der Durst nach Lüsten, der Durst
nach Macht.

Buddha.

1.
Von Miramar bis Veracruz.

Am 14. April 1864 waren vom frühen Morgen an der Landweg und der Seeweg, welche von Triest nach dem Schlosse Miramar führen, durch Wagen und Boote ganz ungewöhnlich belebt. Es galt ein Lebewohl zu sagen und zu empfangen. Der Erzherzog Maximilian von Österreich, der jetzt Kaiser von Mexiko hieß, wollte heute mit seiner Frau Charlotte auf der österreichischen Fregatte »Novara« nach Amerika sich einschiffen, nachdem er fünf Tage zuvor in Gegenwart seines Bruders, des Kaisers Franz Joseph, seinen Rechten auf den Thron von Österreich feierlich entsagt hatte, – sehr ungern freilich und nach mancherlei Verzögerung.

Die Morgensonne lag golden und warm auf dem Blau der Adria, die Gestade standen in Blütenpracht. Ein Reisetag voll glücklicher Vorbedeutungen also. Wie trügerisch sie waren, hat wohl keiner der Herren und keine der Damen geahnt, die in den Sälen von Miramar der Abschiedsgala beiwohnten, und wohl auch niemand unter der wimmelnden Menge, die neugierig die Zugänge des Schlosses umdrängte.

An der Spitze einer gemeinderätlichen Abordnung erschien der Bürgermeister von Triest und übergab eine mit 10 000 Unterschriften versehene Abschiedsadresse. Adressenhumbug gehört nun einmal in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zu jeder kleinen oder großen Haupt- und Staatsaktion. Möglich jedoch immerhin, wahrscheinlich sogar, daß diese Triester Adresse aufrichtiger und ernster gemeint war als die, welche am 10. April eine mexikanische Abordnung, deren Sprecher Senor Gutierrez de Estrada gewesen, dem Erzherzog überbracht hatte, zum Beweise, daß selbst der kolossalste Schwindel in der Brusttasche eines schwarzen Fracks bequem Platz habe. Denn diese Adresse enthielt ja nichts Kleineres als die angebliche, noch dazu »begeisterte« Volksabstimmung, kraft deren Maximilian zum Kaiser von Mexiko berufen wurde.

Der Erzherzog brach in Tränen aus über die Ansprache, womit der Bürgermeister die Übergabe der Abschiedsadresse begleitete, und der ganze Auftritt war so rührend, daß, wie eine Augenzeugin, die Gräfin Kollonitz »Eine Reise nach Mexiko im Jahre 1864.«, uns versichert, »beinahe kein Auge trocken blieb«. Das einzige nichttrügerische Omen dieses Apriltags.

Nur mit Mühe konnte sodann das erzherzogliche Paar durch den menschenwimmelnden Hof und die Treppe zum Landungsplatz hinabgelangen. Es wurde auf diesem Gange mit Segensworten, mit Glückwünschen und mit einem Blumenregen förmlich überschüttet. Endlich gelang es, das von einem roten Sammetbaldachin überspannte Boot zu besteigen, das den Erzherzog und seine Gemahlin an Bord der »Novara« brachte, die mit andern Kriegsschiffen, worunter die französische Fregatte »Themis«, in großem Flaggenschmuck draußen lag. Die Einschiffung ging vor sich, die Musikbanden der Schiffe spielten, ihre Breitseiten donnerten, vom Ufer her scholl langnachhallender Evvivaruf. Die vorhin genannte Dame aber will in dem Augenblick, als Maximilians Fuß »die alte liebgewohnte heimatliche Erde« verließ, in innerster Seele empfunden haben: »Wer weiß, ob er sie jemals wieder betreten wird?«

Die »Novara« setzte sich in Gang, gefolgt von der »Themis«, die den Schattenkaiser von Napoleons III. Gnaden eskortieren sollte, ach, jawohl »eskortieren«! Sie gab ja dem Werkzeug und Opfer napoleonischer Politik die Eskorte zu einem blutigen Grabe.

Bei klarem Wetter und gutem Winde wurde das Adriatische Meer durchschifft und die Südspitze Italiens umfahren. Am 18. April liefen die beiden Fregatten Civita Vecchia an. Das erzherzogliche Paar ging mit seinem Reisegefolge ans Land, um einen Abstecher nach Rom zu machen. Aus persönlichen und politischen Gründen. Angeborene und anerzogene Devotion ließ den Erzherzog den Segen des Papstes zu seinem Unternehmen begehren, und dann gab er sich auch der Täuschung hin, dieser Segen würde seiner Goldschaumkrone in den Augen der Mexikaner einen ganz besonderen Nimbus verleihen.

Wir wissen nicht, ob sich dem Schattenkaiser die ganze Wucht, womit die französische Oberherrlichkeit von Anfang bis zum Ende auf dem von ihm unternommenen Abenteuer lastete, etwa schon bei der Landung in Civita Vecchia fühlbar gemacht habe. Wohl aber wissen wir, daß Menschen mit sehenden Augen und hörenden Ohren im Reisegefolge den widerwärtigen Druck dieser Wucht schon bei dieser Gelegenheit sehr verspürten. So die Gräfin Kollonitz, welche von der Landungsszene sagt: »Von den Schiffen und Forts donnerten die Geschütze auf sinnverwirrende Art, und als wir das Land erreichten, bliesen und trommelten die Päpstlichen und die Franzosen um die Wette. Letztere proklamierten das » Par la grâce de l'empereur des Français« (Durch die Gnade des Kaisers der Franzosen) auf alle mögliche lärmende und auffallende Weise; ihre Truppen bildeten Spaliere, ihre Säbel und Bajonette grüßten uns, ihre Wagen nahmen uns auf, ihre Arme geleiteten uns, es war ein Lärmen und Drängen, ein Schießen und Schreien, ein Klirren und Stampfen, ein Blinken und Winken, um den Verstand zu verlieren.« Gut wenigstens, daß die arme Dame die grotesk-unflätigen Witze nicht hörte oder nicht verstand, die der rothosige Wachtstubenesprit bei dieser Gelegenheit über die neuen Argonauten vom ersten bis zum letzten losließ.

In Rom hatten der Erzherzog und seine Frau während eines zweitägigen Aufenthalts allerhand kirchliche und weltliche Zeremonien durchzumachen. Pius IX. arbeitete damals mit seinen Vertrauten an jenen Wunderwerken von »Enzyklika« und »Syllabus«, welche, neun Monate später proklamiert, im zivilisierten Europa kein geringeres Aufsehen und Erstaunen erregten, als wie wenn ein Hunderttausend Don Quichottes in voller Mittelaltergala und mit Mambrinushelmen auf den Narrenschädeln plötzlich in unsern Erdteil eingeritten wären. Von dieser sinnreichen Arbeit müßigte sich der Pontifex Maximus so viele Zeit ab, um dem erzherzoglichen Paar allerhöchsteigenhändig die Abendmahlshostie und dem Gefolge seinen Fuß zum Kusse zu reichen. Er tat sogar noch mehr, nämlich eine Ansprache an den » par la grâce de l'empereur des Français« gekaiserten Prinzen und dessen Gemahlin, worin er beiden »im Namen des Herrn das Glück der ihnen anvertrauten katholischen Völker« empfahl, beifügend: »Die Rechte derselben sind groß und man muß ihnen genügen; aber größer und heiliger noch sind die Rechte der Kirche.« Das wollte sagen: Vergeßt nicht, dem mexikanischen Klerus die Güter und Reichtümer zurückzuerstatten, welche die dreimal vermaledeiten Liberalen ihm genommen haben; das ist die Hauptsache! Freilich, dies hieß geradezu Unmögliches fordern.

Ob Maximilian dem Papst irgendeine auf Zurückerstattung der säkularisierten geistlichen Güter in Mexiko abzielende Zusage gemacht habe oder nicht, ist streitig. Die Frage dürfte jedoch im verneinenden Sinne zu beantworten sein, wenn man erwägt, daß der Prinz zu jener Zeit eine Politik sich vorgesetzt hatte, welche geeignet wäre, in seinem Schattenkaiserreich die »liberalen« Elemente von der Republik ab und zum Imperialismus herüberzuziehen. Gewiß jedoch ist, daß, wenn der Papst zum Abschiede dem Prinzen seinen Segen gegeben hat, sozusagen pränumerando als Gegenleistung für die Wiederherstellung des Kirchenvermögens, dieser Segen nicht sehr anschlug. Überhaupt stellte es sich bald als ein handgreiflicher Irrtum heraus, wenn man einer Einwirkung der päpstlichen Autorität auf die Mexikaner, gleichviel, ob Priester oder Laien, große Bedeutung zugeschrieben hatte. Der Katholizismus der indianischen Stammbevölkerung ist noch heute das alte, nur flüchtig-christlich überpinselte Aztekentum, während die spanisch-kreolische Einwohnerschaft, soweit sie in betreff der Religion nicht gänzlicher Gleichgültigkeit verfallen ist, ihrem religiösen Bedürfnis mittels Erfüllung der kirchlichen Zeremonien vollständig genug getan zu haben glaubt. Von einem Papalismus im Sinne der Ultramontanen in Europa kann daher da drüben in Anahuak gar keine Rede sein. Nicht einmal bei der Klerisei. Diese gehört auf allen ihren Rangstufen unbestritten zu den bildungslosesten, zuchtlosesten und habgierigsten Pfaffheiten, welche jemals das Antlitz der Erde durch ihr Dasein besudelten. Trotzdem oder vielmehr gerade deshalb war es ihr im Laufe der Zeit gelungen, ein ungeheures »Kirchengut« in ihren bodenlosen Pfaffensack einzuhamstern, – ein Kirchengut, dessen Wert auf 900 bis 1000 Millionen Franken geschätzt werden muß. Die mexikanische Klerisei, die sich des bekannten guten Kirchenmagens in hohem Grade erfreute, verdaute ohne Beschwerde den Ertrag dieser »apostolischen Armut«. Doch nahm das Verdauungsgeschäft so viele Zeit in Anspruch, daß sich die Hochwürdige um anderes nur wenig oder auch gar nicht bekümmern konnte. Auch um den Papst nicht, wie denn Se. Heiligkeit für die mexikanischen Prälaten nur sehr zeitweilig existierte, wenn eben diese Existenz gerade in ihren Kram paßte. Dies geschah, als im Jahre 1859 die rechtmäßige Regierung der Republik Mexiko die Einziehung sämtlicher Güter der »toten Hand« in gesetzlicher Weise verkündigte und durchzuführen begann, damit dieser unermeßliche Schatz, statt wie bisher einer unwissenden, hartherzigen und sittenlosen Kaste zu dienen, dem ganzen Lande zugute kommen sollte. Dieses Attentat der »ketzerischen Liberalen« machte natürlich die mexikanischen Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte aus trägen Genüßlingen im Handumdrehen zu eifrigen Soldaten der streitenden Kirche, und als solche erinnerten sie sich denn auch wieder einmal ihres Generalissimus in Rom, und dieser wurde von ihnen bestürmt, alle Furien des Vatikans gegen die neueste Rotte Korah loszulassen, d. h. gegen die Regierung des Präsidenten Juarez …

Am Abend des 20. April schiffte sich der mit dem päpstlichen Segen ausgestattete Erzherzog wieder in Civita Vecchia ein, und vier Tage darauf hielten die »Novara« und die »Themis« im Hafen von Gibraltar Rast. Beim Einfahren erblickte man vom Verdeck der österreichischen Fregatte ein großes Fahrzeug, das, aus dem Atlantischen Ozean kommend, ohne Maste und Takelwerk, ohne Kanonen und Boote, langsam und traurig durch die Meerenge sich schleppte. Es war das italienische Kriegsschiff » Il galantuomo«, das durch Stürme mehrere Monate lang auf dem Atlantischen Meere umhergeworfen und kläglich zugerichtet worden war. Gewiß ist es dem Erzherzog und seiner Frau nicht entfernt in den Sinn gekommen, in dem entmasteten, halbzerstörten Schiffsrumpf ein Vorzeichen zu sehen. Und doch sollte das gebrechliche, obwohl fröhlich bewimpelte Fahrzeug der Illusion, auf welchem sie sich nach Atlantis eingeschifft hatten, von den Stürmen, die da drüben ihrer warteten, bis auf die letzte Planke zerstört werden.

Am 29. April hatte das kleine Geschwader Madeira in Sicht, und die Reisegesellschaft stattete der Insel einen kurzen Besuch ab. Nach der Abfahrt von Madeira trat an Bord der »Novara« Kohlenmangel ein und damit die »für das österreichische Gefühl bittere Notwendigkeit«, sich von der französischen Fregatte, deren »selbstbewußte Superiorität schwer zu ertragen war«, ins Schlepptau nehmen zu lassen.

Wie wunderlich doch die Menschen sind! Über das kleine Ärgernis, daß die »Novara« von der »Themis« sich schleppen lassen mußte, ärgerten sich der Prinz und seine Begleiter und Begleiterinnen weidlich; über das große Ärgernis, daß ein Erzherzog von Österreich am Schleppseil Bonapartescher Politik als willenloses Werkzeug in ein zugleich törichtes und frevelhaftes Abenteuer sich hineinziehen ließ, schwindelten sie alle sich hinweg. Freilich, Prinzen sind nicht verpflichtet, mehr Logik im Leibe zu haben als andere Menschen; im Gegenteil!

Maximilian hatte zudem während seiner Seereise kaum Muße zu logischen Übungen. Denn er war, in seine Kajüte zurückgezogen, um und über damit beschäftigt, für sein Kaiserreich, wie er es sich nach den Schilderungen der am französischen und päpstlichen Hofe intrigierenden mexikanischen Glücksritter und Gesellschaftsretterbanditen vorstellte, eine ganze Masse von Gesetzen und Verordnungen zu redigieren, welche ebensogut oder ebensoschlecht auf Wolkenkuckucksheim wie auf Mexiko gepaßt hätten. Während er diese Kaiserarbeit tat, war seine Gemahlin Charlotte nicht weniger emsig beschäftigt, in die Kaiserinrolle sich hineinzustudieren, und zwar dadurch, daß sie eine sehr ausführliche Hof- und Palastordnung entwarf.

Der Prinz und die Prinzessin, diese armen » Emperadores« von Bonapartes, d. h. von Verhuells Gnaden, gingen ihrer Kaiserschaft entgegen, wie Kinder dem Weihnachtstisch entgegeneilen. Verheißungsvoll und lockend schimmert fernher der phantastisch geschmückte Christbaum, aber plötzlich tritt hinter ihm ein rutenbewaffneter »Butzemann«, ein grimmiger Knecht Ruprecht hervor.

Einen ziemlich deutlichen Vorgeschmack tropischer Herrlichkeiten erfuhren die Reisenden während eines mehrtägigen Aufenthalts auf der Insel Martinique. Die farbige Bevölkerung kam ihnen doch sehr farbig vor, farbig bis zum – Riechen. Als die Neger und Negerinnen zu Ehren des erzherzoglichen Paares ihre scheuseligen Tänze aufführten und dazu gorillamäßig brüllten: » Vive l'empereur! Vive la fleur embaumée!«, fanden es die Reisebegleiterinnen der bebalsamten Blume, d. h. der Erzherzogin, geraten, ihre, wie Gräfin Kollonitz bezeugt, »auf das empfindlichste beleidigten« Augen, Ohren und Nasen zu verschließen und zu verstopfen. Goethes Ottilie hätte hier erst recht begriffen, was für ein großes Wort sie mit ihrem: »Niemand wandelt ungestraft unter Palmen –« gelassen ausgesprochen habe.

Am 25. Mai durchfuhr die »Novara« die Meerenge zwischen dem Kap San Antonio auf Kuba und dem Vorgebirge Katoche, in das die Nordspitze von Yukatan ausläuft. Der Busen von Mexiko wurde binnen drei Tagen glücklich durchsegelt. Aber der herrliche Schneeriese, der Pik von Orizaba, der Sternberg (»Citlaltepetl«) der Azteken leuchtete den Reisenden nicht vom Lande her entgegen. Er war, wie das ganze Land bis zum Meere herab, in Wolken gehüllt. Ein trauriger Anblick, nicht tröstlicher gemacht durch das Auftauchen des Gelbfiebernestes Veracruz aus seinen Sanddünen und Sümpfen. Am Nachmittag des 28. Mai ging die »Novara« beim Fort San Juan d'Ulloa vor Anker. Der »Emperador« war im Begriffe, sein Reich zu betreten und sein Volk kennenzulernen.

Welches Reich? Was für ein Volk?

2.
Anahuak und Mexiko.

Die Entdeckung der großen Halbinsel Yukatan durch Hernandez de Kordoba im Jahre 1517 vermittelte die Auffindung des Reiches der Azteken, des Landes Anahuak oder Mexiko durch Juan de Grijalva im Jahre 1518. Damit war ein Seherwort des unglücklichen Kolon in Erfüllung gegangen, der in seinen letzten Lebenstagen so bitterlich es beklagt hatte, daß ihm nicht vergönnt gewesen sei, die Meere im Westen von Kuba zu untersuchen, wo reiche Länder liegen müßten.

Schon der Anblick der Küsten von Yukatan hatte die Spanier mit Staunen erfüllt; denn hier trat ihnen überall die Tatsache einer Kultur vor Augen, welche den politischen und sozialen Zuständen, die sie bislang in der Neuen Welt getroffen hatten, bei weitem überlegen war. Grijalva, der an verschiedenen Stellen des mexikanischen Meerbusens landete, überall mit steigender Verwunderung die unverkennbaren Zeichen vom Vorhandensein eines zivilisierten und mächtigen Staatswesens wahrnahm und von seinem Tauschhandelsverkehr mit den Küstenbewohnern eine stattliche Ausbeute an kunstvollem Goldgeschmeide und Edelsteinen davontrug, – Grijalva war ohne Zweifel der erste Europäer, der seinen Fuß auf den Boden von Anahuak gesetzt und den Verkehr mit den Azteken eröffnet hat. Am 19. Juni 1518 begab sich der kühne Spanier ans Land, nahezu bei der Stelle, wo nachmals Veracruz angelegt wurde, entfaltete das Banner Kastiliens und ergriff unter den üblichen Bräuchen, wozu auch die Lesung einer Messe gehörte, Besitz von einem Reiche, dessen Ausdehnung er nicht entfernt ahnte und welchem er den Namen » Nueva España« (Neuspanien) gab. Er ahnte auch nicht, daß sein und seiner Gefährten ganzes Gebaren durch aztekische Stenographen mittels Bilderschrift zu Papier gebracht und diese Depesche mittels einer wohleingerichteten Schnelläuferpost weit landeinwärts befördert wurde, nach Tenochtitlan, der im Hochtal von Anahuak prächtig gelegenen Hauptstadt des aztekischen Staatenbundes, den Moktheuzoma II. beherrschte, in spanischwohllautenderer Korrumpierung Montezuma genannt, ein Monarch, den die Spanier, nachdem sie mit seiner Macht bekannt geworden, mit Fug den Titel »Emperador« gegeben haben. Hätte der stupide Fanatismus christlicher Pfaffen, dem Vorgange des ersten Erzbischofs von Mexiko, Don Juan de Zummarraga, folgend, nach der spanischen Eroberung nicht ganze »Berghaufen« von Rollen und Bänden aus Baumwolle-, Seide- und Aloebastpapier, welche die aztekische Literatur enthielten, dem Feuer überliefert, so würden wir vielleicht eine authentische Schilderung der Eindrücke und Empfindungen besitzen, die den Aztekenkaiser überkamen, als ihm von der Küste her die verhängnisvolle Meldung gebracht wurde von der Erscheinung der »weißgesichtigen, bärtigen Fremdlinge, welche auf Schiffen mit Flügeln das Meer befuhren, zu Lande auf vierfüßigen Schlangen ritten und in ihren Händen Blitz und Donner trugen«. Zu jener Stunde verdüsterte der Schatten, den kommende Ereignisse vor sich her zu werfen pflegen, die Hallen der Hofburg von Tenochtitlan, und unter den über die finstere Miene ihres Gebieters erschrockenen Kriegern, Priestern und Höflingen ging ein Geraune um von dem geheimnisvollen, weißgesichtigen, vollbärtigen Gotte Quetzalkoatl, welcher in grauer Vorzeit unter den Azteken als Kulturmessias aufgetreten, dann aber auf dem atlantischen Meere gen Osten gefahren war und die Verheißung zurückgelassen hatte, daß er eines Tages mit seiner Nachkommenschaft zurückkehren und sein Reich Anahuak wieder in Besitz nehmen würde.

Dieser unter den bis zur wildesten Grausamkeit, aber auch bis zur opferfreudigsten Hingebung religiös gestimmten und gesinnten Azteken heimische Quetzalkoatlmythus erklärt das Wunder der Eroberung Mexikos durch die Spanier zwar nicht ganz, aber doch zu einem guten Teil. Andere Erklärungsgründe sind die kriegerische Genialität, die frevelhafte Skrupellosigkeit und todverachtende Entschlossenheit des Kortez, sowie seine in allen Wassern der schlauesten und gewissenlosesten Politik gewaschene Diplomatie, mittels welcher er Hunderttausende von Indianern, insbesondere die Heerhaufen der tapfern Tlaskalaner, unter sein Banner und gegen den herrschenden Stamm der Azteken in die Waffen brachte. Das Reich Montezumas hatte übrigens keineswegs den Umfang des nachmaligen Vizekönigreichs Neuspanien oder gar der späteren Föderativrepublik Mexiko. Den Untersuchungen des alten Clavigero in seiner » Storia antica del Messico« zufolge, deren Resultate auch Prescott in seiner berühmten » History of the conquest of Mexico« (I, 2) angenommen hat, reichte die Herrschaft der Azteken allerdings vom Atlantischen Meere bis zur Südsee, beschränkte sich jedoch an jenem auf das Gebiet zwischen dem 18. und 21. und an dieser auf den Landstrich zwischen dem 14. und dem 19. Breitegrad. Indessen steht fest, daß die Herrscher von Anahuak, insbesondere in den letzten Zeiten ihres Reiches, den Einfluß ihrer Politik und die Macht ihrer Waffen gelegentlich weit über die Grenzen des Landes hinaustrugen.

Am Karfreitag (21. April) 1519 landete Hernando Kortez mit seiner Abenteurerbande gerade da, wo jetzt Veracruz steht. Don Diego Velasquez, der Statthalter von Kuba, hatte den tapfern Kapitän, der früher ein großer Taugenichts gewesen war, mit dem Geschäfte der Eroberung von Anahuak betraut. Denn die Spanier spekulierten zu jener Zeit in Landfindungen und machten in Eroberungen, wie man heutzutage in Papieren spekuliert und in Kolonial- oder Manufakturwaren macht. Die Krone Spanien hatte bei diesen Spekulationen und Machenschaften nur die Rolle eines Kommanditärs inne, dem ein gewisser Anteil vom Reingewinn zukam. Die Eroberung von Peru durch Pizarro war bekanntlich geradezu ein Aktienunternehmen, mit dem die spanische Kolonialregierung gar nichts zu tun hatte. Es war eine Zeit der fabelhaftesten Abenteuer. Spanische Schweinehirten, abgebrannte Studenten, angehende Räuber, kurz, lauter Leute, welche im Begriffe waren, im schönen Spanien zu verhungern oder gehenkt zu werden, stahlen sich in die Neue Welt hinüber und bildeten dort das »Heldengesindel« der »Konquistadoren«, das märchenhafte Strapazen durchmachte, aber auch märchenhafte Erfolge erzielte und, ein Räubertum höchsten Stils organisierend, den Silberthron Montezumas in Tenochtitlan umstürzte und den Goldtempel der Sonne zu Kuzko ausleerte, – ein Räubertum, das das Kühnste vollbrachte, was Menschen vielleicht je gewagt, aber den höchsten Aufschwung menschlicher Kraft auf die gemeinsten Instinkte basierte und fromme Wut, brennenden Golddurst und viehische Grausamkeit zu jenem scheußlichen Ganzen zusammenballte, das den Namen Spanier zur Verwünschung Amerikas gemacht hat.

Kortez zog es vor, statt den Kommis des Großhändlers Velasquez darzustellen, das Geschäft der Eroberung Mexikos auf eigene Rechnung zu machen. Dieser eiserne Mann, in welchem der spanische Nationalcharakter von damals in wahrhaft diabolischer Potenzierung zur Ausprägung kam, ist vielleicht der verwegenste und glänzendste Industrieritter gewesen, den es jemals gegeben hat. Er war auch so glücklich, in seiner Bande wenn nicht einen Homer, so doch einen Herodot seiner Taten zu haben, den ehrlichen Bernal Diaz del Castillo, der die Eroberung von Mexiko als »Miteroberer« so treuherzig-ausführlich erzählt hat (» Historia verdadera de la conquista de la Nueva España, excrita por el capitan B. D. d. C., uno de los conquistadores«, 1632).

Am 16. August 1519 trat Kortez von Cempoalla, der Hauptstadt der Totonaken, aus mit seinem kleinen Heerhaufen (15 Reiter, 400 Mann Fußvolk mit 7 Feldschlangen und 2500 indianischer Krieger und Lastträger) den Marsch nach der Hochebene von Anahuak an. Ihr Weg führte die Spanier zunächst durch das heiße Küstenland, die » tierra caliente«, durch die üppige Tropengegend, die Heimat der Vanille, des Kakaos und der Kochenille, durch das Land, wo Blüten und Früchte und Früchte und Blüten das ganze Jahr hindurch ununterbrochen einander folgen, wo die Luft mit Wohlgerüchen geschwängert ist, wo in den Hainen farbenherrliche Vögel schwärmen und Insekten, deren mit Schmelz bedeckte Flügel in den Strahlen der »Wendekreissonne wie Juwelen funkeln«, wo aber auch dieselbe Glutsonne, die alle diese exotischen Pflanzen- und Tierweltwunder ins Leben ruft, die schreckliche Pestilenz des gelben Fiebers ausbrütet, damit ja das Gleichgewicht von Güte und Grausamkeit, das die Natur kennzeichnet, nicht gestört werde.

Aus dem heißen Tiefland stiegen die Spanier die nach Osten gekehrte Abdachung der Kordilleras hinan, empor zur » tierra templada«, in die erfrischende Region der immergrünen Eichenwälder. Zur Rechten dunkelte die Sierra Madre mit ihrem Piniengürtel vor ihnen auf, gen Süden zu hob der majestätische Orizaba seinen firnschneebemantelten Leib aus der Andeskette heraus und sein Felsenhaupt mit der schimmernden Eiskrone himmelan. Ostwärts, schon weit hinter ihnen, blaute fernher der mexikanische Golf. Höher und immer höher hinauf wand sich der beschwerliche Pfad, längs der Seitenwände des ungeheuren Viereckberges (aztek. Nauhkampatepetl, span. Cofre de Perote), hinauf aus der gemäßigten Zone in die kalte (» tierra fria«). Dann gelangten sie durch den Paß der Sierra del Agua in das offene, längs des Kammes der Kordilleren hingedehnte Tafelland mit italienischem Klima. Die ganze Marschroute des »Konquistador«, wie Kortez par excellence seinen Landsleuten schon damals hieß und noch jetzt heißt, war so ziemlich dieselbe, die in unsern Tagen von Veracruz nach der Hauptstadt des Landes hinaufführt, jedoch mit Ausschluß der beträchtlichen Abbeugung gen Süden nach Puebla. Wie bekannt, wurde der Weitermarsch des Eroberers aufgehalten durch die diplomatischen Verhandlungen und kriegerischen Kämpfe mit dem auf seinem Wege liegenden Freistaat Tlaskala, welche Verhandlungen und Kämpfe der spanische Feldhauptmann zu einem für sein Unternehmen so unberechenbar vorteilhaften, weil die Allianz der tapferen und treuen Tlaskalaner ihm sichernden Frieden zu wenden wußte.

Von Tlaskala ging der Weitermarsch auf Cholula, den großen Wallfahrtsort Anahuaks. Die Stadt hat den Angaben des Eroberers zufolge zu jener Zeit 20 000 Häuser innerhalb und ebenso viele außerhalb ihrer Mauern enthalten. Hier war jenes riesige Bauwerk der Neuen Welt, jene Pyramide aufgetürmt, auf deren abgestumpfter Plattform der dem Quetzalkoatl geweihte Tempel (aztek. »Teokalli«) stand. Alexander von Humboldt hat zu Anfang des 19. Jahrhunderts diese kolossale, aus Steinen, Ziegeln und Ton erbaute Spitzsäule gemessen und gefunden, daß ihre senkrechte Höhe 177, die Basislänge einer ihrer vier Seiten 1423 Fuß betrug, daß ihre Grundfläche einen Bodenraum von 44 und ihre abgestumpfte Spitze einen Raum von 1 Morgen einnahm. Die Cholulaner waren eine rechte Wallfahrtortsbevölkerung, d. h. demoralisiert durch und durch. Der ursprünglich milde Kult des Kulturmessias Quetzalkoatl hatte allmählich die bluttriefenden Formen des aztekischen Glaubens angenommen, so zwar, daß auf dem Hauptaltar zu Cholula jährlich an 6000 Menschenopfer dargebracht wurden. Und dieser Greuel geschah an einer Stelle, von welcher aus dem Menschenauge sich die prachtvollste Schau, die ihm werden kann, darbot und darbietet. Gegen Osten hin markiert der Citlaltepetlkoloß die Grenze des Gesichtskreises, gen Westen der Porphyrfelsenwall, den die Natur um das Hochtal von Anahuak gezogen, und wie zwei riesige, alle Bergspitzen Europas an Höhe hinter sich lassende Wächter stehen da rechts und links der Popokatepetl (der »rauchende Berg«) und die Iztaccihuatl (die »weiße Frau«). Wie damals die Spanier, so lassen auch heute noch alle Reisenden von der Höhe der Pyramidenruine herab ihre Blicke mit Entzücken über die herrliche Ebene von Puebla hinschweifen.

Sei es, um die angeblich beabsichtigte Verräterei der Cholulaner zu bestrafen, sei es, um einen »gesellschaftrettenden« Schrecken à la September 1792 oder à la Dezember von 1851 einzuflößen und den »roten Heiden« ein für allemal zu zeigen, wie die »weißen Götter« dreinzuwettern wüßten: der Konquistador richtete unter den Bewohnern von Cholula ein schreckliches Blutbad an, das die beabsichtigte Wirkung tat. Ein Zittern lief durch ganz Anahuak.

Unter dem Einfluß dieses vor ihnen hergehenden Schreckens brachen die Spanier von Cholula nach Tenochtitlan auf. Ihr Weg führte sie zwischen den beiden vorhin genannten Bergriesen hindurch, und es charakterisiert die unbändige spanische Abenteurerlust von damals, daß der Hauptmann Diego Ordaz mit neun seiner Landsleute sozusagen im Vorübergehn die Besteigung des 17 852 Fuß über den Meeresspiegel sich erhebenden Popokatepetl unternahm, der sich zu jener Zeit noch in voller vulkanischer Tätigkeit befand. Die Waghälse drangen auch wirklich durch Wald und Gestein, Schnee und Eis, Lava und Asche bis in die Nähe des Kraters hinauf, nebenbei wohl auch in der Absicht, den Eingeborenen zu zeigen, daß den »weißen Göttern« die kühnsten Unternehmungen nur Zeitvertreibe seien. Zwei Jahre später erstieg auf des Eroberers Befehl Franzisko Montano die Spitze des rauchenden Berges mit vier Begleitern, und diese ließen den Kühnen zu wiederholten Malen in einem Korb in den Krater hinab, woraus er Schwefel zur Pulverbereitung heraufholte.

Nach einem beschwerlichen Marsch durch die Sierra eröffnete sich den Spaniern plötzlich der Niederblick auf das porphyrwallumgürtete Tal von Tenochtitlan oder Mexiko. Wie ein lachendes Rundgemälde lag es mit seiner Wälder- und Wasserfülle, mit seinen schimmernden Blumengärten und schattigen Hügeln, mit seinen sorgfältig bebauten Mais- und Magueyfeldern, mit seinen Zedern-, Eichen- und Maulbeerhainen vor den Augen der Staunenden, die Ufer der fünf Seen, welche es in seinem Schoße barg und deren Wassermasse bedeutend größer war als heute, von Städten und Dörfer wimmelnd, inmitten des Sees von Tezkuko aber, durch vier Dammstraßen mit dem festen Lande verbunden und von schwimmenden Gärten umgeben, das »aztekische Venedig«, die kaiserliche Stadt Tenochtitlan mit ihren weißglänzenden Mauern und ihren hochgetürmten Tempelpyramiden, das alles überragt von dem auf hohem Porphyrfelsberg gelegenen Sommerschloß Montezumas, Chapultepek, beschattet von riesigen Zypressen. Was haben diese tausendjährigen Stämme nicht alles mitangesehen! Die Einwanderung der Tolteken, dann die der Azteken in das Hochtal von Anahuak, die spanische Invasion und die Vertreibung der Spanier, das triumphierende Flattern des Sternenbanners der Union und das Wehen der französischen Trikolore. In dem Schatten dieser Baumpyramiden hat der hochsinnige Guatemozin seinen Schwur getan, sein Vaterland bis aufs äußerste gegen die räuberischen Bleichgesichter zu verteidigen; in dem Schatten dieser Wipfel hat Kortez mit seiner braunschönen Marina gekost, hat Sealsfield seinen »Virey« entworfen, hat Maximilian von Österreich Labung gesucht nach vergeblichen Tagewerken.

Montezuma hatte umsonst die ganze Schlauheit aztekischer Diplomatie aufgeboten, um die »weißen Götter« von seiner Residenz fernzuhalten. Seitdem er erfahren, wie sie in Cholula gewütet hatten, machte er keinen ernstlichen Versuch mehr, diese Heimsuchung abzuwenden, sondern ergab sich darein mit jenem der indianischen Rasse eigenen Stoizismus und sandte seinen Neffen, den Vasallenkönig von Tezkuko, den schrecklichen Fremdlingen, welche bis zur Stadt Ajotzino am See Chalko vorgerückt waren, zur Begrüßung entgegen. Beim Weitermarsch von da nach Iztapalapan, wo Kortez vor dem Einzug in Tenochtitlan zum letzenmal nächtigte, stieg die Verwunderung der Spanier über das, was sie ringsher sahen, immer höher, wie der ehrliche Bernal Diaz erzählt.

»Als wir auf die breite Heerstraße von Iztapalapan gelangten, fiel uns die Menge von Städten und Dörfern in die Augen, die mitten in die Seen gebaut waren, die noch größere Zahl von bedeutenden Ortschaften an den Ufern und die schöne schnurgerade Straße, welche nach Mexiko führte. Wir sprachen untereinander, daß hier alles den Zauberpalästen in dem Ritterbuch vom Amadis gliche: so hoch und stolz und herrlich stiegen die Türme, die Tempel und die Häuser der Stadt mitten aus dem Wasser empor.«

Am folgenden Tage (8. November 1519) zogen die Spanier in die Hauptstadt ein. »Als uns«, schreibt Bernal, »alle die bewundernswerte Herrlichkeit derselben ins Auge fiel, wußten wir gar nicht, was wir sagen sollten, und wir zweifelten fast, ob auch alles, was wir vor uns sahen, wahr und wirklich sei.« Auch während der folgenden Tage hielt dieses Starren und Staunen an, als die spanischen Gäste des aztekischen Herrschers den ungeheuer weitläufigen Palast desselben, die Straßen, Gärten und Marktplätze, die wohlgeregelte Polizei, die Gewerbetätigkeit und den Handelsverkehr der Stadt besichtigten. Aber auf der Plattform des großen Reichsteokalli, beim Anblick der Statue des Schutz- und Trutzgottes der Azteken, des Huitzilopotchli, der blutbespritzten Tempelwände, des furchtbaren Jaspisblocks, auf dem die Menschenopfer ausgestreckt wurden, damit ihnen der Oberpriester mit einem Steinmesser die Brust öffnete und das noch schlagende Herz herausrisse, um es dem Gotte vor die Füße zu werfen, da standen selbst diesen eisernen Gesellen vor Grauen die Haare zu Berge. Sie dachten gewiß nicht entfernt daran, daß der greuliche Götze, vor welchem zuckende Menschenherzen als Opfer dampften, nur eine andere Form der Gottheit sei, welcher zum Wohlgefallen bei ihnen daheim in Spanien die Menschenopfer der »Glaubensakte« ( Autos de fé) verbrannt wurden; wohl aber mochte manchen von ihnen die schreckliche Ahnung durchschaudern, daß eine Stunde kommen könnte, wo er selber auf dem Opferstein Huitzilopotchlis ausgestreckt sein würde.

Diese Stunde kam in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 1520, in der »traurigen Nacht«, als Kortez nach der Gefangennahme und dem Tode des unglücklichen Montezuma vor einer allgemeinen und energischen Insurrektion der Azteken einstweilen sein Banner streichen und seinen kleinen Heerhaufen in entsetzlich bedrängter Flucht aus Tenochtitlan hinwegführen mußte. Niemals hat sich des Eroberers heldische Kraft, niemals der spanische Mut besser bewährt als in den fürchterlichen Bedrängnissen der » noche triste«. Und die weißen »Teules«, Götter oder Teufel, wie sie von den Azteken genannt wurden, kehrten wieder. Schon am 31. Dezember 1520 konnte der unerschütterliche Konquistador an der Spitze von nahezu 600 Spaniern, worunter 40 Reiter, und von 100 000 verbündeten Indianern wiederum von Tlaskala her in das Hochtal von Mexiko einmarschieren und in der Stadt Tezkuko sein Hauptquartier aufschlagen, um zu der berühmten Belagerung von Tenochtitlan zu schreiten, deren Katastrophe man an Furchtbarkeit treffend mit der von Jerusalems Eroberung durch Titus verglichen hat. Die zur Verzweiflung getriebenen Azteken wichen nur einem Feinde, der noch schrecklicher war als die »Teules«, dem Hunger; ja, nicht einmal diesem. Sie fochten bis zuletzt und ließen sich lieber massenhaft hinschlachten, als daß sie die Gnade des Siegers anflehen wollten. Am 13. August 1521 fiel der heroische Guatemozin, der letzte Aztekenkaiser, in die Hände der Spanier, und damit war der Widerstand der verhungerten Bewohner Tenochtitlans zu Ende. Die Stadt war nur noch ein Trümmerhaufen. Von ihren Bewohnern waren während der Belagerung nach der höchsten Schätzung 240 000, nach der niedrigsten 120 000 umgekommen. Dem elenden Rest, zwischen dreißig- und siebzigtausend, Weiber und Kinder ungerechnet, wurde gestattet, die mit Leichnamen besäten und von ihnen verpesteten Ruinen des aztekischen Venedigs zu verlassen.

Kortez, später von Kaiser Karl V. zum Marques del Valle Oaxaka ernannt, vollendete die Unterwerfung des Landes bis zur Südsee hinüber und bis gen Zentralamerika hinab. Der grausamen Kolonialpolitik der Spanier gemäß wurden die gesamten Eingeborenen zu Sklaven der Eroberer gemacht. Diese mittels des Systems der » Repartimientos«, d. h. mittels der Schenkung von Land und Leuten an die spanischen Eindringlinge bewerkstelligte Verknechtung der Indianer, ist bis zu dieser Stunde noch nicht völlig gebrochen und aufgehoben, indem die sogenannte Peonswirtschaft die Masse der Eingeborenen noch immer als Leibeigene der Weißen erscheinen läßt, obgleich die Abkömmlinge der ursprünglichen Herren des Bodens durch die Verfassung der Republik Mexiko den Nachkommen ihrer Besieger und Eroberer theoretisch-rechtlich vollkommen gleichgestellt sind. Es muß aber gesagt werden, daß das spanische Joch, wie schwer auch immer es auf Anahuak gelastet hat, hier dennoch nicht die vernichtenden Wirkungen tat wie anderwärts. Die indianische Bevölkerung wurde zwar dezimiert, aber doch nicht ausgerottet. In ihren Dörfern zusammengedrängt und unter ihren eigenen Obrigkeiten lebend, hat sie ihren spanischen Herren gegenüber einen passiven Widerstand von unbesieglicher Zähigkeit entwickelt. Und nicht nur das. Mit der Befreiung des Landes von den Spaniern trat das indianische Element immer bedeutsamer wieder in den Vordergrund, so sehr, daß in der neueren und neuesten Geschichte Mexikos Indianer hervorragende Rollen innehatten und innehaben. Dies beweist, daß die Abkömmlinge der alten Kulturvölker des nordamerikanischen Kontinents, die Nachkommen der Tolteken und Azteken, denn doch in ganz anderem Grade kulturfähig waren und noch sind als ihre Rassegenossen.

