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XII.

Der Festtag brach an. Es war ein wenig bewölkt, Nebel verschleierten die Sonne, doch bald zerteilte sie sie mit voller Macht und umsäumte die weichenden Wolken mit einem Goldrande, während das Himmelsgewölbe über uns klar und blau wurde und die Sperlinge munter in den entlaubten Bäumen zwitscherten. Als wir unseren Tee getrunken hatten, ging Estrid hinaus, um mit Anna ihre Anordnungen zu treffen, und ich benutzte ihre Abwesenheit zum Hinstellen des Geburtstagstisches. Mitten auf den Tisch setzte ich eine kleine Palme, die den Blumentisch schmücken sollte, daneben legte ich ein seidenes Tuch und ein Thorwaldsensches Basrelief von Gips, und ganz vorn prangte mein zierlich auf rosa Papier geschriebenes Gedicht. Einen Augenblick später trat Estrid ein, und nun führte ich sie an den Tisch, wo sie sofort nach dem rosa Papier griff.

»Das ist das, was du dir wünschtest«, sagte ich. »Eigentlich hätte ich es heute morgen mit Baß-, Violin- und Flötenbegleitung vor deiner Tür absingen müssen, doch infolge der Ungunst der Zeiten mußt du mit gewöhnlichem Vorlesen vorlieb nehmen, aber deshalb ist das Gedicht nicht weniger gut gemeint.« Dann nahm ich das Gedicht und las vor:

»Nun erhebt der Tag schon sein Haupt voll Glanz,
Die Nebel der Nacht entschweben,
Erblaßt ist der Sterne funkelnder Kranz
Vor dem Licht, das der Osten gegeben.
Nun bist du, mein junges Weib, erwacht,
Und öffnest die Augen, die süßen.
Und – lebhaft jubelnd – hab' ich gedacht,
Dich mit einem Lied zu begrüßen!

O Tag voll Jubel, o Morgen voll Sang!
Stets werde ich deiner gedenken!
Dir gebührt unter Festen der erste Rang,
Die Liebste du mir tatst schenken.
Es entsproß eine Rose schön und fein
Im ersten Lenze des Lebens.
Und sie allein nur nenne ich mein!
Die andren blühn mir vergebens.

Wie wird mein Denken fröhlich und frei,
Sobald deine Stimme ich höre.
Sie ist mir wie eine Melodei
Der süßesten Engelchöre.
Bei deines Augenlichts mildem Schein,
Den Strahlen, den reinen und klaren,
Ins Himmelreich ich blicke hinein
Und sehe dort Gottes Heerscharen.

Ja, mein Herz dich mir zum Teuersten macht,
Was die Erde hat zu verschenken.
Meine Sonn' bei Tag, mein Stern in der Nacht,
Mein Licht, meine Schritte zu lenken.
Mein schützender Wald, mein spiegelnder See,
Meine Lust, mein Sehnen und Stürmen,
Dies Märchenland, das im Traume ich seh'
Mit ragenden Schlössern und Türmen.

Gott segne den Tag, der dich uns gebracht,
Laß oft ihn noch wiederkehren
Und, heller strahlend als Kerzenpracht,
Uns Freud' und Jubel bescheren!
O, gäbe es doch der gute Hirt,
Daß wandern durchs Leben wir beide,
Bis uns die Krone des Lebens wird –
Zugleich – in des Himmelreichs Freude!«

Nach beendetem Vorlesen blickte ich auf und gewahrte, daß Estrids Augen sich mit Tränen gefüllt hatten. Ihren Kopf an meine Schulter legend, flüsterte sie: »Hältst du wirklich so viel von mir?«

Ich antwortete mit einem Kusse und sagte dann: »Weshalb sollte ich nicht so viel von dir halten?«

»Ich kann es mir eigentlich nicht denken. Wenn ich dich so vertieft in deine Bücher oder so erpicht auf deine Museen sehe, muß ich immer denken, daß beides deinen Sinn viel stärker fesselt, als ich es vermag.«

»Fängst du jetzt auch an, auf die Museen eifersüchtig zu werden. Da kannst du ruhig sein. Die allerschönste Museumssehenswürdigkeit habe ich hier zu Hause, und das ist mein lieber, süßer Basilisk. – Doch, nun besieh dir auch die anderen Geschenke!«

»Ach, laß mich das Gedicht erst noch einmal lesen, es ist so hübsch!«

Da ich natürlich nichts dagegen hatte, las Estrid das Gedicht noch einmal und dann zeigte ich ihr die anderen Geschenke.

»O, wie viele hübsche Sachen!« rief sie fröhlich aus. »Und all dieses hast du dir für mich ausgedacht! Für jedes Geschenk sollst du einen Kuß haben, für das Gedicht aber erhältst du drei.«

Läuten ertönte, und gleich darauf meldete Anna, daß draußen auf der Diele auf einmal ein Rosenstock stehe.

»Das ist ja ein sonderbarer Gast«, sagte ich, »den muß ich wohl hereinholen.«

Gerade als ich bei dem Rosenstocke anlangte, hörte ich Schritte auf der untersten Treppe und gleich darauf das Zuschlagen der Haustür. Ich nahm den Blumentopf und trug ihn hinein.

»Welch ein schöner Rosenstock!« sagte Estrid. »Er ist gewiß von den Eltern oder von den Schwestern.«

Später am Vormittag stellten die Schwestern sich ein; sie brachten Estrid Kleinigkeiten, konnten uns aber über den Rosenstock keine Auskunft geben. »Von Vater und Mutter ist er nicht«, fügten sie hinzu. Ich war ein wenig verstimmt, denn es ist für den Mann doch unangenehm, wenn seine Frau anonyme Geschenke von einem unbekannten Geber erhält. Die Schwestern machten uns nur einen kurzen Besuch, da sie ja am Abend wiederkommen wollten.

»Ob er vielleicht von Onkel ist?« fragte ich, als wir allein waren, indem ich dem Rosenstock ziemlich unfreundliche Blicke zuwarf.

»Das kann ich mir gar nicht denken«, sagte Estrid. »Er würde sich genannt haben.«

»Ich hätte Lust, ihn auf die Treppe zu setzen, damit ihn sich irgend jemand nehmen kann.«

»Das wäre doch schade um den hübschen Rosenstock«, meinte Estrid. »Nein, laß ihn uns behalten; wenn der unbekannte Geber kommt, wird er sich schon verraten.«

Hierbei blieb es vorläufig. Bald darauf erschien Eisbär zum Gratulieren.

»Woher weißt du, daß heute Estrids Geburtstag ist?« fragte ich.

»Ich traf gestern Onkel, und er erzählte es mir.«

»Sieh nur den dummen Rosenstock, den Estrid bekommen hat«, sagte ich ärgerlich.

»Weshalb ist er denn dumm?«

»Weil wir nicht wissen, woher er ist. Findest du es nicht sehr taktlos, einer verheirateten Dame ein anonymes Geschenk zu senden?«

Eisbär machte dabei ein so verlegenes Gesicht, daß ich ausrief: »Höre, du bist ganz gewiß derjenige, welcher – – es nützt dir nichts, daß du es leugnest, ich sehe es dir zu deutlich an.«

Jetzt mußte Eisbär bekennen, daß er wirklich der Geber war, erklärte aber, sich nichts Böses dabei gedacht zu haben.

»Wenn der Rosenstock von dir ist, war auch nichts dabei«, sagte ich, und nun dankten wir beide ihm herzlich für das schöne Geschenk.

»Wir erwarten heute abend einige Freunde«, sagte Estrid, »möchten Sie nicht auch kommen?«

Das war schlau von Estrid, denn nun konnte sie doch Eisbär und Valborg bei sich haben, ohne daß ich Einspruch erheben durfte. Eisbär bedankte sich erfreut und versprach, sich einzufinden.

»Das war gegen unsere Verabredung«, sagte ich, als er sich entfernt hatte.

»Aber ich konnte doch nicht anders, nachdem er so freundlich an uns gedacht hatte«, sagte Estrid mit unschuldiger Miene, hinter welcher freilich ein schelmisches Lächeln hervorleuchtete. Ich war viel zu vergnügt, um noch länger böse darüber zu sein.

Und nun mußte Estrid in die Küche, um mit ihren Vorbereitungen zum Feste fertig zu werden. Die große Apfeltorte mit Schlagsahne war schon fertig und mir als Prachtstück des Abends mit großem Triumphe gezeigt worden. Jetzt sollten Pastetchen gebacken werden. Diese Beschäftigung war mir zu verführerisch, daß ich mich davon hätte fernhalten können. Jeden Augenblick war ich draußen in der Küche, um mich nach Estrid und den Schanzkörbchen umzusehen und überall guten Rat zu erteilen. Die Folge davon war, daß die ersten Körbchen, die aus dem Schmalz gezogen wurden, mißraten waren. Hierdurch wurde mein Eifer noch mehr angefacht, ich wollte selbst backen, denn ich war überzeugt, daß der Versuch mißglückt war, weil man mir die Leitung nicht ganz überlassen hatte. Es war ein Glück für die Schanzkörbchen, daß ich nicht länger zu Hause bleiben konnte, da es Zeit wurde, mich nach der Schule zu verfügen.

Als ich gegen Mittag wieder heimkehrte und schnell die Treppen hinaufeilte, holte ich Onkel ein, der sich langsamer auf ihnen in die Höhe arbeitete und eine große blaue Schachtel in der einen Hand trug.

»Guten Tag, Onkel!« rief ich ihm zu. »Willst du heute bei uns zu Mittag essen?«

»Nein, danke!« antwortete er. »Ich komme heute abend zu euch.«

»Was hast du denn in der großen Schachtel?«

»Eine Überraschung, die ihr heute abend sehen werdet. Jetzt will ich sie nur in dein Zimmer stellen und dann gleich wieder fortlaufen.«

Ich ließ ihn in meine Stube treten, wo er die Schachtel unter meinen Schreibtisch schob und dabei schmunzelnd sagte: »So, da laß sie nun stehen, – aber rühre sie bloß nicht an!«

»Höre, Onkel, es ist doch wohl kein Feuerwerkskörper oder etwas Ähnliches, das hier abbrennen könnte, darin?« fragte ich.

»Sei nur ruhig! – Es knallt erst los, wenn ich es will.«

»Also doch etwas Knallendes, – Onkel, Onkel, richte nur kein Unheil damit an!« sagte ich ängstlich und zeigte große Geneigtheit, die Schachtel zu öffnen. Onkel aber hinderte mich daran.

