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Bekenntnisse.

Walter war am andern Morgen früh aufgestanden und in den Garten gegangen. Außerhalb der Mauer desselben, am Meeresstrande, sah er ein Weib mit schönem Profil, aber nachlässig gekleidet sitzen, ein kleines Kind auf dem Schoß. Sie starrte über das Meer hin, seufzte zum Himmel und ihre Thränen flossen; dann faltete sie dem Kinde die kleinen Händchen, lehrte es beten, und das Kind that auch fromm, als ob es bete, wenn es nicht wirklich das rührendste Gebet war, was er je gesehen hatte. Er dachte sich, sie sei allem Anscheine nach eine von den gebildeten Griechinnen, welche hier oft das Loos trifft, durch nächtliches Abbrennen ihrer Häuser am Morgen Bettlerinnen zu sein. Ihr angebranntes Haar bestärkte ihn, wie er glaubte, hinlänglich in dieser Annahme, daß er sie fragte: »ob sie eine Verunglückte sei? ob sie alles verloren?«

Sie sah ihn mit ihren großen schwarzen Gazellenaugen stumm und bitterlächelnd an. Sein Schweigen drückte dagegen herzliches Mitleid mit ihr und ihrem Kinde aus; so fragt' er, wer sie sei? –

Keine Frau und keine Wittwe, antwortete sie mit halber Stimme mehr sich selbst als ihm. Darüber verwundert, und sie für zu edel als – für eine Jungfrau zu halten gemeint, erkundigte er sich voll Theilnahme, wie sie heiße. – Olivia; sprach sie. Er beschied sich, nicht weiter in die Wehmüthigschweigende zu dringen; denn sie besahe ihr Kind, trocknete sich die Augen mit seinen Händchen, ließ sich liebkosen und küßte es herzinnig. Er zog, ihr verborgen, seine Börse, und beschenkte das Kind, um durch einen so holden Vermittler ihr vielleicht die erste Gabe, die sie in ihrem Leben also empfing, annehmlicher zu machen. Sie erblaßte; sie sammelte sich und gab ihm lächelnd stolz die aus des Kindes Händchen ihr in den Schoß gefallenen Goldstücke wieder, und sprach voll Selbstgefühl: »gehör' ich auch nicht mehr in dieses Haus, so wird meiner Hände Arbeit mich doch ernähren.«

Walter war sonderbar angeregt fortgegangen, und trat zu Richard in das Zimmer, der jetzt erst aufwachte, und sich auf gestern noch nicht besonnen. Walter erzählte ihm, was er gesehen und gehört. Er hielt das Gold noch in der Hand und fragte »wer die Olivia sei?« Er zeigte sie ihm, denn eben ging sie verhüllt nach dem Hause zurück. Richard sahe nur ihren Schatten durch das Zimmer schweben, und antwortete nichts, sondern kleidete sich an, winkte dann Walter, und sie gingen beide in die Rosenlaube.

Die du gesehen, das war mein Weib! sprach jetzt Richard. Ich wollte dich mit ihr überraschen, wie ich gestern mit Euch überrascht ward; heut hat sie es selbst, aber anders gethan!

Walter erstaunte beschämt und versetzte: Du hast ein Weib! Du? den ich mir nie denken können mit einem Weibe; ich muß wiederholen: mit Einem Weibe! Wie viele Verwandlungen mußt du durchgegangen sein! Also ein Mann bist du, ein Ehemann! Wie siehst du mir jetzt auf einmal ganz anders aus! So ehrwürdig zugleich und so mitleidbedürftig!

Das letzte gewiß, sagte Richard beklommen, und Thränen standen ihm in den Augen.

Ich errathe! fuhr Walter fort. Du thust mir leid, aber es geschieht dir recht. Paßt für dich ein so einfaches Kind, so herzig und innig? eine fromme Seele, die schaut, wie sie glaubt, und gewiß alle Abend und Morgen, wie ich heut sah, ihr Gebet zum Himmel schickt für dich und sich, und schon dem kleinen Kinde die Händchen faltet, zu beten, noch ehe es reden kann, und es einsegnet zu Nacht –

O wenn du wüßtest, wie du mich verwundest! seufzte Richard; ich bin elend.

