Johannes Scherr
Nemesis
Johannes Scherr

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9. »Herr Jesus, mein Konrädle!«.

Auch andere hatten die Feuersgefahr, welche dem Dorfe drohte, zeitig wahrgenommen.

Die Gräfin hatte nach ihrer Rückkehr aus dem Pfarrgarten einen Brief zu schreiben angefangen, war aber nicht weit mit demselben vorgerückt, als sie die Feder weglegte, ihr Umschlagetuch nahm und in den Park hinabging, auf dessen Rasenplätzen und Baumgruppen das duftige Schweigen einer mondhellen Mainacht lag.

Wie sie sich in die einsamen Schatten vertiefte, klangen die Erlebnisse und Gespräche des Tages in ihrer Seele nach, und sie fühlte sich recht traurig gestimmt. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit dem jungen Mann, welcher ihr durch ein Verhältnis, das die Pein ihres Lebens geworden, nahegestellt war, und dessen Nähe eine Wirkung auf sie übte, deren wunderbare Gewalt sie sich nicht zu erklären wußte, ja kaum zu gestehen wagte.

»Robert ist nicht glücklich,« sagte sie leise vor sich hin, »nein, er ist augenscheinlich nicht glücklich. Hochherzig gesinnt, wie er ist, verbittert es ihn, daß er in dieser verworrenen Zeit nicht den Platz gefunden oder finden zu können glaubt, von welchem aus seinen Kräften ein geeignetes Feld der Wirksamkeit sich auftäte. Ich kann es begreifen, daß er davon spricht, nach Amerika zu gehen, um dort das Leben eines Farmers und Jägers zu versuchen. Es ist nicht die modische Europamüdigkeit, welche ihn dazu treibt, es ist der edle Drang eines unverdorbenen Gemütes, das sich in dem abgelegten Schlendrian unserer Zustände vor Verkümmerung fürchtet und seine Kräfte an einer mühevolleren Aufgabe üben möchte, als das Leben eines Reiteroffiziers, Gesandtschaftsattachés oder Landjunkers sie bietet. Es muß schön zu leben sein in den endlosen Wäldern und auf den Savannen des fernen Westens. Im Kampf mit der Not des Lebens erhält das Leben selbst erst seinen vollen Inhalt und Wert. Wir vornehmen Leute kennen nur den Kampf mit der Langweile, und ist dieser überhaupt der Mühe wert? Wir sind eigentlich nur da, um anderen, oft besseren, zum Gegenstand des Ärgers zu dienen. Ein zweckloses, jämmerliches Dasein! Ich muß Robert achten, daß er, statt ein Schmarotzer beim Bankett des Müßiggangs, ein Kämpfer sein möchte in dem großartigen Streit einer jungen Zivilisation mit einer jugendfrischen, gewaltigen Natur.«

Und auf den Schwingen ihrer kräftigen Phantasie eilte die junge Frau hinüber in die Hinterwälder der Neuen Welt. Dort sah sie Robert auf einer neuangelegten Farm walten und schaffen, und an seiner Seite ein Wesen, das ihm abends mit zärtlicher Sorge den Schweiß von der gebräunten Stirne wischte und ihm seine Mühen durch die Magie einer unbegrenzten Liebe versüßte. Wessen Züge dieses Wesen trug, sie bildete sich ein, dessen nicht sicher zu sein, und doch war sie es in ihres Herzens geheimster Tiefe.

Ihre idyllischen Phantasien schwammen mit den sänftigenden Einflüssen der Mainacht, durch welche sie hinwandelte, zuletzt in eins zusammen. Ein lauer Wind machte die Wipfel flüstern, die Grillen hatten ihr nächtliches Konzert begonnen, und weiter aufwärts die Hügel riefen und antworteten einander die Nachtigallen. Stille und Friede kam in ihr Herz, welches seit vielen Tagen so leidenschaftlich bewegt gewesen. Sie fühlte sich für einen Augenblick wieder so recht angehaucht von dem, was so lange Zeit ihr bester Trost gewesen, von dem allliebenden Walten der Natur, und es war ihr, als klängen ihr im Ohre die melodischen Verse Mörikes:

Wie süß der Nachtwind nun die Wiese streift
Und klingend dann den jungen Hain durchläuft!
Jetzt, da der freche Tag verstummt,
Hört man der Erdenkräfte flüsterndes Gedränge,
Das aufwärts in die zärtlichen Gesänge
Der rein gestimmten Lüfte summt.

