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Amok.

Richards Wohnung enthielt nun in ihren Bewohnern, wenn sie das Schicksal nicht bedrückte, die Elemente der mannigfaltigsten Lust, der heitersten, ja drolligsten Unterhaltung. Und so finden wir überhaupt im menschlichen Leben so viel Glück und Freude begründet und vorbereitet, in jeder kleinen Gesellschaft ein fröhliches Spiel so wohl gemischt und vertheilt, daß es einem theilnehmenden Gemüth immer Bedauern abnöthigt, wenn die durch Schicksal oder Wahl vereinigten Menschen so selten oder nie zu rechter Lust kommen, die Freude sich ihnen in vollen Akkorden nicht hören läßt, und die meisten verstimmter und übelgelaunter sich trennen, als sie sich suchten. Und das Alles: weil es nicht genug ist, daß man sich freuen wolle; man muß auch dessen werth sein. Vor der Natur, ja selbst vor den heiteren Göttern, gilt nur der Werth als Fähigkeit. So verbrausete denn auch hier gleichsam ein Strom von Lust ungenutzt und eingeschützt wie vor auszubessernden Mühlrädern, die er völlig zerrissen, wenn er sie im Schwunge gefaßt hätte.

Walter hatte gleich bei dem ersten deutlichen Anblick der schönen jungen Türkin Ezeleddin's letztvermähltes Weib, die reizende Saliane, erkannt. »Saliane!« rief er; doch plötzlich in Gegenwart der Mutter sich fassend, ward ihm im Sinn der Zusammenhang mit seines Bruders Unglück klar, welches er von einem vertrauten Freunde gestern bei dem Gesandten erfahren. Er besann sich jetzt, daß jener alte brave Mauthaufseher Ezeleddin, mit dem er als großer Kaufmann stets in Verbindung stand, ihn und Robert einst zum Gastmahl geladen, bei welchem der auf sein junges schönes Weib mit himmelblauen Augen und blondem Haar stolze Mann sie ihnen aus Eitelkeit gezeigt. Zwar an den Tisch kommen durfte sie nicht, aber sie saß während der Zeit zwischen zwei Mohrensklavinnen, um ihren Glanz und ihre Schönheit noch mehr zu erheben, auf einem Divan zur Seite. Ezeleddin hatte sich an Roberts Unruhe und seinen hinüberlauschenden Blicken ergötzt, denn sie sehen zu lassen, war sie da. Und der Reiche, vor allen der Alte dazu, hat Nichts mehr, wie der Aermste, wenn er das, was er vor ihm voraus besitzt, nicht zeigen kann; und er besitzt es so vielmal mehr, als er es Vielen und immer Andern zeigt; und so wird sein Reichthum doppelt, dreifach, ja hundertfach, wie er durch manche Tage, an manchen Orten damit prunken kann. Das ist die Freude des Reichen, und so war auch des alten Ezeleddin's Freude an seiner schönen Saliane, die er nur besaß, wie ein Alter einen solchen Schatz besitzt – und bewacht! Deßwegen lächelte er ruhig und sicher zu des schönen Roberts kaum zu verhüllender Glut. Aber Saliane hatte auch ihn und diese Glut gesehen, und Robert das Sehen bemerkt, und hier eine solche Spur verfolgt, wo ein bloßes, ernstes, aber längeres Anblicken, ein flüchtiges Zuspitzen des Mundes, der heißesten Liebeserklärung gleich gilt. Und er hatte, was zu allen Abenteuern gehört, gute Augen. Ein Mann mit der Brille ist verbannt aus Amors Reichen.