Du hättest sollen ein Weib nehmen, bedeutete ihn Walter, der du so viel zu verzeihen hattest, wie sie dir; welche noch jetzt dir so viel nachließe, als du ihr. Nur zwei verdorbene Menschen passen zusammen!

Solche, fuhr Richard bitter fort, die sich gegenseitig eigentlich herzlich im Innern verachten; die nur ihr Vermögen vermählen, zusammen verwalten, jedes Pfund, jeden Schilling und halben Pfennig einander berechnen, dabei sich übrigens auf ihre eigene Hand ergötzen, einander gefällig diejenigen schönen Personen einladen, ja zuführen, die dem Andern gefallen; höchstens früh oder Abends ihr Kind – so zu sagen – wie den Papagei, kommen lassen, um es von Herzen auszulachen, wenn es so possirlich ist! – Ich, ich habe anders gedacht; und hoffentlich recht, endlich recht. Und besonders genug: nur der Anblick von bitterer Armuth, unbewußter Schönheit, herzinniger Zufriedenheit in großem Unglück und stillem dankbar-frommem Leben konnte mich, bei allem Reichthum Sehnenden, in allen Freuden Oeden bis zu Thränen rühren, und so ganz verwandeln, da mich ein Gott in Olivia's kleines Haus geführt.

Freilich – bemerkte Walter – sucht gerade der größte Wüstling das schönste Mädchen, der Verdorbenste die reinste Seele; denn nur das Außerordentliche vermag ihn noch zu reizen, und was er nicht ist, nicht hat, wünscht er doch wenigstens zu besitzen, wie eine Waare. O, der Mensch bleibt immer gut!

Du kränkst mich tief! entgegnete Richard halb entrüstet. Aber ich verdiene es nicht, und so nehme ich mir es nicht an. Das ist das Unglück des Leichtsinnigen, daß ihn nach einer Reihe von Jahren ein Jeder noch immer für den Alten hält; als sei der Mensch nicht in lebenslänglichem Werden begriffen. Was lebt, das wird; was geworden ist, ist todt; darum heißen auch die Todten: die Vollendeten. Auch die schönen Werke der Kunst, ja die schöne Kunst selbst, sind diesem großen Gesetze der Natur unterthan. Eins nur kenn' ich, was da dauert und dauern muß wenn es geworden ist in der Seele. –

Und das ist? fragte Walter.

Der Wille! antwortete Richard fest und beinahe feierlich. Denn aller Wille ist ein ewiger, und ein ewiger Wille muß ein guter sein. Nur das Göttliche kann man immer wollen, und das Göttliche ist sich immer gleich. Ehe der Mensch nicht das Selige, Reine, das alle Welt durchwehende Unwandelbare will, ehe hat er keinen Willen, nur Begierden, Sehnsucht und Leiden; so lange ist er seine eigene sinnliche Hälfte, der verdorbene Verderber – Satan, oder doch noch nicht Mensch. – Das war mein erstes Unglück, der Quell alles andern Irrthums: ich hatte keinen Willen! Denn, was ich gefehlt, sei dir alles gestanden; Namen der Orte und der Menschen sollen dich dabei nicht reizen, noch über die Sache verblenden.

Walter fing an im Ernst aufmerksam zu werden, und blickte schüchtern zu Richard hinüber; sein Herz regte sich; des Bruders so tief empfundene Worte machten tiefen Eindruck auf ihn, und er hing bedenklich an seinen Augen.

