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Die Kuppelerleuchtung.

Die Kuppel der Peterskirche in Rom, die ganze Kirche selbst, bis herab auf den Säulenvorhof, wird Ostern, und am Peter- und Pauls-Tage, wie bekannt, prachtvoll erleuchtet. Zwei Abende hintereinander ist an dem letzteren Feste das herrliche Schauspiel zu sehen; Einmal für Petern und einmal für Paulen. Aber immer und alles uns Menschen wegen, für die sich der Himmel nun einmal gerührt hat, wie man in Rom zu beweisen, mit Vergnügen und zum Vergnügen, sich abmüht. Und die Erleuchtung an jedem Abend ist wiederum zwiefach; die erste durch viel Tausend kleine Lichter, die vor Sonnenuntergang angezündet, anfangs von ihrem Scheine noch niedergehalten, darauf die Abendglut der Sonne, die auf dem Dome ruht, gleichsam einsaugen und mit sich verschmelzen; dann, während Gewölke und Gegend umher erblassen und in Dunkel vergehen, die Abendröthe zu verlängern und festzuhalten scheinen, bis sie gemach und leise zu eigener Glut und Kraft gelangen, und immer lieblicher, immer heller funkelnd – als hätten die Sterne des Himmels in goldenen Kränzen sich auf die dreifache unermeßliche Krone gesenkt – sie wie eine unschätzbare Besetzung von Smaragden, Rubinen und Perlen umleuchten. Dieß heißt die kleine Beleuchtung. – Nach einer Zeit von ungefähr zwei Stunden, während welcher das Auge sich kaum noch satt gesehen, nichts Anderes mehr erwarten zu dürfen wähnt, schon darum, weil bei so langer Dauer Nichts mehr darauf zu folgen – und weil diesen Anblick nichts Prachtvolleres mehr überbieten zu können scheint – besteigt ein kühner Mann die von Außen im Freien, in einer Höhe von 600 Palmen angebrachte eiserne hohe Leiter, die zu dem kolossalen Kreuze führt, und setzt die auf dem Gipfel desselben befindliche, mit Pech gefüllte, mächtige Pfanne mit seiner Fackel in Brand; und auf dies Zeichen brechen aus allen Oeffnungen die lauernden Gehülfen hervor, und in weniger als einer Minute steht der ganze riesengroße Dom von unten bis oben in rothem wildauflodernden Feuer.

Diese überraschende, berauschende, ja überwältigende Erscheinung ist jedoch auf Erstaunen berechnet, das seiner Natur nach nicht lange dauern kann – obgleich die Pfannen die ganze Nacht durch flammen, dem Tage, wie man sagt, das Auge ausleuchten, und selbst die aufgehende Sonne sie nicht ganz überwältigen kann. – Deßwegen wird diese Feuerschlacht, als eine zu verlierende, bald abgebrochen, und Alles enteilt dem von Menschen und Wagen gedrängt vollen Platze vor die Engelsburg zum Feuerwerke, zur Girandola. Und wie vorher die kleinen Lichter in der Glut der großen verschwanden, so vergeht nun vor der Girandola selbst jene zweite große Kuppelerleuchtung mit ihrem Prangen, Lohen und Walten. Kein Mensch schaut sie mehr an; die gigantische brennende Krone des heiligen Peters ist vergessen, wie nicht mehr in der Welt. Denn wie bei ihr allein auf den Sinn des Gesichtes gewirkt wurde, so geschieht es bei der Girandola zugleich mit auf das Gehör, und in erschütternder Nähe. Auf jene Vorstellung noch eine zu geben, mußte man seiner Sache gewiß sein. Und in der That denkt Mancher wohl bei der, unter dem betäubenden Donner des ganzen Geschützes der Engelsburg mit einem Male hinauf-prasselnden, zischenden, sprühenden, knallenden und zerkrachenden Masse von Raketen und Schlägern, daß der Schlaf der Todten eisern ist! Denn in diesem fast sinnzerstörenden Lärm würde es Keinem mehr wunderbar vorkommen, wenn Hadrian davon erweckt, schlaftrunken und das Volk anfahrend, auf seinem Grabmale erschiene und früge: Wer seinen Schlaf so toll zu stören sich erfreche!

Ich hatte das Alles schon fünf Mal gesehen und gehört; und als Reisender meines Geschäftes lag mir an der Kenntniß der Anordnung der Kuppelerleuchtung. Der verwogene Fackelschwinger, der so flink die gefährliche Leiter bei Nacht erstieg, reizte mich freilich am meisten. Ich machte seine Bekanntschaft, und gewann ihn mir durch manches Geschenk. Kurz vor der neuen Kuppelerleuchtung klagte er mir, daß er den Arm gebrochen habe, und ihn im Bunde tragen müsse, wodurch er wahrscheinlich sein geringes Brot ganz einbüßen werde, wenn er einmal das Amt nicht verwalte, den Peter anzubrennen; denn es seien zehn Hände darnach. Er that mir leid, und ich schlug ihm vor, es so einzuleiten, daß ich statt seiner das Kreuz erstiege, und das Zeichen zum Tempelbrande gäbe. Nach langem Bedenken willigt' er ein, als ich ihm von meiner Seite noch sechsfaches Trinkgeld für die Besteigung zugesagt. Denn ein Trinkgeld ist wohl der Louisd'or zu nennen, der aus dem Kirchenschatz für ein so halsbrechendes Wagstück bei Nacht – außer dem Abendmahl und der Absolution gereicht wird. Er traf die nöthigen Vorkehrungen, und führte mich in gemeiner römischer Tracht als seinen jüngsten Bruder auf, der ein Schieferdecker in der Nachbarschaft, und ein Mann ohne allen Schwindel sei. In der That war ich von Kindheit auf gewohnt, die höchsten Tannen, Schiffsmasten, Thürme, Felsen und Höhen zu ersteigen; indeß sich Andere oft auf dem breiten Gipfel eines niedrigen Berges schon schwindlich niedersetzen müssen, und mit verbundenen Augen sich hinunter führen lassen. Ich bestand die Probe, und füllte bei Tage die fünf Pfannen des Kreuzes mit brennbaren Stoffen, und ward dann vorbereitet, wie einmal die Sitte ist! Was thut ein Engländer nicht eines Whims wegen? Indeß hatte ich noch eine besondere Absicht dabei. Nichts nämlich gewinnt eines Mädchens oder Weibes Herz so gewiß, als wenn ihr der Liebende in Lebensgefahr erscheint, so daß sie für ihn zittern muß und ihn als einen Sterblichen erkennt, der zwar des Todes fähig ist, aber auch fähig, seine Liebe über sein Leben hinaus zu verlängern. Wird nun gar die Gefahr erst ihretwegen bestanden, so muß sie sich als ein mächtiges Wesen erscheinen, das durch seinen Willen in den Tod jagen, oder am Leben erhalten könne! In dieser Hinsicht sind Zweikämpfe, Krieg oder sonst eine verwogene That fast unfehlbare Mittel, über ein Weib zu siegen, welches nur einigermaßen der Eitelkeit fähig ist. Und meine so schöne als spröde Petronella schien mir das! Auch wagt ein Liebender wenig in solcher Gefahr; denn das Anblicken, oder die innere Gegenwart der Geliebten, trägt und erhält ihn wunderbar. Wer vor den Augen seiner Geliebten keines Wagstücks fähig ist, der ist ein Schaf in Menschengestalt, und überhaupt wenig werth, denn ihn begeistert Nichts. Ich aber wagte gewiß Nichts, und schämte mich fast deßwegen!

