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Niobe.

Am andern Tage fand sich eine auserlesene kleine Gesellschaft in Bujukdéré bei dem Gesandten ein. Denn er hatte eine Ueberraschung eingeleitet, wie nur er zu bewirken im Stande war, da er wußte, daß Zwei von Richards Brüdern sich in Constantinopel aufhielten, die ihm – wie er ihnen – in einer so großen Stadt lange verborgen bleiben konnten. Er hatte bei ihrem Eintritte in die Gesellschaft nur ihren Rang deutlich, ihre Namen aber mit Absicht unverständlich ausgesprochen. Zu Tische lud er Sir Richard und seinen, ihm im Alter folgenden unerkannten Bruder, Walter, ein, sich einander gegenüber zu setzen; die Mutter der sieben Brüder aber kam neben Robert, dem jüngsten ihrer nur noch lebenden drei Söhne, einem feurigen, schönen jungen Manne zu sitzen.

Das Vergnügen des Wirthes war unbeschreiblich, zu sehen, wie die ältern Brüder, aus angeborner, fast gleicher Stimmung der Gemüther sich bald unverhaltener und zutraulicher ansprachen, als sonst wohl Unbekannte thun; wie sie ihre Gedanken mit ähnlichen Bildern in gleicher Mundart ausdrückten. Obgleich ihre Ansichten sich oft gegenüber standen, so lag doch das vermittelnde Wort so nahe, daß sie es oft beide fanden, oft nur einer es entwickelte, und sie sich überraschend selbst verbesserten, ergänzten und überboten. Robert hörte beiden mit sichtlicher Zufriedenheit zu; auch die Mutter glühte nach und nach von immer steigenden unheimlichen Gefühlen, wie von der schönen Sonne Italiens im Freien etwa die Marmorstatue einer Latona erwärmt wird, ohne zu wissen, durch welches himmlische verwandte Feuer.

Beide ältern Brüder suchten sich auf, nachdem sie von Tische aufgestanden. Einer versicherte dem Andern, daß er nie einem, ihm so behagenden lieben Manne irgendwo in der Welt begegnet sei, als ihm; sie boten sich die Hände, machten Freundschaft, und fragten sich zuletzt um ihren Namen. So erkannten sie sich als Brüder, und mußten sich umarmen ohne Rücksicht des Ortes. Auch Robert faßte gerührt der Mutter Hand, und sprach: wenn jene Brüder sind, so mußt du meine Mutter sein! Aber anstatt ihn zu umarmen, sah ihn die Mutter erst jetzt sich deutlich an, stierte nach seinem Haupt, erhob erschrocken die Hände, wankte zurück, und Richard empfing sie in seinen Armen. Walter kam freudig herzu, und küßte ihre Hände. Sie schlug die Augen auf, aber, noch bleicher, vor ihm auch wieder zu, entriß sich den wiedergefundenen Söhnen erschüttert, und trat weinend in die Brüstung des Fensters.

Der Gesandte konnte aus den wenigen raschen, aber scheuen und störrischen Aeußerungen heftig erregter Gefühle noch nicht abnehmen, was ihnen zu Grunde liege. Nur so viel war offenbar: er hatte keine leichte Verlegenheit herbeigeführt; wie denn die meisten Ueberraschungen im Leben eine ganz andere Wirkung, als die gewünschte hervorbringen, und müssen, da schon die von zwei Seiten offen geleiteten Geschäfte zuletzt durch ihre Mischung ein Drittes erzeugen, das gemeinhin keinen Theil ganz befriedigt.