Richard verstand den Blick anders, und fuhr fort: O wie Vieles mocht' ich in der That nicht! wonach ich, wie Viele, die Meisten, doch wie bezaubert so rang! Nur Eitelkeit, gekränkte Eigenliebe trieb mich oft, durchzusetzen und zu ergreifen, was ich sogleich und gleichgültig wieder fallen ließ. Nicht, daß ich das Leichtsinnige, ja Böse – wie ich es jetzt erkenne – wider meinen Willen that, das wäre unmöglich! nein, ich that es ohne einen Willen. Des Menschen Wille bedarf der ersten und größten Aufklärung, mehr wie der Kopf und das Herz; mehr wie Wissen und Glauben, diese beiden dummen Zwillingsbrüder. Oder sei auch der Wille erst der heilige reine verständige Sohn dieser beiden Verrückten, oder Wahn-Sinnigen, die zu einem Wahr-Sinnigen werden – kurz, ich erkämpfte mir den Sinn für Wahrheit. Nichts anderes aber als die Wahrheit ist bleibend, ist überall. So entschleierte ich mir das Ewige. Das Ewige aber ist das Gute und das Schöne. Und das Gute und Schöne riß mich an sich mit Himmelsgewalt – und ich hatte nun Willen, um alle mein Denken und Sehnen und Fühlen nun so zu nennen. Durch den Willen aber fühle ich mich mit diesem ganzen großen, schönen All verwandt, vereinigt; und ich bin es wirklich. Willen aber ist Schöpferkraft, werkthätige nie rastende Liebe! Liebe aber nimmt das erkannte Wesen in ihr Eigenes auf, ja sie hat kein Eigenes, sie verliert das Ihre daran, und wird das Andere, so schön und groß und unendlich es ist .... oder so menschlich-vergänglich – wie ein Weib. Sie allein erkennt und verehrt in dem Anderen wie der ein liebendes, oder doch jetzt, doch einst der Liebe – und also der Seligkeit – fähiges Wesen, und erblickt daher zugleich in ihm ein Ewiges und Göttliches. Begierde aber ist lieblos! Begierde ist die Mutter der Sünde; denn betäubt sieht sie in dem Anderen bloß ein Gegenwärtiges, im Augenblicke Schwebendes, das ihr keine Vergangenheit, keine Zukunft hat, nur den Reiz seiner Erscheinung; darum ist und heißt sie blind. Sie verschlingt im Taumel berauschender Lust das Glück und die Ehre des Andern, wie ein Hungriger eine lockende saftige Frucht, die der größten Ehre genießt, wenn sie schmeckt!

Du hälst eine Lob- und Entschuldigungsrede auf die Weiber, die meist nur nach Eigenwillen handeln, lächelte Walter; und die, auf gut Italienisch, an den, der sie lobt, das gerade wegschenken, ja oft wegwerfen zu müssen glauben, was jede der andern doch so sehr beneidet, und gern allein besitzen möchte, wenn es möglich wäre – ich meine die Schönheit! Und wie oft sind sie sogar unzufrieden mit uns, wenn wir nicht Augen haben, nicht Hände haben wollen! Also frei, was frei ist, dahinnehmen –

Das war mein zweiter Irrthum, das kommt mir vor – fiel Richard ein – wie ein daliegendes Perlenhalsband in einem menschenvollen Sale mir aneignen und heimlich spielend zerbrechen, von dem ich nicht weiß, wem es gehört, und wer sich als wahrer Eigenthümer dazu erklären wird. Das wird geschehen, und jede Perle ist gezählt. Mir gnügt zu wissen, daß etwas nicht mein ist; – ich nenn' es Sklavenkauf, Seelenverkauf. Für den Menschen wird nur mit dem Menschen bezahlt; wer geringer kauft, der erniedrigt das edelste Bild. Wer ein Weib haben will, muß sich selber geben, Seele um Seele, Liebe um Liebe! O, wenn nur die halbe Welt durchaus klug wäre, sei es die männliche oder die weibliche, so wäre die ganze glücklich. Vor dem Manne, der zu Willen gelangt ist, liegt Alles im keuschen Glanz eines Eigenen, Heiligen; es steht ihm nahe, er trägt es im Herzen, er ist es selbst! das fühlt er, und so achtet er sich; und wer sich selbst achtet, der kann, schon seiner eigenen Seele wegen, am wenigsten das schönste, das reizendste Geschöpf in den Strudel des Verderbens, in die Schlangenhöhle der Reue hinabziehen, und ihm eine Last aufwälzen, die es abzuwerfen kaum mehr hoffen darf, denn die Erinnerung wächst ewig nach.