O, holde Nacht, du gehst mit leisem Tritt
Auf schwarzem Samt, der nur am Tage grünet,
Und lustig schwirrender Musik bedienet
Sich nun dein Fuß zum leichten Schritt,
Womit du Stund' um Stunde missest,
Dich lieblich in dir selbst vergissest –
Du schwärmst, es schwärmt der Schöpfung Seele mit!

Aus dieser Verlorenheit in den Zauber der Stunde wurde Thekla in die Wirklichkeit zurückgerufen durch ein aus der Richtung nach dem Dorfe zu dumpf herüberkommendes Geschrei und Gelärm. Sie schaute auf und sah durch die Baumzweige hindurch am Himmel einen grellroten Fleck, zu welchem eine Rauchsäule emporqualmte.

Erschrocken schlug sie rasch den Rückweg nach dem Schlosse ein, und als sie über den Pleasure-Ground an der Nordseite desselben eilte, vernahm sie vom Hofe her die Stimme Roberts, welcher seinem Diener hastig zurief:

»Ein Pferd, Andres, rasch, rasch! Nur gezäumt, 's braucht keinen Sattel! Und dann heraus mit der Feuerspritze des Schlosses, angespannt und fort auf die Brandstätte! Die ganze Dienerschaft soll mit! He, Donnerwetter, wo bleibt das Pferd?«

Dann folgte ein lärmendes Getümmel, Türen wurden aufgerissen, und eilige Tritte stampften über den Hof.

Als die Gräfin denselben betrat, sah sie den jungen Mann in vollem Rosseslauf zu der Eingangspforte hinausjagen.

»Was gibt es denn?« fragte sie den an ihr vorübereilenden Andres.

»Es brennt im Dorfe, gnädige Frau. Wir sollen mit der Spritze hin.«

»So eilt euch, eilt Euch!«

Sie selbst beeilte sich, ihre getreue Gertrud herbeizurufen, um sich von derselben nach dem Dorfe begleiten zu lassen.

Ob es wohl auch bloße Neugier und Schaulust war, was sie nach der Brandstätte trieb?

Sie hatte den Ausgang der Allee noch nicht erreicht, als die Feuerspritze an ihr vorüberrasselte. Obendrauf hockte Berdoa und schrie und fistulierte: »Feuerjo! Feuerjo!« Auf den kleinen Mohren durfte Twerenbolds Theorie von der Freude der Menschen an Feuersbrünsten unbedenklich angewendet werden.

Das Feuer mußte in der Hauptgasse des Dorfes wüten. Von dorther strahlte die rote Helle, von dorther scholl das verworrene Tosen, welches solche Unglücksfälle begleitet.

Die Gräfin schlug den Fußweg ein, welcher links unten am See durch Baumgärten nach dem Pfarrhause führte. Dort hoffte sie Näheres zu erfahren.

Die alte Urschel empfing sie mit Jammergeschrei unter der Haustüre. Der Pfarrer war schon auf die Stätte des Unglücks geeilt, wohin er nicht weit zu gehen hatte; denn höchstens einen halben Büchsenschuß weit von seiner Wohnung, jenseits der Straße, schwelgte das Feuer in dem Gebälke mehrerer Häuser, welche, wie es Art im Gebirge, ganz aus Holz erbaut waren.

Man wußte nicht, wie das Unglück entstanden war, und hatte jetzt keine Zeit, danach zu fragen. Die von ihren Feldarbeiten zurückgekehrten Dörfler hatten sich gerade zum Abendessen niedergesetzt, als aus dem Scheunendach des Barthelbauers schwarzer Qualm und gleich darauf die helle Lohe emporschlug. Der Widerschein war in das. Fenster der Studierstube des Pfarrers gefallen und hatte diesen von seinen Büchern und Manuskripten aufgeschreckt. In diese Stube wurde die Gräfin von der Pfarrköchin geführt, welche in allen möglichen Tonarten ihre Besorgnis ausdrückte, der alte Herr, der gute alte »Hairle« möchte sich in dem Gedränge Schaden tun.