Im Jahre 1524 war genau an der Stelle, wo das zerstörte Tenochtitlan gestanden, das neue Mexiko, die Hauptstadt von Neuspanien, schon so ziemlich fertig gebaut. Da, wo der Palast Montezumas sich erhoben hatte, dehnte sich jetzt die schöne » Plaza major« hin, von welcher als dem Mittelpunkt der Stadt die Hauptstraßen ausliefen, und zwar nach den verschiedenen durch den See führenden Dammwegen hin. Da, wo der kolossale Teokalli des Huitzilopotchli in die Lüfte geragt, erhob jetzt die dem heiligen Franziskus geweihte Kathedralkirche ihre prächtigen Steinmassen. Im ehemaligen Park der aztekischen Kaiser wurde ein stattliches Franziskanerkloster erbaut und gerade gegenüber ein Palast für Kortez, der später der Sitz der Vizekönige geworden ist.

Kortez selbst ist bekanntlich von dem spanischen Hofe schließlich mit kaum minder schnödem Undank belohnt worden, als dem Kolon zuteil geworden war; doch hatte er besser für sich zu sorgen verstanden als dieser. Nach des Konquistadors Entfernung von der Regierung Neuspaniens nahm die spanische Kolonialpolitik mit ihrer ganzen Brutalität daselbst ihren Anfang, – ein System, innerhalb dessen Stupidität, Habsucht und Grausamkeit um die Palme der Infamie stritten, – ein System, das wie die spanischen Kolonien so auch das Mutterland selber zugrunde gerichtet hat. Selbstverständlich taten sich die glaubenseinigen und glaubenseifrigen Spanier auf die »Bekehrung« der Eingeborenen viel zugute, ein Werk echtspanischer Frömmigkeit. Da, wo die Blutaltäre des aztekischen Obergottes geraucht hatten, rauchten jetzt die Scheiterhaufen der christlichen Inquisition. In religiöser Beziehung also kamen die Eingeborenen nicht aus dem gewohnten Geleise. Ihre frommen Heidenpfaffen gaben fromme Christenpriester ab und fuhren fort –

»Zu glauben, daß den Himmel sie verdienten,
Wenn andern sie die Erd' zur Hölle machen.«

Gerade dreihundert Jahre währte in Mexiko die spanische Tyrannei, der alles Leid und Wehe, das das Land auch nach Erlangung seiner Selbständigkeit erlitten hat, unbedenklich auf Rechnung geschrieben werden muß. Es sieht sogar einem hellen Wunder gleich, daß die Mexikaner nach dieser dreihundertjährigen systematischen Demoralisierung überhaupt noch die moralische Kraft hatten, das Joch ihrer Tyrannen zu zerbrechen. Zweifelsohne ist hierbei ein Hauptfaktor gewesen die stupide spanische Regierungsregel, nur in Spanien geborene Spanier für voll und ämterfähig anzusehen, die spanischen Kreolen (» crillos«) aber, d. h. die Abkömmlinge spanischer Kolonisten, auch wenn sie von reinweißer und reinspanischer Abkunft waren, als eine Kaste zu betrachten, die zwar über den Kasten der Indianer, der Neger, Mulatten, Mestizen und Zambos stand, jedoch zu der bevorrechteten Klasse der Vollblutspanier (» gachupinos«) gerade so sich verhielt wie die Indianer und die Farbigen zu den Kreolen. Diese, schwergereizt und rachedurstig, wie sie waren, haben denn auch in Verbindung mit den grausam mißhandelten Indianern der spanischen Herrschaft ein Ende gemacht.

Vom Jahre 1810 an waren verschiedene Empörungen gegen diese Herrschaft in den weiten Gebieten von Neuspanien zum Ausbruch gekommen, aber in Strömen von Blut erstickt worden. Merkwürdigerweise ist es ein Pfarrer von indianischer Abkunft gewesen, Miguel Hidalgo, der den ersten Aufruhrschrei (» grito de Dolores«) gegen die Spanier ausstieß und die Fahne der Empörung erhob (September 1810), was leicht erklärlich wird, wenn man bedenkt, daß diese armen Teufel von Dorfgeistlichen allen Druck und Übermut der in üppigen Pfründen müßig und zuchtlos schwelgenden spanischen Prälaten auszuhalten hatten.

Die Rebellion von 1820 führte die Katastrophe des spanischen Regiments herbei. Der 63. Virey von Neuspanien, Don Juan O'Donoju, war der letzte. Der Abfall des Obersten Don Agostino Iturbide von der Regierung entschied die Sache. In dem ersten, am 24. Februar 1822 zusammengetretenen Generalkongreß des mexikanischen Volkes hatte der Republikanismus eine überwiegende Stimmenmehrheit. Allein die Armee zwang, von der Geistlichkeit unterstützt, die Versammlung, den Iturbide zum Kaiser von Mexiko zu wählen und als Emperador Agostino I. zu proklamieren. Der improvisierte Kaiser war aber eigentlich ein ganz gewöhnlicher Korporal und vermochte sich demnach in dem ruhelosen Wirbel der alsbald anhebenden Parteikämpfe nicht zu halten. Er mußte schon im März 1823 abdanken und das Land verlassen.

Darauf entwarf ein konstituierender Kongreß eine der nordamerikanischen nachgebildete freistaatliche Verfassung für die aus neunzehn Staaten, einem Föderalgebiet und fünf Territorien bestehende Föderativrepublik Mexiko. Diese Verfassung trat am 4. Oktober 1824 in Kraft. Sie hatte aber nicht die geschichtliche Unterlage und demnach auch nicht den Geist, sondern eben nur die Form der Verfassung der Union, und schon die spanisch-stupide Bestimmung, daß der Katholizismus die bevorrechtete Staatsreligion sein sollte, machte eine gedeihliche Entwicklung der neuen Republik fraglich, wenn nicht unmöglich. Mexiko hätte nach Erlangung seiner Unabhängigkeit eines erleuchteten Despoten bedurft, der mit dem Genie, der Vaterlandsliebe und der Pflichttreue Cromwells die eiserne Hand Napoleons vereinigte. Statt dessen fand es nur eine Reihe von Intriganten, deren Mehrzahl auf der alleruntersten Sprosse der sittlichen Leiter stand.

Ein schöneres, reicheres, günstiger gelegenes Gebiet als das der neuen Republik Mexiko kann gar nicht gedacht werden. Der Flächenraum desselben ist nie genau bestimmt worden, und die Angaben schwanken zwischen 32 000 und 40 000 Geviertmeilen. Jedenfalls ist Mexiko, zwischen dem 15. und 32. Grade nördlicher Breite gelegen und im Osten durch den mexikanischen Golf, im Westen durch die Südsee, im Norden durch die Union und im Süden durch Guatemala begrenzt, mehr denn dreimal so groß wie Frankreich. Im Jahre 1857 ergab eine freilich nicht ganz genaue und verläßliche Zählung eine Bevölkerung von 8 287 413 Seelen, worunter etwa 2 200 000 Kreolen, d. h. im Lande geborene Weiße. Städte, Flecken und Dörfer ( ciudades, villas y pueblos) wurden damals 5128 gezählt.

Der beste und glänzendste Schilderer der transatlantischen Welt, Karl Postl, hinter dessen Charles-Sealsfieldmaske nach seinem Tode ein Deutscher zum Vorschein kam, hat Mexiko unlange nach der Abwerfung des spanischen Joches (1828) bereist und Land und Leute mit Meisterschaft dargestellt. Das von ihm damals entworfene Bild muß in seinen Hauptzügen noch heute als treu und treffend anerkannt werden. »Noch ist«, sagt er, »alles Chaos, Zerstörung, Verworrenheit und moralischer Schutt. Alles, was bestanden, ist über den Haufen geworfen, vernichtet, zerbrochen oder kümmerlich zusammengefügt, um beim ersten Windstoß wieder über den Haufen geworfen zu werden. Denn nicht bloß eine dreihundertjährige Regierung, auch die gesellschaftliche Form, die sie begründet, ist zerbrochen; der Glaube, die Religion, alles ist gebrochen; alles nennt sich frei, und alles steht sich feindselig gegenüber. Millionen von Indianern, dem Buchstaben des Gesetzes nach frei, in der Tat aber die Sklaven jedermanns; ein Adel, der seine Titel verloren, aber seine Majorate beibehalten hat und auf diesen der unumschränkte Gebieter seiner sogenannten Mitbürger ist; eine herrschende Kirche ohne Hirten; eine Religion, welche die Dreieinigkeit lehrt, und ein Volk, welches an keinen Gott oder an die Götzen der alten Azteken glaubt; der wütendste Fanatismus und der ekelhafteste Atheismus; eine nationale Repräsentation und Scharen militärischer Diktatoren und Tyrannen, von denen es sich der geringste zur Schande rechnen würde, den gegebenen Gesetzen zu gehorchen. Mit einem Worte, die zügelloseste Freiheit, die, phantastisch wild aufgeschossen, noch gar viele Phasen durchzumachen haben wird, ehe sie sich zur gesetzlichen Freiheit gestaltet. Sie wird sich aber gestalten; denn die Elemente des Guten sind auch hier zahlreich und kräftig, obwohl der Sauerteig der verdorbensten Zivilisation, die je ein Land vergiftet hat, tief eingedrungen ist und lange und schmerzliche Krankheiten verursachen wird.«

Unser Gewährsmann hat vergessen, unter den Elementen des Guten, die er andeutete, zwei namhaft zu machen, die wohl die besten sind und am meisten Hoffnung erwecken. Das ist die glühende Vaterlandsliebe, welche allen gebildeteren Mexikanern, die sittlich ganz verkommenen und verlorenen ausgenommen, zu eigen; das andere ist die Züchtigkeit der mexikanischen Frauen aus den höheren Klassen. Wo die Männer ihr Land und die Frauen ihre Ehre lieben, da ist auch die Möglichkeit eines gesunden und freien Staatslebens vorhanden.

3.
Anarchie.

Zunächst freilich – und dieses Zunächst währte an vierzig Jahre – quoll und quirlte, brodelte und sprudelte das Chaos wild und wüst über- und untereinander. Auch war die mexikanische Anarchie weit davon entfernt, eine »gemütliche« zu sein. Im Gegenteil, sie war die Ungemütlichkeit selber. Man füsilierte und wurde da füsiliert nur so im Handumdrehen. Die Parteijustiz oder Nichtjustiz war so prompt, daß das Hinrichten nicht selten dem Richten voranging. Das Stand- und Schandrecht wurde von diesen Raubrittern in Zarapes, Mangas und Sombreros zu einer Virtuosität ausgebildet, daß die Geschichte der Republik Mexiko lange, lange nur ein merkwürdig aufrichtiges Praktikum über den welthistorischen Gesetzesparagraphen »Wehe den Besiegten!« gewesen ist.

Zum ersten Präsidenten war nach Konstituierung des Freistaats der General Vittoria gewählt worden. Noch vor dem Amtsantritt desselben hatte den weiland Kaiser Agostino I. ein blutiges Schicksal ereilt. Iturbide, über die Stimmung in Mexiko schlecht unterrichtet, landete, aus England kommend, am 13. Juli 1824 bei Soto la Maria im Staate Tamaulipas. Man weiß noch heute nicht genau und vielleicht wußte der unfähige Mensch es selber nicht ganz genau, ob er kam, um abermals Kaiser zu werden, oder nur, um seinem Heimweh genugzutun. Er war aber inzwischen vom Generalkongreß geächtet worden, wurde demzufolge gefaßt, nach Padilla geschleppt und standrechtlich erschossen. So starb denn der erste weiße Kaiser von Mexiko eines so gewaltsamen Todes, wie der letzte rote Kaiser, der wahrhaft erlauchte Guatemozin, gestorben war, den ja Kortez zur Fastenzeit 1525 auf dem Marsche nach Honduras an den Ast eines Ceibabaumes am Wege hatte aufknüpfen lassen.

Das wilde Parteiwirrsal, das die junge Republik durchtobte, entsprang zuvörderst aus der Streitfrage, wieweit die souveränen Rechte der Einzelstaaten zugunsten der Bundesgewalt zu beschränken seien. Die hierüber weit auseinandergehenden Ansichten brachten die Bildung von zwei großen Parteien zuwege, und diese Parteien, die Föderalisten und die Zentralisten, bekämpften sich mit Pantherwut. Die Zentralisten setzten, die Mehrzahl der Leute von Bildung in ihren Reihen zählend, im Jahre 1828 die Wahl des Generals Pedraza zum Präsidenten durch, aber dieser mußte bald dem General Guerrero, einem Mestizen, weichen, den die Föderalisten erhoben. Die Popularität Guerreros hielt indes nur bis zum folgenden Jahre vor, wo er abtreten und die Staatsleitung dem Vizepräsidenten Bustamente überlassen mußte. Diesen verjagte der General Santa-Anna, der schlimmste aller schlimmen Dämonen seines Landes, zu Ende des Jahres 1832, um die Gewalt Pedrazas scheinbar wiederherzustellen. Schon im Juni 1833 machte er diesem Schein ein Ende, indem er sich von dem terrorisierten Kongresse selber zum Präsidenten wählen ließ. Zwei Jahre später proklamierte er die offene Säbelbrutalität als höchstes Gesetz, jagte den Kongreß auseinander und mißregierte als Diktator. Wieder ein Jahr darauf ging seine Herrlichkeit auch zu Ende. Der Staat Texas hatte sich von Mexiko losgerissen, d. h. die in Texas angesiedelten Angelsachsen hatten die Unabhängigkeit des herrlichen Landes erklärt, um es zu einem Gliede der Vereinigten Staaten zu machen. Santa-Anna zog gegen die Rebellen zu Felde, verlor aber in der Schlacht am San Jacinto Sieg und Freiheit (April 1836). Im nächsten Jahre kam wieder Bustamente als Präsident obenauf und mit ihm der Zentralismus. Die Verfassung wurde ganz in diesem Sinne umgestaltet und demzufolge die Föderativrepublik Mexiko in eine Einheitsrepublik verwandelt, in der die bisherigen souveränen Einzelstaaten zu bloßen Provinzen herabsanken. Eine derselben, eine größte und schönste, Kalifornien, riß sich zu dieser Zeit, dem Beispiele Texas' folgend, ebenfalls von Mexiko los, um die Union zu vergrößern. Etwas später löste auch Yukatan sein von jeher sehr lose und locker gewesenes Verhältnis zu Mexiko, das vergebens die Wiedereroberung von Texas versuchte und im Jahre 1838 auch in eine Art Krieg mit Frankreich verwickelt wurde, weil es den im Lande niedergelassenen Franzosen nicht gestatten wollte, Kleinhandel zu treiben.

Im März 1839 stellten die Föderalisten den inzwischen aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Santa-Anna als Gegenpräsidenten auf, allein Bustamente erwies sich vorderhand noch als der Stärkere; er wußte im Juli 1840 auch die Rebellion des Generals Urrea zu besiegen oder vielmehr zu beschwichtigen. Aber im Oktober des folgenden Jahres rebellierte Santa-Anna mit Glück und diktatorisierte in gewohnter Weise zwei Jahre lang, bis zum 4. Oktober 1843, wo eine Revolte ihn stürzte. Doch zu Anfang des nächsten Jahres war der Unvermeidliche schon wieder Präsident, um im Herbste des nächsten Jahres abermals gestürzt zu werden und den General Paredes zum Nachfolger zu erhalten. Paredes blieb aber nur sechsunddreißig Tage lang Staatsoberhaupt. Denn schon am 7. Dezember 1844 wurde er vom Präsidentenstuhl herabgeschmissen und der General Herrera erhoben. Herrera seinerseits mußte im Januar 1846 abermals dem Paredes weichen und dieser im August desselben Jahres wieder einmal dem Santa-Anna. Man meint beim Anblick dieser dampfgeschwinden Erhebungen und Stürze, Wiedererhebungen und Wiederstürze, der Goethesche Vers:

»Einer dieser Lumpenhunde
Ward vom andern abgetan« –

müßte eigens für Mexiko gemacht worden sein.

Santa-Anna stellte die Föderativverfassung wieder her und führte den inzwischen mit den Vereinigten Staaten um Texas willen ausgebrochenen Krieg so gut es eben gehen wollte. Daß die Yankees den »lausigen Schwarzbärten«, wie sie die Mexikaner verachtungsvoll betitelten, vollständig den Meister zeigten, ist selbstverständlich. Am 9. März 1847 landete die vom General Scott befehligte Armee der Union bei Veracruz, am 13. September nahm sie die Hauptstadt Mexiko mit stürmender Hand. Das Gebaren der amerikanischen Sieger, welche Festigkeit mit Milde zu paaren wußten, flößte den Besiegten so große Achtung ein, daß eine starke Partei dem General Scott die Präsidentschaft der Republik Mexiko anbot, ja sogar mit der Einfügung des ganzen Landes in die Union sich einverstanden erklärte. Bruder Jonathan war aber viel zu klug, um eine Annexion von ganz Mexiko schon jetzt zeitgemäß, praktisch und rätlich zu finden, und begnügte sich, einstweilen Texas, Kalifornien und Neumexiko, unermeßliche Länderstrecken, mittels des Friedensschlusses von Guadalupe-Hidalgo einzuheimsen (März 1848). Diese Demütigung fiel so schwer auf Santa-Anna zurück, daß er die Präsidentschaft niederlegen und aus dem Lande fliehen mußte.

Sein Nachfolger Herrera behauptete sich nur mühsam gegen Paredes und andere Bewerber um die Präsidentschaft, und unter diesen ewigen Zänkereien und Stänkereien wuchs die Anarchie zu einer solchen Unerträglichkeit an, daß viele Leute an der Möglichkeit einer Republik Mexiko ganz verzweifelten und das Heil in der Errichtung eines Thrones sahen, auf den irgendein europäischer Prinz berufen werden sollte. Es kann gar nicht bestritten werden, daß sich in den Reihen dieser monarchischen Partei neben sehr schmutzigem Menschenspülicht Männer von aufrichtigem Patriotismus und reinem Wollen befanden; allein ebensowenig, daß die Royalisten ihre Sache von vornherein bemakelten und verdarben, indem sie sich mit der kraß egoistischen und bodenlos unsittlichen Paffenpartei verbanden. Den Monarchisten gegenüber standen die Republikaner, an Zahl jenen weit überlegen und, wenn auch in die Fraktionen der Liberalkonservativen und der Radikaldemokraten gespalten, zur Aufrechterhaltung der Republik einig und entschlossen. Die radikal-demokratische Partei bekannte sich zu dem Prinzip, insbesondere dadurch eine gründliche und entschiedene Besserung der politischen und sozialen Zustände des Landes anzustreben, daß den jeden Vorschritt zum Guten hemmenden Anmaßungen und Vorrechten des Militärs und des Klerus ein Ende und das ungeheure Vermögen des letzteren zur Tilgung der Staatsschulden, zur Einrichtung von Schulen und gemeinnützigen Anstalten aller Art nutzbar gemacht werden sollte. Die Parteischattierungen haben sich später noch vielfach verschoben und die Benennungen der Fraktionen haben wiederholt gewechselt. So nahmen z. B. die beiden republikanischen Fraktionen zeitweilig die Namen der Moderados und der Puros an. Im großen und ganzen gestaltete sich aber die Sache allmählich so, daß die Vorwärtser die Gesamtbezeichnung der Liberalen erhielten und Liberalismus identisch war mit Republikanismus, und daß die Rückwärtser unter dem Parteinamen der Konservativen mehr und mehr unter der pfäffischmonarchischen Fahne sich zusammentaten.

Im Jahre 1851 machten die Liberalen den General Arista zum Präsidenten; aber der Mann war einsichtig und bescheiden genug, zu erkennen, daß es weit über seine Kräfte ginge, den mexikanischen Staatswagen aus dem bodenlosen Schlamm der Unordnung und Finanznot herauszukutschieren. Er dankte daher schon zu Anfang des Jahres 1852 ab, und nun war die Hilflosigkeit aller Parteien so kläglich und schmählich groß, daß sie sich zu dem Verzweiflungsstreich vereinigten, den ewigen Santa-Anna aus der Verbannung zurückzurufen und abermals mit diktatorischer Gewalt zu bekleiden (April 1853). Zwei Jahre darauf erlag dieser Mensch, der unter andern schönen Eigenschaften auch die besaß, der größte Dieb seines Landes zu sein, einer gegen ihn gerichteten Schilderhebung, welche der rothäutige oder vielmehr gescheckthäutige Wüterich Juan Alvarez versuchte, ein Indianerhäuptling, der seit langer Zeit die Provinz Guerrero nominell als Gouverneur, faktisch als unumschränkter Tyrann beherrscht hatte und sie bis zu seinem Tode beherrschte. Dieser »Panther des Südens« zog gegen die Hauptstadt herauf, die Puros erklärten sich für ihn, Santa-Anna nahm wieder einmal Reißaus, und der gescheckthäutige Barbar hielt nach vorhergegangener Wahlkomödie am 15. November 1855 als Präsident seinen Einzug in Mexiko, worauf die Puros die durch Santa-Anna ins Land gerufenen Jesuiten verjagten und dem Klerus und dem Militär das Privilegium einer besonderen Gerichtsbarkeit entzogen.

Allein der »Panther des Südens« hielt es nicht lange auf dem Präsidentenstuhl aus. Die Stadt langweilte ihn, und er sehnte sich in die Wildnisse und Urwälder von Guerrero, Michoakan und Oaxaka heim. Dorthin kehrte er im Dezember 1855 zurück, nachdem er den gewesenen Oberzöllner von Akapulko, Ignacio Kommonfort, zu seinem Nachfolger bestellt hatte. Die Präsidentschaft Kommonforts fand im Lande nur eine teilweise und schluderige Anerkennung, doch hielt sich der Oberzöllner gegen verschiedene Revolten und berief im Juni 1856 einen Generalkongreß, der ein neues Grundgesetz entwerfen sollte. Da in dieser Versammlung die Liberalen obenauf waren, wurde endlich ein ernster Versuch gemacht, mit der sehr bedürftigen Staatshand in den unermeßlich weiten und dicht vollgestopften Pfaffensack hineinzugreifen. Dies geschah mittels des berühmten Dekrets vom 6. Juni, das sämtlichen Korporationen verbot, Grundeigentum zu besitzen. Der Wert der Kirchengüter sollte kapitalisiert und der Zinsenertrag an die Geistlichkeit ausgefolgt werden. Daraufhin natürlich wütendes Bonzengegrunz und furchtbarer Religionsgefahrspektakel. Die Priester verschworen sich von da an förmlich zur Vernichtung der Republik, organisierten an allen Ecken und Enden »Gritos« und gewannen in der Armee eine nicht kleine Zahl von Parteigängern, unter denen sich der junge Oberst Miguel Miramon sowohl durch Befähigung als durch scheuselige Grausamkeit hervortat. Er war an Meineidigkeit und Raubgier dem Santa-Anna und an Brutalität dem »Panther des Südens« ganz und gar ebenbürtig, dieser edle Religionsretter.

Der Kongreß verkündigte am 5. Februar 1857 das neue, im demokratischen Geist gehaltene Grundgesetz, das auch den Grundsatz der religiösen Duldung enthielt. Kommonfort ist dann für eine neue Amtsdauer zum Präsidenten gewählt worden und wußte seine und der neuen Verfassung Gegner noch eine Weile im Schach zu halten, sowie auch widerwärtige diplomatische Verwicklungen mit England und Spanien, in die man geraten war, notdürftig auszugleichen. Bevor jedoch das Jahr zu Ende, erhob ein Werkzeug der Pfaffenpartei, der General Zuluaga, an der Spitze seiner Brigade die Aufruhrfahne. Nun ließen die Liberalen den verbrauchten Kommonfort, welcher zuletzt auch mit den Rückwärtsern geliebäugelt hatte, fallen und erwählten zum Präsidenten der Republik den bisherigen Obmann des Obertribunals, den aus Oaxaka stammenden Vollblutindianer Benito Juarez, einen Mann von Intelligenz, wissenschaftlicher Bildung, Redlichkeit und Charakterfestigkeit, also eine wahre Perle in diesem mexikanischen Korruptionsschmutz. Die Klerikalen stellten in der Person Zuluagas einen Gegenpräsidenten auf. Es war aber ein bedeutsamer Zukunftswink, daß die Regierung der Vereinigten Staaten ihren Gesandten nicht bei Zuluaga, sondern bei Juarez beglaubigte. Der Präsident der Klerikalen mußte übrigens bald dem Miramon weichen, der an seine Stelle trat.

Zwischen den beiden großen Parteien entbrannte jetzt der offene Bürgerkrieg, in dessen Leitung Juarez schon jene Unerschütterlichkeit entwickelte, die er später in einem noch viel gefährlicheren und bedeutungsvolleren Kampfe bewähren sollte. Auf seiten der Rückwärtser hat sich neben Miramon insbesondere der General Leonardo Marquez berufen gemacht durch Tapferkeit, Bigotterie und Gefühllosigkeit. Er war es, der das Erschießen der Gefangenen in großem Stile zuerst in Übung brachte, während Miramon seine Talente jetzt mehr nach der Seite des Raubens als des Mordens ausbildete. Neben den fünf großen Zwangsanleihen, die er während seiner Afterpräsidentschaft dem Lande abpreßte, hat er auch zu verschiedenen Malen große Barsummen, die den englischen Staatsgläubigern gehörten und zur Ausfolgung an diese im Hôtel des englischen Gesandten aufbewahrt wurden, gewaltsam gestohlen. Von seinem allerunsaubersten Geldgeschäft später.

Der soeben erwähnte durch Miramon an britischem Eigentum verübte Diebstahl war nur eine der völkerrechtswidrigen Handlungen und Gewalttätigkeiten, welche während des Bürgerkriegs von beiden Parteien, aber doch, wie unzweifelhaft erwiesen ist, ganz entschieden vorwiegend von der klerikalen, gegen die in Mexiko ansässigen Fremden und ihr Eigentum verübt wurden und jene mißlichen Konflikte mit europäischen Mächten herbeiführten, die zur gemeinsamen spanisch-englisch-französischen Invasion in Mexiko Veranlassung gaben. Diese Unternehmung ist dann das Vorspiel des bonapartisch-maximilianischen Kaiserschwindels geworden. Es steht aber unbestreitbar fest, daß dieser Schwindel schon vor der gemeinschaftlichen Expedition nach Mexiko in Paris und in Rom ausgeheckt worden ist.

Inzwischen war der Bürgerkrieg zur vollständigen Niederlage der Rückwärtser ausgeschlagen. Im Dezember 1860 stahl sich Miramon, die Taschen mit gestohlenem Gelde vollgestopft, aus dem Lande und nach Europa hinüber. Am Weihnachtstage zogen die Liberalen als Sieger in die Hauptstadt ein. Zu Neujahr verlegte dann der Präsident Juarez den Regierungssitz von Veracruz nach Mexiko, wurde vom Generalkongreß in seiner Würde bestätigt und auch von dem diplomatischen Korps als Staatsoberhaupt anerkannt. Sofort machte die Regierung Ernst mit der Verfassung von 1857 und mit der Einziehung der Kirchengüter. Die Mehrzahl der Klöster wurde aufgehoben, die Zivilehe eingeführt und der Erzbischof von Mexiko, La Bastida, mußte mit noch vier andern Bischöfen, weil sie sich der neuen Ordnung der Dinge nicht fügen wollten, in die Verbannung wandern. Auch der päpstliche Nuntius und der spanische Gesandte Pacheko wurden als offenkundige und unverschämte Parteigänger der Klerikalen aus dem Lande gewiesen. Diese und andere Maßregeln und Verfügungen waren teils unbedingt löblich, teils wenigstens vom mexikanischen Standpunkt aus zu rechtfertigen. Allein die infolge des Bürgerkriegs, der alle Verhältnisse nach innen und nach außen zerrüttet hatte, eingetretene öffentliche und privatliche Geldnot ließ nun die Regierung des Juarez einen Mißgriff tun, der den Feinden Mexikos einen willkommenen Vorwand zum Einschreiten gab. Dieser Mißgriff war das Dekret vom 17. Juli 1861, das alle Verbindlichkeiten gegen das Ausland auf die Dauer von zwei Jahren aufhob.

Frankreich, Spanien und England gaben auf dieses Dekret die Konvention vom 31. Oktober zur Antwort, kraft welcher Übereinkunft die drei Mächte zu einem gemeinsamen Handeln sich verbanden, das den wirklichen (oder auch nur vorgeblichen) Ansprüchen ihrer Angehörigen an die mexikanische Staatskasse oder an mexikanische Private Genugtuung verschaffen sollte, – Ansprüchen, welche angeblich die Gesamtsumme von 116 Millionen Pesos (1 Peso = 1 Dollar) erreichten.

Der große Sturm gegen die Existenz der Republik Mexiko war also im Anzuge. Durfte man von dem Staatsoberhaupt erwarten, daß es diesem Sturme die Stirn bieten würde?

4.
Benito Juarez.

Die nüchterne Anschauung und Untersuchung vermag in dem Indianer aus dem Stamme der Zapoteken, der in verhängnisvoller Zeit an die Spitze der Republik Mexiko berufen wurde, keinen außerordentlichen Mann zu erkennen, d. h. nicht einen jener Träger des Genius, die einer Zeit und Welt das Gepräge ihres Geistes und Willens aufdrücken oder wenigstens aufzudrücken scheinen, da sie ja im Grunde doch auch nur die höchste Ausprägung der Stimmung und Tendenz ihrer Zeit sind. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist ja überhaupt keine Periode der Genialitäten, und man muß schon zufrieden sein, wenn Menschen und Dinge nicht gar so weit unter das Niveau der Mittelmäßigkeit hinabsinken. Möglich auch, daß ein Mann von Genius seine Stelle weniger gut ausgefüllt hätte als der nichtgeniale, praktisch anfassende Zapoteke, der mit seinem schlichten Verstand Eigenschaften verband, welche unter Umständen weit mehr wert sind als Genie: nämlich eine in Mexiko hoch anzuschlagende Rechtlichkeit und Grundsätzlichkeit, ferner eine Entschlossenheit, Standhaftigkeit und Vaterlandsliebe, die jede Probe bestanden haben. Hunderte von genialen Wetterfahnen, Windbeuteln und Feiglingen wären da schmählich unterlegen, wo Benito Juarez gesiegt hat.

Er war in einem Weiler namens San Pedro in der Sierra de Oaxaka geboren und hat in seinen Knaben- und Jünglingsjahren alle Mühsale und Kümmernisse der Armut durchringen müssen, um sich die Möglichkeit der Bildung zu eröffnen. Für tüchtige Naturen ist so ein Ringen bekanntlich ein Stahlbad, worin sich der Charakter kräftigt, während untüchtige darin ertrinken. Benito studierte die Rechtswissenschaft und wurde nach beendigtem Studium Lehrer derselben am Kollegium der Stadt Oaxaka, die seit der Erringung der Unabhängigkeit des Landes stets eine Hauptburg des Republikanismus gewesen ist. Juarez selber war von Jugend auf ein in der Wolle gefärbter Republikaner. Neben seinem Lehramt betrieb er auch die Advokatur, deren Handhabung ihm weitum den Ruf eines makellos ehrlichen und redlichen Mannes verschaffte. Auf diesen Ruf gründete sich seine Erwählung zum Gouverneur des Staates Oaxaka, und nie wurde, selbst dem Zeugnis der Feinde des Mannes zufolge, dieses Amt besser verwaltet. Die große Achtung, die er sich zu erwerben wußte, wird auch bestätigt durch den Umstand, daß ihm eine jener alten Kreolenfamilien, welche sonst die Beimischung von indianischem Blute streng und stolz vermeiden, die Familie Mazo, ihre Tochter Margarita zur Frau gab.

Was Juarez als Gouverneur von Oaxaka durch Besserung der Rechtspflege, Hebung der Finanzen, Abstellung von Mißbräuchen des Beamtenschlendrians, Förderung des Gewerbefleißes, Schaffung und Mehrung der Verkehrsmittel für seine heimische Provinz tat, trug seinen Ruf über die Grenzen derselben hinaus, so daß die liberale Partei Mexikos in ihm bald einen ihrer geehrtesten, ja geradezu ihren verläßlichsten Führer anerkannte. Durch unmittelbare Volkswahl, wie die Verfassung sie vorschrieb, ist er zur Zeit, als die Präsidentschaft dem Kommonfort zufiel, zum Vorsitzer des höchsten Nationalgerichtshofs bestellt worden. Kommonfort ernannte ihn sodann zum Justizminister, als welcher er den staatsstreichlerischen Gelüsten und Anläufen des Präsidenten entschieden entgegentrat, als Rechtsmann, einsichtiger Patriot und redlicher Staatsdiener stets den Satz behauptend, daß Mexiko aus dem unseligen Wirrwarr ewiger Umwälzungen endlich einmal herausgerissen, von der Anarchie erlöst und auf die Bahn gesetzmäßiger Freiheit gebracht werden müsse.

Nach Kommonforts Fall erst provisorischer, dann (seit 1862) endgültiger Präsident der Republik, hat der zapotekische Indianer mit dieser höchsten Würde die, wie es scheinen mußte, geradezu unerträgliche Bürde eines Krieges überkommen und übernommen, der über das Sein oder Nichtsein des Landes entscheiden sollte: den Krieg gegen die Armeen und Flotten Frankreichs, den Krieg auch zugleich gegen die mit den fremden Eindringlingen landesverräterisch verbündete Pfaffen- und Rückwärtserpartei.

Eine ungeheure Aufgabe! Der Zapoteke hat sie gelöst; nicht allein, aber doch als erster Vormann. Als solcher und als echter und rechter Prinzipmann auf dem Felsgrund seiner unerschütterlichen Überzeugung stehend, hat er sich von dem Lug- und Trugspiel des Kaiserschwindels keinen Augenblick blenden oder täuschen lassen, hat auch im äußersten Mißgeschick die Hoffnung, daß das gute Recht Mexikos, dessen gesetzmäßiger Stabhalter er war, schließlich doch zu Ehren kommen und die republikanische Losung » Libertad y Independencia« triumphieren werde.

Dieser Triumph der guten Sache über ein ruchloses Attentat ist zu einem guten Teil der Triumph des schlichten Indianers aus der Sierra de Oaxaka gewesen, der mit der richtigen Einsicht in die Lage der Bedürfnisse seines Landes, mit der unwankbaren Entschlossenheit und zähen Ausdauer, die ihn als Staatsoberhaupt kennzeichneten, in seinem persönlichen Auftreten und Gebaren ruhige Würde, lebhaftes und feines Gefühl und eine außerordentliche Sanftmut und Milde zu paaren wußte.

Alles in allem: – Benito Juarez ist die bedeutendste geschichtliche Gestalt, welche innerhalb des Kreises europäischer Zivilisation bislang aus der indianischen Rasse hervorgegangen ist.

5.
Jecker und Kompanie.

Wenn ein wissender Mann es einmal aufgegeben hat, Menschen und Dinge durch die Idealbrille zu betrachten, so gibt es für ihn nichts Belustigenderes als die Mund und Augen aufsperrende Verwunderung, womit ein naives Publikum vor der Weltgeschichtsbühne sitzt und sich weismachen läßt, die aufgebauschte und aufgedonnerte Madame Histoire, welche da droben auf Moniteurkothurnen herumstelzt, sei die wirkliche und wahrhaftige Jungfrau Historia.

Verschafft euch Zutritt hinter den Kulissen, ihr lieben Leute! Da werdet ihr sehen, wie man die gemeine Gassendirne von Lorette zur genannten Madame herausstaffiert, um Gimpel damit zu fangen und sie zur Subskription auf »mexikanische Anleihen« zu verführen.

In Paris hat man ja bekanntlich die theatralische »Mache« von jeher aus dem Fundament verstanden. Die Haupt- und Staatsaktion, betitelt »Mexikanische Expedition«, ist aber nicht nur mit dieser gewohnten Geschicklichkeit inszeniert worden, sondern auch mit einem gewissen diabolisch-zynischen Hohn, als wäre es darauf angelegt, einmal so recht deutlich zu machen, was alles die dummen Teufel von Völkern sich bieten lassen.

Wie haben sich nicht die guten Franzosen mit dem Humbug: » La grande nation marschiert stets an der Spitze der Zivilisation« – nasführen lassen! So sehr, daß die größere Hälfte der »großen Nation« vor lauter Ruhmredigkeit keine Zeit hatte, Lesen und Schreiben zu lernen und die fenster-, licht- und lustlosen Schweinekoben, denen noch jetzt Hunderttausende von bäuerlichen Behausungen in Frankreich aufs Haar gleichen, in Menschenwohnungen umzuwandeln. Der »Neffe des Onkels« hat die Kitzelung der äffischen Eitelkeit der Franzosen bekanntlich zu einem Haupthilfsmittel seiner Despotie gemacht. In der Krim, in Italien, in China, in Kochinchina, überall ward an der Spitze der Zivilisation marschiert, derweil man daheim Frankreich anderweitig glücklich machte.

Am teuersten ist das »an der Spitze der Zivilisation Marschieren« in Mexiko den Franzosen zu stehen gekommen. Die Tausende und wieder Tausende von armen Soldaten, die Hunderte und wieder Hunderte von Millionen, die die mexikanische Expedition gekostet hat, wer hat sie genau gezählt? Eine klare Rechnung wird vielleicht nie gestellt werden oder gestellt werden können. Aber was tut das? Frankreich ist ja, wie jedermann weiß, zu jeder Zeit und unter allen Umständen, »reich genug, seinen Ruhm zu bezahlen«, und jedes Volk hat bekanntlich die Regierung, die es verdient.

Es ist sehr ergötzlich, die Schwulstoden und Bombasthymnen, welche der kaiserliche Moniteur und die gesamte Bonapartesche Presse über die Motive der Expedition nach Mexiko angestimmt haben, mit der nachstehenden Geschichte zusammenzuhalten.

Während seiner Gegenpräsidentschaft hatte der General Miramon mit einem gewissen Jecker, Schweizer von Geburt und später (1862) als Franzose naturalisiert, ein Geldgeschäft gemacht. Der Jecker streckte dem General die Summe von 7 452 140 Franken vor; davon aber nur 3 094 640 Franken in barem Gelde, die größere Hälfte in Wert-, beziehungsweise Unwertpapieren. Hierfür erhielt Herr Jecker von dem Afterpräsidenten auf die Staatskasse der Republik Mexiko lautende Schuldbriefe im Betrage von – 15 Millionen Pesos (75 Millionen Franken in runder Summe). Diese gesamten Schuldverschreibungen – so setzte am 15. Juli 1862 Lord Montagu im englischen Unterhause auseinander – verkaufte Jecker an den damaligen französischen Gesandten in Mexiko und dieser an andere Leute, bis sie zuletzt in den Händen des Herrn de Morny, des Halbbruders Napoleons III. von mütterlicher Seite, sich befunden hätten. Lord Montagu deutete sogar sehr merkbar an, daß noch höher stehende Personen als Morny an dieser Jeckerei mitbeteiligt gewesen seien. Wie dem gewesen sein mag, genug, die französische Regierung verlangte von Mexiko die Rückzahlung des jeckerischen Anleihens, und zwar im Betrage von 15 Millionen Pesos. Der Präsident Juarez erklärte, daß, obgleich der ganze Handel ungesetzlich gewesen, die Republik um des Friedens willen bereit sei, die vom Jecker dem Miramon wirklich geliehene Summe anzuerkennen und zu erstatten, nicht aber die 15, d. h. 75 Schwindelmillionen.

Damit wäre aber den Leuten, welche dieses allerliebste Geschäft unternommen hatten, natürlich nicht gedient gewesen. Sie verlangten den Betrag ihrer »Bons«, und Frankreich mußte schließlich auch diese »Gloire« bezahlen. Denn die Inhaber der Miramonschen Schuldbriefe sind infolge der mexikanischen Expedition befriedigt worden; es haben sich also in diesem Falle Schwindelmillionen in wirkliche verwandelt, was bekanntlich nicht so häufig zu geschehen pflegt wie das Umgekehrte.