Richard sprach diese letzten Worte weich, und sein Schicksal tief empfindend; ein bitteres Lächeln stand in seinem Gesicht.

Ist denn das Alles aber so bös, wie es gut gemeint ist? warf Walter ein; ist es nicht reizend, hier und dort eine schöne Gestalt zu umfassen; immer wieder zu finden, was wir verloren, jünger, schöner, vollkommener – willkommener? Ist die Welt so reich, um den Menschen zum Bettler zu machen, wo er König sein kann? O, ich mag nicht denken, welche tausend schöne Wesen wie Engel in den Thälern der Erde schweben, wie sie blühen und blicken, wie die Locken sich immer um ihren Nacken schmiegen, wie sie sehnen und schmachten, zu lieben und geliebt zu sein – wie die Nacht sinkt über die Einsamen; wie der Morgen sie umsonst erquickt findet, der rosige, leere, weite Morgen; wie die holden Wesen, eben solcher unendlichen Sehnsucht voll, wie wir, allem Unglück trotzen, mit Freuden in jede Gefahr sich stürzen, ja sich begraben lassen, wie Julie, nur um ihren Romeo zu umarmen! O, die Leidenschaft ist süßer als das Leiden bitter, und nach ihren seligen Jahren ist selber die Reue das einzige Süße im Leben.

Du sprichst ganz begeistert, lächelte Richard. Aber Reue einzig-süß? O Bruder! ich leugne nicht die Wonne, von der du sagst, ich spreche sie dem Affen nicht ab, ja ich behaupte, das Geschlecht der Fische im Meere, des Wildes im Walde, der Blumen in aller Welt, hat sie auch durch die gleich mütterliche Natur. Auch wie wir, aber nur sie! Der Mensch hat unendlich mehr und Höheres! Er gehört in zwei Reiche, in das sinnliche und das sittliche. Die Wonne der Erde ist kein Unglück für den Menschen, sie ist wirklich Wonne! Auch bestraft die Natur nicht sie eben so sehr an ihm, sie läßt auch diese ihm wohlgedeihen! Selber das Böse ist nicht so schädlich durch seine Folgen, die wir verwundert so selten erblicken – denn sie lassen sich nicht mit Augen schauen. Das Unglück für den Menschen ist, daß er dadurch ausgeschlossen ist von dem seligen Reiche, darin er wohnen kann, wenn er will, daß er sich selbst davon ausschließt, wenn er, um es mild auszudrücken, unter den Blumen wohnen will, wie die Biene.

Daß aber so Viele uns noch umblühen, wenn wir nur Eine in den Armen halten, rief Walter aus – wie ein Geizhals, der im Traum eine Schüssel voll Juwelen ins Meer schütten soll, oder sterben!

Wer kann die Erde im Ringe tragen wie eine Perle! entgegnete Richard. Wer noch vermißt, und nach mehr, nach Anderm, sich sehnt, der zeigt ja deutlich, daß ihm eben noch kein weibliches Wesen über Alles gefallen; daß er in keines noch seine ganze Seele versenkt – daß er nicht liebt; denn wer all' sein Leben an ein Wesen gesetzt, dem kommt wunderbar alles Glück aus diesem Einen auch wieder entgegen, klarer und wärmer, als aus dem krystallenen Quell das Sonnenbild. Das eben ist das Geheimniß, der unbegreifliche Reichthum der Natur: jedes ihrer Geschöpfe so zu begaben, daß Eines, daß Jedes sein kann für Alle, wie Alle! und ihr Fluch auf Zerstreuung: daß Viele dem Einen wenig, und Alle ihm Nichts sind. – Das war mein dritter Irrthum. –

Walter stand auf und ging unruhig umher.