»Du kannst ganz ruhig sein, es kneift weder, noch beißt es – Adieu. – Es ist mir nur unangenehm, daß ich gerade heute entsetzliche Kopfschmerzen habe.«

»Wie kommt das? Hast du zu angestrengt gearbeitet?« fragte ich teilnehmend, obgleich ich nicht recht begreifen konnte, was für eine Arbeit Onkel derartig hätte anstrengen sollen.

»Es ist nervöses Kopfweh«, erwiderte er. »Es kommt gewiß von der dicken Luft.«

»Aber heute ist ja Sonnenschein«, wandte ich ein.

»Ja, dann ist die Sonne schuld daran, und es ist heute abend vielleicht fort. Adieu, grüße deine liebe Frau.«

Nachmittags feierten Estrid und ich unser Dämmerstündchen. Ich nahm neben ihr auf dem Sofa Platz, wir öffneten die Ofentür, so daß das Feuer mit seinen unruhig züngelnden Flammen die ganze Stube erhellte, und begannen dann uns die Estrid nie langweilig werdende, ewig merkwürdige Geschichte, wie wir einander kennen gelernt, zu erzählen und das noch merkwürdigere Phänomen, daß wir einander vor drei Jahren noch gar nicht gekannt, ja sogar gegenseitig nichts von unserem Dasein geahnt hätten, zu besprechen.

Heftiges Läuten unterbrach diese Betrachtungen. Estrids Schwestern erschienen.

»Habt ihr Vater und Mutter mitgebracht?«

»Sie kommen nachher zu Wagen, wir wollten lieber gehen.«

»Wenn sie so fürchterlich fein sein wollen«, sagte ich, »müssen wir schnell die Lampen anzünden, denn es ist nicht fein, seine Gäste im Dunkeln zu empfangen.«

Sophie und Johanna aber fanden es in der Dunkelheit mit dem Ofenfeuer zu gemütlich und baten, es doch bei dieser Beleuchtung zu lassen. Bald darauf schellte es wieder, und nun kam Corpus Juris mit Andrea Margarete. Er sprach seinen Glückwunsch in sehr gewählten Worten aus und überreichte Estrid einen niedlichen Nähkasten in Form eines Reisekoffers.

»Jetzt aber müssen wir Licht in der Bude haben«, erklärte ich, und so wurde die Lampe denn angezündet.

Der nächste, der kam, war Onkel. Er klagte noch immer über sein Kopfweh, das sich nicht gegeben hatte.

Ich schlug ihm vor, sich ein wenig auf mein Sofa zu legen, womit er gleich einverstanden war.

»Du mußt dir die Stirn mit Kölnischem Wasser einreiben, die Flasche steht auf meinem Schreibtisch. Warte nur, ich zünde dir gleich ein Licht an.«

»Nein, laß mich lieber im Dunkeln bleiben. Das Licht tut meinen Augen weh.«

So ging Onkel denn in meine Stube, und die Tür schloß sich hinter ihm. Jetzt kamen unsere übrigen Gäste, die Schwiegereltern, Eisbär, einige Freunde von mir und Freundinnen von Estrid nach und nach an. Ich war so durch die Erfüllung meiner Pflichten als Wirt, das Empfangen der Gäste und das Ingangbringen der Unterhaltung in Anspruch genommen, daß ich Onkel, der in meinem Zimmer eingeschlafen war, ganz darüber vergaß.

Ich hatte unsere Gäste zum Sitzen genötigt, und Corpus Juris unterhielt sie mit einem überzeugenden Vortrage über die englische Handelspolitik; ich hörte nur flüchtig danach hin, freute mich aber über die große Aufmerksamkeit, mit der die anderen ihm lauschten. Mitten im Vortrage öffnete sich die Tür, und Onkel trat, sich mit holdseligem Lächeln verbeugend, ein. Bei seinem Anblick brach die ganze Gesellschaft in lautes Gelächter aus. Corpus Juris, der sich über diesen Mangel an Aufmerksamkeit ärgerte, drehte sich um, erblickte Onkel und begann ebenfalls zu lachen. Onkel fuhr fort, sich lächelnd zu verbeugen, und war augenscheinlich mit der Heiterkeit, die sein Erscheinen erregte, sehr zufrieden.

»Onkel!« rief ich, halberstickt vom Lachen. »Ist das die Überraschung, die du uns heute vormittag versprochen hast?«

»Welche? Was?« fragte Onkel, der sich jetzt selber noch mehr verwunderte als einer von uns.

»Komm und sieh!« sagte ich, Onkel nach dem Spiegel hinziehend.

Als Onkel sein Gesicht im Spiegel sah, fuhr er wie beim Anblicke eines Medusenhauptes zurück. »Die Tintenflasche!« schrie er laut auf, während hinter ihm eine neue Lachsalve ausbrach, da uns jetzt der Zusammenhang klar wurde. In der Dunkelheit hatte er sich in der Flasche vergriffen und sich die Stirn mit Tinte statt mit Eau de Cologne eingerieben.

Onkel sah gräßlich aus. Die Stirn und die Schläfe waren pechschwarz, und einzelne Tropfen waren ihm, einem Sprühregen vergleichbar, über die Wangen bis auf den Kragen hinabgerieselt. Ich führte ihn gleich in die Küche zum Waschen, wir ließen uns von Anna grüne Seife geben und begannen nun zu reiben, zu scheuern und zu waschen, daß Onkel ebensoviel Schweiß wie Seifenschaum auf der Stirn stand. Das Schlimmste konnten wir entfernen, aber einige dunkle Stellen, die nicht hatten weichen wollen, schwebten noch wie drohende Gewitterwolken auf Onkels Stirn. Zum Glück war das Kopfweh hierbei verflogen und Onkels prächtiger Humor wieder da.

Corpus Juris setzte seinen Vortrag nicht fort, weil die Stimmung jetzt viel zu ausgelassen dazu war. Gelächter und lautes Gerede erfüllten die kleinen Zimmer mit solchem Lärm, daß die englische Handelspolitik rettungslos darin ertrunken wäre, wenn Corpus Juris die Unvorsichtigkeit gehabt hätte, wieder mit ihr anzurücken.

Nun flüsterte Estrid mir zu, ob wir nicht zu Tisch gehen wollten, der Tee sei fertig. Ich bot Schwiegermutter meinen Arm und forderte mit lauter Stimme die Herren auf, die Damen zu Tisch zu führen. Eisbär führte Estrid zu Tisch. »Das ist schlau«, dachte ich, mich nach Valborg umsehend. Sie war von Corpus Juris erwählt worden, der sich so eifrig mit ihr unterhielt, daß sie nicht einmal Zeit fand, Eisbär einen Blick zuzuwerfen.

Das Essen und die Unterhaltung waren gut im Gange, als ich draußen in der Küche einen dumpfen Schall hörte.

»Da ist gewiß etwas Schlimmes passiert«, flüsterte Schwiegermutter mir zu.

Ich sah mich nach Estrid um, – sie eilte gerade aus der Tür. Ich blieb wartend sitzen, doch als sie gar nicht wiederkam, wurde meine Unruhe zu groß, ich erhob mich leise und stahl mich in die Küche hinaus. Dort lag die Apfeltorte, das Prachtstück des Abends, mitten in all ihrer jetzt treibenden Schlagsahne auf dem Fußboden, während Estrid und Anna sie wie zwei Genien der Trauer mit dem Ausdrucke hoffnungsloser Verzweiflung anstarrten.

»Wie ist das zugegangen?« fragte ich, obschon dies eine ziemlich überflüssige Frage war, da es doch klar und deutlich am Tage lag, daß Anna die Torte beim Tragen hatte fallen lassen. Anna zog sich indessen dadurch aus der Verlegenheit, daß sie auf Estrid schalt. »Das kommt davon, daß Sie sie auf der kleinen Schüssel haben wollten. Wären Sie mir gefolgt und hätten die große genommen, so wäre dies nicht passiert, aber Sie – –« und so ging es weiter, während Estrid und ich die verunglückte Apfeltorte mit kummervollen Blicken ansahen, ohne auf Annas Reden zu achten.

Andrea Margarete, die Verdacht geschöpft hatte, erschien jetzt, um nachzusehen, was denn eigentlich passiert sei. Wir erzählten es ihr.

»Ja, liebe Freunde, das sehe ich ja selber«, sagte sie. »Doch daß ihr dabei steht und sie anguckt, kann euch nichts helfen, damit kommt ihr nicht weiter.«

Estrid sagte in betrübtem Tone, es lasse sich gewiß nichts mehr dabei machen, sie könne die Apfeltorte so doch unmöglich auf den Tisch bringen und im Augenblick auch den Gästen nichts anderes vorsetzen.

»Keineswegs«, erklärte Andrea Margarete, »wird das nötig sein! Wir wollen sie nur aufnehmen und ordentlich besehen. Nun ja, in der Mitte ist sie ein wenig geborsten, aber das läßt sich noch wieder zusammenpressen. – Die Schlagsahne muß natürlich ganz abgeschrapt werden, doch wenn du eine dicke Schicht Puderzucker auf die Torte streust, sieht wirklich kein Mensch, daß ihr etwas passiert ist, vorausgesetzt, daß Nicolai den Mund hält.«

Das versprach ich natürlich. Ich wäre gern in der Küche geblieben, um bei der Restauration der Apfeltorte behilflich zu sein, aber Andrea Margarete jagte mich fort, weil, wie sie sagte, Estrid und sie es recht gut allein besorgen könnten, ich aber zu meinen Gästen zurückkehren müsse, da es sich nicht schicke, daß Wirt und Wirtin gleichzeitig draußen seien.

Ich ging wieder hinein, und das war gut, denn die Unterhaltung war im Begriff, einzuschlafen. Der einzige, der noch redete, war Corpus Juris, der es, wie der Kapitän eines in der Seeschlacht untergehenden Schiffes, für seine Pflicht hielt, zu schießen, so lange er noch über Wasser war.

»Es ist doch kein Unglück geschehen?« fragte Schwiegervater mich über den Tisch hinüber.