Im Februar 1863 kam die Jeckerei im Corps législativ zur Sprache. Diese Versammlung war nämlich seit 1857, wo fünf Republikaner hineinkamen, nicht mehr eine so ganz »stumme«, wie es im Interesse des Bonapartismus zu wünschen gewesen wäre. Die kleine republikanische Opposition griff den ganzen Riesenhumbug des mexikanischen Unternehmens entschieden an, und Jules Favre beleuchtete insbesondere das jeckerische Geschäft. Er äußerte, mit den Waffen Frankreichs habe man die 75 Millionen zurückgefordert, während man doch wissen mußte und zweifelsohne wußte, daß alle die Schuldverschreibungen, die dieser Forderung zugrunde lägen, auf ein schmähliches Wuchergeschäft basiert und zum vierten Teil ihres Nominalwertes aufgekauft seien, und zwar wohlverstanden! noch bevor der Jecker als Franzose naturalisiert worden sei. Trotzdem habe man ihn als ein französisches Opfer mexikanischer Anarchie und Treulosigkeit hingestellt und seine Sache ohne weiteres zur Sache Frankreichs gemacht. Die Herren von der Regierung würden ja wohl wissen, warum. Die Erwiderung des »Sprechministers« Billault, eines Renegaten mit einer Stirn von Bronze, fiel ganz kläglich aus. Er schwatzte von der Leichtfertigkeit und Lebhaftigkeit der französischen Einbildungskraft, welche gar zu gern an »skandalöse Insinuationen« glaube, und sagte, es würde ihm leicht sein, das Gegenteil von allem zu beweisen, was Favre vorgebracht habe; allein er hütete sich wohl, diesen Beweis auch nur zu versuchen. Favre hatte eben einfach die Wahrheit gesagt.

Der finanzielle Teil des mexikanischen Handels entsprach überhaupt dem Charakter des Ganzen. Lug und Trug von A bis Z. Jedermann weiß, welche Mittel aufgeboten wurden, um die Franzosen zur Beteiligung an den »mexikanischen« Anleihen zu bewegen, die in Mexiko selbst nicht den geringsten Anklang gefunden haben. Was es mit dem angeblichen »Imperialismus« der Mexikaner auf sich hatte, erhellte schreiend aus der Tatsache, daß von den Obligationen dieses zur Begründung der Monarchie in Mexiko kontrahierten Anleihens nicht eine einzige im Lande selber untergebracht werden konnte. Sogar von den mexikanischen Mitgliedern des Kaiserschwindelkomplotts hat nicht ein einziges sich herbeigelassen, auf die Anleihe zu subskribieren. Diese Herren wußten eben besser als die armen unwissenden Philister von kleinen Rentiers in Frankreich, welche Hoffnungen auf mexikanisches Kaisertum zu setzen wären. Im übrigen sind von den 500 Millionen der sogenannten mexikanischen Anleihe nicht mehr als etliche vierzig zur Zeit des Kaisertraums in die Staatskasse Mexikos und acht in die Tasche des Prinzen selbst geflossen, welcher, wie eine Depesche des nordamerikanischen Staatssekretärs Seward unhöflich sich ausdrückte, »vorgab, Kaiser von Mexiko zu sein«.

6.
Das Komplott.

Vom Jahre 1830 an hatten sich alle Plattköpfe und Schablonenpolitiker der Täuschung und Hoffnung hingegeben, der zweischlächtige Balg Konstitutionalismus müßte zu einem Riesen aufwachsen, welcher nach rechtshin dem Absolutismus und nach linkshin dem Demokratismus die Stange halten und mit dieser sozusagen Balancierstange das tausendjährige Reich der richtigen Mitte und Mittelmäßigkeit herbeiwinken würde. Der Balg hat aber diesen Erwartungen seiner Säugammen und Wärterinnen, der französischen Doktrinäre und der deutschen Professoren, sehr schlecht entsprochen. Er ist nur zu einem »Wasserkopf« und »Kielkropf« ausgewachsen, der mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung in größeren und kleineren Schaubuden, so man »Kammern« nennt, Grimassen schneiden und Kapriolen machen darf, damit das Völkerpublikum was zum Gaffen habe.

Das vielverschrieene und vielverfluchte Jahr 1849 verdient bei näherem Zusehen die ihm widerfahrene schlechte Behandlung gar nicht; denn es war ja wohl unstreitig der Wendepunkt, von wo ab die Faxen und Flausen des konstitutionellen Fex mehr und mehr in ihrem wahren Wesen erkannt und nach ihrem wirklichen Werte taxiert wurden. Es ist auch ein schätzenswertes Verdienst der mit dem Jahre 1849 obenauf gekommenen Rückwärtserei, daß sie den kläglichen Grimassierer, Gestikulierer und Deklamierer recht brutal geschurigelt hat. Das trug zur allmählich anhebenden Klärung der politischen Anschauungen sehr viel bei, indem es allen, die überhaupt zu sehen vermochten und sehen wollten, deutlich zeigte, daß die Wesenhaftigkeit des mehrgenannten Balges Wind und Dunst und die vielbesungene Balancierstange nur ein ordinärer Stock sei, zu weiter nichts tauglich, als bei Gelegenheit seinen eigenen Träger damit durchzubleuen.

Seither ist der Prinzipienkampf auf die einfache Formel zurückgeführt: entweder Absolutismus oder Demokratismus. Was zwischen diesen beiden Polen mitteninne liegt, ist nur wert, von ihnen zerquetscht zu werden, und wird es auch.

Der Dezembermann von 1851 hat das klar erkannt, und da er als »Neffe des Onkels« selbstverständlich Absolutist sein wollte, so fand er, daß sein »Stern« ihm die Mission zugewiesen habe, dem absolutistischen Prinzip den Sieg über das demokratische zu verschaffen. Nicht etwa nur in Frankreich, nein, in ganz Europa, und nicht nur in Europa, sondern, womöglich, auch in Amerika. Bei Erfüllung einer derartigen weltgeschichtlichen Mission sind aber, wie kaum gesagt zu werden braucht, die Bedenken und Skrupel der kleinbürgerlichen Moral durchaus unzulässig. Was ist überhaupt die Moral? Ein relativer Begriff, ein blankes Ding, welches eben nur deshalb stets so blank aussieht, weil es in der Welt von jeher sehr wenig gebraucht wurde. Überdies hat die »Staatsraison« bekanntlich zu allen Zeiten den Satz geheiligt und betätigt, daß der »Popanz der Sittlichkeit« nur für die »Roture« und für die »Canaille« da sei. Sich von ihm schrecken zu lassen, zeigt klärlich eine »inferiore« Natur an. Die »superioren« stehen über dem Gesetze. Natürlich braucht in »Thronreden«, »Rundschreiben«, »offenen Briefen« und dergleichen Schaustücken für den gaffenden Pöbel mehr von dieser Tatsache nicht gerade die Rede zu sein. Die Welt will ja die Wahrheit nicht wissen, warum sie also damit behelligen?

Der schlaue Rechner, der aus dem verwickelten Rechenexempel der Februarrevolution so viele Millionen Stimmen zu seinen Gunsten herauszurechnen gewußt hatte, fing unmittelbar nach dem italienischen Feldzug von 1859 an, das mexikanische Rechenexempel zu »studieren«. Es tat sich ja da drüben im Lande Montezumas ein so einladend weites Gebiet auf, wo die französische Gloire ihre Rosinante nach Herzenslust herumtummeln konnte, um ob solcher Tummelei zu vergessen, wo und, ach, wie daheim die Schuhe sie drückten. Als dann vollends der mit 1860 ausbrechende Rebellenkrieg der südstaatlichen Sklavenbarone gegen die Union ganz neue und ungeheuer günstige Ziffern in das mexikanische Rechenexempel hineinstellte, da wurde die Beschäftigung damit eine sehr eifrige, eine fast leidenschaftliche. Wie vorzeiten Katharina II. von ihrem »polnischen Projekt« und von ihrem »türkischen Projekt« gesprochen hatte,so sprach Napoleon III. jetzt von seiner »großen Idee«, welche Mexiko hieß. Das Ding sah freilich sehr abenteuerlich aus, aber nur um so reizender, wenigstens für den »Abenteurer von Bologna, Straßburg und Boulogne«, über dessen »Abenteuerlichkeit« man so viel gelacht hatte, bis er zuletzt die Lacher auslachen konnte und mit Cayennepfeffer überstreuen, daß ihnen die Augen überliefen.

Zu Anfang des Jahres 1861 waren in Paris die mexikanischen Emigranten, der weiland Afterpräsident Miramon, der Erzbischof La Bastida – bei jedem weltgeschichtlichen Lug- und Trugspiel ist herkömmlicherweise ein Pfaffe als Hauptmantscher tätig – der General Almonte (seine indianische Mutter hatte ihn dem Pfarrer Morales auf einem Berge, al monte, geboren, daher der Name), und die Herren Hidalgo, Lopez und Gutierrez de Estrada mit brennendem Eifer am Werke, den Ballon des Kaiserschwindels zusammenzustellen und mit dem blauen Lügendunst zu füllen, die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung von Mexiko wäre monarchisch gesinnt und mit Sehnsucht der Aufrichtung eines Throns gewärtig. Im gleichen Sinne wie in den Tuilerien wurde auch im Vatikan gemunkelt und gemantscht. An letzterem Orte insbesondere zu dem Zwecke, im Feuer pfäffischer Intrige die geistlichen Blitze zu glühen, womit der Papst – so log man ihm vor – die nicht genug zu vermaledeienden Liberalen, Ketzer und Freimaurer da drüben in Mexiko zermalmen müßte und würde.

Die französische Regierung, in der »spanische Sympathien« obenauf waren, ließ, vorerst noch im geheimen, den wühlenden, lügenden, ränkelnden mexikanischen Emigranten ihre Ermutigung, Unterstützung und Förderung angedeihen. Sie und der Papst brachten die mexikanischen Verschwörer und Vaterlandsverräter auch mit dem Erzherzog Maximilian und seiner Frau in persönliche Beziehungen.

Aber was hatte es doch mit den am französischen Hofe vorherrschenden »spanischen Sympathien« für eine Bewandtnis? Je nun, das war »durch die Blume« gesprochen, wie man eben in dem glücklichen Frankreich des zweiten Empire nicht selten zu sprechen sich veranlaßt sah. Die Sache ist diese, daß eine Dame von spanischer Herkunft in den Tuilerien einen sehr breiten Raum einnahm, den sie ja wohl schon als Erfinderin der Krinoline ansprechen durfte und mußte. Diese Dame hat von Anfang an alle ihre zehn niedlichen Finger in dem mexikanischen Handel gehabt und die Expedition als einen Kreuzzug zu Ehren des alleinseligmachenden Glaubens nach Kräften gefördert. Zu diesen »spanischen Sympathien« kamen die Machenschaften von Jecker & Kompanie. 75 Millionen waren doch keine zu verachtende Bagatelle. Die Teilhaber am Geschäft der Jecker wollten ihr »Benefize« haben.

Bei dem »weitausschauenden und fernhintreffenden« Blick, den man Napoleon III. nachrühmte, stand mit Bestimmtheit zu erwarten, daß der Kaiser, sowie er die mexikanische Frage zu »studieren« angefangen hatte, darin eine hochwillkommene Aufforderung sah, dem Winken seines Sterns zu folgen und seine Mission, die Demokratie mit der Wurzel auszurotten, in Erfüllung zu bringen. Im Vorschritt des nordamerikanischen Bürgerkriegs reifte seine »große Idee« mehr und mehr zu fester Entschließung heran. Die Rebellion der Sklavenjunker gegen die große Republik jenseits des Ozeans mußte notwendigerweise seine Sympathie im höchsten Grade erregen, wie sie auch die herzliche Teilnahme und Parteinahme der englischen Hierarchie und Aristokratie und aller festländischen Pfaffen und Junker erregte. Wie die englischen Hochkirchler, Oligarchen und Spekulanten in schamlosester Weise die Sache der rebellischen Sklavenzüchter unterstützten, ist bekannt. Napoleon III. faßte und behandelte aber die Sache in viel größerem Stil. Er kombinierte die südwestliche Empörung gegen die Union mit dem mexikanischen Handel und zog aus den Prämissen dieser Tatsachen die Schlußfolgerung, daß hier eine herrliche Gelegenheit gegeben sei, den Gedanken der Demokratie da, wo er in der modernen Zeit zuerst zu einer großartigen Wirklichkeit geworden war und wo er seinen festesten Rückhalt hatte, mit einem geschickt geführten Stoße tödlich ins Herz zu treffen.

Sehr begreiflich, daß diese Idee dem Kaiser der Franzosen so groß erschien, daß er sie, wie schon gemeldet, seine »große« par excellence nannte.

In Wahrheit, das Ding war verführerisch, sehr verführerisch. In Amerika festen Fuß fassen, den Franzosen eine neue tüchtige Dosis von Gloireopiat eingeben, in Mexiko einen Thron aufrichten und auf ihm vorderhand einen Vasallen Frankreichs installieren, von Mexiko aus den ohne Zweifel siegreichen südstaatlichen Rebellen die Hand reichen, mit ihrer Hilfe die Union sprengen, die einzelnen Teile derselben monarchisieren und zu einer Reihe französischer Lehnsstaaten gestalten, dadurch die Nichtigkeit der Demokratie ad oculos demonstrieren und also den Cäsarismus auch jenseits des Weltmeers triumphieren machen – welch ein Traum! Schade nur, daß solche Herrscherträume den Völkern so unermeßlich viel Schweiß, Blut und Tränen kosten.

Träumen und Träume verwirklichen ist jedoch zweierlei, sehr zweierlei.

Zuvörderst freilich blinkte und winkte der Stern des Bonapartismus hoffnungs- und verheißungsvoll. Das Komplott gegen Mexiko, von allerhöchsten, allerschönsten und allerheiligsten Händen gehätschelt, gefüttert und in Gang gesetzt, marschierte prächtig. Die ersten, ins Jahr 1860 zurückreichenden Anspinnungen mit dem Erzherzog Maximilian wurden im Laufe des Jahres 1861 schon zu festeren Fäden gedreht. Kuriere dampften, Telegramme flogen zwischen Paris, Wien, Rom und dem hoch auf der Punta Griguana gelegenen Miramar hin und her.

Au Ende des letztgenannten Jahres, also gerade zur Zeit, wo die kraft des Vertrags vom 31. Oktober zwischen Frankreich, Spanien und England beschlossene Schuldforderungsexpedition nach Mexiko zur Ausführung kommen sollte, gab der Erzherzog eine vorläufige Erklärung ab, daß er die Kaiserkrone von Mexiko, die ihm Gutierrez de Estrada im Namen seiner Mitverschworenen, d. h. im Auftrage Napoleons III., angeboten hatte, annähme; aber nur »unter der Bedingung, daß Frankreich und England ihn mit ihrer moralischen und materiellen Garantie zu Lande und zu Wasser unterstützten«.

Dieses in spanischer Sprache geschriebene und an Gutierrez de Estrada gerichtete Aktenstück wurde, ohne allen Zweifel mit Vorwissen und Bewilligung des französischen Hofes, von Paris aus nach Mexiko geschickt, und zwar an einen ehemaligen Minister Santa-Annas, Don Aguilar, welcher in engster Verbindung mit dem General Marquez schon seit zehn Monaten daran gearbeitet hatte, dem Komplott auch in Mexiko auf die Beine zu helfen und, wie Marquez am 18. Januar 1861 seinen Mitverschworenen geschrieben hatte, »die politische, soziale und militärische Reaktion zu organisieren«.

Die französische Regierung hielt das Komplott und den eigentlichen Zweck der vorbereiteten Expedition nach Mexiko vor der englischen geheim, bis der Umstand, daß Maximilian auch den moralischen und materiellen Schutz Englands zur Bedingung seines Eingehens auf den Kaiserschwindel machte, Napoleon und seinen Minister Thouvenel nötigte, in London wenigstens einige unbestimmte Andeutungen über das, was im Werke sei, geben zu lassen. Allein das englische Ministerium machte schon zu diesen unbestimmten Andeutungen eine so üble Miene, daß man es in Paris bereute, auch nur so weit sich herausgelassen zu haben. Der englische Gesandte am französischen Hofe, Lord Cowley, schrieb am 2. Mai 1862 an den Chef des auswärtigen Amtes, Earl Russel, er habe den Minister Thouvenel mehrmals dieser Sache wegen interpelliert, und Thouvenel habe ihm die kategorische Versicherung gegeben: »Es wird dem mexikanischen Volke keine Regierung aufgedrängt werden.« Lord Cowley gab sich aber damit noch nicht zufrieden. Es war ihm ein Gerücht über die Kaiserschaftskandidatur des Erzherzogs Maximilian zu Ohren gekommen, und er richtete an Monsieur Thouvenel die Frage, ob hierüber etwa zwischen Frankreich und Österreich unterhandelt würde. Der Minister Napoleons verneinte das mit Bestimmtheit und erklärte, nur Mexikaner hätten Unterhandlungen mit dem Erzherzog angeknüpft.

Bei jedem Schritt, den man in diesem Trugspiel vorwärts tut, stolpert man über offizielle Lügen.

7.
Die Krone gemacht und gebracht.

England war mißtrauisch geworden und ging den Vertrag vom 31. Oktober nur mit Vorbehalten ein, wünschte auch, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die ja ebenfalls Forderungen in und an Mexiko hatten, zum Beitritt eingeladen würden. Diese Einladung erging dann wirklich, wurde aber in Washington abgelehnt, und in seinem vom 4. Dezember 1861 datierten Ablehnungsschreiben betonte Seward, daß zwar die Union den drei verbündeten Mächten das Recht, Mexiko zu bekriegen, um den Beschwerden ihrer Angehörigen Abhilfe zu verschaffen, nicht bestreiten wolle, jedoch mit Bestimmtheit erwarte, daß den Mexikanern, gegen welche als gegen ein benachbartes und republikanisch regiertes Volk die Vereinigten Staaten freundschaftliche Gesinnungen hegten, in betreff der Form ihrer Staatsverfassung durchaus kein Zwang angetan werde.

Das war ein erstes, entferntes, aber doch verständliches Drohmurren des Bruders Jonathan. In London und sogar in Madrid verstand man dieses Drohmurren gar wohl, während man sich in Paris hochmütig den Anschein gab, es gar nicht zu hören, und im stillen dabei dachte: Wartet nur, vermaledeite Yankees, unsere lieben Freunde, die Sklavenbarone der Südstaaten, werden euch den Kopf schon zurechtsetzen!

Da man mit der Wahrheit bekanntlich nicht sehr weit kommt in dieser Welt, so tat Frankreich so, als wäre es von ganzem Herzen damit einverstanden, daß auf Englands Betreiben in den Oktobervertrag die ausdrückliche Erklärung ausgenommen wurde, die »kontrahierenden Mächte würden in keiner Weise in Mexiko eine Gebietserwerbung oder sonst irgend einen besonderen Vorteil suchen, noch auch auf die inneren Angelegenheiten des Landes einen Einfluß ausüben wollen, der das mexikanische Volk in der freien Wahl seiner Verfassung und Regierung irgendwie beschränkte«.

Zu Anfang des Jahres 1862 waren die Geschwader der drei verbündeten Mächte auf der Reede von Veracruz vereinigt und war die Stadt selber, nachdem die Mexikaner sie geräumt hatten, in den Händen ihrer ans Land gesetzten Truppen. Die Engländer hatten, wie um von vornherein gegen eine Expedition weiter landeinwärts zu protestieren, nur Marinesoldaten gelandet. Die Spanier waren in der Stärke von 7000 Mann ans Land gegangen. Die Franzosen zunächst nur mit 3000 Mann, die aber durch Nachschübe so verstärkt wurden, daß ihre Verbündeten dadurch stutzig gemacht und zu dem Argwohn veranlaßt wurden, Napoleon III. müßte neben dem gemeinsamen Unternehmen noch seine besonderen Zwecke verfolgen.

Auf die halberratenen Geheimpläne der Franzosen blickten übrigens die Spanier fast noch mit größerem Argwohn als die Engländer, was sich leicht aus der Tatsache erklärt, daß auch sie, die Spanier, Absichten verfolgten, die mit dem offiziellen Programm der Expedition keineswegs im Einklange standen. Am Hofe zu Madrid träumte man nämlich ebenfalls, wenn auch nicht ganz so ausschweifend kühn wie am Hofe zu Paris. Ja, man träumte dort von der Möglichkeit, die spanische Herrschaft in Mexiko wiederherzustellen, und insbesondere hatte der an die Spitze des spanischen Expeditionskorps gestellte General Prim diesen spanischen Hoftraum genährt in der sehr lebhaften Hoffnung, es könnte bei dieser Gelegenheit für ihn selber ein mexikanisches Vizekönigtum, ja vielleicht sogar ein unabhängiges mexikanisches Königtum mit abfallen. Als er aber herausgewittert hatte, womit die Franzosen umgingen, sah er ein, daß die Halb- oder Ganzkrone Mexikos für ihn doch zu hoch hinge, und bestimmte dann in seinem Ärger den Madrider Hof, die spanische Expedition schleunig zurückzuziehen.

Zunächst gaben die Engländer und die Spanier ihren Verbündeten deutlich zu merken, daß sie die erwähnte Klausel im Oktobervertrag eingehalten wissen wollten, indem sie darauf bestanden und es durchsetzten, daß dem weiland Afterpräsidenten Miramon und seinem Mitgesellen, dem Pater Miranda, die Landung in Veracruz untersagt wurde. Die Miramon, Miranda, Almonte, Bastida und Mitkomplottierer mußten also vorerst noch warten, bis die französische Politik mehr und mehr sich entschleierte. Dann aber durfte diese Rotte von Dunklern, Dieben, Mördern und Verrätern ins Land zurückkehren, um unter dem Schutze der Fahne des kaiserlichen Frankreichs alle Greuel des Bürgerkriegs wieder in Gang zu bringen.

Zunächst und bevor es soweit kam, wurde den Franzosen der Vorwand entzogen, der sie angeblich nach Mexiko geführt hatte. Denn die mexikanische Regierung tat ihre Bereitwilligkeit dar, den gegründeten Beschwerden und Forderungen der Verbündeten gerecht zu werden.

Der General Prim, als nomineller Oberbefehlshaber der gesamten Expedition, hatte mit Doblada, dem Minister des Präsidenten Juarez, am 19. Februar eine Zusammenkunft in dem zwischen Veracruz und Orizaba gelegenen Dorfe La Soledad. Hier wurde die Präliminarkonvention von La Soledad vereinbart. Diese bestimmte, daß am 15. April in Orizaba Konferenzen über die streitigen Punkte zwischen Kommissaren der Verbündeten und Bevollmächtigten des Präsidenten Juarez eröffnet werden sollten. Während der Dauer dieser Verhandlungen sollte es den Truppen der Alliierten, um aus der ungesunden » Tierra caliente«, wo sie vom Vomito dezimiert wurden, wegzukommen, gestattet sein, Orizaba, Kordoba und Tehuakan zu besetzen. Juarez ratifizierte diese Konvention, der General Prim, der englische Kommodore Dunlop und der französische Admiral Jurien de la Gravière – er war nicht mit in dem Geheimnis seiner Regierung – taten ebenso. Doblada erhielt vom mexikanischen Kongreß unbedingte Vollmacht, mit den Verbündeten zu unterhandeln, und seine Abmachungen sollten nur der Sanktion des Präsidenten bedürfen.

Daraufhin setzten sich die Franzosen nach Tehuakan, die Spanier nach Kordoba und Orizaba in Marsch, die wenigen Engländer aber, welche ans Land gesetzt worden, schifften sich schon jetzt wieder ein.

Der Weg einer friedlichen Ausgleichung schien also betreten; allein bald wurde es klar, wer diesen Weg nicht gehen wollte. Schon am 9. April kam es in Orizaba zwischen den Kommissaren der drei Mächte zu Erörterungen, die die schlechtgenähte Allianz aus den Nähten gehen machten. Der französische Kommissar, Monsieur Dubois de Saligny, ein intimer Freund Almontes und durch diesen in engster Verbindung mit der mexikanischen Pfaffenpartei, erklärte im Namen seines Kaisers, die Konvention von La Soledad sei unverträglich mit der Würde Frankreichs; ferner, die französische Regierung wolle nicht mehr mit dem Präsidenten Juarez unterhandeln, und endlich, der Marsch der Truppen nach der Hauptstadt sei unerläßlich zum Schutze der französischen Interessen.

Bedurfte diese von seiten des vertrauten Trägers der Politik Napoleons III. abgegebene Erklärung noch einer Illustration, so wurde eine solche in wenigen Tagen geliefert, indem Almonte in Orizaba erschien, unter dem Schutze des Herrn Dubois de Saligny als »Präsident« der Republik Mexiko sich proklamierte und eine »Regierung« organisierte.

Die Engländer und Spanier merkten jetzt, wie sehr sie betrogen worden waren, und machten, daß sie aus Mexiko hinauskamen. Der geäffte Prim, dem der Kaiser der Franzosen allerlei schimärische Hoffnungen vorgegaukelt haben sollte, konnte sich nicht enthalten, seinem Verdruß in einem Briefe an Napoleon dadurch Luft zu machen, daß er ihm sagte, die Hoffnungen und Absichten desselben in Beziehung auf Mexiko seien auch nur Schimären. Denn er schrieb: »Die höheren Klassen und konservativen Interessen, auf die man sich etwa stützen könnte, üben hier auf die Massen keinen Einfluß mehr aus. Vierzig Jahre republikanischer Regierung, die trotz der Anarchie und der aus ihr hervorgegangenen Übel zurückgelegt sind, haben auf diesem Boden demokratisch-republikanische Sitten und Gewöhnungen bis in die Sprache hinein ausschließlich festwurzeln lassen. Die Mexikaner werden darum keinen von Frankreich ihnen aufgezwungenen Monarchen annehmen.« Eine ähnliche Anschauung hatte während seines Aufenthalts in Mexiko der englische Kommodore Dunlop gewonnen. Er berichtete an seine Regierung: »Ich bin der Überzeugung, daß von allen Parteien hierzulande einzig und allein die klerikale der Monarchie zugeneigt ist, und zwar durchweg nur deshalb, weil die Monarchie ihr als das einzige Mittel erscheint, wieder Einfluß zu gewinnen. Zur klerikalen Partei gehört alles im Lande, was bigott und fanatisch ist; sie ist rückwärtsig in der Politik und stemmt sich gegen den Geist der Zeit; endlich ist sie der Mehrheit des Volkes verhaßt, da diese Mehrheit einer freisinnigen Politik huldigt.« Graf Russel hat die Summe seiner in Mexiko eingeholten Erkundigungen im Oberhause so gezogen: »In den großen Städten gibt es unter den reicheren Klassen etliche Personen, welche für die Monarchie gestimmt sind; die Mittelklassen jedoch hängen der Republik fest an.«

Am 2. Mai verließen die letzten Spanier Veracruz. Die letzten Engländer waren schon früher abgezogen. Die Franzosen blieben demnach allein zurück und konnten, ihrer Verbündeten entledigt, jetzt wieder einmal nach Herzenslust »an der Spitze der Zivilisation marschieren«.

Diesen Zivilisationsmarsch in seinen kriegsgeschichtlichen Einzelheiten zu verfolgen, ist weder Aufgabe noch Absicht des vorliegenden Essays, dessen Verfasser die breite und wohlgefällige Behandlung der Kriegsgeschichte überhaupt als eine Barbarei verabscheut. Für seinen Zweck reicht es aus, die entscheidenden Akte auf dem Kriegstheater anzudeuten …

Napoleon III. hatte die Konvention von La Soledad verworfen, weil er keinen Frieden mit der Republik Mexiko wollte, sondern den Krieg. Er fühlte sich ja doppelt gebunden: erstens an seine »große« Idee und zweitens durch die Abmachungen mit dem Erzherzog Maximilian. Während aber, wie wir sahen, jenseits des Ozeans schon im April 1862 zu Orizaba die französische Politik ihre bis dahin vorgesteckte Maske abtat, wurde diese in Europa noch immer beibehalten. Noch im Sommer des genannten Jahres mußten die Minister Billault und Rouher im Corps législatif die bestimmten Versicherungen abgeben, nur die Schirmung der französischen Interessen habe die Eröffnung des Krieges gegen Juarez hervorgerufen, und von Gründung einer Monarchie in Mexiko, sowie von einer Kandidatur Maximilians sei gar keine Rede. Billault fügte noch mit Betonung hinzu, »man werde es den Mexikanern durchaus überlassen, die Form ihrer Regierung zu bestimmen«. Wozu wären denn die Lügen da, als um gelogen zu werden?

Aber Napoleon III. hatte in dem mexikanischen Rechenexempel von Anfang an eine kleine Ziffer übersehen oder mißachtet, welche bald als eine große sich herausstellte: den schlichten Zapoteken, der auf dem Präsidentenstuhl von Mexiko saß. Wem konnte es auch einfallen, so einem »Kerl von Rothaut« irgendwelche Bedeutung beizulegen? Wer konnte sich träumen lassen, daß dieser Mensch es wagen würde, Sr. Kaiserlichen Majestät von Frankreich, vor der die europäische Gesellschaft bis zu ihren höchsten Spitzen hinauf seit Jahren wie Rohr vor dem Winde sich beugte, zu widerstehen, zu widerstehen bis aufs äußerste, allen Gefahren trotzend, alle Lockungen verachtend?

In Wahrheit, Benito Juarez hat in einer Zeit, die in niederträchtiger Erfolganbetung alle vorhergegangenen überholte, ein großes Beispiel gegeben. Er hat gezeigt, was ein redlicher Mann schon dadurch zu bedeuten hat und zu leisten vermag, daß er unwankbar den Schaft der Rechtsfahne festhält, ob nun diese Fahne siegreich vorwärts getragen oder, geschlagen, unter tausend Fluchtnöten vor den Griffen der Feinde gerettet werde.

Juarez durchschaute ohne Zweifel von Anfang an den wahren Sinn und die wirkliche Absicht der französischen Expedition nach Mexiko. Er erriet, was die Machenschaften der Almonte, Hidalgo, Gutierrez, La Bastida und Mitverräter in Paris und Rom bezweckten. Alle diese Menschen waren ja sehr »fromm«, und man konnte also folgerichtig des Schlimmsten von ihnen gewärtig sein. Der Zapoteke ließ sich durch keine offizielle und offiziöse Lüge irremachen. Er wußte, was Mexiko von dem Dezembermann zu erwarten habe: die Vernichtung der Republik und die Errichtung eines französischen Vasallenthrons auf den Trümmern derselben. Er aber faßte den Entschluß, unter allen Umständen seine Pflicht und Schuldigkeit als oberster Hüter der Republik zu tun, und so tat er.

Auch anderwärts ließ man sich durch die der französischen Expedition nach Mexiko vorangestellten Vorwände über den eigentlichen Zweck derselben nicht täuschen: im Weißen Hause zu Washington. Es ist aktenmäßig erwiesen, daß Abraham Lincoln und seine Minister inmitten der Bedrängnisse des großen Bürgerkriegs dennoch sorgliche und teilnahmvolle Blicke nach Mexiko hinüberrichteten. Sie fühlten, sie wußten ja, daß dort die Republik im Prinzip bedroht sei. Sie waren auch entschlossen, die Errichtung einer Monarchie in Mexiko nie und nimmer anzuerkennen; aber sie mußten vorderhand ihrer Zeit harren. Überzeugt, diese würde kommen, beschränkten sie sich auch jetzt schon keineswegs auf sympathisches Zusehen. Beweis hierfür, daß der »alte Abe« an Juarez schrieb: »Wir befinden uns nicht in offenem Kriege mit Frankreich; aber rechnen Sie auf Geld, auf Geschütze und auf Freiwillige, deren Absendung wir begünstigen werden.« Und er hielt Wort; denn der arme Abraham Lincoln gehörte eben auch zu den altfränkisch-ehrlichen Leuten, die nicht »realpolitisch« genug sind, um zu begreifen, daß die Worte nur da sind, um Lug- und Trugstricke daraus zu drehen.

Ungeachtet dieser Unterstützung von seiten der Union – welche Unterstützung noch dazu erst dann ausgiebiger wurde, als die Sache der südstaatlichen Sklavenbarone allmählich dem Untergang sich zuneigte – war die Aufgabe des Präsidenten von Mexiko eine so ungeheure, daß sie wohl auch einen wackern und mutigen Mann an ihrer Durchführung verzweifeln machen konnte. Denn es bestand ja diese Aufgabe in nichts Geringerem, als der Macht Frankreichs und zugleich der mit dieser Macht verbündeten einheimischen Pfaffen- und Rückwärtserpartei zu widerstehen, und zwar zu widerstehen an der Spitze eines Staatswesens, das soeben erst versucht hatte, aus dem Elend einer vierzigjährigen Anarchie heraus den ersten Schritt auf den festen Boden einer zeitgemäßen Verfassung und einer aufgeklärten und redlichen Verwaltung zu tun. Juarez verzweifelte nicht, wie denn ein Prinzipmann nie zu verzweifeln braucht; denn er kann wohl untergehen, aber nie entehrt werden. Und das Glück hatte der standhafte Präsident, Mitpatrioten und Mitstreiter zu finden, die mit ihm unerschütterlich aushielten in dem großen Kampfe für die Freiheit und Selbständigkeit ihres Landes. In erster Linie stand da neben Juarez der General Porfirio Diaz, ein Indianer wie er, ein Gentleman von hoher kriegerischer Begabung, kühnster Tapferkeit und glühendster Vaterlandsliebe, ein Mann, auf den in jeder Beziehung das Eigenschaftswort »ritterlich« anzuwenden wäre, so es nicht durch schnöden Mißbrauch längst seine ursprünglich edle Bedeutung ganz verloren hätte.

Während Juarez und seine Generale, unter denen in den Anfängen des Krieges Zaragoza die vortretende Rolle innehatte, die Mittel des Widerstands rüsteten, befahl der Kaiser der Franzosen, beträchtliche Verstärkungen nach Mexiko zu senden, und ernannte den General Forey, einen der »Helden« des 2. Dezembers, zum Oberbefehlshaber des mexikanischen Unternehmens. An diesen schrieb er unterm 3. Juli 1862 im Schlosse Fontainebleau jenen, unstreitig zum großen Verdrusse seines Verfassers bekannt und berüchtigt gewordenen Brief, der, im schroffsten Gegensatz zu den Erklärungen der kaiserlichen Regierung in den Kammern, in offiziellen Aktenstücken und in der Presse, die eigentlichen mexikanischen Absichten des Schreibers darlegte, obwohl auch jetzt noch unter der bekannten Bonaparteschen Verschleierung. Die entscheidende Stelle des Briefes ist diese: »Wenn in Mexiko eine dauerhafte Regierung unter dem Beistande Frankreichs hergestellt ist, so werden wir jenseits des Ozeans der lateinischen Rasse ihre Kraft und ihren Glanz zurückgegeben haben.« Aus dem Bonaparteschen ins Deutsche übersetzt lautet das so: Wir wollen jenseits des Ozeans der germanischen (angelsächsischen) Rasse die romanische gegenüberstellen, dem germanischen Prinzip der Selbstbestimmung der Individuen und der Selbstregierung der Völker das romanische Prinzip des Despotismus, dem amerikanischen Republikanismus den europäischen Cäsarismus, der Uniondemokratie eine mexikanische Monarchie, die mit französischer Hilfe und im Bunde mit den südstaatlichen Sklavenzüchtern das Weitere besorgen wird … Da hieß es eben auch wieder einmal:

»Wär' der Gedank' nicht so verwünscht gescheit,
Man war' versucht, ihn herzlich dumm zu nennen …«

Charakteristisch, sehr charakteristisch ist auch in dem oben mitgeteilten Dokument der Gebrauch des Wortes » prestige« (Glanz), was bekanntlich eigentlich Blendwerk bedeutet. Es ist, wie jedermann weiß, eins der Leib- und Lieblingsworte des Imperialismus gewesen; im übrigen eine Windbeutelei, aber gerade darum so recht gemacht, einem äffisch-eiteln Franzosentum als Leitseil durch die Nase gezogen zu werden. Der Kaiser kannte seine Franzosen gründlich. Er wußte, daß sich mit Tiraden, wie » Le Prestige de la France« – » Marcher à la tête de la civilisation« – » Déployer le pavillon français« – mexikanische Anleihen populär machen und alle Angriffe auf das mexikanische Unternehmen leicht parieren ließen – vorderhand. Was er aber lange nicht so gründlich kannte, das war Mexiko und waren die Mexikaner, die er nach den jämmerlichen Exemplaren, die an seinem Hofe gemunkelt und gemantscht hatten, beurteilte, sowie nach den ganz falschen, auf gründlicher Unkenntnis beruhenden Berichten des Monsieur Dubois de Saligny, der seinem Gebieter vorgaukelte, die Franzosen würden auf ihrem Marsche nach der Hauptstadt von Mexiko überall als »Befreier« ( libérateurs) mit Triumphbogen und Lobgesängen empfangen werden.

Aus diesem »Prestige« erklärt es sich, warum Napoleon III. mit so unzureichenden Mitteln an die Zerstörung der Republik jenseits des Meeres gegangen ist und warum er namentlich gegenüber dem nordamerikanischen Bürgerkrieg eine Politik schwächlicher Halbheit befolgte. Er hatte die südstaatliche Rebellion im geheimen ermutigt, er hatte sie sogar offenbar als kriegführende Macht anerkannt und behandelt und dadurch natürlich den ingrimmigen Groll der Union herausgefordert. Aber in wunderlicher Verblendung ging er nicht weiter, während er doch, um sein mexikanisches Unternehmen triumphieren zu machen, den südstaatlichen Rebellen ohne Zaudern eine hilfreiche Hand reichen und ihre Sache zu der seinigen hätte machen müssen …

Inzwischen war drüben in Mexiko nach dem Bruch der Konvention von La Soledad der französische Faustrechtkrieg gegen die Republik eröffnet worden, am 27. April 1862 von Orizaba aus. Bezeichnend genug geschah es mit einem abermaligen Wortbruch; denn der genannten Konvention gemäß hatten die Franzosen sich verpflichtet, falls die eingeleiteten Unterhandlungen sich zerschlügen, von Orizaba hinter die Linie des Chiquihuite zurückzugehen. Aber was hatte in dieser ganzen Angelegenheit ein Wortbruch mehr oder weniger zu sagen? Nichts. Oder doch etwas? Man darf diese Frage wohl dahin bejahen, daß die Wortbrüchigkeit, welche die Franzosen beim Beginn des Krieges wiederholt sich zuschulden kommen ließen, eine der Ursachen der feindseligen Stimmung gegen sie gewesen ist, welche bald der ungeheuren Mehrzahl der Bevölkerung des Landes sich bemächtigte.