So trat ich denn gegen Abend in einer blauen Tuchjacke und derben Schuhen mit großen silbernen Schnallen in Petronella's Zimmer. Ich lud sie auf den Abend ein, und ihre Wange überrieselte eine leichte Blässe. Aber zu kommen schlug sie ab; die Hand, die sie mir zum Abschied reichte, schien mir zu zittern. Und doch bat sie mich nicht, zu bleiben, mein Vorhaben zu unterlassen! Das stolze Römermädchen! Sie hatte mich zwar aufgegeben – aber bitten sollte sie doch! Zornig ging ich fort. Ich hatte noch einige Gänge; und wenn ich nicht irre, knieete sie, als ich in St. Peter eintrat, von ihrer Freundin begleitet, schon in der Kapelle des Krucifixes, gleich rechts von der Porta santa. Ihre Andacht rührte mich innig. Ich schlug an meine Brust und eilte hinauf, denn es war die höchste Zeit.

Auf meinem Posten hoch droben lauscht' ich mit brennender Fackel im Hinterhalt. Hunderttausend Augen warteten auf mich; das Herz pochte mir ein wenig, und ich horchte auf die Uhr unter den bekannten fabelhaft-großen steinernen Schlüsseln. Mit dem Glockenschlage brach ich hervor, erstieg die eiserne Sprossenleiter zum Kreuz, und setzte die oberste Pfanne in Brand. Ein freudiges Summen des Volkes stieg zu mir in die Höhe herauf; schnell trat ich einige Sprossen rückwärts hinunter, und entzündete die zwei Pfannen des linken Kreuzes-Arms, und während ich die Fackel hineinhielt, blickt' ich in die Tiefe hinab. Aber wie ward mir! Aus allen Oeffnungen brachen Fackeln hervor, Flammen schlugen zu allen Fenstern heraus, auf allen Kuppelfenstern, Zinnen und Simsen empor; Feuer oben auf der Colonnade mit dem Volk von Statüen umher; und die sausenden Flammen schienen alles, Dom und Säulen sammt der Erde mit mir in den plötzlich verfinsterten Himmel zu wuchten. Diese, wie ein schwarzes Gewölbe still über mich herabstürzende Finsterniß, vor allen aber das tausendchörige, wie aus Einer höllischen Posaune aus der Erde laut und betäubend heraufgeblasene: »Ah!« – war mir zu neu! Unwiderstehlicher Schwindel ergriff mich, ich sah eine Wolke; das Kreuz und die eiserne Leiter wankten mit mir hin und her! Die Fackel entfiel mir, ich drückte die Augen fest zu vor der blendenden sinnverwirrenden Tiefe – umsonst! Es siedete schäumend vor meinen Ohren, meine Kniee zitterten, alle Kraft wich aus meinen Gliedern, mich beschlich ein Gefühl wie des Todes, und die Sprosse, die ich gefaßt, glitt aus meiner Hand. Ich schwankte mit grausender Wendung über dem Abgrunde rechts um die Leiter, und wie ein Sterbender aus dem Todeskampfe noch einmal aufgeschrieen, ward ich von der gräßlichen Gefahr munter, belebt und mächtig das viereckige, baumstarke eiserne Kreuz zu umklaftern. Aber die Kräfte verließen mich wieder, und ich sank daran hinab auf den südlichen Arm desselben, und kam auf seiner Oberfläche zu sitzen, mit meiner rechten Seite an den Stamm. Ich saß todtenstill und regte kein Glied voll starrer Betäubung. Und eine Stimme sprach tief in mir: »ruhig! nur ruhig; ganz ruhig! es sitzt ein Mensch auf dem Peters-Kreuz in Rom. Was ist es denn mehr, daß Du der Mensch bist? Der Mensch und der ganze Peter sind einst doch wie Spreu dahin. Und »Einst« ist im Fluge da! Furcht bringt Tod! Besonnenheit erhält das Leben. Du hast Grund über der Tiefe – nur ruhig! ruhig!«

