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Die Ferne.

Walter, als mehr bekannt, stellte darauf in den folgenden Tagen und Wochen die genauesten Nachforschungen in der Stadt nach Olivia an. Selbst in Ezeleddin's Haus ging er jetzt, denn was hätte er früher da erreichen wollen, da Robert doch einmal todt war; aber er traf den Alten niemals. »Er sei abwesend,« hieß es, vielleicht auf einem seiner Sommerhäuser am Marmora; und selbst gegen das zungenbewegendste Geschenk erfuhr er nur so viel von der Mohrin Alsuana: es sei, seit Salianens Ausscheiden, kein fremdes Weib oder Mädchen in den Harem gebracht worden. Alsuana dagegen verdrossen und betrübt, und nur einen Augenblick, so lange sie fragte, erheitert, erkundigte sich mit forschenden Augen und scharfen, halbkundigen Worten nach dem Zwerge, dem Amok, ihrem Sohn; aber Walter fand, unter den noch obwaltenden und neu eingetretenen Umständen am gerathensten, sich mit Ausflüchten zu behelfen, wie sie.

Er legte Richard's Angelegenheit nebst einem wuchtenden Beutel voll Goldstücke und Versprechungen in die Hände seines scharfsichtigen, schlauen und mächtigen Freundes, des Istambul Kadissy. Der alte Bart nickte. Bei dem Gesandten hatte Richard selbst gewirkt.

Bei dieser Gelegenheit, den Hafen öfter zu besuchen und die aufgezogenen Segel zu sehen, hatte sich Walter heimlich in ein großes, bequemes Schiff eingedungen, das zur baldigen Abfahrt vorlag, schon außerhalb des Waldes von tausend Masten. Viele Ursachen bewogen ihn nämlich, Mutter und Bruder, und selbst die Stadt, die er nie verlassen wollen, doch zu verlassen. Die vorzüglichste war die Furcht, Salianen einzubüßen, da man ihr einmal nachtrachtete, und er kaum hoffen durfte, sie durch Uebereinkunft mit Ezeleddin oder den Ihrigen zu erhalten. Sie selbst bewog ihn am meisten dazu, da sie Richard's mißbilligendes Benehmen scheute, und sich schämte, ja fürchtete, ihrer Mutter und ihrem Bruder Joseph, der zwar nur ein Jahr älter als sie, aber ein strenger, unbescholtener Jüngling war, je wieder vor die Augen zu treten. Walter sahe das ein. Auch war sein Haus bei einer Feuersbrunst mit aufgegangen, und er war zu verdrüßlich, mit langer Mühe und großen Kosten sich Alles wieder so einzurichten, wie es für Jemand nothwendig ist, der hier behaglich leben will. Ueberdieß hatte Petronella bei Lady Esther ohnlängst das kleine, gedruckte Buch auf dem Fenster gefunden, welches der Gesandte ihr damals geschenkt, und las darin »den Traum« und »die Kuppelerleuchtung« wie verzaubert und über und über glühend. Die Mutter überraschte sie dabei, entriß es ihr schnell, sahe an ihr eine ungewöhnliche Befangenheit, ja Verwandlung, und forschte sie aus. Petronella hatte darauf die Unvorsichtigkeit begangen, Lady Esther klar genug errathen zulassen, daß sie ihren Robert beweine, hoffnungslos beweine; denn es war der Mutter schon lange aufgefallen, daß auch das beste, sehnsüchtigste Weib über die Abwesenheit ihres Gatten, mit Hoffnung seiner Wiederkehr, nicht so, wie Petronella um Robert, traure. Die Mutter selbst schalt ihn ihr nun einen Treulosen. Jene widerlegte das ihr mit ruhigem Kopfbewegen, frommer Wehmuth im Gesicht und einem wie heiligen Lächeln, ja mit einem langen Händedruck. Aber schon dadurch, und noch augenscheinlicher verrieth sie ihr wider Willen auch seinen Tod. Denn als der kleine Etty einst Petronella gefragt, wo denn der Vater sei? hatte sie ihm nach dem Himmel gedeutet und gesagt: dort oben! Das Kind hatte ihn nun gern sehen wollen, und immer in die klare Bläue geblickt, bis ihm die Augen von der Blendung feucht vergingen; oder wenn Wolken gesteuert kamen, mit den Fingern hinauf gezeigt und gerufen: »da kommt der Vater geschifft!« – Das hatte die Großmutter mit Rührung bemerkt, und endlich Petronella das Geheimniß abgelockt. Und sonderbar genug hatte es dem guten Mädchen immer herzlich leid gethan, die Mutter so unbefangen und ruhig zu sehen; ihre Heiterkeit hatte sie wie Betrug geschmerzt. Und sie selbst fand ihren Schmerz so süß, das Auge, das fromm zu dem offenen Himmel weinte, so selig, und ihre Seele so anders, so höher beruhigt und erquickt, daß sie glaubte, Lady Esther dieselbe Wohlthat zu erzeigen, und ihre eigene Falschheit abzuwerfen, wenn sie ihr Roberts Tod gestände. Die Mutter, tief davon getroffen und nicht undankbar, aber nicht mit betrogener Liebe bekannt, meinte dagegen mit gutem Herzen, nun auch den Theil der Begebenheit Petronella entdecken zu müssen, welchen die Unglückliche wiederum selbst nicht wußte, den sie sich aber selbst aus Petronella's Erzählung von seinem Geschick, aus der Zeit der Ankunft Salianens, und nunmehr aus manchem von Walter und Richard nicht gering erwogenen Wort, das jetzt erst wieder in ihr lebendig ward und Sinn erhielt, deutlich und passend zusammensetzen konnte. Die Mutter meinte, der armen Petronella den tiefen, stillen Schmerz aus der Brust zu tilgen, wenn sie ihren doch einmal verfallenen Sohn ihr schuldig nannte, schuldig mit Salianen. Aber sie hatte sich geirrt: das treue, gute Kind übernahm nun erst das wahre Unglück für das selige Leid, und weinte nun erst bittere, bittere, ganz andere Thränen. Weiblich haßte sie nun Salianen bitter, und ihre nun erst recht eingesogene Schönheit brachte Ohnmacht und tödtliche Blässe über sie; ja sie trug eine zeitlang ihren Dolch im Busen. Aber bald nahm ihre Seele den Stolz der römischen Mädchen wiederum an, die in der That viel echtes Himmlische in sich tragen: reine Liebe und keuscheste Treue, – sie bedauerte sie, und am Meisten darum, daß sie so leicht gesinnt, was sie so tief anging, schon vergessen, schon wieder in neue Flammen sich gestürzt, und stürzen konnte!