Die Mexikaner waren auch gar kein so verächtlicher Feind, wie der französische Übermut sich eingebildet hatte. Durch die erst neuerlich mit so leichter oder gar keiner Mühe in China eingeholte Gloire aufgeblasen, glaubte man auch in Mexiko mit etlichen Brigaden alles machen zu können. Die Mexikaner waren aber denn doch keine Chinesen. Das erste Vordringen der Franzosen auf Puebla im Mai 1862 mißlang völlig. Sie wurden mit blutigen Köpfen nach Orizaba zurückgejagt, wo sie sich in ihren Verschanzungen nur unter großen Mühsalen und Entbehrungen bis zur Ankunft ihrer auf dem Ozean schwimmenden Verstärkungen hielten. Diese machten eigentlich eine neue Armee aus, welche 30 000 Mann zählte, so daß, spätere beträchtliche Nachschübe eingerechnet, die Gesamtstreitmacht der Franzosen in Mexiko auf etwa 50 000 Mann Kerntruppen gebracht war und auf dieser Stärke erhalten wurde. Hierzu kamen noch die einheimischen Guerillabanden, welche von den Klerikalen organisiert und den Franzosen zur Verfügung gestellt wurden. Dieser Feindesmacht waren die Streitmittel der Republik nicht gewachsen, welche zudem gerade jetzt noch ihren vorerst besten General, Zaragoza, durch den Tod verlor. Allein ungeachtet ihrer großen Überlegenheit machten die Franzosen auch jetzt nur langsame Fortschritte, und als sie endlich die Hauptstadt erobert und, wie sie wähnten, das ganze Land in ihrer Gewalt hatten, da wurde sofort offenbar, daß dies nur eine optische Täuschung war. Sie hatten das Land nicht und mußten bald innewerden, daß sie einen Kabinettskrieg begonnen hatten, aber einen Volkskrieg bestehen mußten, und zwar unter allen den Beschwerden und Nachteilen, die schon die klimatischen Verhältnisse Mexikos mit sich brachten. Das Machtgebot der Eindringlinge, die trotz der kolossalen Summen, die die Bewohner Frankreichs für diesen neuen Gloirelappen zu bezahlen hatten, eben auch den Krieg durch den Krieg ernähren ließen und schon dadurch heftigste Erbitterung veranlaßten, reichte nicht über den Umkreis der gerade von ihnen besetzten Städte und Ortschaften hinaus und galt auch innerhalb des Umkreises derselben gerade nur so lange, als sie da waren. Ihre Kolonnen haben sich mit gewohnter Tapferkeit überallhin, bis in die entferntesten Gegenden des Landes hinein und hinaus Bahn gebrochen; aber das war doch nur wie das Herumwühlen einer Hand in einem Sandhaufen. Hinter den feindlichen Kolonnen sammelten sich die Widerstandskräfte immer wieder von neuem, und jeder französische Sieg ward für jeden echten Mexikaner ein weiterer Haßstachel gegen die übermütigen Fremdlinge, die sein Heimatland wie Räuber angefallen hatten, und in deren Gefolge und Geleit die Almonte, Miramon, La Bastida und die ganze Bande der Verräter und Pfaffenknechte nach Mexiko zurückgekehrt waren, um ihre unheilvolle Tätigkeit wieder zu beginnen.

Es ist eine Tatsache, die gar nicht bestritten werden kann und auch von keiner beachtenswerten Seite her bestritten worden ist: der Kern des mexikanischen Volkes hielt jetzt, wie später während des Kaiserschwindels, fest an der Republik und an dem recht- und gesetzmäßigen Staatsoberhaupt Juarez; gerade so fest, wie der Präsident seinerseits an seiner Pflicht hielt. Mit den Franzosen haben nur Lumpe und Schufte gemeinsame Sache gemacht, vornehmstes und niedrigstes Gesindel und Geziefer; von dem Kaiserschwindel dagegen ließen sich, wenigstens zeitweilig, auch manche ehrliche Leute in Mexiko betören, manche ehrliche Leute aus den wohlhabenden und gebildeteren Klassen, während die in den Gemütern der indianischen Bevölkerung nachdämmernde alte Sage vom weißgesichtigen Messias Quetzalkoatl diesem Schwindel bei den Massen einen gewissen Nimbus gab und eine gewisse Popularität verschaffte; freilich auch nur vorübergehend.

Das alles konnte anders nach Europa herüber scheinen, solange die Franzosen mit ihren überlegenen Streitkräften dem nationalen Willen Schweigen und scheinbare Ergebung in die vollendeten Tatsachen auferlegten. Daß es aber so war, wie soeben angegeben worden, haben die Ereignisse nach dem Abzuge der Franzosen unwiderlegbar erwiesen.

Zu Ende September 1862 stieg der General Forey zu Veracruz ans Land, um sich, wie die herkömmliche Phrase lautet, in Mexiko »den Marschallstab zu holen«, mit welchem ja, wie bekannt, die Herren vom Dezember 1851, soweit sie Soldaten, der Reihe nach beschenkt worden sind. »Dem Verdienste seine Kronen« oder Stöcke! Es vergingen aber noch Monate, bevor die Franzosen ihre Operationen gegen Puebla wieder aufzunehmen vermochten. Erst im März 1863 gingen sie in drei Kolonnen von Jalapa und Orizaba aus gegen die genannte Stadt vor, wo die mexikanische Hauptmacht unter dem Kommando des Generals Ortega Stellung hatte. Bei Berennung, Belagerung und Erstürmung dieses Platzes verfuhr Forey so langsam, zögernd und umständlich, daß man ihm allgemein nachsagte, er habe die Gewinnung desselben noch viel schwieriger erscheinen lassen wollen, als sie wirklich war, um den Firnis seines Marschallstocks, den er dafür erhielt, glänzender zu machen. Am 18. Mai kapitulierte Ortega und fiel Puebla samt 12 000 mexikanischen Kriegsgefangenen in die Hände der Franzosen. Nach diesem Schlage konnte ein ernstlicher Versuch, die Hauptstadt zu verteidigen, gar nicht gemacht werden. Am 31. März verließ sie Juarez mit allem, was er an Heerkräften noch zusammenhalten konnte, und wandte sich nach San Luis de Potosi, welche Stadt er, am 16. Juni dort eingetroffen, zum obersten Regierungssitz machte. Überall auf seinem Wege ließ er energische Manifeste ausgehen, in denen er alle Veranstaltungen, Einrichtungen und Ernennungen, alle Staatsakte der französischen Eindringlinge und ihrer landesverräterischen Schützlinge und Parteigänger zum voraus für unrechtmäßig, für ungesetzlich, für straffällig, für null und nichtig erklärte, sowie auch für seine Person gelobte, bis zu seinem letzten Atemzug die Freiheit und Selbständigkeit des Landes zu verteidigen. Er war so wenig gebeugt und entmutigt, daß er mit ruhiger Bestimmtheit seine triumphierende Rückkehr in die Hauptstadt voraussagte. Er ist kein falscher Prophet gewesen.

Am 6. Juni wurde Mexiko von den Franzosen unter General Bazaine besetzt. Am 10. hielt Forey seinen Einzug, zwischen dem Verräter Almonte und dem Monsieur Dubois de Saligny reitend. Die Rolle, die dieser Kommissar Napoleons III. in dem mexikanischen Handel spielte, erinnert mutatis mutandis auffallend an die bekanntlich sehr mißduftende, welche der französische Gesandte Bois-le-Comte in den schweizerischen Sonderbundswirren von 1846-1847 gespielt hat, im Auftrage seines Meisters Guizot, der dann später freilich den dummen Teufel schnöde verleugnete.

In das eigene Wesen äffisch-eitel verliebt, von ihrer Unwiderstehlichkeit durchaus überzeugt, dabei hinsichtlich alles Nichtfranzösischen ganz unglaublich unwissend, sind die Franzosen in der Kunst, fremde Nationen zu kennen, zu werten und zweckmäßig zu behandeln, allzeit elende Stümper gewesen. Ganz in der Ordnung demnach, wenn sie sich in betreff der Mexikaner gewaltig verrechneten. Und auch in betreff der Mexikanerinnen verrechneten sie sich so sehr, daß ihre Offiziere bald zu der komischen Klage Veranlassung fanden, in diesem »verwünschten Lande könne man sich ja gar nicht um der Frauen willen ruinieren«. Bei ihrem Einzug in die Hauptstadt mit etlichem Hallo begrüßt, schlossen sie daraus, daß die gesamte Bevölkerung »Befreier« und »Retter« in ihnen sähe, während jener Empfangschwindel ihnen doch nur von ihren in Mexiko niedergelassenen Landsleuten bereitet worden war. Um die Sympathie der Bevölkerung noch mehr anzufeuern, veranstalteten sie sodann abwechselnd Ballfeste und pomphafte Prozessionen. Letztere sollten zur Beschmeichelung des Klerus dienen, wie es ja bekanntlich zum System des Neu-Bonapartismus gehörte, die Pfafferei und die Pfaffen zu hätscheln, auf daß die Volksverdummung in erwünschter Blüte erhalten bliebe. Monsieur Dubois de Saligny, der französische Prokonsul in Mexiko, hätte, um seine und seines kaiserlichen Gebieters Frömmigkeit zu erweisen, gar zu gern auch den Verkauf der geistlichen Güter rückgängig gemacht und der lieben »toten Hand« ihren ungeheuren Reichtum zurückgegeben; aber das ließ sich leider nicht bewerkstelligen und durfte zum Anfang nicht einmal versucht werden, um nicht alle die zahlreichen Käufer von eingezogenen Kirchengütern sofort zu erklärten Feinden des zu errichtenden Kaisertums zu machen.

Denn damit wurde jetzt vorgegangen, und eine schamlosere Komödie ist kaum jemals gespielt worden. Der Marschall Forey hatte nicht mehr viel damit zu tun, indem er kurz nach seinem Einzug in Mexiko heimberufen und in der Oberbefehlshaberstelle durch den General Bazaine ersetzt wurde. Oberregisseur der Kaisermachereikomödie war Monsieur de Saligny, seine Haupthandlanger dabei sind die mexikanischen Generale Almonte und Marquez samt dem Exminister Aguilar gewesen. Es wurde von seiten dieser Leute und ihrer Helfershelfer zum voraus ungescheut ausposaunt, daß der Erzherzog Maximilian von Österreich Kaiser von Mexiko werden würde, und zwar als erklärter Kandidat der klerikalen Partei. Monsieur de Saligny »designierte« sodann 35 Stück »Notable«, welche eine » Junta superior« bildeten. Diesen 35 Stück »Notable« sollten sich 215 weitere Mitglieder zugesellen, und diese Notabelnversammlung sollte »unter dem Schutze der französischen Fahne ruhig und in Frieden beraten«, welche Regierungsform Mexiko annehmen wollte. Man versuchte, um der Posse einen ernsthaften Anstrich zu geben, auch Liberale und Republikaner für diese angebliche Notabelnversammlung zu werben; aber vergeblich, wie denn überhaupt neben Pfaffen und Pfäfflingen die Franzosen in Mexiko nur etlichen vornehmen und geringen Pöbel, echte »Canaille«, für sich und ihre Machenschaften zu gewinnen wußten. Diese Spottgeburt von Notabelnversammlung, aus der sich aber sogar notorische Klerikale bald wieder beiseite geschlichen hatten, beschloß auf einen Kommissionsbericht Aguilars hin, es sei die Republik Mexiko hiermit in eine Monarchie umgewandelt, diese Monarchie solle ein Kaisertum sein und die Kaiserkrone ohne Zögern durch eine zu entsendende Abordnung dem Erzherzog Maximilian angetragen werden.

Und diese klägliche, unter dem Schutz und Schirm der französischen Trikolore abgehaspelte Schnurre wagte man eine »einstimmige und feierliche Abstimmung der Repräsentanten des mexikanischen Volkes zugunsten der Monarchie und des Kaisers Maximilian« zu nennen!

Die »Notabelnversammlung«, d. h. Monsieur de Saligny, ernannte dann bis zum Eintreffen des Kaisers eine provisorische Regentschaft, zusammengesetzt aus den Generalen Almonte und Salas und aus dem Erzbischof La Bastida. Dieser, ein Priester hochmütigster Sorte, fand aber seine beiden Kollegen bald nicht bigott und reaktionär genug und die Franzosen des frommen zweiten Empire noch lange nicht so fromm, wie er sie wünschte. Er überwarf sich mit Almonte – Salas war eine Null – und mit dem General Bazaine. Er behauptete, die »heilige Kirche erleide jetzt dieselben Angriffe und Beeinträchtigungen wie unter der Regierung des Juarez, ja noch erbittertere«, und wühlte und intrigierte so heftig, benahm sich so unverschämt, daß der französische Obergeneral sich genötigt sah, ihn aus der provisorischen Regierung zu entfernen. Der Räuber und Jeckeranleihemacher Miramon kam Ende Juli nach der Hauptstadt, billigte alles Geschehene und wurde dafür zum Obergeneral des zu errichtenden Nationalheeres ernannt. Über diesen Oberbefehlshaber hat sich aber während der Dauer des Kaiserschwindels auf seiten der Kaiserlichen der General Majia, von indianischer Abkunft, an Tüchtigkeit und Ruf weit hinweggehoben. Zugleich mit Forey verließ in den ersten Tagen des Oktobers Monsieur de Saligny Mexiko und wurde zeitweilig durch Herrn von Montholon ersetzt. Bazaine, der ein kluger Mann war, erkannte die Notwendigkeit, den Käufern von Kirchengütern beruhigende Versicherungen zu geben, und versetzte dadurch die gesamte Prälatur und Bonzenschaft in nicht geringe Wut, welche nicht beschwichtigt wurde durch den Anblick des protestantischen Gottesdienstes, den der General für die Protestanten unter seinen Soldaten durch ihren Feldprediger öffentlich halten ließ. So tat sich eine Kluft der Entfremdung und Erbitterung zwischen den Franzosen und der mexikanischen Priesterpartei auf, welche letztere jetzt alle ihre Hoffnungen auf den Kaiser Maximilian setzte.

Die Abordnung, die die kaiserliche Goldschaumkrone nach Miramar bringen sollte, bestand aus dem Pater Miranda, dem Señor Aguilar und sieben anderen Herren. Sie ging am 16. August in Veracruz zu Schiffe. In Paris schlossen sich Gutierrez de Estrada und Hidalgo ihr an. Am 3. Oktober hatten diese Kronenbringer, deren Sprecher Gutierrez de Estrada war – einer der schwächsten Schwachköpfe des Jahrhunderts – Audienz zu Miramar.

Der Erzherzog biß aber noch nicht fest und entschieden auf den lockenden Köder. Schon die unüberwindliche Kälte, welche das englische Kabinett dem Kaiserschwindelprojekt fortwährend entgegenstellte, hatte ihn stutzig und bedenklich gemacht; denn er scheint denn doch ein richtiges Vorgefühl über die Natur der Verläßlichkeit einer Bürgschaft gehabt zu haben, welche einzig und allein von dem »Neffen des Onkels« übernommen wurde. Auch der totale Unwert der Beratung, Abstimmung und Beschlußfassung der angeblichen Notabelnversammlung mußte sich ihm aufdrängen. Hatte sich ja doch sogar der napoleonische Minister Drouyn de Lhuys nicht entbrechen können, am 17. August 1863 an den französischen Oberbefehlshaber in Mexiko zu schreiben: »Wir werden die Stimmen der Notabelnversammlung bloß als ein vorläufiges Zeichen der Stimmung des Landes ansehen dürfen.« Maximilian nahm also am 3. Oktober die dargebotene Krone nur mit dem Vorbehalt an, daß, wie er sich ausdrückte, »die Errichtung des Thrones von einem Plebiszit der ganzen Nation abhängig gemacht würde«.

Ob er keine deutliche oder gar keine Vorstellung gehabt, wie der Bonapartismus es verstehe, dergleichen »Plebiszite« zuwege zu bringen, mag dahingestellt bleiben. Genug, die Franzosen unternahmen einen Feldzug ins Innere von Mexiko, welcher den Zweck hatte, »die Stimmen der Städte im Innern zu sammeln«, und der Erzherzog gab sich mit dieser Abstimmung zufrieden Wie diese beschaffen war, hat insbesondere W. von Montlong, Kabinettsoffizier des »Kaisers« Maximilian, in seinen »Enthüllungen über die Ereignisse in Mexiko« (1868) nachgewiesen, so daß die angebliche Volksabstimmung zugunsten des Maximilianischen Kaisertums in den Augen eines jeden, der überhaupt sehen wollte oder will, als eine der infamsten französisch-offiziellen Lügen, die jemals gelogen worden sind, erscheinen mußte und muß. Die Einzelheiten dieser »Volksabstimmung« sind bei Montlong nachzulesen, besonders S. 8 f., wo die brutalen Großtaten, die der französische General Jeanningros als Stimmensammler verübte, in die verdiente Beleuchtung gerückt sind.. Daß er sie als eine reine Formalität, sich selbst aber bereits als Kaiser betrachtete, erhellt daraus, daß er den Winter über eifrig jene Unterhandlungen mit Napoleon III. pflegte, welche dann zwischen den beiden zum Abschlusse des Vertrags von Miramar führten. Diesem zufolge sollten von der unter Förderung von seiten der französischen Regierung aufzubringenden mexikanischen Anleihe von zunächst 300 Millionen 105 der französischen Staatskasse als Ersatz für geleistete oder noch zu leistende Vorschüsse zufließen; auch sollten die Kosten der französischen Expedition durch die mexikanische Staatskasse, und zwar in vierzehn Jahresraten von je 25 Millionen vergütet, und außerdem die Ansprüche französischer Untertanen an den mexikanischen Staatsschatz geprüft und nach Billigkeit befriedigt werden. (Freut euch des Lebens, Jecker und Kompanie!) Die französische Armee in Mexiko sollte in Kürze auf den Betrag von 25 000 Mann herabgemindert werden, einschließlich einer 9000 Mann starken »Fremdenlegion«, welche nach Abzug aller übrigen französischen Soldaten noch sechs Jahre lang in Mexiko zurückbleiben müßte. Vom 1. Juli 1864 an sollte die mexikanische Staatskasse für den Sold aller Truppen, auch der französischen, aufkommen. Der Sinn dieses Vertrags war demnach: der Erzherzog Maximilian soll unter dem Namen eines Kaisers in Mexiko für Napoleon III. den Präfekten machen dürfen, gerade solange er Geld genug aufbringen kann, um die französische Besetzung des Landes zu bezahlen … Der Kaiser von Österreich hat seinerseits die Werbung eines aus Österreichern bestehenden Freiwilligenkorps in der Stärke von 6000 Mann für das Kaiserreich Mexiko gestattet und gefördert. Ebenso der König der Belgier, und zwar zum großen Verdrusse des Volkes, die Bildung einer belgischen Freischar.

Am 10. April 1864 stellte sich Don Gutierrez de Estrada zu Miramar als Sprecher der wiederum dort erschienenen mexikanischen Deputation abermals in Positur und bot dem Erzherzog noch einmal die Kaiserkrone an, feierlich versichernd, die gewünschte Volksabstimmung hätte das gewünschte Resultat gehabt, das »mexikanische Volk hätte mit enthusiastischer Zustimmung die von der Notabelnversammlung getroffene Wahl Seiner Majestät des Emperador Maximiliano I. sanktioniert«. Auf diese französisch gegebene Versicherung hin gab Maximilian seinerseits die spanische, daß er, nun die von ihm gestellte Bedingung erfüllt sei, die Krone Mexikos annehme. Im weiteren erblickte der Prinz eine providentielle Fügung darin, daß die mexikanische Nation einen Nachkömmling jenes fünften Karl, in dessen Reichen die Sonne nie unterging und unter dessen Regierung Mexiko zum erstenmal an das Haus Habsburg gekommen war, zu ihrem Kaiser erwählt habe. Sodann gab er die Erklärung ab, er werde, sobald die Herstellung der Ordnung gesichert sei, in Mexiko eine liberale Konstitution einführen, die der Ordnung die Freiheit zugesellen sollte. Nachdem sodann von beiden Seiten hinlänglich viel Pathos und auch etliche Rührung verbraucht worden war, wie der gute Ton bei solchen Anlässen verlangt, schwur Maximilian I. auf das Evangelienbuch, »sein Volk glücklich zu machen«, und leistete ihm dagegen Señor Gutierrez de Estrada den Untertaneneid »im Namen Mexikos«.

Es ging bei dieser Staatsaktion ganz ernsthaft her und hat, soviel bekannt, niemand gelacht. Der Mensch ist eben eine »ernsthafte Bestie«.

8.
»Los Emperadores«.

War der Schwur des Prinzen, Mexiko »glücklich zu machen«, aufrichtig und ehrlich geschworen? – Ja!

War die Sachlage so, daß Aussicht auf Erfüllung dieses Schwures vorhanden war? – Nein!

War der Erzherzog der Mann dazu, unter allen Umständen zu leisten, was er versprochen hatte? – Abermals nein!

Der Prinz wurde am 6. Juli 1832 geboren, als der zweite Sohn des Erzherzogs Franz Karl und der Prinzessin Sophie von Bayern, ein hübscher, wenn auch etwas zarter Junge, der sich zu einem stattlichen Jüngling entwickelte. Blond, blauäugig, etwas wächsern von Hautfarbe, schlank und feingegliedert, von ungezwungener Haltung, feinem Anstand und zierlicher Bewegung, so war die Erscheinung des Prinzen eine sehr gewinnende. Seine Persönlichkeit, von einem vortretenden Zuge von Weichheit und Schwärmerei durchzogen, hat überall und bis zuletzt große Anziehungskraft auf die Menschen geübt. Niemals freilich hat dieser Persönlichkeit der Zauber beherrschender Kraft innegewohnt, sondern nur die Sympathieerregung, die der reingesinnten, traulich sich erschließenden und der Anlehnung bedürftigen Weichheit eigen zu sein pflegt. Statt Weichheit könnte man fast Weiblichkeit sagen; denn in Wahrheit, es geschieht mit gutem Grund, wenn man den Prinzen zuweilen scherzend eine »verkleidete englische Miß mit angeleimten blonden Backenbärten« hieß. Das weibliche Element im besten Sinne des Wortes hat in seiner psychischen Organisation das männliche weit überwogen. Daher die äußerst rege Empfänglichkeit und Anempfindungsfähigkeit des Erzherzogs, daher sein lebhaftes Schönheitsgefühl, sein feiner Frohsinn, seine dichterische Stimmung und Anschauungsweise, sowie die Leichtigkeit und Zierlichkeit des Ausdrucks in gebundener und ungebundener Rede; daher aber auch eine gewisse Oberflächlichkeit, Flatterhaftigkeit und Eitelkeit, daher die Abwendung von der Strenge logischen Denkens und die Hingabe an Gefühlsschwelgerei und Phantastik.

Nachdem der Prinz das beklagenswerte Opfer einer ruchlosen Politik geworden war, hat man seine literarischen Versuche, Reiseskizzen, Aphorismen und Gedichte, in einer stattlichen Bändereihe unter dem Titel »Aus meinem Leben« der Öffentlichkeit übergeben (1867). Ein teures Vermächtnis für die Freunde des Unglücklichen, keine Frage; aber vergrößern konnte die Bekanntmachung dieser Stilübungen den Prinzen nicht. Dagegen gewähren sie allerdings willkommene Einblicke in sein Wesen.

Er stellt sich in diesen Aufzeichnungen als ein ganzer Lothringer-Habsburger dar, obwohl er sich nur als letzteren fühlt. Das Lothringische in seiner Abstammung, wie es sich so höchst verschiedenartig in den zwei Figuren Josephs II. und Franz II. ausgeprägt hatte, war gar nicht nach dem Geschmacke des Prinzen. Joseph mußte ihm, dem Erzromantiker, als Aufklärer und Antiromantiker zuwider sein und ebenso der Großvater Franz als die fleischgewordene Prosa. Der Erzherzog bekannte gern und frei seine Vorliebe für das Mittelalter. »Ich leugne es nicht, ich liebe die alte Zeit. Nicht die der vergangenen Jahrzehnte, wo man im Nimbus des Haarpuders unter lau-flauen Idyllen zwischen üppigen Wiesenblumen dem gähnenden Abgrund entgegenkollerte; nein, die Zeit unserer alten Ahnen, wo sich in Turnieren Rittersinn entwickelte, wo das tüchtige Weib nicht bei jedem Blutstropfen ein Riechfläschchen verlangte und eine Ohnmacht fingierte, wo man den wilden Eber und den Bären jagte, und zwar in freien Forsten. Diese starke Zeit hat starke Kinder erzeugt« (Aus meinem Leben II, 71). Sieht das nicht einer Reminiszenz aus dem »Hasper a Spada« aufs Haar ähnlich? Der Prinz hatte also die alte dumme Lüge vom Mittelalter, wie sie ihm sein Präzeptor vorgeleiert, für bare Münze genommen. Ganz in der Ordnung demnach, daß er für mittelalterliche Barbareien aller Art schwärmte, wie z. B. für das spanische Stiergefecht. »Durch den Lauf der Jahrhunderte prägte es sich immer mehr der Sitte des Volkes ein und selbst der verderbliche Einfluß der Aufklärer, dieser reißenden Wölfe im Schafspelze, dieser von Menschenliebe singenden Hyänen, konnte dieses Fest nicht ausrotten, wie es ihnen mit so vielem Altertümlichen gelang« (Aus meinem Leben II, 73). Leider bekanntlich auch mit der »heiligen« Inquisition, so daß der im Jahre 1851 in Spanien reisende Prinz nicht mehr das »ritterliche« Vergnügen haben konnte, neben der Hinschlachtung von Stieren auch noch die Verbrennung von Ketzern mit anzusehen.

Seine kindisch-zornige Auslassung gegen die Aufklärer läßt deutlich die kirchliche Zwangsjacke sehen, in die die ganze Erziehung des Erzherzogs eingeschnürt war. Daher der starke Akzent, den er überall auf seine Katholizität gelegt hat. Bei seinem Besuche in der Kathedrale von Sevilla, wo neben anderen heiligen Knochen auch die des heiligen Ferdinand gezeigt werden, erregte es ihm eine angenehme Empfindung, daß der genannte Heilige, bekanntlich ein allerhöchsteigenhändiger Ketzerbrenner, »ihm als Hauptvertreter an Gottes Thron von der Kirche bestellt sei« (Aus meinem Leben II, 27). Wunderlich kontrastiert dann mit diesen hispanischen Anschauungen und Überzeugungen die Anwandlung, sein deutsches Nationalbewußtsein herauszukehren. Der arme Prinz ist eben nie zu einer Gedankenklärung gelangt, die ihm gezeigt hätte, was für unermeßliches Unheil die hispanische Habsburgerei über Deutschland gebracht hat.

Mitunter scheint sich aber doch unwillkürlich eine moderne Ader in ihm geregt zu haben. So, wenn er den Satz niederschrieb: »Eine Regierung, die nicht die Stimme der Regierten hören will und kann, ist faul und geht ihrem raschen Untergang entgegen.« Allein solche Regungen waren nicht von Dauer und konnten es nicht sein, weil ihnen die Grundlage einer wirklichen Einsicht in das Wesen und Wollen des 19. Jahrhunderts fehlte. Die romantische Dämmerung verdrängte sofort wieder die prosaische Tageshelle. Nur in dieser Dämmerung oder »mondbeglänzten Zaubernacht« fühlte der Prinz sich behaglich. Schade, daß sein Behagen gestört wurde durch einen unruhig hin und her tastenden Tatendrang, welcher, weil die Tatkraft dem phantastischen Wünschen durchaus nicht entsprach, auch wieder mehr einem weiblichen Gelüsten als einem mannhaften Wollen entsprang. Der Erzherzog hat sich über das Maß seiner Talente und seiner Kraft offenbar einer großen Selbsttäuschung hingegeben, und als er den Vers machte:

»Klein ist, nur zu wollen,
Was man eben kann;
Was er will, zu können,
Macht den großen Mann«

hat er sicherlich sich eingebildet, daß er ein solcher sei, der könnte, was er wollte.

Es ist begreiflich und sehr verzeihlich, daß die leicht erregbare Phantasie des Prinzen an der Vorstellung sich entzündete, den Thron Montezumas wieder aufzurichten, als ein durch den Segen des Papstes geweihter und gefeiter Ritter Sankt Georg der Monarchie jenseits des Ozeans den Drachen des Republikanismus zu besiegen und in einem märchenhaft schönen Lande die Krone zu tragen als ein Herrscher, der, wohlgesinnt und milde, Frieden, Ordnung und Gedeihen da pflanzen würde, wo bislang Anarchie und Bürgerkrieg unausgesetzte Verwüstung angerichtet hatten.

Aber der Prinz mußte wissen und wußte, daß die ihm angebotene Kaiserkrone aus Lug gemacht und mit Trug lackiert war; er mußte wissen und wußte, daß seine Wahl zum Kaiser von Mexiko durch eine sogenannte Notabelnversammlung nichts war als eine vom Monsieur Dubois de Saligny veranstaltete Polizeiposse; er mußte wissen und wußte, daß die ihm vorgelogene »enthusiastische Zustimmung des mexikanischen Volkes zu dieser Wahl« nur fauler Wind; er konnte wissen, daß die Urkunde, die ihn zum Titularkaiser machte, in Wahrheit und Wirklichkeit nichts anderes sei als ein ihm von Napoleon III. ausgestelltes Anstellungspatent als französischer Oberpräfekt oder vielmehr Unterpräfekt von Mexiko; er konnte endlich auch wissen, daß er die finanziellen Verpflichtungen, die er kraft des Vertrags von Miramar übernommen, nicht würde erfüllen können; denn er konnte doch unmöglich erwarten, die Mexikaner würden so holzschlägeldumm sein, jahrein, jahraus ihre letzten Pesos herzugeben, um die stipulierten Millionen und wieder Millionen an dieselben Franzosen zu bezahlen, die gekommen waren, ihnen den Krieg zu machen und die Freiheit und Selbständigkeit ihres Landes zu vernichten: – ja der Erzherzog konnte und mußte das alles wissen, und dennoch und trotz alledem ließ er sich von dem »Abenteurer«, »Parvenu« und »Decembriseur« mit einer Krone beschenken, von demselben dritten Napoleon, der etliche Jahre zuvor Österreich einer seiner schönsten Provinzen beraubt und das Haus Lothringen-Habsburg so schwer gedemütigt hatte. Aber freilich, was hat man sich da viel zu verwundern? Schlichtbürgerliche Sittlichkeits- und Anstandsbegriffe vermögen sich eben zu solcher Höhe prinzlicher »Ritterlichkeit« nicht zu erheben, was jedoch den strengen Wahrheitsmund der Geschichte nicht hindert, zu sagen, daß in dieser »Ritterlichkeit« oder »hohen Politik« das Moment einer großen Schuld lag.

Fast ist man versucht, romantischerweise anzunehmen, den Romantiker Maximilian habe schon im Jahre 1851 eine romantische Vorahnung seiner romantischen Kaiserfahrt über den Ozean beschlichen. Im Gruftgewölbe des Domes von Granada, an den Särgen Ferdinands und Isabellas, der »katholischen Könige«, hatte er damals gereimt:

»Düstrer, dumpfer Fackelschein
Führt den Enkel zu der Stätte,
Wo der Könige Gebein
Ruht im kalten engen Bette.

An dem Sarg er sinnend steht,
Bei dem Staub der großen Ahnen,
Lispelt stille sein Gebet
Den schon halbvergeßnen Manen.

Da erdröhnt es in dem Grab,
Flüstert aus den morschen Pfosten:
Der hier brach, der goldne Stab,
Glänzt plus ultra euch im Osten!«

Hätte der Erzherzog statt »Flüstert aus den morschen Pfosten« gesagt »aus den morschen Resten«, so hätte er darauf reimen können: »Glänzt plus ultra euch im Westen« – und die prophetische Hindeutung auf seine Zukunft wäre handgreiflich vorhanden gewesen. Aber, in allem Ernste gesprochen, gerade zu jener Stunde ist im Dom zu Granada dem Prinzen so etwas wie ein Schicksalswink zuteil geworden. Denn er fügte der mitgeteilten Äußerung in Versen noch diese in Prosa hinzu: »Die Dämmerung brach in die ersten Wölbungen herein, ein dunkler Schleier über das Reich des Todes. Der Sakristan erschloß ein kleines Gemach, rumpelte im Finstern herum und kam mit den Reichsinsignien des katholischen Ferdinand und dem Gebetbuch der frommen Isabella wieder zum Vorschein. Stolz, lüstern und doch wehmütig griff ich nach dem goldenen Reif und dem einst so mächtigen Schwerte. Ein schöner, glänzender Traum wäre es für den Neffen der spanischen Habsburger, letzteres zu schwingen, um ersteren zu erringen.« (Aus meinem Leben II, 164.)

Dreizehn Jahre später hatte der Erzherzog versucht, den »schönen glänzenden Traum« zu verwirklichen. Allein das »mächtige« Schwert seines Ahnherrn, der übrigens weit mehr ein völlig gewissenloser siebenfach destillierter Diplomat und Geschäftsmann als ein »Ritter« gewesen ist, war viel zu schwer für ihn. Er hatte weder zum Kriegsmann noch zum Staatsmann so recht das Zeug. Das Fiasko, das er als Generalgouverneur der Lombardei erfahren hatte, hätte ihm ja diese Wahrheit sagen können. Aber wo wollen und wollten die Menschen die Stimme der Wahrheit hören, und wäre es auch die in ihrer eigenen Brust? Zum stillebigen Träumer und Reimer, zum Kunstkenner, Parkanleger und Blumenzüchter war der Prinz gemacht. Unterrichtet, feinfühlig, nicht ungeübt im Beobachten, bei zeitweiligen Anflügen von Altklugheit doch vorwiegend Phantast, ein gemütlicher Plauderer, aber ohne irgendwelchen selbständigen Gedankenwurf, voll hochfliegender Reminiszenzen, aber ohne energischen Seelenschwung, den Kitzel zum Handeln mit der Kraft zum Handeln verwechselnd, – Summa: eine weit mehr passive als aktive Natur, ganz dazu angetan, von dem Triebwerk der »hohen Politik« mitleidlos zermalmt zu werden.

Für den Erzherzog, wie er nun einmal war, ist es ein großes Unglück gewesen, daß er in der Person der Prinzessin Charlotte von Belgien eine Frau zur Gattin bekam (1857), in der das männliche Element ebenso vorwog, wie in ihrem Gemahl das weibliche.

Auch die Erzherzogin ist keineswegs schuldlos von einem schrecklichen Geschick ereilt worden. Sie war es, die, von Ehrgeiz verzehrt, den träumerischen Einbildungen ihres Gatten, er sei bestimmt, große Taten zu tun und eine erste Heldenrolle auf der Weltbühne zu spielen, eine bestimmte Richtung gab. Sie war es, die ihren ganzen übermächtigen Einfluß auf den Prinzen aufbot, um ihn zum Eingehen auf das Kaiserschwindelspiel zu bewegen, und sie hat an diesem Spiel selber einen so stark vortretenden Anteil genommen, daß die Mexikaner sie ihrem Gemahl durchaus gleichstellten, und daß die Anhänger des Kaisertums nicht vom Kaiser und von der Kaiserin sprachen, sondern beide in der Gesamtbezeichnung »Los Emperadores« untrennbar zusammenfaßten.

Die Tochter Leopolds von Belgien war keine gewöhnliche Frau. Ernst, nachdenklich und arbeitsam von Jugend auf, hatte sie sich eine vielseitige Bildung erworben, las, schrieb und sprach geläufig Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch, war auch eine Politikerin, soweit man das eben sein kann ohne Menschenkenntnis und Erfahrung. Es war ihr nicht beschieden, ihrem Gatten Kinder zu geben, und das war ihr großes Unglück. Denn Frauen, denen des Weibes süßester Pflicht und höchster Bestimmung, Kinder zu gebären und zu erziehen, genugzutun versagt ist, werden ja durch ihre ungestillte Sehnsucht oft auf Wege der Torheit getrieben. Am häufigsten auf die Bahn der Frömmelei oder auf die ebenso schlüpfrige eines unweiblichen Ehrgeizes. Die Erzherzogin wußte beides zu vereinigen: sie war fromm und ehrgeizig zugleich, und beide Motive haben denn auch in betreff des unseligen mexikanischen Kaiserschwindels ihre Wirkung getan. Die Prinzessin glaubte oder bildete sich ein, zu glauben, ihr Gemahl würde von dem auf seiner Seele lastenden Gewicht der Tatenlosigkeit zu Tode gedrückt. Das war gar nicht zu befürchten; allein sie hatte sich's nun einmal in den Kopf gesetzt, daß es so sein müßte, und handelte danach. Frauen, die nicht Mütter sind, und also nicht durch Muttersorgen stets an das Mögliche und Wirkliche gemahnt werden, sind in der Hingabe an ihre Marotten und Leidenschaften ganz unberechenbar und springen mit Leichtigkeit über Schranken hinweg, die ihnen heilig sein müßten.

Daraus erklärt sich, wie die Enkelin Louis Philippes mit Louis Bonaparte in freundliche Beziehungen treten mochte; daraus erklärt sich, daß die Nichte der Prinzen Orleans aus den Händen Napoleons III. eine Schaumgoldkrone als Almosen zu empfangen sich nicht geschämt hat.

Aber es sollte eine Stunde kommen, wo der Almosengeber und die Almosenempfängerin einander gegenüberstanden und die Enkelin Louis Philippes die ganze Bitterkeit des Bonaparteschen Almosens zu schmecken bekam. Man beleidigt das »schlichtbürgerliche« Sittengesetz und Anstandsgefühl doch nicht immer ungestraft.

9.
Von Veracruz bis Chapultepek.

Am 28. Mai 1864 warf, wie schon gemeldet worden, die »Novara«, nachdem sie am Fortfelsen von San Juan d'Ulloa vorbeigeglitten, vor Veracruz Anker. Den hier Landenden bietet aber das schöne Aztekenland keinen einladenden Anblick. Ein langgestreckter, flacher, sandiger, dürrer Küstensaum und darauf zwischen Sanddünen und Sümpfen emporsteigend die weißen, flachdachigen Häuserwürfel der Stadt, zu geraden Straßenzeilen zusammengefügt wie lange Reihen von Grabmonumenten, – das ist alles. Der guten Gräfin Kollonitz kam das Ganze vor »wie ein großer Kirchhof«, und daß die glühendheiße Hafenstadt mit ihrer Umgebung ein solcher heißen durfte, davon konnten sich die Ankömmlinge überzeugen, wenn sie ihre Blicke nach dem gegenüber der Insel Sacrificio gelegenen » Jardin d'acclimatation« richteten. So nämlich hatten die Franzosen mit echt französischem Witz eine weite Einfenzung benannt, innerhalb welcher die Scharen von Franzosen begraben liegen, die in der ersten Zeit nach der Landung der mexikanischen Expedition unter dem Gluthimmel der Tierra caliente am Vomito (Brechruhr) gestorben waren.

Die Thetis, der »Novara« vorauseilend, hatte die Ankunft des Kaisers in Veracruz gemeldet. Es schien jedoch niemand davon Notiz nehmen zu wollen. »Nichts regte sich im Hafen, nichts an der Küste. Der neue Beherrscher von Mexiko stand angesichts seines Reiches und war im Begriffe, es zu betreten, aber seine Untertanen hielten sich verborgen, niemand empfing ihn! Es war ein unheimliches Gefühl für alle.« So unsere gräfliche Gewährsfrau Paula Kollonitz: Eine Reise nach Mexiko im Jahre 1864, S. 69.. Die Gleichgültigkeit der Bewohner von Veracruz gegen den Kaiserschwindel erklärt sich übrigens leicht aus dem Umstand, daß diese Hafenstadt stets ein Hauptsitz des Liberalismus gewesen ist.

Die sogenannte provisorische Regierung hatte ihren Obmann, den General Almonte, aus der Hauptstadt nach der Küste geschickt, um »Los Emperadores« zu empfangen. Der tapfere General hatte aber, sei es aus Scheu vor dem Liberalismus oder aus Furcht vor dem Vomito von Veracruz, unterwegs in Orizaba Halt gemacht. In der Zwischenzeit, bis er von dort herbeigeholt war, erschien der Kommandant der französischen Flottenstation, Kontreadmiral Bosse, an Bord der »Novara« und benahm sich als vollendeter Nichtgentleman, brummend und scheltend und den »neuen Beherrscher von Mexiko« so recht fühlen lassend, daß er in den Augen der Franzosen eben nur eine Napoleonische Kreatur sei, ein untergeordnetes und voraussichtlich bald vernütztes Werkzeug der Tuilerienpolitik. Unter den übrigen wenig tröstlichen Auslassungen des Flegels von Admiral war auch die, daß die Reise nach der Hauptstadt sehr gefährlich sei, da sich Guerillabanden gebildet hätten, zum Zwecke, das Kaiserpaar unterwegs wegzufangen, und daß der General Bazaine noch nicht Zeit gehabt habe, sichernde Gegenmaßregeln zu treffen.