Aber trotz der gebieterischen Stimme konnt' ich erst, ich weiß nicht wie lange darauf, mich entschließen, mit den Händen umherzutappen, um meine Lage zu untersuchen. Sicherer schien mir: wenn ich mit dem Rücken mich an den Stamm des Kreuzes lehnen konnte; und ich führte das gewagte Vorhaben, mich zu wenden und meine Füße auf den Arm des Kreuzes zu bringen, anstatt sie schweben zu lassen, mit mehr als Schlachtmuth aus! Nun erst wagt' ich die Augen aufzuschlagen. Vor mir, in einer Nähe von vier bis fünf Fuß, lohte eine mannshohe Flamme, vom Winde gebeugt und verwirrt, mich blendend und erhitzend. Denn die Fackel, die ich in der Todesangst weggeworfen, war mit dem Brande in die vordere Pfanne des Kreuzes-Armes gefallen, worauf ich saß; die zweite nächste Pfanne vor mir, an welche ich meine Füße stemmte, war unentzündet. Die Breite meines Sitzes war ungefähr zwei Fuß, und die Gefahr so groß sie sein kann. Denn wenn ich nur die geringste Bewegung machte und das Uebergewicht bekam, so stürzte ich von dem Kreuze zuerst auf die kleine Kuppel der Laterne – basta! – dann an den gewaltig hohen Scheiben dieser übernatürlichen Sankt Peters-Laterne erst auf die große Kuppel hinab – bastanza! – und, über die vielfachen Gurte derselben hinuntergerollt, stürzt' ich über den Rand derselben dann erst an der thurmhohen Untermauer mit Fenstern hinab bis auf das Bleidach des Kirchengewölbes – abastanza! – die schönste Gelegenheit, in der Welt, mir dreimal unfehlbar alle Glieder an meinem Leibe zu zerschmettern, und wenn ich von Stein gewesen! Und dennoch schämt' ich mich, unbegreiflicher Weise, Hülfe zu rufen! Auch wär' es umsonst gewesen, denn ein Platzregen hatte Alles unter das Dach verjagt. Ich seufzte nur leise: Petronella! meine Petronella! – So hieß meine Geliebte; aber so hieß auch Sankt Peters Tochter, deren heiliger Leib sich in dem Altar unter mir in der Kapelle des heiligen Erzengels Michael befand. Vielleicht hatte sie das namensschwesterliche Gebet vernommen, meine Petronella erhört, mich wunderlich erhalten, und mir den Sturz des Zauberers Simon erspart, den ihr heiliger Vater demselben nicht geschenkt hatte!

Auf allen Höhen weht der Wind heftiger; aber hier oben rasselte, heulte und pfiff heut ein sausender Sturm, daß meine Haare mir nicht einmal zu Berge stehen konnten, von seinem reißenden Strome vorgewühlt. Gern hätte ich den Hut mir in die Augen gedrückt, aber der war mir vom Kopfe gefallen, als ich ohnmächtig von der Leiter auf das Kreuz gesunken. Mit den Füßen konnte ich, der Dicke des Metalls wegen, den Arm des Kreuzes nicht umklammern. Mir schauderte, zu wachen! eine lange entsetzliche Nacht, das von unten köstlichste Schauspiel der Welt, hier oben als das mir elendeste anzusehen; und mir schauderte, zu schlafen! nur zu schlummern und mit dem Kopfe zu nicken, mit der Schulter zu weichen, mich neben dem Stamme in die leere Luft anlehnen zu wollen, und so rücklings hinunter zu stürzen und im Schlafe zu sterben. Denn immer hatte ich gern wachend den Tod empfinden wollen, um auch das zu erfahren; wozu sind wir denn Menschen!

Kaum, daß ich das gedacht, so fiel mir tropfendes Feuer auf den Kopf, die Schultern und in den Nacken. Der Wind hatte von droben brennendes Pech aus der Pfanne über mir fortgerissen, oder, von dem langen Gebrauche vielleicht zersprungen, oder überfüllt, troff sie jetzt wahrlich ganz zur Unzeit! Denn vor Schmerz vergessend, wo ich saß, beugt' ich mich vor, ließ die Hände los, die brennenden Haare zu löschen, und das Tuch der Jacke auf Schulter und Rücken. Auf dem Kopf und in dem Nacken löscht' ich das Feuer glücklich, indem ich mir oft die Hände mit Regenwasser netzte, das in der Pfanne vor mir stand. Jenes auf dem Rücken aber wußt' ich nicht anders zu dämpfen, als mich fest an das Kreuz anzudrücken, und so ihm die Luft zu benehmen. So gefaßt ich bisher gewesen, so preßte der Zufall mir doch die bittersten Seufzer aus! Unter mich blickt' ich nicht, aus Furcht vor Erneuung des Schwindels, der mir wieder stärker anzukommen drohte, und zwar gelinder, aber immerfort den Kopf mir einnahm – ich blickte zum Himmel! Der Mond war heraufgerückt, und durch den Qualm der Pfannen und den schwarzen Rauch, der um mich aufquoll und sich fortwälzte, wie aus dem Feuer-Becher des Vesuvs, wenn er Wolken macht, erblickt' ich ihn blutroth in dem weiten brennenden Zelt. Schwarze Gewölke flogen in wunderlichen Gestalten vor der mattglänzenden Scheibe vorüber. Mir deuchte, ich sei in eine nie gesehene wunderbare Stadt der Luft versetzt; die aufgerichteten Wolken um mich, von dem streitenden Scheine des Mondes und der Flammen zauberhaft beleuchtet und wie von innen erhellt, schimmerten wie Palläste eines göttlichen Geschlechtes, das nie würdigt zur Erde zu steigen. Und wenn Dämonen darin gehauset, wie gern wär' ich in eines der prächtigen Thore gesprungen! oder hätte mich auf eines Daches breite goldbedeckte Fläche gerettet, wenn nur eine Brücke sich hinüber schlug! Aber sie zogen um mich herum, bei mir vorüber, zerflossen und bildeten sanft beleuchtete Gletscher, und Lawinen hingen davon herab, und ich fühlte ein unaussprechliches Heimweh nach der Erde! Ich streckte thöricht meine Füße aus, den Boden zu berühren, und in der Täuschung der Nacht und der flackernden Lichter schienen sie mir zu wachsen, sich auszudehnen wie lange Schatten und drunten Grund zu fassen; und mir ward unbeschreiblich wohl; wie im Gegentheil ein Podagrist noch Schmerzen in den Fußzehen empfindet, wenn er auch in der Schlacht seine Beine verloren.