»Alles in Ordnung!« antwortete ich unbefangen. »Aber will denn keiner mehr nehmen? Ach, bitte, Eisbär, schicke doch den Heringssalat, der da unten bei dir gelandet ist, weiter!«

Bald darauf fanden Estrid und Andrea Margarete sich wieder ein und schließlich auch zu meiner großen Freude die Apfeltorte. Sie strahlte so weiß im Glanze ihrer dicken Zuckerschicht, daß niemand ahnen konnte, was ihr vorher passiert war. Brot, Butter, Heringssalat und Aufschnitt wurden abgeräumt, das reine, weiße Tischtuch blieb liegen, und ich schenkte den »Kardinal« ein. Heitere, festliche Stimmung beseelte uns alle. Die Unterhaltung war munter und lebhaft, Witze sprühten an dem einen Ende des Tisches und wurden von dem anderen her beantwortet, – da wurde das gute Einvernehmen durch einen Wortwechsel zwischen Corpus Juris und mir gestört. Wie es dazu kam, weiß ich nicht, – ich glaube beinahe, Eisbär war die unschuldige Veranlassung dazu. Er erzählte nämlich, er habe in Amsterdam ein Porträt gesehen, das seiner Ansicht nach Kurt Adler darstelle. Nun muß man wissen, daß Corpus Juris einen eingewurzelten Haß auf diesen Seehelden hat, obwohl Kurt Adler ihm meines Wissens nicht die geringste Veranlassung dazu gegeben. Schon früher waren wir über diesen Gegenstand aneinandergeraten und dadurch nur noch hartnäckiger in unseren Ansichten geworden. Kaum hörte Corpus Juris den Namen aussprechen, so sagte er so laut, daß man es über den ganzen Tisch hören konnte: »Nun, das Porträt ist natürlich auch nur Humbug und Windbeutelei gewesen wie alles, was von der Seite kommt.«

»Was denn?« fragte Eisbär stutzend, er faßte die Worte so auf, als ob das »von der Seite« auf ihn gemünzt sei.

Ich ließ jedoch Corpus Juris nicht Zeit, dieses Mißverständnis aufzuklären, da ich die Äußerung als einen mir hingeworfenen Handschuh betrachtete. Ich nahm ihn sofort auf und sagte ebenfalls so laut, daß alle es hören konnten: »Schlimm steht es in Dänemark, wenn von unseren berühmten Helden auf solche Weise gesprochen wird, und zwar von Leuten, die kaum etwas anderes als das, was sich innerhalb ihres eigenen Horizontes befindet, gesehen haben und daher alles danach beurteilen zu können glauben.«

Das Letzte hätte ich freilich nicht zu sagen brauchen, denn Corpus Juris konnte ja gerade so gut seine Meinung haben, wie ich meine. Doch es ist ja leider eine bekannte Tatsache, daß man bei einem Wortstreite nur zu gern persönlich wird.

Corpus Juris blieb mir die Antwort nicht schuldig, und nun fielen scharfe Reden. Die ganze übrige Gesellschaft verstummte und hörte unserem Streite zu, bei dem sichtlich auf meiner Seite alle Damen standen, die mir mehr als einmal Beifall spendeten, wenn ich Kurt Adlers Sache mit feurigem Eifer geführt hatte. Dies erboste Corpus Juris, der daran gewöhnt ist, daß die Damen stets durch seine Rednergabe hingerissen werden, noch mehr und es verdroß ihn, daß gerade ich ihn überflügelte. Er ließ Worte von Gecken und jungen Narren, die keine Ahnung von echt historischer Kritik haben, aber die Geschichte nach ihrer kindischen Phantasie beurteilen zu können glauben, fallen. Hierauf antwortete ich, die notwendige Bedingung für das Verstehen des Großen und Edlen sei ein dafür empfängliches Herz, denn wenn man selber Philister sei, würden auch die glänzendsten Taten der Geschichte in kleine Alltagsereignisse zusammenschrumpfen, und ich schloß meine Rede mit der Anführung eines Zitates als eine Art Trumpf, den der Gegner nicht stechen kann. »Es ist ein wahres Wort des großen Denkers Kant, daß wir die Dinge nicht sehen, wie sie sind, sondern wie wir sind.«

Der Streit begann für die Anwesenden ungemütlich zu werden, und es war daher sehr vernünftig von Schwiegervater, daß er sein Glas ergriff, es erhob und sagte: »Ja, meine Freunde! Wir sind doch eigentlich nicht zusammengekommen, um einander Unangenehmes zu sagen, sondern um einen Festtag zu feiern. Laßt uns daher – –«

Hier unterbrach ihn Corpus Juris, und war ich vorher wütend auf meinen Bruder gewesen, so mußte ich jetzt die echt weltmännische Leichtigkeit bewundern, mit welcher er seine Heftigkeit zu bezwingen und sich wieder zum Herrn der Situation zu machen wußte. »Entschuldigen Sie«, sagte er, von seinem Stuhle aufspringend, »das Hoch muß ich ausbringen! Ich hoffe, daß die Herrschaften an dem eben geführten Streite keinen Anstoß nehmen; Sie wissen sicherlich alle, daß Bruder Nicolai und ich einander herzlich gut sind, aber beide zwei Schwefelhölzern gleichen, die sofort Feuer fangen, wenn man sie ein bißchen hart gegeneinanderstößt. (»Hört, hört!« rief Onkel). Früher hatten wir unseren lieben Bruder Christoffer, der es verstand, unsere Differenzen in eine höhere Einheit aufgehen zu lassen, doch nun sitzt er fern von uns auf seiner jütländischen Pfarre. Daher ist es gut, daß du, mein Bruder, dir eine Frau genommen hast, deren liebenswürdige Milde allen Streit zum Verstummen bringt. Darf ich Sie, meine Damen und Herren, bitten, ihr Glas auf unsere junge Wirtin zu leeren, deren milder Blick wie ein Sonnenstrahl eines Frühlingstages auf uns ruht und deren klangvolle Stimme uns so lieblich wie Drosselschlag im friedvollen Buchenwalde ertönt. Hoch lebe sie, deren anmutiges Wesen diesem Heim Schönheit und Sonnenglanz verleiht!«

Dieses Hoch söhnte mich mit Corpus Juris ganz wieder aus. Während die anderen mit Estrid anstießen, eilte ich zu ihm, drückte ihm liebevoll die Hand und sagte: »Ich danke dir für deine Rede; sie war mir aus dem Herzen gesprochen. Du hast recht, wir gleichen Schwefelhölzern, doch zum Glück erlischt unser Zorn auch ebenso schnell wie ein Schwefelholz.«

Und damit hatte das Gewitter sich entladen. Die frische, erquickende Luft, die man stets nach ihm spürt, zeigte sich hier in der fröhlichen Stimmung, in die wir nun alle gerieten. Eine Rede folgte der anderen. Ich brachte im Anschlusse an die eben gehaltene ein Hoch auf Schwiegermutter aus, denn, wenn die Tochter gut geraten, ist es der Mutter zu verdanken, – Corpus Juris ließ Schwiegervater hoch leben, und dieser wieder meine Brüder, wobei er sein Bedauern aussprach, daß nur der eine zugegen sei. Dann hielt Eisbär eine Rede auf mich, »denn«, sagte er, »wir alle haben heute der Frau gratuliert, und doch wäre es viel passender, dem Manne zu gratulieren, weil er solch eine Perle, um deren Besitz wir ihn alle beneiden müssen, gefunden hat.« – »Hört, hört!« schrie ich, mit Messer und Gabel so kräftig auf den Tisch stoßend, daß ringsumher die Gläser und Flaschen einen klirrenden Hopser tanzten. Die Stimmung wurde immer lebhafter.

Nun erhob sich Onkel und bat ums Wort. Um seine Lippen spielte ein breites Lächeln, das einen komischen Gegensatz zu den auf seiner Stirn schwebenden dunklen Tintenwolken bildete. »Ich danke dem Wirte und der Wirtin«, sagte er, »weil sie uns rechtzeitig etwas zu essen gegeben haben. Ich kenne nichts Gräßlicheres als die gewöhnlichen Kopenhagener Abendgesellschaften, bei denen man erst um 10 oder 11 Uhr, halbtot vor Hunger und Langweile, zu Tische geht. Einen Abend in der vorigen Woche ging es mir so, und ich war schließlich so wütend, daß ich unseren kleinen bleichnasigen Wirt, der sich sichtlich diabolisch freute, seine Gäste ebenso hungrig zu sehen, wie er selber war, am liebsten mit Haut und Haar verschlungen hätte. Und als wir dann endlich etwas im Leibe hatten, wurden wir, gerade wie es anfing gemütlich zu werden, aus der Tür gejagt. Das nenne ich allerdings ein reizendes Vergnügen! Nein, man gebe den Leuten zu essen, sobald sie alle da sind, dann werden sie gleich gemütlich und sind guter Laune, wie wir alle heute abend, wofür wir unserem braven Wirte und unserer liebenswürdigen Wirtin zu danken haben! Sie leben hoch!«

Ein donnerndes, mit lautem »Hört, hört!« untermischtes Hurra belohnte Onkel für seine Rede. Er setzte sich, nach allen Seiten nickend, lächelnd und blinzelnd, wieder hin, und es unterlag keinem Zweifel, daß er für seine Person auf der ersehnten Höhe der Gemütlichkeit angelangt war. Ich bedankte mich für das Hoch und bat unsere Gäste, überzeugt zu sein, daß sie, so lange Estrid und ich das Regiment führten in unserem Hause, nie zu einer gräßlichen Kopenhagener Abendgesellschaft gebeten werden würden.

Nachdem noch ein paar Reden gehalten worden, bat ich meine Gäste, mit dem Genossenen vorlieb zu nehmen, wir stießen noch einmal miteinander an und begaben uns dann wieder in das Wohnzimmer. Als wir uns hier »Gesegnete Mahlzeit« wünschten, flüsterte Onkel mir ins Ohr: »Jetzt wäre es wohl Zeit für die Überraschung.« An diese hatte ich gar nicht mehr gedacht und freute mich gar nicht sehr, wieder daran erinnert zu werden, doch war es mir immerhin eine Beruhigung, daß Onkel sie nicht allein ausführen wollte, sondern mich bat, ihm dabei behilflich zu sein. Wir gingen in meine Stube, wo ich sofort sah, daß der Fußboden Spuren von Onkels unseliger Verwechselung der beiden Flaschen trug. Er zog nun die geheimnisvolle blaue Schachtel unter dem Schreibtische hervor und öffnete sie.