»Und er hat nicht einmal einen Rock an,« schluchzte die alte Pfarrmagd. »Hemdärmelig ist er fortgelaufen – verkälten wird er sich – 's ist erschrecklich! Jesus, Maria und Joseph, was für 'ne Brunst! – Und 's war doch kein Durawetter heut'! Ja, die neumodischen Zündhölzerchen, ja die! Die Kinder kriegen's und dann spielen's damit und fliggs brennt das Haus. Oder 's hat so 'n Schlankerl von Tabakraucher d' Pfeifen im Stadel ausklopft! Schauen's, schauen's! Ach, Herrje! Herrje! 's Feuer hat schon den Giebel von des Franz-Tones Haus gepackt! Schauen's, schauen's, jetzt spritzen's mit der Schloßspritze – die pfeift anders als der alte Rumpelkasten vom Dorf. Und unser lieber junger gnädiger Herr – Herrje, wie der die Mannen kommandieren tut! Der versteht's – was für 'ne Stimme er hat! Wie 'ne Trompete, akkurat so. Und dort schauen's, gnädige Frau, dort ist auch unser guter alter Hairle mitten im Gedränge. Hätt' er nur seinen Flausrock an, der ist dick wattiert. Jesus, Maria und Joseph, jetzt reißen's mit den Feuerhaken des Lulebauers Dach runter. Wie das prasselt! Heiliger Sebastian und alle vierzehn Nothelfer, bittet für uns!«

In dieser Weise bildete die alte Urschel, hinter der Gräfin am offenen Fenster stehend, den Chorus zu der nächtlichen Schreckensszene, deren Hergang von diesem Standpunkt aus deutlich zu übersehen war.

Es ging da drüben tumultuarisch genug zu, wenigstens bevor Ordnung in den wirren Knäuel gebracht wurden, welcher vor den brennenden Häusern die Gasse verstopfte, viel schrie und lärmte, aber wenig tat. Leute waren genug vorhanden, aber statt sich gegenseitig zu unterstützen, hinderten sie einander nur. Der gute Pfarrer war allerdings sogleich auf dem Schauplatz der Gefahr erschienen, aber er wußte besser über Donar und Wuotan, Fro und Zio Bescheid als über die Löschanstalten. Er mühte sich daher mit Stimme, Armen und Beinen ganz vergeblich ab, denn bei allem Respekt vor ihrem Hairle glaubten die Bauern doch die Sache besser zu verstehen als er. Sie verstanden es freilich auch nicht, zur Bewältigung der Gefahr ersprießliche Anstalten zu treffen, und mühten sich mit der alten hölzernen Gemeindespritze, deren Pumpwerk von einer Beschaffenheit war, daß es mehr Wasser auf die Spritzenmannschaft als auf die brennende Scheune beförderte, ganz vergeblich ab. Zum Glücke für das Dorf war die Luft ziemlich still. Hätte einer jener rasenden Föhnstürme, die im Hochgebirge so häufig sind, in das Feuer geblasen, es würde seine vernichtenden Flammenarme leicht über den ganzen Flecken geschlagen haben. Aber auch so war die Not groß genug.

Von des Barthelbauers Scheune, die in heller Glut stand, bevor die erschrockenen Dörfler irgendwie zu ernstlichen Maßregeln vorschritten, hatte das gierige Element nach dem Wohnhause hinübergegriffen und von da auf die hart daneben stehende Behausung des Lulebauers sich verbreitet. Bald hafteten die zündenden Funken auch an der mit Schindeln bekleideten Giebelwand eines dritten Hauses in der Reihe, und mit der Gefahr stieg die Verwirrung und das ratlose Jammern. Die auflodernden Flammensäulen gewannen an Umfang und Kraft; das Angstgeschrei der Weiber und Kinder, die tobenden Rufe der Männer mischten sich mit dem Gebrülle des Viehs, welches in den nächsten Tagen auf die Alpenweiden geführt werden sollte und jetzt in seinen gefährdeten Ställen, das Bedrohliche witternd, wild an den Krippen zerrte; die Sturmglocken heulten ohne Unterlaß; Feuerreiter wurden in die benachbarten Gemeinden entsandt; in anarchischer Überhastung wurde aus den brennenden oder zunächst bedrohten Häusern meist Wertloses geflüchtet, und von droben sah der glutrote Himmel still und ehern auf den Tumult hernieder.

