Paul Scheerbart
Der Kaiser von Utopia
Paul Scheerbart

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86. Der Mantel und der Käseberg

Als der Herr Sebastian als Doppelgänger des Kaisers auf dem Markte von Schilda erschien, da hatten die Schildbürger grade eine halbe Stunde vorher die Nachricht bekommen, daß der Kaiser in Ulaleipu bereits vier Tage anwesend und dort krank geworden sei; die explodierenden Leichen hatten alle Telegraphenlinien so in Anspruch genommen, daß nicht einmal der Tod des Moritz Wiedewitt früher bekannt geworden war.

Während nun nachher die Schildbürger auf ihrem Markte standen und warteten, trafen weitere Nachrichten ein – auch die vom Tode des alten Oberbürgermeisters Wiedewitt. Und das Alles steigerte noch die Verwirrung, sodaß die Schildbürger erst beim Morgengrauen wagten, in den goldenen Löwen zu dringen und dort die Türen zu den kaiserlichen Gemächern aufzubrechen.

Und da fand man nun Alles in schönster Ordnung; der rote Mantel lag auf einem Diwan und auf dem roten Mantel lag die rot und weiß gestreifte Kappe des Oberbürgermeisters.

Die Fenster waren fest verschlossen; das hatte der Herr Sebastian von außen mit der Strickleiter bewirkt, an der sich ein sinnreicher Mechanismus befand.

Die Sache war Allen unbegreiflich.

Schließlich redete der Regierungssekretär Käseberg zu den Schildbürgern folgendermaßen:

»Meine Herren! Wir wissen vom menschlichen Leben nicht viel Genaues. Wir wissen, daß das Kaiserreich Utopia östlich von Kallekutta liegt – und damit ist bekanntlich nicht viel gesagt. Wir wissen, daß der Kaiser Philander sechs Monate hindurch unser Oberbürgermeister war. Aber das wissen wir auch nicht sehr genau. Ich glaube, wir tun gut, wenn wir annehmen, daß ein Doppelgänger des Kaisers unser Oberbürgermeister war. Und da ein Doppelgänger ein Geist ist, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn dieser Geist jetzt unsichtbar ist. Ich schlage daher vor: Legen wir Mantel und Kappe im Ratshause nieder und lassen wir den Geist auch fürderhin Oberbürgermeister von Schilda sein – auch wenn er unsichtbar bleiben sollte. Vielleicht wird er uns nochmals sichtbar. Wählen wir aber keinen neuen Oberbürgermeister – wir haben zwei in einer Nacht verloren.«

Und man tat, wie Herr Käseberg vorgeschlagen.


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