Die Campagna lag in der Ferne düster vor mir, denn der Mond war ausgelöscht von schweren Gewitterwolken, die mit Regengüssen drohten. Rom erschien mir wie in's Meer versunken, und als ob es aus seinem Grunde unsicher und schauerlich schwankend heraufdämmre. Die Erde selbst kam mir vor, wie ein weites, dunkles, ewig offenes Grab, das Städte nach Städten, Reiche nach Reichen mit ganzen Völkern hinunterschlingt. Ich hing den Kopf – und der ägyptische Obelisk nun hier mitten auf den Säulenvorhof hingestellt, vermischte und verwirrte vollends Oerter und Zeiten in mir. Was ich kannte, was ich sahe, hatte für mich nicht mehr die Wahrheit seines eigenen Daseins, sondern bedeutete mir, was meine aufgelöste Einbildungskraft daraus schuf.

Mir schien der Platz, in Gestalt einer großen geöffneten glühenden Zange, noch der Cirkus der alten Römer zu sein, worauf die brausende Volksmenge ein Fest feierte. Vielleicht einen Triumphzug? Oder einen Wettlauf zu Wagen? Ich hörte sie rasseln! Oder wird Nero Christen martern? Gewiß! Sieh nur, sie sind mit Häuten wilder Thiere maskirt, damit sie die Hunde zerfleischen! Ich hörte ihr verworrenes dumpfes Geheul, die durch die Thierschnauzen verwandelten Menschenstimmen! Ich sahe die Märtyrer mit Harz und Pech überzogen und angezündet, damit sie in der Nacht zu den circensischen Spielen leuchteten als Fackeln; ich glaubte, die Pfähle zu sehen, an die sie gekettet sein müßten, denn sie bewegten keine Hand! – Aber auch hier oben vor mir brannten Riesen – das sind doch keine Menschen, keine Christen! Das sind ja die steinernen Heiligen auf dem Dom! Das drunten waren die steinernen Heiligen auf der Colonnade, die im Schein der Pfannen flackerten! Die Feuer um dich her, das ist ja Kuppelbeleuchtung! Du schwebst ja hier oben! – und nun wühlten die Flammen aus den tausend Pfannen mir gleichsam in die Augen! Meine Sinne fingen an, sich zu verwirren. Um die Angst zu übertäuben, suchte ich mir nun den Dom und die Höhe lächerlich, klein und verächtlich zu machen, als sei Alles nur ein Werk zweibeiniger Termiten. »Und diese armselige Höhe von 600 Palmen ist das Ungeheuerste für Menschen auf der ganzen Erde, daß ihnen schwindelt davor, und Tausende aus aller Welt laufen hieher und starren herauf, als wenn sie nie einen Berg, nie den Himmels-Dom mit seiner Sonne, seinen ewigleuchtenden Gestirnen und ein ganz anderes Kreuz gesehen hätten, das schon länger funkelt, als das Peters-Kreuz, worauf ich Wurm reiten kann, und das Ich angezündet! und drunter wogt und brauset der ganze Absolutions-Markt voll maulaufsperrender Thoren, und rufet dumpf herauf: »Ah! – Ah!« – »Bah! – Bah!« – antwortete ich mir, und höhnte mich selbst, um den Schwindel wegzuspotten. Aber wie anders erging es! Denn da ich so anhaltend in die unzähligen Feuer gesehen, die aus der verworrenen Tiefe immer größer, immer blendender bis um mich, und über mich emporwuchsen, fingen sie an, sich mir zu bewegen und zu drehen! sie nahmen Gestalt an, wie Männer und Weiber, über und über mit glühenden Augen, und hüpften und sprangen empor, und trachteten, ohne ihre Füße ablösen zu können, beständig in die Höhe zu fliegen, und tanzten fort wie Irrlichter in rasender Wuth. Die Kuppel drehte sich unter mir, als säß' ich auf einer sausend geschwungenen Töpferscheibe – und nun begannen die Salamander- und Drachenleiber ein Höllen-Ballet um mich, wie um Don Giovanni, und in der hohen Flamme, ganz nahe vor meinen Augen, erschien mir der Geist des Comthur und streckte die Hand nach mir aus, und rasend unter den Rasenden rief ich laut: » No! – No!« – Die Gewölke drehten sich jagend mit mir, der Mond konnte kaum so schnell nach, und fuhr wie ein feuriges Meteor in ebenem Kreise herum; wie ein Kind eine glühende Kohle schwingt, daß ein geschlossenes glimmendes Rad in der Luft steht, so hatte ich einen leuchtenden Ring aus Mondstrahlen um mich, wie Saturn, und die Sterne flogen wie Schmiedefunken im Wirbel umher. Der Sturm trieb den Rauch auf mich zu, und der Qualm erstickte mich fast; ich hustete, niesete, weinte; ich schrie jetzt laut hinab um Rettung! – aber in dem Getose der eben zur Girandola rasselnden Wagen, der forttobenden Menge Geschrei und dem Pfeifen und Sausen des Windes verhallte meine Stimme! – Ich schoß meine beiden Terzerole nacheinander ab, aber ganz zur Unzeit; auch knallten die Schüsse, wie auf dem Meere, nur schwach in der öden hohen Luft. Aber wenn sie auch hinabgehört wurden bis auf das Dach der Kirche – Jeder pflegte seines Amtes, jetzt galt es den Dom zu besorgen! Was war da ein römischer Lump dagegen! Einigemale bedünkte mir schon, als schriee mir Jemand zu: »ich komme! ich komme!« und ich sahe die Illuminanten laufen und steigen. – Leere Täuschung! Niemand konnte mich hören! Niemand hatte mich gehört und vermißt! Ich wartete; horchte, ich sah, wie die eiserne Leiter zu meiner Rechten schwebte; und wie sich Alles um mich drehte, flohe sie immer gleich weit vor mir weg, immer unerreichbar! Dumpfe Verzweiflung ergriff mich; mir ward unbeschreiblich angst; in meiner Herzgrube wühlte ein weichlicher ganz unerträglicher Schmerz, und um aus aller der Qual auf einmal zu kommen, die schlimmer war als der Tod, hielt ich den Athem an – ein Blick zum Himmel – ich ließ die Hände los und stürzte mich sinnlos hinab. –