Zunächst nahm er ein Stück zusammengefalteten Seidenzeugs heraus, hielt es in die Höhe und blies es auf, bis es sich entfaltete und rund wurde.

»Ein Ballon!« rief ich aus.

Onkel nickte vergnügt.

»Doch wie bringen wir ihn zum Steigen?«

Als Antwort nahm Onkel eine kleine flache Blechschale aus der Schachtel und befestigte sie unter der Öffnung des Ballons. Schließlich zog er eine kleine Flasche hervor und goß Spiritus in die Blechschale.

»Wenn wir nun ein brennendes Schwefelholz daran halten«, sagte er, »so flammt der Spiritus auf und setzt den Ballon in Bewegung. Es ist eine richtige Monbellière!«

»Montgolfiere!« verbesserte ich ihn. »Woher hast du sie?«

»Mein Freund, der Feuerwerker Luigi, hat sie mir verfertigt.«

»Und du glaubst wirklich, daß sie steigen kann?«

»Du wirst es selbst sehen«, antwortete Onkel stolz. »Nun aber mußt du erst die ganze Gesellschaft ins Eßzimmer jagen, damit wir die Wohnstube zur Verfügung haben. Dann löschen wir dort alles Licht aus und lassen den Ballon steigen.«

Ich ging nun hinein und bat die Gesellschaft, sich, während eine Überraschung vorbereitet werde, in das andere Zimmer zu begeben. Als die Stube leer war, setzte ich alle Stühle aus dem Wege, um Raum zu gewinnen, löschte alles Licht aus und rief zu Onkel hinein: »Fertig?«

»Anfangen!« rief er zurück, – schnell riß ich die Flügeltüren nach dem Eßzimmer auf, wo die ganze Gesellschaft sich schon dicht zusammengedrängt hatte, um das unerwartete Schauspiel zu sehen.

Gleich darauf öffnete sich meine Stubentür. »Nun kommt der Ballon!« rief der Onkel, und der Ballon schwebte herein, stieg mit majestätischer Langsamkeit bis an die Decke und blieb dort still stehen in der Dunkelheit, einer glühenden Feuerkugel vergleichbar.

»Ach, wie reizend!« ertönte es in bewunderndem Chore aus dem Eßzimmer, und einige Augenblicke hindurch hatten wir alle ungeteilte Freude an dem schönen Anblick.

Dann aber rief ein unruhiger Kopf: »Kann er nicht herunterfliegen wie ein wirklicher Ballon?«

»Ja, natürlich kann er es«, antwortete Onkel, der es nicht ertrug, daß sein Ballon irgend einen Fehler haben sollte. Er stieg auf einen Stuhl und versuchte den Ballon durch Stoßen in Bewegung zu bringen.

»Laß es lieber sein!« rief ich ihm zu. »Du kannst ja doch nicht ankommen.«

»Das kann ich doch!« antwortete Onkel, streckte den Arm noch mehr aus und – bums! Da stürzte er kopfüber herunter und riß im Fallen noch einen Tisch und zwei Stühle um. Ich und ein paar Freunde eilten sofort herbei, um ihm wieder aufzuhelfen; während wir versuchten, ihn auf die Beine zu bringen, hörte ich laute Angstrufe: »Der Ballon! Der Ballon!« – Ich drehte mich um und blickte nach der Decke; der Ballon brannte. Ich folgte ohne Bedenken Onkels unseligem Beispiel und stieg auf einen Stuhl, um den Ballon zu greifen. Doch nun war dieser in Bewegung geraten und trieb hell brennend nach dem Fenster hin. »Die Gardinen! Die Gardinen!« wurde gerufen, und nun stürzte die ganze Gesellschaft herein, rufend, schreiend, stolpernd und Stühle umwerfend. Ich versuchte vergebens, noch vorzubeugen, der Ballon erreichte die Gardinen, im Nu loderten sie auf. – – »Wasser! Wasser!« riefen die Herren, während die Damen in allen möglichen Tonarten, vom höchsten »Ih!« bis zum tiefsten »Uh!« schrien. Ich selber stand wie versteinert vor Schrecken über die drohende Gefahr da, – da näherte sich eine Hünengestalt dem Fenster, Eisbär war es: mit einem Rucke riß er die brennenden Gardinen herab und schlug dann den Ballon zu Boden, worauf wir alle herbeistürzten, um auf den brennenden Stücken herumzutreten, bis jeder Funke erloschen war.

Darauf mußten einige in Ohnmacht gefallene Damen wieder ins Leben gerufen werden, kamen aber glücklicherweise bald wieder zu sich. Dann untersuchten wir Onkel, der, abgesehen von einer Schramme unter dem rechten Auge, unverletzt war, und schließlich wurde der Brandschaden besichtigt. Die Gardinen waren freilich in Rauch aufgegangen, vom Ballon nur noch eine zertretene Blechschale da und das ganze Zimmer von durchdringendem Brandgeruch erfüllt, aber wir waren doch froh, noch so leichten Kaufes davongekommen zu sein, und der Schreck machte schnell einer zunehmenden Munterkeit Platz. Der einzige, dessen Humor nicht recht wiederkommen wollte, war Onkel, der über das unglückselige Ende des glänzenden Anfanges sehr niedergeschlagen war, er suchte sich dadurch aus der Verlegenheit zu retten, daß er die Schuld auf den Ballon schob, und rief wiederholt aus: »Wer hätte dem Unding von Ballon das zutrauen können?«

Inzwischen war es spät geworden, und die Gesellschaft begann sich zu verabschieden.

»Wollen Sie schon gehen?« fragte ich. »Es ist bald Mitternacht«, lautete die Antwort. – »Wie? schon so spät? Nun, dann adieu, und kommen Sie bald einmal wieder.« – »Adieu, adieu! und Dank für den vergnügten Abend!« erscholl es von einem nach dem anderen, bis schließlich die ganze Gesellschaft verschwunden war, und Estrid und ich allein im Zimmer zurückblieben. Ich öffnete das Fenster, und wir blickten beide schweigend zu den funkelnden Sternen empor. Die tiefe Stille und die frische Luft bildeten einen wohltuenden Gegensatz zu dem Lärm und der Unruhe, die uns eben noch umgeben hatten. Estrid seufzte tief auf.

»Weshalb seufzest du?« fragte ich.

»Ich weiß es selbst nicht«, antwortete sie. »Doch wenn ich zu den Sternen hinaufschaue, überfällt mich stets eine eigentümliche Sehnsucht.«

»Möchtest du denn gern dort auf einem Sterne sitzen, während ich hier am offenen Fenster stände und zu dir hinaufblickte?«

»Ich bin am liebsten bei dir. – Doch wie gut war es, daß Eisbär die brennenden Gardinen so flink abriß!«

»Wie kommst du dazu, gerade jetzt an Eisbär zu denken?« fragte ich, Estrids Worte als einen heimlichen Vorwurf, daß ich nicht flink genug gewesen sei, auffassend.

»Ach, das weiß ich nicht, – es kam wohl dadurch, daß ich gerade die Gardinenstangen ansah. Sonst aber ist ja alles gut verlaufen, und das Essen war gut, nicht wahr? Mutter flüsterte mir zu, der Tisch sei allerliebst gedeckt!«

»Nur das Unglück mit der Apfeltorte«, sagte ich. »Sonst war alles vorzüglich, – doch jetzt laß uns zu Bett gehen, wir haben einen anstrengenden Tag hinter uns.« –

In der nun folgenden Zeit hatte ich sehr viel zu tun. An einem der Museen war eine Assistentenstelle frei geworden, wenn ich sie erhielt, würden sich meine pekuniären Verhältnisse sehr verbessern und ich auf ein »sorgenfreies Auskommen« rechnen können. Ich setzte daher alle Hebel in Bewegung, wandte mich an alle, die auf die Besetzung der Stelle Einfluß hatten, und erhielt vorläufig Versprechungen von ihnen allen. Estrid beklagte sich darüber, daß ich jetzt so wenig zu Hause sei.

»Das Amt muß allem vorgehen, süßer Basilisk«, tröstete ich sie.

»Ja, wenn du es bekommst, doch du hast es ja noch nicht.«

»Ich habe die beste Aussicht darauf. Jetzt muß ich nur noch mit dem Etatsrat, der die entscheidende Stimme hat, reden. Ich habe ihn viermal im Ministerium ausgesucht, und jedesmal ist mir dort gesagt worden, er sei genau vor fünf Minuten fortgegangen, – man könnte beinahe glauben, er wittere mein Kommen und entferne sich absichtlich, weil er die Stelle schon einem anderen zugedacht habe. Heute aber will ich den Löwen in seiner Höhle aufsuchen und zusehen, ob ich ihn nicht in seiner Wohnung treffe.«

»Aber du kommst doch zum Tee nach Hause?«

»Darauf kannst du dich verlassen, – solange behält der Etatsrat mich nicht bei sich. Lebe wohl, süßer Basilisk, passe gut auf das Haus und laß dich nicht von jemand stehlen, wenn ich fort bin!«

Es war ein regnerischer, naßkalter Novembernachmittag. Es dämmerte schon, und die Laternen wurden gerade angezündet. Ich knöpfte meinen Rock fest zu und lief schnell die Allee und die Westbrückenstraße hinunter. Bei der Schießbahn traf ich Onkel. Ich wollte an ihm vorübereilen, um nicht durch seine Redseligkeit aufgehalten zu werden, aber er hatte mich bereits erblickt.

»Wohin willst du denn in solcher Eile?« fragte er.

»Geschäfte!« antwortete ich kurz.

»Und ich wollte euch gerade besuchen.«

»Das tut mir leid, aber Estrid triffst du zu Hause.«

»Ist sie allein?« fragte Onkel.

»Ja; wer sollte wohl bei ihr sein, wenn ich nicht da bin?«

»O, dein Freund Eisbär zum Beispiel; er ist ja eine Art Hausfreund bei euch.«

»Was meinst du damit?«

»Ich meine einen, der die Frau unterhält, wenn der Mann fort ist. – Na, na, du brauchst mich nicht so finster anzusehen, es ist ja nichts dabei.«

»Dummer Schnack!« sagte ich ärgerlich. »Eisbär ist seit vierzehn Tagen nicht bei uns gewesen.«

»So? Erst vorgestern habe ich ihn auf einer Vormittagsvisite bei Estrid getroffen. Aber du hast es eilig, und ich will dich nicht aufhalten. Adieu!«

»Der dumme Mensch kann sein sinnloses Gerede doch nie lassen«, dachte ich im Weitergehen. Aber das sinnlose Gerede hatte mir doch allerlei zu denken gegeben, – vielleicht war es gar nicht so sinnlos. Kinder und Narren sollen ja die Wahrheit reden.