Da schrie es plötzlich: »Platz! Platz! Da kommt der junge gnädige Herr!«

Robert parierte sein schnaubendes Pferd, und seine Ankunft ordnete endlich den Kampf der menschlichen Energie mit der Wut des entfesselten Elements. Der junge Kriegsmann war noch von seinen Knabenjahren her im Dorfe populär, und seine militärische Laufbahn, deren ehrenvolle Einzelheiten die dörfliche Sage mit einem romantischen Nimbus zu umgeben nicht gesäumt, hatte den Respekt der Wippoltsteiner vor dem Erben ihres Grundherrn um ein Bedeutendes vergrößert. Der wirre Haufe anerkannte daher willig die Autorität, welche Robert ohne weiteres für sich in Anspruch nahm und auszuüben begann. Mit gutem Recht, denn es zeigte sich sofort, daß er es verstand, zu befehlen, seinen Befehlen zum Vollzug zu verhelfen und mit Geistesgegenwart das Geeignete vorzukehren, das Ungeeignete und Störende zu verhindern und beiseite zu räumen.

Hoch zu Roß beherrschte er mit Gebärde und Stimme das Getümmel, sammelte die junge kräftige Mannschaft um sich, ließ zunächst ohne viele Umstände die zitternden und zeternden Weiber und Kinder von dem Platze zurückdrängen, daß Raum wurde für die arbeitenden Männer, stellte einzelne und ganze Trupps an die paffenden Posten, befahl mit Bestimmtheit, was jeder zu tun habe, leitete die Aufstellung und Bedienung der inzwischen herbeigekommenen Schloßspritze, ließ zwei lebendige Hecken, an welchen die Feuereimer auf und ab liefen, von der Brandstätte an den See hinab bilden, beorderte hier eine kleine Schar zur Rettung der Fahrhabe, eine zweite zur Bergung des Viehs, eine dritte zur Handhabung der Feuerhaken, sah darauf, das alles gut ineinander griff, und war kaltblütigen Eifers mit Auge, Wort und Hand überall, wo Umsicht und Mut vonnöten.

So hatte die verworrene Szene, seit der Geist der Disziplin über ihr waltete, überraschend schnell ein Aussehen angenommen, welches hoffen ließ, daß man würde des Feuers Meister werden können.

Frieding, der an nichts weniger dachte als an seinen dickwattierten Rock oder an die Gefahr einer Erkältung, blickte mit großer Befriedigung von der Spritzenpumpe, an welcher er mitarbeitete, zu seinem Zögling hinauf, welcher jetzt die Anlegung der Feuerhaken an das Haus des Lulebauers befahl, um durch Niederreißen desselben die Marschlinie des Feuers zu unterbrechen.

Der Eigentümer, obgleich er sah, daß die Flammen schon aus dem Dachfirst und den Fenstern des Obergeschosses züngelten, glaubte dennoch eine Verwahrung gegen dieses Verfahren vorbringen zu müssen.

