Paul Scheerbart
Der Kaiser von Utopia
Paul Scheerbart

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26. Der Antiquar

Der Kaiser fuhr nun als Herr Bartmann mit fieberhafter Schnelligkeit durch sein Kaiserreich und studierte Land und Leute in der ihm eigentümlichen Art.

Der Herr Bartmann erregte überall ein beträchtliches Aufsehen, aber nicht des Sebastianischen Luftfahrzeuges wegen – Luftwagen gabs in Utopia recht viele – es war das Benehmen des Herrn Bartmann den Utopianern so auffällig; der fremde Herr fragte so viel, und das kam Allen so neu, ungewöhnlich und – auch ein bißchen anstößig vor.

Und die Antworten, die man dem Herrn Bartmann gab, klangen sehr bald recht spöttisch, sodaß der Fragesteller vorsichtig wurde und seine Taktik änderte; er sah ein, daß er sich verdächtig gemacht hatte und gab nun plötzlich vor, daß er eigentlich »Sammler« sei – aber nicht ein einseitiger Sammler, vielmehr einer mit sehr vielseitigen Interessen.

Und auf diese Weise machte er, ohne daß es auffiel, die Bekanntschaft des Herrn Citronenthal, der als berühmter Antiquar ein großes und dabei sehr intim gehaltenes Museum sein eigen nannte.

Und Herr Bartmann setzte Herrn Citronenthal sehr bald auseinander, was er eigentlich zu sammeln wünschte, und sprach demzufolge so:

»Ich möchte Raritäten geistiger Art sammeln – solche, die sich scharf abhoben vom Allgemeinen und eigensinnig ganz aparte Ziele verfolgten – Ziele, die es zu ihren Zeiten noch nicht gab – kurzum: die Phantasieprodukte der bizarrsten Naturen.«

»Aha!« versetzte rasch Herr Citronenthal, »wenn ich nicht irre, so wollen Sie die Ahnengalerie des modernen Schilda.«

Der Herr Bartmann errötete und fürchtete, sich verraten zu haben, und änderte deswegen abermals den Kurs und meinte ganz harmlos lächelnd:

»Nicht so! Nicht so! Ich möchte blos wissen, wie sich der Volksgeist, dem wir göttliche Verehrung entgegenbringen und gegen den ich gar keine Opposition wage, wie sich dieser Volksgeist in den feiner organisierten Vertretern des Volkes in früheren Zeiten offenbarte. Auf dieser Wißbegierde allein basiert meine ganze Sammelkunst. Mir ist so, als müßte ich etwas Altes sammeln, wenn ich die Quintessenz und das Allerfeinste der menschlichen Natur kennen lernen will.«

»Ganz auf dem richtigen Wege, Herr Bartmann«, versetzte der Antiquar einfach, »Sie wollen alte recht abenteuerliche Manuskripte – vielleicht Märchen oder sogenannte Utopien! Ganz richtig! So was kann man im Kaiserreich Utopia wohl sammeln. Ich habe sehr viel davon – auf kostbaren alten Blättern. Ja, das nennt man wohl Erinnerungskunst, was Sie da sammeln wollen. Im Alten steckt die ganze Seele der Menschheit. Zum Alten zieht es uns immer wieder hin, wenn wir in der Gegenwart nicht das finden, was unsrer Sehnsucht Genüge tut. Das weiß ein Antiquar, und ich verstehe Sie, Herr Bartmann, und schätze Sie.«

Der Antiquar blickte den Kaiser mit feuchten Augen lächelnd an, doch der sagte hastig:

»Wie wärs aber, wenn ich noch weiter gehen möchte? Kennen Sie nicht vielleicht Verhältnisse, in denen das Alte in die Gegenwart gesetzt ist und dort greifbar vor uns steht – und ganz lebendig ist? Sehen Sie, grade das Lebendige möchte ich – das Lebendige!«

Herr Citronenthal runzelte die Stirn, stand auf und ging auf seinen alten Teppichen ein paar Mal auf und ab und sagte dann bestimmt:

»Herr Bartmann, Sie sind doch kein echter Sammler. Aber ich kann Sie in einer befreundeten Familie einführen, wo Sie wohl das finden werden, was Sie suchen. Obschon ich gestehen muß, daß ich nicht ganz klar Ihre Ziele erkenne.«

»Wir werden uns schon allmählich verstehen!« sagte der Herr Bartmann.

Und sie gingen zusammen zu der dem Herrn Citronenthal befreundeten Familie.


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