Sie werden sich wundern, trat Walter ihn an, daß eine Mutter die Freude, ihre Söhne wiederzusehen, auf eine so besondere Art äußert! Aber ich muß sowohl zu ihrer als unserer Entschuldigung Ihnen bekennen: ihr Erschrecken, Zurückweichen und Vermeiden ist im Grunde doch nur Liebe zu uns. Sie werden es sonderbar finden, wenn ich sage, daß wir Söhne ihr alle, der Eine mehr, der Andere weniger, todt erscheinen! Und doch hat dies widersinnige Wort in ihrem Sinne Bedeutung. Durch einen Traum bewogen, hat sie schon vor vielen Jahren von uns auf immer Abschied genommen, und uns wie Abgeschiedene, nur sanfter, beweint. Uns nun längst als des Himmels Eigenthum sich denkend, schauderte sie jetzt, und als das Ihrige sterblich noch einmal an ihr Herz zu drücken! Denn da sich der Traum ihr als ein Gesicht der Zukunft bewährt, und, wunderlich genug, so weit eingetroffen, als sie sein Eintreten abwarten wollen; indem sie schon den Tod ihres Gemahls und ihrer beiden jüngsten Söhne erlebt; so bangte ihr vor einem tief unter der Erscheinung verborgenen, welches unwandelbar und darum zuverlässiger sei, als alles, was die Menschen mit Augen schauen. Um nun der Angst zu entgehen, unaufhörlich den Tod ihrer Söhne zu fürchten, und zwar immer um das Haupt des Jüngsten einen schwachen fahlen Schein glänzen zu sehn, hat sie die Auskunft getroffen, sich zu dem Aeltesten von uns sieben Brüdern, zu Richard, zu begeben, und bei dem ihre Tage zuzubringen, ohne Kunde von ihren übrigen Kindern. Ich zweifele, ob sie weiß, oder bis heute gewußt hat: daß seit ihrer Abwesenheit schon wieder Zwei unserer vor Robert geborenen Brüder dahin sind. Denn nach Jahren kann sie das nicht wissen, da in dem Traumbilde Zeit und Zwischenräume ihr eben nur bildlich erschienen sind! –

Walter sah bei diesen Worten dem Gesandten ernsthaft und fest in die Augen, um als ein guter Sohn für die Schwäche seiner Mutter Schonung dadurch zu gewinnen, daß er selbst seine Vernunft ein wenig bloßstelle.

Der Gesandte unterdrückte ein Lächeln, welches bei Ungebildeten ein Auslachen geworden wäre, und in dem Wörterbuche der eigenen Sprache der Vornehmen, bei ihm auch nicht weniger bedeutet hätte.

Sir Richard, der es seitwärts bemerkt und wohl verstanden hatte, indem er sich noch mit seinem Bruder Robert begrüßte, trat hinzu, wollte das Gespräch nicht so beendigt lassen, und sagte wohlmeinend: ich lächle auch darüber, lieber Freund, aber mitleidig; wenigstens ist kein Wahn gleichgültig, der Menschen so das Leben verbittert, wie unserer Mutter, um nicht zu sagen durch sie auch uns. Ich führe zu ihrer Entschuldigung die Verse an: welche sogar einer allgemeinen nützlichen Anwendung auf sogenannte große, jetzt verlöschende Dinge fähig sind:

                   

Die Phantasie hat ihre eignen Leiden,
Vor welchen uns die Wirklichkeit nicht schützt:
Wenn wir im Traum auf spitzen Dornen wandeln,
Dann hilft uns nicht, daß wir in Schuhen schlafen!

Ja, mancher Traum, der stundenlang oder jahrhundertelang selige oder schreckliche Gefühle erregt, kann für ein wirklich erlebtes, trauriges oder frohes Ereigniß gelten; denn wir leben auch im Traume. –

– Wenn nicht gar der Traum und das ganze liebe Leben in uns gelebt wird! sprach und ging der Wirth gefällig in das Gespräch ein; der Traum – aller Art – ist mehr Leben, und das Leben mehr Traum als wir glauben; gewiß aber ist die Seele, die lebt, und die Seele, die träumt, nur Eine, wie jene, die Leben und Traum giebt, vielleicht, ja gewiß sind auch diese beiden Eins, und Welt und Seele wie Schnecke und Haus.

»Ich bin sehr neugierig!« sprach die Gesandtin, welche bei Lady Esther im Fenster stand. Dies weibliche Glaubensbekenntnis, so einzeln gehört, klang so drollig, daß der Gesandte es etwas verändert wiederholte und sprach: ich könnte wirklich neugierig sein; aber ich getraue mich nicht, nach dem, was ich schon gesehen habe, Ihre Mutter um eine Mittheilung zu bitten!

