Paul Scheerbart
Der Kaiser von Utopia
Paul Scheerbart

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20. Lotte Wiedewitt

Herr Moritz Wiedewitt kümmerte sich aber um den großartigen Sonnenuntergang ganz und garnicht, ließ die ihm verliehene Kaiserkrone im Hofzuge sorgfältig verpacken und machte dann in Schilda Einkäufe, wobei er sich mit Wohlgefallen immerzu »Grandiosität« titulieren ließ.

Der Interimskaiser kam dann in bester Stimmung nach Hause, um endlich Abendbrot zu essen, aber die Lotte hatte bereits von der Ratssitzung gehört und zu Allem ganz ratlos mit dem Kopfe geschüttelt; sie konnte es einfach nicht glauben, daß ihr Moritz für ein Jahr nach Ulaleipu gehen sollte und dort Kaiser sein – nein, das konnte sie nicht glauben; sie vermutete, daß dahinter blos wieder ein abenteuerlicher unnützer Narrenstreich stäke.

Und als nun der Moritz endlich nach Hause kam, empfing ihn seine Frau mit einer Gardinenpredigt, die sich gewaschen hatte.

»Was soll denn das nun wieder? Leben wir hier denn wirklich im Tollhaus? Bin ich dazu mit Dir nach Schilda gezogen, um hier bloß mit Dir tolle Streiche anzugeben? Haben wir nicht schon genug mit unsrer Wirtschaft zu tun ? Geht hier zu Hause alles drunter und drüber? Wir haben nicht das Nötigste – und zu dummen Streichen ist immer das Geld da? Du wolltest doch noch die eingelaufenen Briefe beantworten – und jetzt willst Du wieder Kaiser werden? Schämst Du Dich denn garnicht? Ich habe nichts Vernünftiges anzuziehen – und Du denkst Dir bloß windige Geschichten aus. An unser Wäschespind solltest Du doch denken – der Tischler macht es nicht fertig – und Du hast mir doch versprochen, das olle Spind noch in diesem Monat fertig zu machen, damit ich endlich weiß, wo ich mit den paar plundrigen Sachen hinkann. Aber statt zu arbeiten, willst Du Kaiser werden. Es ist unerhört. Du solltest Dich doch vor den Nachbarn schämen.«

Und dann schimpfte die Lotte, daß die Wände dröhnten, damit es alle Nachbarn hören konnten, was fürn verrückter Kerl dieser Moritz war.

Aber da riß auch dem Moritz die Geduld, und er brüllte:

»Mach das Abendbrot fertig. In einer Stunde muß ich nach Ulaleipu fahren.«

»Fällt mir nicht ein!« schrie die Lotte, »mach Dir Dein Abendbrot allein. Ich bin lange genug Dein Pachulke gewesen. Ich will jetzt ein anderes Leben genießen.«

Da wurde der Interimskaiser so wütend, daß er eine Porzellanvase ergriff und sie auf den Fußboden schleuderte, daß die Porzellanstücke zum dreieckigen Fenster hinausflogen.

»Bin ich denn verdammt«, rief er grimmig, »ewig und immer mit diesem verrückten Weibe zu leben? So bleib Du hier – ich fahre allein nach Ulaleipu.«

»Fahre, wohin Du fahren willst«, sagte die Lotte, »ich werde wissen, was ich zu tun habe.«

Moritz wollte wieder einlenken, aber die Lotte schmiß die Türe hinter sich zu und riegelte ab.

Da nahm der Interimskaiser Hut und Stock und ging in den goldenen Löwen, aß sein Abendbrot unter Zähneknirschen, verabschiedete sich von Käseberg, Moellerkuchen und einigen Ratsherren in sehr kurzen eiligen Worten und fuhr, als es dunkel geworden war, mit dem Hofzuge nach Ulaleipu – den ganzen Hofzug ließ Herr Wiedewitt illuminieren – auch oben über den Waggondächern – mit roten, blauen und grünen Flammen – und elektrische Scheinwerfer ließ er aufleuchten, daß der Zug wie ein Lichtgespenst durch die Nacht dahinsauste.


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