Richard setzte hinzu: Einmal im Leben kann man wohl darüber sprechen; so höre noch meinen Vierten, die Täuschung meiner Jugend, die in der Phantasie wurzelnd, am längsten widerhielt: die Schönheit genießen zu wollen mit irdischen Sinnen. Aber wehe dem, der nichts an dem Weibe liebt, als ihre Schönheit, nichts achtet als ihre Kenntnisse, nichts ehrt als ihren Rang. Sie ist ihm bloß ein Gesicht, ein Buch, ein Wappen! Denn die Schönheit, recht betrachtet, ist, wie eine Blume, gar nichts Genießbares, und wird durch Liebe nicht genossen, noch weniger durch Kuß und Umarmung; ja du kannst sie hassen und mitverachten an schändlichen Menschen, sie mit ihm wegwerfen wie ein Gemälde auf einem vergifteten Gefäß; wie soll sie das höchst Beglückende sein? Auch fordert sie uns die Seele nicht ab, ja nicht die Liebe! nein, unsre Bewunderung; und stärkt und entzückt unsern Sinn für Ebenmaß, Pracht und Zauber der köstlichen Welt. Ich sag' es noch einmal: die Schönheit ist nichts Liebenswürdiges, wie die Erscheinung eines Engels, der Silberblick der Natur! Sie war die freilich auch uns und allen nach uns unvergeßliche Abgöttin der antiken Welt – im ganzen neuen Testament kommt das Wort »Schönheit« nicht vor.

Gare à qui la touche! sprach Walter; auch »Freundschaft« steht nicht darin – still! daß uns kein Weib hört!

Gerade, daß Alle es hörten, wünscht' ich, versicherte ihn Richard; die Frauen besitzen edlere Eigenschaften, haben höhere Güter zu erhalten, als die bei dem ersten Anblick hinreißen können. Sonst wären sie alle, so schön sie wären, nach Sechs Jahren, oft nach Sechs Wochen verloren! verschwunden! todt bei lebendigem Leibe – und doch fortbrennender Liebe. Wen du nicht mehr, viel mehr liebst nach jahrelangem Umgang, der ist wohl nichts werth! Darum findest du im Menschengeschlecht so Vieles geliebt, was nicht schön ist von Ansehn, das kein Anderer beneidet noch begehrt, dessen inneren Werth aber der Liebende kennt, der ihm durch stetes Entfalten immer wächst, selbst bis zum Alter, bis zum Tode. O warum beweint doch noch Jemand Greise und Kinder, die doch noch nicht, oder die nicht mehr schön sind! Ahnest du hier, daß Liebe nicht die Schönheit liebt, und eine andere schaut und verlangt! Und so erblicken wir die Natur entschuldigt, wenn sie so selten Schönes erschafft, oder so bald, so gleichgültig es wieder zerstört. Sie dachte edler von dem Menschen! Denn auch die Seele kann schön sein, wohlgeordnet, göttlich; ein Spiegel, ein Born der Welt, ein Quell der Liebe. Von hohem Werth ist mir die schöne Seele dessen, den ich liebe, und ganz unschätzbar ist mir die, die mich liebt.

Und du hast gefunden die du liebst, die dich liebt! sprach Walter, und drückte des Bruders Hände in seinen. Du bist nun gut und glücklich, wie ich dich sprechen höre; und selbst Sokrates forderte nicht mehr, als Jemand reden zu hören, um zu sagen, ob er glücklich sei – aber ich sehe es nicht zugleich! Denn dein Anblick nimmt mein ganzes Mitleid in Anspruch – und wie erklär' ich mir erst Olivia's Thränen und Worte?