Hatte Eisbär wirklich vorgestern Estrid besucht? Davon hatte sie mir kein Wort gesagt, und sonst pflegte sie mir alles, was in meiner Abwesenheit vorfiel, zu erzählen. Hm, hm! es war doch sonderbar! War er einmal bei ihr gewesen! ohne daß sie es mir erzählt hatte, so konnte er sie auch öfter besucht haben, ohne daß ich darum wußte!

Ich ging weiter. Den Etatsrat aber und meinen Besuch hatte ich ganz vergessen; ich dachte nur an Eisbär und Estrid.

Ich überdachte das ganze Verhältnis von der ersten Zeit, als Eisbär in unser Haus gekommen war, an. Estrid hatte ihm stets Interesse entgegengebracht, – wenn auch nicht mehr, als sie meinem Freunde schuldig war. Später hatte sie ihn manchmal mit einer gewissen Kälte behandelt, doch das konnte Verstellung sein – – und Eisbärs Verhältnis zu Valborg war vielleicht ein Maskenspiel, um mich unbesorgter zu machen. Und nun fiel mir plötzlich der Rosenstock ein, den Eisbär Estrid zum Geburtstage geschickt hatte; ich mußte daran denken, daß er sie in seiner Rede auf mich eine Perle, um die man mich beneiden müsse, genannt und daß sie an demselben Abend gesagt, Eisbär sei flink, flinker als ich – –

»Es sind lauter Lügen!« rief ich ganz laut aus, indem ich mit dem Fuße aufs Pflaster stampfte, so daß die Vorbeigehenden sich erstaunt nach mir umsahen. Ich ging, selbst über mein Benehmen betroffen, weiter. Mir war es, als habe mein Ausruf alle bösen Gedanken vertrieben, ich schämte mich, daß derartiges mir in den Sinn hatte kommen können. –

Doch nach und nach kehrten dieselben Gedanken, einer nach dem anderen, wieder zurück, lautlos schlichen sie heran, wie Gespenster und Schatten, und hängten sich mit bleischwerem Gewicht an mich. Er heuchelte Kälte, – der Rosenstock, – die Perle, – das Hinaufsehen zu den Sternen und das Seufzen, – seine Besuche, von denen ich nichts wußte: dies war das Thema, das meine Gedanken bis ins Unendliche variierten. Ich versuchte, sie abzuschütteln, aber sie ließen mich nicht los.

Auf der Westbrücke blieb ich stehen. Die Laternen schimmerten matt durch den Nebel und die Dunkelheit. Ach, was gäbe ich für einen erleuchtenden Gedanken, der mich aus diesem Wirrsal auf den rechten Weg führen könnte!

Plötzlich kam mir der erleuchtende Gedanke: »Geh heim zu Estrid, sprich mit ihr und laß dir alles erklären!«

Das war ein guter Entschluß. Ich kehrte sofort um und ging rasch nach Hause. In Sturmschritt eilte ich durch die Westbrückenstraße, jetzt würde das Rätsel bald gelöst sein. Doch als ich in die Frederiksberger Allee gelangte, stiegen mir wieder Zweifel auf, und ich mäßigte meinen Schritt. Welches Rätsel wollte ich aufgelöst haben? Wenn es nun gar kein Rätsel zu lösen gab? Wenn das Ganze grundlose Eifersucht war, lächerliche Eifersucht, doppelt lächerlich bei mir, der so oft die Eifersucht als das Dümmste und Verrückteste auf Erden verspottet hatte! Und nun wurde ich selber ohne eine Spur von Grund eifersüchtig, nur daraufhin, daß Eisbär in meiner Abwesenheit bei uns gewesen war und Estrid vergessen hatte, es mir zu sagen.

Nein, ich wollte gar nichts sagen, gar nicht davon reden, ich würde mich ja nur lächerlich machen. Und doch –

Jetzt stand ich vor unserem Hause und blickte nach den Fenstern hinauf. Die Gardinen waren zugezogen, aber in der Stube war Licht. Da stand ich nun in einem schlimmen Dilemma: entweder sagte ich nichts, erfuhr dann aber auch nichts und blieb in derselben Ungewißheit, – oder ich sagte Estrid alles und machte mich dann durch grundlose, alberne Eifersucht lächerlich.

»Jetzt weiß ich, was ich tun werde«, sagte ich nach einigem Nachdenken zu mir selbst. »Ich will gar nichts sagen, sondern Estrid nur ansehen, sie ernst und ruhig ansehen. Kann sie mich dann wiederansehen, ohne die Farbe zu wechseln, mich mit klarem, unschuldigem Blicke anschauen, dann ist alles gut, und dann – drehe ich Onkel, sobald ich ihn wieder treffe, den Hals um.«

Dies hielt ich für das Vernünftigste und stieg ruhig die Treppen hinauf. Die Entreetür stand offen. »Wie merkwürdig!« dachte ich. »Weshalb ist sie nicht zugeschlossen?«

Leise öffnete ich die Wohnstubentür, ein schwacher Lichtschein strömte mir von der Lampe entgegen und – – ein entsetzlicher Anblick ließ das Blut in meinen Adern erstarren! Auf dem Sofa saß Estrid, neben ihr der treulose Freund. Sie lehnte den Kopf zärtlich an seine Schulter, er hatte den Arm um sie gelegt. Da er mir den Rücken zukehrte, konnte ich den Ausdruck seines Gesichts nicht sehen, aber das war ja auch gleichgültig, ich hatte genug gesehen – mehr als genug.

Lautlos schloß ich die Tür. Vor meinen Augen drehte sich alles im Kreise, beinahe wäre ich zu Boden gestürzt. Dann kam ich wieder zur Besinnung, kalt wie eine Marmorstatue ging ich die Treppen hinunter. Wohin ich wollte, wußte ich nicht; ich wußte nur, daß ich dort oben nichts mehr zu suchen hatte. Oder sollte ich mit Estrid sprechen, eine Erklärung von ihr verlangen? Als ob das, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen, nicht deutlicher gesprochen als jegliche Erklärung.

Ich ging wie ein Automat, wie ein Mensch, dem man Herz und Hirn herausgenommen hat und der weder denken noch fühlen kann, durch die Straßen. Um mich her war dunkler Abend, doch in mir war es noch dunkler.

Schließlich fand ich mich selbst auf einer Bank sitzend. Vor mir schimmerte eine dunkle Wasserfläche mit schwachem Lichtscheine, ich sah kahle Bäume und entlaubte Zweige. Ich befand mich im Frederiksberger Schloßgarten.

Der Frederiksberger Garten! Der Schauplatz so vieler fröhlicher Spaziergänge in den ersten Tagen unserer Ehe. Damals hatte das Leben um mich herum und in mir hell aufgejubelt, die Vögel gesungen, die Sonne geschienen, der Himmel sich blau über uns gewölbt und ich selber mich vor Freude im siebenten Himmel geglaubt, – und nun befand ich mich wieder hier, aber im Finstern, in der Kälte, mit der Bitterkeit des Todes im Herzen, – war ich wirklich der, welchem die Brust einst zu eng erschien, um all die in ihm wohnende Freude zu bergen!

Estrid! Teurer Name, der für mich alles Edle, alles Liebenswerte, alles Reine, Treue und Gediegene ausdrückte! Und jetzt – plötzlich schoß mir ein anderer Name durch den Sinn: Basilisk! So hatte ich sie im scherzenden Spiele der Liebe getauft, nun kehrte sich dieser Name mit dem schneidenden Ernste der Wirklichkeit gegen mich, um mein Herz zu durchbohren, denn wie ein wahrer Basilisk hatte sie all meine Lebensfreude getötet.

Nach Hause wollte ich nicht zurückkehren, denn auf meinem Heim lag jetzt der Fluch der Entweihung. Ich wollte in die Stadt gehen und dort in irgend einem Gasthause übernachten. Am nächsten Morgen wollte ich mit einem Dampfer fort – nach – – Malmö? Ja, weshalb nicht? Dort war ich in der Nähe der Heimat und doch fern von meinem Heim, in einer fremden Stadt, wo mich niemand kannte und keiner sich um mich kümmerte. Ich bedurfte vollständiger Einsamkeit, ich wollte keine bekannte Seele sehen oder gar sprechen, ich hatte den Glauben an alle, das Vertrauen zu allen verloren. Nur Schwiegervater wollte ich mit ein paar Worten mitteilen, daß ich verreist sei; an Estrid wollte ich nicht schreiben, ihr Gewissen würde ihr den Grund meines Ausbleibens schon sagen. Daran wie das Verhältnis zwischen uns später werden sollte, konnte ich augenblicklich nicht denken, vielleicht würde ich nach einiger Zeit imstande sein, eine gute, endgültige Entscheidung zu treffen.

Dieser Entschluß schien mir der beste zu sein. Ich ging schnell aus dem Garten durch die Allee. Als ich an meiner Wohnung vorüberkam, wandte ich den Kopf nach der anderen Seite, um das verhaßte Haus nicht zu sehen. In demselben Augenblick legte sich eine Hand mit kräftigem Griffe auf meine Schulter.

»Endlich finde ich dich! Weshalb schleichst du umher wie ein Dieb und Wegelagerer?«

Es war Eisbär. Ich wich zur Seite und sagte kurz: »Laß mich gehen!«

»Nein, ich denke gar nicht daran, dich gehen zu lassen«, erwiderte Eisbär, mich noch fester haltend, »ich habe dich ja gerade gesucht. Du bist mein Gefangener und hast mit mir zu kommen.«

»Laß mich gehen!« wiederholte ich. »Oder –«, und ich erhob die Hand, wie um ihn zu schlagen. Eisbär ließ mich los und sah mich betroffen an. »Was ist dir? Bist du krank – sieh mich doch nicht so zornig an, was habe ich dir zuleide getan?«

In Eisbärs hübschem, offenem Gesicht lag solch ein Ausdruck ehrlicher, treuer Freundschaft, daß ich den Anblick nicht ertragen konnte. Ich legte die Hand über die Augen und sagte: »Ich bin sehr, sehr unglücklich.«

»So sprich dich aus, vertraue dich mir an! Ich beschwöre dich bei all unserer alten Freundschaft, bei unserer Verwandtschaft, denn wir sind jetzt mehr als Freunde, wir sind Brüder. Ich habe mich heute mit Valborg verlobt.«

»Mit Valborg?« rief ich aus.