Die schöne Saliane theilte, des Lebens froh, jetzt hier Waltern den Hergang lächelnd und nur etwa so bedenklich mit, wie ein Weib in der Christenheit einen Verlust im » Rouge et Noir« gesteht. Durch ihre Erzählung erschien Amok, der Zwerg, auch an seiner Seele so häßlich wie sein Leib. Höchst verliebter Natur hatte er Salianen im Geheimen unaufhörlich verfolgt und gequält, jedoch mehr zu seiner, als ihrer Qual. Sie hatte ihn ausgelacht, ihn einen Manrokor, eine Alraunwurzel genannt; aber sie hatte seine nur desto gelaßneren Ansprüche dulden müssen, und ihn nicht verrathen dürfen, weil seine Mutter, die Mohrin Alsuana, Haremwächterin bei Ezeleddin, und von Salianen's Mutter ihm sammt dem Zwerge in sein Haus mitgegeben worden war. Da aber alle Mühe des kleinen Mannes vergeblich gewesen, und sie den nun drohend Verwogenen selbst zu verrathen gedroht, ja zuletzt dazu einen Anfang gemacht, worauf er hart gezüchtigt worden, so habe er wahrscheinlich seine Liebe in tödtlichen Haß verwandelt, aber ihn wohl verborgen, und ihr geschmeichelt, um sich gründlich zu rächen. So gespannt hatte er ihre Neigung für den schönen Giaur erlauscht, ihr um den Preis eines einzigen Kusses an jedem Freitag, Verschwiegenheit geschworen, und jenem nun selbst sogar die Wege zu Salianen gebahnt. Aber das Alles nicht, um ihn an Ezeleddin, sondern an das Volk zu verrathen, damit ihre Strafe unvermeidlich sei. Denn, erzählte sie, Ezeleddin habe aus Liebe zu ihr, sogar nach entdeckter Schuld, oder Geschichte, wie sie es nannte, sie selbst gutmüthig verborgen, um sie nicht zu verlieren; aber das Volk habe nach vollzogenem – Gebrauch an ihrem Geliebten, am andern Tage noch fortgetobt. Gegen die Nacht sei die empörte Menge mit Feuerbränden zum Hause gekommen, und Ezeleddin habe sie weinend und in Verzweiflung dem – Rechte des Volks überlassen müssen! Aber nicht, ohne den Zwerg Amok, den Verräther, demselben mit auszuhändigen als überwiesenen Päseweng oder Kuppler. Doch besorgt für ihr Leben, und doch eine Möglichkeit ihrer Rettung hoffend, habe er zuvor schon heimlich und eilig den zum Meersarg hergegebenen Teppich, den besten und dichtesten, den er gehabt, inwendig stark mit Wachse bestrichen, und durch Geld wenigstens so viel erlangt, sie recht weit in das Meer hinauszufahren, ehe sie ausgeworfen würden; wahrscheinlich um mehreren Booten, die er ausgesandt, sie womöglich aufzufischen, unbemerktere Gelegenheit dazu zu geben. Anfangs zu dem Aufschub, dann zu allem Andern, ja den Teppich fest zu nähen, habe Alsuana, obwohl empört über Ezeleddin, aus Liebe zu ihrem Sohn Amok, dennoch hastig und wie rasend mitgeholfen, bis auf den letzten Augenblick. Der Zwerg, mit ihr nun geopfert, habe sich, endlich einmal in erwünschter Nähe, fest an sie angeklammert, aber vor Angst und Wuth, und Liebe und Jammer mit den Zähnen geklappt, und fürchterliche Worte selbst gegen den Propheten ausgestoßen, daß die Verwünschung seiner Mutter, und der Stunde seiner Geburt, dagegen nur wie Gebet geklungen.

Lady Esther erfuhr dieß Alles durch Walter; nur nicht, daß der dabei Aufgeopferte ihr eigener Sohn Robert gewesen sei, den sie überdieß abgereist glaubte. Saliane hatte seinen Namen nicht einmal genannt, da sie ihn selbst nicht wußte, und nie danach gefragt, als etwas zur Liebe ganz Unwesentlichem.

Walter und der Kammerdiener kleideten im Nebenzimmer den steif und eisern sich anstellenden Amok an, wobei Arkot seine Kleider zulangte, und sich auf den Zwerg, wie auf einen Spielkameraden freute, und ihn zu ermuntern suchte und neckte.

Lady Esther aber und die herbeigerufene Petronella kleideten Saliane, welche sie zuletzt aus Aerger über ihr ungeduldiges Wesen, ihr in den Spiegel Blicken, und ihre Freude, als solle sie sich zu einem christlichen Carneval verkleiden, allein ließen.