»Ruhig, Mann,« versetzte Robert fest. »Soll Euer Haus die Brandfackel für die Eurer Nachbarn werden? Aus dem Wege da! Es gibt ja genug Baumstämme in den herrschaftlichen Waldungen. Sollt haben, soviel Ihr braucht. – Voran, ihr Männer, mit den Haken und Leitern, rasch und fest angefaßt! – Und ihr dort, Müllerbalthes, richtet das Rohr der Spritze für jetzt einzig und allein auf Giebel und Dach von des Franz-Tones Haus! Die schon brennenden Häuser sind nicht mehr zu löschen. Herr Oberförster, dirigieren Sie mit Ihren Burschen die alte Spritze dort um die Ecke in den Rücken der Häuserreihe, damit uns das Feuer nicht dort hinten unversehens einen Streich spielt. Ich will sorgen, daß Sie Wasser erhalten. Vorwärts! Und Sie, Herr Rentmeister, besorgen Sie die Bergung der geflüchteten Fahrhabe in der Kirche, damit nichts verzettelt und verloren werde. Schicken Sie auch in die Rentei und lassen Sie aus dem Keller derselben einen erklecklichen Trunk Wein für die Löschmannschaft herbeischaffen, aber erst dann, wann wir mit unserer Arbeit zu Ende. He, ihr dort, mehr Hände an die Feuerhaken und herzhafter zugegriffen! Donnerwetter, das ist ja mehr gespielt als gearbeitet. Reißt das Sparrwerk auseinander, alles aneinander – frisch, frisch!« »Oh, Jeremle«, begann die alte Pfarrköchin droben am Fenster wieder, »wie sich der gute alte Hairle da drüben abschindet! Jetzt schafft er sich in Schweiß und hernacher wird er 'ne Gänsehaut kriegen. Oh, heilig's Muttergottesle, wende von uns Feuer- und Wassersnot, Verkältungen und sonstige Pestilenzen! – Aber schauen's, gnädige Frau, schauen's, wie unser Junker Robertle, wollte sagen unser junger gnädiger Herr Rittmeister, stolz auf dem Gaul sitzt! Das ist ein stolzer Herr, ein guldiger Herr, 's gibt keinen tölleren Feger, soweit man kochen tut! Aber sagt' ich's nicht immer? Schauen's, Hochwürden, sagt' ich zu unserem Hairle, als der gnädige Herr Rittmeister noch der Junker Robertle war, ich, die alte Urschel, sagt' es, der Junker Robertle, sagt' ich, der wird mal einer, um den alle die fürnehmen Frauensgezimmer den Rabbel kriegen werden. Se. Hochwürden hat mich freilich derohalben abgekanzelt. ›Still,‹ hat er gesagt, ›still mit solchem Gänsegeschnatter, Ihr altes Besteck!‹ Ja, wahrhaftig, ein Besteck hat er mich geheißen. Aber Recht muß doch Recht bleiben. Ich, die alte Urschel, das alte Besteck, wie unser Hairle sagte – ja, er kann manchmal recht brummig sein, wenn ich mit Kehrbesen und Abstaublappen hinter seine Bücher und Skripturen hergerate – ja, also, hm, was wollt' ich sagen? Richtig, daß ich recht wohl voraussah, was aus dem Junker Robertle für ein Mordsapperment von Rittmeister werden würde. Möcht' wissen, warum die fürnehmen Frauensgezimmer um den nicht rabbelig werden sollten. Schauen's, schauen's, wie er all die Mannen Mores lehren tut! Der kann's, der versteht's, der geht ins Zeug, der zeigt den Kerlen, wo Barthel den Most holt. Schauen's, wie der Herr Oberförster und der Herr Oberrentner, die sonst, wenn's nur z' machen war', vor Fürnehmigkeit auf den Köpfen gehen möchten, um sich von andern Christenmenschen zu unterscheiden, laufen und rennen, wenn er ihnen mit den Augen winkt. Ach, Herrje und Herr Jeremle, man sieht's ihm ordentlich an, daß er schon im Feuer gestanden und dort hinten drüben im Welschland Battaligen mitgemacht hat.«

Die Gräfin ließ diesen Strom von Geschwätz unbeachtet an ihrem Ohre vorbeifließen – oder auch nicht – und hing unverwandten Blickes an der Gestalt Roberts. Sie dachte nicht entfernt daran, daß sie selbst der Gegenstand einer Beobachtung war.

Der Müller Veit hatte sich auf der Brandstätte eingefunden und in eine der Reihen gestellt, welche die Feuereimer vom See herausförderten. Er stand so, daß er die Gräfin deutlich sehen konnte, und als er der Richtung ihres Blickes folgte und den Ausdruck ihrer Augen wahrnahm, umzog ein häßliches Lächeln seine schmalen Lippen. Im nächsten Augenblicke aber fuhr er mit einem rohen Fluch aus der Reihe. Ein voller Eimer war ihm von rückwärts über den Kopf gegossen worden.

Es ist ein bei Feuersbrünsten oft vorkommender Brauch, in dieser Manier Leuten, die sich der öffentlichen Achtung nicht erfreuen, einen kleinen Tort anzutun.

Man hatte aber keine Zeit, diese ländlich-sittliche Episode zu beobachten. Denn unter den im Pfarrgarten zusammengedrängten Weibern erhob sich plötzlich ein heftiger Tumult, man hörte halberstickte Fragen und Ausrufungen und gleich darauf brach sich eine Frau in mittleren Jahren Bahn nach der Straße und stürzte, die Arme über dem Kopfe zusammenschlagend, in den Kreis der Löschmannschaft, aus der keuchenden Brust den Angstruf hervorstoßend:

»Herr Jesus, mein Konrädle! Wo ist mein Konrädle?«

Es war die Lulebäuerin, welche unter der Kinderschar, die man in der unteren Stube des Pfarrhauses untergebracht, jetzt erst ihren jüngsten, dreijährigen Knaben vermißt und auf keine Frage nach demselben eine befriedigende Antwort erhalten hatte.

Der Lulebauer selbst hatte sich, nachdem er Bettzeug und andere Fahrhabe nach der Kirche gebracht und auch sein Vieh gerettet wußte, von dem Oberrentner nicht ungern nach der Rentei verschicken lassen. Er mochte die Schleifung seines Hauses nicht mit ansehen. Seine Kinder glaubte er alle bei der Mutter im Pfarrhause.