»Ja, mit Valborg. Du mußt auf beiden Augen blind gewesen sein, wenn du das nicht längst erraten hast.«

»Valborg!« wiederholte ich. »Wie steht es denn aber mit Estrid?«

»Höre, Nicolai, bei dir muß es im Kopfe nicht richtig sein. Estrid ist ja deine Frau, mit ihr konnte ich mich doch nicht verloben.«

»Valborg!« sagte ich, während meine Gedanken einen seltsamen Kreislauf durcheilten. »War es also deshalb ...?«

»Was? – – Höre, hast du Gespenster gesehen?«

»Gespenster?« wiederholte ich. »Nun ja, ein abscheuliches, häßliches und hassenswertes Gespenst, – doch laß uns nicht mehr davon reden.«

»So werde ich dir statt dessen etwas außerordentlich Fröhliches und Erfreuliches erzählen, das finstere Gedanken schon verscheuchen kann. Der verlorene Sohn ist heimgekehrt.«

»Welcher Sohn?«

»Schwiegervaters Sohn, – Estrids und Valborgs Bruder.«

»Aber der ist ja tot.«

»Ebensowenig wie du und ich. Er sitzt schon eine ganze Stunde bei Estrid und wartet auf dich.«

»Laß mich ein wenig auf dieser Bank Platz nehmen, damit ich wieder zu Atem komme!« – Diese Pause, während Eisbär und ich auf der Bank sitzen, muß ich zu einer kurzen Selbstverteidigung benutzen.

Kluge Köpfe würden natürlich den Zusammenhang der Geschichte längst erraten und sich gewundert haben, daß mir der Gedanke an eine Verwechselung gar nicht gekommen und ich überhaupt die Sache so übertrieben erregt aufgefaßt. Doch wie konnte ich ahnen, daß Estrids Bruder noch lebte und zu seinem Wiedererscheinen gerade einen so außerordentlich kritischen Augenblick wählen würde? Und was die Erregtheit anbetrifft, – nun ja, da gebe ich zu, daß junge Mädchen und alte Junggesellen das, was ich hier erzählt habe, nicht verstehen können. Doch an euch, ihr Ehemänner, wende ich mich, an euch, die ihr gleich mir kürzlich eine junge, reizende Frau heimgeführt habt und sie – notwendige Voraussetzung! – ebensosehr liebt, wie ich Estrid liebe, – euch frage ich, wie ihr euch betragen haben würdet, wenn ihr, begründet oder grundlos, einen unseligen Argwohn gefaßt und dann eines Tages bei eurer Heimkehr eure Gattin in den Armen eines anderen gefunden hättet, ob ihr dann erst kaltblütig und ruhig nachgedacht haben würdet. Und könntet ihr das, so sage ich euch gerade in das Gesicht: »Dann seid ihr schlechte Ehemänner!« –

»So, jetzt werden es, glaube ich, meine Kräfte erlauben, daß ich mit dir hinaufgehe«, sagte ich zu Eisbär.

Er schüttelte den Kopf: »Wenn ich nur daraus klug werden könnte, was dir ist!«

»Einerlei, wenn ich nur aus mir selber klug werde. Laß uns gehen, um den Schwager zu begrüßen!«

Dieser saß noch neben Estrid auf dem Sofa. Hätte ich es vorher nicht so eilig gehabt, würde mir bald ein Licht aufgegangen sein, denn wenn er auch blond, groß und breitschulterig war, so hatte er doch nicht Eisbärs herkulische Gestalt. Doch wer gebraucht seine Augen und seinen Verstand, wenn er schon von Mißtrauen und Leidenschaft entflammt ist? Er hatte übrigens Ähnlichkeit mit Estrid; es waren dieselben seelenvollen Züge, die klugen blauen Augen, aber bei ihm mit einem Zusatze von trotziger Energie, der seltsam mit ihrer milden Sanftmut kontrastierte.

»Schwager!« rief ich, indem ich in meiner übermäßigen Freude auf ihn losfuhr und ihn mit meiner Umarmung beinahe erdrückte.

»Hallo! laß mich doch Luft holen! – – Wenn du bei deinen Liebkosungen stets so gewaltsam bist, möchte ich nicht an Estrids Stelle sein.« –

»Ich möchte dich vor lauter Freude totschlagen. Doch wo kommst du her? Aus der Unterwelt oder aus der Oberwelt, von den Türken oder von Skagen?«

»Gegenwärtig komme ich von London. Dort traf ich einen dänischen Maler, der dich gut kannte und mir erzählte, daß du mit Estrid verheiratet seiest. Da hielt ich es denn für das beste, erst euch aufzusuchen, bevor ich zu meinen Alten ginge.«

»Hast du deine Eltern noch nicht gesehen?«

»Nein, aber ich werde jetzt zu ihnen gehen.«

»Dann begleite ich dich«, sagte Eisbär.

»Und ich komme auch mit. Hurra! Was werden die Schwiegereltern sagen, wenn sie uns drei lustigen Schwäger erblicken!« rief ich, machte einen Luftsprung und knallte mit den Fingern, denn nach dem heftigen Drucke, der eben noch auf der in mir wohnenden Lebensfreude gelegen, erhob sich diese mit vermehrter Spannkraft und versuchte sich auf alle Weise Luft zu machen.

Nun aber legte sich Estrid ins Mittel. »Ihr lieben Freunde, daraus kann unter keiner Bedingung etwas werden. Es könnte Mutter das Leben kosten, wenn sie Halfdan so plötzlich erblickte, ohne im geringsten darauf vorbereitet zu sein. Er muß hier bleiben, während einer von euch Vater und Mutter von seiner Ankunft unterrichtet. Wir müssen ihnen Zeit lassen, sich zu besinnen.«

»So werde ich gehen«, sagte Eisbär.

»Und ich bleibe hier bei dir, meine liebe, süße Estrid.«

»Bist du beim Etatsrate gewesen? Hat er dir Hoffnung gemacht? Du bist ja außerordentlich vergnügt.«

»Ach was, Etatsrat! Ich habe ganz etwas anderes erlebt. Das aber erzähle ich dir nachher, jetzt will ich mit dem Schwager plaudern.«

»Adieu!« rief Eisbär aus dem Entree.

»Bringen Sie die Eltern und die Schwestern mit«, sagte Estrid. »Aber sprechen Sie ja vorsichtig mit Mutter!«

»Und bringe Onkel mit, wenn du ihn siehst«, fügte ich hinzu. »Er hat es freilich nicht verdient, aber ich will Gnade vor Recht ergehen lassen.«

»Dann miete ich einen ganzen Omnibus und kutschiere die Familie her«, antwortete Eisbär fortgehend.

»Noch will es mir gar nicht in den Kopf, daß du wirklich lebst«, sagte ich zu Halfdan.

»Dann mußt du es in deinen Kopf hineinzubringen versuchen, denn es ist eine sogenannte Tatsache.«

»Aber wir hielten dich alle für tot, und es war zuverlässige Nachricht von deinem Tode gekommen.«

»Hast du denn noch nie erlebt, daß das Gerücht und die Zeitungen jemand totgesagt haben, der trotzdem ganz vergnügt weiter lebte? Übrigens ist es diesmal ganz natürlich zugegangen. Ich will euch nämlich sagen, daß ich, als ich vor sechs Jahren von hier fort ging, auf der Reise nach Amerika in London einen hoffnungsvollen Jüngling kennen lernte, der Christian Skofte hieß und übrigens ein gerade so großer Lümmel war wie ich selber es damals gewesen bin. Auf der Überfahrt nach Newyork wurden wir intime Freunde und verfielen auf die verrückte Idee, mit unseren Namen und Papieren zu tauschen. Er blieb in Newyork, während ich nach dem Westen ging. Erst nach zwei Jahren erfuhr ich, daß er im Gefängnisse gestorben sei, und sein Tod war es, den der Konsul euch gemeldet hat!«

»Ach, wie viel Sorge und Kummer hast du Vater und Mutter und uns anderen dadurch bereitet«, sagte Estrid vorwurfsvoll.

»Das ist schlimm, sehr schlimm!« antwortete der Bruder. »Ich habe nie daran gedacht, was für Folgen der Namenstausch haben könnte.«

»Doch du hättest uns ein paar Worte schreiben können, allein schon um Mutters willen. Du weißt gar nicht, wie sehr sie sich um dich gegrämt hat.«

»Wer ruhig daheim sitzt, kann gut von Schreiben reden. Bei mir aber lag die Sache anders; die ersten drei Jahre wollte mir gar nichts glücken, ich war bald dieses, bald jenes, selbst Holzhacker und Straßenkehrer. Es geschah mir schon recht, und ich sah es auch als den mir für meine Streiche gebührenden Lohn an, aber ihr werdet ebenfalls begreifen, daß ich davon nichts schreiben mochte. Meinen Eltern hatte ich in der alten Welt genug Sorgen gemacht, sollten sie sich nun noch darüber grämen, daß auch in der neuen aus mir nichts wurde. Schließlich begann das Glück mir günstiger zu werden, und ich kam auf den grünen Zweig, aber dann will man ja immer noch mehr haben, – ich wollte lieber selber kommen, als einen Brief senden, – die Zeit eilt in Amerika schneller dahin als hier; kurz, es vergingen noch drei Jahre, bis ich mich schließlich kurz entschloß, und nun bin ich hier. – Doch jetzt laß dich einmal ansehen, mein lustiger Schwager Nicolai, und erzähle mir von deinen Taten auf unserer Erdkugel während der Jahrzehnte, in denen ich dich noch nicht gekannt habe!«

Wir hatten uns viel zu erzählen und viel zu besprechen, und die Zeit war uns schnell vergangen, als wir das Geräusch vieler Schritte auf der Diele hörten.

»Das sind Vater und Mutter«, rief Estrid. Ich sah Halfdan an und bemerkte, daß er die Farbe wechselte jetzt, da er den Eltern gegenübertreten sollte, schien ihn sein Mut zu verlassen.