Roberts Zuhörer sprangen vor Schrecken auf, und gingen im Zimmer umher; blieben dann wie im Traume vor ihm stehen, und starrten ihn an. Aber er bat sie, sich wieder zu setzen; und als sie ihm wie jetzt ihrem Herrn und Erlöser gehorcht, fuhr er zuerst nur mit schwacher Stimme fort:

Ich fühlte einen gräßlichen Stich im Kopfe; ich schauderte tief in mich selbst, und mir war, als schwänden alle meine Glieder vom Leibe, und mein Bewußtsein schieße in einen innerlich unzerstörbaren Kern zusammen. Denn ich zwar warf mich nach unten – aber ich fiel nicht; eine unsichtbare Macht hielt mich mit eiserner Faust, oder riß mich, wie ich wähnte, wieder herauf, und bannte mich auf meine Stelle. Ich wußte nicht, wie es geschah; ich war betäubt, und mir graute, mich umzukehren, um zu sehn, wer mich halte; denn es faßte mich noch! Ich habe in keiner Schlacht mehr Muth beweisen können, als ich wirklich hatte, mit der Hand hinter mich zu fühlen, als würde ich einen Heiligen berühren! Aber wer mich errettet, war – das Pech, das von oben herunter geflossen, woran ich mit dem ganzen Rücken angeklebt war, was ich nur nicht bemerkt, da ich unbewegt gesessen. Ich saß in dumpfem Starren lange gedankenlos und das Herz pochte mir ungestüm. Der erste Gedanke, den ich mit meinem Bewußtsein prägte, war: Ich muß leben, auch wider Willen! – Das Blut durchlief mich wieder warm, mir war unaussprechlich zu Muthe; ich blickte zum Monde wie zum Antlitz meines Vaters, und redete mit ihm Gespräche eines Träumenden, und hörte übermenschliche Antworten, die ich nicht fassen konnte und nicht behalten habe; denn von der Angst und dem vergeblich martervollen Abarbeiten der Seele überfiel mich eine Schläfrigkeit, der ich nicht widerstehen konnte. Auch war sie mir nun willkommen, denn ich ward das Bewußtsein meiner Lage los, und war sicher. Ich untersuchte jeden Knopf meiner Jacke, ob er fest und gut zugeknöpft sei, faltete meine Hände und ergab mich dem Schicksal und der Erde, wie in einem großen Schiffe, mich im Mastkorbe dem Rosengewölk eines neuen Tages entgegen zu tragen. Zwischen Schlaf und Eindämmern hört' ich noch den Donner der Kanonen von der Engelsburg, blinzte mit halbgeöffneten Augen und sahe den Licht- und Feuerschwarm der tausend Raketen wie einen goldenen Pfauenschweif rauschend sich ausbreiten, und die Leuchtkugeln waren die grünen und blauen Augen darin – die Tiber, die zu brennen schien, und widerleuchtete von den Blitzen – und dem weißen Nebel, der aufstieg. Und auf dem Nebel droben schwebten stille Gebilde, wie Geister, und zogen wolkenhoch in silbernen Harnischen umher. Andere verweilten, andere schwirrten mit spöttischem Lächeln vorüber. Ihre Augen aber waren hohl, wie Augen der Todten, und ihre Gebeine klapperten in den Harnischen, und an Waffen und Helm erkannt ich die alten Römer, die fast so nahe, daß sie an mich anstreiften, an mir vorüberzogen in das Thor eines Triumphbogens, und Wolken flogen herbei und vermischten Alles; und ich entschlief.

Aber durch die Kanonenschläge und das Tosen und Wüthen zu Anfange der Girandola veranlaßt, durch das Zischen und Sprühen und Schmettern während derselben unterhalten, und durch den wiederholten Donner zum Schlusse bestätigt und genährt, bildete meine wache Phantasie sich einen Traum von Krieg, als belagerten die Russen Rom, und stürmten und nähmen es ein; wie ein Herold verkündete: als die alte und neue, längste und falscheste bitterste Feindin der Völker und Herrscher, mit der kein Vertrag ist, als zum eigenen Untergange. So übergab er die Stadt sammt allem der gänzlichen letzten Vernichtung. Und nun entstand ein Geschrei und ein verworrenes Gebrause unter mir, wie Höllen-Schlachtlärm; und ein Schreckensruf, ein Getrappel und Geächz', scholl auf, wie ich nie gehört. Der Schein von den Feuern auf der großen und den kleinen Kuppeln und allen Simsen und Gedachen umher, der auf meinen Augenliedern lag, weckte mir die Vorstellung: auch in Peters Dom sei Feuer geworfen, er stehe in vollem Brande! Mir ward heiß von der Glut, die Flammen leckten und stachen mir bis an die Sohlen. Aber ich, obgleich mir bewußt, wo ich war – denn der Gedanke stand zu tief in meiner besorgten Seele – ich fühlte keinen Schmerz darüber; und selbst für mich keine Angst. Denn der schwarze Engel von Hadrians Grabmal kam herüber geflogen, und setzte sich über mir auf die oberste Spitze des Kreuzes; die zehn Engel von ihrer Brücke kamen ihm nach, setzten sich im Kreise unter mir auf die Kuppel der Laterne, und wehten und wehrten ihm und sich mit ihren großen weißen Schwingen die Flammen ab, und dadurch zugleich auch mir.