Richard versetzte, die Antwort in ein Bild verbergend: das Glück wird blind dargestellt, nicht weil es selbst blind ist, und seine Gaben so vertheilt, sondern weil nur die Unschuldsvollen, sein Unbewußten, über sich Blinden, glücklich sind. Nur die Unglücklichen wissen; nur die Liebenden erfahren; denn die Frohen gleiten leicht über Alles hin, und die Seele merkt nur durch harte Schläge des Schicksals. Was dir Alles deutlich machen wird, muß auch die Mutter hören, und ich sehe sie eben kommen.

Sie kam. Arkot trug das Frühstück; er breitete das Tischtuch aus, deckte und zupfte und strich jedes Fältchen auseinander, dann ordnete er Theetassen und Geräth; und während Lady Esther den Thee bereitete, zeigte er eine ungewöhnliche Unruhe, und sahe Sir Richard mit unbeschreiblich bekümmerten Blicken an. Die Mutter erklärte es dadurch, daß sie ihn von Olivia's Thür abgerufen, zu welcher er hinein gewollt, um, wie er so gern thue, das Kind zu warten. Sie hatte leise Seufzer und stilles Weinen gehört, und Olivia hatte auch ihr nicht aufgeschlossen.

Richard entdeckte der Mutter nun alles Vorgefallene aufrichtig, und ohne sich die bösartige Scham zu ersparen, die nicht, wie die gute, ihn erröthen, sondern erblassen hieß. Er bat sie dringend, die arme Seele wieder zu beruhigen. Es ist doch möglich, sprach er, daß sie mir vergiebt, es ist von ihrem klaren Blick zu erwarten, wenn sie ihre gereizten Gefühle bemeistert. »Denn das gelt' ich, was ich bin, und was ein Mann sein soll, bin ich ihr. Von dem ruhigen, aber immer gleich starken freundlichen Gefühle zu dem sich die berauschte Liebe erhebt, nicht hinabsteigt, ist mein Herz voll; ich ehre sie als ein Wesen, das dem Himmel gehörte, und welchem er einst gehören wird; als ein Weib voll Adel und Treue; ich würdige ihre Schönheit, ich bewahre ihren Leib wie meinen Augapfel; ihr Glück, ihre Ruhe sind mir einzig theuer. Ich erkenne auch jetzt nur ihre Liebe zu mir in ihren Thränen, ihre Gunst in meiner Verstoßung. Darum soll sie mich nicht kränken durch ihren Gram, nicht durch das Auge ihrer geschäftigen Einbildung mich noch in einem Himmel voll Engel sehen, vielleicht selbst mit einem Herzen voll Neid und Verwünschung. Sie soll sich prüfen – ich lasse sie warnen, sie bitten! Kann sie die Wonne der Vergebung verdienen, ich bin der Mann, der sie braucht. – Ich scheine feig und muthlos, daß ich jetzt nicht selbst vor ihre Augen trete; aber das unterlasse ich ihrentwegen, und gegen die, die mich lieben, habe ich keinen Muth.«

Die Mutter ging mit schwerem Herzen, und kam nach einer langen Zeit erst wieder, brachte das kleine porphyrne Kästchen und stellte es auf den Tisch. Olivia hatte nur gebeten, allein zu sein, ihre Schmerzen durchzufühlen und ihre Gedanken zu beschwichtigen. Arkot sollte bei ihr sein und sie bedienen, wie sonst daheim bei ihrer Mutter. Er sei still und stumm, geduldig und theilnehmend, und sie scheue vor ihm nicht, ausgeweinte Augen zu haben, wie vor den andern Dienern.

Richard schwieg; Walter schloß das unheilstiftende Kästchen auf; auch die Mutter nahm neugierig ein Bildniß nach dem andern in die Hand, verwunderte sich höchlich, manches bekannte, für unbescholten geltende Wesen, selbst vom höchsten Range, darunter zu treffen, und legte Alles still wieder hin. Richard zerriß indeß unaufmerksam alle Briefe vielfach, und warf sie, die Haarschleifen und Bilder mit ihrer kostbaren Fassung, ohne sie noch einmal anzusehen, in's Meer.



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