Aber das Konrädle war doch vergessen worden im Schrecken des Brandes und in der Verwirrung des Flüchtens der Habe.

Die vor Angst halb wahnsinnige Mutter stürzte auf Robert zu, als sagte ihr ein mütterlicher Instinkt, daß von der Energie des jungen Mannes am meisten zu erwarten sei.

»O, Junker Robert«, schrie sie, »mein kleiner Bub', mein Konrädle!« Ihr Geschrei zog mehrere Männer herbei, aber Robert wies die Neugierigen streng zurück auf ihre Posten.

Dann sprang er vom Pferde, faßte die Bäuerin am Arm und richtete geflügelte Fragen an sie.

»Hinter der Kuchen, Junker Robert«, erwiderte sie; »in meines Bauers und meiner Kammer, rechter Hand auf dem Gange, hart hinter der Kuchen – die dritte – nein, die vierte Türe – rechter Hand um die Ecke – ach, Herrgöttle, mein Bub', mein Konrädle!«

Robert hatte genug gehört. Er faßte mit scharfem Blick das Haus ins Auge. Das Obergeschoß brannte hellauf, das Sparrwerk des Daches war den Griffen der Feuerhaken erlegen. Nur zwei Kreuzbalken desselben, grade über der Türe, hielten sich halb verkohlt noch aufrecht.

»Laßt die Arbeit mit den Haken eine Minute rasten, ihr Männer!« rief der junge Mann.

»Was willst du tun?« fragte der Pfarrer besorgt herbeieilend.

»Still!« gab Robert zurück. »Da hängt alles an einem Augenblick. Weg mit den Haken, weg!«

Und alle Elastizität seiner Muskulatur aufbietend, sprang er mit einem gewaltigen Satz über die rauchenden Trümmer hinweg, die sich vor der Türe des Hauses aufgetürmt, und verschwand in der Öffnung, aus welcher schwarzer Qualm wirbelte.

Ein furchtbarer Schrei des Schreckens schnitt von den Fenstern des Pfarrhauses her durch das Getöse.

Die sämtliche Löschmannschaft sprang tumultuarisch durcheinander.

»Zurück, ihr Männer!« schrie der Pfarrer, seine wahnsinnige Angst bändigend. »Zurück an die Spritze! Mit dem Braven ist Gott!« Eine Sekunde tödlicher Spannung – eine zweite, dritte, vierte – die zwei Sparren ob der Türe schütterten, neigten sich, stürzten mit Gekrach auf das brennende Obergeschoß, daß weitumher die Funken und Flammen stoben.

Und drinnen in dem brennenden Hause ein erstickter Ruf und dann Laute wie gellendes Kinderweinen.

Und draußen atemloses Lauschen, daß man den rauschenden Odem des Feuers gehen hörte – und dann ein Jubelschrei, aus hundert Kehlen zumal hervorbrechend.

Denn in der qualmenden Türöffnung erschien der Retter, nach Luft schnappend, mit versengten Kleidern, versengtem Haar und Bart, an der Stirne blutend, aber den Knaben fest im rechten Arm.

Hundert Hände streckten sich ihm entgegen, doch allen voran war die Mutter, die ihr gerettetes Kind entzückt in ihre Arme riß.

In dem Augenblick, wo er es ihr darreichte, stürzte von oben herab ein brennendes Balkenstück und streifte heftig die linke Schulter Roberts. Er wankte. Im Nu war der Pfarrer an seiner Seite.

»An mein Herz, wackerer Junge!« rief er mit vor Rührung bebender Stimme. »Das ist mehr als ein Feldzug. Aber, mein Gott – rennt nach dem Arzt, schnell, schnell!«

»Es ist nichts«, sagte Robert matt und versuchte sich aufzurichten, während ihn die weinenden Frauen nach dem Pfarrhause trugen. »Gewiß, es hat nichts zu bedeuten. Sagt der Gräfin –«

»Ich bin da, Robert«, sagte die bebende Stimme Theklas hinter ihm.

Er wandte den Kopf und sah ihr in das bleiche, von Schrecken, Angst und Freude bewegte Antlitz.

»Dank, Dank!« murmelte er, aber dann verließen ihn seine Kräfte, und bewußtlos sank er in die Arme des Pfarrers.


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