Paul Scheerbart
Der Kaiser von Utopia
Paul Scheerbart

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29. Zwei Idylls

In Schilda saß die Lotte Wiedewitt in ihrem Arbeitszimmer und war durchaus guten Mutes.

»Wir werden uns schon durchsetzen!« sagte sie des Öfteren vor sich hin, und dabei arbeitete sie fleißig an einer neuen Wandbekleidung; sie beschäftigte sich schon seit mehreren Monaten, da die Einkünfte auch im Oberbürgermeistershause sehr zu wünschen übrig ließen, mit kunstgewerblichen Arbeiten.

In dem dreieckigen Arbeitszimmer der Frau Oberbürgermeisterin lagen in großer Unordnung große Muscheln, präparierte Fischgräten, Korallen und andere feste Meeresgewächse in Menge herum und bildeten ein anmutiges Stilleben.

An den Spiegeln der Wände hingen sehr viele Fischgräten, die durch ein neues Verfahren steinhart und mit allen möglichen Farben schillernd bunt gemacht waren.

Jetzt aber arbeitete die fleißige Lotte an einer neuen Wandbekleidung, die auf Metallplatten bunte Muster aus Perlmutter, Bernstein und gepreßten Seegrasfabrikaten zeigten; die Seegrasfabrikate, die in ihren braunen Naturfarben gelassen waren und sich durch sehr zierliche Adern auszeichneten, bildeten die Hauptteile der Muster.

Die Lotte sah garnicht von ihrer Arbeit auf, dachte aber dabei immerfort an ihren Moritz, der jetzt Kaiser von Ulaleipu spielte und wenig von sich hören ließ.

»Er soll schon staunen, wenn er wiederkommt!« sagte sie dann leise, und sie lächelte dabei, und ihre strahlenden Augen schauten zum Fenster hinaus und sahen draußen auf der Straße die geheimen Regierungssekretäre von Moellerkuchen und Käseberg, die eifrig mit einander über die neuen Zustände sprachen und die Oberbürgermeisterin hochachtungsvoll begrüßten.

In Ulaleipu saß währenddessen die Kaiserin Caecilie in ihrem Ankleidezimmer und fragte ihre Zofe, ob denn noch immer nicht das Pelzzimmer gereinigt sei.

»Die Luftpumpen«, sagte die Zofe, »saugen noch immer den Staub auf, aber die Geschichte hat bald ihr Ziel erreicht.«

Und als das nun geschehen war, begab sich die Kaiserin in ihr Pelzzimmer und setzte sich vor das weite offene Fenster und blickte auf den schwarzen See hinab und zu den großen Bergen hinauf und hinüber zu den vielen Häusern der Residenz, die an den Bergabhängen bunt und vielkantig leuchteten wie Edelsteine.

Das Pelzzimmer bestand an den Wänden und an der Decke und auf dem Fußboden aus lauter kostbaren Pelzen, die immer durch Luftschläuche, die sich mechanisch von der Decke herunterbewegen konnten, vom Staube befreit wurden; die Schläuche hatten vorzüglich funktionierende Staubaufsaugungsapparate.

Die Kaiserin saß an ihrem offenen Fenster und dachte an ihren Gemahl, der Garnichts von sich hören ließ.

Aber sie war über das Schweigen ihres Gemahls keineswegs ungehalten; sie las nun in einem alten Märchenbuch, das in wolkig buntgefärbtem Pergamentbande auf einem geschnitzten Elfenbeintische vor der Kaiserin lag – das Folgende:

»Die Zwerge aber machten der Prinzessin ein Armband aus glühenden Steinen, die immer wieder in anderen Farben leuchteten und eine feine prickelnde Wärme ausströmten, ein kostbares Armband – und mit diesem Armband konnte die Prinzessin tausend Mal schöner die Geige spielen als alle ihre Musikanten.«

»Ähnliches«, sagte die Kaiserin für sich, »haben wir jetzt im Kaiserreich Utopia schon in Wirklichkeit.«

Der Mond ging auf und spiegelte sich im schwarzen See, und die Kaiserin ließ das Lesen sein und blickte hinüber zu den Häusern der Stadt, in denen jetzt die Abendlampen angezündet wurden.


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