Richard kam von Olivia jetzt in sein Zimmer zurück. Saliane, wie Olivia angezogen, nannte ihn dankbar auf morgenländisch: ihren Herrn! ihren König! ihren Vater! küßte und drückte ihm die Füße, preßte seine Kniee an ihre Brust, küßte den Saum seines Kleides, und sich selbst ihre Hände, und lachte dann, als sie aufsprang, und tanzte im Zimmer umher, theils vor Freude über die Errettung aus Ezeleddin's und des Meeres Umarmung, und um ihm diese Freude sichtbar auszudrücken, theils aus angebornem Leichtsinn und losem schelmischen Wesen. Ihr in der That schönes Gesicht schien ihr ein mit göttlichen Zügen geschriebener Firman des größten Großherrn, der ihr überall in seinem Reiche Zuvorkommen, Gehorsam, Unterhalt und Fortkommen zusicherte. Sie kam Richard in den ihr angethanen Kleidern vor, wie seine nun völlig wahnsinnig gewordene Olivia. Und ob er tief im Innern dieser gleich ein wenig von Salianen's zu unbesorgtem Wesen gewünscht, so verdroß ihn doch solcher Mißbrauch ihrer Kleider, und der Unfug, den sie damit trieb; und er beschloß, Salianen sogleich wieder in türkische Hosen zu stecken, und ihr gewohnte Kleider zu bestellen.

Denn Walter war zu ihm getreten, und hatte ihm den Namen der jungen Schönen genannt, die er mit Theilnahme betrachtete. Er theilte Richard nun in lakonischem Styl das mit, was er jetzt freilich mehr und besser wußte, als sein Bruder, dem er es als eben entdecktes Geheimniß anvertraute. Daß Richard, der den ersten Anfall des Schmerzes schon überwunden hatte, so ruhig dabei blieb, würde ihn noch mehr verwundert haben, wenn ihn Saliane nicht immer unterbrochen hätte, die wissen wollte, was er rede, und als der Sprache der Brüder nicht kundig, und so klug und durchtrieben sie übrigens war und aussah, doch wie taub und einfältig vor ihnen stand, was sie eben verdroß. Walter nannte ihm besonders den Zwerg als Ursache des ganzen Unheils. Richard verneinte das durch langsames Kopfbewegen, sogar mitleidig lächelnd, und sprach: Dazu will es mehr! Auch Saliane und Robert gehörten dazu, selbst Ezeleddin's thörichte Liebe – und die türkische Bosheit; vielleicht bist Du irgend sogar Schuld daran, oder am Ende noch Ich! »Wer weiß das!« wie die unsichern Griechen unaufhörlich sagen.

Ich habe Robert nur mitgeführt, weiter Nichts; wehrte Walter von sich.

Tröste dich darüber, sprach Richard; in dieser Welt ist Schuld und Ursache, ja nur Veranlassung, nicht rein zu unterscheiden; wir haben daran so viel, als wir uns annehmen. Laß den Zwerg kommen!

Du mußt nicht erschrecken! warnte Walter seinen Bruder mit dem Finger; denn um an so einem Sohne Freude zu haben, muß man Vater dazu – und blind sein.

Jetzt mußte denn Amok vor Richard erscheinen, der ihn verurtheilte, ferner des Affen Anzug zu tragen. Amok stand unbewegt und unbeweglich vor ihm, und sahe ihm fast verächtlich in das Gesicht, mit Hohn über ihn oder sich. Er sollte sich wieder entfernen, aber auch das wollte er nicht, bis das Rosenrohr von Walters türkischer Pfeife sich in's Mittel schlug. Da gab er Waltern einen Blick, lächelte sanft in sich hinein, küßte sich die Fingerspitzen, und legte dann die flache Hand auf das Herz, wie um sich bei ihm zu bedanken; dann ging er langsam. Denn ob er es gleich verbergen wollte, so hinkte der Zwerg doch. Er hatte seine Gemüthsart nämlich nicht verleugnet, und schnell besonnen und gewandt sogleich entfliehen wollen, als Richard Salianen hineingetragen, aber Prospero hatte ihn unsanft gefaßt und am Schenkel gehalten. Das hatte er später Salianen vertraut, um wenigstens etwas Rak auf die Wunde durch sie zu erhalten; und Nichts war ihm verdrüßlicher gewesen, als das unnöthige Bürsten und der Affe im Bette.

