Paul Scheerbart
Der Kaiser von Utopia
Paul Scheerbart

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9. Die Priester

»Er hat was gegen uns!« sagte der Oberpriester Schamawi.

»Er hat was gegen uns!« sagten bald alle Priester in Ulaleipu – aber sie sagtens leise und unter einander, wenn kein Laie dabei war.

Und der »Er« war Philander der Siebente, Kaiser von Utopia; der Zeremonieenmeister Kawatko hatte von der Audienz mit dem offenen Konversationslexikon – so bestimmte Andeutungen gemacht, daß die gesamte Priesterschaft in große Erregung geriet – und Schamawi wurde aufgefordert, mit Klugheit und mit List im Interesse der Priesterschaft vorzugehen.

Schamawi war ein alter Onkel des Kaisers und auch ein alter Oberpriester, der die Gemüter – auch die erregten – zu lenken verstand.

Nicht ohne Ironie sagte er da lächelnd:

»Meine Herren, wir sind lange Zeit zu sorglos gewesen. Es hat sich in der Tat im Laufe der Zeit die Meinung gebildet, daß das Volk dem großen Volksgeiste immer näher gekommen sei und daß diese Annäherung schließlich eine Verschmelzung hervorrufen dürfte. Schließlich klingt es nicht mehr so unsinnig, wenn Jemand behaupten möchte, wir beten das Volk an und nicht den Volksgeist. Und das ist es, was mein Neffe uns Priestern in die Schuhe schieben will. Wir haben sehr vorsichtig zu sein. Und wir müssen einsehen, daß wir viel versäumt haben – die Rechtspflege durfte nicht ein so populäres Gepräge bekommen – das hätten wir rechtzeitig verhüten müssen.«

Und dann sprach man über die Rechtspflege im Allgemeinen und Besonderen.

Die Rechtspflege lag nun folgendermaßen im Kaiserreich Utopia: Jeder Prozeß wurde nicht mehr endgültig durch die Richter bestimmt – es gab immer noch eine Berufung an das Volk. Auf Staatskosten wurde jeder Prozeß, sobald es von einem Kläger oder Beklagten verlangt wurde, in einer Broschüre eingehend geschildert – diese Broschüre wurde dann gratis verteilt – und dann konnte nach einer neuen Prozeßordnung schließlich das Volk in der Sache das entgiltige Urteil sprechen. In der großen Rechts-Zentrale am Schwantufluß standen sieben kolossale hundert Stock hohe Türme, in denen die juristischen Broschüren verfaßt wurden – und da konnte man leicht erkennen, wie heftig das Volk im Lande Utopia mitsprechen durfte – in allen Angelegenheiten. Und die Priester in Ulaleipu, die den großen Geist anbeteten, der in unserem Leben die entscheidende Führung hat, begannen traurig zu werden, daß sie diesen großen Geist grade »Volksgeist« nennen mußten; das gab immer wieder zu Mißverständnissen Veranlassung.

Und der Kaiser von Utopia sagte zu Kawatko am Sonntag Nachmittag:

»Ich bemerke, daß gerade die Priester versäumt haben, Volk und Volksgeist deutlich von einander zu trennen – es wird ihnen heute garnicht mehr gelingen, diese beiden Begriffe von einander loszulösen. Und daher bin ich geneigt, mich vom Volke zu befreien, und ich gestehe, daß ich mich auch vom Volksgeiste befreien möchte – und das ganz besonders dürfte den Priestern sehr unangenehm sein.«

Und das war auch den Priestern sehr unangenehm.


 << zurück weiter >>