Aber die riesengroßen Heiligen auf dem Frontispice der Peterskirche schwitzten Blut, und wurden, von der Hitze durchdrungen, lebendig; sie hoben angstvoll die Arme, und rettungslos auf dem Dache von Flammen umringt und gedrängt und gepeitscht, sprangen sie graus in die schwindelnde Tiefe, und mir deuchte, als zerschmetterten sie sich die schweren gewaltigen Leiber drunten auf dem Gestein. Andere Fliehende wurden von ihnen erschlagen, oder jammerten halbzerquetscht unter der entsetzlichen Last. Denn zu allen fünf Thoren heraus drängten sich die gleichfalls lebendig gewordenen Statüen. Deutlich unterschied ich die vier weißen Riesengestalten: die heilige Veronika, die gerettete Lanze in der einen, das Schweißtuch in der andern Hand; die h. Helena mit dem Kreuz; die beiden hohen Gestalten, den Apostel Andreas und den h. Longinus, welche die gewundenen Säulen des Hauptaltares auf ihren Schultern, wie Zimmerleute Balken, forttrugen und die Stufen hinabwankten. Das römische Volk, wie einst das zu Ephesus, seinem Tempel zu Hülfe geeilt, erschrak vor den ungethümen Riesenwesen; manche stürzten auf die Kniee, andere liefen voll Entsetzen davon, Eimer und Feuerhaken von sich werfend. Die Orgel in der Kapelle des Chores heulte und pfiff und schnurrte, von Feuer und heißem Winde durchsaust, und das Posaunenregister blies unaufhörlich furchtbare Töne! Aus der Halle sprengten zu Pferde heraus: Constantin und Karl der Große, und ritten in die Luft; Michel Angelo's schmerzenreiche Mutter erschien mit dem todten Sohne und trug ihn jammernd hervor; der eherne Petrus mit der abgeküßten Zehe kam mit schwerem eisernen Schritte. Auch die Menschen aus den Rahmen der Altargemälde retteten sich, und verloren auf der Flucht Mosaikstifte von ihren Leibern, und der nackte Besessene von Raphaels Verklärung rann hervor und schrie gräßliche Worte. Aus den Kuppeln waren die Engel herabgeschwebt, flatterten durch die Flammen heraus und schwangen sich hoch über mich hinauf in die Wolken. Zuletzt aber erschien der Tod, aufgestanden von Alexander des Achten Grabmal, und watete gefühllos durch den zischenden Bach von geschmolzenem Erz und herabgeflossenem Blei des Kirchendaches, und kaum war er herausgeschritten, so stürzten die Gewölbe des Schiffes mit ungeheuerem Krachen ein, und Flammenwirbel und Schuttstaub-Wolken verhüllten den Himmel. Und die schwangroßen Tauben mit den Oelzweigen, die ihre gewohnte Behausung nicht verlassen wollten, kreiseten in dem Feuermeer, und fielen versengt und todt in die zerstörte Stätte.

Die große Kuppel auf ihren vier mächtigen Pfeilern stand nur noch unter mir, aber gesprengt und ausgedehnt von der Feuersgewalt, hatte sie sich aufgethan in weite Spalte, wie Klüfte, und ich konnte hinabsehen. Und aufgeschreckt von dem Donner des Tempeleinsturzes, kamen die Leiber der Apostel Petrus und Paulus hervor, und die heiligen Männer wandelten nachdenklich über die Trümmer, unberührt von der Glut, und verschwanden wie Geister zwischen dem ragenden Gemäuer.

Aber was sah ich – auch der vatikanische Pallast brannte heller lichter Lohe! und die alten Götter und Helden, die Thiere und Menschen, verstümmelt und unverstümmelt, stürzten und hinkten bedrängt aus den Thoren hervor auf den Platz, sich zu retten. Und der ganze Säulenvorhof war voll Gesindel aus allen Tagen und Landen der Erde, voll von Sibyllen, Zauberern, Kriegsknechten, Juden, Propheten und Königen. Selbst die Luft schwirrte voll von lebendigen Arabesken, wie von fliegenden Eidechsen und Paradiesvögeln.

Jetzt flogen die Engel um mich auf, und nun stürzte die Kuppel unter mir ein und bedeckte Ruinen mit Ruinen, und es krachte unfaßbar, die Erde schütterte zusammen und die Berge hallten das Krachen wieder. Und ich war mit hinunter gestürzt und war todt, und das große Kreuz des Domes stand als Kreuz auf meinem Grabe. Aber das sah ich! ich wußte, daß ich todt war! und klappte vor Schrecken und Furcht mit den Zähnen.

Da wacht' ich auf, seelenfroh, daß ich nur noch auf dem Kreuze saß, das bisher mir als Folter erschienen. So hatte mich der Traum getröstet! Ich athmete tief, wie neugeboren und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Meine Haare troffen, ich war bis auf die Haut naß von dem Regenguß, der die Nacht gefallen sein mußte. Die Pfannen, die sonst bis zum Morgen brennen, waren ausgelöscht, und hier und da flackerte nur noch eine, die sicher vor Sturm und Regenwurf gestanden, öd' in den Fensterhöhlen.

Die Sonne blitzte mir in die Augen, aber blutroth, unter einer schweren, blau und gelb, wie brennender Schwefel, besäumten Wolkendecke, und ein fahler, todtenhafter Schein wallte darunter hervor über Rom, das noch im Schatten begraben lag. Der Himmel schien krank, ja in Verwirrung gerathen. Die Beleuchtung war grausenvoll und beängstigend, wie vor einem Erdbeben! Die Glocke, die eben schlug, schien mir von selbst anzuschlagen, ich bebte durch und durch vor Entsetzen. Nur bis mir ein Gott wieder hinunter hilft, steh' noch, o Dom! seufzt' ich, und erinnerte mich mit Schrecken der wirklichen Risse der Kuppel! Denn einmal stürzt doch St. Peter zusammen, warum nicht jetzt? – Wohin fliehen? Wo mich anhalten? – Ich langte irr' hinaus in die Kluft, selbst nach den Pinien auf Monte Mario! Denn die Erde versank unter mir! Ich wandte mich stöhnend mit dem Gesicht nach Abend, das Meer schimmerte im Morgenglanz, und der Wind wehte in heftigen Stößen von Zeit zu Zeit mir sein Rauschen zu, wie von einem Wehre. Ein Rabenzug umschwärmte mich jetzt mit munterm Geschrei, wie meiner zu spotten, auf sichern Flügeln sich wiegend. Mir war, als hing ich am Kreuz und die krächzenden Vögel warteten auf mein Fleisch. Aus dieser Phantasie weckten mich zwei Sperlinge, die in vollem Eifer nahe vor mir auf den Kreuzesarm geflogen kamen und sich bissen, bis sie, von meinen Augen geschreckt, wegstoben. Mein Schreck war vorüber.