Am folgenden Tage, nachdem Almonte endlich eingetroffen, wurde die Landung bewerkstelligt. »Der Empfang«, bezeugt die Gräfin, »war äußerst kühl. Die Bevölkerung von Veracruz war schwach vertreten; mit einigen Triumphbogen und landesüblichen Petarden hatte sie sich abgefunden.« Die Franzosen hatten, um ihre Truppen möglichst schnell aus dem Pestilenzgebiet der Küste hinwegzuschaffen, eine Eisenbahn improvisiert, denn »gebaut« konnte man kaum sagen, die von Veracruz über La Soledad bis nach Lomalto reichte, eine Strecke von zwei Stunden Fahrzeit. Bis Lomalto konnte man demnach in zivilisierter Reiseart gelangen. Hier jedoch begannen für die Emperadores und ihr Gefolge die komischen Leiden und tragischen Freuden einer Reise im Innern von Mexiko. Doch wurde, als der Wanderzug aus der heißen Region in die gemäßigte und aus dieser in die kühle auf der Hochebene von Anahuak langsam sich emporwand, der Empfang von seiten der Bevölkerung allmählich wärmer. Eine hochwürdige Geistlichkeit hatte ja Lungen, Stimmritzen und Zungen nicht geschont, um insbesondere der indianischen Bevölkerung einzupredigen, daß die erlauchten Emperadores eigens in der Absicht über das Meer gekommen seien, um die armen, roten, braunen, gelben, schwärzlichen und scheckigen Söhne von Anahuak glücklich zu machen. Der Wunsch wurde auch hier, wie überall und allzeit, des Glaubens Vater.

Natürlich strengte die klerikale Partei auch nach anderen Richtungen hin alle ihre Kräfte und Mittel an, um – immer unter dem Schutze französischer Bajonette, versteht sich – in den nach der Hauptstadt hinaufziehenden Emperadores die Vorstellung zu erwecken, es müßte an dem Humbug einer Volksabstimmung zugunsten des Kaisertums doch ein Fetzen Wahrheit hängen. Verdächtig freilich war es, daß augenscheinlich große Vorsicht, ja Ängstlichkeit aufgewandt werden mußte, um den kaiserlichen Reisezug durch französische Truppenabteilungen zu Fuß und zu Pferde gegen etwaige Anfälle von seiten republikanischer Guerilleros zu schützen und zu decken. Allein an den Rastorten, wie Kordoba, Orizaba und Puebla, hatte der Eifer der Klerikalen in Verbindung mit den Künsten französischer Polizisten alles so herzurichten gewußt, daß das Kaiserpaar sich sogar schmeicheln durfte, mit Begeisterung empfangen worden zu sein. Abgesehen aber auch von solchen Blendwerken des Parteieifers und polizeilicher Kunst, ist der Erzherzog und seine Gemahlin von vielen mexikanischen Herren und Damen mit Wohlwollen angesehen und bewillkommt worden, weil die Einfachheit und Güte des Prinzen und der Prinzessin einen durchaus gewinnenden Eindruck machten. Wenn aber Maximilian und Charlotte in diesem höflichen, ja herzlichen Empfang eine dauerhafte Bürgschaft für die Popularität des Kaiserschwindels erblickten, so war das eine grelle Täuschung. Diese erhoffte Bürgschaft war gerade so viel wert wie das Vivatgeschrei, das Haufen von Indianern, Mestizen und Zambos auf Kommando ihrer Seelenhirten an dem Wege des Kaiserpaars anstimmten. Der Erzherzog allerdings ließ zuweilen merken, daß er von allem, was er während der Hinaufreise gen Tenochtitlan gesehen und gehört, nicht allzusehr erbaut sei; allein seine Frau ließ diese Stimmung nicht Herrin über ihn werden. Sie ihrerseits war von allem entzückt oder tat wenigstens so. Sie äußerte sich ganz begeistert über Land und Leute und zählte ohn' Unterlaß die Beweise von Liebe und Anhänglichkeit auf, die ihnen unterwegs gegeben worden seien. Die arme Frau hatte keine Ahnung, wie sehr das alles Schein und Schaum und wie bald der Schein verschwinden und der Schaum verfliegen würde.

Am 12. Juni hielten die kaiserlichen Schein- und Schaummajestäten, geleitet von dem General Bazaine, ihren Einzug in die Hauptstadt. Blumengirlanden, Draperien, Triumphbogen mit den Inschriften Maximiliano und Karlota mangelten nicht. Doch durfte – sagt unsere gräfliche Augenzeugin – »die ganze Feierlichkeit nicht nach europäischen Begriffen beurteilt werden. Schönheit der Uniformen, Glanz der Equipagen fehlten ganz.« Glücklich, wenn weiter nichts gefehlt hätte! Aber welcher denkende Mensch konnte glauben, daß ein macht- und geldloser Fremdling, dieser von einem französischen General eingeführte und inthronisierte Titularkaiser, den alsbald die schlimmsten Gesellen Mexikos, die Miramon, La Bastida und Marquez, als ihren Parteichef umgaben, lange vorhalten könnte? Vielleicht glaubten es die zum Einzug der Emperadores massenhaft herbeigeströmten Indianer, welche, wie wohlbezeugt ist, in dem freundlich grüßenden Erzherzog einen neuen Quetzalkoatl sahen; allein auch dieser Glaube war von kurzer Dauer. Der arme österreichische Quetzalkoatl konnte ja keine Wunder tun.

Dem großen Regierungsgebäude an der Plaza mayor hatte man den hochtönenden Namen » Palacio imperial« gegeben; allein die Einrichtung und Ausstattung dieses Kaiserpalasts war die eines europäischen Gasthofs zweiten oder dritten Ranges und versinnbildlichte in ihrer Halbfertigkeit, Trödelhaftigkeit und Schluderigkeit ganz gut, aber wenig einladend, das Wesen dieser Stegreifdichtung von mexikanischem Kaisertum.

Die mit dem erzherzoglichen Paar aus Europa herübergekommenen Herren, Damen und Diener machten zu dieser Palastwirtschaft sehr verwunderte Augen und gebärdeten sich nicht wenig enttäuscht, rat- und hilflos. Die Emperadores jedoch »zeigten sich mit allem zufrieden«. Nur wünschten sie sich aus dem zwar nicht gerade verwünschten, aber doch verwanzten » Palacio imperial« hinaus nach dem Sommerschloß der alten aztekischen Herrscher auf Chapultepek, das aber freilich mehr Ruine als Schloß war. So wurde denn eiligst dort ein Pavillon für den Prinzen und seine Gemahlin zu notdürftigem Wohnen hergerichtet. Ach, das war kein Miramar! Die gute Gräfin Kollonitz mußte in Chapultepek mit dem Rest ihres Vorrats von Wanzenpulver herausrücken.

10.
Der Anfang nur der Anfang vom Ende.

Der Reiz der Neuheit, der das Erscheinen, Auftreten und Gebaren der Emperadores begleitet und für eine Weile den Anschein allgemeiner Zustimmung hervorgebracht hatte, mußte sich schnell vernützen in einem Lande, auf dessen Staatsbühne seit vierzig Jahren die »Verwandlungen« der Szene unaufhörlich und mit reißender Raschheit bewerkstelligt worden waren.

Die Mexikaner konnten unmöglich über die Tatsache hinwegsehn, daß der angebliche Kaiser eben doch nur ein Figurant und die wirkliche Macht und Gewalt bei dem zum Marschall erhobenen Oberbefehlshaber der französischen Armee sei. Diese Armee aber war und blieb in den Augen der ungeheuren Mehrzahl der Bevölkerung eine feindliche, der man eben nur Gehorsam zollte, wo und wie man schlechterdings mußte. Die nationale Fahne, das mußte selbst die klerikale Partei heimlich sich eingestehen, flatterte in den Lagern und an den Beiwachtfeuern der republikanischen Generale und Bandenführer. Mexiko war nicht im » Palacio imperial« der Hauptstadt, sondern da, wo gerade die unstete Wanderregierung des Präsidenten Juarez sich befand. Das Gefühl hiervon kräftigte sich und nahm an Umfang zu in demselbem Maße, in welchem die Bevölkerung das Schwergewicht der französischen Okkupation immer schmerzlicher empfand. Auch konnten die ewigen Häkeleien, Eifersüchteleien und Zänkereien zwischen den Verteidigern des wieder aufgerichteten Thrones Montezumas, d. h. zwischen den französischen, österreichischen, belgischen und kaiserlich-mexikanischen Truppen, im Volke nur das Bewußtsein mehr und mehr zur Klarheit bringen, daß alle diese Leute an die Haltbarkeit der Sache, die sie verfochten, selber nicht glaubten.

Die Aufgabe, die dem österreichischen Prinzen gestellt war, ist eine solche gewesen, daß nur ein Phantasiemensch, wie er einer war, nicht von vornherein an der Möglichkeit einer Lösung verzweifelte. Während die rechtmäßige Regierung des Landes gegen ihn, den auf französischen Gewehren importierten Usurpator, Krieg führte und er noch dazu gezwungen war, die Interessen seiner Beschützer, der Franzosen, stets über seine eigenen zu stellen, sollte er über weite Länderstrecken hin seine monarchische Autorität zur Geltung bringen, eine Autorität, die nie eine andere Basis gehabt hatte als Lug und Trug. Stets unter dem Banne der argwöhnischen Blicke Bazaines und der nicht minder argwöhnischen Blicke, welche zwar fernher, aber deshalb nicht weniger wuchtend aus dem Weißen Hause zu Washington auf ihn gerichtet wurden, sollte er eine »nationale« Armee von mindestens 40 000 Mann schaffen, während doch, mit wenigen Ausnahmen, alles gute Heermaterial auf der republikanischen Seite sich befand, sollte er ferner das ganze Verwaltungs-, Justiz-, Finanz- und Verkehrswesen neu organisieren und sollte er endlich den schweren Geldforderungen des französischen Hofes nachkommen, zu denen dieser durch den Vertrag von Miramar berechtigt war. Selbst eine Intelligenz ersten Ranges hätte dieses kolossale Wirrsal nicht zu bewältigen vermocht, selbst eine Eisenhand wäre an dieser Aufgabe erlahmt. Der Erzherzog war kein Mann von Genius und besaß keine eiserne Hand; aber das Schlimmste für ihn war, daß er kein Prinzip vertrat, sondern nur einen Schwindel.

Zu dieser Zeit vorzugsweise von dem belgischen Staatsrat Eloin beraten, einem Herrn, den der alte König Leopold, von dem es rein unbegreiflich, daß er seinem Schwiegersohn zur Annahme der mexikanischen Krone hatte raten können, seiner Tochter als Mentor mitgegeben hatte, machte der Prinz den Versuch, der doppelten und drückenden Bevormundung durch die Franzosen und durch die klerikale Partei sich zu entziehen. Da er im Beobachten nicht ungeübt war, so hatte er bald bemerken müssen, daß seine Stellung als französischer Schützling und als Haupt der klerikalen Partei die Möglichkeit, in Mexiko Wurzel zu fassen, beträchtlich herabminderte. Er nahm daher einen Anlauf, dem Lande zu zeigen, daß er mehr als ein Figurant und Werkzeug der Franzosen und auch keineswegs ein gehorsamer Diener der Pfaffen wäre. Nachdem er die letzteren und ihren Anhang schon dadurch für seine Sache erkältet hatte, daß er keine Miene machte, die Kirchengüter an den Klerus zurückzugeben – was übrigens ganz unmöglich war –, entfernte er die Führer der Klerikalen so ziemlich aus allen wichtigen Ämtern, schickte auch mehrere derselben als Gesandte nach Europa, um sie aus dem Lande zu bringen, und versuchte eine Regierung aus »nationalen« Elementen zusammenzusetzen. Aber was waren das für Leute? Entweder unsaubere oder untüchtige; denn, sei es auch hier wiederholt, alle besseren und tüchtigeren nationalen Kräfte hielten fest an der Republik und an Juarez.

Der Erzherzog wähnte nun, mit Hilfe seiner halbliberalen Halbmänner oder Ganzunmänner von Ministern, Generalen und Präfekten die notdürftig konstruierte kaiserliche Regierungsmaschine in Gang bringen zu können. Die Räder rasselten und schwirrten, die Maschine polterte und spie die von dem Prinzen schon zum voraus während seiner Meerfahrt präparierten Statuten, Edikte, Organisationen, Verordnungen, Manifeste und Befehle in ganzen Haufen nach allen Richtungen hin aus; aber dabei hatte es sein Bewenden. Die Maschine wirkte nicht. Das ganze Regieren des Prinzen war und blieb papieren und wurde auch, noch bevor die darauf verwandte Tinte recht trocken, Makulatur. Nach wenigen Monaten mußte der arme Schattenkaiser sich der Demütigung unterziehen, dem Marschall Bazaine das Geständnis zu machen, daß er, der »Kaiser«, nur durch die Franzosen und mit den Franzosen regieren könne. Der Marschall übernahm es demnach, das Land zu »pazifizieren«, wie man es nannte; ferner, eine mexikanische »Nationalarmee« zu organisieren und durch eine aus Frankreich herübergerufene Beamtenschar das Finanz- und Zollwesen zu »regulieren«; endlich den unablässig wiederholten Bestürmungen der »kaiserlich-mexikanischen« Regierung um Geldvorschüsse von Zeit zu Zeit zu entsprechen.

Der Versuch, von den Franzosen sich zu emanzipieren und eine »nationale« Partei und Regierung zu gründen, war demnach vollständig gescheitert. Die Klerikalen allerdings waren vorderhand beiseite gestellt, allein durch diese Beiseitestellung war ja der Erzherzog der einzigen Stütze beraubt, die er außer den Franzosen im Lande gehabt hatte.

Ebenso mißlangen nach anderen Seiten hin unternommene Versuche. Der Prinz, gerne des Ursprungs seiner Kaiserschaft vergessend – was sehr begreiflich und verzeihlich – hatte sich in dem süßen Traum einer allgemeinen Versöhnung der Parteien des Landes gewiegt, und es war ihm zweifelsohne heiliger Ernst mit der Absicht, diesen Traum zu verwirklichen. Es konnte ihm hierbei nicht entgehen, daß das Schwergewicht des mexikanischen Parteiwesens bei den republikanischen Patrioten war, und diese Erkenntnis sollte sich in seiner Abwendung von den Klerikalen manifestieren. Aber die Berechnung, dadurch eine Herüberziehung der Republikaner zur monarchischen Fahne anzubahnen, schlug gänzlich fehl, und die Hoffnung des Erzherzogs, selbst Gegner wie den standhaften Juarez und den tapferen Diaz für seine Person und für das Kaisertum zu gewinnen, erwies sich als durchaus trügerisch. Wie bekannt, sind wiederholt die zuvorkommendsten Eröffnungen, die lockendsten Anerbietungen an Juarez und Diaz ergangen, aber allesamt rund und nett zurückgewiesen worden. Als es mit der Beschmeichelung und Verlockung der Republikaner nicht ging, ist dann der Prinz mit einer Plötzlichkeit, die der Unbeständigkeit des eigenen und seiner Unkenntnis des mexikanischen Charakters entsprach, an einem unheilvollen Tage zu einem Schreckenssystem hinübergesprungen, welches, wähnte er, die Männer vernichten sollte, die er nicht hatte verführen können.

Einen weiteren und sehr herben Fehlschlag erfuhr der Erzherzog in Washington. Wunderlicherweise scheint er geglaubt zu haben, daß man dort die Tragweite der französischen Invasion und der Aufrichtung eines Bonaparteschen Vasallenthrons in Mexiko gar nicht beachtet oder nicht erkannt hätte. Und doch mußte er Kenntnis haben von einer lakonischen, aber inhaltvollen Note, die der Staatssekretär Seward schon unterm 7. April 1864 an Herrn Dayton, den Gesandten der Union in Paris, gerichtet hatte, um davon der französischen Regierung Kenntnis zu geben. Diese Note hatte so gelautet: »Ich sende Ihnen eine Abschrift der Resolution, welche am 4. dieses Monats im Repräsentantenhause einstimmig angenommen worden. Sie bringt die Opposition dieser Staatskörperschaft gegen die Anerkennung einer Monarchie in Mexiko zum Ausdruck. Nach allem, was ich Ihnen schon früher mit aller Offenheit zur Information Frankreichs geschrieben habe, ist es kaum nötig, noch ausdrücklich zu sagen, daß die in Rede stehende Resolution die allgemeine Ansicht des Volkes in den Vereinigten Staaten in betreff Mexikos feststellt.«

Ob Napoleon III. angesichts dieser Note wohl die Ahnung überkam, daß die in jener Dezembernacht von 1851 gemeuchelmordete Republik doch nicht umsonst ihr » Exoriare aliquis!« in die Welt hinausgeröchelt habe?

Schwerlich! Und falls ihn diese Ahnung wirklich überkam, so konnte er sie ja kurzweg abweisen mit der Selbstberuhigung, daß Bruder Jonathan dermalen nicht und wahrscheinlich überhaupt niemals imstande sein werde, jenem Racheruf Folge zu leisten. Hatten doch gerade zur Zeit, wo Seward seine Note schrieb, die Siege des südstaatlichen Generals Lee die Sache des Sklavenbaronentums auf den Gipfel der Hoffnung erhoben. Freilich, zum Nachdenken konnte es den Selbstherrscher an der Seine immerhin stimmen, daß das Kabinett von Washington auch jetzt, inmitten der höchsten Bedrängnis der Union durch die südstaatliche Rebellion, nicht anstand, so kurz und bestimmt anzudeuten, was der Napoleonische Vasallenthron in Mexiko von den Vereinigten Staaten zu erwarten habe: Nichtanerkennung und Feindschaft.

Übrigens hätte dieses entschlossene Festhalten am republikanischen Prinzip und an der Monroedoktrin von seiten der Unionsregierung der Erzherzog auch schon daraus entnehmen können, daß der Gesandte der Vereinigten Staaten Mexiko etliche Tage, bevor er selber es betrat, verlassen hatte. Endlich konnte ihm auch nicht unbekannt sein, daß Romero, der Gesandte der Republik Mexiko bei der Union, in verschiedenen Städten derselben öffentliche Werbungen veranstaltete, daß Juarez fortwährend Zuzug von Freiwilligen aus den Vereinigten Staaten empfing und daß er, hauptsächlich auf dem Umwege über Kalifornien, von dorther mit Geld, Lebensmitteln und Kriegszeug unterstützt wurde.

Trotz alledem hatte der Prinz vom Wesen des Nordamerikanertums so wenig eine Vorstellung, daß er wähnte, mittels einer ohne Wissen und Zutun des französischen Marschalls beschlossenen diplomatischen Sendung nach Washington Männer wie Lincoln und Seward von ihren Prinzipien abzubringen und sich von ihnen eine Art Anerkennung oder wenigstens die Versicherung der Neutralität der Unionsregierung zu verschaffen. Zu diesem Ende sandte er seinen Minister Arroyo nach Washington, der aber dort die Aufnahme fand, die er erwarten mußte, nämlich gar keine. Er wurde rund und nett abgewiesen.

Der Erzherzog, von der richtigen Überzeugung geleitet, daß er als bloßes Werkzeug der Napoleonischen Politik, als Schützling der französischen Waffen den Mexikanern niemals etwas anderes werden könnte denn eine abenteuerliche Figur einer der abenteuerlichsten Episoden ihrer abenteuerlichen Geschichte, hatte also versucht, sich zu nationalisieren, sich auf eigene Füße zu stellen, die patriotische Partei für sich zu gewinnen und den Argwohn und Groll der Vereinigten Staaten zu entwaffnen. Allein alle diese Versuche, Anläufe und Bemühungen waren so kläglich mißlungen, daß dem Prinzen, wollte er nicht das Klügste tun, d. h. seine Schaumgoldkrone dem nächsten besten Bettler schenken und zur süßen Muße von Miramar zurückkehren, nichts übrigblieb, als sich von neuem auf Gnade und Ungnade in die Arme der Franzosen zu werfen, welche ihm natürlich von da ab sehr deutlich fühlbar machten, wie sie von seiner Kaiserschaft im allgemeinen und von seinen Emanzipationsversuchen im besonderen dachten. Die doppelt peinliche Demütigung, die dies für den österreichischen Prinzen mit sich brachte, hätte er sich ersparen können, falls er sich in betreff der Tauglichkeit, d. h. Untauglichkeit der »gemäßigten Liberalen«, welche dem Kaiserthrone zugefallen waren, keine Illusionen gemacht hätte. Denn von diesem Menschenkehricht, von solchen Spülichtmenschen war schlechterdings nichts zu erwarten, ausgenommen Dummheiten und Feigheiten. Die Halblinge und Hämlinge waren auch in Mexiko so, wie sie überall sind. Zu feig, um ganze Verräter zu sein, fanden sie sich mit ihrem Gewissen dahin ab, daß sie nur halbe sein wollten. Weil der Kaiserschwindel, von französischen Bajonetten gehalten, den Anschein der Realität hatte, so schwindelten diese Herren Realpolitiker mit, selbstverständlich mit dem stillen Vorbehalt, sofort nach dieser oder jener Seite hin abzuspringen, wo sich etwa Gelegenheit böte, einem anderen Erfolg zu huldigen, einer anderen »vollendeten Tatsache« realpolitisch sich anzubequemen, wie das allenthalben und allzeit des Amphibientums Natur und Kunst ist …

Zwischen Maximilian und Bazaine hob nun aber eine Schachpartie an, welche nur mit der Mattsetzung des ersteren endigen konnte. Der Erzherzog sträubte sich fortwährend gegen seine französischen Fesseln, die er doch unmöglich abschütteln konnte, falls er nicht seinem Herrn und Meister in Paris das Danaergeschenk von Krone vor die Füße werfen wollte. Und das wollte er nicht, weil sich sein Stolz dagegen sträubte, nach Hause heimzukehren mit dem Geständnis, er habe die größte Donquichotterie des Jahrhunderts begangen.

Dem Marschall hat man allerhand nachgesagt, und so viel ist gewiß, daß er während der Okkupation Mexikos durch die Franzosen sich selber durchaus nicht vergaß. Man weiß ja, daß französische Marschälle und Generale von derartigen Unternehmungen auch noch solidere Dinge als Gloire mit heimzubringen pflegen. Bazaine war ein praktischer Mann. Er lehnte den Titel eines » Duc de Mexique«, den ihm der Erzherzog anbot, ab; natürlich aus purer Bescheidenheit, in welcher Tugend französische Marschälle und Generale bekanntlich von jeher groß gewesen sind. Dagegen sah er sich mit den Augen seines liebebedürftigen Herzens um unter den schöneren und schönsten Töchtern des Landes oder wenigstens der erreichbaren Gegenden, und sein Stern wollte, daß eine der schönsten oder gar die allerschönste der mexikanischen Sennoritas, die siebzehnjährige Pepita de la Penna, welche aber die ihr von Klätscherin Fama angelogenen »märchenhaften« Reichtümer keineswegs besaß, im Juni 1865 seine Frau Marschallin wurde. Infolge dieser Verbindung soll Bazaine, angeeifert durch den Ehrgeiz seiner jungen Frau, mit dem Plane sich getragen haben, den österreichischen Prinzen zu entfernen und sich selber zum König oder Kaiser von Mexiko zu machen.

Unmöglich ist das nicht. Wahrscheinlich sogar sind dem französischen Oberbefehlshaber, der ja doch, soweit die Gewalt der französischen Waffen in Mexiko reichte, tatsächlicher Gebieter im Lande war, derartige Träume der Ruhm- und Herrschsucht durch den Kopf gefahren. Aber zu einem Versuche, sie zu verwirklichen, ist es nicht gekommen. Wenigstens ist bislang kein Beweis von einiger Verläßlichkeit beigebracht worden, daß ein solcher Versuch wirklich stattgefunden habe. Weiterhin hatte der Marschall allem nach das Recht, über Verleumdung sich zu beklagen, wenn ihm nach dem Eintritt der mexikanischen Katastrophe leise und laut vorgeworfen wurde, er habe das Kaisertum geradezu an die republikanischen Generale verraten und verkauft. Freilich ist es im Interesse der historischen Wahrheit höchlich zu bedauern, daß der vielbesprochene Briefwechsel zwischen Maximilian und Napoleon noch nicht an die Öffentlichkeit gekommen ist; denn er würde ohne Zweifel manche Geheimfalte des Trauerspiels in Mexiko bloßlegen. Allein bei jetziger Aktenlage ist, wenn man gerecht sein will, kein anderes Urteil möglich als dieses, daß Bazaine durchweg und bis zuletzt nach seinen Instruktionen gehandelt und nur die Befehle seines Herrn, des Kaisers der Franzosen, vollzogen habe.

11.
Ein Todesurteil, das sich einer selber schreibt.

Die Franzosen haben behauptet – und zwar mit jener Zuversicht, womit sie derartige Behauptungen aufzustellen gewohnt sind – daß zu Anfang des Jahres 1865 die Aufgabe, die ihnen der Wille ihres Kaisers und das Vertrauen des mexikanischen Vasallen desselben in Mexiko gestellt hatte, in umfassender Weise gelöst gewesen sei. Dem Lande sei Ruhe und Frieden zurückgegeben gewesen, die »nationale« Armee auf guten Grundlagen organisiert, das Verwaltungswesen neu eingerichtet und eine wirksame Kontrolle hergestellt. Alle die Veranstaltungen, Organisationen und Einrichtungen der Franzosen seien aber durch die Unfähigkeit, Sorglosigkeit und Trägheit der Minister Maximilians und seiner Regierung überhaupt gelähmt, verwirrt und unwirksam gemacht worden.

An diesem Vorwurf ist etwas Wahres, sogar viel. Allein nicht minder wahr ist, daß die Franzosen, indem sie in Mexiko in ihrer Weise »an der Spitze der Zivilisation marschierten«, d. h. nach der französischen Regierungsschablone organisierten und regierten, nur ein großes Kartenhaus von Zivil- und Militärverwaltung zuwege brachten, das hinter ihren abmarschierenden Kolonnen sofort zusammenstürzte.

Man muß auch hervorheben, daß wahrheitliebende Franzosen selber keineswegs nur die Regierung Maximilians oder den Prinzen persönlich für diesen Zusammensturz verantwortlich gemacht haben. So ein Franzose hat diese zwei Fragen getan: »Trug nicht die eigentliche Schuld die französische Regierung, da sie mit ungeheuren, von der öffentlichen Meinung verabscheuten Opfern in Mexiko eine Dynastie gründen wollte und dieser Dynastie doch nur vierzig Millionen aus zwei starken Anleihen zukommen ließ, während sie selber dadurch 500 Millionen sich verschaffte, welche die Dummheit geköderter und getäuschter Darleiher ihr darbot? Hieß das nicht wissentlich ein totgeborenes Reich in die Welt setzen?«

Diese vernichtenden Fragen konnten nur der Moniteur und seinesgleichen zu verneinen wagen.

Indessen schien im Jahre 1865 noch alles gut zu gehen. Die mobilen Kolonnen der Franzosen durchzogen das weite Gebiet der Republik, und nur mühselig hielten die republikanischen Generale, im Norden insbesondere Negrete, im Süden Diaz, unter wechselnden Erfolgen noch das Feld. Die »nationale« Armee war auf 35 000 Mann gebracht, und hierzu kamen 6545 Österreicher und 1324 Belgier. So verfügte die Regierung des Erzherzogs, das französische Heer gar nicht mitgerechnet, über eine Streitmacht von 43 520 Mann mit 12 482 Pferden, und einzelne kaiserliche Generale, vor allen Mejia, leisteten an der Spitze dieser Streitmacht Tüchtiges.

Allein schon war außerhalb der Grenzen Mexikos der Schicksalsschlag gefallen, der den Thron des österreichischen Prinzen zertrümmern sollte. Mit dem Beginn des Frühlings von 1865 neigte sich die Rebellion der Südstaaten ihrem Untergang zu. Am 28. März hoben Grant und Sheridan, nachdem die Rebellenarmee unter Lee den eng und enger sie umstrickenden Kreis der Unionsheere vergeblich zu durchbrechen versucht hatte, die allgemeine Vorwärtsbewegung an, die zu der fünftägigen Schlacht bei Petersburg und Richmond führte. Der Sieg der Union war vollständig, die Vernichtung der Rebellion unbedingt, und die Ermordung des Präsidenten Lincoln am 14. April durch einen Fanatiker der Sklavenjunkerei konnte dieser nur noch ein weiteres Schandmal aufdrücken. Die große transatlantische Republik stand siegreich da und um so glorreicher, da sie gegen ihre besiegten Todfeinde eine Milde und Großmut bewies, wie solche im ganzen Verlauf der Weltgeschichte noch nie und nirgends vorgekommen war und wie sie dem Monarchismus eine glühende Schamröte auf die Stirn hätte jagen müssen, falls dieser große Herr derartigen »bürgerlichen« Anwandlungen überhaupt zugänglich wäre. Die Demokratie hatte durch diesen und in diesem Kampf eine Lebensfähigkeit und Kraft erwiesen, die selbst ihre Freunde ihr nicht zugetraut hatten, und die ihren Feinden gewaltigen Respekt einflößte.

Man muß übrigens gestehen, daß man am Pariser Hofe die ganze Bedeutung und Tragweite des Sieges der Union über die südstaatliche Rebellion wohl verstand und zu würdigen wußte. Der imperialistische Adler ließ jetzt die Flügel merkwürdig hängen, während er sie ein Jahr zuvor bei Übergabe der obenerwähnten Note Sewards hochmütig gespreizt hatte. Damals, im April 1864, hatte Napoleons III. Oberkommis für die auswärtigen Angelegenheiten, Monsieur Drouyn de Lhuys, den amerikanischen Gesandten vom hohen Roß imperialen Allmachtgefühls herab gefragt: »Wollen Sie Frieden oder Krieg?« Ganz so, als wollte der Herr Oberkommis sagen: Einen Krieg mit euch Yankees sehen wir für ein Ding an, das man so nebenbei abmacht. Nun aber, Anno 1865, machte schon die Möglichkeit dieses Dinges ein so drohendes Gesicht, daß die Tuilerienpolitik geraten fand, schleunigst von dem erwähnten hohen Rosse herabzusteigen und klein, sehr klein beizugeben.

Im » Palacio imperial« zu Mexiko war man weit weniger gut über die Bedeutung des Triumphes der Union unterrichtet. Ja, man wähnte, daß von dorther für das mexikanische »Kaisertum« gar nichts zu besorgen sei. Dies tut unwiderleglich dar, daß die Illusionen des österreichischen Prinzen zu dieser Zeit noch in voller Blüte standen und daß diese Illusionen unendlich viel länger waren als sein Verstand. Zu seiner Entschuldigung darf und muß jedoch gesagt werden, daß gegen den Herbst von 1865 hin die Lage des Republikanismus in Mexiko eine ganz verzweifelte zu sein schien. Eine so verzweifelte, daß der Erzherzog bei seiner Unkenntnis des mexikanischen Volkscharakters wohl der Täuschung sich überlassen konnte, jeder nennenswerte Widerstand gegen seine Kaiserschaft sei zu Ende und es handle sich nur noch darum, den Überresten der »Dissidenten«, den etwa noch widerstrebenden »liberalen« Elementen energisch den Meister zu zeigen. Alle Hauptstädte und Häfen des weiten mexikanischen Gebiets befanden sich ja, nur wenige ausgenommen, in den Händen der Franzosen und der »Kaiserlichen«. Französische Kolonnen waren sogar bis nach dem entlegenen Chihuahua vorgedrungen, wo der Präsident Juarez und seine Wanderregierung ein Asyl gefunden hatte. Infolge dieser Okkupation hatte der Präsident nach Paso del Norte entweichen müssen, dem in nordöstlicher Richtung äußersten Grenzort Mexikos am Rio Grande, jenseits dessen das Gebiet der Vereinigten Staaten anhebt. Es hieß sogar, Juarez habe den mexikanischen Boden ganz verlassen, was jedoch nicht zutraf.

Der Erzherzog glaubte es aber und hielt seine Herrschaft jetzt für unbestritten. Er wußte nicht, daß Juarez auch vom äußersten Grenzort aus seinen Widerstand mit ungebrochener Zähigkeit fortsetzen und daß die republikanische Fahne bald wieder da und dort im Felde flattern würde. So beschloß er denn, die eine Hand versöhnlich gegen die »Liberalen« auszustrecken, zugleich aber die andere drohend zu erheben. Der Prinz versammelte demnach seinen Ministerrat und legte ihm ein Dekret vor, das, wähnte er, zugleich beruhigend und vernichtend wirken sollte. Im Eingang dieses Aktenstücks war gesagt, daß der »Kaiser« alle redlichen und tüchtigen Männer des Landes um sich zu versammeln wünsche und daß er zum Beweise dessen dem Benito Juarez den Vorsitz im höchsten Gerichtshof anbieten wolle. Dann schlug aber der milde Mollton plötzlich in die brutalste Durtonart um. Die Republikaner, d. h. die rechtmäßigen Verteidiger des Bodens ihres Vaterlands gegen eine diesem mit unerhörter Perfidie auferlegte Invasion und Usurpation, wurden ohne weiteres zu »Banditen, Straßenräubern und Verbrechern« gemacht und für »vogelfrei und außerhalb des Gesetzes stehend« erklärt, die republikanischen Heerhaufen als »Banden« bezeichnet. Jedes ergriffene Mitglied einer solchen »Bande« sollte unerbittlich zum Tode durch Erschießen verurteilt und dieses Urteil binnen 24 Stunden vollzogen werden.

Dies ist das berüchtigte Dekret vom 3. Oktober 1865. Der Erzherzog hat es mit eigener Hand vom ersten bis zum letzten Buchstaben geschrieben und hat sich damit sein eigenes Todesurteil geschrieben.

Der Krieg war schon bislang mörderisch genug geführt worden, wenigstens von seiten der Franzosen und der »Kaiserlichen«, welche in wahrhaft barbarischer Weise ihre republikanischen Gefangenen als »Banditen« behandelten, während – es ist eine unbestreitbare Tatsache – bis dahin Juarez und die meisten seiner Generale ihre französischen und »kaiserlichen« Gefangenen mit großer Milde und Menschlichkeit behandelt hatten.

Die sämtlichen Minister des Erzherzogs unterfertigten nach ihm das verhängnisvolle Dokument. Allein diese Herren haben nachmals Sorge getragen, zu verhüten, daß die Wucht des Morddekrets auch sie erdrückte; sie haben sich nämlich beizeiten aus dem Staube gemacht und nach Frankreich gerettet. Der Marschall Bazaine hat, wenn man französischen Quellen glauben darf, seine Einwilligung zu dem Blutmanifest nur zögernd und widerwillig gegeben. Gewiß ist, daß er die Ausführung des Dekrets nicht hinderte, sondern energisch förderte. Zu Dutzenden, zu Hunderten sind mexikanische Republikaner diesem grausamen Erlasse zum Opfer gefallen. Erbarmungslos wurden den Vorschriften desselben gemäß die beiden gefangenen republikanischen Generale Salazar und Arteaga erschossen, vielbetrauerte Märtyrer für die Unabhängigkeit ihres Landes. Warum haben die gefühlvollen Knechtsseelen in Europa, die ein so wütendes Gezeter erhuben, als das Dekret vom 3. Oktober auf seinen Verfasser zurückfiel, nicht auch diese Standrechtsschüsse gehört? Sind Männer, welche in der Erfüllung heiligster Pflichten sterben, etwa weniger beklagenswert als ein ehrgeiziger Romantiker, auf den ein von ihm selbst geschleuderter Stein zurückprallte? Der Prinz war ja ein Stück von einem Poeten und ein Kenner der poetischen Literatur. Wohl ihm, wenn ihm, als er sich hinsetzte, sein blutiges Edikt zu verfassen, der Warnungsruf der genialsten deutschen Dichterin zu Sinne gekommen wäre:

»Wirfst du den Stein, bedenke wohl,
Wie weit ihn deine Hand mag treiben!«

Das Oktoberdekret, das den Republikanismus förmlich ächtete, rief in den Vereinigten Staaten einen allgemeinen Wutschrei hervor und hat natürlich nicht wenig dazu beigetragen, dort den Kredit des Präsidenten Juarez zu erhöhen, so daß er zu dieser Zeit in Neuyork eine mexikanische Anleihe von 30 Millionen Dollars machen konnte; sowie nicht weniger dazu, seiner Fahne immer mehr nordamerikanische Freiwillige zuzuführen, und endlich dazu, das Kabinett von Washington zu energischem Auftreten zu treiben.

Der Gang der Nemesis, gewöhnlich ein sehr langsamer und hinkender, hier war er einmal rasch und fest.

Der Präsident Johnson und seine Minister vermochten natürlich unschwer zu erkennen, daß der unbequeme und anmaßliche Kaiserschwindel in Mexiko verschwinden müßte, sobald die französische Armee aus dem Lande verschwunden sein würde. Hierauf richteten sie ihr nächstes Absehen. Die Regierung von Washington hatte aber zum Vorgehen gegen die Okkupation Mexikos durch die Franzosen noch ein zweites mächtiges Motiv. Sie wollte Napoleon III. sein feindseliges Verhalten gegen die Union zur Zeit ihrer Bürgerkriegsbedrängnis büßen lassen; wollte ihm zeigen, daß er nicht ungestraft davon geträumt haben sollte, einen Todesstoß in das Herz des Republikanismus zu tun; wollte endlich mittels des Umsturzes von Maximilians Thron nicht allein dem Bonapartismus eine bittere Demütigung bereiten, sondern auch der französischen Eitelkeit und Überhebung eine eindringliche Lehre geben.

Schon am 6. Dezember 1865 stellte der Staatssekretär Seward dem aus Mexiko nach Washington versetzten und am ersteren Orte durch einen Herrn Dano ersetzten französischen Gesandten Montholon eine Note zu, worin bestimmt erklärt war, daß die französische Intervention und Invasion in Mexiko ein Ende nehmen müßte, weil mit den Prinzipien der Vereinigten Staaten in keiner Weise vereinbar. Schon am 9. Januar 1866 gab in Paris der früher so patzige Oberkommis Drouyn de Lhuys die demütige Antwort: »Die französische Regierung ist bereit, die Rückberufung ihrer Truppen aus Mexiko nach Möglichkeit zu beeilen.«

Man hatte sich also in den Tuilerien entschlossen, den verhaßten Yankees unbedingt ihren Willen zu tun und das unter dem Gelärm aller Trompeten und Pauken des Chauvinismus in Szene gesetzte mexikanische Abenteuer aufzugeben. Gut soweit. Man hatte eine kolossale Dummheit begangen und sah sich nun in der Lage, diese Dummheit, obwohl unter allerlei Verblümungen und Verkleisterungen, eingestehen zu müssen. Dummheiten zu machen, wenn auch nicht gerade so kolossale und so kostspielige, kann jedermann passieren, und es ist daher keine übergroße Schande, zu bekennen, daß man dumm gewesen. Aber was ist zu der folgenden Tatsache zu sagen?

Zu der Zeit, als der Tuilerienhof bereits entschlossen war, das mexikanische Abenteuer aufzugeben, erhielt der Erzherzog immer noch Briefe vom Kaiser der Franzosen, worin ihm dieser bestimmte Verheißungen wirksamer Unterstützung machte, und diesen Briefen folgten andere auf dem Fuße nach, welche, von der französischen Regierung an ihre Agenten in Mexiko gerichtet, diese Unterstützung untersagten und namentlich verboten, dem armen Schattenkaiser Geldvorschüsse zu machen, ohne die er doch schlechterdings nicht existieren konnte, wie man in Paris ganz gut wußte.

Kein Zweifel, zu der Zeit, als Napoleon III. noch immer Hilfeverheißungsbriefe an den Erzherzog schrieb, war der mexikanische Kaiserschwindel in den Tuilerien bereits aufgegeben. Wie heißt es doch beim alten Cicero? » Ubi facta loquunter, non opus est verbis« (Wo Tatsachen sprechen, braucht es keiner Worte).