Schwiegervater trat zuerst ein. »Also mein Sohn Halfdan lebt! Ich will hinziehen und ihn sehen, ehe ich sterbe!« sagte er mit den Worten des alten Patriarchen. »Halfdan! komme in meine Arme! Lange hat mein Zorn auf deinem Namen gelegen, jetzt soll mein Segen darauf ruhen!«

Halfdan hatte Tränen in den Augen und war sehr erschüttert. Augenscheinlich ergriff ihn die Wirklichkeit tiefer, als er es sich vorher gedacht hatte.

Schwiegermutter konnte überhaupt kein Wort hervorbringen, sondern nur weinen, und Schwiegervater sagte nichts darüber, da er selbst nicht weit davon war. Als er seine Hand auf das Haupt des Sohnes legte, sah ich, daß sie stark zitterte.

Ihrer Freude von Herzen Luft machen aber konnten die beiden jüngsten Schwestern, Sophie und Johanna. Sie wußten fast nichts von all dem früheren Ernste und Kummer und jubelten nun laut über den großen Bruder, dessen sie sich aus ihrer Kindheit nur noch dunkel erinnerten und der ihnen jetzt so unerwartet wiedergeschenkt worden war.

Valborg sah aus, als könne sie weder sehen noch hören. Die beiden großen Ereignisse, ihre eigene Verlobung und die Rückkehr des Bruders, hatten sie überwältigt. Sie stützte sich auf Eisbärs Arm, als müsse sie sich festhalten, um nicht von dem Strome ihrer Gefühle fortgerissen zu werden.

Auch mir wurde es schwer mich zu besinnen und mich zu beherrschen. In ganz kurzer Zeit hatte mein Gemüt alle Richtungen des Kompasses durchlaufen. Vor kaum einer Stunde wanderte ich allein in der Dunkelheit, fühlte Bitterkeit und Verzweiflung im Herzen und war im Begriff, die teuersten, heiligsten Bande, die den Menschen an diese Erde fesseln, zu zerreißen, – und nun stand ich hier im Hellen, inmitten all der Fröhlichkeit, im Kreise der mir liebsten Menschen, und die überströmende Freude der Liebe und das Wiedersehen trieb mir das Lebensgefühl im schnellsten Kreislauf durch die Adern.

»Nun wollen wir zuallererst Gott für seine unsägliche Gnade gegen uns danken!« sagte Schwiegervater, faltete die Hände und sprach dann ein heißes, inbrünstiges Dankgebet, wie ein Vater betet, dessen Sohn tot war und wieder lebendig geworden, verloren gegangen und wiedergefunden ist.

Als wir uns ein wenig beruhigt und die erste heftige Gemütserregung sich gelegt hatte, mußte Halfdan seine merkwürdigen Erlebnisse erzählen.

»Ich habe so viel erlebt, daß ich gar nicht weiß, womit ich anfangen und womit ich enden soll«, sagte er. »Zuerst will ich euch jedoch erzählen, wie es kam, daß ich ein aufrichtiger Christ wurde, denn das wollt ihr doch vielleicht am liebsten hören. Es ist nun wohl gut zwei Jahre her. Ich fing schon an, gut vorwärts zu kommen, hatte mir etwas Land gekauft und mir ein Haus gebaut, das Vieh gedieh gut, und ich hatte zwei Pferde. Trotzalledem war ich doch nicht wirklich zufrieden, weil ich eine Leere in mir fühlte, die sich nicht ausfüllen ließ. Ich versuchte mir einzureden, es sei Heimweh und die Sehnsucht nach euch, aber es gelang mir nicht, mich dadurch zu beruhigen. Mir war zumute wie einem, der etwas verloren hat und nicht darauf kommen kann, was dies ist. Da geschah es, daß ich mich eines Sonnabends in der Stadt verspätete und den Sonntag über dort bleiben mußte. Ihr habt wohl schon gehört, daß es Sonntags in den amerikanischen Städten außerordentlich still ist. Ich ging mit einem Kameraden spazieren und langweilte mich. ›Höre, weißt du was‹, sagte er schließlich zu mir, ›jetzt wollen wir uns einen vergnügten Vormittag machen und in die Kirche gehen.‹ – ›Das Vergnügen wird nicht groß sein‹, meinte ich. – ›Doch, wir wollen den neuen Methodistenprediger hören, der jetzt hier angestellt ist, er soll zum Totlachen predigen.‹ – ›Na, so gehen wir denn in die Kirche.‹ –

»Zwei würdige Kirchengänger«, unterbrach ihn Schwiegervater.«

»Nun wirst du hören! Der Pastor stand schon auf der Kanzel, sein Gesicht war rund, feist und glühend rot, denn er sprach zornig, gestikulierte mit den Händen und stampfte derartig mit den Füßen, daß ich fürchtete, die Kanzel werde aus den Fugen gehen. Ich konnte nicht umhin, über den kleinen Eiferer zu lachen. Er mußte es gesehen haben, denn in demselben Augenblick schaute er starr zu mir hinab und rief mir zu: ›Du lachst, mein Freund? Ja, ja, lache nur! Doch wer zuletzt lacht, lacht am besten, und das wird der Teufel sein, wenn er dich in seinen Krallen hat, in die du sicher gerätst, weil du Gottes Wort, das dich hätte retten können, verlacht hast. Jetzt meinst du, du seiest vollkommen sicher und geborgen, doch weist du auch, wie weit du von der Hölle entfernt bist? Nicht weiter, als daß ein Floh mit zwei Sprüngen hineinhüpfen könnte. Heute rot, morgen tot. Heute sitzest du noch ganz froh hier in der Kirche, morgen liegst du starr und kalt auf dem Rücken. Dann ist deine Seele in der grauenvollsten Pein, wie der reiche Mann im Evangelium, der auch glaubte, er werde bis in alle Ewigkeit herrlich und in Freuden leben. ›Ich will hinaus, hinaus!‹ rufst du, aber der Satan schlägt dir die Tür vor der Nase zu und sagt: ›Die Bretter halten!‹ Dann beginnst du in deiner großen Angst und Qual unseren Herrgott um Gnade anzuflehen, doch er sagt: ›Nix Pardon! Du hast dich im Leben nie um mich gekümmert, jetzt gehst du mich im Tode auch nichts an!‹«

»Das war eigentlich eine sonderbare Predigt«, bemerkte Schwiegervater.

»Ich sage auch nicht, daß es eine Musterpredigt war, aber auf mich wirkte sie. Sie rüttelte mich von Grund aus auf. Als wir die Kirche verließen, sagte ich zu meinem Kameraden, ich wolle jetzt nach Hause gehen und schlafen, doch in Wirklichkeit wollte ich nur allein sein, ich schlief weder an diesem noch an den folgenden Tagen, ja kaum des Nachts. Bisher hatte ich genug mit der Gegenwart zu tun gehabt, jetzt auf einmal mußte ich mich auch sowohl mit der Vergangenheit wie mit der Zukunft beschäftigen. Nie war es mir so zum Bewußtsein gekommen, wie schwer ich mich in der Heimat versündigt hatte. Man sagt zwar immer, es sei noch Zeit genug, an das andere Leben zu denken, wenn es erst soweit sei, – doch wenn nun unsere Lebensaufgabe wirklich darin bestehen sollte, das irdische Leben so anzuwenden, daß wir das ewige erlangen, was dann? Und wenn es wahr ist, daß nach dem Tode das Gericht folgt, darf man dann leben, als ob es gar kein Gericht gäbe? Oder kann man sich dem Gericht dadurch entziehen, daß man nicht daran denkt, wie das Kind glaubt, von keinem gesehen zu werden, wenn es die Hand über die Augen deckt? Genug, all diese Fragen stürmten derartig auf mich ein, daß ich weder Ruhe noch Frieden fand. Schließlich beschloß ich, zu dem Methodistenprediger zu gehen und mit ihm zu reden. Er erkannte mich sofort wieder, als ich in die Tür trat. ›Sie sind ja der, welcher in der Kirche über mich gelacht hat. Jetzt lachen Sie gewiß nicht mehr. Sobald ich Sie von der Kanzel aus erblickte, flüsterte mir eine Stimme zu: Auf den da unten gib acht, – ihn hat der Teufel schon umgarnt, aber noch ist er zu retten. Von dem Augenblick an predigte ich nur für Sie allein, wenn auch den anderen das Hören ebenfalls nur nützen konnte. – Aber was wollen Sie heute?‹ – Ich teilte ihm den Grund meines Kommens mit. ›Hm!‹ sagte er, als ich fertig war. ›Nun sagen Sie mir einmal, warum Sie Ihr Vaterland verlassen haben. Um Ihrer Tugend willen doch wohl kaum.‹ Da beichtete ich ihm alles und verheimlichte nichts. Nachdem er mich aufmerksam angehört hatte, sagte er: ›Das mit dem Wechsel wird Ihnen schon vergeben werden können, weil es nur eine Übertretung menschlicher Gesetze war. Doch daß Sie Ihren Eltern trotzten und im Zorn von ihnen schieden, war viel schlimmer, denn Sie vergingen sich damit gegen das göttliche Gesetz, das im vierten Gebot sagt: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren! Wenn Sie es aber im tiefsten Herzen bereuen und an unseren Erlöser, bei dem allein man Vergebung für seine Sünden finden kann, glauben, so wird Ihnen auch dieses Verbrechen vergeben werden. Nun aber muß ich in die Betstunde; hier haben Sie einige Traktate, über die wir sprechen wollen, wenn Sie sie gelesen haben werden.‹ – Ich kehrte nach Hause zurück, dachte ernsthaft über die Sache nach, las viel in meinem Neuen Testament, ging fleißig in die Kirche, sprach mich mit christlich gesinnten Menschen aus und flehte Gott um Erleuchtung an, und allmählich wurde mir alles klar, ich gewann eine friedliche innerliche Ruhe und eine zuversichtliche Hoffnung für Zeit und Ewigkeit, wie ich sie früher nie gekannt hatte.«

»Aber, liebster Halfdan, du bist doch wohl nicht Methodist geworden?« rief Schwiegermutter aus.