Es war Tag; und das Licht, das alle Sterblichen, selbst Kranke, die eine lange, lange Nacht schmerzvoll durchwacht, mit Hoffnung belebt, ihnen den Himmel aufschließt und menschliche Hülfe wie Engelshülfe verheißt, die sie von den fern vorüberziehenden Sternen umsonst ersehnt – dies allen Wesen willkommene Licht, wie unerfreulich leuchtete es mir! Jetzt erst konnt' ich deutlich die Höhe messen, in der ich einsam hing! Aber, sonderbar genug, ich empfand keinen Schwindel, nur ein bitteres Vergnügen an der schweigenden, unter mir mit Menschenwerken bedeckten Erde. Was mich erquickte, war das allmälig erwachende, breiter und lauter heraufhallende Geräusch, das selige Gefühl, in der Nähe der Menschen zu sein. Ich war nicht ganz einsam, nicht hülflos! Nur Einer durfte hier oben auf das Dach heraustreten, heraufsteigen, mir einen Strick zuwerfen, daß ich sicher aufstand, und, ohne Gefahr hinabzustürzen, den weiten bedenklichen Schritt über die Kluft bis zu der eisernen Leiter mich schwang – und ich war wieder unter dem Gewühl der Lebendigen, in der Fülle der Güter der Erde, wie in der Fülle der Jugend. Ich harrte, sah und harrte wieder. Die Gedanken standen mir still, wie man sagt. Ich war noch ganz voll von den übernatürlichen Bildern und Erscheinungen der Nacht, wie Jemand, der in einer Taucherglocke in dem schauerlichen Dunkel des Meeresgrundes gehangen, von allerhand Ungeheuern und niegesehenen furchtbaren Ungethümen umschnalzt. Der gelbbräunliche Dom kam mir vor, wie von Kork modellirt, und ich wie ein Käfer darauf; oft lächerlich genug wie ein Vogel oder eine Statüe, die unter das Volk von Statüen mit eingeschwärzt sei. Ja, ich glaubte, ich sei diese Nacht aus dem Monde gefallen, oder aus einem jener Wolkenpalläste herabgestiegen! Und wie ich mich in einem höchst gereizten und wieder abgespannten Zustande befand, manchmal der Ohnmacht nahe, kein Glied zu rühren vermochte, von Nässe und Kälte steif und starr, und vom Winde verwirrt da saß, empfand ich mich nur noch als ein Auge, das schaue! als ein Wesen, das einst einmal Mensch war und nun seinen Leib abgelegt, als ein Geist, als ein Todter!

Da erklangen – zu dem zweiten Festtag – auf allen Thürmen von Rom zugleich die mehr wie tausend Glocken! Und nach und nach umquoll mich ein Summen, das die Luft durchzitterte, und wuchs und schwoll mit heraufbrausenden Wogen, wie ein unsichtbares Meer, mit Klängen, in denen nie gehörte, außerweltliche Stimmen und wortlose Geistergesänge in meine Ohren schwirrten, mein Gehirn durchhallten und darin wütheten. Meine eigenen Schmerzen, meine Angst, laut wie von Herolden ausgerufen, konnt' ich hören! Die dunkeln Gewitterwolken zerrissen von dem Geheul, und Erde und Himmel schien zu zerfließen in einen mächtigen Hall. – Jetzt trat ein Mann aus dem Wächterhause oben auf dem Dache, das wie die hangenden Gärten der Semiramis, ein hangender Marktplatz genannt werden mag. Es war der alte taube Vater des Wächters. Er schien heraufzusehen. Ich ward zu meinem eigenen Telegraphen, und beschrieb Zeichen in die Luft mit Armen und Beinen; ich rief, ich schrie! – Aber welche Stimme vermochte den Strom der Glockenwogen zu durchwaten? Ich besann mich. Ich warf meine Terzerole hinab, um mich ihm bemerklich zu machen. Umsonst! sie glitten auf einer andern Seite hinunter; ich gürtete die großen silbernen Schnallen aus den Schuhen, selbst die Schuhe zog ich aus und warf sie ihnen nach. Aber er stand abgekehrt und sahe nach dem Gewitter. Erst als er sich umwandte, erblickte er sie, suchte sie zusammen, und wahrscheinlich in der Meinung, sie seien vergessen worden von einem der Leute, trug sie der ehrliche Mann hinein! –