Nach wenigen Tagen war Saliane das ausgelassenste Wesen von der Welt, brauchte und mißbrauchte mit willkürlicher Laune ihre erlangte Freiheit, und besahe, bewegte und störte Alles im Hause, unten von der Küche an, bis oben auf das Dach. Am liebsten trieb und jagte sie sich mit dem heiligen Affen herum, welcher an ihr großes Behagen fand, und, wenn er sie ansah, lächerliche verliebte Gesichter schnitt, die sie heuchelnd und schmeichelnd erwiederte. »Selbst daß ein Affe sie liebt, freut das eitle Weib,« wollte Walter denken, aber sie war ihm zu schön, um bei ihr nicht Alles verzeihlich zu nennen, und er konnte nicht umhin, es höchst lustig zu finden, wenn sie den armen Arkot aufs Aeußerste trieb, indem sie den durch ihre geheuchelten Liebkosungen wie außer sich gerathenen, still vor ihr stehenden kleinen Türken im Scherz an die Brust drückte, so daß ihm der Athem verging, oder ihm den gespitzten kleinen Mund zum Kusse hinhielt, und manchmal dabei unversehens von ihm überrascht und wirklich geküßt wurde, worauf sie im Zimmer umherlief, und sich wusch und rieb, daß sie noch einmal so lieblich und rosig aussah wie zuvor; indeß Arkot vor Vergnügen mit den funkelnden Augen blinzte und mit den Zähnen klappte, Amok, der Zwerg, aber wüthend in der Ecke stand in des Affen Wochentagskleidern, die, ihrer Neuheit ungeachtet, von seinen unbesorgten Bewegungen hin und wieder in etwas zerrissen waren. Der Affe erschien dagegen jetzt immer in seinem besten Putz, wie ein türkischer Dandy, und hielt seine blaue Nase willig hin, sie schminken zu lassen. Saliane hatte durch allerhand Naschwerk, das sie ihm reichlich gab, wie Walter sie damit versorgte, sich ihn vollends auf den Hals gewöhnt, und Amok war eifersüchtig bis zur Wuth, wenn Saliane mit Arkot es theilte, ihm nicht einmal davon anbot, und, gleichgültig gegen ihn, ihn machen ließ, was er wollte. Denn, anstatt auf den Zwerg zu zürnen, der ihr so zu schaden die Absicht gehabt, hatte sie in der ihr dadurch gewordenen wohlgefälligen Lage Alles vergessen, ja, sie hätte sich lieber bei ihm bedankt, als überhaupt zu schwach, langen Groll zu hegen. Sie war von Herzen froh, und das verdroß ihn am meisten.

Walter mußte zuerst unwillig und dann spöttisch über sich selber lachen, daß er annahm, diese Komödien führe Saliane ihm zu Ehren oder zu Liebe auf, um ihn zu reizen; und er empfand, daß es gefährlich sei, Etwas erlangen zu können, ja zu beherrschen, was wir als unerlanglich zuvor im tiefsten Herzen heimlich einmal gewünscht.

Amok, der jedoch durch Salianens Geständnisse sehr schlecht bei allen Andern als ihr im Hause stand, und nur vor der Hand geduldet wurde, weil man unentschlossen blieb, was man mit ihm anfangen solle, war indeß zur Bedienung bei Tisch verurtheilt; aber durchaus nicht, selbst mit Schlägen nicht, dahin zu bringen, auch den Affen zu bedienen, der ihm freilich seine eigene nur menschenähnliche Gestalt, seine anscheinenden Gesichtszüge unschuldiger Weise immerfort wunderlich parodirte, und selbst bis auf den einsamen struppigen Bart am Kinn eine lebendige Satyre auf ihn war. Amok stellte sich bei Tische daher gern hinter Arkot; aber wenn sie sich heimlich kniffen oder pufften, so mußte der Zwerg sich ihm gegenüber stellen hinter Saliane, deren Anblick er ungern verlor, und beide schnitten sich nun Haß und Groll deutlich aussprechende Gesichter. Noch mehr, als Arkot, war Walter dem Zwerge verhaßt, weil er ein schöner Mann war, und sichtbar und auf eine ernsthaftere Art in der leichtsinnigen Saliane Gunst stand, so daß er immer sogleich das Zimmer verlassen mußte, wenn Walter zu ihr hineintrat, und oft den ganzen Abend bis spät in die Nacht bei ihr blieb; was er, mit sich selbst überbeißender Eifersucht, wie man von der Schärfe des Rettigs sagt, zu belauschen doch kein einziges Mal unterlassen konnte. Ob Amok gleich bräunlich aussah, so ward er in wenigen Wochen doch sichtlich blaß unter der Haut, aus seiner Wohlgenährtheit abgemagert; seine rollenden Augen lagen ihm tief in dem großen Kopfe, und seine skizzirten Züge verriethen verhaltenen Grimm, der ihm etwas Dämonisches gab.



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