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Die Morgenländerin.

Die Mutter, unzufrieden mit den zwei ihr unbekannten Gästen, die in das stille Haus zu Olivia und Petronella sich übel paßten, rieth Richard: Salianen ihrer Mutter, wenn nicht ihrem Mann, wieder zuzustellen. Richard schlug es Salianen vor. Aber Alles in der Welt, nur das wollte sie nicht, weil die Schande der Weiber in der Türkei nicht auf den Mann, der sie, ohne sie genug zu kennen, genommen, sondern allein auf die Eltern falle, die sie erzogen, und auf die Verwandten; bei denen sie also bittere Tage haben müsse! Dagegen wolle sie lieber künftig einmal, nach einem Zwischenraum, den eine Aussöhnung und Wiederberuhigung der Gemüther nach so Etwas stets wohl nöthig mache, wieder zu Ezeleddin, wenn Eins denn durchaus geschehen müsse; wozu aber, bei so gewaltsam und gewaltig veränderten Umständen, gar keine Noth treibe. Es werde sich wohl etwas Anderes finden.

Walter stimmte mit Salianen, und fand auch nicht wohlgesorgt für das arme Kind, wenn sie Ezeleddin zurückgegeben werde; die unbekannte Zukunft, meinte er, verbiete oft schon ein bekanntes Gegenwärtige. Diese Uebereinstimmung fiel, wie so manches Andere, Richard auf, wozu er aus Rücksicht geschwiegen. Denn seit Walter Roberts Tod wußte, schien eine Verwandlung in ihm vorgegangen zu sein.

Einst jedoch traf ihn Richard allein am Ende des Gartens, als er eben in des Abt Prevost Werkchen: »die schöne Griechin,« las. Ein unschätzbares Buch, rief Walter aus, um selbst das leichtsinnigste Geschöpf zu einem guten Weibe zu bilden, wenn es noch möglich ist, und sie nicht unter der Hand des Gärtners wie eine Blume verwelkt, indem sie in Reue untergeht, wie jenes holde Wesen! – Richard versprach es zu lesen, und hielt ihm jetzt sein Benehmen vor.

Walter machte seinem Bruder kein Geheimniß aus seiner Gesinnung. Du sollst noch mehr hören, als du schon weißt oder vermuthest, sprach er. Gerade Salianens Grund, warum sie nicht zu ihren Anverwandten zurück will, bewegt mich, eine Verbindung mit ihr in Erwägung zu ziehn, was ich so eben that, indem mir das Buch unter dem Lesen meine Gedanken ablöste und reifte. Was mich abgehalten ein Weib zu nehmen, das will ich dir heut' wohl sagen: daß ein Weib auch mich nimmt; nicht Hab' und Gut-Leben allein, was ich nicht so viel achte, als meine Ehre! Und auch die verdorbensten Männer halten es wenigstens für – keine Ehre, wenn sie ihr Weib in Schande bringt; denn sie nehmen – wenigstens bei uns – ihren Theil davon, oder übernehmen sie ganz, statt ihres Weibes. Und sollte ich mich der Gefahr aussetzen? Dazu fehlte mir Muth und Zutrauen, dazu hatte ich zu viel solchen Unglücks den schönsten, reichsten und edelsten Männern begegnen sehen, mit denen ich mich nicht messen kann, um nicht möglich, ja wahrscheinlich zu finden, daß auch mir geschähe, was ich – verdient hätte. Ich fürchtete die Wiedervergeltung – und die Furcht ist die Ahnung unseres Schicksals. Meine Ehre in die Hand eines Weibes zu legen, kam mir vor, wie einem Kinde einen krystallenen Becher gehäuft voll köstlicher Perlen anzuvertrauen, und es auf einer Messe frei und offen damit durch das tobende Gedränge einer langen mit Gaunern und Dieben angefüllten Straße zu schicken, ohne daß es den Becher zerbreche, oder nur eine Perle verliere, und ich hätte beides mit meinem Kopfe versichert. Denn damit versichere Ich die Ehre meines Weibes! Hier, wo ich lebe und zu sterben gedenke, siehst Du nun selbst, trifft mich als Mann keine Schande, wie Ezeleddin keine, und Schande ist das größte Unglück; allen andern Gram kann der Mensch heimlich verschmerzen, es hängt wenigstens von ihm ab; Schande ist ein öffentliches Unglück.

Mußt du denn, entgegnete ihm Richard, wenn du statt Robert klug werden willst, noch zuvor mit dem unklugsten Streiche schließen, und heirathen! Denn, glaube mir, wer sich will auf die bittersüßeste Art zu Tode kränken, der nehme sich ein Weib – und sei es die zarteste Seele! Denn gerade diese sind die halsstarrigsten und unversöhnlichsten; des Menschen schwache Seiten sind überhaupt seine stärksten, und bis zum Ende des Lebens fast unüberwindlich. Das schwächere Geschlecht, in seiner beständigen Furcht vor Unterdrückung, hat statt der Stärke, die derselben gleichgeltende Halsstarrigkeit. Wer nun über Allem schwer wird, wie du und ich, Alles gründlich untersuchen, erklären und ausfechten will, der muß sterben, und sei er auch noch so gut, und je besser, je eher. Zur Ehe gehört ein leichter Sinn, über Vieles wegzusehen, wegzuhören, und, daß ich so sage, wegzuempfinden, als sei es, was es oft ist, eben – Nichts. Und sieh: Wie viel ist morgen: Nichts! Wie Wind und Regen, so Sorge und Angst. – Morgen: Nichts! Ein kühler erfahrener verständiger ruheliebender Mensch stellt sich immer fest in den morgenden Tag, und daraus sieht und regiert er gelassen in das ihm ruhige Heut' zurück. Aber die meisten Menschen sind gleichsam rasend im Heut'! Sie hören schon vor ihren Ohren Verklingendes, wie für die Ewigkeit Gesagtes! und sehen schon vor ihren Augen Wechselndes, ja Entwandelndes, für Bleibendes an. Das ist ihr Fehler – und Deiner! Ihre berauschende Angst und – Deine. Du bist zu gründlich für ein Weib – und nun gar eine Türkin!