Richard hatte Petronella und ihrem Etty zwar ein höchst beträchtliches Vermögen geschenkt, welches ihr ein unbesorgtes, so angenehmes Leben, wie sie nur führen wollte, zuließ, aber sie lächelte nur wehmüthig zu der Gabe, drückte ihr Kind seufzend an die Brust, und sahe es mit so ängstlichen Blicken an, als sterbe sie ihm schon vor seinen Augen. – Und so drang nun sie ganz vorzüglich in Walter, zu fliehen, um sie mitzunehmen. Sie sehnte sich wieder nach Rom, denn die ganze weite Welt war ihr falsch, leer und todt – dort konnte sie sich noch einmal in die alten Tage ihres Glückes träumen; und ein Lied, das sie jetzt zu Olivia's Zither sang, die müßig an der Wand hing, verrieth ihr zerrissenes Herz, ihre Hoffnung deutlich, bald zu sterben, und in der süßen Heimath zu ruhen:

                   

      Dein gedenk' ich, jetzt und immer,
      Heil'ges, theures Vaterland!
      Bei der Sonne frühem Schimmer
      Seufz' ich dir schon zugewandt;
Ach, wie anders blühn die Blumen da!
Was mich kennt, ich kenne, Alles nah!
      Ueber Berge, über Thale
      Wieder zu euch, Jugendau'n!
      Nur noch einmal eure Male,
      Eure Tempel wiederschau'n!
Unter eure Veilchen schlafen gehn –
Welches süß're Glück kann mir geschehn!

Lady Esther aber, immer mehr bestärkt in ihrem einseitigen Aberglauben, hatte, seitdem sie wußte, daß auch Robert hin war, nun wiederum Waltern sichtlich vermieden, so daß er errieth, was sie wisse, und von ihrem sonderbaren Schmerz nun um ihn schwer beklommen war.

So entschloß er sich denn, von dem Allen bewogen, der Mutter gleichsam unsichtbar zu werden, und aus den Tagen zu verschwinden, indem er von den andern reizenden und beruhigenden Eigenschaften der Ferne jetzt diese benutzte: selbst das Größte und Strahlendste, als Gebirge und Sonne in ihrem stillen Schoße zu verbergen, geschweige den kleinen Menschen! Er war ihr nicht mehr, und lebte dennoch fort nach seinem eigenen verborgenen, noch weiten oder schon nahen Schicksal, sich und seiner Saliane. Die Ferne hatte ihn mit Inseln, Wolken und blauem Gedüft bedeckt, und in ihrem geheimnißvollen Dom konnte sie ihn sich immer als einen Unsterblichen denken; wie dem Menschen Alles in dem hohen blauen Himmel zu leben scheint, was seinem Auge auf Erden verschwand.

So war denn Walter eines Morgens mit seiner Saliane und Petronella sammt ihrem Kinde fort aus Richard's Hause. Ein zurückgelassener Brief gab dem Bruder alle so eben angeführten Gründe dazu an, zu welchen er noch diesen gefügt hatte, daß Richard, bei seiner Kenntniß des menschlichen Herzens, bei seiner Meinung: »das Beschädigte, Mangelhafte nur zu dulden, aber nicht zu wählen, geschweige vorzuziehen,« nie zugestanden, oder an ihm, dem freien Manne, gebilligt haben würde, daß er ein junges schönes, und ihm selbst unwiderstehlich liebes, aber – um Roberts willen – treuloses Weib nehme – um dessen Unrecht gut zu machen.



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