Mein Bruder Walter und ich, nahm Robert das Wort, sind auf gleiche Weise betheiligt, den Traum einmal echt zu hören, weil wir dadurch das Glück so lange vermißt: eine Mutter zu haben! ein Glück, welches erwachsenen Söhnen so selten gedeiht, und noch seltener so erkannt und geschätzt wird, als von uns, die wir dessen entbehrten. Wir möchten es wenigstens von jetzt an ungetrübt genießen! –

Ich, setzte Richard hinzu, habe nie der Mutter eingeschlafenes Leid aufwecken wollen. Sie ist aber jetzt bei Ew. Herrlichkeit zu einer Entschuldigung fast genöthigt, und wie ich aus einzelnen Worten herüberhöre, hat sie schon angefangen, sich Ihrer Gemahlin anzuvertrauen.

Ein blendender Blitz vertrieb die beiden Frauen vom Fenster. Ueber den herrlichen bithynischen Olympus brausete majestätisch ein Gewitter her, wie ein ungeheurer Adler mit weiten schwarzen Flügeln, und versendete Blitze rechts und links. Es war schon herauf, und darunter schimmerte der Horizont schon wieder frei, rosenroth und goldengrün, an dem sich der Mond in göttlicher Ruhe emporschwang, und wie ein brennender Kahn an dem Netz eines gewaltsam zerrissenen Luftballons in die Höhe gezogen erschien. Die Wipfel der Pappeln schwankten im Sturme, und die Schwalben und Möven schossen pfeilschnell zwischen den herabhangenden, die Erde streifenden Schleppen der Regenwolken und dem verdüsterten Spiegel des Bosporus hin, der tosend zu dem Riesenthor der cyaneischen Felsen hereinbrach. Schiffe und Schiffchen flogen wie Wasservögel auf den schäumenden Wellen vorüber und suchten den Hafen, indeß die schwarzen Delphine, wie Gespenster der Tiefe, durch unbeholfene Sprünge desto größere Freude zu bezeugen schienen, je ärger es blitzte. Der Donner rollte näher und näher, und grollte und boll gleichsam, wie eine furchtbare Scylla, die ungeheure Stadt an.

Die Heimfahrt nach den Prinzeninseln war durch das Unwetter aufgeschoben. Die Fenster des Zimmers wurden verdunkelt, die Gesellschaft nahm um das lodernde Kaminfeuer Platz, und, eingeladen von allen, überwand sich Lady Esther, ihren Traum zu erzählen.

Jeder sucht unbegreiflicher Weise, begann sie mit halber Stimme, einen Ruhm darin, daß er größeres Unglück als Andre erduldet, oder noch erdulde; ich weiß nicht, ob aus Eitelkeit, mit der Welt einen guten Kampf gekämpft zu haben, oder aus unheimlichem Stolz, von der Hand eines Gottes berührt worden zu sein. Ich jedoch begehre Niemand diesen traurigen Vorzug streitig zu machen, oder wohl gar einer der Sibyllen mich gleich zu stellen! Indem ich im Traume nur sah: welches Schicksal sich meine Söhne selber bereiten würden, war er mir im Grunde ja nur zu meiner Vorbereitung, meinem Troste gegeben! und ganz erst werd' ich wieder froh, wenn alles geschehen ist. Doch wir sind noch mitten darin! Aber etwas aus dem Traume zu folgern, kann wohl keinem Vernünftigen einfallen –

                   

»Der Traum ja zeigt nur: daß man träumen kann!
Was aber träumen sei – das weiß ich nicht.«

Sie lächelte gezwungen, indeß sie sich sammelte, und erzählte dann sichtlich niedergeschlagen, und schüchtern zu Zeiten aufhorchend, wenn es donnerte, als höre Jemand über ihr unwillig zu, daß sie sich unterfange, ein ihr nur in Bildern Anvertrautes in Worten zu offenbaren.



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