Freilich, dieser rücksichtslose Bruder Jonathan da drüben hatte nun einmal die vertrackte »Notion«, daß mit dem widerwärtigen Schwindelding in Mexiko rasch aufgeräumt werden müßte. Quer das, sehr quer für den »Neffen des Onkels«, den die feige Niedertracht der Alten Welt seit vierzehn Jahren in einen solchen Allmachtdusel hineingespeichelleckt hatte, daß er gewähnt, er werde auch der Neuen Welt nur so nebenbei und zu seinem Privatvergnügen seine Träume als Gebote auferlegen können. Um die Unpopularität des mexikanischen Unternehmens in Frankreich hätte sich Napoleon III. keinen Pfifferling gekümmert und auch nicht zu kümmern gebraucht, wohl wissend, daß die Mode des » Ruere in servitium« unter den Franzosen noch für einige Zeit vorhalten würde. Aber Bruder Jonathan sagte: Fort mit den Frenchmen aus Mexiko, kalk'lir ich! und die Frenchmen gingen …

In der diplomatischen Sprache machte sich das allerdings höflicher, jedoch nicht eben viel. Am 12. Februar 1866 richtete Herr Seward an den französischen Gesandten zu Washington wiederum eine Note, worin dem Tuilerienhof höchst unliebsame Wahrheiten gesagt wurden. Z. B.: »Ich muß dabei beharren, daß, welche Absichten und Gründe Frankreich dazu gehabt haben mag, die von einer gewissen Klasse von Mexikanern zum Sturze der republikanischen Regierung und zur Aufrichtung eines Kaiserthrons angewandten Mittel in den Augen der Vereinigten Staaten als ohne die Autorisation des mexikanischen Volkes ergriffen und gegen den Willen und die Meinung desselben in Ausführung gebracht betrachtet werden müssen.« In diesem Tone ging es fort bis zum Schlusse, wo dann erklärt wurde, die Union erwarte des bestimmtesten, daß »der Kaiser der Franzosen sofort mit Bestimmtheit erklären werde, die Tätigkeit seiner Armee in Mexiko einstellen und sie nach Frankreich zurückrufen zu wollen, ohne irgendeine Stipulation oder Bedingung von ihrer (der Union) Seite«. Und als ob auch dies noch nicht deutlich genug wäre, wurde die Wermutsdosis geradezu verdoppelt, indem Seward kundgab: »Es ist die Ansicht des Präsidenten (Johnson), daß Frankreich die versprochene Heimberufung seiner Truppen nicht um einen Augenblick verzögern darf.« Endlich forderte noch die Note von Frankreich die bestimmte Zeitangabe dieser Heimberufung.

Der Tuilerienhof hatte sich beeilt, diesen Forderungen teilweise noch zuvorzukommen. Denn schon unterm 14. Januar hatte Monsieur Drouyn de Lhuys an den französischen Gesandten in Mexiko geschrieben: »Unsere Okkupation muß ein Ende nehmen, und wir müssen uns ohne Verzug darauf vorbereiten. Es ist der Wunsch des Kaisers, daß die Räumung gegen den nächsten Herbst zu beginnen könne.« Am folgenden Tage schrieb der Minister abermals und faselte die Kreuz und die Quer von der Fürsorge der französischen Regierung für das glorreiche Werk, das sie unternommen, und von ihrer Sympathie für den Kaiser Maximilian. Hart neben diesem albernen Gerede von dem »glorreichen Werk«, das man so unglorreich aufzugeben im Begriffe war, stand aber doch das Bekenntnis, es sei »für eine sich bildende Regierung der gefährlichste aller Vorwürfe, nur durch fremde Truppen gehalten zu werden«. Ganz richtig! Aber warum war denn der Tuilerienhof in den Besitz dieser Wahrheit und Weisheit erst jetzt gelangt, erst jetzt, nachdem das Kabinett von Washington erklärt hatte, es könne und werde die »fremden Truppen« nicht mehr länger in Mexiko dulden.

Wie verhielt sich sodann die kundgegebene Absicht der französischen Regierung, das mexikanische Unternehmen möglichst rasch fallen zu lassen, zu den Bestimmungen des Vertrags von Miramar, welche dem »Kaiser« Maximilian auf so und so lange die Unterstützung Frankreichs zusicherten? Oh, darüber brauchte man sich weiter keine Skrupel zu machen. Man hatte ja die berühmte Fabel von dem Lamm, welches dem Wolfe das Wasser trübt, als Vorbild schon zur Hand. Der arme Maximilian mußte an allem schuld sein. Schon in seiner Depesche vom 14. Januar hatte der französische Minister diesen Ton angeschlagen, indem er schrieb, es sei festgestellt, daß »der Hof von Mexiko ungeachtet seines guten Willens in der anerkannten Unmöglichkeit sich befände, die Bedingungen von Miramar fürder zu erfüllen«, d. h. die französischen Truppen zu bezahlen.

Dies war das Präludium zur Zerreißung des Vertrages von Miramar durch den Tuilerienhof, der, streng genommen, formell dazu nicht ganz unberechtigt war, aber doch wohl wissen mußte, daß jener Vertrag ihm eine moralische Verpflichtung auferlegt hatte, von welcher nichts, aber auch gar nichts ihn entbinden konnte als das » Car tel est notre plaisir«, welches der Mächtige dem Hilflosen zuherrscht.

Um den Riß weniger kreischend zu machen, d. h. die Einwilligung des Erzherzogs zur Beseitigung des plötzlich so unliebsam gewordenen Vertrags zu erhalten, wurde im Januar 1866 der Baron Saillard nach Mexiko geschickt, mußte aber unverrichteter Dinge nach Europa zurückkehren. Maximilian konnte dem Begehren Napoleons unmöglich entsprechen und sandte, seine Weigerung zu begründen, ein vertrauliches Schreiben an den Kaiser der Franzosen, dessen Überbringer der General Almonte war.

Der arme Schattenkaiser erwartete von dieser Sendung einen Erfolg, von dem schon gar keine Rede mehr sein konnte. Sehr begreiflich aber, daß er noch hoffte, weil er von seiten des Tuilerienhofs über dessen eigenes fatales Mißverhältnis zu den Vereinigten Staaten ganz und gar im dunkeln gelassen wurde. Noch zu Ende Mai wußte der Erzherzog nichts davon, daß Napoleon sich hatte entschließen müssen, vor dem Willen der Union die französische Flagge in Mexiko zu streichen. Beweis für dieses sein Nichtwissen ist der Brief, den der Prinz am 28. Mai zu Chapultepek an Bazaine schrieb, als er erfahren hatte, daß Juarez aus Paso del Norte nach Chihuahua zurückgekehrt sei, welche Stadt nach dem Abzuge der Franzosen sofort dem Präsidenten wieder ihre Tore aufgetan hatte.

Mit der Naivität eines Kindes und der leichterregbaren Phantasie eines Poeten schrieb der Erzherzog an den Marschall: »Ganz unzweifelhaft liegt es nicht weniger im Interesse Ihres glorreichen Souveräns, meines erhabenen Bundesgenossen, des Kaisers Napoleon, als in dem meinigen, den Anmaßlichkeiten des Kabinetts von Washington eine Ende zu machen, und zwar dadurch, daß man den Juarez aus seiner letzten Hauptstadt vertreibt.« Er wähnte also, sein »erhabener Bundesgenosse« würde mit ihm zusammen gegen das Sternenbanner angehen. Armer Poet!

12.
Die Fahrt in den Wahnsinn.

Mit dem Beginn des Jahres 1866 konnte sich in Mexiko kein sehender und hörender Mensch mehr darüber täuschen, daß es mit dem Kaiserschwindel rasch abwärts ginge. Alles Deliberieren, Dekretieren und Ediktieren im » Palacio imperial« half nichts. Die republikanische Fahne erschien überall wieder im Felde und in demselben Verhältnisse, in welchem die Franzosen aus den entfernteren Landschaften sich zurückzogen und gegen die Hauptstadt hin sich zusammenzuscharen begannen, schritt die »Rebellion«, d. h. der neubelebte rechtmäßige Widerstand gegen die fremde Usurpation, ebenfalls gegen jenen Zentralpunkt hin vor.

Den Streitern für die Unabhängigkeit ihres Landes kam es sehr zustatten, daß ihre Gegner untereinander in ewigem Genörgel und Gezänk lagen. Die Franzosen wurden auch von ihren Verbündeten, den »Kaiserlichen«, geradezu gehaßt. Die österreichischen Fremdenlegionäre verstanden sich nicht mit den belgischen und beide zusammen weder mit den »Kaiserlichen« noch mit den Franzosen, welch letztere natürlich die allgebietenden Herren spielten, spielen konnten und auch wohl spielen mußten, wenn das Lotterwerk von Kaisertum überhaupt noch einigermaßen zusammenhalten sollte.

Das Verhältnis des Erzherzogs zu dem französischen Oberbefehlshaber, von Anfang an und seiner Natur nach das unerquicklichste von der Welt, mußte an Verbitterung von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde zunehmen, besonders von da ab, als der Marschall in Kenntnis gesetzt war, daß man in Paris den Entschluß gefaßt hätte, den mexikanischen Kaiserschwindel fallen zu lassen. Bazaine erfuhr das zunächst in mittelbarer Weise, und zwar dadurch, daß, als er zu Anfang Februar 1866 dem Bitten und Betteln der »kaiserlich« mexikanischen Regierung um einen Geldvorschuß noch einmal willfahrt hatte, der Tuilerienhof ihm seine Mißbilligung und die Weisung zukommen ließ, fürder kein Geld mehr herzugeben. Die Folge davon war, daß ganze Bataillone der »kaiserlichen« Armee aus Mangel an Sold und Brot sich auflösten und zu den Republikanern überliefen. Es wurde dem Marschall zur gleichen Zeit von Paris aus zur Pflicht gemacht, die Mitwirkung der französischen Armee zur Aufrechterhaltung des Kaiserthrons nach und nach einzustellen. Schon Ende Januar 1866 erhielt er von Hause die Weisung: »Sie haben sehr klug gehandelt, daß Sie Ihre Truppen zwischen San Luis, Aguas-Calientes und Matehuala zussmmenzogen. Unsere militärische Rolle (in Mexiko) muß nachgerade aufhören. Der Klagen Maximilians ungeachtet wollen wir nicht einen einzigen Soldaten mehr hergeben.«

Diese »Klagen« des Erzherzogs waren zugleich Beschwerden über den Marschall, welche gar reichlich in den Tuilerien einliefen. Ob Bazaine wohl nichts davon erfuhr, daß ihn »Los Emperadores« bei seinem Kaiser verklagten, während sie im persönlichen und schriftlichen Verkehr von Artigkeit und sogar von »Freundschaft« gegen ihn förmlich überflossen? Das ist schwerlich zu glauben. Man wird wohl nichts verabsäumt haben, was den Marschall instand setzen konnte, sein Gebaren so einzurichten, daß es dazu mitwirken müßte, den Erzherzog »zu extremen Entschlüssen zu treiben«, die der Tuilerienhof schon zu Ausgang Mai von dem Prinzen erwartete. Unter den extremen Entschlüssen verstand Napoleon III. zweifelsohne den Nächstliegenden Entschluß des Erzherzogs, die verzweifelte Kaiserschwindelpartie aufzugeben, »seinem erhabenen Bundesgenossen« die Rauschgoldkrone vor die Füße zu werfen und heimzugehen. Der Kaiser der Franzosen hätte es sich schon gefallen lassen, wenn es dabei auch nicht allzu höflich hergegangen sein würde. Wäre es doch noch immer die wohlfeilste Manier gewesen, aus dem nachgerade zu einem furchtbaren Skandal ausschlagenden mexikanischen Unternehmen rasch herauszukommen.

Allein Maximilian war doch nicht ganz so, wie ihn Bazaine seinerseits in seinen Depeschen an den Franzosenkaiser abmalte, – nicht lichtbildlich abmalte, bewahre! sondern so, daß man in den Tuilerien auf die Idee kam, dieser österreichische Prinz ließe sich alles bieten und würde und müßte am Ende froh sein, wenn man die Rücksicht gegen ihn so weit triebe, daß ihm die Möglichkeit offen gehalten würde, mit heiler Haut aus diesem verwünschten Mexiko herauszukommen.

Allerdings, mit »extremen Entschlüssen« hat sich der Erzherzog zu dieser Zeit getragen, nur mit anderen, als sein »erhabener Bundesgenosse« voraussetzte und wünschte. Eines Tages ist ihm nach einer unliebsamen Szene mit Bazaine das Wort entfahren: »Quält man mich zu sehr, so stecke ich meine Krone in die Tasche und lasse mich zum Präsidenten wählen.« Der Unglückliche trug sich demnach mit dem Wahn, er könnte nur so aus dem Kaisertum in die Republik hinüberspringen. Er vergaß ganz und gar, daß es für die mexikanischen Republikaner eine bare Unmöglichkeit, das Werkzeug Napoleons III. als ihr Oberhaupt anzuerkennen.

Es untersteht keinem Zweifel und erklärt sich auch ganz deutlich aus den Umständen, daß der Erzherzog allmählich dazu gekommen war, die Franzosen zu hassen, tüchtig zu hassen, nur um so tüchtiger sie zu hassen, je mehr er fortwährend auf ihren Beistand angewiesen war und blieb. Stand es doch im Juli 1866 mit der »kaiserlichen« Regierung so jammerhaft, daß bei der gänzlichen Unfähigkeit seiner halbliberalen Minister Maximilian sich entschließen mußte, die beiden Franzosen Osmond und Friant ins Ministerium zu berufen, um die aus Rand und Band gehende Regierungsmaschine wieder einigermaßen einzurenken. Natürlich konnte das den beiden Franzosen beim besten Willen auch nicht gelingen, und doch wäre dies Gelingen gerade jetzt um so dringlicher vonnöten gewesen, als die republikanischen Angriffsstöße auf das wacklige Ding von Kaisertum an Kraft und Wucht zunahmen, insbesondere durch die drohenden Operationen der beiden republikanischen Generale Eskobedo und Kortina gegen den »kaiserlichen« Mejia. Dennoch hielt Maximilian aus, und es war keine Phrase, sondern ein aufrichtiger Entschluß, als er um diese Zeit öffentlich die Äußerung tat: »Ich will das Heil Mexikos; die Kraft mag mir versagen, der Wille wird es nie!«

Aber was hatte dieser Wille »zum Heile Mexikos« vermocht? Nichts. Was vermochte er noch? Nichts mehr. Zu Ausgang Juli erfuhr der Erzherzog, daß die Sendung Almontes vollständig gescheitert war. Der langen Antwortnote, die das Tuilerienkabinett auf die Darlegungen und Bitten von seiten Almontes ergehen ließ, kurzer Sinn war dieser, daß dem armen Schattenkaiser setzt plötzlich erklärt wurde, die französische Okkupation Mexikos müßte aufhören, und es würde dem Marschall Bazaine der Befehl zugehen, die Armee mit aller möglichen Beschleunigung in die Heimat zurückzuführen und dabei nur auf die militärische Konvenienz und auf die technischen Fragen Rücksicht zu nehmen, über welche die Entscheidung ihm allein zustände.

Freilich war das vorerst nur bedingterweise hingestellt und angedroht, aber gerade hierin lag eine unqualifizierbare Perfidie. Die französische Regierung handelte unter dem Drucke des Kabinetts von Washington, das durch seinen Gesandten in Paris unablässig wiederholen ließ: »Macht, daß ihr aus Mexiko fortkommt!«, alle Veranstaltungen von seiten Frankreichs nach jener Richtung hin argwöhnisch überwachte und auch in Wien zu bemerkem gab, daß es die Absendungen von Verstärkungen für die österreichische Legion in Mexiko nicht dulden würde. Napoleon III. und seine Ministerkommis hüteten sich aber wohl, dem Erzherzog zu sagen, daß man ihnen und wer ihnen befohlen habe, in Mexiko nicht länger »an der Spitze der Zivilisation zu marschieren«. Das hätte ja eingestehen heißen, daß es denn doch noch etwas Mächtigeres gäbe als das Bonapartesche »Prestige« und etwas Prächtigeres als den Napoleonischen »Stern«. Das böse Lamm mußte also dem frommen Wolfe das Wasser getrübt haben. In rauhen, um nicht zu sagen rohen Ausdrücken wurde dem armen Schattenkaiser vorgeworfen, daß er seinen finanziellen Verpflichtungen gegen Frankreich nicht nachgekommen sei, und deshalb betrachte Napoleon auch seinerseits den Vertrag von Miramar als nicht mehr bestehend.

Die Wahrheit ist aber, daß der österreichische Prinz mit größter Gewissenhaftigkeit jenen Verpflichtungen nachgekommen war, und daß seine Regierung zur Stunde, wo ihm der zerrissene Vertrag von Miramar vor die Füße geworfen wurde, dem französischen Staatsschatze nicht mehr schuldete als etwa 400 000 Franken, also eine wahre Bagatelle, um welcher willen ein solches Geschrei zu erheben wahrhaft lächerlich war. Ruft man sich noch dazu ins Gedächtnis zurück, daß Maximilian und seine Regierung von den Hunderten von Millionen der verschiedenen »mexikanischen Anleihen« nicht mehr als höchstens 48 Millionen erhalten haben, so liegt die klägliche Hinfälligkeit der finanziellen Argumente, womit der Tuilerienhof dem von ihm in die Welt gesetzten mexikanischen Kaiserschwindel zu Leibe ging, offen am Tage.

Warum hat denn die Napoleonische Regierung nicht zu dem Erzherzog gesagt: »Die Union will weder deinen noch überhaupt einen Thron in Mexiko, und wir wollen dich und deinen Thron nicht gegen die Yankees schützen, weil wir es nicht können« –? Warum hat sie, statt diese ehrliche Sprache zu führen, zu den jämmerlichen Finanzkniffen und Gläubigerpfiffen gegriffen, um den Schattenkaiser zu vermögen, das zu tun, was sie von ihm haben wollte, d. h. seine Thronentsagung und Heimreise? Die Antwort ist leicht zu finden. Der Tuilerienhof tat so, weil er seinen Hochmut nicht so weit beugen wollte, einzugestehen, daß die ganze mexikanische Windbeutelei eine kolossale Dummheit, ein toller Rechnungsfehler gewesen sei; er tat so, weil er sich schämte, zu bekennen, daß er sehr pressiert sei, den ganzen Schwindel fahren zu lassen, und zwar auf das Kommando von seiten der Union; und endlich tat er so, weil er, das Verderben Maximilians nach dem Abzuge der Franzosen voraussehend, dennoch das Odium, dieses Verderben verschuldet zu haben, nicht auf sich laden wollte.

Die krummen Wege führen aber doch auch nicht immer und überall ans Ziel.

In seiner Antwort auf die durch Almonte in Paris vorgebrachten Wünsche und Bitten des Erzherzogs forderte das französische Kabinett statt des Vertrags von Miramar, den es mit Füßen trat, barsch einen neuen, dessen Hauptbestimmung sein müßte, daß die Hälfte der Hafenzolleinnahmen von Veracruz und Tampico, also die letzten Hilfsmittel der »kaiserlich« mexikanischen Regierung, fürder unmittelbar in die französische Staatskasse fließen sollte. Man wußte in Paris, daß dies dem mexikanischen »Kaisertum« seinen letzten finanziellen Halt entziehen würde; aber das wollte man ja gerade. Wollte der Erzherzog diesen neuen Vertrag nicht annehmen, so sollte Bazaine die französische Armee möglichst rasch einschiffen und den Prinzen seinem Schicksal überlassen.

Auf den persönlichen Untergang Maximilians hatte man es selbstverständlich in Paris nicht abgesehen. Im Gegenteil, man hoffte ihn zu retten, indem man ihm keine andere Wahl ließe als diese, mit der abziehenden französischen Armee ebenfalls abzuziehen. Allein der Rechenkünstler in den Tuilerien verrechnete sich abermals. Er kannte den Romantiker, mit dem er zu tun hatte, wenig.

Der erste Schreckensschlag, den die Willensmeinung Napoleons im » Palacio imperial« tat, schien freilich alle romantischen Dünste zerstreuen und dem Erzherzog das Vollgefühl seiner verzweifelten Lage geben zu wollen. Er äußerte, wie wohl bezeugt ist: »In bin geprellt ( joué!). Es bestand eine förmliche Übereinkunft zwischen dem Kaiser Napoleon und mir, ohne welche ich den Thron niemals angenommen hätte. Diese Übereinkunft garantierte mir unbedingt die Unterstützung durch französische Truppen bis zum Ende des Jahres 1868.«

Maximilian sprach die Wahrheit, aber mit der Wahrheit kommt man bekanntlich nicht weit in der Welt.

Wäre er nur seinem richtigen Instinkt gefolgt, der ihn antrieb, am 7. Juli seine Rauschgoldkrone abzutun. Schon hatte er die Feder eingetaucht, um seine Thronentsagung niederzuschreiben, als eine Frauenhand seine Hand zurückhielt, die Hand der Erzherzogin, die dem Kaiserintraum unlieber entsagte als ihr Gemahl dem Kaisertraum.

Das war nun gerade so, als hätte die übelberatene Charlotte das Todesurteil, das Maximilian am 3.Oktober 1865 sich selber geschrieben hatte, ihrerseits jetzt mitunterzeichnet.

Der Ehrgeiz dieser Frau griff nach einem Strohhalm, griff zu dem Wahne, es würde und müßte ihr gelingen, den »erhabenen Bundesgenossen« umzustimmen, wenn sie persönlich vor ihm erschiene. Man müßte darüber auflachen, wenn es nicht zum Weinen wäre.

Die Erzherzogin wußte ihren Gemahl für ihre Absicht zu stimmen und zu gewinnen, für die Absicht, unverweilt nach Europa zu gehen, um in Paris und in Rom zu unterhandeln, d. h. zu bitten. Napoleon sollte nicht nur das Verbleiben der französischen Armee in Mexiko, sondern auch eine Verstärkung derselben bewilligen, sodann den Marschall Bazaine durch eine handlichere Persönlichkeit ersetzen und endlich ein Darlehen von 36 Millionen gewähren. Der Papst sollte um ein Konkordat angegangen werden, das die Rechte des Klerus sicherstellte, zugleich aber auch den Inhabern der eingezogenen und veräußerten Kirchengüter Beruhigung gewährte. Würde die Erzherzogin weder in Paris noch in Rom zum Zwecke gelangen, so sollte der Erzherzog die Krone niederlegen, um seiner Frau nach Europa zu folgen.

Am 9. Juli reiste die Prinzessin aus Mexiko ab. Um das Reisegeld zu beschaffen, hatte man einen kühnen Griff tun müssen, wie sie zu seiner Zeit der fromme Miramon in der Übung gehabt, einen Griff in das Gemeingut der Hauptstadt, in die sogenannte »Wasserkasse«, wo die zur Unterhaltung der städtischen Dämme bestimmten Gelder deponiert waren.

Während die Erzherzogin auf dem Meere schwamm, setzte der Erzherzog sein Regieren fort, wie es eben gehen, d. h. nicht gehen wollte. Die Republik und ihre rechtmäßige Regierung gewannen von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde wieder mehr Boden. Ihre berittenen Guerilleros durchstreiften alle Provinzen, und ein besonders schwerer Schlag für das »Kaisertum« war es, daß sein bester General Mejia die Stadt Matamoros unwiederbringlich an Eskobedo verlor. In Oaxaka ließ Diaz, in Michoakan Regules das republikanische Banner siegreich wehen. Im August kam Maximilian auf den geradezu närrischen Einfall, seiner Sache dadurch aufzuhelfen, daß er das »ganze Reich« in Belagerungszustand erklären wollte. Bazaine jedoch weigerte sich, zu einer Sache die Hand zu bieten, welche ebenso gehässig war als lächerlich, weil unmöglich. Im »kaiserlichen« Ministerium war ein beständiges Kommen und Gehen. Die beiden Franzosen Osmond und Friant mußten im September auf Befehl Napoleons aus dem Kabinett treten. An die Stellen der einheimischen halbliberalen Nullen kamen hierauf klerikale und übernahm der Pfäffling Larez die Ministerpräsidentschaft. Dieses Hin- und Herrutschen der Ministersessel war natürlich nur eine eitle Posse. Die Entscheidung über das Schicksal des »Kaisertums« lag nirgends weniger als in dem »kaiserlichen« Kabinett. Als am 1. Oktober die »kaiserliche« Kasse außerstande war, den Ansprüchen der Franzosen Genüge zu tun, nahmen diese das Zollamt von Veracruz in Besitz, um die Hafenzölle fortan für ihre eigene Rechnung zu erheben. Die vorgefundenen Kassenbestände waren aber nicht bedeutend, denn die Mehrzahl der Beamten hatte sich mit ihren Kassen fortgemacht, um die Gelder an Juarez abzuliefern …

Inzwischen war die Erzherzogin von einem furchtbaren Verhängnis ereilt worden.

Die Kunde von ihrer unerwarteten Ankunft in Frankreich – sie stieg am 10. August 1866 zu St. Nazaire ans Land – bereitete dem französischen Hofe eine bittere Verlegenheit. Napoleon war durch diese plötzliche Erscheinung der Enkelin Louis Philippes, die sich von ihm hatte zur Kaiserin ernennen lassen, so verblüfft, daß ihm die Zigarre ausging, und man wußte in der ersten Überraschung gar nicht, was sagen und was tun. Wenn die Erzherzogin eine kühlbesonnene, schlaurechnende und zugleich energische Diplomatin gewesen wäre, würde es ihr nicht allzu schwer geworden sein, diese Verlegenheit zu steigern und zu ihrem Vorteil auszunützen. Allein sie war nur eine sorgenbelastete, leidenschaftlich bewegte Frau, deren Nerven durch die Strapazen der Seereise in bebende Schwingung versetzt worden und welche bei dem Manne, der die Güter ihrer Oheime konfisziert hatte, Anschauungen und Gefühle voraussetzte, für welche in der Philosophie von Gesellschaftsrettern schlechterdings kein Platz ist.

Am 11. August in Paris angelangt und im Grand Hôtel abgestiegen, erfuhr sie, daß sich der Hof in Saint-Cloud befände. Die Reise von St. Nazaire nach der Hauptstadt hatte ihre Aufregung so gesteigert, daß ihre Augen in fieberhafter Glut brannten. Sie verlangte einen Hofwagen, um sofort nach Saint-Cloud zu fahren. Herr Drouyn de Lhuys kam, um sie zu beruhigen und ihr zu sagen, der Kaiser sei unwohl und müsse daher bedauern, sie nicht empfangen zu können. Die Prinzessin konnte und wollte sich natürlich hiermit sowie mit den nichtssagenden Redensarten des Ministers nicht zufrieden geben. Sie mußte und wollte eine Entscheidung haben.

So fuhr sie denn nach Saint-Cloud hinaus, drang in das Schloß und erzwang sich eine Audienz bei dem Kaiser Es ist jedoch anzumerken, daß eine andere Quelle will, die entscheidende Unterredung zwischen der Prinzessin und Napoleon III. habe nicht in Saint-Cloud, sondern im Grand Hôtel in Paris stattgefunden..

Das ist jene bittere Stunde gewesen, wo die Erzherzogin zur Erkenntnis kam, daß auch Prinzessinnen, zumal von dem Gelüste, Kaiserinnen zu werden, gestachelte Prinzessinnen guttäten, die Gesetze bürgerlicher Moral und die Vorschriften bürgerlichen Schicklichkeitsgefühls zu achten.

Aber auch für Napoleon III. war es eine Stunde, die von Wermut troff. Denn die bittende Schattenkaiserin von Mexiko verwandelte sich im Laufe der Unterredung mehr und mehr in die zornglühende Nichte seiner Todfeinde.

Die Tochter des Königs Leopold mußte bald erkennen, daß der Entschluß Napoleons, das mexikanische Kaisertum preiszugeben, unwiderruflich war. Da, als alle ihre Hoffnungen zertrümmert und zertreten zu ihren Füßen lagen, vermochte sie ihrer weiblichen Leidenschaftlichkeit nicht mehr zu gebieten. Enttäuschung, Kummer, Schmerz und Erbitterung entluden sich in einem Ausbruch von ungezügelter Heftigkeit. Die Antworten des Kaisers waren schneidend und machten die Wunde des Zerwürfnisses noch klaffender. Ein Wirbelwind von Anklagen und Beschuldigungen flog zwischen den beiden hin und her. Endlich ging dieser peinvolle Auftritt zu Ende, und die Erzherzogin schwankte zu ihrem Wagen, Verzweiflung im Herzen.

Der amerikanische Gesandte in Paris hatte das Erscheinen der »fraglichen Dame«, wie er die Prinzessin in seinen Berichten an Seward ungalant nannte, nicht unbeobachtet gelassen. Am 16. August verlangte er von Herrn Drouyn de Lhuys Aufschluß, was denn eigentlich diese Erscheinung zu bedeuten hätte. Der Minister Napoleons beeilte sich, zu erklären, die Anwesenheit der Erzherzogin, die »wir natürlich mit Höflichkeit und Herzlichkeit empfingen«, habe an den Entschlüssen der französischen Regierung in betreff der mexikanischen Sache durchaus nichts geändert.

Am 23. August verließ dann die Prinzessin Paris und reiste über Triest nach Rom. Das Aufflackern eines letzten Hoffnungsstrahls scheint ihr nach dem Vatikan hingewinkt zu haben. Sie schleppte sich zu den Füßen des alten Priesters, in dem sie den Statthalter Gottes sah. Hatte er sie nicht zu der unseligen Kaiserschaft eingesegnet? Mußte er ihr in ihrer Trübsal und Bedrängnis nicht Trost und Hilfe spenden? Aber gesetzt auch, der Papst hätte sein Möglichstes für den Schattenkaiser von Mexiko tun wollen, was konnte er tun? Nichts, wieder nichts, und abermals nichts!

Was im Schlosse zu Saint-Cloud begonnen worden, ward im Vatikan vollendet. Gestörten Geistes verließ die Erzherzogin den päpstlichen Palast. Als eine Wahnsinnige wurde sie nach Miramar zurückgebracht.

Arme Charlotte! Hättest du das schöne Schloß am Meere nie verlassen, um über den Ozean hin einem Irrlicht zu folgen, dessen Irrlichtnatur jedes gesunde Auge erkennen mußte, obwohl es in Gestalt einer Kaiserkrone vor dir hergleißte. Aber deine Verschuldung büßend, hast du wenigstens das noch kommende Furchtbare nicht mitansehen, nicht mitfühlen müssen. Denn –

»Die Götter haben freundlich dein gedacht
Und lebend schon dich aus der Welt gebracht.«

13.
Am Fuße des Citlaltepetl.

In der anhebenden Katastrophe des mexikanischen Kaiserschwindels hat leider ein Deutscher die widerlichste Rolle gespielt, ein Bonze, dessen Ratschläge den österreichischen Prinzen zu einem blutigen Tode führten.

Dieser Ratgeber, Augustin Fischer, war von Geburt ein Württemberger. Daß er auch ein »Stiftler« gewesen, d. h. ein in dem berühmten protestantischen »Stift« in Tübingen gebildeter Theologe, wird behauptet, ist aber nicht erwiesen. Im Jahre 1845 hatte er sich einer Auswandererschar angeschlossen, die nach Texas ging. Seine Laufbahn in der Neuen Welt war so buntwechselnd und sein Lebenswandel so luftig als möglich. Als Goldgräber in Kalifornien trat er in Beziehungen zu den Jesuiten und ließ sich von ihnen zum Katholizismus bekehren. Ob er in aller Form Mitglied der Gesellschaft Jesu geworden, ist fraglich; doch deutet sein von da ab geführter Titel »Pater« auf diese Mitgliedschaft hin. Wahrscheinlich in Geschäften des Ordens aus Kalifornien nach Mexiko gegangen, empfing er hier die Priesterweihe und die Stelle eines Sekretärs beim Bischof von Durango. Allein seine Aufführung war selbst nach mexikanisch-geistlichen Begriffen eine so zuchtlose, daß er den bischöflichen Palast bald wieder räumen mußte. Plötzlich aber tauchte der Vielgewandte, Schlaue, Skrupellose in der Umgebung des Erzherzogs wieder auf, der – mit dem Staatssekretär Seward zu sprechen – »vorgab, Kaiser von Mexiko zu sein«. Ein Señor Sanchez Navarro hatte ihn dem Prinzen empfohlen, über den des Paters überlegener Verstand rasch einen herrschenden Einfluß gewann; besonders dann, als infolge der Abreise der Erzherzogin nach Europa dieser Einfluß sein hemmendes Gegengewicht verloren hatte.

Maximilian erhob den Pater zu seinem Kabinettssekretär und überließ sich der Leitung dieses priesterlichen Abenteurers von allerdings nicht zweideutigem, sondern sehr eindeutigem Rufe. Die Wahl eines solchen Ratgebers kennzeichnete wiederum recht deutlich den Romantiker und den Lothringer-Habsburger.

Der Pater hatte dem Prinzen die Vorstellung einzuschmeicheln gewußt, die Anwesenheit der Franzosen sei ein Haupthindernis einer solideren Begründung der Monarchie in Mexiko. Das Kaisertum müsse sich ohne Rückhalt und Hintergedanken auf die klerikale Partei stützen, die ja geneigt und entschlossen sei, ihre immerhin noch sehr bedeutenden Kräfte und Hilfsmittel für den »Kaiser« zu entfalten, anzustrengen und einzusetzen, falls dieser ihr bestimmte Bürgschaften geben wollte, den kirchlichen und konservativen Interessen in ihrem ganzen Umfang Recht zu verschaffen. Mit andern Worten, der Erzherzog sollte seinen halbliberalen Velleitäten entschieden entsagen und sich als Bannerträger der offenen Reaktion hinstellen. Dies würde ja dazu beitragen, den Franzosen, in denen eben die Klerikalen Mexikos doch nur katholisch überfirnißte Ketzer erblicken könnten, den Aufenthalt im Lande noch mehr zu verleiden, als er ihnen ohnehin schon verleidet wäre, und nach ihrem Abzug müßte es dem Kaiser um so leichter werden, mit den Republikanern fertig zu werden, als gar viele, sehr viele Liberale nur durch ihren Groll über die Anwesenheit der Franzosen bei der republikanischen Fahne festgehalten würden.

Und an dieses Blendwerk glaubte der Erzherzog! Und derselbe Mann, der an solches Blendwerk glauben konnte, hatte sich der Lösung einer der schwierigsten Aufgaben, die jemals einem Menschen gestellt waren, unterwunden! Wohl ist der Kampf eines großen Mannes mit Schicksalsmächten ein Schauspiel für Götter; aber vor dem Schauspiel des töricht unternommenen und schwächlich geführten Streites eines gewöhnlichen Mannes mit dem Verhängnis müssen selbst die Menschen widerwillig sich abwenden. Maximilian hat sich erst in den Schlußszenen des Trauerspiels in Mexiko zu tragischer Würde aufgerichtet. Zu der Zeit, von der die Rede, war sein Gebaren weder klug noch würdig, auch wenn man alle aus seiner verzweifelten Lage resultierenden Milderungsgründe in Anschlag bringt.

Ob der Pater Fischer mit Vorbedacht und planmäßig gehandelt, wer weiß es? Es ging ein Gemunkel um, der Jesuitenpartei daheim in Österreich wäre sehr daran gelegen gewesen, die Rückkehr des »liberalen« Erzherzogs nach Europa zu verhindern, und der Pater hätte darauf abzielende Instruktionen gehabt. Möglich, aber wenig glaublich. Die österreichischen Jesuiten müßten ja noch dümmer sein, als sie aussehen, falls sie nicht gewußt hätten, was es mit dem angeblichen »Liberalismus« des Prinzen auf sich habe.

Maximilian gab den Klerikalen eine der verlangten Bürgschaften, indem er aus den Herren Larez, Marin, Kampos und Tavera ein Ministerium zusammensetzte, dessen Dunkelmännischkeit nicht der leisesten Anzweiflung unterzogen werden konnte (26. Juli 1866). Die gehoffte Wirkung dieser Torheit, energische Unterstützung des »Kaisertums« durch die Klerikalen, trat nicht ein, wohl aber die naturgemäße einer großen Stärkung der patriotisch-republikanischen Sache, die unlange darauf ein volles Hunderttausend von Streitern unter ihren Fahnen hatte.

Und trotzdem gingen dem betörten Erzherzoge die Augen nicht auf!

Die Bildung des Ministeriums vom 26. Juli war mit gegen die Franzosen gemeint und gemünzt gewesen, was diese auch sofort merkten. Welcher Triumph demnach für sie, welche neue Demütigung für den österreichischen Prinzen, als die »kaiserliche« Regierung, welche ja ohne die Franzosen ganz in der Luft stand, schon vier Tage darauf, am 30. Juli, erklären mußte, daß sie den neuen Vertrag annähme, den Napoleon III. als Antwort auf die Sendung Almontes herrisch diktiert hatte. Gewiß hatten die Franzosen recht, wenn sie fanden, der Erzherzog hätte, statt dieser Demütigung sich zu unterziehen, ihnen lieber seine Rauschgoldkrone ins Gesicht werfen und auf der Stelle Mexiko verlassen sollen. Im übrigen war und blieb die neue Konvention Wind. Tampico, dessen Hafenzölle zur Hälfte den Franzosen zufallen sollten, befand sich schon in den Händen der Republikaner, und wenn dadurch die Ausführung der Konvention in Mexiko zur Unmöglichkeit wurde, so war in Paris, noch bevor man dies dort erfuhr, beschlossen worden, auf diesen Vertrag gar keine Rücksicht mehr zu nehmen, obgleich der Tuilerienhof als Gegenleistung für die Annahme desselben von seiten des »Kaisers« Maximilian seinerseits förmlich sich verbindlich gemacht hatte, die französische Armee nicht plötzlich und auf einmal aus Mexiko zurückzuziehen, sondern vielmehr in drei Terminen, deren letzter erst zu Ende November 1867 eintreten sollte.

Bevor dem unglücklichen Erzherzog dieser abermalige Vertragsbruch von seiten der französischen Regierung zur Kenntnis kam, hatte er doch schon mehr oder weniger deutlich geahnt, was für ein falsches Spiel man in Paris gegen ihn spielte. Um es zu durchkreuzen, ist er, wie es scheint, auf den Einfall gekommen, zu versuchen, ob sich die zwischen Frankreich und der Union schwebende Frage nicht so verwickeln ließe, daß das Kabinett von Washington bis zu einer Beleidigung der französischen Flagge in Mexiko vorschritte. Anders wenigstens scheint sich die von Maximilian an die Vereinigten Staaten dadurch gerichtete Herausforderung, daß er, der nicht ein einziges Schiff besaß, die Blockade gewisser mexikanischer, in der Gewalt der Republikaner befindlicher und sozusagen vor den Toren der Union gelegener Häfen anbefahl, nicht begreifen zu lassen. Der Anschlag fiel aber ganz ins Wasser. Der Präsident Johnson erklärte das Maximilianische Blockadedekret einfach für null und nichtig, und die Franzosen hüteten sich wohl, auch nur einen Finger zu rühren, um dem Dekret Achtung zu verschaffen.

