Paul Scheerbart
Der Kaiser von Utopia
Paul Scheerbart

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25. Silda und Ulaleipu

Die Lotte Wiedewitt schrieb an ihren Gatten nach langen wirtschaftlichen Auseinandersetzungen am Schlusse ihres ersten Briefes:

»Soweit ist hier eigentlich wieder Alles beim Alten; die roten und gelben Tuchstreifen sind wieder fortgebracht, und Jeder macht hier wieder seine alten Dummheiten, manchmal auch neue dazu. Viel Gescheites kommt dabei nicht raus. Der Kaiser, der jetzt hier Deine Stellung einnimmt, läßt sich fast garnicht sehen; man sagt, er schreibe immerzu Rechnungen aus. Aber ich glaube das nicht. Schreib mir bald, wie es Dir geht in Deiner neuen Position. Es hat mir sehr leid getan, daß ich bei Deiner Abfahrt wieder so heftig wurde – aber Du warst doch die Veranlassung. Wir sind ja von all den vielen Sorgen so nervös geworden. Hoffentlich wird jetzt Alles besser; die Nachbarn glauben das auch. Schreibe bald! Viele Grüße aus Schilda!

Ich bin
Deine
Lotte.«        

Der Kaiser, der ja nicht der Kaiser, sondern der Herr Sebastian war, schrieb natürlich keine gewöhnlichen Rechnungen aus – darin hatte die Lotte Wiedewitt ganz recht; der Herr Sebastian rechnete sehr viel hinter verschlossenen Türen – aber diese Rechnungen waren wissenschaftlicher Natur; der Herr Sebastian arbeitete an einer neuen Erfindung, die mit Kanonen einen Warentransport arrangieren sollte; die Waren sollten mit Kanonen geschossen werden, und es handelte sich darum, die Fangapparate so zu konstruieren, daß sie die Geschosse auch dann auffingen, wenn ein stärkerer Wind die Bahn ein wenig veränderte.

In Ulaleipu war man natürlich nicht wenig erstaunt, als man immer noch nichts von den Taten des neuen Oberbürgermeisters hörte; man zerbrach sich den Kopf über das zurückgezogene Leben des Kaisers, konnte aber nichts herausbekommen, da die Schildbürger ganz vernarrt in ihren kaiserlichen Oberbürgermeister waren und ihn ganz ungestört ließen – natürlich in der Annahme, daß ihr neues Oberhaupt nur über das Seelen- und Leibesheil der Schildbürger nachdächte; die Rechnungen des Herrn Sebastian kamen den Schildbürgern als nationalökonomische Rechnungen vor.

Auch der Herr Moritz Wiedewitt lebte in Ulaleipu in der ersten Zeit sehr zurückgezogen, und auch er arbeitete an großen Rechnungen; diese aber waren nationalökonomischer Natur und betrafen die Einnahmen und Ausgaben der Stadt Schilda.

Der Interimskaiser Moritz wollte seine Position zum Besten seiner Mitbürger ausnützen; er dachte aber keineswegs an die innerlichen Schäden der Einwohner Schildas – sondern an ihr äußerliches Leben, dem natürlich sehr viel abging, da Schilda wirtschaftlich vom Kaiserreich Utopia abgelöst war und keinen Anteil mehr haben sollte an all den vielen Wohlfahrtseinrichtungen des Kaiserreichs.

Der Staatsrat kam oft zusammen, und die öfteren Zusammenkünfte brachten allmählich eine heitere Stimmung hervor; man beglückwünschte sich, daß wenigstens kein Unsinn gemacht wurde – weder in Schilda noch in Ulaleipu.

Die Bewohner der Residenz schienen äußerlich von dem Thronwechsel kaum Notiz zu nehmen; die Staatsverhältnisse waren ja nach allen Richtungen so gesichert, daß einschneidende Veränderungen nicht denkbar schienen; doch die Neugierde wuchs – und man war denn doch allgemein gespannt, was nun werden würde.

Man glaubte schon, der Kaiser würde in Schilda allmählich wieder den alten Volksglauben aufrichten, aber die Priester schüttelten dazu den Kopf und erklärten, daß sie doch ganz allein berufen wären, einen derartigen Umschwung in der religiösen Lebensauffassung zu bewirken.

Andrerseits betonte man des Öfteren die verbohrte Hartnäckigkeit der Schildbürger, die ein für alle Mal erklärt hatten, daß sie sich aus dem Volksgeiste nichts machten und durchaus ihr eigenes Leben unabhängig vom Volksgeiste führen wollten.

Und das war in Schilda immer noch so.

Und die Neugierde wuchs auch in Schilda.

Man wachte auch in Schilda jeden Morgen mit dem Gedanken auf: »Was wird geschehen?«

Aber es geschah nichts.

Die Zeitungen schwiegen sich aus oder setzten leere Vermutungen in die Welt.

Der Herr von Moellerkuchen sagte schließlich zu seiner Frau:

»Wenn jetzt nicht bald ein Erlaß kommt, so befürchte ich, daß Alles beim Alten bleibt.«

Herr von Moellerkuchens Frau hielt das nicht für so unwahrscheinlich.


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