Aber mein Muth war wieder gekommen, ich wollte aufzustehen wagen, und den Schritt thun. Eine nie gefühlte Lebenslust hatte mich ergriffen. Da schwiegen die Glocken; nur die Luft summte allein noch fort, und sang noch nach, wie Jemand, der von einem Leichengefolge heimkehrt und noch Trauergesänge im Munde hat; und ein überirdischer König schien nun auf ewig begraben! Die Leere im Ohr, das öde Schweigen, hatte etwas unbeschreiblich Niederschlagendes; und Rom, ja die Erde lag unter mir wie ein Kirchhof in einer Wüste, von dem Niemand weiß, wann und wie er dahin gekommen! – Die Gewitterwolken schossen wieder zusammen, der Himmel schloß sich wie ein weißes Zelt, und das Wetter wälzte sich hinter mir rauschend heran. Spitzige Schloßen prasselten nieder, Blitze kreuzten sich; viele fuhren in die See. Näher und näher wälzte sich sprühend der flammende Drache; eine rothe feurige Schlangenzunge leckte hernieder, und in der Villa Pamfili, mir rechts nicht fern gegenüber auf Montorio, brannte eine Pinie wie ein Licht davon auf. Die Wolken flogen herbei, sie standen über mir, sie umflügelten mich und rollten Erd' und Himmel erschütternd – jeden Augenblick konnte ein Blitz herniederfahren auf das Kreuz und mich. Aber ich weiß nicht, was mir den Stolz oder Uebermuth gab, mich jetzt nicht hinab zu retten! Ich trotzte der Gefahr, schaute in die Wolken, und empfand die Freude eines Wahnsinnigen! – Aber das Gewitter sauste vorüber. Dann erst stand ich entschlossen und behutsam auf – nachdem ich mich nur mit Gewalt mit der Jacke vom Kreuzesstamme losgerissen – und mit einer Kühnheit, die der Mensch nur hat, wenn er sie braucht, dehnt ich mich aus, nach vorn, über die schwindelnde Kluft, so weit ich vermochte, und im Sprunge und im Falle zugleich ergriff ich die eiserne Stange der Leiter mit beiden Händen, schwang mich hinauf, und, die Augen vor Grauen schließend, und betäubt vor Entzücken, ruht' ich lange und still, auf die Sprossen hingedehnt, aus.

Wie ich hinunter-, wie ich hineingekommen, das weiß ich nicht, denn meine Gedanken waren in Aufruhr und schweiften haltlos und pfeilschnell umher. Die hölzernen Treppen der Kuppel polterten unter mir; ich hörte die Thüren aufreißen und hinter mir zuschlagen, als stürzt' ich aus einem Geisterschloß! Der Wächter am Eingange zur großen Treppe glotzte mich an; in der spiralförmigen stufenlosen Treppe selbst, in deren zwanzig senkrechten Windungen ich hinabwirbelte, kam ich mir vor, als sei ich in eine Schraube ohne Ende gesperrt, oder als ob mich Wellen in einen Trichter hinabdrehten! Ich war vor Freuden so übermäßig betäubt, daß ich nicht wußte, wo ich hingerathen würde, ob ich wieder auf die vorige, gewohnte, wie vergessene und verlorengegebene Erde gelangen solle! – So stand ich überrascht auf dem Fußboden der Kirche, in ihrem eigenen lauen Klima, unter ihren weiten Bogen. Aber ich schien mir auch da noch nicht sicher genug; ich eilte zu der nahen Thüre zur Rechten hinüber.

Nur ehe ich die lederne gepolsterte Vorhangthür aus meiner Hand hinter mir zufallen ließ, that ich noch einen überschauenden Blick in die Kirche. Da schlief noch Sanct Peter in seiner Lampengruft, und sein eherner Bruder saß mit nackter abgeküßter großen Zehe in großem Ornat mit Bischofsmütze und braunem Antlitz auf seinem Thron! Die goldenen Säulen wanden sich blumenumkränzt noch empor, den Baldachin des Hauptaltars zu tragen; alle Ordensstifter und die heilige Veronika und Helena standen unbewegt in ihren Nischen; die schwangroßen Tauben hielten ihre grünen Oelzweige ruhig sitzend im Schnabel, und die gelbe gläserne Sonne schimmerte mir unter sanftem Orgelklange zwischen den gewundenen Säulen mitten im Altar entgegen, wie eine große Hostie. Das alles faßt' ich mit einem weiten Blick in die Seele zum ewigen Angedenken, und drückte die Augenlieder zu, um es wie zu begraben in mir. –

O wie glänzte mir draußen der Himmel entgegen! und der Obelisk, der wieder groß war, und mir größer wuchs! O wie gern ward ich niedrig und klein wie ein Mensch; wie gern empfand ich Säulen und Springbrunnen mich überragen; wie froh sah ich der begegnenden Menschen Angesicht, und nicht mehr wie von oben sie so, wie einen Hut auf eine Schildkröte gesetzt und fortgerückt! Ich hätte niederfallen und die Erde küssen mögen!

Erst an dem großen granitnen Wassertroge vor dem Petersplatze sah' ich mich um, sahe zum Kreuz hinauf, lachte, gesegnete es, von unaussprechlicher Freude durchwallt, daß es da droben hoch oben stand, und ich hier unten, und hatte kindische Lust an meinem Schatten.

Jetzt beschaut' ich mich selber: ich hatte keinen Hut, keine Schuhe; und wie ich aufseh', ob mich Jemand bemerke, erblick' ich meine Petronella! Sie wäre mir gern um den Hals gefallen, aber sie mußte nun auch noch warten! – Sie hatte die ganze Nacht kein Auge zugethan; sie hatte mich früh mit dem Fernrohr noch auf dem Kreuze erblickt – mein Gesicht war ihr blaß und geisterhaft erschienen, mein Kopf wie ein großes Medusenhaupt! so war sie herbeigeeilt. Das strömte ihr nur von den Lippen! Und ihr Antlitz schien eine durchsichtige Maske, die eine andre darunter bedeckt: die untere voll düsterer Angst, die obere rosig und voll unverhüllter Freude. Petronella's Mund sprach Vorwürfe, ihr Auge Verheißung. Das gute Kind! – Und gewiß! die Weiber wären alle gut, wüßten sie im Anfang Verliebtheit und Liebe der Männer zu unterscheiden. Aber auch die Liebe ist ein Traum! und so hat sie auch dieses mit ihm gemein, daß sie so schwer auszudeuten ist, wie ihr leicht geglaubt wird.«

Robert brach plötzlich ab; denn er bemerkte, daß er zu offen von sich selber spreche, wozu ihn seine Geschichte fortgerissen, in welcher er fast nur innere Zustände seiner Seele geschildert.



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