Inzwischen waren die bitteren Früchte der Zankszene von Saint-Cloud gereift. Mit noch vor Zorn zitternden Händen zerriß Napoleon III. alle seine Vereinbarungen mit dem Erzherzog und beschloß, die französische Armee auf einmal und binnen kurzer Frist aus Mexiko zurückzurufen. Zugleich sollte noch ein Versuch gemacht werden, den österreichischen Prinzen zur Abdankung zu vermögen und dadurch seine persönliche Rettung sicherzustellen. Ebenso wollte man aber auch, um für die französischen Interessen in Mexiko eine Bürgschaft zu erhalten, auf diplomatischem Wege und unter Vermittlung des Kabinetts von Washington eine Anknüpfung mit den Führern der republikanischen Partei versuchen, – ein Versuch, der dann auch wirklich gemacht worden ist, aber nur den Erfolg hatte, daß infolge ausdrücklicher und stillschweigender Übereinkünfte zwischen den französischen und den republikanischen Generalen der Abzug der Franzosen möglichst wenig von den Mexikanern gestört wurde. Die Sache machte sich dann so, daß jene durch diese mit aller Höflichkeit zum Lande hinauskomplimentiert wurden; ungefähr in der Art, wie es den Preußen im Jahre 1792 von seiten der Franzosen widerfahren war. Aus den von französischen Agenten besorgten Einfädelungen zu einem Abkommen Frankreichs mit der Republik Mexiko – Einfädelungen, welche nicht nur hinter dem Rücken der erzherzoglichen Regierung, sondern auch hinter dem Rücken Bazaines (?) gemacht wurden – erklärt es sich auch, daß man in den republikanischen Lagern, namentlich in dem des Generals Diaz, von den Absichten und Entschlüssen des Tuilerienhofs zur Herbstzeit von 1866 immer sehr frühzeitig und gut unterrichtet war. Nicht weniger frühzeitig und genau wurde das Kabinett von Washington, das man von Paris her nur noch mit Sammethandschuhen anzurühren wagte, von diesen Absichten und Entschlüssen in Kenntnis gesetzt. Die Depeschen des amerikanischen Gesandten Bigelow an Seward zeigen dies in sehr charakteristischer Weise. Der Nachfolger des Herrn Drouyn, der Marquis de Moustier, hatte kaum sein Amt angetreten, als er am 11. Oktober sich beeilte, Herrn Bigelow die Mitteilung zu machen, er, Moustier, habe den Kaiser in Biarritz gesehen und Se. Majestät habe die Absicht geäußert, »die französischen Truppen so bald, als es nur immer möglich, aus Mexiko herauszuziehen, ohne den mit Maximilian geschlossenen Vertrag zu halten«. In ihrer brennenden Besorgnis, der Präsident Johnson könnte auf den Einfall kommen, seine wacklig gewordene Popularität dadurch wieder zu befestigen, daß er die mexikanische Angelegenheit benutzte, einen Krieg mit Frankreich vom Zaune zu brechen, unterzog sich die französische Regierung auch der demütigenden Zuvorkommenheit gegen das Kabinett von Washington, bei ihm anzuklopfen, ob ihm die Wiederherstellung der Republik in Mexiko angenehm wäre. Seward antwortete trocken: »Vor allem die Räumung des Landes seitens der Franzosen. Ist diese vollzogen, so sind wir gern bereit, Andeutungen das Ohr zu leihen, welche darauf abzielen, die Wiederherstellung der Ruhe, des Friedens und des einheimisch-verfassungsmäßigen Regiments in Mexiko zu sichern.«

Der Tuilerienhof konnte es mit seinen den Vereinigten Staaten gegenüber eingegangenen Verpflichtungen nicht halten und machen, wie er es mit seinen dem Erzherzog gegenüber eingegangenen machte und hielt. Zum Bruder Jonathan durfte man nicht sagen, wie man zum »kaiserlichen Alliierten« Maximilian sagte: »Ich tue nicht mehr mit, und was ich dir versprochen, halt' ich nicht. Sieh zu, wie du aus der verwünschten mexikanischen Schmiere herauskommst.«

Doch nein, so geradeheraus sprach man doch nicht; das wäre ja gegen alle Etikette und Diplomatik gewesen. Wer wird in der Politik einen Wort- und Treubruch so nackt und bloß hinstellen, namentlich wenn man selber der Wort- und Treubrecher ist? Auch für das Häßlichste läßt sich ja eine beschönigende Formel finden. Die Sprache der »Staatsräson« ist so wunderbar fügsam und schmiegsam, so manierlich und hantierlich!

Die Formel lautete: Maximilian so oder so von neuen Abenteuerlichkeiten abhalten, indem man ihn zur Abdankung bewegt, und zum Überbringer und Inszenesetzer dieser Formel wurde einer der Adjutanten des Kaisers der Franzosen ausersehen, der General Castelnau, der, mit sehr weitgehenden Vollmachten ausgestattet, am 17. September nach Mexiko sich einschiffte. Fünf Tage zuvor war an den Marschall Bazaine die bestimmte Mitteilung abgegangen, daß Napoleon III. sich entschlossen habe, die französischen Truppen in Masse zurückzurufen und schon im nächsten Frühjahr die vollständige Räumung Mexikos zu bewerkstelligen.

Der Erzherzog hatte inzwischen aus den Zeitungen der Vereinigten Staaten den Mißerfolg des von seiner Gemahlin bei dem Kaiser der Franzosen gemachten Versuchs ersehen, und wenn er nun, wie er tat, noch eine letzte Hoffnung auf die Dazwischenkunft des Papstes in den Tuilerien und in Mexiko setzte, so kennzeichnet das eben wiederum den romantischen Illusionär. In Augenblicken jedoch, wo der scharfe Zugwind der Logik der Tatsachen den Nebeldunst der Illusionen zerstreute, hat der Prinz gar wohl erkannt, daß der Kaisertraum zu Ende und daß es Zeit sei, einzupacken und heimzugehen, um in Miramar philosophische Glossen zu dichten über den Vergilischen Vers:

… Wähnt ihr, der Danaer Gaben
Seien einmal truglos? Kennt also ihr den Ulysses?

Einstweilen traf er Vorbereitungen, in Sicherheit zur Seeküste hinabzukommen, indem er sich den Anschein gab, diese Vorbereitungen bezweckten nur die Abholung der, wie er glauben machen wollte, auf der Rückreise aus Europa befindlichen »Kaiserin« in Veracruz.

Inzwischen waren dem Marschall Bazaine die Entschließungen und Befehle Napoleons III. zugekommen (gegen die Mitte Oktobers), und der französische Oberbefehlshaber schritt zur Ausführung derselben, indem er den Zusammenzug seiner gesamten Streitkräfte nach dem Zentralpunkt der Hauptstadt hin anordnete und befahl, daß die Truppen sodann auf der Straße von Mexiko nach Veracruz staffelförmige Stellungen nehmen sollten, um der Reihe nach zur Einschiffung kommen zu können. Der Marschall unterließ nicht, den von seinem »erhabenen Bundesgenossen« förmlich aufgegebenen »Kaiser« von diesen Anordnungen in Kenntnis zu setzen, und die Bemühung des Erzherzogs, Bazaine umzustimmen, war natürlich eitel. Es blieb ihm nur noch übrig, das unter solchen Umständen herkömmliche und bräuchliche Geschäft der Ohnmacht zu verrichten, nämlich gegen das Verfahren der französischen Regierung zu protestieren und dann abzureisen. Letzteres wollte er um so mehr beeilen, als er erfahren hatte, daß der außerordentliche Gesandte Napoleons, der General Castelnau, nur noch zwei Tagereisen von der Hauptstadt entfernt sei, und er ein Zusammentreffen mit ihm zu vermeiden beabsichtigte. Man kannte ja den Inhalt der Mission des Generals bereits. Hatte doch eine im Lager des Porfirio Diaz erscheinende Zeitung triumphierend ausgerufen: »Herr Castelnau, der in Veracruz ans Land gestiegen, macht gar kein Geheimnis aus seiner Sendung, er sagt, daß er den Auftrag habe, Maximilian abdanken zu machen. Man begreift, daß die freiwillige oder erzwungene Abdankung desselben unvermeidlich ist. Die Absichten Frankreichs sind wohlbekannt, und die Sonne des neuen Jahres wird die siegreichen Waffen der Republik über dem ganzen Gebiete Mexikos schimmern sehen.«

Der unglückliche Erzherzog befand sich im Schlosse zu Chapultepek, gequält von allen den Bedrängnissen, die die letzten Tage gebracht hatten, und noch dazu vom Fieber heimgesucht, als ihn am 19. Oktober der schmerzlichste Schlag traf. Ein über die Vereinigten Staaten kommendes Telegramm meldete ihm den Wahnsinn seiner Frau.

Unter der Wucht dieses Schlages mühsam sich halb wiederaufrichtend, wollte er auf der Stelle die Bekanntmachung seiner Abdankung ausgehen lassen und abreisen. Aber der Marschall verhinderte das erstere. Eine so plötzliche Thronentsagung würde nämlich, so kalkulierte man im französischen Hauptquartier mit Recht, die Anarchie im ganzen Lande vollständig entfesseln, und diese Anarchie müßte auch den Franzosen verderblich werden. Hatten sie doch nur allzu deutliche Anzeichen, daß alle Mexikaner, ohne Unterschied der Parteifarben, geneigt waren, in Masse über die verhaßten Eindringlinge herzufallen und der sizilischen Vesper eine mexikanische zu gesellen. Es galt, nach allen Seiten hin eine feste Haltung zu zeigen und die Aufrechterhaltung des Kaiserschwindels noch immer zu heucheln. Daher befahl denn auch der Marschall dem Ministerium Larez, das auf die Kunde von der bevorstehenden Abreise des Erzherzogs hin seine Entlassung eingereicht hatte, seine Funktionen fortzusetzen, und nach sehr peinlichen Verhandlungen kam die Vereinbarung zustande, daß der »Kaiser« seine Abdankungserklärung einstweilen noch zurückhalten sollte. (Bazaine wollte sogar, daß der Erzherzog erst nach seiner Ankunft in Europa diese Erklärung von dort herüber sendete.) Ferner, daß die Abwesenheit desselben von der Hauptstadt für eine nur zeitweilige erklärt würde. Diesen Zugeständnissen des Prinzen gegenüber ließ der Marschall die Abreise desselben zu und erklärte, er nähme alles auf sich.

Es müssen Tage voll Seelenpein gewesen sein, dieser 19. und 20. Oktober im Sommerschloß Montezumas. Als der Prinz am Abend des 20. die Depesche gelesen hatte, worin ihm Bazaine seine Wünsche, d. h. seine Befehle, endgültig mitteilte, durchmaß er das Gemach in fieberhafter Erregung und murmelte: »Kein Zweifel, meine Frau ist wahnsinnig … Diese Leute verbrennen mich bei langsamem Feuer … Ich bin am Ende meiner Kräfte … Ich gehe.«

Am folgenden Morgen um zwei Uhr fuhren die drei Wagen des »kaiserlichen« Reisezugs unter der Bedeckung von drei Schwadronen österreichischer Husaren die Straße von La Piedad hin. Mit dem Erzherzog waren der österreichische Oberst Kodolich, der Leibarzt Basch, Señor Arroyo und leider auch der böse Dämon des Prinzen, der Pater Fischer, der ihn völlig umgarnt hielt.

Des »Kaisers« letzte Regierungshandlung vor seiner Abreise von Chapultepek war die Widerrufung des verhängnisvollen Dekrets vom 3. Oktober 1865. Gutgemeint, aber unter den Umständen, wie sie jetzt waren, ganz bedeutungslos.

Die Fahrt ging nach Orizaba. Unterwegs, in Ayotla, begegnete der Reisezug des Generals Castelnau dem erzherzoglichen. Der General suchte um eine Audienz bei dem Prinzen nach, wurde aber abschlägig beschieden. Da, wo zwischen La Canada und Akulcingo das Hochland von Anahuak gegen die Tierra caliente abzufallen beginnt, verließ der Erzherzog seinen Wagen, um die bodenlose Wegstrecke zu Fuße zurückzulegen. Während des Haltes in Akulcingo wurden die acht weißen Maultiere gestohlen, die den »kaiserlichen« Wagen zogen. Auf der ganzen Reise sprach der Prinz kaum ein Wort und kehrte nur in Pfarrhäusern ein. In Orizaba hielt er einen feierlichen Einzug, wobei eine Abteilung französischer Infanterie Spalier bildete. Das schwere Reisegepäck wurde nach Veracruz vorausgeschickt und auf der dort ankernden österreichischen Fregatte »Dandolo« eingeschifft. Doktor Basch und die übrigen Deutschen in der Umgebung des Erzherzogs glaubten, da das ganze Kaiserschwindelspiel doch offenbar verloren war, nichts anderes, als daß der Erzherzog seinem Gepäck rasch nachfolgen und sich ebenfalls an Bord des »Dandolo« begeben würde, um nach Europa abzufahren. Eine andere Lösung konnte sich der gesunde Menschenverstand gar nicht denken; allein was ist der gesunde Menschenverstand einem Romantiker?

Maximilian machte in Orizaba Halt. Der freundliche Empfang, den ihm ein Teil der Einwohnerschaft zuteil werden ließ, verlieh der Goldschaumkrone, die er abzulegen im Begriffe gewesen, plötzlich in seinen Augen wieder einen Wert, und kaum ließ er das merken, als die Klerikalen unter Leitung des Paters Fischer das Lug- und Trugnetz um ihn herzogen, das den betörten Mann ins Verderben reißen sollte. Es war wohl schon eine Machenschaft dieser Menschen, daß der Erzherzog die Gastfreundschaft des Señor Vringas in Orizaba annahm, eines angesehenen Rückwärtsers, der zugleich der größte Schleichhändler Mexikos und als solcher ein Todfeind des verfassungs- und gesetzmäßigen Regiments war, wie es Juarez gehandhabt hatte. Im Hause des genannten Señor empfing der Prinz den Kurier, der ihm die näheren Nachrichten über das Unglück überbrachte, von dem seine Frau befallen worden, und der Pater überredete den Geknickten, sich aus der Stadt in die einsame Hacienda La Jalapilla zurückzuziehen; angeblich, um keine Störung seiner Trauer erfahren zu müssen, in Wahrheit aber, damit der Tiefbetrübte besser von allen nichtklerikalen Einflüssen abgesperrt werden könnte. Die frommen Munkeler und Mantscher, welche wohl wußten, daß dem Zerplatzen der Schaumblase des Kaisertums die Wiederherstellung der juaristischen Regierung und damit die Befolgung einer entschieden widerpfäffischen Politik auf dem Fuße folgen würde, suchten mit allen Mitteln den Erzherzog zu bestimmen, nicht abzudanken und nicht nach Europa zurückzukehren.

Natürlich können nur Schwachköpfe und Nichtkenner der Kirchengeschichte über eine solche Gewissenlosigkeit sich verwundern. Dagegen dürfen wissende Menschen billig über die Dummheit dieses kläglichen Gesindels erstaunen, das von der Erhaltung eines Bauwerks schwatzte, während das Krachen vom Einsturz desselben allwärtsher erscholl. Diese jämmerlichen Ränkeler kannten, wenn nicht im einzelnen, so doch im ganzen die Instruktionen des Generals Castelnau; sie wußten, welche Weisungen Bazaine empfangen hatte; sie erfuhren endlich gerade in diesen letzten Tagen des Oktobers, daß Porfirio Diaz nach einem glänzenden Sieg über die österreichische Legion triumphierend in Oaxaka eingezogen sei, und daß von allen Seiten her die republikanischen Streitmassen gegen die Hauptstadt des Landes im Vormarsch seien: und trotz alledem bestärkten sie sich selber in ihren Phantasmagorien und gaukelten sie auch dem von Napoleon III. weggeworfenen Werkzeug der großen, in den Tuilerien ausgesonnenen und jetzt schmählich mißlungenen Verschwörung gegen den amerikanischen Republikanismus vor. Wenn diese Gaukelei dem modernen Jesuitismus auf Rechnung gesetzt werden dürfte, so müßte man nicht mehr sagen: Dumm wie ein Hammel! sondern: Dumm wie ein Jesuit!

Der General Castelnau war inzwischen in der Hauptstadt angelangt, und die Verteidiger, die Bazaine gegenüber den in der nordamerikanischen und europäischen Presse gegen ihn laut gewordenen Vorwürfen und Anklagen unter seinen Landsleuten gefunden hat, sie haben nicht ermangelt, mit Fug und Recht geltend zu machen, daß mit der Ankunft des außerordentlichen Bevollmächtigten Napoleons die politische Verantwortlichkeit des Marschalls aufhörte. Castelnau erwies sich übrigens der Rolle, die er in Mexiko spielen sollte, in keiner Weise gewachsen. Er handelte nicht wie ein geriebener Diplomat, sondern wie ein ganz gewöhnlicher Kavallerieoffizier. Er war beauftragt, den Erzherzog zur Abdankung zu bewegen und nach geschehener Beseitigung des österreichischen Prinzen die Versammlung eines mexikanischen Generalkongresses zu veranlassen, hinter den Kulissen desselben aber die verschiedenen Führer der Patrioten untereinander zu verhetzen und endlich demjenigen unter ihnen – Juarez immer ausgenommen –, welcher den französischen Interessen am besten dienen würde, die Präsidentschaft der Republik zuerkennen zu lassen.

Von alledem brachte der General gar nichts zuwege, obgleich von französischer Seite alles mögliche geschah, um dem verhaßten Juarez, der so unerschütterlich an seiner Pflicht festgehalten hatte, Mitbewerber um die höchste Gewalt zu erwecken, und obgleich man in dem ehrgeizigen General Ortega ein geeignetes Subjekt, den Nebenbuhler des Präsidenten zu spielen, entdeckt zu haben sich schmeichelte. Gegen diese Machenschaft, die nur dazu angetan war, neue Bürgerkriegswirrsal in Mexiko hervorzurufen, tat nun aber das wohlunterrichtete Kabinett von Washington sofort einen Gegenschachzug, indem es Herrn Campbell als Gesandten an Juarez abordnete und diesem Gesandten den berühmten General Sherman als militärischen Berater beigab. Damit wollte die Regierung der Union den Franzosen einen deutlichen und ausdrucksvollen Wink geben, daß sie als rechtmäßiges Staatsoberhaupt in Mexiko nur den standhaften Zapoteken anzuerkennen gewillt sei, und dieser Wink wurde verstanden und befolgt.

Inzwischen hatte der Erzherzog in seiner Zurückgezogenheit auf der Hacienda La Jalapilla am Fuße des Citlaltepetl einen aus Brüssel vom 17. September datierten Brief des Staatsrat Eloin erhalten, dessen Inhalt höchst aufregender Natur und ganz geeignet war, die Ränke der Klerikalen fördern zu helfen.

Es ist ein merkwürdiges Aktenstück, dieser Brief, und er wirft grelle, fast unheimliche Streiflichter. Unter andern auch eins auf die Tatsache, daß Maximilian vor seiner Abreise nach Mexiko so lange und so hartnäckig sich geweigert hatte, seinen agnatischen Rechten auf die Thronfolge in Österreich zu entsagen.

Herr Eloin spricht sich mit äußerster Heftigkeit über das Benehmen der französischen Regierung aus, welches er als Memmenhaftigkeit stigmatisiert, und rät dem Erzherzog entschieden davon ab, die Partie vor dem Abzug der französischen Armee aufzugeben. Dann gibt er ihm den Rat, diesen Abzug abzuwarten und sodann aufs neue an das von dem Druck einer fremden Intervention erlöste mexikanische Volk zu appellieren. Würde diese Berufung ungehört bleiben, so hätte der »Kaiser« seine »erhabene Sendung« bis zum Ende erfüllt und »Eure Majestät wird dann nach Europa mit demselben Glanze zurückkehren, der Sie bei der Abreise umgab, und inmitten der wichtigen Ereignisse, welche sicher nicht ausbleiben werden, wird Eure Majestät die Stelle einnehmen können, welche Ihnen in jeder Hinsicht zukommt.« Was hatten diese mysteriösen Worte zu bedeuten? Herr Eloin läßt uns nicht lange im Zweifel darüber; denn im Verlaufe seines Briefes findet sich diese Stelle: »Meine Reise durch Österreich ließ mich die allgemeine Unzufriedenheit bemerken, welche dort herrscht. Der Kaiser ist entmutigt, das Volk wird ungeduldig und fordert ganz laut seine Abdankung. Die Sympathien für Eure Majestät breiten sich augenscheinlich über das ganze Gebiet Österreichs aus.«

Es ist schmerzlich, mit der psychologischen Sonde in der Seele eines Unglücklichen zu wühlen; allein mitunter ist das die Pflicht des Historikers, und Pflichten müssen erfüllt werden.

Das Schreiben des Herrn Eloin machte auf den Erzherzog einen bestimmenden, ja geradezu einen beherrschenden Eindruck. Es lag in diesem Briefe ein gewaltsamer Anreiz für den Prinzen, aus dem schwermütigen Brüten, worein ihn die Kunde vom Ausgang der Unternehmung seiner Frau versetzt hatte, sich herauszureißen und sich in neue Abenteuer zu stürzen. Möglich, wahrscheinlich vielleicht, daß hierbei der verzweiflungsvolle Vorsatz, eine gebrochene Existenz in einem »ritterlichen« Wagnis einzusetzen und zu verlieren, mitwirksam gewesen ist. Möglich aber auch, daß dem Prinzen die Illusion vorschwebte, ein ganz neues Dasein beginnen zu können. Romantische Naturen, wie er eine war, sind wetterwendisch wie ein Apriltag, den Einflüssen der Stunden, der Augenblicke untertan, bestimmbar immer, berechenbar nie.

Und was für eine blendend-verlockende Aussicht tat dieser Eloin, der offenbar die geheimsten Gedanken Maximilians kannte, vor den Blicken desselben auf! Geradezu die Aussicht auf die Herrschaft über Österreich, dessen Kaiser ja »entmutigt« war und dessen Bevölkerung die Abdankung des Entmutigten »laut forderte« und seine Sympathien für den Erzherzog offen kundgab. Man muß sich, um die Vollbedeutung von alledem zu verstehen, erinnern, daß Eloins Brief nach der Niederlage Österreichs bei Sadowa geschrieben war, zu einer Zeit also, wo sogar die besten österreichischen Männer der düsteren Überzeugung lebten, nur Wunder und ein Wundertäter könnten das Reich retten.

Konnte, durfte aber der Erzherzog sich einbilden, so ein Wundertäter zu sein? O Himmel, als ob ein Romantiker jemals fragte, ob er könnte, ob er dürfte! Romantik ist Willkür, Blendwerk, Selbstbetrug. Der Romantiker glaubt sich berufen und hält sich für auserwählt, weil er sich gekitzelt fühlt, und in den Eingebungen seiner Eitelkeit hört er Stimmen »von oben«. Es ist, als hätte der Prinz weit weg von La Jalapilla und um viele Jahre zurück sich geträumt und ihm wäre gewesen, als stünde er wiederum in der Königsgruft im Münster von Granada …

»Da erdröhnt es in dem Grab,
Flüstert aus den morschen Pfosten:
Der hier brach, der goldne Stab,
Glänzt plus ultra dir im Osten!«

Denn flüsterte nicht aus den »morschen Pfosten« des mexikanischen Kaiserthrons die Lockung: Was du hier verloren, wirst du drüben in der Heimat verzehnfacht gewinnen? Dröhnte nicht aus dem »Grabe« seiner transatlantischen Hoffnungen der Trostruf: Ermanne dich! In Europa winkt dir eine weltgeschichtliche Mission –?

Aber dieser halbwahnsinnige Ruhmestraum, von dem auch am Wiener Hofe beizeiten etwas ruchbar geworden sein muß, erhielt sofort einen sehr fühlbaren Nackenschlag durch die unausweichlich sich aufdrängende Erwägung, daß ein macht- und ruhmloser Flüchtling, der mit einem »zerbrochenen goldnen Stab« in der Hand heimkehrte, doch wohl kaum Aussicht hätte, daheim als Heiland und Retter begrüßt zu werden. Um in der alten Welt zu gewinnen, mußte man in der neuen noch einmal wagen; um drüben dem Schicksal zu imponieren, mußte man es hüben noch einmal herausfordern. Also nichts mehr von Abdankung und sofortiger Heimfahrt! Warum auch sollte es nicht möglich sein, daß es dem Nachkommen Kaiser Karls V. beschieden wäre, die Herrlichkeit dieses Beherrschers von zwei Welten zu erneuern und im Osten und Westen zugleich das kaiserliche Zepter zu führen?

Pater Fischer hat diese ausschweifenden Träume jedenfalls nicht bekämpft, sondern nach Kräften genährt. Um den Prinzen dorthin zu bringen, wo er ihn haben wollte, d. h. völlig in die Hände der Klerikalen, ließ er den romantischen Träumer einstweilen auch noch mit der Seifenblase spielen, es würde möglich sein, einen »freien« Nationalkongreß zu versammeln, sobald die Franzosen abgezogen wären, dann im Schoße dieses Kongresses mit den Liberalen zu unterhandeln und so den Streit zwischen Republik und Monarchie auf friedlichem Wege zum Austrag zu bringen. Und das hoffte der Verfasser des Blutdekrets vom 3. Oktober! Ja, es untersteht gar keinem Zweifel, daß er noch mehr hoffte, nämlich als Friedensstifter eine solche Summe des Dankes von allen Parteien zu erwerben, daß er gebeten, daß er bestürmt werden würde, an der Spitze des Staates zu bleiben, sei es als Kaiser, sei es als Präsident, welch letzteren Titel man sich vorderhand auch gefallen lassen könnte.

Der hochwürdige Beichtvater tat so, als wäre er mit diesen Phantasmen ganz einverstanden; nur machte er immer wieder bemerklich, daß der »Kaiser« nach dem Abzug der Franzosen doch einen festen Halt haben müßte, auf den er sich zunächst stützen könnte, um den Liberalen so zu imponieren, daß sie sich zur Annahme und Beschickung des geplanten Generalkongresses herbeiließen. Wo aber einen solchen Halt finden, wenn nicht in der klerikalen Partei? Die Klerikalen seien ja bereit, Gut und Blut für das Kaisertum und für den Kaiser einzusetzen; sie seien willig und auch vermögend, den kaiserlichen Schatz zu füllen und ein Heer auf die Beine zu bringen, – alles natürlich unter der kleinen Bedingung, daß den gerechten Ansprüchen dieser loyalen und opferfreudigen Partei volles Recht widerführe.

Der eifrige Pater erhielt einen sehr gewichtigen Beistand in den Personen der beiden Herren Miramon und Marquez, welche, ohne Zweifel von ihren Freunden heimberufen, gerade jetzt von ihren zwecklosen Gesandtschaften in Europa zurückkehrten und sofort von Veracruz nach La Jalapilla eilten. Hier wurde nun das Rückwärtskomplott sofort fertig und fest gemacht. Der Erzherzog versprach unbedingte Hingabe an die Interessen der Klerikalen und verhieß insbesondere die Zurückgabe der geistlichen Güter an die Kirche, sowie die Wiedereinsetzung sämtlicher Mitglieder der Partei in ihre Würden, Ämter und Besitzungen.

Wie reimte sich aber diese Unterwerfung des »ritterlichen« Prinzen unter die ihm von den Klerikalen auferlegten Bedingungen mit seiner Absicht, auch die Liberalen zu versöhnen, auch ihnen als der allgerechte und allwillkommene Friedensstifter sich darzustellen? Ach was, als ob auf dieser ungereimten Erde alles sich reimen müßte! Derartige Forderungen sind idealpolitische Narreteien, worauf klerikale wie liberale Realpolitiker keine Rücksicht zu nehmen brauchen.

14.
Von La Jalapilla bis Queretaro.

Es hob jetzt zwischen dem französischen Hauptquartier, wo man stündlich die Nachricht von der Einschiffung Maximilians vergeblich erwartete, und der erzherzoglichen Residenz bei Orizaba ein Ränke- und Schwänkespiel an, das unbeschreiblich widerlich anzusehen ist. Man weiß auch nicht, welcher der beiden Spielpartien man den Preis der Hintergehung und Überlistung zuerkennen soll, und ist versucht, beim leidigen Anblicke dieser »Disputation« an die Schlußstrophe der Heineschen im »Romanzero« sich zu erinnern: –

»Welcher recht hat, weiß ich nicht;
Doch es will mich schier bedünken,
Daß der Marschall und der Prinz,
Daß sie alle beide st … raucheln.«

Während Miramon, nach der Hauptstadt hinaufgeeilt, dem »kaiserlichen« Ministerium die Wendung der Dinge in La Jalapilla mitteilte und es zu neuer Tätigkeit aneiferte, die ganze Rückwärtserei zur Sammlung und auf ihre Posten rief, alle Kräfte der Partei anzustrengen, alle Mittel derselben flüssig zu machen tätig war, die Beschaffung von Geldmitteln und die Reorganisation der »kaiserlichen« Armee einleitete, suchte der Erzherzog seinerseits vor allem über die Absichten der Franzosen ins klare zu kommen, und stand zu diesem Zwecke nicht an, den Marschall – denn nur mit diesem verkehrte er – fortwährend halb und halb glauben zu machen, daß er im Begriff sei, sich einzuschiffen. Der Marschall und seine Mitbevollmächtigten Castelnau und Dano gingen auf die Leimrute, indem sie in einer vom 16. November datierten Note die Erklärung sich entwischen ließen, sie würden darauf hinzuwirken suchen, daß »die noch rückständigen Ansprüche Frankreichs an die mexikanische Staatskasse durch die neue Regierung von Mexiko gedeckt würden«.

Demnach betrachteten die Franzosen den Kaiserschwindel bereits als vollständig aus- und abgetan. Und wie hätten sie auch anders gekonnt, da Frankreich gerade zu dieser Zeit in Verbindung mit dem Kabinett von Washington ganz offen auf die Wiederherstellung der republikanischen Regierung hinarbeitete? Der Hauptmacher in diesem Geschäft war Herr Markus Otterburg, Konsul der Vereinigten Staaten in Mexiko, der dem Marschall ausdrücklich und amtlich erklärte, daß er von seiner, hierin ganz im Einverständnis mit dem Tuilerienhof handelnden Regierung beauftragt sei, in Übereinstimmung mit dem französischen Obergeneral die mexikanische Republik wiederherzustellen. Es sei, fügte der Konsul hinzu, rätlich, beizeiten daran zu denken, welchem der juaristischen Generale die Hauptstadt zu überliefern wäre, damit Unordnungen vermieden würden. Er schlage als den würdigsten und am meisten Vertrauen erweckenden General Diaz vor und habe auch bereits für die nötigen Gelder gesorgt, um den Truppen desselben nach ihrer Ankunft in der Stadt einen zweimonatlichen Sold auszahlen zu können.

Das war deutlich gesprochen. So deutlich konnte aber Bazaine in seiner verzwickten Stellung nicht sprechen. Faktisch und substanziell existierte freilich auch für ihn der »Kaiser« Maximilian nicht mehr, wohl aber rechtlich und formell. Er mußte sich also begnügen, den amerikanischen Bevollmächtigten mehr erraten zu lassen, als er sagte, indem er auf die erwähnte Mitteilung erwiderte, daß er, solange der Erzherzog noch nicht abgedankt hätte, ihn als das einzige gesetzmäßige Oberhaupt des Landes betrachten müßte. Freilich, sobald der Prinz sich eingeschifft hätte, würde er nichts Unpassendes darin sehen, unter Mitwirkung des Generals Porfirio Diaz, für welchen auch er große Achtung hege, eine neue Regierung einzurichten, ungeachtet von Paris aus zum Oberhaupt derselben der General Ortega empfohlen sei. Hierauf beschränkte sich der Marschall Herrn Otterburg gegenüber vorderhand. Daß er, wie man ihm vorgeworfen hat, mit Diaz in persönlichen Verkehr getreten sei und sogar dem republikanischen General Waffen und Munition geliefert oder verkauft habe, beruht nicht auf erwiesenen Tatsachen, sondern nur auf Vermutungen. Wahr jedoch ist, das ganze Gebaren Bazaines erschien gegen das Ende der mexikanischen Expedition hin in dem Lichte der Willkür, der Zweideutigkeit und Treulosigkeit. Allein das war nicht die Schuld des Marschalls, der nur das Werkzeug der willkürlichen, zweideutigen und treulosen Politik seiner Regierung gewesen ist.

Der österreichische Prinz tat seinem »erhabenen Bundesgenossen« nicht den Gefallen, abzudanken und heimzugehen. Wiederum ein sehr widerwärtiger Zwischenfall in dieser schmählich verunglückten Verwirklichung der »größten Idee« des zweiten Empire, welche Verwirklichung eigentlich nur eine Reihenfolge von lauter widerwärtigen Zwischenfällen gewesen ist. Im französischen Hauptquartier war man gewiß nicht sehr angenehm überrascht, als dort aus Orizaba eine vom 20. November datierte Note des Erzherzogs eintraf, welche mit den Worten begann: »Keiner meiner Schritte gibt jemand die Berechtigung, zu glauben, daß ich die Absicht hätte, zugunsten irgendeiner Partei abzudanken« – und die Mitteilung machte, daß der »Kaiser« Berufung an die Nation einlegen und einen Generalkongreß versammeln werde.

Diese Note ist eins der Resultate einer Ratssitzung gewesen, welche inzwischen auf der Hacienda La Jalapilla stattgefunden hatte. Miramon hatte den Ministerpräsidenten Larez, die übrigen Minister und die Mitglieder des »kaiserlichen« Staatsrats von der Hauptstadt aus dorthin geführt unter französischer Eskorte, welche Bazaine gewährte, weil er wähnte, die Herren würden die Abdankungsurkunde Maximilians mitzurückbringen. Die Ratsversammlung in La Jalapilla zählte zweiundzwanzig Mitglieder und währte drei volle Tage. Die Kardinalfrage, ob der »Kaiser« abdanken sollte, wurde aufgeworfen, aber mit zwanzig gegen zwei Stimmen abgeworfen. Dann gab der Erzherzog von seinen Entschließungen hinsichtlich des Appells an die Nation, der Berufung eines Kongresses usw. Kenntnis und erhielt Zustimmung. Der ganze Ratschlag war nur eine zuvor zwischen Maximilian, Miramon, Larez und dem Beichtvater abgekartete Posse. Die Essenz der Zusammenkunft war diese, daß die Allianz des Erzherzogs mit den Klerikalen fest vernietet wurde. Der Pater verbürgte sich förmlich, daß der Klerus für Se. kaiserliche Majestät einstehen würde, und auf Grund dieser Bürgschaft – es ist märchenhaft töricht, aber wahr – gab dann Señor Larez seinerseits großartig die Versicherung ab, daß Maximilian auf eine schlagfertige Armee und sofort auf vier Millionen Pesos zählen könne, welche vier Millionen »man finden werde«. Wo? sagte er nicht. Dann schritt man sogleich zur Verteilung der Rollen in dem neu anzuhebenden Kaiserschwindelstück, insbesondere der militärischen. Der General Marquez sollte unter dem Oberbefehl des »Kaisers« selbst die Hauptstadt und das Hochtal von Anahuak gegen den dorthin vordringenden Porfirio Diaz verteidigen, Miramon gen Norden eilen, um sich den Truppen Eskobedos entgegenzuwerfen, Mejia in der Sierra von Queretaro die kaiserliche Fahne wieder entfalten.

Am 1. Dezember ließ der Erzherzog ein Manifest »an die Mexikaner« von Orizaba ausgehen, worin er bekanntgab, was in La Jalapilla vorgegangen, – nämlich, wohlverstanden, vor den Kulissen. Er verkündigte in diesem Aktenstück – er, der sich mit Haut und Haar den Klerikalen verschrieben hatte – daß er »auf der breitesten und liberalsten Grundlage einen Nationalkongreß versammeln wolle, an welchem alle Parteien teilnehmen sollten, und dieser Nationalkongreß werde zu bestimmen haben, ob ein Kaiserreich in Zukunft bestehen soll«. Zur Vervollständigung der abermaligen Überraschung, welche dieses Manifest im französischen Hauptquartier verursachte, zeigten dann zwei Tage später die Minister Larez und Arroyo den Herren Bazaine, Dano und Castelnau an, daß »Se. Masestät nach ernsthafter und langer Erwägung und nach dem Rate seiner Minister und seines Staatsrats, gestützt auf die von der Nation ihm übertragene Gewalt, sich entschlossen habe, seine Regierung mit den alleinigen Hilfsmitteln des Landes fortzuführen und aufrechtzuerhalten, da der Kaiser der Franzosen erklärt hätte, außerstande zu sein, das Reich fernerhin mit seinen Truppen und mit seinem Gelde zu unterstützen«.

Man war demnach über die gegenseitige Stellung ganz klar: die Franzosen wollten den Erzherzog und der Erzherzog wollte die Franzosen zum Lande hinaushaben.

Die französischen Bevollmächtigten hatten in einer vom 31. Oktober datierten Depesche aus Paris die Weisung erhalten, Napoleon III. wünsche, daß Maximilian Mexiko verlassen möge, und in ihrer am 8. Dezember erlassenen Antwort auf die Zuschrift der Herren Larez und Arroyo paraphrasierten sie diesen Wunsch ihres Gebieters also: »Die Bevollmächtigten Frankreichs haben nach reiflicher Prüfung der Sachlage die Überzeugung gewonnen, daß die kaiserlich-mexikanische Regierung unvermögend sein werde, mit ihren alleinigen Hilfsmitteln sich zu behaupten.« Das »kaiserliche« Ministerium zögerte nicht, auf diese Replik zu duplizieren, und zwar in Form eines weitläufigen Zirkulars, in dessen Verlauf mit dürren Worten Frankreich des Vertragsbruchs bezichtigt und angeklagt wurde.

Ein gewisser Schwindler hatte aber diese neue Anreizung zur Ungeduld und zum Zorn nicht abzuwarten gebraucht, um ungeduldig und zornig zu werden. Wie, dieses Nichts von Erzherzog mit seiner lächerlichen Rauschgoldkrone auf dem Kopfe wagt gegen Unsere Omnipotenz zu rebellieren? Wir haben gewollt, daß er nach Mexiko ginge; jetzt ist es Unser souveräner Wille, daß er aus Mexiko gehe!

Am 13. Dezember ging aus dem Schlosse Compiègne diese Depesche ab: »Der Kaiser an Castelnau: Senden Sie die Fremdenlegion und alle Franzosen, Soldaten und Nichtsoldaten, alle, welche es wünschen, heimwärts; ebenso die österreichische und belgische Legion, wenn sie es verlangen.«

Das hieß mit einem Schlage den Erzherzog des Beistandes aller fremden Streitkräfte berauben; denn daß die österreichischen und belgischen Söldlinge den aus Mexiko abziehenden Franzosen sich anschließen müßten und würden, konnte nicht zweifelhaft sein. Man wußte auch in Compiègne gar wohl, was man mit dieser Depesche wollte und tat. Man wollte endlich einmal dieses ewigen Ärgers, der aus dem vermaledeiten mexikanischen Kaiserschwindelgeschäft tagtäglich erwuchs, los und ledig sein. Gaben doch auch diese verteufelten Yankees keine Ruhe. Da hatte z. B. wieder am 23. November der unhöfliche Seward an den nicht viel höflicheren Bigelow geschrieben: »Sagen Sie dem Marquis de Moustier, unsere Regierung sei erstaunt und gekränkt, erfahren zu müssen, daß die uns zugesagte Rückführung der ersten Abteilung französischer Truppen aus Mexiko, welche in diesem Monate hätte erfolgen sollen, verschoben worden sei.«

Die Aktenlage gestattet nicht nur, sondern fordert auch die bestimmte Vermutung, daß der General Castelnau den geheimen Auftrag gehabt habe, den österreichischen Prinzen nötigenfalls mit Gewalt zur Abdankung zu zwingen. Allein der Marschall Bazaine, um seine unumgängliche Mitwirkung angegangen, muß diese verweigert haben, weil der kluge Mann nur auf Grund eines schriftlichen Befehls von seiten Napoleons in der bezeichneten Richtung vorgehen wollte, Castelnau aber einen solchen Befehl nicht vorweisen konnte. Der General berichtete am 7. Dezember nach Hause, wie die Sachen ständen und lägen, und erhielt folgende Antwort: »Paris 10. Januar 1867. Der Kaiser an Castelnau: Zwingen Sie den Kaiser nicht zur Abdankung, aber halten Sie den Abzug der Truppen nicht hintan. Schicken Sie alle heim, welche nicht bleiben wollen.«

Unlange, bevor der Inhalt der aus Compiègne datierten Depesche vom 13. Dezember zur Kenntnis des Erzherzogs gekommen war, hatte er einen Privatbrief der Kaiserin Eugenie aus Paris erhalten, dessen Inhalt ihn, wie er sagte, »sehr stärkte«. Der Brief muß also recht tröstlich gelautet haben. Schade nur, daß die Schreiben Ihrer Majestät und Seiner Majestät nicht miteinander harmonierten. Bekanntlich sind eben zwei Eheseelen nicht immer » ein Gedanke«.

Maximilian – das war die Summe aller auf der Schwelle vom Jahre 1866 zum Jahre 1867 zwischen ihm und dem französischen Hauptquartier gepflogenen Verhandlungen – hatte also erklärt, daß er »nicht in einem der Gepäckwagen der französischen Armee nach Europa zurückkehren«, sondern in Mexiko sein Glück auf eigene Hand ferner versuchen wollte, und die Franzosen ihrerseits bereiteten sich den Befehlen ihres Kaisers gemäß alles Ernstes zum raschen und vollständigen Abzug aus dem Lande. Zu Ausgang Dezember stand die Hauptmasse ihrer Streitkräfte in und bei der Hauptstadt, während andere Abteilungen, staffelförmig längs der Straße nach Veracruz verteilt, nur des Kommandos zum Hinabmarschieren nach der Küste harrten.