Walter versetzte: Eben eine solche, an stillen ganz unabwehrbaren Gehorsam gewöhnt, überhebt mich deß Allen. Diese Anerkennung einer väterlichen Gewalt hat ein unaussprechlich Süßes und Besänftigendes für den Mann, und ein Beseligendes für das schwache Weib, das die unseren gar nicht kennen, oder kennen wollen, so lange ein Athem in ihnen ist! Kurz, Saliane ist, wie und was sie ist, mir lieb und werth. Denn der Vernünftige fordert von Jedem mit Recht, nur daß es ihm sei, was es ist und leisten kann. Der Mensch besitzt nur, was er werth ist; und diese bin ich werth; ein edles Weib wäre mein Tod. Beispiele sind verhaßt, lieber Bruder! und wer fehlt, der fehlt wahrhaftig für immer; er hat gefehlt, er vergißt es nie, und nun geschieht ihm ewig, wie er glaubt. Das ist von allen die größte Qual des Menschen! Ich will mir freiwillig nehmen, was ich werth bin: eine Türkin, selbst Salianen, die Treulose. Aber sie ist es nicht einmal so sehr, als du dir einbildest! Auch sie ist eine Rechtgläubige!

Richard sah ihn fragend an, ob sie recht glaube, oder das Rechte glaube, oder ob er Spott gehört?

Ich will mich erklären, fuhr Walter fort. Was das gültigste Zeugniß für den Adel unserer Frauen ablegt, ist: daß der wenigstens tugendhaft scheinen muß, scheinen muß, sie zu lieben, der sie besiegen will. – Uebelverhüllte Heuchelei und offen getragene schlechte Absicht verschmäht die Gemeinste sogar. Man könnte behaupten: nie fällt ein Weib, als aus Zutrauen, Güte und Liebe. Denn die Liebe ist so allmächtig, daß schon ihr Schein das Herz gewinnt, und die Engelsmaske der Liebe vorzunehmen, um ein Teufel zu sein, ist eben – ein Teufelsstück; und so bezaubernd ist die Tugend, daß selbst der Nichtswürdige durch Annahme ihrer himmlischen Gestalt höllische Triumphe feiern kann. Alles Glück der Frauen läge demnach daran: daß sie im Stande wären, im Anfang wahre Liebe von geheuchelter zu unterscheiden, wie Robert gesagt; daß sie mehr Stärke und weniger Eitelkeit besäßen, einem solchen durchaus nicht ihr Ohr zu leihen, der sie überhaupt nicht lieben sollte, oder ihm verständig zu sagen: »sie hassen mich!« wenn ihn oder sie schon heilige Bande fesseln. Und er haßt sie nicht nur, er hält sie für eine Thörin, einen Wegwurf – morgen! er will sie heut' sich zum Zeitvertreib verderben. Denn wer sie nicht liebt, oder nicht lieben darf – und dies wenigstens sieht auch eine halb so Kluge, als Jede ist – von dem können sie nur Unglückbringendes erwarten, und das unausbleiblich! Aber das ist der Fluch der Weiber, daß sie sich nicht einbilden können oder mögen, daß kein Mann mit ihnen ohne Liebe umgehen könne oder solle. Die Meisten versinken freilich bei dieser Annahme in ihr Nichts; doch das ist ihre Schuld, und »Nichts im Beutel ist besser, als ein Scorpion darin,« sagen selbst die Türken. Was aber sollen die Weiber und Mädchen in solchen Ländern erst von den Männern denken, wo Sitte und Religion selbst ihnen diese willkommene Annahme aufdringt, wo gar kein anderes Verhältniß zwischen ihnen gestattet ist, als das der Ehre und Liebe. Hier ist jedes Weib leidlich gut, und die Morgenländerinnen mögen Entschuldigung finden, wenn sie morgenländisch denken und leben, ohne Zurechnung einer unseligen Eitelkeit und ohne Sünde, und noch, weil sie hier nur Weiber für die Erde sind, für wenige schöne Tage; beseelte Wesen zwar, aber nur wie sinnbegabte wandelnde Lilien und Rosen, die hin sind, wenn sie verwelkt sind. Und dennoch kommt es eben gerade daher: daß hier viele Weiber weniger Werth haben, bei uns aber wenige vielen Werth. Saliane ist besser als Tausend hier und dort, aber die Beste für mich. Olivia ist ein Engel – für einen Engel.



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