»Sei nur ruhig, liebe Mutter«, antwortete Halfdan lächelnd. »Ich habe denselben Glauben wie ihr. Die Methodisten sind aufrichtige Christen und brave Leute, und ich verdanke ihnen viel, aber sie haben sonderbare Ansichten von der Bekehrung und dem Bußkampfe, die ich durchaus nicht teilen kann. Das habe ich ihnen auch geradeheraus gesagt und hinzugefügt, daß ich mit Gottes Hilfe Mitglied der lutherischen Kirche, in der ich getauft und konfirmiert, bis an mein seliges Ende bleiben wolle. – Doch jetzt habt ihr alles gehört und nun müßt ihr mir all den Kummer, den ich euch bereitet habe, vergeben.«

»Wir vergeben, wie wir hoffen, daß uns selber vergeben werde«, sagte Schwiegervater bewegt. »Hätte ich meine Heftigkeit dir gegenüber zügeln können, wäre manches anders gekommen; ich habe oft an das Wort des Apostels: ›Ihr Eltern, reizet eure Kinder nicht zum Zorn!‹ denken müssen.«

Vater und Sohn reichten einander die Hand. Schwiegermutter saß mit gefalteten Händen da, der Ausdruck ihres Antlitzes aber läßt sich nicht beschreiben. Am meisten erinnerte er wohl an die verklärte Seligkeit, die sich auf dem Gesicht frommer Christen im Augenblick des Todes zeigt, wenn sie dieser Welt Lebewohl sagen und die unseren Augen verborgene himmlische Herrlichkeit schauen.

Mein Sinn und meine Gedanken wandten sich nun wieder irdischen Verhältnissen zu.

»Bleibst du jetzt bei uns oder gehst du wieder nach dem großen Amerika zurück? Hier ist dir wohl alles zu klein?«

»Zu klein!« rief Schwiegervater mit Eifer aus. »Hört doch endlich einmal mit solch dummen Reden auf! Ich muß mich immer ärgern, wenn ich von ›dem kleinen Dänemark‹ sprechen höre, gerade als hätten wir hier überhaupt keine ausgewachsenen Menschen. Man sollte glauben, in England wären die Leute sechs und in Amerika mindestens neun Ellen hoch. Kann Halfdan hier nicht alles finden, was Herz und Sinn groß und edel macht? Hat er hier nicht uns, seine Eltern, seine Geschwister, sein Vaterland? Haben wir nicht Religion und Christentum, Kunst und Wissenschaft ebensogut wie andere, ja in vielen Stücken besser als die da draußen?«

»Du pflegst uns Dänen und die nordische Kunst sonst nicht in so hohen Tönen zu preisen?« warf ich ein.

»Nun«, antwortete Schwiegervater, still vor sich hin lächelnd, »ich will dir nur sagen, daß ich selber zwar gern ein bißchen auf meine Landsleute hacke, dies aber nicht leiden kann, wenn andere es tun. Und ich meine, es sei in der Heimat stets am besten, und möchte gern, daß du, mein Sohn, diese Meinung teiltest.«

»Für diesmal«, sagte Halfdan, »muß ich nach Amerika zurück, denn ich kann mein Haus und meine Farm doch nicht einfach verlassen. In zwei bis drei Jahren aber hoffe ich es mit Gottes Hilfe soweit gebracht zu haben, daß ich drüben alles zu Gelde machen, zurückkehren und mir hier ein kleines Gut kaufen kann, denn mein Herz hängt doch an Dänemark. Und überdies«, fügte er mit leichtem Erröten hinzu, »möchte ich am liebsten eine Dänin heiraten.«

»Das ist recht!« rief Schwiegervater, Halfdan vergnügt auf die Schulter schlagend. »Das mag ich leiden. Die Rede hat mehr Sinn, als alle Theorien Nicolais über nordische Kunst.«

In demselben Augenblick klingelte es draußen.

»Das ist sicherlich Onkel«, sagte ich. »Jetzt wird's lustig werden.«

Gleich darauf trat Onkel ein. Er warf einen Blick aus die Anwesenden und blieb wie versteinert stehen.

»Ha– Half–«, stotterte er, brach aber den verbotenen Namen in der Mitte ab und schielte erschreckt nach dem Platz, wo Schwiegervater saß.

»Sprich nur den Namen ganz aus, jetzt erlaube ich es dir«, sagte dieser.

Onkel näherte sich Halfdan so vorsichtig, als fürchte er sich davor, ihn anzurühren.

»Aber, Halfdan, du solltest ja tot sein!« begann er schließlich.

»Nichtsdestoweniger nehme ich mir die unverschämte Freiheit zu leben«, antwortete Halfdan mit herzlichem Lachen.

»So sei mir im alten Dänemark willkommen!« rief Onkel, ihm um den Hals fallend, aus.

»Hier sind noch mehr Sehenswürdigkeiten«, sagte ich, indem ich Onkel zu Eisbär und Valborg hinzog. »Sieh nur, ein verlobtes Paar!«

»Ein verlobtes Paar!«

»Ja, du müßtest eigentlich für all den Klatsch, den du herumgetragen hast, noch etwas haben«, fügte ich hinzu.

»Was habe ich denn gesagt?« fragte Onkel erschreckt.

»Jetzt wollen wir nicht mehr davon reden, und es soll dir vergeben sein, aber zur Strafe sollst du jetzt den Punsch brauen!«

»Wenn ich nur wüßte, was ich gesagt oder getan haben soll, – doch einerlei, den Punsch braue ich, und gut soll er werden.«

»Auch mit dir habe ich noch ein Hühnchen zu pflücken«, sagte ich zu Eisbär. »War es recht, so in aller Heimlichkeit auf Freiersfüßen zu gehen, ohne mir, deinem alten Freunde, ein Wort davon zu sagen?«

»Freundschaft ist gut«, antwortete Eisbär, »aber sie hat ihre Grenzen. Übrigens kannst du dich damit trösten, daß Estrid nicht ganz uneingeweiht war.«

»Estrid! Und du hast mir nichts davon gesagt?«

»Nun, eine Frau muß ihrem Manne doch nicht gleich alles wiedererzählen.«

»Ja, das muß sie!« rief ich heftig aus. »Es hätte leicht ein Unglück geben können.«

»Liebster Freund, was ist denn geschehen? – – Sprich doch – –«

»Das werde ich dir nachher erzählen. – Jetzt wollen wir Punsch trinken und vergnügt sein!«

Punsch erhielten wir, und Punsch tranken wir, und vergnügt waren wir. Zuletzt schrien wir alle durcheinander. Halfdan erzählte Geschichten aus Amerika, Eisbär sprach von Rom und Italien, Schwiegervater verbreitete sich über seine jütländische Reise, Onkel erzählte Stadtneuigkeiten und ich entwickelte Theorien über nordische Kunst. Estrid und ihre Schwestern gaben auch ihren Senf dazu; die einzige, welche schwieg, war Schwiegermutter; sie saß mitten zwischen uns, hörte uns allen zu, verstand uns alle und liebte uns alle.

Um Mitternacht entfernte sich die ganze fröhliche Gesellschaft, und Estrid und ich blieben allein.

»Und was war es denn, was du mir nicht erzählen wolltest?« fragte sie.

»Jetzt sollst du alles erfahren«, antwortete ich und begann mich auszusprechen. Sie wurde ganz bleich, als ich ihr schilderte, wie ich mit Verzweiflung im Herzen drunten in der Dunkelheit umhergeschlichen und entschlossen gewesen, für immer fortzugehen.

»Und du wärest wirklich fortgegangen, ohne ein Wort mit mir gesprochen zu haben?«

»Das war meine Absicht.«

»Und so leicht konntest du den Glauben an mich und das Vertrauen zu mir verlieren! – Du, der mir einst gesagt hat, Eifersucht werde ihm nie etwas anhaben?«

»O, schweig!« bat ich. »Bin ich dumm und übermütig gewesen und habe dadurch die bösen Mächte herausgefordert, so bin ich auch dafür bestraft worden.«

Sich an meine Brust lehnend, flüsterte Estrid: »Möge Gott uns alles, was böse ist, fernhalten!«

Ich schloß sie so fest in meine Arme, als ob ich sie nie wieder loslassen wolle.

Vierzehn Tage darauf begegnete ich Schwiegervater auf der Westbrücke.

»Gratuliere!« rief er mir zu. »Du bekommst die Stelle am Museum. Ich habe den Etatsrat eben gesprochen, und er sagte mir, du seiest angestellt.«

»Hurra!« schrie ich, warf meinen Hut in die Luft und fing ihn wieder auf. »Dann muß ich spornstreichs nach Hause und es Estrid erzählen!«

Und ich lief so schnell heim, wie meine Beine mich tragen wollten.

»Estrid!« rief ich atemlos, als ich in die Stube trat »Wir bekommen die Stelle, und nun werden wir leben wie die Fürsten!«

»Dafür wollen wir Gott danken«, erwiderte sie leise, »denn ...« das übrige flüsterte sie mir ins Ohr.

»Nein, was sagst du!« rief ich außer mir vor Freude. »Ein kleiner Nicolai!«

»Still! Still! Wer sagt dir, daß es gerade ein – –«

»O, du mein süßestes, liebstes« ›Basiliskchen‹ hätte ich beinahe gesagt, veränderte das Wort aber in – »Frauchen!«

*

Und hiermit will ich schließen. Vielleicht würde man es für passender halten, wenn ich mein Buch mit einem Hymnus zum Lobe der Ehe beendete, doch darauf muß ich erwidern, daß, wenn nicht mein Buch schon solch ein Hymnus ist, ich jedenfalls keinen besseren zu schreiben vermag. Die Ehe ist vielleicht den größten Teil unseres Erdenlebens hindurch eine Kette von unbedeutenden und zufälligen Ereignissen, hinter diesen aber verbirgt sich stets etwas Großes und Entscheidendes, das ihnen den Stempel der Ewigkeit aufdrückt, und dies ist das, was man Liebe und Treue nennt, welche wiederum die verborgene Lebensquelle alles Segens sind. Doch das kann man nur verstehen, wenn man es selbst erlebt, und darum will ich mit dieser Moral für den Leser des Buches (nicht für die Leserinnen, denn sie können, wenn sie Verstand haben, die Moral viel besser herausfinden, als ich sie ihnen geben kann) schließen: »Lieber Leser, bist du schon verheiratet, so freue dich des reichen Lebensglückes, das dir in deiner Ehe gegeben ist; bist du aber unverheiratet, so strebe danach, daß du dir ein eigenes Heim gründen kannst, und hast du es dir gegründet, so suche dir eine Frau wie Estrid, – doch nein, hier tritt ein unmöglicher Fall ein, denn es gibt nur eine Estrid, und die habe ich genommen.«

 

*

 


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