Der Erzherzog, durch die Gaukeleien des unseligen Paters Fischer verblendet, hatte sich inzwischen von Orizaba wieder der Hochebene von Anahuak zugewandt. In Puebla etliche Tage verweilend, hatte er eine Zusammenkunft mit den Herren Dano und Castelnau, die ihm entgegengereist waren, ihn noch einmal um seine Abdankung und Abreise anzugehen. Umsonst. Sodann von Puebla nach Mexiko gekommen, konnte sich der Prinz ganz unmöglich der Einsicht verschließen, daß die ihm gemachten Verheißungen von seiten des Klerus bislang größtenteils Verheißungen geblieben waren. Es fehlte an Geld, an Soldaten, an Waffen, an Verstand, Begeisterung, Tatkraft, es fehlte an allem und jedem. Von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde folgten sich die niederschlagenden Botschaften von den Erfolgen der Republikaner. Ein fester Platz nach dem andern, eine Stadt, eine Provinz nach der andern fiel in ihre Hände. Was half es, daß die abziehenden Franzosen Plätze und Städte den »kaiserlichen« Truppen überantworteten? Sobald die Franzosen weg waren und die republikanischen Banner vor den Mauern erschienen, erfolgte die Übergabe an sie so rasch und regelmäßig, als handelte es sich um ein selbstverständliches Geschäft. Die Stunde des vollständigen Triumphs der Republik ließ sich von allen, welche rechnen konnten und wollten, mit mathematischer Genauigkeit vorhersehen und vorhersagen. Natürlich mußte bei solchen Verhältnissen die Berufung eines Nationalkongresses durch die »kaiserliche« Regierung das bleiben, was sie von Anfang an gewesen war: ein barocker Einfall.

Der Erzherzog mußte das alles sehen, wenn er die Augen auftat. Zuweilen tat er sie wirklich auf, wie z. B. an dem Tage, wo er Bazaine zu einer Unterredung nach der Haciende La Teja entbieten ließ. Der Marschall ging frei mit der Sprache heraus, als ihn der Prinz fragte, was er von der Lage des »Kaisertums« halte. »Nach der Rückberufung unserer Truppen«, sagte er, »gibt es für Sie in diesem Lande nur noch Gefahren und keine Möglichkeit mehr, Ruhm zu erwerben. Von dem Augenblick an, wo die Vereinigten Staaten ihr Veto offen Ihrem Thron entgegenstellten, hatte dieser nur noch eine Scheinexistenz, und selbst ein Hilfskorps von 100 000 Franzosen würde hieran nichts ändern. Ich rate Ihnen daher, abzudanken und abzureisen.« Maximilian war sehr nachdenklich geworden. Endlich gab er zur Antwort: »Ich vertraue Ihnen und bitte Sie daher, einer Junta beizuwohnen, die ich auf den 14. Januar in den Palast zu Mexiko zusammenberufen will. Ich werde mit dabei sein. Sprechen Sie dort Ihre Meinung aus. Stimmt die Mehrheit Ihnen zu, so reise ich ab; verlangt sie aber, daß ich bleiben soll, so braucht man darüber weiter kein Wort mehr zu verlieren. Denn ich werde bleiben, weil ich nicht einem Soldaten gleichen will, der sein Gewehr wegwirft, um rascher aus der Schlacht fliehen zu können.«

Hochherzige Worte, sonder Zweifel, ehrlich gemeint und brav; aber –

»Was man will, zu können,
Macht den großen Mann –«

hatte der Prinz vorzeiten gesagt, und er konnte sich unmöglich einbilden, daß er können würde, was er wollte. Auch der arme Don Quichotte war ein Held, aber eben ein donquichottischer.

Und in der Narretei des sinnreichen Ritters von der Mancha ist wenigstens Methode und Konsequenz gewesen. Der Schattenkaiser von Mexiko dagegen schwankte so recht seinem Verhängnis entgegen, heute hierhin geneigt, morgen dorthin gewendet. In der Unterredung mit Bazaine, der ihm die Dinge zeigte, wie sie waren, hatte er die Augen offen gehabt. Dann aber war der Pater Fischer gekommen, hatte ihm blauen Dunst vorgemacht und in den Wolken desselben ihn die Dinge sehen lassen, wie er sie wünschte. Daraufhin brach er sein dem Marschall gegebenes Wort und erschien nicht in der anberaumten Versammlung, die am 14. Januar im Regierungspalast zusammentrat. Bazaine vermerkte das mit Recht sehr übel, ließ sich aber auf Bitten der Versammelten, lauter Grundsäulen und Hauptstützen des »Kaisertums«, doch herbei, den Herren in Form einer motivierten Erklärung seine Meinung zu sagen, die dahin ging und nur dahin gehen konnte, daß es für den »Kaiser« wie am klügsten, so auch am ehrenvollsten sei, abzudanken, weil es sich herausgestellt, daß die überwiegende Mehrheit der Nation nichts von der Monarchie wissen wolle, und weil sich der Erzherzog nach dem Abzug der Franzosen und der Fremdenlegionen unmöglich werde halten können.

Nachdem der Marschall die Sitzung der Junta verlassen hatte, brachte er sein Votum noch zu Papier und ließ das Schriftstück dem »Kaiser« zustellen. Gewarnt hat also Bazaine den Erzherzog, eindringlich, wiederholt, mündlich und schriftlich gewarnt, das steht aktenmäßig fest.

Nach der Entfernung des Marschalls trat die Junta, vierzig Mitglieder stark, in Beratung über die Frage: »Soll das ›Kaisertum‹ aufrechterhalten und der Kampf desselben gegen die Republik fortgesetzt werden?« Unter den vierzig waren vier, denen der Parteifanatismus das Licht des gesunden Menschenverstandes noch nicht ganz ausgeblasen hatte. Aber die Fanatiker – welche übrigens nachmals, ganz wenige ausgenommen, ihre teuren Personen beizeiten in Sicherheit brachten, – trugen es gegen diese vier Nein mit sechsunddreißig Ja davon. Der Entscheidungsschlag dieser Abstimmung war auch gegen die Franzosen im allgemeinen gerichtet und gegen die Machenschaften Castelnaus und Danos im besonderen. Wenn diese auf Wiederherstellung der mexikanischen Republik (unter Bedingungen, die die vieldeutigen »französischen Interessen« sicherstellten) abzielenden Machenschaften jetzt noch einen Sinn haben sollten, so mußte von seiten der Franzosen sofort mit Gewalt gegen den »Kaiser«, das »Kaisertum« und die ganze Klerisei und Rückwärtserei vorgegangen werden. Castelnau und Dano wäre hierzu zweifelsohne bereit gewesen, allein Bazaine wollte sich ohne ausdrücklichen Befehl von Paris nicht dazu verstehen. Natürlich verloren damit die zwischen dem französischen Hauptquartier und einigen republikanischen Generalen angeknüpften Beziehungen ihren Hauptzielpunkt. Man beschränkte sich von da ab auf die Erweisung von gegenseitigen Artigkeiten, besonders bei Auswechslung der Gefangenen. Wir gehen, sagten die Franzosen, und wenn wir fort sind, mögt ihr zusehen, wie ihr mit dem Kaiserschwindel fertig werdet. Wohl, erwiderten die Republikaner, geht in Frieden! Mit der Parodie von Montezumas Thron und Krone werden wir kurzen Prozeß machen … Die republikanischen Führer haben auch deutlich genug erkennen lassen, welches Schicksal dem Autor des Dekrets vom 3. Oktober bevorstände, wenn er in ihre Hände fiele. Daher die Bemühung des Marschalls, dem unglücklichen Erzherzog bis zur letzten Möglichkeit einen Weg zum Entkommen offen zu halten. Diese Gerechtigkeit muß man Bazaine widerfahren lassen, und es zeugt entweder von grober Unkenntnis oder von plumper Bosheit, wenn man gesagt hat, er habe den österreichischen Prinzen ans Messer geliefert.

An dem schicksalsschweren 14. Januar platzte auch die Seifenblase der Berufung eines Nationalkongresses durch Maximilian. Die Junta erklärte nämlich, eine solche Berufung sei »unnütz und überflüssig«. Man war voll lächerlich-stolzer Zuversicht, man wiegte sich in den törichtsten Einbildungen, wie sich ja der Erzherzog selber noch immer einbildete, einen Mann wie Porfirio Diaz für sich gewinnen zu können. Das »kaiserliche« Ministerium tat ordentlich dick mit seinen Mitteln. Der Herr Kriegsminister sagte: »Ich habe 250 000 Pesos in meiner Kasse.« Der Herr Finanzminister: »Und ich elf Millionen, wovon acht sogleich flüssig.« Das »Kaisertum« rüstete sich also zum Kampf. Es hielt sich für gesund und kräftig, weil es, schon in seinen Todeskampf eingetreten, krampfhaft mit Armen und Beinen um sich schlug.

Ende Januar begann der Abzug und die Einschiffung der Franzosen. Mit ihnen oder vielmehr noch vor ihnen gingen die österreichischen und belgischen Söldnertruppen, die zuerst eingeschifft wurden. Nur etwa fünfhundert ungarische Husaren blieben bei dem Erzherzog zurück. Am 8. Februar wurde die Fahne, die über dem französischen Hauptquartier zu Buena-Vista bei Mexiko geflattert, herabgenommen. Der Marschall brach auf, hielt aber noch angesichts der Hauptstadt für einen Tag und eine Nacht lang wieder an, um dem »Kaiser« Zeit zu lassen, seinen Entschluß zu bereuen und ihm nachzukommen. Abgesehen von allem andern mußte aber dem Prinzen dies schon die Erbitterung darüber verwehren, daß Bazaine vor seinem Scheiden von der Hauptstadt in einer an die Bevölkerung derselben gerichteten Proklamation die Worte gesprochen hatte: »Es lag nie in den Absichten Frankreichs, euch eine Regierungsform aufzudrängen, die euren Gefühlen zuwiderlief« – eine offizielle Lüge, so hoch und so dick wie der Popokatepetl. Am 14. Februar meldete der General Castelnau vor seiner Einschiffung in Veracruz an Napoleon III.: »Unser Abzug aus Mexiko hat unter allgemeiner Sympathiebezeigung stattgefunden. Der Kaiser bleibt in Mexiko, wo vollkommene Ruhe herrscht« – eine offizielle Lüge, so hoch und so dick wie die Iztaccihuatl. Der Marschall machte auf seinem Rückzug in Puebla einen fünftägigen und dann auch noch in Veracruz einen mehrtägigen Halt, um den »Kaiser« zu erwarten, falls dieser sich doch noch entschlossen hätte, ein Spiel, das er, so er bei fünf gesunden Sinnen, für ein verlorenes ansehen mußte, aufzugeben. Bazaine kehrte sogar auf das Gerücht hin, Maximilian käme von der Hochebene herabgeflohen, von Veracruz nach La Soledad zurück, um den Flüchtling aufzunehmen. Das Gerücht bestätigte sich jedoch nicht. Der Erzherzog war, statt der Küste zuzueilen, zu dieser Zeit schon gen Nordwesten nach Queretaro gezogen.

Am 11. März 1867 übergab der französische Kommandant die Hafenstadt Veracruz an den »kaiserlichen« General Gomez. Der Marschall ging an Bord des »Souverain«, und wenige Tage darauf verließ das letzte französische Schiff mit dem letzteingeschifften französischen Bataillon die Reede.

So endete die Verwirklichung der »größten Idee« des zweiten Empire, – ein Abenteuer, in dessen Schlund Frankreich Tausende seiner Söhne und eine Milliarde seines Geldes geworfen hatte.

15.
Der 19. Juni.

Titus Livius hat in einem geretteten Bruchstück seines verlorengegangenen 120. Buches, da, wo er von des Cicero tragischem Ende spricht, über den berühmten Redner der Philippiken gegen Verres, Katilina und Antonius das Urteil gefällt: »Keines seiner Mißgeschicke ertrug er manneswürdig, ausgenommen seinen Tod.« Ein strenges, ein herbes, aber ein wahres und gerechtes Wort.

Man könnte dieses Wort, mit einiger Milderung vielleicht, auf den Erzherzog Maximilian anwenden, um so mehr, da er freilich nicht an Genie, aber doch an Unbeständigkeit des Charakters mit dem Toten von Formiä verglichen werden darf.

Ob er seinen Entschluß, einer, mildestens gesagt, zweideutigen Faktion auf Gnade und Ungnade sich hinzugeben und in Mexiko auszuharren, komme, was da wolle, nicht bereut hat? Man weiß es nicht. Ob er aber diesen Entschluß überhaupt gefaßt hätte, wenn er gewußt, daß der falsche Miramon, bevor er im Herbst 1866 aus Europa nach Mexiko zurückgekehrt war, in einem Pariser Salon ganz laut geprahlt hatte, er kehre nur heim, um nach dem voraussichtlichen Sturze des »Kaisertums« den Präsidentenstuhl wieder einzunehmen? Vielleicht nicht, vielleicht aber doch; denn er würde sich geschmeichelt haben, daß dieser Mensch nicht wagen würde, feindselig gegen ihn aufzutreten. Eine der vielen Illusionen des Erzherzogs, da ja kein Zweifel gestattet ist, daß Miramon, falls er nach dem Abzug der Franzosen als »kaiserlicher« General so glücklich gewesen wäre, wie er unglücklich war, sofort eine Schilderhebung gegen den »Kaiser« begonnen hätte. Es ist die Lächerlichkeit der Lächerlichkeiten, wenn man den »Märtyrertod« dieses Menschen mit sentimentalem Brillantfeuer zu beleuchten versuchte. Miramon würde den österreichischen Prinzen zehnmal verraten haben, falls er sich damit von den tödlichen Kugeln, wie sie niemals ein verräterischeres Herz durchbohrten, hätte loskaufen können. Zudem hatten Hunderte seiner republikanischen Landsleute das Recht der Blutrache auf den grausamen Pfäffling, der das Blut der Liberalen wie Wasser vergossen hatte.

Wußte Maximilian, daß er um seinen Kopf spielte, als er das Spiel der Rückwärtser vollständig zu dem seinigen machte?

Unbedingt ja!

Es ist rein unmöglich, daß der, der zum Werkzeug der Bonaparteschen Politik in Mexiko sich hergegeben, der, der das Dekret vom 3. Oktober verfaßt und verkündigt hatte, nicht gewußt hätte, daß, falls er den Republikanern in die Hände fiele, die Führer derselben ihn schlechterdings nicht retten könnten.

Hierauf, auf dem Entschlusse, das Spiel anzunehmen, wie es lag, beruht die tragische Würde seines Untergangs.

Das Trauerspiel in Mexiko hat auch das Eigentümliche, daß der Held erst in den letzten Szenen zu einer Höhe heranwächst, welche ein reinmenschliches Mitgefühl erregt und rechtfertigt. Indem er nicht mehr um die Verwirklichung seiner phantastischen Herrscherträume, an denen er verzweifeln mußte, sondern nur noch um die Bewahrung seiner Ehre kämpfte, die er bewahren konnte, sühnte er sterbend seine Schuld …

Schon wenige Tage nach dem Abzug der Franzosen konnte sich der Erzherzog über seine Stellung unmöglich mehr einer Täuschung überlassen. Er mußte merken, daß ihm statt des Joches eines treulosen Verbündeten, das so schwer auf ihm gelastet hatte, jetzt noch ein viel schwereres aufgelegt war, das Joch der Parteityrannei.

Und vollends das Joch dieser Partei, welche, ganz wenige Ausnahmen abgerechnet, aus lauter Miramons zusammengesetzt war. Diese Menschen bereuten bald, den österreichischen Prinzen im Lande zurückgehalten zu haben, als sie merkten, daß sie die Bedeutung der Ziffer, welche Maximilian in ihrer Rechnung vorstellte, viel zu hoch angeschlagen hätten.

Die Klerikalen hatten nämlich gehofft, durch die geradezu feindselige Stellung, die sie zuletzt gegen die Franzosen eingenommen, ihre Allianz mit den fremden Eindringlingen und Vergewaltigern aus dem Gedächtnis ihrer Landsleute wegzuwischen. Trotzdem hielten sie in wunderlicher Borniertheit den durch die Franzosen importierten »Kaiser« zurück, weil sie in der Person desselben ein kostbares Pfand in Händen zu haben wähnten. Sie lebten ja bis zur Wegfahrt des letzten französischen Schiffes von der mexikanischen Küste des festen Glaubens, Napoleon III. dürfte und würde unter keinen Umständen seinen Schützling ganz im Stiche lassen. Die Rücksicht auf Österreich, die Rücksicht auf den eigenen und auf den europäischen Monarchismus müßte ihm dies gebieten, von der Ehre im allgemeinen und von der französischen Gloire im besonderen gar nicht zu reden. Sowie sie nun erkennen mußten, daß das alles nur Täuschungen, welche sie sich selber vorgegaukelt hätten, war ihnen der unglückliche Prinz nur noch eine Last, ein hinderlicher Figurant, den sie beiseitezuschieben nicht anstanden.

Hieraus erklärt sich auch der falsche Schritt, den der »Kaiser« tat, d. h. den man ihn tun machte, als er die Hauptstadt verließ. Die Herren Larez und Marquez, welche ihn hierzu bewogen, wußten wohl, warum. Die Vorzüge seiner Person, seine Einfachheit, Anspruchslosigkeit und Freundlichkeit hatten dem Prinzen gerade in der Hauptstadt viele Zuneigung gewonnen. Hier, wo man ihn von seiner besten Seite kennen gelernt, hatte er auch den festesten Halt, soweit eben von einem solchen überhaupt die Rede sein konnte. Daß aber der »Kaiser« etwas sei und bedeute, durch sich selbst etwas bedeute, stimmte nicht mit den Absichten der Larez, Marquez und Konsorten. Sie fürchteten auch, der Erzherzog könnte, solang er im Besitz der Hauptstadt wäre, diese seine Stellung benutzen, um mit den Republikanern in Unterhandlungen zu treten, die unter Umständen nicht ganz hoffnungslos sein dürften; sie fürchteten, solche Unterhandlungen könnten dahin führen, daß Maximilian am Ende auf ihre, der Klerikalen, Kosten irgendwie seinen Frieden mit den Liberalen machte. Leider muß man sagen, daß diese Befürchtung nicht ganz der Grundlosigkeit geziehen werden kann, wenn man bedenkt, wie sehr der Erzherzog von seiner Ankunft in Mexiko an zwischen den Parteien hin und her geschwankt hatte. Larez und Marquez und Konsorten wollten in der Hauptstadt selber die Herren sein, um diese Stellung so lange als möglich ausnützen zu können. Lange währte das freilich nicht; denn das eine Hauptheer der Republikaner unter Diaz operierte gegen die Hauptstadt zu, während das andere unter Eskobedo auf Potosi, Zakatekas und Queretaro vorging.

Im Februar wußte die Umgebung des »Kaisers« ihm weiszumachen, daß »strategische Rücksichten« seine Anwesenheit in der nordwestlich von Mexiko in der Sierra von Queretaro gelegenen gleichnamigen Stadt forderten. Es sei ja schlechterdings nötig, dem in jener Gegend kommandierenden Miramon, den Eskobedo vor sich hertrieb, Hilfe zu bringen. Der Erzherzog ging auf das Ansinnen ein und marschierte nach Queretaro, in welche wohlgebaute und feste Stadt er am 21. Februar einzog, während achtzehn Tage früher der Präsident Juarez seinen Regierungssitz in Zakatekas aufgeschlagen hatte.

In der Hauptstadt war Marquez als Befehlshaber zurückgeblieben und setzte unter eifriger Mitwirkung seines Spießgesellen Vidaurri ein schamloses Raub- und Schreckensregiment in Gang. Diese »loyalen« und »frommen« Leute zeigten der Einwohnerschaft recht gründlich, was es hieße, Thron und Altar aufrechtzuerhalten. Der Todeskampf des Kaiserschwindels nahm überhaupt einen sehr gewaltsamen und blutigen Verlauf. Denn die siegreich vorschreitenden Republikaner taten ihrerseits das Rachewerk mit Unerbittlichkeit. Waren sie doch zu bitter gereizt, zu grausam verfolgt worden, als daß der mexikanischen Anschauung ein Verzicht auf vollwichtige Vergeltung auch nur als Möglichkeit hätte vorschweben können. Hier hieß es: »Wie du mir, so ich dir!«

Die Hauptstadt, Queretaro und Veracruz waren bald die einzigen drei Plätze, wo die »kaiserliche« Fahne noch wehte, und diese drei Plätze waren vollständig voneinander abgeschnitten, nachdem Diaz am 2. April Puebla genommen und zur Einschließung von Mexiko vorgegangen war, während Eskobedo noch früher die Umzinglung von Queretaro bewerkstelligt und die Belagerung der Stadt begonnen hatte.

Queretaro ist auf einem Hügel erbaut, der sich aus der Zentralhochebene von Anahuak erhebt. Die Stadt ist eine der gesündesten, schönsten und wohlhabendsten des ganzen Landes. Ihre freie Lage, sowie ihre massive Bauart verleihen ihr eine beträchtliche Verteidigungsfähigkeit. Der »Kaiser« hatte, von dem treuen Mejia unterstützt, hier eine Streitmacht von 15 000 Mann zusammengebracht, die besten Leute von allen, welche die »kaiserlichen« Waffen getragen hatten. Auch Miramon war da und scheint sich mutig und standhaft benommen zu haben, denn Maximilian hat ihm bis zum letzten Augenblick Vertrauen bezeigt. Es war freilich auch gar nichts mehr zu machen, als mutig und standhaft zu sein; denn schon zu Ende des März war die Lage der Belagerten hoffnungslos, weil von keiner Seite her auch nur die geringste Hilfe erwartet und die von Eskobedos 25 000 Mann starkem Heere um die Stadt her gezogene Belagerungslinie nicht durchbrochen werden konnte. Miramon wußte außerdem sehr wohl, daß ihm auch ein an dem »Kaiser« versuchter und gelungener Verrat bei den Republikanern keine Verzeihung und Schonung erwirken würde. Es ist beklagenswert, daß der Erzherzog an der Seite dieses Menschen auf dem Richtplatz sterben mußte. Warum war es ihm nicht vergönnt, an der Spitze der Indianer Mejias und seiner ungarischen Husaren mit dem Degen in der Hand einen braven Soldatentod zu finden! An Gelegenheit hierzu hat er es, tapfer allen Gefahren sich aussetzend, während der Verteidigung Queretaros seinerseits nicht fehlen lassen.

Aber es sollte nicht sein. Das Verhängnis mußte vollendet und eine große Lehre gegeben werden.

Das Hoffnungslose des Widerstands mußte sich übrigens den Verteidigern der belagerten Stadt bald um so fühlbarer machen, als noch vor Ablauf des März Mangel in der Stadt sich einzustellen begann. Maximilian versuchte also – wir dürfen wohl annehmen, weit mehr um seiner Leute als um seiner Person willen – Unterhandlungen mit Eskobedo. Er bot ihm die Übergabe der Stadt an unter der Bedingung, daß ihm, seinen europäischen Begleitern und Soldaten freier Abzug aus dem Lande bewilligt, seinen mexikanischen Anhängern aber eine Amnestie zugesichert würde. Der republikanische General erwiderte hierauf, er sei befehligt, Queretaro zu nehmen, nicht aber, mit dem angeblichen Kaiser von Mexiko – er kenne gar keinen solchen – zu unterhandeln. Im übrigen schreie das Blut seiner beiden Kameraden Arteaga und Salazar, sowie das von Hunderten seiner Waffengefährten, die allesamt infolge des Dekrets vom 3. Oktober erbarmungslos erschossen worden seien, um Rache. Von Eskobedo also abgewiesen, ließ der Erzherzog seinen Kapitulationsantrag auch dem Präsidenten Juarez zukommen, erhielt aber gar keine Antwort.

Am 6. Mai machten die Belagerten ihren fünfzehnten und letzten Ausfall, um sich durchzuschlagen, wurden aber zurückgetrieben. Die Mittel des Widerstands waren jetzt völlig erschöpft, und man konnte nur noch versuchen, mit Ehren zu sterben. Hierzu sollte ein nochmaliger Ausfall Gelegenheit geben, den der Erzherzog auf die Nacht vom 14. auf den 15. Mai anordnete. Aber er kam nicht zur Ausführung, denn Queretaro fiel in derselben Nacht oder vielmehr in der Morgenfrühe des 15. Mai den Belagerern in die Hände. Um 4½ Uhr morgens waren die Republikaner überrumpelnd in das Kloster La Cruz, wo Maximilian sein Hauptquartier hatte, eingedrungen. Der Erzherzog konnte sich in Zivilkleidung, begleitet von seinem Adjutanten Prinz Salm, aus La Cruz nach einem andern Bollwerk der Stadt, dem Cerro de las Campanas, flüchten, weil ein Oberst der Republikaner den »Kaiser« erkannt hatte, ihn großmütig retten wollte und seinen Leuten befahl, ihn passieren zu lassen, da er »ein Bürger« sei. Der von den Belagerten engumschlossene und mit Granaten überschüttete Cerro de las Campanas war jedoch nur noch für etliche Stunden widerstandsfähig. Die Stadt befand sich schon in den Händen der Republikaner. Um sieben Uhr entsandte der Erzherzog einen Parlamentär, um die Übergabe des Cerro anzubieten, – eine Übergabe, die selbstverständlich nur eine auf Gnade und Ungnade sein konnte. Um acht Uhr überlieferte Maximilian seinen Degen an General Eskobedo.

So fiel Queretaro, wo 500 Offiziere und 7000 Soldaten vor den Siegern die Waffen streckten. Am 19. Juni schlich sich Marquez aus der belagerten Hauptstadt, worauf sich diese auf Gnade und Ungnade an ihren Belagerer Diaz ergab. Am 27. Juni zogen die Republikaner auch in Veracruz ein. Damit war der Kaiserschwindel, der den »Kaiser« noch um eine Woche überlebt hatte, aus und verschwunden, die Republik im ganzen Umfange des mexikanischen Gebietes wieder hergestellt und die Autorität des Präsidenten Juarez anerkannt.

Der konnte dann mit denselben alten, treuen, zähen Prinzipmannshänden, womit er die verratene, verfolgte und geächtete republikanische Fahne unter tausend Sorgen, Nöten und Gefahren vor der Demütigung, Besudelung oder gar Zerreißung durch eine tückische Invasion und eine schwindelhafte Usurpation bewahrt und gerettet hatte, als die triumphierende in das Hochtal von Anahuak zurück und auf die Plaza mayor von Mexiko wieder hineintragen …

Allgemein ist die Meinung, der österreichische Prinz sei an jenem Maimorgen durch Verrat in die Hände seiner Feinde gefallen. Der Oberst Miguel Lopez, ein Oheim der Frau Marschallin Bazaine, auch Ritter der französischen Ehrenlegion und gern gesehener Gast in den Tuilerien, soll den Erzherzog um 10 000 Pesos an Eskobedo verraten und verkauft, d. h. an jenem Morgen den Belagerern das Tor von La Cruz aufgetan und sie sogar bis in das Schlafzimmer Maximilians geführt haben. Allem nach, was man von diesem Lopez weiß, war er ganz der Mann dazu, diese Schurkerei zu verüben, und die bestimmte, die Vorgänge vom Morgen des 15. Mai klar und überzeugend veranschaulichende Bezeugung des Prinzen Salm sowie die von Maximilians Leibarzt S. Basch läßt kaum mehr irgendeinen Zweifel übrig, daß er sie wirklich beging Wie er sie beging und vollbrachte, hat Theodor Kählig, welcher als ein Reiteroffizier Maximilians mit in der Stadt war, auseinandergesetzt in seiner »Geschichte der Belagerung von Queretaro« (nach authentischen Quellen und eigenen Erlebnissen), Wien 1879, S. 105 f.. Eskobedo meldete die Übergabe Queretaros und die Gefangennahme Maximilians also an den Kriegsminister der Republik nach San Louis Potosi, wo der Regierungssitz sich befand: »Lager vor Queretaro, am 15. Mai 1867. Heute morgen um drei Uhr haben unsere Truppen La Cruz genommen, indem sie den Feind an jenem Punkte überrumpelten. Kurz darauf wurde die Garnison des Platzes gefangengenommen und die Stadt durch unsere Truppen besetzt, während der Feind mit einem Teil der Seinigen sich auf den Cerro de las Campanas zurückzog, in großer Unordnung und von unserer Artillerie auf das wirksamste beschossen. Schließlich, etwa um die achte Stunde, ergab sich mir auf Diskretion Maximilian, ebenfalls auf dem erwähnten Cerro. Haben Sie die Güte, dem Bürger Präsidenten meine Glückwünsche zu diesem großen Triumph der nationalen Waffen darzubringen.« In dieser Depesche ist allerdings von dem Verrate des Lopez keine Rede; aber man weiß ja, daß man von solchen Dingen amtlich nicht gern spricht. Prinz Salm berichtet, daß nach seiner und des Erzherzogs Gefangennahme in ihrer Gegenwart ein höherer republikanischer Offizier den Lopez laut als Verräter bezeichnet und hinzugefügt habe: »Solche Leute benutzt man und gibt ihnen dann einen Fußtritt.«

Mit voller Zuversicht und Bestimmtheit darf und muß es ausgesprochen werden, daß der alte Juarez das Leben des gefangenen Prinzen gern gerettet gesehen hätte und retten wollte. Der verstandesklare Mann erkannte deutlich, daß es der siegreichen Republik zu weit höherem Ruhme gereichen müßte, des Gefangenen Leben zu schonen, als es ihr zum Nutzen gereichen könnte, es zu nehmen. Allein mit der Logik des Verstandes ist gegen die Logik der Leidenschaft bekanntlich nicht aufzukommen, und die letztere wurde mit Unbeugsamkeit namentlich durch Eskobedo, den Sieger von Queretaro, vertreten, der sich zum Organ aller Vergeltungswünsche – und diese waren zahllos – machte und es offen aussprach, die Gerechtigkeit müßte ihren Lauf haben, der Urheber des Dekrets vom 3. Oktober sollte dessen Wirkung an sich selber erfahren und die »Bitterkeit des Trankes, den er den Republikanern eingeschenkt, auf der eigenen Zunge schmecken«.

War vom Standpunkte des biblischen Jus talionis aus gegen diese Forderung etwas einzuwenden? Nein! »Wehe den Besiegten!« hatte der Erzherzog am 3. Oktober 1865 den mexikanischen Patrioten zugerufen. Jetzt waren sie an der Reihe, diesen Ruf zu erheben, und so taten sie.

Allerdings büßte der Erzherzog Maximilian die Schuld eines anderen, der weit schuldiger war als er selbst. Das ist eben herkömmlich in der Welt. Ludwig XIV. und Ludwig XV. starben in ihren Betten, Ludwig XVI. litt auf dem Schafott. Allein der österreichische Prinz büßte auch eigene Schuld: er hatte sich ja aus freien Stücken an dem frevelhaften Attentat auf die Unabhängigkeit eines Volkes beteiligt, das vollkommen in seinem Rechte war, wenn es die Attentäter, soweit es deren habhaft werden konnte, vernichtete. Wo, fragen wir, wo in aller Welt hätte sich ein Volk so etwas bieten lassen, ohne darüber in Wut auszubrechen, ohne alle Kräfte anzustrengen, um zu seinem Recht und zu seiner Rache zu kommen? Kein human gebildeter Mensch, und wär' ihm auch die Brust siebenfach mit republikanischem Erz umpanzert, wird über den blutigen Ausgang Maximilians frohlocken. Aber ekelhaft, unsäglich ekelhaft ist es, knechtisch gesinnte Menschen über den Tod des Prinzen schluchzen zu hören – Lakaienseelen, welche trockenen Auges ganze Völker zu Boden stampfen sehen können …

Die europäische Diplomatie, soweit sie zur Zeit in Mexiko vorhanden war, hat eifrige Anstrengungen zur Rettung des gefangenen Erzherzogs gemacht. Diese mußten aber vergeblich sein; denn wie hätten die mexikanischen Republikaner etwas auf die Dazwischenkunft derselben Diplomatie, welche das »Kaisertum« anerkannt hatte, geben können? Der österreichische Gesandte in Washington hatte, in Voraussicht der Katastrophe von Queretaro, auch die Verwendung der Unionsregierung bei Juarez nachgesucht, und diese Verwendung wurde wirklich gewährt; allein der Präsident ließ an den Staatssekretär Seward die Antwort gelangen, er bedaure, sagen zu müssen, daß es geradezu unmöglich sei, den Prinzen zu begnadigen. Als der preußische und der englische Gesandte sich herausnahmen, an Juarez einen förmlichen Protest gegen die etwaige Hinrichtung Maximilians gelangen zu lassen, wurden sie kühl bedeutet, die Hinrichtung werde stattfinden, falls das Heil der Republik sie gebiete.

Unter diesen Umständen war natürlich die Prozessierung des Erzherzogs nur eine Formalität, wie das ja unter ähnlichen Verhältnissen allzeit und allenthalben der Fall gewesen ist und allenthalben und allzeit der Fall sein wird, solange die Menschen nicht zu Engeln avancieren, wozu nicht eben viel Aussicht vorhanden ist.

Dennoch scheint der alte Zapoteke einen leisen Hoffnungsschimmer, das Leben Maximilians retten zu können, darin erblickt zu haben, daß er anordnete, der Prozeß des Prinzen solle der gewöhnlichen Standrechtübung entzogen und vor ein eigens zu diesem Zwecke bestelltes Kriegsgericht gebracht werden. Juarez wollte dadurch augenscheinlich Zeit gewinnen, um die Leidenschaften wenigstens einigermaßen sich abkühlen zu lassen. Wäre es nach seinem Wunsche gegangen, so hätte das Kriegsgericht nicht auf Tod, sondern auf Landesverweisung erkannt, und, seltsam zu sagen, der Prinz scheint in dieser geheimen Hoffnung mit dem Präsidenten zusammengetroffen zu sein. Denn er setzte im geheimen ein Schriftstück auf, kraft dessen er auf den Fall seiner Landesverweisung hin zugunsten des »Prinzen« Iturbide dem Thron entsagte und die Herren Larez, Lakunza und Marquez zu Mitgliedern der Zwischenregierung ernannte – unglaublich, aber wahr! Wenn man von diesem Dokument hört, so ist man doch sehr versucht, daraus auf zeitweilige Geistesstörung des Verfassers zu schließen, denn wie hätte ein Mensch von fünf gesunden Sinnen auch jetzt noch an der Illusion des Kaiserschwindels festhalten können?

In den letzten Tagen des Mai ließ der Erzherzog an den Präsidenten das Gesuch abgehen, zur Ordnung seiner Angelegenheiten und zur Führung seiner Verteidigung Advokaten aus der Hauptstadt kommen lassen zu dürfen. Es wurde gewährt und ebenso das weitere, den österreichischen, preußischen und belgischen Gesandten herbescheiden zu dürfen. Nicht gewährt dagegen wurde des Gefangenen Wunsch, mit Juarez eine Unterredung zu haben. Die Advokaten und Diplomaten langten aus Mexiko an, doch wurden der österreichische, der belgische und italienische Botschafter später aus Queretaro verwiesen, weil man sie der Beteiligung an Versuchen bezichtigte, die die Flucht des Erzherzogs ermöglichen sollten. Dasselbe widerfuhr auch einer Dame, der Prinzessin Salm-Salm, Frau des Adjutanten Maximilians, die ihren Diamantenschmuck zur Befreiung des Gefangenen verwenden wollte und in dieser Sache überhaupt hochherzigen Mut und Eifer entwickelte.

Das aus sieben Mitgliedern bestehende Kriegsgericht begann am 13. Juni seine Sitzungen, nachdem das Verlangen Maximilians, von einem Nationalkongreß gerichtet zu werden, abgelehnt worden war. Der unglückliche Mann, eines heftigen Fieberanfalls Beute, konnte nicht an den Schranken erscheinen, weshalb sich die Prozedur zunächst gegen seine Mitangeklagten Miramon und Mejia richtete. Als sich der Kranke einigermaßen erholt hatte, wurde auch er vorgeführt, und der Auditeur Aspiroz verlas die Anklageakte, hinzufügend, eine Appellation gegen den zu fällenden Urteilsspruch sei unzulässig. Die Anklage ging auf Verschwörung, Usurpation und das an den rechtmäßigen Verteidigern der Republik verübte Verbrechen der Ächtung. Dem Angeklagten standen vier rechtsgelehrte Verteidiger zur Seite. Am kräftigsten sprach der Advokat Ortega, der die Kompetenz des Gerichts entschieden bestritt. Am 14. Juni elf Uhr nachts wurde gegen alle drei Angeklagten der Todesspruch gefällt.

Am 19. Juni ist er auf dem östlich vor der Stadt gelegenen Cerro de las Campanas vollstreckt worden. Hier bildeten die Truppen Eskobedos ein großes, nach einer Seite offenes Viereck; der General Diaz de Leon kommandierte die Exekution.

Warum das Gräßliche weiter ausmalen? Warum bei einer jener Szenen verweilen, die immer wieder aufs neue die trostlose Wahrheit bekräftigen, daß der Mensch trotz alledem und alledem nichts ist als eine schlechtgezähmte Bestie?

Um sechs Uhr des Morgens fuhren die Verurteilten, jeder in einem eigenen Wagen, auf den Richtplatz hinaus. Alle drei hielten und benahmen sich wie Männer. Als ihnen auf der offenen Seite des Truppenvierecks ihre Standorte angewiesen waren, wurde ihnen das Urteil noch einmal vorgelesen und die Erlaubnis zum Sprechen erteilt. Mejia verhielt sich schweigsam, Miramon sprach nur wenige Worte. Der Erzherzog redete mit klangvoller Stimme also: »Ich sterbe für eine gerechte Sache, die der Unabhängigkeit und Freiheit Mexikos. Möge mein Blut das Unglück meines neuen Vaterlandes auf immer besiegen! Es lebe Mexiko Ich entnahm diesen Text der »Denkschrift über den Prozeß des Erzherzogs Maximilian von Österreich«, verfaßt von dessen gerichtlichen Verteidigern Mariano Riva Palacio und Rafael Martinez de la Torre (aus dem Spanischen verdeutscht von K. Paschen, 1868).!« Diese kurze und authentische Grabrede Maximilians – denn die weitläufige ihm später in den Mund gelegte ist offenbar erdichtet – fand keinen Widerspruch, nicht den leisesten. Nun winkte der Rettungslose den Feldwebel herbei, der das aufmarschierte Exekutionskommando befehligte, gab ihm eine Handvoll Gold, um es an die Mannschaft zu verteilen, und sprach bittend die Worte: »Auf die Brust: Zielt nach dem Herzen! Zielt gut!«

Der Feldwebel trat zurück und blickte auf den Kommandanten. Dieser nickte leicht mit dem Kopfe. » Adelante!« Die Schützen traten an. Ein entblößter Offiziersdegen hob sich, die Gewehrläufe senkten sich, der Degen hob sich abermals, die Schüsse krachten, die Hörner gellten, die Trommeln wirbelten, und über die drei Männerleichen am Boden hinweg scholl der wilde Triumphschrei: » Libertad y independencia!«

So starb Maximilian von Österreich, der wert war, für eine bessere Sache zu sterben. Die Art, wie er die Sühne für seine Schuld leistete, beweist das.

Darum wird kein fühlender Mensch dem Toten sein Mitleid versagen. Aber kein denkender Mensch wird anstehen, der tragischen Szene, welche am 19. Juni 1867 auf dem Cerro vor Queretaro gespielt hat, eine weit höhere Bedeutung als eine nur persönliche zuzumessen.

In Wahrheit, der Sinn dieser Szene war ein weltgeschichtlich-ethischer. Denn sie hat gezeigt, wie alle Lug- und Trugmittel des Despotismus, alle Listen und Gewaltsamkeiten zunichte werden an dem standhaften Willen eines Volkes. Sie hat bewiesen, daß es doch noch ein Höheres gibt als den Triumph des zeitweiligen, so oder so gewonnenen Erfolges, nämlich den Triumph des Rechts. Sie hat offenbart, wie turmhoch Prinzipmänner über Opportunitätspolitikern stehen. Sie hat festgestellt, daß der Cäsarismus, dem Europa so lange feige sich fügte, wenigstens in Amerika einen unbesiegbaren Widerstand fand, an welchem das erschlaffte öffentliche Gewissen wieder sich aufrichten und kräftigen konnte, und sie hat endlich eine Mahnung gegeben, daß, wenn der Gang der Nemesis zumeist nur ein langsames, lässiges und leises Schleichen ist, die erhabene Vergelterin doch mitunter ihre Schritte zu furchtbarer Eile und zu erschütternden Donnerlauten steigert, um den Frevel jählings einzuholen und zu zermalmen.

Das ist, richtig erwogen, die Moral des Trauerspiels in Mexiko. Aber wer beachtet sie?


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